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Ueberall waren Solche, die den Greis gebeten hatten, für seinen achtzigsten Geburtstag ihnen etwas Geschriebenes zu liefern. Kurz oder lang: wenn an diesem Weltfeiertag Etwas von ihm in der Zeitung steht, sind sie zufrieden. Denn ihre Berufspflicht ist, zu zeigen, daß sie Beziehungen haben und ihr Wink den Berühmtesten zum Reden bringt. Lew Nikolajewitsch sitzt und sucht. Einem könnte er, Zweien vielleicht Neues sagen; die Schaar muß sich mit der Wiederholung des Alten begnügen, das in Hirn und Herz ja noch nicht Wurzel schlug. Drum sitzt er und sucht seines Lebens Motti. Sätze, die lehren, wie er in seinem Werk des Lebens Sinn und die Bestimmung der Menschheit zu erdeuten getrachtet hat. »Fünfunddreißig Jahre lang habe ich als Nihilist gelebt. Nicht (nach dem entstellten Sinn, den der Sprachgebrauch dem Wort Nihilist gegeben hat) als Sozialist und Revolutionär; nein: als Einer, in dem nichts ist, nicht ein Fünkchen Glaubens. Den Glauben verlor ich früh und lebte dann, wie die Meisten, in den Eitelkeiten unserer Welt. Ich schrieb Bücher und wollte, wie die Anderen, lehren, was ich nicht wußte. Doch mit unerbittlicher Wuth verfolgte mich die Sphinx und rief mir zu: ›Löse meine Räthsel oder ich verschlinge Dich!‹ Die von den Menschen gerühmte Wissenschaft erklärte mir nichts. Auf die immer wiederholte, mir allein wichtige Frage nach dem Zweck des Lebens antwortete die Wissenschaft mit der Lehre ganz anderer Dinge, die mich nicht bekümmern. Wer auf diese ›wissenschaftliche‹ Lehre horcht, mußte in den Säkularchor der Weisen, der Salomo, Sokrates, Sakya-Muni, Schopenhauer, einstimmen und, wie die großen Vorgänger, das Leben ein sinnloses Uebel nennen. Ich wollte mich töten. Endlich erleuchtete mich der Gedanke, die ungeheure Mehrheit der Menschen leben zu sehen. Alle, die sich nicht, wie wir den ›höheren Klassen‹ Angehörige, fruchtloser Hirnspekulation hingeben, sondern arbeiten, leiden und dennoch ruhig und ihres Lebenszweckes sicher sind. Ich begriff, daß man wie diese Menge leben, in die Einfalt ihres Glaubens zurückkehren müsse. Aber mein Verstand konnte sich der befleckten Lehre nicht anpassen, die den im Geist Armen von der Kirche gespendet wird. So beschloß ich denn, den Lehrstoff genau zu durchforschen, auf daß ich erkenne, was daran echt, was vom Aberglauben gesponnen sei. Die Kirche bietet uns Nahrung, die nicht nährt; bei der schon das Neugeborene nicht gedeihen kann. Statt des Geistes der Evangelien giebt sie uns Riten, statt des Glaubens inhaltlose Formeln. Ihr Katechismus erlaubt, zu richten, zu töten sogar, wenns nur im Dienst des Staates geschieht; erlaubt, eines Anderen Gut zu nehmen und dem Uebel zu widerstreben. Seit Konstantins Zeit verfällt die Kirche; hört sie nicht mehr auf Gottes Stimme, sondern auf den Ruf des Jahrhunderts. Heute ist sie heidnisch geworden. Wer hat Euch gerathen und gestattet, ums Dasein zu kämpfen? Euer Dasein den Anderen zu widmen, hat Euch Jesus befohlen. Widerstrebet nicht dem Uebel. Richtet nicht. Tötet nicht. Das steht geschrieben. Ihr aber habt Gerichtshöfe, Heere, Gefängnisse und wendet, als Einzelne und als Gemeinschaft, täglich Gewalt an. Weil Ihr müßt? So lange die irdische Macht der göttlichen Wahrheit so fern ist, dürfen ihre Befehle und Verbote für Euch nicht gelten. Wie aber denkt und handelt Ihr? Einst schritt ich in Moskau durch das Borowitzkythor. Unter der Wölbung saß ein zerlumpter alter Bettler mit verbundenem Kopf. Ich griff nach meiner Börse, um ihm ein paar Kopeken zu geben. Da sah ich vom Kremlin her einen Grenadier auf uns zu laufen; einen kräftigen jungen Mann, dem in der Uniform wohl zu sein schien. Als er den Soldaten sah, erschrak der Bettler, stand auf und floh hinkend in den Alexandergarten am Fuß des Hügels. Er hatte vergessen, daß man unter dem Thor nicht sitzen darf. Der Grenadier lief ihm nach und schimpfte laut. Ich wartete, bis er dicht vor mir war, und fragte dann, ob er lesen könne. ›Natürlich; warum denn?‹ Hast Du das Evangelium gelesen? ›Ja.‹ Auch die Stelle, die empfiehlt, den Hungernden zu speisen? Ich sprach ihm die Worte vor. Er kannte sie, hörte aber aufmerksam zu und ich fühlte, daß er unruhig wurde. Zwei Männer blieben bei uns stehen und horchten. Dem Grenadier war nicht gut zu Muth. Er hatte gethan, was die Dienstpflicht befahl, und doch schlecht gehandelt. Dieser Widerspruch quälte ihn. Er war unsicher und suchte eine Antwort. Plötzlich leuchtete sein kluges Auge auf; er sah mich scharf an und fragte: ›Hast Du die Armeedienstvorschrift gelesen?‹ Ich mußte gestehen, daß sie mir unbekannt sei. ›Na, dann halte den Mund!‹ rief der Grenadier; hob mit Siegermiene das Haupt und marschirte bedächtigen Schrittes weiter. So tappt die Menschheit heute in die Irre. Was ich empfinde und sehe: Alles bestätigt mir, daß ich den richtigen Sinn der christlichen Lehre gefunden habe. Nur konnte ich mich lange nicht in den seltsamen Gedanken eingewöhnen, daß nach neunzehnhundert Jahren, in deren Verlauf Milliarden die Lehre des Heilands bekannt und Tausende ihr Leben der Glaubensforschung gewidmet haben, mir beschieden sein sollte, das Sittengesetz des Christus wie ein Neues zu finden. So aber ists geschehen; wie seltsam mirs auch scheinen mochte.«
