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King Edward.

Im Januar 1842 fuhr Friedrich Wilhelm der Vierte nach England. Er hatte, neunzehn Monate vorher, nicht nur der Königin Victoria, sondern auch dem Prince Consort of Her Most Gracious Majesty in einem mit eigener Hand geschriebenen Brief angezeigt, daß er den Hohenzollernthron bestiegen habe, durch diese Artigkeit, der bald andere Zeichen höflicher Devotion folgten, das Herz der jungen Herrscherin gewonnen und, unter dem Einfluß Bunsens Und Heinrichs von Bülow, in der kurzen Zeit seiner Regirung sich immer als Bewunderer britischen Wesens bewährt. Warben die größten Kontinentalmächte nicht, Rußland und Frankreich, um Englands Gunst? Mit dem umbuhlten Inselvolk mußte Preußen, mußte der Deutsche Bund, in dem Friedrich Wilhelm und seine Leute eine Macht ersten Ranges sahen, sich auf guten Fuß stellen. Das schien, nach Bülows Denkschrift über die innere Lage Großbritaniens, auch gar nicht schwer. Robert Peel, der neue Premier, war schon wegen seiner Frommheit der Mann des Preußenkönigs und als Politiker gewiß kein Feind der Deutschen. Auch Palmerston wars, wenn man Bülow hörte, niemals gewesen; und Lord Aberdeen, sein Nachfolger, war als Anhänger Metternichs dem berliner Hof besonders willkommen. Diese Stimmung des Hohenzollern verhieß den Briten ansehnlichen Konjukturgewinn. Der Koburger Stockmar, der in der Schule des Landsmannes Leopold erwachsen war und nun an der Themse das Wetter machte, wußte, an welcher Stelle der schwärmende König zu packen war: auf seinen Rath wurde Friedrich Wilhelm als Pathe zur Taufe des Prinzen Albert Eduard geladen. Zwar warnte Metternich vor einer gefährlichen Erregung protestantischer Parteileidenschaft und auch der Zar Nikolai rieth von der Reise ab, die zu einer Begegnung mit dem belgischen Blusenkönig oder einem der Prinzen von Frankreich führen könne. Doch Friedrich Wilhelm ließ sich nicht halten. Er fühlte sich durch die Gevatterschaft hoch geehrt und war von der Unfehlbarkeit seiner Charmeurkunst so innig überzeugt, daß er Fährnissen nicht auswich, sondern sie suchte. Mit den Orleans kam er nicht in Berührung. Leopold von Belgien aber sah er schon auf der Hinfahrt in Ostende und besuchte ihn, der den sich legitim dünkenden Monarchen noch als Usurpator und Kronräuber galt, dann in Laeken, pour le travailler. Seiner Beredsamkeit konnte kein Sterblicher widerstehen; und wenn er den Koburger ein paar Stunden bearbeitet hatte, war zwischen Belgien und den Niederlanden gewiß Alles in schönster Ordnung und der belgisch-luxemburgische Grenzverkehr im Sinn des Zollvereins geregelt. In London gings natürlich hoch her. Victoria trug bei den Tauffesten ein Armband mit dem Bilde des Preußenkönigs und ließ sich die Freude nicht nehmen, den Pathen ihres Söhnchens selbst mit dem Hosenbandorden zu schmücken. In schwülstigen Trinksprüchen wurde die unverjährbare Freundschaft der beiden Vormächte des Protestantismus gefeiert. Bei der Eröffnung des Parlaments saß Friedrich Wilhelm, nur er, als dem Königshaus nah Verwandter, zwischen der Königin und den Lords. In der Pauluskathedrale bewunderte er die Andacht anglikanischen Gottesdienstes, im Theater die sorgsame Inszenirung shakespearischer Lustspiele, in Newgate die kluge Humanität der Gefängnißeinrichtung. Er war von Allem, was er sah und hörte, entzückt; hinterließ aber, trotzdem er die Institutionen des Inselreiches mit überschwingendem Pathos lobte, keinen tiefen Eindruck. Im Oberhaus sprach Lord Brougham die Hoffnung aus, der Preuße werde seinem Volk endlich gewähren, was schon sein Vater verheißen habe, und zeigen, daß er aus dem Anblick englischer Freiheit zu lernen wisse. Manche Zeitung (die londoner Presse war 1842 noch nicht so straff disziplinirt, wie sie heute ist) schalt ihn einen Spion, Heuchler und Narren. Die Politiker ließen sich von dem Glanze seiner Rhetorik nicht blenden; die freundlichsten Beurtheiler sahen in ihm, wie später Treitschke, nur »den größten all jener geistreichen Dilettanten, an denen die vielgestaltige moderne Kultur so reich ist; auf keinem der unzähligen Gebiete des geistigen Lebens, die sein ruheloser Geist zu umfassen strebte, zeigt er sich wahrhaft mächtig, wahrhaft schöpferisch, am Wenigsten in seinem politischen Beruf.« Die Reise blieb ohne Ertrag. Die phantastischen Pläne des Gastes wurden höflich, aber kühl angehört und Stockmar selbst, der an zwei Höfen doch die Kunst der Verstellung gelernt hatte, konnte den Schreck kaum verbergen, als der König ihm eines Tages erklärte, Belgien (der auf Preußens Antrag 1830 als neutral anerkannte Staat) müsse in den Deutschen Bund eintreten. Friedrich Wilhelm merkte aber stets nur, was seinem Selbstgefühl schmeicheln konnte, und blieb fest überzeugt, die Reise nach England habe der protestantischen und der deutschen Sache wesentlichen Nutzen gebracht. Nicht einen Augenblick dachte er daran, mit den Ergebnissen britischer Erbweisheit sein Volk zu beglücken. Doch Victoria und Albert sollten erfahren, wie stark die Stimmung der londoner Tage in seinem Herzen nachklang. Cornelius mußte für das Pathenkind einen Schild zeichnen, der dann in Silber ausgeführt wurde. In der Mitte ein Christuskopf, darunter die Darstellung der evangelischen Sakramente, am Rande der christliche König, der, in Muschelmantel und Pilgerhut, in einem vom gefesselten Höllengeist des Dampfes vorwärtsgetriebenen, von einem Engel gelenkten Schiff übers Meer fährt und an der Angelnküste von Sankt Georg, Wellington und dem Prinz-Gemahl erwartet wird; auch die Portraits Alexanders von Humboldt (mit einem Oelzweig in der Hand), Natzmers und Stolbergs waren, dicht neben Jesu Einzug in Jerusalem, auf dem Schildrand zusehen. Die britischen Höflinge lächelten leis, die radikalen Whigs lachten laut über dieses wunderliche Symbol. Den unsteten Sinn des Königs aber plagte kein Zweifel. Wieder (darauf schwor er) war seinen staatsmännischen und psychologischen Talenten ein wichtiger Sieg gelungen.

Der irrlichtelirende König, der Konsequenz die elendeste aller Tugenden zu nennen pflegte, ist auch den Briten nicht lange treu geblieben; in der Zeit des Krimkrieges ärgerte er sie, die ihn freilich schlecht genug behandelt hatten, durch seine deutlich wahrnehmbare Hoffnung auf Rußlands Sieg. Noch vierzehn Jahre nach der Taufreise aber, als endlich, allzu spät, die Psychose des redseligen Monarchen erkannt worden war (der als junger Regent oft schon, mit blitzendem Auge, gerufen hatte: »Ich muß reden, es läßt mir keine Ruhe!«), noch 1856 übermannte in Frankfurt Herrn Otto von Bismarck die Wuth, wenn er von der Anglomanie des preußischen Hofes sprach. Sein Urteil über England war, wie fast immer über Dinge, die sein Genieblick nicht nah und lange gesehen hatte, von beinahe bonapartischer Ungerechtigkeit. D'Israeli schien ihm damals nur ein jüdischer Dialektiker vom Range Stahls, die gerühmte Erbweisheit der Briten seit der Reformbill von 1832, die das Wahlrecht erweitert hatte, für immer verloren; er merkte nicht, daß nur die Fassade ein Bischen verändert, das oligarchische Wesen auch unter Victoria aber erhalten war, und meinte, der Bulle sei zwar noch stark, »wisse aber, seit ihm der Nasenring der Oligarchie abgenommen ist, nicht mehr, wo er hinstößt.« Als Minister hat er die Unklugheit dieses Vorurtheils dann bereuen gelernt. Richtig war und blieb aber, was er an Gerlach schrieb, der ihn gefragt hatte, wie er über die »englische Heirath« des Prinzen Friedrich Wilhelm denke, die in Rußland arg verstimme: »Die Heirath mag ganz gut sein; das Englische darin gefällt mir nicht. Ich wünschte jedenfalls, daß unsere Bewerbung zur Heirath etwas später erfolgte, nachdem England Gelegenheit gehabt hätte, die vielen Roheiten, die es in Presse, Parlament und namentlich in der Diplomatie gegen uns verübt hat, wieder in Vergessenheit zu bringen. Ein Privatmann würde nicht die Stirn haben, in einem Haus, wo er so unwürdig behandelt worden ist, ohne Weiteres um die Tochter anzuhalten.« Diese Stimmung war in den Köpfen der besten Preußen entstanden, während Friedrich Wilhelm mit dem schüchternen Eifer eines armen, oft gedemüthigten Verwandten um Britanias Gunst warb.

