Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Ist Gottes Hilf am nächsten

Peterchen griff nicht mehr nach der leeren Bierflasche, wenn es dunkel wurde, und ich endlich mit meinem schweren Karren nach Hause trottete. Er wich kaum von der Seite seiner Mutter, als könne ihn die schützen und hing immer an ihrer Schürze. Fried und Minna schlichen gedrückt umher. Der Ede war so ungezogen, daß es nicht zu ertragen war, und am liebsten hätte ich ihn jeden Tag dreimal in seine fetten Waden gebissen. Aber das wagte ich nicht. Denn Lungrich hatte ja der Frau vorgeworfen, daß er zu allem andern auch noch das Lumpenvieh auf dem Halse habe. Und damit meinte er mich. Er schlug mich jetzt und trat mich mit Füßen. Dabei kam ich ganz herunter, denn der Ede schüttete mir auch noch die Hälfte des Fressens fort, oder machte es so schmutzig, daß ich es stehen lassen mußte. Die Kinder gaben mir zuweilen heimlich von ihrem Brot. Aber ich machte die Augen zu und drückte die Schnauze auf den Boden und nahm es nicht.

So kam es, daß Ali mich kaum erkannte, als ich mit unserem Wagen voll Apfelsinen wieder einmal neben dem Schmeißweg stand.

105 »Ja, Schlumski, wie siehst du denn aus? Du bist ja struppig wie ein räudiger Köter, und da an der Seite hast du ja eine eitrige Wunde.«

»Das ist sein Stiefelabsatz, Ali. Die Frau wäscht sie mir jeden Abend aus, und sie wäre schon lange geheilt, denn ich habe gesunde Säfte. Aber der Ede tritt immer wieder hinein und hält sie offen. Gestern hat der Fried mit ihm gerungen und ihn zu Boden geworfen und durchgebläut. Aber was nützt es? Heute früh hat er mir Pfeffer auf das wunde Fleisch gestreut.«

»Armer Kerl! Und ich lebe in Herrlichkeit und Freuden. Denk mal, unsere Braut kämmt mich mit einem richtigen Kamm. Wie findest du, daß ich aussehe?«

Er stellte sich hin und zeigte von allen Seiten sein glänzendes, schwarzes Fell. Denn sein Herr spannte ihn immer aus, wenn er sein Geschäft anfing. Heut drängten sich die Menschen nur so um den Karren. Der Schmeißweg war in bester Laune. Er verkaufte Puppen, lauter niedliche, kleine Puppen, die seine Braut genäht hatte.

»Immer herr–ran, meine Her–rr–rrschaften! Puppen, so süß und unschuldig, wie die Engelchen im Himmel. Puppen zum Anbeißen. Puppen im Steckkissen, und im Schulkleid, und im Ballanzug, und hier eine im Hochzeitsstaat. Was sagen Sie? Ist das nicht eine Herzstärkung? Und Stück für Stück nur fünfzig Pfennig, und das Seidenpapier zum Einwickeln bekommen Sie umsonst. Rosa Seidenpapier! Rosa wie die Morgensonne, nur immer herr–rr–ran!«

106 Und seine Augen lachten, und seine Zähne blitzten, und die Menschen rissen sich um seine Puppen.

»Das Geld schüttet er nun abends alles unserer Braut in den Schoß. Die kauft davon Handtücher, Bettwäsche, und Küchengerät, und jeden Sonntag wird alles herausgeholt, und wir betrachten es. Im Mai heiraten wir, ja.«

Ich gönnte meinem Freunde Ali ja alles Gute. Aber ich mußte doch seufzen. Da fiel mir der schwarze Jule ein, und ich fragt nach ihm.

Ali schüttelte bedächtig den Kopf.

