Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Ins Leben hinaus!

Es wurde sehr feierlich bei unserer Vorstellung. Als der Vollmond die richtige Höhe hatte, versammelte sich alles unten vor der Stellmachern, wo ein freier Platz war. Auch die Dorfköter kamen. Sonst waren sie ausgeschlossen, denn bei uns auf dem Hof hielt jeder etwas auf seine Rasse, und wenn einer aus dem Dorf mal vorüberlief, dann hieß es gleich:

»Wie heißt du, was beißt du?
Bist du ein Fuchs oder ein Schwein?
Du willst doch kein Hund sein?«

Denn es kann schon passieren, daß ein Dorfköter die krummen Beine vom Dackel hat, den Schwanz vom Spitz, die Ohren vom Hofhund und die Schnauze vom Mops. Aber heute waren die Köter eingeladen, weil wir einen starken Chor brauchten. Sie saßen im Kreise um das alte Göpelwerk, das vor der Stellmacherei stand, und jeder von den Honoratioren sprang auf den Bock, auf dem sonst der kleine Hermann saß, wenn er die Häckselmaschine in Gang brachte, und sang seine Strophe. Schade, daß die Störche, die auf der Stellmacherei gewohnt hatten, schon fort waren!

Treff, der Jagdhund, fing an. Er sah unendlich 36 vornehm aus in seinem braunen Rock. Seine weiße Brust leuchtete wie das feinste Plätthemde. Er sang:

»Es gibt kein schönres Leben,
Als das Jagdhundleben,
So im Rüben- und Kartoffelfeld!
Auf das Rebhuhn passen
Und den Hasen fassen
Ist das Höchste in der Hundewelt.«

Als er geendigt, fiel der Chor mit langem, innigen Heulen ein und wiederholte dann die Strophe. Treff trat ab, setzte sich wieder auf seinen Platz und bewegte zufrieden die Rute.

Nun kam Rolf, der alte Hofhund. Er sprach sonst nie, war mürrisch und verdrießlich, und ein Einsiedler. Aber für diese feierliche Gelegenheit hatte er den Kopf aus dem ledernen Halsband gezogen, war zur Stellmacherei marschiert, und erstieg nun mit seinen steifen Beinen die Tribüne. Seine Stimme war rauh und heiser.

Niemand beneidete den alten Rolf um seine Bretterbude und um seine Kette. Er bekam zwar immer sein Fressen und regelmäßig frisches Stroh – aber er war doch ein Kettenhund. So böse war er im Lauf der Jahre geworden, daß er einem jeden nach den Beinen fuhr. Nein, niemand wollte mit ihm tauschen, und Wotan und ich nahmen uns im Stillen vor, niemals Hofhunde zu werden, wenn wir nicht müßten.

Und nun trat der Schäferkaro auf. Er sang nicht. Er hielt eine Rede:

»Meine Herren Hunde! Wir sind hier versammelt, nicht nur, um, wie allmonatlich, unsere 37 Zufriedenheit auszusprechen, daß der Mond wieder rund geworden ist, sondern um zwei junge Hundebrüder in unsere Gemeinschaft aufzunehmen. Ich habe neulich gehört, daß der kleine Hans gesagt hat, ich bellte, weil ich den Mond beneide, daß er die Sterne hüten dürfe. Meine Herren, ich brauche nicht erst zu sagen, daß das nicht der Fall ist.« Hier bellte Karo so kurz und zornig, daß Wotan und ich geschworen hätten, er beneide ihn doch. »Ein Schäferhund hat niemanden zu beneiden, sondern nur auf Ordnung zu sehen, und auch dem Schafbock selbst an die Beine zu fahren, wenn er nicht Ordnung halten will. Ich belle, wie Sie alle, den Mond an, weil das eine uralte, heilige Sitte unseres Geschlechtes ist. Und nun, Schlumski und Wotan, tretet vor.« Zaghaft gingen wir beide mitten in den Kreis. »Heute werdet ihr zu Hunden erklärt. Von heute an seid ihr erwachsen. Ihr müßt nun für euch selbst einstehen. Vielleicht werdet ihr den Hof bald verlassen. Dann könnt ihr in eurem Leben beweisen, was ihr gelernt habt. Wahrscheinlich wird euer Leben nicht leicht sein. Ihr seid groß und stark. Ihr werdet zur Klasse der Ziehhunde gehören. Nicht auf dem Lande werdet ihr wohnen, sondern in den Städten. Haltet eure Hundeehre hoch! Ihr habt an Terro, dem Wilderer, gesehen, wohin auch ein Hund kommen kann. Und nun, wenn die hohe Versammlung nichts dagegen hat, werde ich euch die Artikel des Hundegesetzes nennen, die ihr bejahen müßt.«

Ein Beifallsknurren folgte. Karo erhob die Pfote und sah uns scharf an.