 

Der Christenschild, dessen Skizze Peter Cornelius mitten in der Riesenarbeit an seinen Kartons entwerfen mußte, hing in dem Zimmer des Knäbleins, dem sechzig Jahre danach in Westminster die Krone des Königs und Kaisers aufs Haupt gesetzt ward. Fromm hat der Anblick den kleinen Albert Eduard nicht gemacht. Die Koburger ließen den lieben Gott immer einen guten Mann sein. Und der Fürst von Wales war ein echter Koburger. Sein Vater war Leopolds Neffe, seine welfische Mutter die Tochter der Luise von Koburg, die dem Fürsten von Leiningen vermählt war. Dem schönen Prince Consort, der eher ein Lehrer als ein Vater gewesen zu sein scheint, mißlang der Versuch, mit seines Wesens Stempel den Sohn zu prägen. Gar zu langweilig korrekt; zu wenig im Stil altenglischer Lustigkeit. Pünktlich wurden im Elternhaus ehrbare Küsse getauscht, pünktlich die Staatsgeschäfte erledigt und pünktlich, wie eine Bill nach Westminster, kam der Klapperstorch in den Buckingham-Palast. Zu so kleinbürgerlich wohlanständiger Lebensart (Leopold und seine Töchter bewiesen, daß sie nicht zum koburgischen Erbe gehört) hatte Vickys Aeltester keinen Blutstropfen in sich. Der wollte die süßen Wonnen eines Kronprinzendaseins ausschlürfen, als arbiter elegantiarum im Weltreich der Mode anerkannt sein und alle Lust bunter Abenteuerlichkeit genießen, die seit Heinzens tollen Tagen einem Britendauphin ziemt. Sankt Georg, Sankt Wellington und Sankt Albert konnten ihn nicht verleiten, Trübsal zu blasen. Lehrzeit für den Herrscherberuf? Unsinn! Der constitutional cant herrscht: und den Schattenkönig lernt selbst der Unbegabte schnell spielen. Amusiren wollte er sich; liebte Roulette und Karten, herben Sekt und pfiffige Mädchen noch immer mit aller Zärtlichkeit, als er Sir John mehr schon als dem Prinzen von Eastcheap ähnelte; als seine Augen schon, die Fischaugen der Mutter, Glaskugeln gleich, in geräumigen Schädelhöhlen lagen und der nervus facialis unter Fettpolstern zu schlummern schien. Wir hörten ihn leben. Hörten von seinen galanten Händeln, seinen Kartentischgeschichten, seinem Verkehr mit fleckigen Spekulanten, die, so mußte man glauben, nur auf goldener Leiter zu solcher Höhe geklettert sein konnten. Der Türkenhirsch, der vom pariser Jockeyklub abgelehnt worden war (und, um sich für die schwarzen Kugeln zu rächen, das Klubhaus gekauft und die Jockeys obdachlos gemacht hatte), war so oft sein Gast, daß Labouchere schreiben konnte, in Marlborough House gebe es kein Diner ohne Parfait au Hirsch. Jahrzehnte währte dieses geräuschvolle Leben, dessen Echo bis in den Gerichtssaal hineinhallte. Meist war Paris oder Monte Carlo der Schauplatz. Da war le Prince de Galles, den jedes Kind kannte, jedes Jüngferchen wie einen Oger anschmachtete, in seinem Element; da bestimmte er die Mode, lancirte Weiber und Pferde, schien zum Entzücken verrucht und kroch, wenn ihn die Lust juckte, in die schmierigsten Spelunken. Nicht fromm und säuberlich; doch wenigstens kein Heuchler. Und ists etwa leicht, so lange Kronprinz zu sein? Im Haus Victorias, die den Sohn von allen Staatsgeschäften absperrt, thatlos des vielleicht noch fernen Tages zu harren, der zu schöpferischer Arbeit ruft? Allmählich wurde auch dieser Modemonarch, dessen Vitalität allen Stürmen getrotzt hatte, müde; so träg und morsch, daß er die Mühe scheute, den an Europens feinsten Krippen gehätschelten Leib aus der Fetthülle zu schälen. Wozu sich noch anstrengen? Mama überlebt uns Alle. Rien ne va plus. Wenn die Polster weggeschafft sind, erwacht auf dem Grab des Vermögens am Ende gar die Begierde. Die Schürzenjagd hatte seinem Ruf nie ernstlich geschadet; das Geldbedürfniß des knapp gehaltenen Thronerben brachte ihn spät noch, als der Mutter die letzte Sonne schien, in schlimmes Licht. Wo er sich sehen ließ, schrien heisere Wuthstimmen ihm nach, er habe in Goldshares spekulirt, mit Rhodes, Milner, Beit das Vaalwasser getrübt, an der Vorbereitung des Jameson Raid mitgewirkt und durch seinen Eingriff die Untersuchung der Mächlereien zur Posse erniedert. Wahr oder falsch: bequem war es nicht, unter der Last solcher Anschuldigung auf den Thron des Reiches zu steigen, das einen zähen Bauernstamm nicht niederzuzwingen vermochte. Den dicken Herrn schreckte das Geraun nicht; ärgerten mehr die Spötter, die tuschelten, er sei made in Germany. Das konnte gefährlich werden. Flink also fort mit dem Vatersnamen, der an den kleinen deutschen Prinzen erinnert. Eduard: bei diesem Namen denkt der Brite des Königs aus der Baronetkriegszeit, der die Verwaltung organisirte, die Magna Charta bestätigte und das Fürstenthum Wales dem Angelngesetz unterwarf. Als Eduard der Siebente wurde der Baccaratprinz am Altar gesalbt. Und die Appendizitis warb ihm in mitleidigen Herzen neue Liebe.

Ueber seiner Wiege hing der Glaubensbekennerschild des berliner Gevatters. In den Krönungstuhl, auf dem König Edward des Priesters wartete, ward der Stein eingefügt, an den Jacob die Stirn lehnte, als er die gen Himmel führende Leiter sah. Ein frommes Gemüth mag wähnen, auf dem von solchen Reliquien umhegten Leben ruhe segnend die Hand des Herrn. Nüchterne Rationalisten werden sagen, der Umgang mit Geschäftsleuten habe den Kronprinzen die Kunst gelehrt, gute Geschäfte zu machen. Einerlei. Hans Lüderlich ist ein tüchtiger König geworden. Im ersten Jahr seiner Regirung schien er nur im ehrwürdigen Plunderprunk mittelalterlichen Hofceremonials zu leben; saß in seinem Palast, studirte Kostümwerke und suchte in alten Hofchroniken die Möglichkeit neuen Mummenschanzes. Das zweite Jahr brachte die Unterjochung der Burenrepubliken: den werthvollsten Erfolg, der dem verwöhnten Britenreich seit der Eroberung Indiens beschieden war. Und dann sorgte Eduard für sein Land wie ein Großkaufmann für seine Firma; erstrebte und erlangte Verbindungen, die Lohn verheißen, nützte die Schwächen oder Thorheiten der Konkurrenten aus und löste Engagements, von denen nichts mehr zu hoffen war. Manche Briten fanden, er regire zu viel, treibe eine persönliche Politik, die hart an Absolutismus grenze, und brauche einen Junius, der ihm sagt, daß die Verfassung Englands König nur schützt, wenn er ihren Geist nicht verletzt. Jeder Koburger stand einmal vor dieser Gefahr. Daß Eduards Wulstfinger behutsam die Drähte lenkten, war früh schon zu spüren. Doch hat nicht auch die alte Queen still ihre Fäden über Europa hin gesponnen und, mochte Beaconsfield, Gladstone oder Salisbury ihr als Minister vorgesetzt sein, mehr Politik gemacht, als auf dem Festlande die Harmlosen ahnten? England ließ sichs gefallen, weil es Vortheil davon hatte, und wird sichs, trotz der Legende, Magna Charta sei in Großbritanien mächtiger als der mächtigste Mann, auch ferner gefallen lassen, so lange der Reichsprofit dadurch nicht geschmälert wird. Unter Eduard war die Bilanz so gut wie je in den fettsten Jahren des Insulargeschäftes. Egypten und Südafrika gesichert. Italien am Bugsirtau. Ein günstiger Vertrag mit Portugal abgeschlossen. In Asien der erwachsenden Großmacht verbündet. Der Streit um Neufundland geschlichtet. Die zuverlässige, zu Opfern bereite Treue der Kolonien im Burenkrieg bewährt. Rußland ohne britischen Schwertstreich auf ein Menschenalter hinaus geschwächt. Für Indien nichts zu fürchten. Deutschland in Europa isolirt (der Dreibundspuk ängstet nur Kinder), in Afrika, dicht neben englischen Niederlassungen, die in ungestörtem Frieden gedeihen, Jahre lang zu schwerem Kampf gezwungen, in Ostasien wegen des Kreuzzuges und des Pachtvertrages von Mißtrauen umlauert. Und das für den Augenblick Wichtigste: die entente cordiale mit Frankreich, die, sobald den Briten solche Erweiterung nützlich schien, zur Verständigung mit Rußland führen konnte. Wie lange ists her, seit auf den Boulevards die Menge den alten Krüger umjauchzte, in allen beuglants von Montmatre die greise Liqueurkönigin und der arme Tommy gelästert wurden? Im Jahr 1905 verbrüderten in Portsmouth französische sich englischen Seeleuten und in der City las, zwischen Guirlanden und Trikoloren, der Wanderer die Huldigung: Gloire à la France! So, nach dem feinsten Industriesystem, macht man Geschäfte. Still, nach sorgsamer Disposition, mit kluger Ausnützung fremder Fehler, ohne ungeduldige Hast, ohne säumig die Konjunktur zu verpassen; so steigert man den Werth einer Firma und weckt in Konkurrenten dadurch den Wunsch nach einem Pool, einer Interessengemeinschaft, einem Bündniß. Eduard hat ziemlich wüst gelebt, aber in Paris, New York, London und Monte Manches kennen gelernt, was korrektere Prinzen nie sahen. Vergebens, sagt Goethe, »bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Thaten zusammen: und ein Bild seines Charakters wird uns entgegentreten.« Seine Thaten zeugen für Eduard. Trotzdem er aus Budapest abreiste, ohne den Spielpartnern die hohe Guldenschuld zu bezahlen, trotzdem er vorher und nachher mancher Nana sachkundig beim Tricotwechsel half und noch in den neunziger Jahren nur ein vieux marcheur schien, hat er, da die Stunde zum Handeln gekommen war, sich als gescheiten Kaufmann entpuppt.