Das wieder zu lesen, wird ihnen frommen. Noch Einiges. »Alles Uebel kommt von der dummen, der schurkisch gemeinen Vernunft. So lange ich nicht weiß, was ich bin und wofür ich hier bin, ist das Leben unerträglich. In der Unendlichkeit der Materie, der Zeit und des Raumes entsteht eine organische Zelle, lebt eine Minute und stirbt dann wieder. Diese Zelle bin ich. Das also ist das letzte, das einzige Ergebniß der Gedankenarbeit, die sich Jahrhunderte lang mit diesem Thema beschäftigt hat? Nein. Nicht für sich soll man leben, sondern für Gott. Sonst lebt man eben wie ein Hund. Karatajews Hündchen ist selig, als es ringsum Fleischstücke wittert; Fleisch von Thieren aller Art, auch von Menschen, in verschiedenen Graden der Zersetzung. Die Soldaten ließen die Wölfe nicht heran: und so konnte das Hündchen sich nach Belieben vollstopfen. Sieht unser Glück, unseres Lebens Ziel nicht anders aus? Wenn ich mich des Geisteszustandes erinnere, in dem ich meine Jugend verlebte, begreife ich die schlimmsten Verbrechen; auch solche, die ohne Zweck, ohne die Sucht, Schaden zu stiften, nur aus Neugier und unbewußtem Thatendrang ausgeführt wurden. Manche Minute zeigt uns die Zukunft in so düsteren Farben, daß der Blick sie flieht und der Geist sich selbst zu überreden sucht, er habe weder Zukunft noch Vergangenheit. In solchen Minuten, wenn der Gedanke nicht mehr jede Willensregung kontrolirt und nur die Instinkte des Körpers noch walten, begreife ich, warum das unerfahrene Kind, ohne Zögern, ohne Furcht, mit einem neugierigen Lächeln auf den Lippen, das eigene Haus ansteckt, in dem Eltern und Geschwister schlafen, das alle von ihm zärtlich Geliebten herbergt. Ich will die Kinder des Volkes denken und schreiben lehren. Müßte nicht ich in ihrer Schule denken und schreiben lernen? Die Entwickelung des Menschen bringt ihn dem Ideal der Harmonie, das er als Bild in sich trägt, nicht so nah, daß ers Wirklichkeit werden fühlt; sie hindert eher die Verwirklichung dieses Ideals. Ein gesunder Säugling verkörpert das Ideal der Wahrheit, der Schönheit und Güte; dieses Kind ist den nicht denkenden Geschöpfen, dem Thier, der Pflanze, dem ganzen Naturbereich nah und jeder Lebenstag entfernt es nur davon. Wir suchen unser Ideal vor uns: und ahnen, blinde Thoren, nicht, daß es längst weit hinter uns liegt.« Das muß den Menschen gesagt werden. Auch heute. Immer wieder. Nichts Anderes. Keine Städte, keine Massenansammlung, keine Fabriken mehr. Auf dem Lande bleiben; da mag Jeder mit seiner Hände Arbeit das dem Bedürfniß Unentbehrliche schaffen. Das Unentbehrliche: nicht dummer Einbildung nöthig Scheinendes. Seinem Bedürfniß: nicht dem Anderer. Weh Einem, der Andere für sich arbeiten läßt. Mit sich soll Jeder sich beschäftigen; in sein Innerstes schauen und das Licht suchen, aus dem Göttliches zu ihm spricht. Mit dem Anderen soll er nur leiden und ihm willig geben, was er entbehren kann. Geben, ohne sich zu brüsten und Belohnung zu heischen. Als mein Herz sich noch freute, weil man mich einem Armen drei Rubel geben sah, war ich noch weit vom Heil. Almosen thuns nicht; was wir brauchen, ist Theilung des Besitzes. Müßiggang und Luxus, Lohnsklaverei und Schuldknechtschaft sind aller Laster Anfang. Widerstrebet nicht dem Uebel; richtet nicht, tötet nicht; hütet die Zunge, daß sie nicht gegen den Stachel lecke. Wir sind winzige Theilchen der Weltseele und haben nur für unsere Reinheit zu sorgen. Wozu brauchen wir eine Obrigkeit, Waffen, Heere, Gerichte, Urtheilssprüche, Gefängnisse, wozu gar Kriege? Das Alles hat Gott nicht gewollt. Auch nicht, daß wir die Lügen einer sich spreizenden Wissenschaft für wahr nehmen und der Niedertracht der Vernunft glauben, die allen Zweifel und Hochmuth, alles Unheil auf die Erde gebracht und nichts Nützliches gewirkt hat. Sondern, daß wir Christen seien, brüderlich im Licht neben einander wandeln und dem Nächsten, dem Fernsten, dem Bösen sogar durch unser Thun und Lassen keinen Grund zu Groll und Angriff geben.