38 »Ihr müßt euren Herren treu sein.«

»Ja«, bellten Wotan und ich.

»Ihr müßt alle Katzen hassen und verfolgen.«

Dieses Mal war unser Ja ein wütendes Bellen, in das plötzlich der ganze Chor einstimmte, denn gerade in diesem Augenblick entdeckten wir die grünen, funkelnden Augen des schwarzen Katers, der auf dem Dache der Stellmacherei saß, und still unserer Versammlung gefolgt war. Wir bellten ihn alle fünf Minuten lang an. Dann stand er auf, kletterte am Dachfirst entlang, und verschwand in dem leeren Storchnest.

Unsere Versammlung war beendet. Zum erstenmal durften wir beim Abschied die anderen Hunde beriechen, und als vollberechtigte Hunde trotteten Wotan und ich nach unserem Schuppen. –

Wenige Tage später kam der Lumpensammler auf den Hof. Wir kannten ihn schon, denn er war schon öfters dagewesen und hatte uns jedesmal aufmerksam betrachtet. Dieses Mal brachte ihn Neumann in den Schuppen. Hans begleitete ihn.

»Na also, welchen sucht ihr euch aus?«

»Ja, ich mein immer, der Gelbe ist noch stärker.«

»Also Schlumski«, sagte Hans. »Schlumski, nun wirst du ein Ziehhund und mußt mit dem kleinen Wagen nach der Stadt traben.«

»Kann ich ihn gleich mitnehmen«, fragte der Lumpensammler.

Neumann nickte, und Hänschen streichelte mich.

»Sei schön brav, Schlumski, und vergiß mich nicht.«

Der Lumpensammler hatte ein altes Halsband 40 hervorgezogen, das legte er mir um. Aber als er einen Strick einknüpfen wollte, fing ich fürchterlich an zu bellen. Nein, ich wollte nicht vom Hof gezogen werden, wie die Kälber, wenn sie der Schlächter holt. Ich wollte frei gehen.

Und Hans verstand mich.

»Du kannst dich auf ihn verlassen, er folgt dir, wenn du seinen Namen rufst.«

Dankbar leckte ich dem lieben Jungen die Hand. Dann wendete ich mich zu Wotan, der vor Schreck ganz versteinert war.

»Leb wohl, Wotan. Und grüß auch den Karo.«

Ich stellte mich sehr mutig, aber mein Herz zitterte doch. Der Lumpensammler machte gleich kehrt, denn er wollte mir den Abschied erleichtern und mich auf die Probe stellen. Ich lief ihm auch in großen Sätzen nach. Aber wie ich so über den Hof sprang, da fiel mir nun ein, daß ich alles, alles verlassen mußte, den Schuppen, und den delikaten Kuhfuß, den Wotan und ich verscharrt hatten, und den vornehmen Treff, und den Schäferkaro. Da blieb ich vor der Veranda noch einmal stehen und heulte und heulte.

Und plötzlich kam Hans auf mich zugelaufen, faßte mich um und gab mir einen Kuß.

Da dachte ich, daß ich lieber Hofhund sein möchte in der Heimat, als ins Leben hinaus müssen. Ich wollte gerade umkehren, als mir das erste Hundegebot einfiel. Du sollst deinem Herrn treu sein! Ich hatte es dem Schäferkaro versprochen. Meine Hundeehre verlangte es. Was tat es, ob mein Herr auch nur ein Lumpensammler war?

41 Und plötzlich rannte ich ihm nach, geradeaus, auf den Weg der Pflicht, hinunter von dem schönen Hof, auf dem ich meine Jugend verbracht hatte: ins Leben hinaus! 42


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