 

Mit Deutschland wollte er sicher in Frieden leben. Sohn eines Sachsenprinzen, Pathenkind eines Königs, Schwager eines Kronprinzen von Preußen, der einst die Krone der Deutschen Kaiser tragen sollte: warum also Zwist? Die Deutschen sind nette Leute. Der berliner Hochadel nimmts nicht einmal übel, wenn die Kronprinzessin auf Hofbällen für den Bruder fällige Spielschulden einkassirt. Besonders liebenswürdig und ehrerbietig ist der Neffe Wilhelm. Ganz entzückt, wenn er in Cowes nicht distanzirt wird, den Admiralsrock bekommt oder im Piraeus unter der Flagge des Geschwaderchefs ein Stündchen der Britenflotte voranfahren darf. Zwar hat sein verheißender Zuruf die Buren in das Wagniß des Krieges getrieben; doch er hat den Fehler bald bitter bereut, Krügers Besuch abgelehnt und alles Erdenkliche gethan, um England zu versöhnen. Ein Bischen hitzig ist er ja noch; von rastloser Betriebsamkeit; möchte zeigen, daß er in allen Gebieten menschlichen Wollens heimisch ist, auf jedem Sattel zu reiten, die Widerspenstigen schnell zu bezaubern versteht. Junges Koburgerblut. Mit der Zeit wird auch er wohl ruhiger. Und schließlich braucht man die Deutschen: wirds einmal ernst, dann decken sie Englands wehrlose Flanke. Das war die Absicht. Wie kam es nun, daß schon in Eduards viertem Regirungjahr den Marineämtern in Berlin und London befohlen ward, für einen nahen Krieg zwischen Deutschland und Großbritanien die Seestreitkräfte zu rüsten?

Die Hoffnung, mit Schiffsgeschützen einen lästigen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen, hätte den Kaufmannsgeist Eduards gewiß nicht leicht umgarnt. Trotzdem die Gelegenheit so günstig war, wie zwei Jahre vorher noch kein Brite sie zu träumen wagte. Rußland ohne Flotte, ohne jede Möglichkeit, dem Deutschen Reich gegen England wirksam zu helfen, ohne die innere Kraft, die zu einem Angriff auf die von Kitcheners Kriegstechnikergenie geschirmte indische Grenze nöthig wäre. Frankreich, die zur See zweitstärkste Macht, dem Inselvolk befreundet, für den Fall eines britisch-deutschen Krieges sicher sogar verbündet. An Zahl und Qualität der Gefechtseinheiten war Englands Flotte unserer damals noch so überlegen, daß wir den Kampf nicht wagen konnten, auch wenn wir unsere Kolonien besser geschützt wußten. Ein für Industrie, Technik und Handel ungewöhnlich begabtes, fleißiges, auf reichem Boden lebendes und billig arbeitendes Volk von dreiundsechzig Millionen Menschen ist auf die Länge aber nicht dadurch unschädlich zu machen, daß man ihm seine Schiffe zusammenschießt oder in die Luft fliegen läßt. Das sieht jeder Großkaufmann ein; und keiner würde sein Geld in ein so kurzsichtiges Geschäft stecken. Konkurrenz ist zu ertragen; unerträglich nur stete Geschäftsstörung. Und Eduard fand, daß Deutschland ihm seine Geschäfte störe. Deutschland? Eigentlich thats der Deutsche Kaiser. Die der selben Familie Angehörigen kritisiren einander selten mit dem Gleichmuth des kühlen Richters. Der Onkel ärgerte sich über den Neffen, der Sohn über den Enkel des Koburgers: und die Worte, die hin und her flogen, klangen Dem, der sie auffing, nicht gerade mild. Was will denn our William? Welche Pläne birgt er in seiner Seele? Daß wir uns zu günstigen Bedingungen mit den Franzosen verständigt haben, kann er, ders auch längst thun möchte, uns doch nicht verargen. Seitdem aber, seit die entente cordiale ans Licht kam, ist er schlecht auf uns zu sprechen; und wir hatten an Guirlanden und Kränzen für ihn doch nicht gespart. New departure? Gehts jetzt wieder ostwärts? Wirbt der unzärtliche Verwandte im Dunkel der Mohammedanerwelt, in Washington, in den skandinavischen Königreichen wider uns Bundesgenossen? Soll Frankreich mit Waffengewalt niedergeworfen oder durch deutliche Drohung gezwungen werden, uns den Rücken zu kehren? Niemand weiß es; aus jedem Botschafterbureau kommt eine andere Version. Kein Tag ohne Ueberraschung. Gestern eine fast kriegerisch klingende Rede, heute ein unerwarteter Besuch, morgen vielleicht eine Friedensverkündung. Lui, toujours lui. Das fällt auf die Nerven. Noch fehlt all den dialektischen Spielen die Pointe, den Worten noch immer die That. Soll man sie aber in müßiger Ruhe erwarten? Wer nicht zu berechnen vermag, wie morgen der Markt aussehen, welche Waare angeboten und welche verlangt werden wird, kann kein ersprießliches Geschäft machen. Deutschland braucht fruchtbares Land und baut Schiffe, um es zu erobern; wahrscheinlich von uns, mit amerikanischer, französischer oder russischer Hilfe. Mit solchen Möglichkeiten kann man sich abfinden; nur dürfen nicht immer neue auftauchen, darf es nicht dahin kommen, daß die Furcht vor jähem Wetterwechsel jede bedächtige Vorsorge lähmt und der Staatsgeschäftsmann früh und spät vor Improvisationen zittern muß, die seinem Planen die Grundmauer der Thatsachen zerbröckeln. Wars nicht ein preußischer Offizier, der, vor fast hundert Jahren, gegen die Willkürherrschaft des Korsen sich mit dem Schlachtruf erhob, lieber als endloser Schrecken müsse dem Tapferen ein Ende mit Schrecken sein? So ungefähr hat Eduard gesprochen, geschrieben; und leider in allen Zonen das alten Erdteils Gehör gefunden. In allen als des Deutschen Reiches gefährlichster Feind gegolten. War ers? Oder hat nicht das Reich ihn, hat nur dessen Kaiser, der Onkel den Neffen geärgert?

 