»Und mit dem Bekenntniß solcher Auffassung des Lebenszweckes sind Sie der Held zweier Erdtheile, ihr verehrter, beinahe angebeteter Liebling geworden und bis heute noch, Jahrzehnte lang, geblieben? Seltsam.«
Lew Nikolajewitsch hebt das Mushikhaupt mit den großen, unter mächtige Stirnknochen gebetteten, matt glänzenden Greisenaugen. Hat er wieder laut gedacht? Schlich der Kömmling auf leisen Zehen in die Kammer? Da steht er. Alt, doch sehnig; zerfurcht und ernst. Greift ungebeten schon nach einem Strohstuhl. Fragen, wie er hineinkam? Dem Weisen ziemt nicht, um so Kleines sich zu kümmern. Auch klänge es, als wolle der Angesprochene ausweichen. »Seltsam? Daß die Menschen Einen nicht hassen, der sich müht, sie die Liebe zu lehren? Daß es noch Christen giebt, die der Irrsinn modernen Daseins nicht für den wahren Lebenszweck geblendet hat und deren Seele sich freut, wenn ein Menschenbruder, um den Brüdern in Demuth zu dienen, ihnen die Richtung weist, in der sie wieder ein friedliches Glück finden könnten?«
»Seltsam: so dünkt michs. Denn bisher haben die Menschen solche Wegweiser, Warner, Propheten, Bußprediger nicht gerade freundlich behandelt. Manchen gesteinigt, ans Kreuz genagelt oder, statt auf den Thron, auf den Scheiterhaufen gesetzt. Und Christen sind sie nun doch bald zweitausend Jahre lang. Bleibt also die Frage, ob sie seit der Zeit Savonarolas edler geworden sind oder ob sie heute die Männer, die zur Läuterung rufen, nicht mehr gefährlich finden, die Mahnung zu höherer Sittlichkeit nicht mehr so recht ernst nehmen, vielleicht nur als neue Alltagswürze; andächtig scheinen, doch ihren Weg, den getadelten, weiter gehen.«
»Zweierlei Menschenart giebts; heute wie einst. Solche, die thierisch leben und des Fleisches Begierden nicht zügeln, und Solche, die im Licht wandeln wollen. Eine Zunahme an Edelsinn und Güte sehe ich nicht; eher einen Machtzuwachs der gottfeindlichen Thierheit. Sie aber reden, als werde mir nur Dank und Liebe entgegengetragen und als hätten sich nicht alle irdischen Gewalten vereint, den Lichtbringer zu ächten und ihm die Hand zu knebeln.«
»Ist es so arg? Von Savonarola sagte Alexander der Sechste: ›Dieser Mensch müßte sterben, auch wenn in ihm ein neuer Johannes, ein zweiter Täufer getötet würde.‹ Alexander der Dritte aber sprach, als er gebeten worden war, Sie der Rache des Heiligen Synod auszuliefern, das beinahe westweltlich kluge Wort: ›Dieser Mensch ist ein Apostel; ich will keinen Märtyrer aus ihm machen.‹ Und Ihre Gemeinde, die dem Land Kinder, Wehrdienst, Steuer weigert, ist an sich doch nicht unschädlicher als der Haufe der Piangioni, der Jammerthalleute, die hinter dem bologneser Dominikaner dreinheulten. Dem Haus Holstein-Gottorp ists ja noch nicht so schlecht gegangen wie damals den Medici. Das verdankt es aber nicht Ihnen. Savonarola wollte die Herrschaft frommer Bürger, die alles Schöne, alles den Sinnen Labung Bietende wie giftiges Unkraut ausjäten sollten. Immerhin: Herrschaft; also Ordnung und Unterordnung. Sie? Regirung, Kirche, Heer, Gerichtsbarkeit, Steuerpflicht, Volksvermehrung: alles dem Staat Unentbehrliche bekämpfen Sie. Den Staat selbst als das schlimmste aller Uebel. Sie wollen keine Herrschaft irgendwelcher Art; keinen Zwang, keine Abhängigkeit, Zucht, Wehrmöglichkeit. Den Kaiser und seine Beamten, die Kirche und ihre Priester, den Grund? und Fabrikherrn, alle Mächtigen und Reichen treffen Sie mit dem härtesten Rügewort; möchten die staatliche Gemeinschaft auflösen, das Eigenthum abschaffen, dem Lande die Schlagkraft nehmen und deren wichtigstes Werkzeug, die Menschenzahl, verkleinern. Und man krümmt auf Ihrem Haupte kein Haar. Exkommunizirt sind Sie freilich, wie der Reformator von Florenz. Aber hats Ihnen geschadet? Waren Sie nicht längst vorher aus der Gemeinschaft geschieden, die Sie nun ausstieß? Hat der Bannstrahl Anderes gewirkt als eine weithin lodernde Beleuchtung Ihrer unangreifbaren Größe? Unangreifbar sind Sie, weil der Ruhm des Dichters, des genialen Schöpferintellektes Sie heiligt. Nur in diesem Land wunderlichster Widersprüche; nur hier konnten Sie ungefährdet Ihr letztes, schroffstes Wort sprechen. Nicht in der freisten Republik. Achtzig Jahre alt und kein Tag davon hinter Mauern und Eisenstäben verlebt! Als der Feind Ihre aus hundert Wunden blutende Heimath bedrängte und sie der Vertrauensreste bedurfte, wie ein Ackersmann nährenden Brotes, spie Ihr Zorn der Verschmachtenden Geifer ins Antliz; wollten Sie die Mutter wehrlos machen. Und diese Mutter liebt Sie, blickt stolz auf Sie, als auf ihren besten Sohn. Und wie für ein Volksfest bereitet die Heimath sich für Ihren achtzigsten Geburtstag. Ins Martyrologium, scheint dem alten Kopf, paßt solcher Lebenslauf doch wohl nicht.«
Zwei Blicke kreuzen sich. Als träfe Eiswasser glühenden Stahl: so knisterts. Sähet Ihr im Altmännerhaus unter dem Schädelschnee einen Funken auflohen und zischend wieder verglimmen?