»Das steht nicht gut, Schlumski. Ich glaube, ihre Zeit ist bald gekommen. Sieh mal, der Schmeißweg hat ihn wirklich noch nicht angezeigt, und ich glaube, das macht ihn manchmal ganz unglücklich. Aber immer, wenn er auf die Polizei gehen will, fängt unsere Braut an zu weinen und bittet ihn, doch nur noch einen Tag zu warten. Und, Schlumski, glaube mir, einer so reizenden Braut kann man nichts abschlagen.«

»Schön, Ali; aber wie wird es nun mit meinen Leuten? Wenn dein Herr den schwarzen Jule anzeigt, dann wird er festgenommen und nach seinen Mitschuldigen gefragt. Dann nennt er meinen Bedrücker, und der Lungrich kommt ins Gefängnis, und ich hab' Ruh. Und meine Leute auch. Und sieh mal, lange halte ich es nicht mehr aus. Ich kneife schon immer den Schwanz ein vor Schmerzen.«

Ali wollte eben antworten, als sich ein mächtiger Lärm erhob. Unter den Leuten, die vor dem Wagen des Schmeißweg standen und Puppen kauften, hatte ich schon vor einer Weile den feinen Herrn bemerkt, 107 der dabei gewesen war, als ich Peterchen aus dem Wasser gezogen hatte. (Ali sagte, das sei einfach eine Heldentat, und wenn ich ein Mensch wäre, würde ich eine Rettungsmedaille bekommen. Er würde es aber allen Hunden seines Bekanntenkreises erzählen.) Der Herr hatte die vielen Kinder gesehen, die umherstanden, hatte dann von Lungrich ein Dutzend Apfelsinen gekauft und sie verteilt. Nun kamen aber noch mehr Kinder und sahen ihn so bittend an, daß er noch ein Dutzend Apfelsinen nahm. Er zahlte ein Goldstück, und Lungrich gab ihm heraus.

Als der Herr das Geld einsteckte, wog er einen Taler hin und her und sagte dann:

»Den nehme ich nicht, der ist falsch.«

Und sah dem Lungrich so fest in die Augen. Weil aber gerade ein Schutzmann kam und sich das Geldstück auch geben ließ, sagte Lungrich:

»Na ja, da haben sie nun einen armen Handelsmann wieder betrogen. Den Taler gab mir heute früh eine Frau, die einen ganzen Korb Apfelsinen kaufte und damit in die Häuser gehen wollte.«

Ich wußte aber ganz genau, daß es nicht wahr war, und daß er sich das falsche Geld heute Nacht wieder unter dem Faß hervorgeholt hatte. Es war gar keine Frau dagewesen und hatte Apfelsinen gekauft. Und der Schutzmann blieb auch stehen und sagte streng:

»Da werden in der letzten Zeit so oft falsche Mark- und Talerstücke ausgegeben. Sind Sie nicht der, der neulich Kartoffeln fuhr? Da klagte ein armer Mann auch nachher, er hätte im Dunkeln 108 eine falsche Mark bekommen. Warten Sie, ich werde mir aufschreiben, wo Sie wohnen.«

Lungrich aber verschwor sich, er hätte ein Jahr lang keine Kartoffeln gefahren. Und dann sagte er einen ganz falschen Namen und eine falsche Wohnung. Ich kannte aber den Mann, der die Kartoffeln gekauft hatte, sehr gut.

Anstatt weiter zu verkaufen, hörte der Schmeißweg auf das was der Schutzmann sagte und machte ein ganz ernstes Gesicht. Und dann sprang er auf einmal von seinem Wagen, rief Ali und spannte ihn ein.

Ali konnte mir nur noch zuknurren: »ich denke, jetzt geht es los!« da fuhren sie auch schon davon.

Mein Herr verkaufte seine Apfelsinen weiter. Er war aber ganz gelb vor Ärger, und nach einer Weile fuhren wir in eine ganz andere Stadtgegend, wo ich noch nie gewesen war. Ich roch aber ganz deutlich, daß hier mein Freund Ali gegangen war, und mein Herz klopfte vor Freude, denn ich dachte: nun geht es los!