Am elften März 1888 war, zwei Tage nach dem Tode seines Vaters, Kaiser Friedrich aus Italien heimgekehrt. Er hatte erklärt, daß er die Regirung nicht antreten werde, wenn die Wucherung in seinem Kehlkopf als Carcinom erwiesen sei. Aber die Krebsdiagnose der deutschen Aerzte Bergmann, Gerhardt, Tobold, Schrötter, Schmidt, Leuthold, Landgraf ruht im Archiv des Königlichen Hauses, Virchow hat das ihm zur Prüfung übergebene Gewebsstück nicht bösartig gefunden und der englische Arzt Sir Morell Mackenzie hat Heilung verheißen. Der Plan, den Leidenden von der Thronfolge auszuschließen, war dem Reichskanzler nie auch nur nah gekommen; und wäre, da nach dem Hausgesetz sogar der körperlich unheilbar Kranke regiren darf, selbst vom Mächtigsten nicht durchzusetzen gewesen. Vor drei Jahren hat Kronprinz Friedrich sich in Potsdam mit dem Fürsten Bismarck verständigt; ihm zugesagt, daß er britische Ingerenz ins Staatsgeschäft nicht dulden und weder im Reich noch in Preußen sich ins Joch einer Parlamentsherrschaft beugen werde. Unter diesen Bedingungen, spricht Bismarck (der 1864 und 1870 unter den politischen Folgen manches nach London geschickten Familienbriefes gelitten hat), bin ich bereit, über die Lebenszeit meines alten Herrn hinaus im Dienst zu bleiben. Auf dem leipziger Bahnhof hat Friedrich den Fürsten, der dem krank Heimkehrenden mit den preußischen Ministern entgegengefahren war, umarmt und geküßt und in dem Handschreiben vom zwölften März ihn den treuen und muthvollen Rathgeber genannt, der die erfolgreiche Durchführung der königlichen und kaiserlichen Politik gesichert habe. Elf Tage danach kommts zum Konflikt. Die Kaiserin Victoria hat heimlich beschlossen, ihre zweite Tochter dem Prinzen Alexander von Battenberg zu vermählen, und, ohne den Kanzler zu benachrichtigen, den zweiten Ostertag für die Verlobung gewählt. Schon ist die Depesche geschrieben, die den Battenberger aus Darmstadt nach Berlin ruft. Generaladjutant von Winterfeldt, dem sie, am Sonnabend vor Ostern, zur Beförderung übergeben wird, hat Bedenken und legt sie, als einen politisch wichtigen Entschluß, dem Kanzler vor. Der hat diesen Heirathplan schon einmal vereitelt und versuchts nun zum zweiten Mal. Die Depesche wird nicht abgeschickt. Auf einem Zettel ersucht Friedrich den Kanzler, seine Einwände schriftlich zu formuliren. Das geschieht noch am selben Tag. Der Zar haßt den Prinzen Alexander. Wird der aus Bulgarien Verjagte der Schwiegersohn des Deutschen Kaisers, so rufen ihn morgen vielleicht die bulgarischen Russenfeinde zurück und das Deutsche Reich ist im klimatisch unsicheren Balkanlande dann an ein Personalinteresse gebunden, mit dem die bewußte Enthaltung von Orienthändeln nicht vereinbar wäre. Der über die Mauer einer feindlichen Festung geworfene Marschallsstab muß um jeden Preis zurückgeholt, die dem Feinde des Zaren vermählte Tochter des Deutschen Kaisers muß unter allen Umständen geschützt werden. So hohen Einsatz kann kein gewissenhafter Staatsmann wagen. Das sieht der Kaiser ein. Sir Edward Malet, Britaniens Botschafter, schreibt an die Königin, der Plan mache in Deutschland böses Blut und der Eindruck, daß die Queen ihn protegire, müsse den anglo-deutschen Beziehungen schaden. Die klügste der drei Victorien kanzelt die Tochter zuerst in einem Brief tüchtig ab, kommt aus Florenz dann ins Charlottenburger Stadtschloß und schließt sich dem Einspruch Bismarcks huldvoll an. Aus den Augen zweier Victorien fließen Thränen. Love's labour lost. Großherzog Friedrich von Baden vermittelt, weil er der Meinung der Schwägerin, Bismarcks Abgang wäre am Ende kein Unglück, unter einem sterbenden Kaiser noch nicht zuzustimmen vermag. Und als der Kanzler die alte Charmeurkunst aufbietet und den finanziellen Wünschen der Kaiserin ungeschmälerte Erfüllung verheißt, sind Beide, nach einem langen Gespräch, »von einander enchantirt«. Das sichtbare Zeichen dieses Aprilfriedensschlusses ist Herberts Ernennung zum Staatsminister. Doch im Hirn der Frau bleibt das Gedächtnis an eine Demüthigung, die Friedrich sah, die auch den Spitzen des Hofstaates nicht zu verbergen ist. Und bald danach klagt sie über eine »Hetze« (gegen sie, ihre Mutter und Tochter, gegen ihr Vaterland), der Bismarck, trotzdem ers könnte, nicht wehre. Weils ihm in den Kram passe.

Am fünfzehnten Junimittag sinkt, unter heiß brennender Sonne, die Purpurstandarte, die zwei Monate lang über der Kuppel des potsdamer Schlosses Friedrichskron geweht hat, von der Schaftspitze herab. Der Kaiser ist tot. Und das Totenhaus wird umzingelt. Reiter sprengen heran; Schutzmannschaft zu Fuß und zu Pferd ist jäh aus dem Boden gewachsen; alle Portale und Nebeneingänge werden bewacht. Auf Allerhöchsten Befehl. Kein Blatt darf hinaus, kein Zettel. Noch unter der Mittagssonne muß der englische Arzt vor Kaiser und Kanzler Rede stehen. Mit der kalten Stimme des Unbewegten antwortet er. »Politik, nicht Arztes Kunst, zu treiben, ward ich berufen; den Patienten, bis er Kaiser war und nicht eine mager apanagirte Familie hinterließ, zu erhalten, versprach ich; und habs vollbracht.« Doch der Kaiser will die Diagnose der deutschen Aerzte als richtig erweisen und befiehlt darum die Sektion der Leiche; besteht darauf, trotz den Bitten der Mutter, die den Leib des Lebensgefährten nicht vom Leichenmesser zerfetzt wissen will. Und Mackenzie muß die Abreise beschleunigen. Victoria ist machtlos. Ist einer Hoffnung Witwe und rings von Mißtrauen umdräut. Dem Volksempfinden ist die Frau, die sich stolz als Britin fühlte, stets, wie die Autrichienne den Parisern, die Fremde geblieben. Als sei ihr die Absicht, Nationalgut über die Grenze zu schmuggeln, zuzutrauen, wird sie aufgefordert, keinen Brief noch anderes Dokument aus der Hand zu geben. Dem Bruder, der zur Leichenfeier kommt, schüttet sie das übervolle Herz aus. Am zweiundzwanzigsten Juni notirt Chlodwig Hohenlohe als ihren Ausspruch: »Herbert Bismarck hatte die Frechheit gehabt, dem Prinzen von Wales zu sagen, daß ein Kaiser, der nicht diskutiren könne, eigentlich nicht regiren dürfe. Der Prinz habe gesagt, wenn er nicht Werth auf die guten Beziehungen zwischen England und Deutschland legte, würde er ihn zur Thür hinausgeworfen haben.« Albert Eduard selbst hält sich mehr zurück, ist aber auch »über die Grobheit der Familie Bismarck entsetzt«. Und das Ende vom leidigen Lied ist in Beider Mund immer: »Der junge Kaiser ist ganz in Bismarcks Händen.« Dieser Glaube weicht freilich bald. Victoria sieht die Trennung früh voraus. Und spricht, als der entlassene Kanzler von ihr Abschied nimmt, in so bitterem Ton über ihren Aeltesten, daß der »gute Hasser« ihre Worte (und einen Brief Friedrichs aus den neunzig Regirungtagen) Jahre lang als Beweise für die Richtigkeit seines eigenen Urtheils citirt. Zwischen dem Mann und der Frau scheint fortan Friede zu sein. Laut haben sie nie mehr mit einander gehadert.

Albert Eduard hat das potsdamer Erlebniß nicht vergessen. Oft genug war er vorher schon von den Berlinern geärgert worden. Immer als halber Pariser angesehen und, nur leise, versteht sich, als der skrupellose Genußsucher verdächtigt, der den an der Seine gebietenden Freunden das Wichtigste aus den Familienbriefen zustecke. Dem kleinen Albert Eduard, Prinzen des Vereinigten Königreiches von Großbritanien und Irland, Herzog von Sachsen und von Cornwall, Fürsten von Wales und Earl of Chester, dessen Köpfchen bei der Taufe Wellington mit dem Reichsschwert schirmte, hat Friedrich Wilhelm von Preußen zwar als Pathengeschenk den silbernen Glaubensbekennerschild, Louis Philippe aber nicht lange danach ein Schießgewehr mitgebracht. Das hält freilich nur kurze Zeit. Doch zum dritten Geburtstag schickt der gute Onkel Bürgerkönig Ersatz aus festerem Holz. Der Schild hängt unbeachtet an der Wand. Täglich aber fragt der Kleine: »Where is my gun?« Der Erwachsende freut sich auch an dem Großkreuz des Andreas-Ordens, das Nikolai Pawlowitsch ihm gespendet hat; bleibt bis an die Greisenschwelle aber dem Franzmann dankbar, der seinen dicken Patschfingerchen die erste Waffe gab. Paris ward ihm die zweite Heimath. »Die Vorstellung, daß Paris, obwohl es befestigt und das stärkste Bollwerk des Gegners war, nicht wie jede andere Festung angegriffen werden dürfe, war aus England auf dem Umweg über Berlin in unser Lager gekommen, mit der Redensart von dem, ›Mekka der Civilisation‹ und anderen in dem Cant der Oeffentlichen Meinung in England üblichen und wirksamen Wendungen der Humanitätgefühle, deren Bethätigung England von allen anderen Mächten erwartet, aber seinen eigenen Gegnern nicht immer zu Gut kommen läßt«: dieser Satz aus Bismarcks postumem Buch zielt auf Vickys Bruder. Deutschland? In den Gedanken, daß es ein Deutsches Reich gebe, konnte ein 1841, in der Zeit preußischer Anglomanie, geborener Brite sich nicht leicht gewöhnen; noch schwerer in den Verzicht auf den Glauben, dieses Reiches edelster Ehrgeiz müsse sein, auf dem europäischen Festland Britaniens Degen zu werden. Unter Wilhelm und Bismarck wars nicht zu erreichen; auch noch nicht nöthig. Ist denn diese Großmacht schon ein Definitivum? Im Jahr 1887 sagt Prinz Berty zu Ernst von Koburg, so lange der Elsaß und Lothringen deutsch bleiben, könne nur ein Phantast von gesichertem Frieden reden. Im selben Jahr bringt Alexander der Dritte aus Kopenhagen Dokumente nach Berlin, die beweisen sollen, daß die deutsche Politik, trotz allen offiziellen und offiziösen Betheuerungen, in Bulgarien Rußlands Feinde unterstützt habe. Herr Jules Hansen, ein Däne, der für Frankreich Spionage großen Stils treibt, hat sie der Prinzessin Waldemar von Dänemark geliefert, die sie dem Zaren vorlegte. Eine Orleans; die Tochter des Herzogs von Chartres, die dem londoner Schwager eng befreundet ist. Bismarck erklärt die Dokumente für gefälscht und der mißtrauische Gossudar Alexander scheint ihm zu glauben. Sagt im Speisesaal seines Botschafters, des Grafen Paul Schuwalow, dann aber: »Bismarck behauptet, man habe die Dokumente gefälscht, um uns zu brouilliren. Aber ich glaube ihm nicht. Er ist mir zu klug.« Auch zwei Jahre später glaubt er ihm nicht. Prinzessin Waldemar hat ihm, wieder in Kopenhagen, gesagt, Bismarck sei abgethan. Auf eine direkte Frage antwortet der Kanzler, er fühle sich im Vollbesitz des kaiserlichen Vertrauens. Die Französin war gut bedient. Und wieder heißts in der Wilhelmstraße: »Das kann nur aus Sandringham kommen.« Bismarck fällt, der deutsch-russische Assekuranzvertrag, der für den Fall des französischen Angriffes die Neutralität Rußlands sichert (und dessen Abschluß Elemente vom Schlag dieser Prinzessin nötig gemacht haben), wird, auf Holsteins Rath und nach einstimmigem Gutachten des Auswärtigen Amtes, von Caprivi nicht verlängert, Ribot läßt in Petersburg anfragen, ob jetzt nicht die (schon vom ersten Nikolaus vorausgesehene) Stunde zu fester Verbündung gekommen sei, und Admiral Gervais wird, mit den Schiffen der Republik, in Kronstadt vom Zaren festlich begrüßt. Zwischen den Häusern Hohenzollern und Holstein-Gottorp stockt der familiäre Verkehr fast völlig. Und Entfremdung von Rußland kann nur intimen Anschluß an England bedeuten. Steigt die mit Fritzens Leib bestattete Hoffnung aus dem Grab?