»Jesus Christus sei mit Ihnen auf allen Wegen! Wer Anderen die Wahrheit sagt, muß bereitet sein, sie auch selbst zu hören. Der Absicht, mir diese Wahrheit ins Gewissen zu prägen, danke ich Ihren Besuch?«
»Erzieherabsicht? Subjekt und Objekt sind dazu doch wohl schon zu lange in Umlauf. Nein: eigentlich trieb mich nur Neugier her. Nehmen Sie das Geständniß nicht übel auf! Ich hatte mich auf den Weg gemacht, um mit eigenem Auge zu prüfen, wie es in und bei Baku aussieht. In Cernij Gorod, meine ich, und in der Nachbarregion des Ewigen Feuers. Nicht viel Neues. Tankschiffe und Cisternenwagons haben sich nicht verändert und über die Ziffern konnte man mir nichts vorlügen. Aber das Land! Hält man bei Ihnen denn Kaukasien noch für russisches Gebiet? Das ists kaum mehr. Der Steuereintreiber bemüht sich vergebens und der Fremde lernt das Wesen der Anarchie kennen. Ob Ihr Zar weiß, daß er dieses Land fast schon verloren hat, geht mich nicht an; auch nicht, ob die Nobel und Rothschild, denen die Naphtaquelle fließt, ruhig schlafen können. In Apscheron kamen mir aber allerlei Müßiggängergedanken. Hier, auf dem Felsgrund der vierzig Meter langen Grube, brennt das Große Ewige Feuer, das weder raucht noch riecht und dem die Parsen einen Tempel gebaut hatten. Fromme Leute. In ihrer Art, versteht sich. Ob man die Leichen auf den Dakhmas von Geiern oder in der Erde von Würmern fressen läßt, zur Läuterung nach Priestergebot Weihwasser oder Rinderurin benutzt, ist schließlich nur eine Modefrage. Leute, die sich, trotz dem Avesta, den Gezeiten der Weltstimmung behend angepaßt haben und, während andere Orientalen noch weiterträumen, längst Eisenbahnen und Schiffe bauen, Agentur- und Bankgeschäfte machen. Wir haben mit Manchem von der Sorte zu thun gehabt. Mit dem Kohlenwasserstoffgas aber, das auf der Halbinsel Apscheron das Feuer nährt, haben sie nichts Rechtes anzufangen vermocht. Ein Tempel und ein Kloster sind schätzbare Dinge. Bringen aber nichts ein, sorgen nicht für die Düngung des Erdreiches; und von der Anbetung kann Keiner leben. Jetzt zerfällt das Kloster, und wo einst der Tempel ragte, pocht es und stampft in Fabriken; wird der unterirdisch austretende Gasstrom zur Heizung der Retorten genützt. Der Paktolos hat den Lydern nicht so leicht münzbaren Segen gebracht wie der Erdathem den Kaukasiern, seit starker Unternehmergeist sich der Wissenschaft gegattet und die für den neuen Zweck taugliche Technik gezeugt hat. Unternehmergeist, Wissenschaft, Technik: schon beim Hören der Worte schütteln Sie sich. Dachte mirs. Schön. Herrschaftlos ist das Land; Zucht und Gehorsam kaum noch zu merken. Währt es so fort, dann werden am Ende die Fabrikmauern niedergerissen und auf ihren Fundamenten wieder Tempel gebaut. Christliche oder parsische: der Unterschied ist nicht sehr gewichtig. Den Mann, der diese Rückbildung (Rebarbarisirung: sagen seine Gegner) wünscht, wollte ich sehen. Ganz nah. Deshalb, Mr. Tolstoi, bin ich hier.«
»Als Feind. Als Einer, der noch an das Heil ›moderner Entwickelung‹ glaubt und nicht begreift, warum die Menschen des Kaukasus das Band lösen wollen, das sie an den Gewaltstaat knüpft, und dem es Verbrechen schiene, wenn sie dem Fabrikbrodem entliefen und in die Reinheit des Naturzustandes zurückkehrten. Verbrechen, was ihr einziges Heil ist. Feinde kommen selten her. Sind aber, als Brüder, willkommen.«
»Danke. Aber ein Feind bin ich nicht. Anna Karenina, Peter Bezuchow und Andreas Bolkonskij zählen mich zu ihren andächtigsten Verehrern. Den Kaukasus hat erst der Dichter der Kosakengeschichten mich lieben gelehrt. Und ich verstehe, daß der Gram über eine Vermögenseinbuße das Saitenspiel zu einer Kreutzersonate stimmt. Wer könnte sich der Zauberkraft des Poeten entziehen, der aus Worten, schlechtem, zerfaserndem Stoff, haltbare, den Witterungwechsel überdauernde Welten schafft? Auch nicht des Philosophen oder Messias Feind. Was Der sagt, ist ja (verzeihen Sie!) nicht so neu, daß es Greisenblut ins Sieden bringen müßte; von Lollharden, Wiedertäufern, frommen Kommunisten bis auf Rousseau und seine Erben ists so oft gesagt worden, daß sich das Ohr der Menschheit dran gewöhnt hat. Die Reinheit des Naturzustandes: Das war immer die Formel. Die Natur als zuverlässigste, als allein von Gott gewollte Freundin des Menschen. Ist sies denn aber wirklich? Nicht, in ihrer Größe und Herrlichkeit, auch eine Feindin, deren zähen Versuch, ihn wieder in die Thierheit zurückzuzwingen, der aufrechte Vierfüßler mit seinem ganzen Kraftaufgebot abwehren muß? Von Allem, was ihm seit Jahrhunderten unentbehrlich scheint, bietet sie ihm fast nichts. Dem Thier Alles: Bäume und Buschwerk, Höhlen und Klüfte, Kleid und Waffe, Speise und Trank. Der Mensch muß ihr alles Nöthige mühsam abringen: Werkzeug, Wehrmittel, Wohnung Gewand, Nahrung. Er kann nicht unter einem Blätterdach leben, das in jedem Herbst welkt; Blatt, Halm, Korn, Kraut, Fleisch nicht so genießen, wie es wuchs. Welche Fülle von Phantasie, Arbeit, Talent mußte er aufwenden, um diese Erde wohnlich zu machen! Ists ein Wunder, daß ihn immer wieder der Zweifel beschlich, ob ein Gott, den er für weise und gütig halten soll, diese Erde für ihn geschaffen habe? Doch die göttliche Weisheit bestand eben darin, daß der Kampf zum Lebensprinzip gemacht wurde. Für Alles, was kreucht und fleucht, schwimmt und schreitet. Das Starke verschlingt das Schwächere, saugt