Und dann kamen wir an ein hohes, himmelhohes Haus. Vor dem stand eine Menschenmenge und starrte auf den offenen Torweg, aber mein Bedrücker blieb nicht stehen, sondern fuhr auf den Hof. Da waren im Hinterhause alle Fenster offen, und aus jedem blickte ein neugieriges Gesicht hervor. Ich sah einen Jungen, der trug ein sonderbares Tier auf dem Arm, das pfiff ganz leise, und einen Schwarzkopf, vor dem standen Gipsbüsten, und auf dem Hof drehte ein alter Mann einen Leierkasten. Als ich die schöne Musik hörte, ging sie mir durch 109 Mark und Bein, und ich fing furchtbar an zu heulen.

Aber auf einmal, da bellte etwas von oben herunter, wie toll, und wie ich in die Höhe schaue, sehen aus einem Fenster ganz, ganz oben der Schmeißweg, und ein niedliches Mädchen, und der Ali. Alle drei mit den Köpfen dicht nebeneinander.

Da wußte ich, auf welchem Hof ich war, und warum mein Bedrücker sich so scheu umsah, und war gleich ganz still, denn hier mußte der schwarze Jule wohnen. Die Tür unten zum Keller war aber sperrangelweit offen, und die Bude leer. Mein Herr drehte auch schon die Deichsel um und wollte fort und schlotterte am ganzen Leibe, da rief die Puppenschneiderin:

»Bitte, warten Sie noch, hier der Herr wird mir ein paar Apfelsinen holen.«

So mußte Lungrich warten, ob er wollte oder nicht. Der Schmeißweg kam denn auch gleich auf den Hof, der Ali hinter ihm drein. Und während sein Herr ganz umständlich die drei größten und reifsten Apfelsinen aussuchte, erzählte er mir alles, ganz schnell, und Schwanz und Pfoten nahm er dabei zu Hilfe.

»Es ist im Gange, Schlumski! Der Jule sitzt schon. Wie mein Schmeißweg heut das von dem falschen Geld gehört hat, da schlug sein Gewissen, hat er unserer Braut erzählt. Und wir sind gleich vom Platz, wo wir die Puppen verkauften, zur Polizei gefahren. Er wollte gar nicht erst nach Hause und sich wieder weich machen lassen, sagt er. Und die Polizei kam gleich mit, vier Mann, und 110 draußen stand der grüne Wagen, mit dem sie die Verbrecher fahren. Na, das war ein Aufstand im Haus! Du siehst ja, sie sind noch alle am Fenster.«

»Rasch, Ali, dein Herr zahlt schon.«

»Sie nahmen das Nest aus, Schlumski. Die Hände wurden ihm gebunden, wie er abgeführt wurde, und ein Polizist trug einen Topf mit blanken Talerstücken hinter ihm her. Gott, war das eine Aufregung! Und mein Herr, wie ein Held, sage ich dir, und die Polizei dienerte immer vor ihm. Unsere Braut weinte Freudentränen und sagte ganz laut, daß es ihr Schmeißweg wäre, und daß sie sich im Mai heiraten wollen. Aber nun kommt ihr heran, Schlumski. Der schwarze Jule ist feig, der nennt seine Mitschuldigen.« –

Die letzten Worte sagte er schon im Torweg, wo er noch neben mir hersprang. Denn kaum hatte der Schmeißweg die Apfelsinen bezahlt, da hatte Lungrich kehrt gemacht. Nun hieb er dem Ali mit der Peitsche eins über, daß er heulend zurücksprang. Lungrich verstand nicht, was er ihm nachbellte: »Das ist dein letzter Streich, du Schuft!« Und nun fing eine tolle Fahrt an. Mein Herr schlug auf mich ein, und ich rannte, was ich konnte, er hinterher. Die Apfelsinen rollten vom Wagen, aber er kehrte sich nicht daran. Er hatte ganz vergessen, wie geizig er war. Er wollte nur nach Hause. Und wenn er mich peitschte, dachte ich: »Peitsche du nur zu, dich peitscht dein Gewissen«, und gab mein Letztes.