 

Fast sieht es so aus. Als Prinz Georg von England (der jetzt König ist) das Kleid, den Orden, die Accolade der Ritter vom Schwarzen Adler erhalten hat, feiert Wilhelm der Zweite im Weißen Saal des Kaiserschlosses die greise Queen und ihr Haus. Erinnert, im Rock des Britenadmirals, an die Waffenbrüderschaft von Waterloo und bekennt sich zu der Hoffnung, die Gemeinschaft der englischen Flotte und der deutschen Armee werde dem Erdball den Frieden erhalten. (Moltke flüstert dem Nachbar zu: »Ein politisch' Liedl Ein leidig' Lied! Hoffentlich kommts nicht in die Zeitung!«) Albert Eduard sitzt strahlenden Blickes an der Prunktafel. Auf den Manöverärger von Narwa folgt der dem Briteninteresse nützliche Sansibarvertrag. Alles in schönster Ordnung. Zwar schleppen Geschichtenträger allerlei Hofklatsch über den Aermelkanal; alten und neuen. Tadel eines Lebenswandels, der einem künftigen König nicht zieme; spitze Worte über Karten- und Weibergeschichten. Das trübt die Stimmung für ein Weilchen; geht aber vorüber. Wenn Deutschlands Politik löblich ist, darf sich der Bruder nicht dem Groll der Schwester verloben. Im Sommer des Jahres 1895 sagt Wilhelm an Bord des englischen Flaggschiffes »Royal Sovereign«: »Ich kann Sie versichern, daß einer der schönsten Tage meines Lebens jener Tag war, an dem ich die Mittelmeerflotte inspizirte, an Bord des Dreadnought stieg und meine Flagge zum ersten Mal aufgehißt wurde. Ich bin aber nicht nur Admiral Ihrer Flotte, sondern ich bin auch der Enkel der mächtigen Königin von England.« Und schließt mit dreifachem Glückwunschruf an die Britenflotte. Sechs Monate danach kommt er, den die steife Haltung Salisburys verstimmt hat, mit militärischem Gefolge ins Kanzlerhaus und fordert, daß für die von britischer Uebermacht bedrohten Buren sofort Etwas geschehe. Das Ergebniß eines Kompromisses mit Hohenlohe und Marschall ist das Telegramm an den Transvaalpräsidenten Paul Krüger. Wüthend brüllt der Britenleu auf. Und wie der Fürst von Wales empfindet, kann auch der Fernste ermessen, der bedenkt, daß die in der Depesche als »Friedensstörer« Gestäupten, die Rhodes und Jameson, Milner und Beit, die dem Kronprinzen ergebensten Freunde waren. Die glimmende Erinnerung an altes Leid flackert auf: und fortan wird in Paris und in Petersburg mit der Abkehr des Oheims vom Neffen als mit einer sicheren Thatsache gerechnet. Noch ein Werbungversuch wird gemacht. In Frankreich ist, nach Kitcheners Sudansieg, die Wuth der bretonischen Wölfe mit lautem Gebell erwacht, die alte Königin wird täglich auf hundert Blättern wie eine Stallmagd gescholten und selbst der Prince de Galles, der »geborene Pariser«, muß die lutetische Luft meiden. Mit Frankreich ist einstweilen nichts anzufangen, Rußland ein unsicherer Faktor … Wenn mans noch einmal mit Berlin probirte? Wilhelm wünscht sicher, die Britenliebe, die er durch die Depesche an Krüger verloren hat, zurückzuerobern. Chamberlain empfiehlt in Leicester den Dreibund, der »die beiden großen Zweige des Angelsachsenstammes« und Deutschland umfassen soll. Stimmen die Berliner zu, dann ist Englands strategische Stellung gebessert und die Möglichkeit zu profitabler Verhandlung mit Petersburg und Paris gegeben. Sie bleiben kühl. Erwärmen sich auch 1901, nach dem Tode der Queen, nicht für den von Chamberlain wieder aus dem Kasten geholten Plan, der drei Germanenzweige zusammenbinden soll. Und jetzt ist Eduard König.

Er erinnert den Neffen, der wieder das Ehrenkleid des Britenadmirals trägt, laut an die Verheißung, zum Schutz des Friedens das deutsche Heer der englischen Flotte zu vereinen. Denkt wohl aber: »Der Kaiser, der eifernd, wie für ein Reichsunternehmen, für die Bagdadbahn, den trockenen Weg nach Indien, wirbt, hastig Kriegsschiffe baut und im Bereich des Islam seine Prestige zu mehren sucht, ist nicht unser Mann.« Und bebrütet die Möglichkeit, die persönliche Antipathie, die er auf den Thron mitgebracht hat, in den Dienst der nationalen Sache zu zwingen. Wilhelm spricht von einem größeren Deutschland, von seinem Imperatorenrecht, an jeder wichtigen Weltentscheidung mitzuwirken, von (friedlicher) Hohenzollern-Weltherrschaft, von Neptuns Dreizack, der in seine Faust gehöre; nennt sich, in der Flaggensignalsprache, den Admiral des Atlantischen Ozeans. Eduard bleibt gelassen. Der ist nicht zum Dalai Lama erzogen worden; hat die graue Alltagssorge kennen gelernt, in der Geldklemme geschmachtet, dem Türkenhirsch und dem Diamantenkönig Rhodes, den Rothschild und Cassel manchen Geschäftskniff abgeguckt und als Freund kluger Kaufleute erfahren, was das Leben ist. Solche Erfahrung hebt ihn schnell über die Dutzendmonarchen hinauf. Und im Bezirk des trade, des Handels, ist der Skeptiker selbst dem begabtesten Pathetiker stets überlegen. Eduard macht sichs zunächst bequem. Giebt der Schaulust, die in den Witwenjahren der Mutter gehungert hat, reichliches Futter und nützt, hinter dichten Gardinen, die Zeit zur Knüpfung neuer, zur Festigung alter Freundschaft. Als er sich sehen läßt, weiß jeder irgendwie Beträchtliche schon: Auf diesem Thron sitzt der erste moderne Geschäftsmann großen Stils (größeren also als Louis Philippe und der zweite belgische Leopold). Nie hält er dröhnende Reden; sagt nie voraus, was er thun werde; will nicht Applaus, sondern Wirkung; und ist von vorn herein, wie jeder kluge Erbe eines nach veraltetem Brauch geführten Geschäftes, bereit, vom Trug zu reellem Handel überzugehen. Er will keinen Kunden plündern, seine Bilanz nicht verschleiern, den Kontinentalmächten nicht länger zumuthen, für His Most Gracious Majesty ohne Entgelt zu arbeiten. Die Britenfirma, die er vertritt, soll prompt zahlen; sie kanns. Braucht ihre Waare nicht auf allen Märkten schreiend anzupreisen noch gar mit Hausirergeberde die Kunden herbeizuwinken. Der Verkehr großer moderner Handelshäuser hat seine Gesetze, die auch der Reichste nicht ungestraft verletzt. Business is business. Wer eine auf vier Millionen Bayonnettes gestützte Großmacht isoliren will, muß sichs Etwas kosten lassen. Eduard sagt Jedem, ders hören will: »Mein lieber Neffe ist ein ungemein talentvoller Mann, doch leider unberechenbar; wenn wir uns nicht Alle gegen seinen Willen stemmen, setzt er der armen Europa eines Abends den Rothen Hahn aufs Dach. Alles der Familienfreundschaft Erlangbare habe ich versucht. Umsonst. Was will ich denn? Friedenshort sein; die Kultur vor dem Kriegsschrecken schützen. Weiter nichts. Wer für gedeihliche Ruhe ist, kann mit mir handeln und wandeln. Wer schuldlos bedroht wird, ist meines Beistandes sicher.« Alles drängte in seinen Concern. Als der anglo-russische Vertrag Ereigniß geworden war, konnte der greisende König, wie einst das Knäblein, mit vergnügtem Schmunzeln sprechen: »Von Rußland kam mir das Kreuz, von Frankreich die Waffe. Zweierlei Werkzeug zum Machterwerb. Sie sollen mir dienen.«