seinen Saft ein und mehrt damit die Streitbarkeit, die ihm in neuen Kämpfen den Sieg sichern soll. Die göttliche Güte zeigt sich in der Sorge, das Kind des sechsten Schöpfungtages vor Erschlaffung zu wahren. Der den Hecht und den Hai, Fuchs und Wolf, Hyäne und Tiger schuf und sein All mit Raubzeug jeglicher Art bevölkerte, war kein Gott weichmüthig träger Schwachheit, dem Thränen in den Bart tropfen, wenn das Lamm unter Zahn oder Messer verblutet. Dem Menschen, dessen Bild ihm gleichen soll, gab er die Herrschaft über die Fische im Meer, über die Vögel unter dem Himmel, über Vieh und Gewürm, über die ganze Erde. So lehrt das Buch der Genesis; spricht ausdrücklich von Herrschaftrecht, das nur durch Gewaltanwendung wirksam wird, und läßt uns ahnen, daß weise Güte den Menschen zum Kampf um das von der Nothdurft Geforderte zwingt, weil er, wenn ers mühelos pflücken könnte, die Kraft nicht üben und die Leistungfähigkeit mindern würde, statt sie zu mehren. Auch im Geröll der Mythologie hat, wie Sie sehen, das Gesetz des Kampfes ums Dasein feste Wurzeln. Und göttlicher als der Gott brauchen wir nicht zu sein. Der hat die ›Reinheit des Naturzustandes‹ nicht für die Dauer gewollt. Weder Gleichheit (Baum und Pflanze sind seine Zeugen) noch zwanglose, herrschaftlose Brüderlichkeit. Der kann nicht wollen, daß die Natur, der sein Odem den Meister gab, Siegerin bleibe, der Mensch wieder kriechen lerne, als doppelzinkiges Gabelthier mit Brei und Röstfleisch in Höhlen hause, Kunst und Wissenschaft, Civilisation und Kultur schwinde und die Erde veröde. Kann es nicht wollen, weil er sein eigenes Werk sonst zum Untergang verdammen müßte. Wie sähe Ihre Welt des Lichtes denn aus? Das Jammerthal Savonarolas wäre daneben ein Ort üppig aufblühender Freuden. Und in dieser Niederung einträchtigen Gewinsels sollen nicht trübsälige Thiere gedeihen sondern Gottmenschen, deren Haupt in den Himmel ragt?«
»Zwischen uns sind die Grundbegriffe streitig: drum wird die Verständigung über das Einfachste schwer. Für das Lob des Dichters kann ich keinen Dank sagen. Nicht nur, weil der selbe Mund solches Lob auch einem Shakespeare, einem Maupassant und anderen Schädlingen wohl schon gespendet hat. Sondern, weil ich weiß, daß es der Darstellungsgabe gilt, der Kunst des Schilderns und Gestaltens, also etwas ganz Gleichgiltigem, nicht Dem, worauf es allein ankommt: dem sittlichen Verhältniß zum Gegenstand und der sicheren Unterscheidung zwischen Gut und Bös. Einerlei. Bald sind dreißig Jahre verstrichen, seit ich der Eitelkeit des Dichterruhmes entwuchs; und schon vorher hätte mich im Tiefsten der Lobspruch gekränkt, daß ich das Leben meisterlich male, ohne je zu verrathen, was ich davon halte. Ein Maler, der eine Prozession darstellt und nicht zeigt, ob er solchen Kirchenbrauch liebt oder verabscheut! Wie Einer den Sinn des Lebens auffaßt und worin er die Bestimmung des Menschen findet: darauf allein kommt es an. Des Lebens wahren Sinn aber und alles menschlichen Regens wahre Bestimmung hat uns vor neunzehnhundert Jahren die Lehre Christi für alle Zeit erklärt und wir haben die Tafeln, in deren Erz diese Lehre geätzt ward, nur aus dem Schutt zu schaufeln. Daß ichs versuchte, mißfällt Ihnen. Daß Sie Absicht und Ziel des Versuches mit all Ihrer stolzen Vernunft nicht fassen, offenbart jedes Wort, das von Ihrer Lippe fällt. Ja: Ich will eine Welt ohne Trüffeln, Gansleberpastete, Automobile, Elektrochemie, Pferderennen, Kirchen, Kriege, legitimirte oder verstohlene Hurerei. Ich will nicht den Staat noch irgendeine Zwangsanstalt, nicht Hierarchie noch Geldsklaverei. Was Jesus Christus wollte, will ich. Und Sie glauben, den Achtzigjährigen bekehren zu können?«
»Nur ein Tropf oder Geck könnte sich mit solchem Wahn mästen. Ich hoffte nicht einmal, auch nur für Sekunden die Selbstgewißheit des Propheten zu stören. Wie ließe ers zu und bliebe doch, der er sein möchte? Zu sehen, kam ich. Einen lebend Heiligen. Den am Lautesten Gepriesenen, vom hellsten Schein der Liebe Umstrahlten. Als der am Lautesten Verwünschte, vom Haß, von neidisch fahler Wuth in die tiefste Finsterniß Gestoßene.«
»Wer sind Sie, der so den Zorn der Brüder auf sich zog? Einer, der die männliche Jugend seines Volkes am Strick auf die Schlachtbank schleppte? Wenn der Klang der Rede nicht trügt, ein Sohn britischer Erde …«
»Amerikaner. John Davison Rockefeller aus Richford im Staat New York. Am achten Juli werde ich Siebenzig. Also kein genußfroher Jüngling mehr. Der war ich auch mit unverbrauchter Kraft nicht. Leider. In dem Alter, das Ihnen in Kasan die bunteste Lust des Studentenlebens gewährte, mußte ich alle Sinne an den von schärfster Konkurrenz bestrittenen Gelderwerb verwenden. Mit neunzehn Jahren hatten Sie, der Sproß eines alten Adelsgeschlechts von ansehnlichem Besitz, Orientalia und Jurisprudenz hinter sich und lebten sorgenlos auf Ihrem Gut; war ich schon Leiter eines selbst gegründeten Geschäftes. Die Jahre, die Sie im Rock des Artilleriefähnrichs verbummelten und verschwärmten, versaß ich hinter dem Hauptbuch. Und als Sie das wüste Treiben der Petersburger Hofgesellschaft und Kunstzigeuner satt hatten, schuf ich mir schon zum zweiten Mal eine Existenz. Und so gings weiter. Lebensläufe von verschiedenerer Kurve sind kaum zu erdenken.«
»Gewiß nicht. Industrieherr und Bauer, Gewalthaber und Kind Gottes; Einer, dessen Lebensleistung auf Zwang und Ausbeutung beruht, und ein Christ; der reichste Mann auf dieser entchristlichten Erde und der ärmste.«