Aber dann, zuletzt, da sprang der Lungrich selber auf den Wagen, und ich mußte aus dem Hundetrab 111 in den Galopp und dachte: »Nun ist es das Ende!« Und gerade, wie ein Schutzmann schrie: »Tierquäler, wirst du wohl runter!«, gerade da waren wir an unserer Kellerwohnung. Als ich um die Ecke bog, sah ich schon, daß bei uns auch die Polizei vor der Tür stand, und Lungrich sah es auch und wollte runter vom Wagen und verduften. Ich dachte aber: »Nun gerade!« Und ich raste nur so über das Pflaster, und gerade vor dem ersten der Polizisten machte ich halt.

Sie brachten ihn denn auch gleich herein. An mich dachte niemand. Ich mußte auch erst einen Augenblick verpusten. Meine Zunge hing bis zur Erde und meine Augen waren vorgequollen. Aber dann wollte ich doch sehen, was drinnen vorging. Da zog ich den Kopf aus der Schleife. Ich war so dünn geworden, daß das ganz leicht ging. Ich hätte jeden Tag fortlaufen können, wenn ich gewollt hätte. Ich blieb nur aus Treue für die Meinen.

Als ich in den Keller kam, erschrak ich. Alles war übereinander geworfen, alles sah so wüst aus, sogar die Großmutter hatten sie aus dem Bett genommen und den Strohsack unterwühlt. Die Polizeidiener rissen die Schränke auf, und die Kasten und suchten nach dem Gelde, denn der Jule hatte gesagt, beim Lungrich sei Geld, und er sei sein Mitschuldiger.

Die Frau und die Kinder standen ganz verschüchtert in einer Ecke. Als die Polizei gekommen war, hatte der Ede auf sie gezeigt und gesagt, die würden es wohl haben, die seien so eine Bande. Er und sein Vater wüßten von nichts. Und nun hatten sie 112 die Frau gequält mit ihren Fragen. Aber das hatten sie doch gesehen, die war unschuldig.

Und der feine Herr war auch wieder da und sprach mit der Frau, gerade als ich mich die Treppe herunterschlich.

Da hörte ich, wie der Lungrich sagte, sie könnten wohl lange suchen, ehe sie etwas finden würden. Ich war aber noch ganz schwach und zitterte wie Blätter im Winde.

Und sie suchten und suchten und fanden nichts. Der Lungrich war nun ganz ruhig, nur seine Augen blitzten höhnisch. Und dann kamen die Leute zu ihrem Vorgesetzten und sagten, es sei nichts zu finden, nichts.

Aber darauf hatte ich nur gewartet. Ich sprang vor und bellte. Und dann lief ich auf das Faß mit Sauerkraut zu und fing an zu scharren und stieß mit der Nase dagegen.

Da fluchte Lungrich und wollte die Treppe hinauf und davon. Aber zwei hielten ihn und zwei andere rollten das Faß fort. Ich nun mit der Nase in das Loch und gebellt, was ich konnte.

Ja, da nahmen sie dann das Kästchen und machten es auf.

»Da ist das falsche Geld«, sagten sie.

Ich sah mich stolz nach meinen Leuten um, die machten den Mund auf vor Erstaunen.

Mit einemmal aber riß sich Lungrich los, stürzte auf das Messer zu, mit dem die Frau für die Kunden den Speck abschnitt, und stieß es mir in die Seite.

114 »Du Vieh du«, schrie er heiser, »du Verräter, stirb.«

Und ich weiß nicht, wie mir wurde. Ich hörte nur noch, wie meine Leute: »Schlumski, lieber Schlumski«, riefen, dann wurde mir schwarz vor den Augen, und ich hörte nichts mehr. 115


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