Hat der Onkel geglaubt, was er über den Neffen sagte? Und war er jemals zu dem Wagniß einer Blutprobe entschlossen? Nein. Er war kein Soldat und kein Seemann; weder blinder Draufgänger noch eitler Ruhmsüchtling. Ein royal merchant von nüchternem, manchmal majestätischem Menschenverstand, gründlicher Personalkenntniß und angeborener Liebenswürdigkeit. Mit deutschem Blut und pariserischer Lebensgewohnheit von den Landsleuten deutlich genug unterschieden, um (wie der nie ganz französirte Holländer Louis Napoleon auf die Franzosen) mit dem Reiz leiser Fremdartigkeit auf sie wirken zu können; und in wichtigen Wesenszügen ihnen doch wieder nah. Den Neffen glaubte er zu kennen, wie nur je Einer sein Fleisch und Blut; wie man Den nur kennt, den man aufwachsen sah und über dessen Charakterbildung aberhundert Familienbriefe berichtet haben. King Eduard schwor darauf: Kaiser Wilhelm der Zweite führt keinen Krieg; will als Friedenswahrer im Gedächtniß der Menschen fortleben. Den Intimsten hat ers gesagt. Die Anderen mit der Furcht vor dem Kriege geködert. Er hatte Wilhelms Briefe an die beiden Victorien und an die Prinzessin Waldemar gelesen, die unter vier Augen recht herben Urtheile des Oberhofmeisters Grafen Seckendorff (dessen Korrespondenz nicht ans Licht kommen wird) gehört; und blieb bei der Diagnose: Mobil macht er nicht. In dieser Zuversicht that er nach dem Doggerbank-Aerger, als müsse morgen die Nordsee sich mit dem Saft germanischer Adern färben; bot er, der doch wußte, daß unter dem Union Jack das Schiffsgeschütz veraltet war und daß aus Schleswig-Holstein kein Tommy Atkins lebend heimkehren werde, zweimal den Franzosen Waffenhilfe an; ließ sie, durch seinen Vertrauensmann Sir Donald Mackenzie-Wallace, noch in Algesiras ermahnen, vom Wimpel ihrer Wünsche nicht den winzigsten Fetzen abschneiden zu lassen. Jahre lang saß er fest in diesem Glauben. Trieb seine persönliche Politik wie einen Sport. Freute sich höchst königlich an der Wirkung eines Bluff und lähmte gerade an den wichtigsten Stellen die deutsche Diplomatie durch ein listiges Zwinkern, das sprach: Laßt Euch, um Gottes willen, nicht einschüchtern; hinter noch so hart klingender Rede steht nicht der Wille zum letzten Mittel der Völker, der Könige; der Neffe, den ich bis ins Beinmark kenne, fuhrt keinen Krieg.

Noch im Jahr der österreichischen Balkanannexion sprach er so. Dann kam der Märzabend, an dem Rußlands Militärbevollmächtiger in Wien hörte, die Mobilmachung sei für den Nothfall angeordnet und die deutsche Wehrhilfe für den Tag, der Rußland als Waffengefährten Serbiens sähe, unzweideutig zugesagt. Kam die Stunde, da der von dem wiener Offizier gewarnte Minister Iswolskij den Grafen Pourtalès ersuchte, in Berlin eine versöhnliche Intervention zu empfehlen. Eduard traute dem Ohr nicht. Mußte dreifach bestätigter Meldung schließlich doch glauben. Und gab, fast am selben Tag noch, die persönlichste Partie als verloren auf. Wenn Deutschland sich wieder erinnert, das jedes Bronzegeschütz Fritzens von Preußen die Inschrift »Ultima regis ratio« trug, ist es sehr stark. Wer wird, nach dem Zusammenbruch der französischen Militärpartei, nach Mukden und Tsushima, ein Reich herauszufordern, nur zu kitzeln wagen, das vier Millionen muthiger Männer ins Feld schicken kann und, wenn Ehre auf dem Spiel steht, schicken wird? Kein halbwegs vorsichtiger Spieler setzt große Summen auf Zéro. Auch ist den noch nicht gesättigten Partnern im Augenblick nichts Greifbares zu bieten. Ließe Britanien den Landbesitz oder das Meerengenrecht der im Reformrausch schwelgenden Türkei kürzen, dann hätte es in Indien das Mohammedanergewimmel auf dem Hals. Dessen Athmung schon unbequem genug ist. Und die Hauptsache: der Gegner, auf dessen Nervenart der King eingespielt ist, hat die Karten abgegeben. Der Neffe hat aus schmerzlichem Erlebniß gelernt, daß der gekrönte Vertrauensmann der Nation nicht ihr sichtbarer, haftbarer Geschäftsführer sein kann. Seitdem hat der König nur noch an Friedensstiftung gedacht.

Eduard der Siebente, der Sohn des Koburgers, der Enkel einer Sachsenprinzessin, war nie ein Feind deutschen Wesens. Als Brite wußte er, daß England die Seegewalt und die Vormachtstellung in den islamischen Ländern nicht aufgeben darf, wenn die Wurzel seiner Kraft nicht verdorren soll. Als Patron des Sir John Fisher kannte er die Meinung englischer Marinetechniker: Nur die Dreadnoughts entscheiden, nicht unsere Armada von vorgestern, im künftigen Krieg; und unserer Dreadnoughtstärke kann Deutschland bald höllisch nah sein. Als Geschäftsmann sagte er sich, daß die dreiundsechzig Millionen deutscher Menschen eine Niederlage ihrer Flotte und den Verlust ihrer Kolonien nicht sanftmüthig hinnehmen würden und daß Großbritanien, der Markt und das Ausgleichskontor der bewohnten Erde, ein Jahrhundert steter Kriegsdrohung selbst nach einem wuchtigen Sieg nicht ertragen könne. Deshalb wollte er die Verständigung über den Umfang der Seewehr, nicht den Waffengang. Der Feind seines Neffen? Vielleicht wären die beiden Temperamente, die, so lange das jüngere gährte, nicht mit einander zu hausen vermochten, eines Tages zu leidlicher Eintracht gelangt. Als der Onkel so alt war, wie der Neffe jetzt ist, hatte man viel von seinem Irrlichteliren, doch aus seinem Mund nie ein ernstes Wort über die großen Gegenstände der Politik vernommen und nicht das kleinste Symptom ließ ahnen, daß da ein Staatsgeschäftsmann von klarem Thatsachensinn und sicherem Augenmaß erwachse. Wie hätten die Nekrologe gelautet, wenn Eduard als Fünfziger, als Sohn der lebenden Queen gestorben wäre?

Der Feind seines Neffen? Nach den dunklen Novembertagen des Jahres 1908 hat Eduard sich, halb nur im Scherz, den ehrlichsten Freund und besten Erzieher des Jüngeren genannt. Mild waren die Pädagogenmittel nicht, mit denen er ihn zwei Jahrzehnte lang behandelte; nicht eines zärtlichen Oheims. Daß er auf den Neffen gewirkt hat, ist nicht zu leugnen. Heftigen Sinn, mochte er denken, sänftigt nur hartes Erlebniß.

 