»Der ärmste? Ach ja: was hier an guten Dingen zu sehen und zu schmecken ist, gehört Ihrer Frau. Sie essen anders, trinken anders, putzen Ihre Kleider selbst (bei uns drüben keine Seltenheit); machten früher auch den Schuster und Pflugscharführer. Ein sehr gesunder Sport und eine Askese, die sich ertragen läßt, weil man sie aufgeben kann, sobald sie unbequem wird oder dem Körper nicht mehr bekommt. Arm nenne ich Einen, der nie geschwelgt hat, gern schwelgen möchte und darben muß; nicht den Uebersättigten, der nur die Hand zu strecken braucht, um die hungrig erwachte Begierde füttern zu können. Doch streiten wir darüber nicht! Ob ich der Reichste bin? Gedruckt hat mans oft genug. ›Mindestens hundert Millionen Francs im Jahr.‹ Die, denkt der Leser, steckt der Spitzbube in die Tasche und kauft sich dann Paläste und Juwelen, Leckereien und Mädchenfleisch. Was, nebenbei gesagt, auch kein Verbrechen an der Menschheit wäre; über den sozialen Nutzen großartiger Verschwendung könnte ein kluger Nationalökonom Mancherlei lehren. Im Grunde lebe ich ungefähr wie Sie; wie jeder Alte, der nicht durch Völlerei und Lüdrianthum seinen Tod beschleunigen will. Nicht ganz wie Sie; weil Art und Intensität unserer Arbeit verschieden ist. Sie schreiben und lesen, müssen nach langem Sitzen also durch starke Bewegung für ausreichende Blutcirkulation sorgen; Holz spalten, sich in Schweiß laufen oder den Acker pflügen. Meine Arbeit ist nicht so seßhaft und nimmt viel mehr Zeit; ich wäre ein Esel, wenn ich ihr nicht Alles nutzbar machte, was zu kaufen ist. Da ich in zehn Minuten vielleicht Werthe schaffen kann, die, wenn just diese Minuten ungenützt blieben, nie entstünden, muß ich für die Stundenpartikel den höchsten Preis zahlen. Pullmanwagen, Automobil, eigene Drähte zum Schreiben, Sprechen, Drucken sind spottbillig, wenn sie mir Zeit sparen. Mein Geld? Das arbeitet auch; kommt auch nie zu Ruhe. Rinnt durch abertausend Röhren und ist nach der Ernte gleich wieder Düngmittel und Saatgut. Wer das Gras wachsen hört, mag auch feststellen, wie viel ich als sicheren Gewinn rechnen darf. Aber der Zwang und die Ausbeutung! Muß die Menschheit Den nicht hassen, der so ruchlos mit ihren Söhnen verfährt? Nicken Sie nur! Als Fünfundzwanzigjähriger habe ich mit dem Petroleum angefangen, das damals erst knappe fünf Jahre als Beleuchtungstoff ersten Ranges galt, und bis heute nicht nur für mich Einiges erreicht. Aus den Standard Oil Works in Cleveland ist die Standard Oil Company, dann der Trust geworden, gegen den so laut gezetert wird. Als zwischen Ontario und Kanawha der Ausfluß schmaler, der Pumpertrag dürftiger wurde, bin ich nach Kansas und Kentucky, Florida und Kolorado vorgegangen; bis an den Stillen Ozean und in die Südstaaten. Mit Liebe und Güte war da nichts zu machen. Ein von drei Erdtheilen beschickter Markt. Ihre Heimath mit dem ungeheuren Reichthum von Apscheron und Tscheleken der gefährlichste Konkurrent. Ich mußte meine Macht zusammenballen, die dagegen kampffähig war, durch bessere Reinigungmethoden den Prozentsatz des als Leuchtstoff brauchbaren Erdöls erhöhen, durch Transportverträge und die Beherrschung des Röhrennetzes, das den Rohstoff in die Raffinerien und die Marktwaare an die Küste leitet, etwas auf unserem Kontinent wenigstens einem Monopol Aehnliches erstreben und dann mit vorsichtiger Kühnheit das Gebiet zu erweitern suchen. Ob ein durch Unterbietung ins Wanken gebrachtes Importhaus einstürzt, ob die Leute der Pipe Line stöhnen: daran liegt nicht viel. Gott, der Herr, selbst konnte den Großen nicht Raum schaffen, ohne ihn den Kleinen zu verengen. Wie vermöchten wirs? Wo ein Knubben zurechtgehobelt wird, fallen Spähne. Wer nichts thut und die Hände faltet, kann das Kleid vor dem kleinsten Fleck schützen. Nichts von Vertheidigung oder von Bitte um wohlwollende Nachsicht hier! Allzumal sind wir Sünder, wenn man uns den heilig Reinen vergleicht. Wie es auf dem Markt aussähe, wenn der böse John nicht für Einheit und Organisation gesorgt hätte: daran wird nicht gedacht. Jeder Demagog, mag er Roosevelt oder Bryan heißen, schimpft ihn und bespuckt seine Ehre. Daß ich Schwache, damit sie mir nicht zwischen die Beine laufen und sich selbst zu Schaden bringen, aus dem Weg stoße: Verbrechen. Daß ich den höchsten Preis fordere, der zu erzielen ist, und nur abgebe, was man erzwingt …«
»Verbrechen und Sünde wider den Heiligen Geist. So nenne auch ichs. Und sehe in Einem, der so lebt und Andere unter das Joch solchen Lebens duckt, den leibhaftigen Satansknecht. Auch wenn er zu der von Pfaffen vorgeschriebenen Stunde in die Kirche geht und gehorsam, wie seines Arztes Mixturen, Dogmen schluckt, in denen der Sinn des Urchristenthums Unsinn wurde. Wie? Menschen zusammenpferchen, in stinkenden Gruben und verpesteten Fabriken zu Arbeit zwingen, die der Seele nicht frommt und deren Ertrag dem ›Herrn‹ zufließt, also Einem, der sich über die Brüder Gewalt anmaßt und mit den Machtmitteln des staatlich organisirten Räuberwesens diese Gewaltanwendung durchzusetzen vermag? Und Der so thut, kommt hierher und will …«