Als einen »recht wohlerzogenen, durch seinen Vater etwas erschreckten jungen Menschen« hat Chlodwig Hohenlohe den achtzehnjährigen Fürsten von Wales geschildert. Der Vater war, seit er, mit einer die besten Deutschen beschämenden Flinkheit, auf offenem Markt sich seiner Nationalität entkleidet und den Britenleun mit Schmeichelreden gefüttert hatte, zu politischer Macht gelangt; trotz eiferndem Mühen aber dem Volk nicht ein Liebling geworden. Auch die in Europa regirenden Häupter blickten meist mißtrauisch auf den hochmüthigen Schulmeister. Der, raunte die Hoflegende, ist gar kein richtiger Koburger; seine Mutter, Luise von Sachsen-Gotha (von der sein Nominalvater, Herzog Ernst der Erste von Sachsen-Koburg und Gotha, sich sieben Jahre nach Alberts Geburt scheiden ließ), hatte sich bald nach der ersten Entbindung einem jüdischen Theatermenschen geschenkt; und als für Victoria von Großbritanien ein Mann gesucht wurde, empfahl Onkel Leopold gerade deshalb, nicht Ernst, sondern Albert, den jüngeren Bruder des koburgischen Thronfolgers, zu wählen. »Victoriens Mutter ist eine Koburgerin; zu viel Blut der selben Sorte verdirbt uns die Rasse: also lieber den Sprößling d'un autre canapé ins schwere Amt des Prinz-Gemahls lotsen.« Klatsch? Je hastiger Albert sich entdeutschte, desto lauter sprach Englands alter Adel von semitischer Anpassungfähigkeit; und wenn Albert Eduard die Hirsch, Rothschild, Cassel, Beit begünstigte, hieß es: »Die Abstammung verleugnet sich nicht.« Zwischen Vater und Sohn ist es nie zu wirklicher Intimität gekommen. Daß Mama, die für ihre battenbergischen Hätschelkinder stets eine offene Hand hatte, ihrem Aeltesten niemals auch nur mit einer Guinee aus der Klemme half, war gewiß auch eine Folge der Erziehunglehre, die der kleindeutsche Pedant nach Windsor gebracht hatte. Der Fürst von Wales ist, mit einer Jahreseinnahme von ungefähr zwei Millionen Mark, besser gestellt als andere Kronprinzen. Für Einen, der gern spielt und hohen Einsatz wagt, reichts natürlich nicht aus. Berty kam oft in Verlegenheit und aus solcher Noth in manche Freundschaft, die er sonst wohl gemieden hätte. Nach der déveine im budapester Klub mußte Franz Joseph, um den Skandal zu ersticken, tief in die Tasche greifen. Dennoch blieb Berty drinnen und draußen beliebt. Warum soll er nicht, so lange sein Lämpchen glüht, sein Leben genießen? Er hat echt englischen Menschenverstand, läßt sich nie auf einem Taktfehler ertappen, weiß genau, wann er sich feierlich, wann zwanglos zu geben hat, und ist ungemein liebenswürdig. Für einen bedeutenden, auch nur für einen politisch weitsichtigen Mann hielt ihn kaum Einer. Noch den vom Erfolg gekrönten König durfte man in der Fürstensphäre nicht allzu hitzig rühmen: sonst antwortete ein ironisches Lächeln. »Ein alter Spieler, der, weils ihm nicht an den Kragen gehen kann, nicht leicht die Ruhe verliert. Ohne andere Leidenschaft. Seit ihm Spiel und Sport keinen Spaß mehr macht, auch für einen im Purpur Thronenden nicht passend scheint, muß Diplomatie ihm das Vergnügen rüstigerer Jahre ersetzen. Irgendein politisches Programm hat er nicht. Der Neffe hat ihn durch schroffe, schnell über den Kanal getragene Worte über Weiber- und Kartengeschichten verletzt, durch olympisches Wesen geärgert. Den will er schlagen. Wenn diese Partie gewonnen ist, zieht er sich wieder ins behagliche Wohlleben des Feinschmeckers zurück.« Bis ins Jahr 1905 wurde so geurtheilt. Seitdem nur noch von unzulänglich Informirten oder Voreingenommenen. Der König, der dem Botschafter Paul Cambon gegen jede Gefahr Beistand zusagte und Sir Donald Mackenzie Wallace als seinen Vertrauensmann (und Instruktor Nicolsons) nach Algesiras sandte, der zwischen Tokio und Petersburg, Tokio und Washington klug und leis vermittelte, hatte selbst dem sprödesten Zweifler den begründeten Anspruch auf den Titel eines Staatsmannes erwiesen.

Ohne Programm? Als ein von Roms Zauber geblendeter Deutscher Kaiser vor Mailand stand, fragte Johannes von Salisbury, der in Frankreich erzogene Scholastiker und Sekretär des Kanzlers Becket: Quis Teutonicos constituit judices nationum? Deutschland darf nicht Weltrichter sein, nicht, wie Wilhelm verlangt hat, an jeder Entscheidung mitwirken, nicht einmal auf dem europäischen Festland die Hegemonie haben: Das war Eduards Programm. Dem hat er Anhang gesucht und gefunden. Wer ihn als gewandten Routier von großer Erfahrung und nützlicher Personalkenntniß hinstellt und ihm den Schöpferkopf abspricht, unterschätzt den King. Die wichtigsten Wendungen neubritischer Politik waren das Werk seines Willens: die Verträge mit Japan und mit der Französischen Republik. Um sie schließen zu können, mußte er das Vorurtheil seiner Landsleute sacht überwinden; den Rassestolz der Weißhaut, die sich aus verächtlichem Ekel von dem Farbigen wegwendet, und den schwerblütigen Ernst des Angelsachsen, der in dem Franzosen lange nur einen brauchbaren Modisten und amüsanten Windmacher sah. Das ist ihm gelungen. Die Wurzeln unserer Kraft, sprach er zu den Treusten, sind gefährdet; wollt Ihr sie schützen, den Vorsprung unseres Handels, die Seeherrschaft unserer Flotte, das Uebergewicht in den islamischen Ländern sichern, dann müßt Ihr Euch ins Unvermeidliche schicken und die gestern von oben herab Angesehenen morgen zu Bundesgenossen küren. Kalifornien und die Amurprovinz, Tongking und Madagaskar sind von den Japanern bedroht; und wer heute Frankreich hat, kann morgen Rußland haben. Wollt Ihr warten, bis Beide von unserem Todfeind umgarnt sind? Nein. Die Angst, von Deutschlands Gnade abhängig zu werden, scheucht in die Gemeinschaft mit den Männern von Nippon und Lutetia. So entstand Eduards antideutscher Trust. Im europäischen Südosten blieb ein Loch, im Westen eine schwache Stelle. Oesterreich-Ungarn wollte sich noch nicht von Deutschland trennen, Frankreich nicht dem ersten Feuer deutscher Geschütze ausgesetzt sein. Das war die Sorge der letzten Jahre. Oesterreich sollte durch den im Monat der Annexion zusammengebündelten Zorn eingeschüchtert und aus gefährlicher Sozietät gedrängt werden. Dann konnte der king-peacemaker den Deutschen, zunächst noch ohne Antastung des Frankfurter Friedens, die Franzosen versöhnen. Wie wärs mit einer anatolischen Entschädigung für den Ansehensverlust, den Marokko gebracht hat? Dann gerathen, ehe der Weiße Zar wieder mit starker Hand nach dem Bosporus langen kann, in Südosteuropa die Dinge in Fluß. Eine deutsche Parzelle in Anatolien: das beste Mittel, dem Reich Wilhelms, vor dem Auge der Mohammedaner, den Nimbus uneigennütziger Freundschaft zu nehmen, die drei Kaiserreiche einander zu entfremden, Britanien und Rußland in gemeinsamer Eifersucht noch fester zu verbinden. Und ist Frankreich versöhnt, dann kann Deutschland von ihm nicht die Kosten verlorener Seeschlachten eintreiben. Ein von verschmitzter Spielkunst ersonnener Plan, der mit dem Temperament und den Nerven eines bestimmten Partners rechnet. Der aber rückt nun seinen Stuhl plötzlich vom Tisch weg. Im November 1908 entschließt Wilhelm sich, nicht mehr Geschäftsführer des Reiches zu sein. Mit dreiundsechzig Millionen deutscher Menschen ist nun zu rechnen. Die werden, wenns nicht anders sein kann, das Schwert ziehen; selbst wenn das Eisen nur bestimmt scheint, Oesterreichs bosnischen Schmerz zu heilen. Rußland kann nicht, Frankreich will nicht fechten. Franz Joseph hat Eduards Wunsch, in Berlin die Kontingentirung der Seemacht zu empfehlen, die Erfüllung versagt (»Ich weiß, daß ich mir heute einen Feind gemacht habe, aber ich konnte nicht anders«) und in genirter Haltung sitzen, mit umdüsterter Stirn, die Kaiser von Oesterreich und von Indien in der ischler Villa bei dem Mahl, an dessen Schluß Macédoine de fruits en petits verres aufgetischt wird. Auch im marienbader Hotel Weimar verdarb die Hexe Politik dem dicken König ein Essen; und Herr Clemenceau, der Gast Seiner Majestät, wurde beim Kaffee auf dem Balkon so lebhaft, daß die Zuschauer merkten: da oben wird ein Antrag abgelehnt. Rien ne va plus. Was nützt den Briten das dichteste Bündnißgesträhn, wenn keiner der Verbündeten auf dem Festland für sie kämpfen will? Eduard preßt den Leib in die Uniform der Gardedragoner und fährt (endlich) mit seiner Frau nach Berlin. Der Sonderzug hält vor der Bahnhalle, der ganze Hof muß sich in Trab setzen, um die hohen Gäste nicht allzu lange ohne Willkommensgruß zu lassen, Galakutschenpferde scheuen und bäumen sich, die Kaiserinnen Alexandra und Auguste Victoria müssen auf offener Straße in einen anderen Wagen umsteigen, dessen Lenker dann nicht weiß, vor welches Schloßportal er fahren soll. Doch Eduard lächelt und tröstet den von Wilhelms Spott derb gezausten Oberstallmeister Freiherrn von Reischach. Geht ins Rathhaus, giebt sich artig, klug, taktvoll und einfach; und sagt so ruhig, als könne kein Mensch an der Aufrichtigkeit seines Wollens zweifeln, er strebe nach einem guten, herzlichen Verhältniß zu Deutschland. Im Schloß meidet er jedes politische Gespräch; läßt nur in der Abschiedsstunde den Satz von der Lippe, Deutschlands Flottenbau sei, bei dem schnellen Wachsthum seines Ueberseehandels, begreiflich und kein Grund zur Feindschaft. Die Deutschen scheinen nicht unversöhnlicher als die Buren, die ihm den größten Randdiamanten geschenkt haben. Und in der Wilhelmstraße wird just der Vertrag unterzeichnet, der ihnen Marokko sperrt; muß so hastig unterzeichnet werden, damit der King fröhlich schmunzle.