»... Einen sehen, den die Menschheit als Heiligen ehrt. Warum? Weil er, der die einzige fruchtbare Leistung seines Lebens verleugnet, mit der stolzen Wichtigkeit des Finders wiederholt, was vor ihm hundertmal gesagt ward, und einen Glauben bekennt, dessen Unbrauchbarkeit für den Menschenalltag längst erwiesen ist. Mit der Lippe bekennt; nicht etwa in seinem Leben Ereigniß werden läßt. Hier wäre ja Platz für eine Urchristengemeinschaft. Ist das Land, wie von Einem, der spät in die Schule unseres guten Henry George kam und ihr nie mehr entwuchs, zu erwarten wäre, unter die Bauern vertheilt? Nein. Der Frau Gräfin gehört es. Die hat Vermögen, Diener, Komfort; Alles, was der Herr Graf als unchristlich, des Menschen unwürdig verdammt. Die wird ihre Habe, unbewegliche und bewegliche, vererben, auf daß Kindern und Kindeskindern der Kampf ums Dasein erspart sei. Und womit beschenkt das Vermächtniß des heiligen Mannes das Volk breitstirniger Gottesleute, das seine Wunderlichkeit wie Heilandsthat anstaunen sollte? Ob der pechschwarze John Davison seinen Volksgenossen sechzig oder achtzig Millionen Francs gespendet hat, wollen wir nicht pedantisch nachrechnen; über dreißig warens allein für die chicagoer Universität. Wer umfragt, wird von mancher nützlichen Stiftung hören. Das ist noch nicht der Hauptpunkt. Was hat der Erzschelm in dreiundvierzig Jahren, seit er in Cleveland mit Petroleum zu handeln anfing, in die Staatskassen gezahlt? Um wie viel die Länder, die er seitdem umkrallte (so nennt Ihrs ja wohl?) bereichert? Das wäre in Ziffern zu zeigen; und dann zu prüfen, wie die Menschheit, die er geknechtet haben soll, vorher lebte, in den Wonnen ländlicher Freiheit, und heute, in den geschmähten Großstädten, lebt. Der Vergleich würde lehren …«
»Wie aus Freien Sklaven werden, aus Frommen Gottlose, aus zärtlichen Brüdern hinterlistige Feinde, und wie der Wille, die Gier mit Triebschmutz das Gewand der Seele besudelt. Das würde der Vergleich lehren. Das weiß Jeder, der aus offenem Auge die Erdkruste und das Himmelsgewölb schaut, auch ohne Vergleich. Lebten diese Menschen denn nicht, bevor Ihr sie glücklich machtet? Vom Glauben an das Evangelium Christi lebten sie. Als Landleute von schlichtem Wandel und strengen Sitten. In selbst genähtem Kittel von selbst gebackenem Brot. Und brauchten sich nicht, weil es Moloch, Leviathan oder anderer Höllenmacht so gefiel, in Kriegen gegen Spanier, Tagalen, morgen vielleicht gegen Japaner als Kanonenfutter auf den Strand oder in den Gischt streuen zu lassen. Daß Einer sich mit dem von gestohlenem Gut gezahlten Tribut brüstet, ist schlimm genug. Er hüte sich, mit dem elenden Glück, das er schuf, vor dem Ohr Gottes zu prahlen!«
»Wer von uns Beiden der Prahlsucht näher ist, entscheide der höhere Richter. Nie vermaß ich mich, ihm zu gleichen, oder wagte nur, zu seinem Thron mich aufzurecken. Niemals habe ich mich als Heiland etablirt und der Menschheit mit Schwatz zu verekeln gesucht, was die Weisheit zweier Jahrtausende ihr als Schmerz stillendes, als betäubendes oder belebendes Mittel bot. Sie, heiliger Mann, wähnen, vor Ihnen habe Keiner die Mangel des Staates, der Kirche, jeglicher Zwangsanstalt erkannt und empfunden. Dutzende wären leicht aufzuzählen. Da sie aber nichts Besseres wußten und kein Rezept schreiben konnten, dessen Arzenei Brest und Jammer schneller und sicherer heilt, ließen sie das Ueberlieferte fortwirken und stellten Gott anheim, wann er den Kindern die Binde mehr lockern und endlich ganz vom Auge nehmen wolle. Die nenne ich wahrhaft fromm und demüthig; weil sie den Gott, der sie schuf, nicht überklügeln wollten. Schuf er nicht auch mich? Ließ oder hieß mich Den werden, der ich bin? Und konnte den Thon doch ganz anders kneten. Er wollte meine Wesenheit also, wie sie ward, und fand sie für seine Schöpfung brauchbar. Zur Unheilszeugung? Dann wäre er böse; ein Gott der Tücke. Nein: um einen zum Kampf gegen feindliche Mächte Tauglichen vor die Front stellen zu können; auch zum Kampf gegen die Natur, der Menschenkraft und Menschenwitz Stück vor Stück vom Erdreich abringen, abrauben muß. Ich lasse Ihnen den Landmann von schlichtem Wandel und strengen Sitten; wenn Sie nicht sehen wollen, wie der altgläubige Mushik lebt und welche besondere Laster dieses Leben, nicht der Pope oder der Feldwebel, ihm anzüchtet, so bleiben Sie blind. Ich gönne Ihnen auch den Ruhm, zwischen Unterröcken den Krieg verschrien zu haben; den billigsten Lorber, der den Lautesten jetzt ja sogar vergoldet wird (mit Edelmetall, das die Naphthaquellen ans Licht trugen). An dem Tag, der die unkriegerisch Erzogenen, an Entmannung Gewöhnten zur Wehr zwingt, wird Ihnen gerechte Strafe für die gefährlichste, dem Volksgeist schädlichste Agitation, die seit dem Verschneidungwahnsinn erdacht ward; und die Skopzen verstopften sich wenigstens selbst den Lustborn, opferten also ihrem Wahn, während die Leichtfertigkeit der Friedensglöckner auf den bequemsten Wegen Lob und Lohn erntet. Die Gewißheit aber, daß ich Glück gezeugt und das meinem Willen erreichbare Häuflein vorwärts geführt habe, kann Ihr Säulenhochmuth mir nicht verstümmeln. Das vermag nur ein Geblendeter zu bestreiten, der leugnet, daß wir seit den Tagen des Höhlenmenschen tüchtig weiter gekommen sind. Kunst, Wissenschaft, Kultur wäre nur Trug? Das Schöne und Starke, dem die Sinne zujauchzen, Sünde und die Welt als das Reich blöder Schwächlinge geschaffen? Darum hätte ein Gott sich in sechs Tagewerken gemüht? Der Teufel, an den Sie glauben müssen, freue sich des selbst genähten Kittels und selbst gebackenen Brotes. Wir reiften zu