Daß der lange vergebens Erwartete gerade den Tag, der einer zwiespältigen und drum kraftlosen Politik das papierne Denkmal gab, in Berlin verlebte, war sein letzter Witz. Seit er nicht mehr gegen Wilhelm, dessen Temperament er durchschaute, spielen konnte, hat er keinen neuen Stich gemacht.

Im Buckingham-Palast, wo die Wehmutter ihn dem Schoß Victoriens entbunden hatte, ist er gestorben. Daß sein Name an die traurigsten Tage neudeutscher Geschichte erinnert, darf uns nicht verleiten, ihn gering zu schätzen noch gar zu schmähen. Britaniens Vortheil hatte er, nicht Deutschlands, zu wahren. Und für sein Land hat er viel erwirkt. Versöhnung der Buren, Friede von Portsmouth, Algesirasakte, franko-deutscher Vertrag vom neunten Februar 1909; anglo-japanisches, franko-britisches Bündniß, anglo-russische Verständigung; Renaissance der turko-britischen Freundschaft. Auf solchen Ertrag neunjährigen Regentenlebens durfte er stolz sein. Auf höheren freilich kaum noch hoffen. Seit der Kampf gegen das Vetorecht des Oberhauses begonnen hatte und die liberale Regirung sich nur noch künstlich, mit irischer und sozialistischer Hilfe, hielt, war Britanien gelähmt (und deshalb der Erdball so ruhig wie ein von alten Karpfen und Schwänen bewohnter Schloßteich, dessen Frieden kein Hechtjüngling stört). Diese Reichskrankheit hätte auch Eduard nicht zu lindern vermocht. Er kannte Englands Geschichte und wußte, daß er nicht wagen dürfe, für oder gegen die Lords Partei zu nehmen. Das Inselreich unfähig zu jeder ernsten Aktion. Der Spielgegner, an den er gewöhnt war, nicht mehr von der Partie. Der König fand sein Leben langweilig und ging ins Ausland. Sollte er den Sieg der Konservativen wünschen? Die brachten (außer Lansdownes Eifersucht, die entschlossen schien, königliche Ingerenz abzuwehren) die Forderung der Tarifreform ins Kabinet. Und Eduard war überzeugt, daß Deutschland die Einführung britischer Schutzzölle mit der Kriegserklärung beantworten werde. Ließ sichs nicht ausreden; trotzdem Wilhelm laut protestirte und eines Tages sogar durch den Mund Alfreds Beit in London melden ließ, das Deutsche Reich denke nicht daran, einer Großmacht den Uebergang in ein Handelssystem zu wehren, das es vor dreißig Jahren selbst für sich gewählt habe. Worte, sprach der Onkel mit listigem Lächeln, sind keine Bürgschaft gegen Lebensgefahr. Vor Rußlands Genesung und vor der deutsch-französischen Versöhnung konnte er keinen Krieg wünschen (denn England hätte auf dem Kontinent keinen Degen, Deutschland in West und Ost Geiseln gehabt). Die Vernichtung der deutschen Flotte, die Besetzung der deutschen Kolonien schien allenfalls möglich; noch nicht die bewaffnete Intervention, die dem Deutschen Reich die Grenzen schließen würde. Dem Sieg, der die Deutschen schwächen, nicht in Ohnmacht pferchen konnte, folgt rasch die Vorbereitung zum Rachefeldzug; und ein Jahrhundert steter Kriegsgefahr kann das Weltclearinghouse nicht ertragen. Wenn auf die Leute im fatherland nicht durch Schmeichelrede und Einschüchterung, durch Finten und Bluffs zu wirken ist, wird der Fall schwierig; muß man versuchen, auf geradem Weg mit ihnen ins Reine zu kommen' Doch sie zaudern immer wieder vor dem Entschluß; ihr Tirpitz fordert immer neue Fristverlängerung; und Sir Ernest Cassel kann schließlich auch nur berichten, daß der Kaiser von dem Kontingentirungplan nicht mehr so abgeneigt ist wie im Jahr 1908, als er Hardinges Fühlfäden im Taunus mit rauher Hand zerriß. Im Großen ist also nichts zu vollbringen; und was im Kleinen anzufangen war (Bagdadbahn, Euphrat-Tigris, Abessinien), ist längst geleistet. Eduards Arbeit war gethan. Seine Fortuna wurde runzelig. Dieser König von England, Kaiser von Indien ist nicht zu früh gestorben.

 

Er hat einen neuen Monarchentypus geschaffen. Den König, der die Kundschaft besucht, den Konkurrenten die Hölle heizt und von jeder Reise einen münzbaren Geschäftsabschluß heimbringt, hatte man bis ins Jahr 1902 nicht gekannt. Eadweard: so hießen die Angelsachsen einst den Verwalter des Gemeinbesitzes. Edward hat seinem Namen Ehre gemacht; hat das Nationalvermögen gehütet und gemehrt. Einen emsigeren Handlungreisenden, einen tüchtigeren Kaufmann gab es im weiten Gebiet des Vereinigten Königreiches nirgends. Die Krone setzte er nur auf, wenns durchaus sein mußte. Er hatte mit Menschen aller Rangklassen, Stände, Berufsarten verkehrt, sich oft durch Fährniß, die Kronprinzen sonst erspart bleibt, gewunden, Geldhändlern und Industriekapitänen nicht nur die Alltagskniffe abgeguckt und die Welt aus dem Auge des wohlhabenden Gentleman betrachten gelernt. Fand sich überall schnell zurecht. Ob er mit dem schwerfälligen Selbstherrscher Alexander oder mit dessen wandelbarem Sohn, mit Inderfürsten oder mit Yankees, mit dem hitzigen Delcassé oder mit dem witzigen Clemenceau zu thun hatte: immer traf er den richtigen Ton. Konnte majestätisch wie ein alter Hispanierkönig und bummellustig wie der skrupelloseste Pariser sein. Natürliche Liebenswürdigkeit und sicheres Taktgefühl halfen ihm vorwärts. Und keine der Fesseln, die den im Purpur Geborenen an die Ehrwürde überlieferten Brauches binden, umschnürte ihm die Gelenke. Daß sein zweiter Sohn (der jetzt König und Kaiser ist) eine Unebenbürtige zur Frau nahm, sah er ohne Groll. Nur nicht veralten; wer in schimmelndem Plunder regirt, wird nicht viel ausrichten. Das Imperatorische versteht sich, wie das Moralische, von selbst; bleibt hübsch einfach; der Mittelschicht moderner Menschheit nah; und spart die Ceremonien für die hohen Staatsfeiertage. Sein Land hat Eduard redlich geliebt und seines Landes Vortheil auch im Gewölk stets klar erkannt. Keinen Landsmann je gekränkt, keine Klasse oder Partei zu Unmuth noch gar zu Haß gereizt. Und nie ein Verdrußfältchen gezeigt, wenn auf dem Rennplatz, bei der Regatta, am Spieltisch ein Anderer reichere Beute eingeheimst hatte als der Fürst von Wales, der König.

Ein Glücklicher. Seit er der engen Kinderstube entwachsen war, hat er sein Leben genossen. Das sahen die Briten gern. Ein mürrischer Knicker wäre nicht ihr Mann gewesen. Prinz Berty, der gut aß, gut trank, sich beim Derby und Golf vornan hielt, die Saisonmode bestimmte, gefiel ihnen; daß er ein Bischen hastig hinter den Schürzen her war und sich mit Schmierigen Leuten manchmal zu tief einließ, dünkte sie kein Unglück. Er zog den Kopf ja immer noch zu rechter Zeit aus der Schlinge: und gab dem fröhlichen England dann neuen Anlaß zu munterem Schmunzeln. Der älteste Sohn starb ihm. Der wäre, mit häßlichen Wesenszügen, nie ein guter König, dem Vater auch nie eine Freude geworden. Seitdem hat kaum je noch eine Wolke den Himmel des Kronprinzen verhängt. Als König schritt er durch Glanz und Wonnen. Schob den feisten Leib nie vor das Gitter, dessen Stäbe die Verfassungschützer mißtrauisch bewachen. Schien nur seinem Vergnügen zu leben und mehrte durch Arbeit, die er den Blicken barg, dennoch den Reichsbesitz. Spendete den Landsleuten neue Sportfreude: die Lust an dem Kampf zwischen Onkel und Neffen. Die populärste Gestalt im Weltreich. Dem Liebenswürdigen, der sich im Nothfall selbst ohne Schonung bespöttelte, konnte auch der von ihm Geschädigte nicht lange zürnen. Als neuer Gewinn in naher Zeit nicht mehr zu hoffen war, legte Eduard sich hin und starb; nach kurzen Stunden sanften Schmerzes. Er hat das Leid unfruchtbaren Trachtens nicht erlebt. Ein Glücklicher. Den an jedem dunklen Tag der Britengeschichte die Sehnsucht des Volkes, einer über den Erdball wimmelnden Menschheit, zärtlich zurückwünschen wird.


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