anderer Freude. Daß die Seuchengeschwader nicht mehr so leicht wie einst über die Grenze dringen, daß im Kindbett die Sterblichkeit kaum noch ein Hundertstel des früheren Durchschnittssatzes erreicht, daß wir uns ins All einzuordnen vermögen, des Vogels Fittich nicht mehr zu beneiden brauchen, mit dem von Menschenwillen gewirkten und auf ein fernes Ziel gelenkten Funken Hilfe herbeiwinken und eines scheiternden Schiffes Mannschaft und Gästeschaar retten können: unendlich scheint die Zahl solcher Wunder, die Vernunft uns gebar. Wie leben Ihre Menschen? In einer unfrohen Welt bleicher Geschöpfe, die der Thierheit ähneln (was den Menschen macht, ist ihnen, das Feinste wie das Stärkste, verwehrt), über das zur Daseinsfristung Nöthigste nicht hinausstreben dürfen und leiser stöhnen, wenn sie ein Gebälk über dem Kopf, einen Roggenteig und Gerstensud im Ofen haben. Brüder? Auch an dieser Hürde lauert der Wolf auf das Lamm, listet der Fuchs der Schafsdummheit Zottelzins ab. Vor hundert Jahren, zweihundert lebten sie so; unter dem Tatarenjoch kaum anders. Was haben sie davon, daß der heilige Mann sich nicht besser als sie bettet, ißt und trinkt, bäuerisch mit ihnen redet, Wasser ins Haus schleppt, den Ackergaul antreibt, das Feld mäht, zwischen Stoppeln den Leib füllt und leert, am offenen Fenster flickt und schustert? Das könnte der einfältigste Knecht. Von dem Herrn hofften sie Anderes. Nützt ihnen, daß er das Gelernte und Erlebte zu vergessen trachtet? Daß er wunderlich ist und das Sehenswertheste im Gouvernement? Ja, wenn die Ehrfurcht und Neugier, die sich herandrängt, Geld ins Land brächte! Aber die Wallfahrer lassen höchstens mal einen Fuhrmann verdienen; und der Herr meint, wer über das Existenzminimum hinauskomme, sei sogleich in Gewissensnoth und Seelengefahr. Auch dürfe in Frisko und Tula, Paris und Mukden, Sizilien und Alaska keine andere Satzung gelten als am See Tiberias auf der Tenne des Täufers. Denn was damals verkündet ward, ist für alle Ewigkeit unwandelbar und für jeden Tag, jede Zone verpflichtendes Gesetz.«
»Ist von Gott, lieber Herr Flinkzunge. Der gab seine Gesetze nicht, wie Ihr einen Wechsel, auf drei Monate. Und war so frei, auf Diebe, Räuber, Menschenschlächter und Sklavenhändler nicht Rücksicht zu nehmen.«
»Hat auch ihnen aber seine Welt nicht verriegelt; Solche, die Sie dafür halten, sogar in recht großer Zahl hineingesetzt. Wie den Hecht in den Karpfenteich? Sein allumfassendes Auge sah, daß der Tropenmensch, dem das Nothwendige zuwächst, nicht vorwärts kommt und von Kains Affenweibchen, der geilen, schlecht riechenden Ahnfrau, zu viele Züge bewahrt. Vorwärts aber sollte die Brut seines sechsten Tages; weder aussterben noch wieder verthieren. Drum mußte sie mehr ersehnen, als ihr ins Maul hing und flog, und mit Sporn und Peitsche zu der höchsten Leistung gestachelt werden. Mit der Peitsche des Machtverlangens und dem Sporn des Bedürfnisses. Das Buddhalächeln schreckt mich nicht. Art und Zahl der Bedürfnisse steigern: auch dieses Unterfangen, das Sie so lästerlich dünkt, kann von der Vorsehung Gottes befohlen sein. In diesem Glauben leben und wirken wir Diebe, Räuber, Menschenschlächter und Sklavenhändler. Beschnüffeln nicht das Verhältniß des Einzelnen zum Himmelsherrn, das Der oben, wenns ihm der Mühe werth scheint, schon selbst regeln wird. Treiben lieber mit der Hoffnung auf erhöhten Genuß die Leute zu erhöhter Leistung. ›Von deren Ertrag Ihr dann den Löwentheil nehmt.‹ Richtig. Aber nicht, als spottschlechte Kerle, nur für uns, sondern zu festerer Sicherung und breiterer Dehnung der Produktion. Mit Ihrem gläubig stammelnden Rationalismus, dem Bastard, der seiner Mutter Vernunft flucht, halten wir uns nicht länger auf als mit unklaren Chiliasten- und Kommunistentraumbildern. Wir glauben an einen Gott, der die Natur dem Menschen unterthan wollte und aus Menschenmuskeln und Menschenhirn deshalb hervorpressen heißt, was die widerwillige Substanz irgend hergeben kann. Sanft und sauber gehts dabei nicht immer zu. Doch die Intelligenzsumme wächst und vertheilt sich von selbst in die Fassungräume. Wo wir gewirthschaftet, organisirt, Gewinn eingesackt haben, sieht die Menschenwelt anders aus als vorher. In meinen Leuten lebt heute mehr als in der Zeit animalischen Hirten- und Pflügerbehagens. Mehr Geistigkeit und mehr Sinnenfreude. Gehorchen müssen sie: sonst hätten wir, statt der Einheit des Werkzeuges, das Allen dient, einen Haufen von unnützlichen Splittern. Aber Sklaven? Jeder im Kleinen ein Herr. Frei, Verträge zu schließen und zu lösen, und fern von der brutalen Dumpfheit, die Ihre Leute an einem Tag des Taumels oder Weltkurpfuscherwahnes die Grube anzünden läßt. Und weil ichs dahingebracht, mein Land bereichert, Millionen Verdienst geschafft, ganzen Geschlechtern ans Licht geholfen und Tausenden den Weg zu den Gipfelquellen der Kultur gebahnt habe, darum schätze ich sündiger, mit allen Makeln mühsamer Schöpferarbeit behafteter Mensch meine Lebensleistung höher ein als die eines fruchtlos heiligen Mannes. Der Gassenlärm wünscht mich an den Schandpfahl und Sie in die Glorie. Sie haben sichs, in Bauernhemd und Pelzstiefeln, bequem gemacht. Die Menschheit will weiter; will ohne Rockefellers erreichen, was diese schwieligen Gesellen sie erstreben lehrten. Nieder mit ihnen! Der kirchenfeindliche Kalenderheilige unter der Glasglocke hemmt den Marsch sicher nicht.«