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Kaiserin Augusta.

Am siebenten Januartag des Jahres 1910 mußte der Kalender uns an die Thatsache erinnern, daß zwei Dezennien verstrichen waren, seit die Frau des ersten Kaisers im neuen Reich starb. Wir hättens vergessen. Die Gestalt dieser Kaiserin warf keinen Schatten mehr. Dann aber, vor des Kalenderblattes Mahnung, glitten allerlei Visionen und Gedächtnißbilder durch das Bewußtsein. Ein Leben, das fast achtzig Jahre währte; die Gefährtin Eines, der im Glanz des Gelingens, im Gehege zärtlicher Liebe greiste: und dem Volksempfinden dennoch niemals nah. Leise immer gehaßt. Zuerst als die Enkelin des tollen Kaisers Paul, dessen Despotenlaune sie im Hirn des Prinzen von Preußen neu zu gebären wünsche; dann als des Kanzlers mächtigste Feindin. Dreimal sah sie aus siegreichem Feldzug heimkehrende Truppen salutiren; und als sie am sechzehnten Juni 1871 auf dem Schloßbalkon, dem Fritzendenkmal Rauchs gegenüber, vor dem Halbkreis der Prinzessinnen und Hofdamen saß und die Degen und Bayonnettes mit sommerlich blühendem Danke kränzte, durfte sie hoffen, endlich im Herzen der Nation, als Sechzigjährige endlich eine sichere Wohnstatt erworben zu haben. Mußte das Adorantensehnen des Volkes nach solchem Erlebniß nicht in demüthiger Inbrunst die Hochgestalt der zwiefach gekrönten Frau umklammern? Nach einer Dekade rauher Männerherrschaft nicht aus den Luisentagen den Kult des Ewig-Weiblichen zurückwünschen, das eine in Schönheit alternde Kaiserin, die erste im neuen Reich, ihm verkörpern konnte? Die Hoffnung trog. Von all dem festlichen Schimmer, dem wärmenden Glück, das die Erfüllung eines Traumwunsches im deutschen Land entstehen ließ, ward dieser Frau nichts. Und sie hatte sich, mit sichtbarer Wohlthätigkeit und illuminirter Pflege der Wissenschaften und Künste, beinahe übereifrig doch um die Volksgunst bemüht. Vergebens. Weil moskowitisches Tyrannenblut sie der Heimat entfremdete? Das log die Legende. Hat in Augustens Wesen je ein Zug an Paul Petrowitsch erinnert? Schon ihre Mutter, Maria Paulowna, war, als Großherzogin von Sachsen-Weimar, eine gute Deutsche und, in Goethes Atmosphäre, die humane Schützerin freier Geister geworden. Im März 1831 kam Eckermann mit dem Angebot zweier Stipendien zu Goethe. Die Großherzogin spendete tausend Thaler zur Ausbildung kräftiger Schauspieltalente und versprach, den besten deutschen Schriftsteller, der, ohne Amt und Vermögen, in der Sorge um den Erwerb die Arbeit übereilen müsse, nach Weimar berufen und in eine behagliche Lage bringen zu lassen. (Goethes Antwort giebt so viel von dem Mann und seiner Greisenstimmung, daß sie hier stehen mag. »Die Intention der Frau Herzogin ist wahrhaft fürstlich und ich beuge mich vor ihrer edlen Gesinnung; doch es wird sehr schwer halten, irgendeine passende Wahl zu treffen. Die vorzüglichsten unserer jetzigen Talente sind bereits, durch Anstellung im Staatsdienst, Pensionen oder eigenes Vermögen, in einer sorgenfreien Lage. Auch paßt nicht Jeder hierher; und nicht Jedem wäre damit wirklich geholfen. Ich werde aber die edle Absicht im Auge behalten und sehen, was die nächsten Jahre uns etwa Gutes bringen.«) Der Plan könnte auch im Sinn der Prinzessin Augusta gereift sein, die damals schon Wilhelms Frau war und ihren Knaben im Schoß trug. Die erste und die letzte wichtige Aeußerung, die wir von ihr kennen, haben den selben weimarischen Ton. An den Major Albrecht von Roon, des Prinzen Friedrich Karl »militärischen Begleiter«, der ihr über das Wollen und Denken des Jünglings berichtet hat, schreibt sie im Dezember 1846: »Das Ziel der Erziehung läßt sich wohl einfach mit den Worten bezeichnen: preußische Prinzlichkeit in deutsche Fürstlichkeit zu verwandeln. Die Aufgabe jeder Erziehung ist und bleibt, den Menschen dem Leben entgegenzubilden; und der Mensch in dieser höchsten Auffassung des Ausdruckes ist den fürstlichen Häusern nöthig, da der persönliche Werth eine Hauptstütze ihrer Macht geworden ist.« Und zweiundvierzig Jahre danach schreibt sie, wieder im Christmonat, an Bismarck: »Lieber Fürst! Wenn ich diese Zeilen an Sie richte, so ist es nur, um an dem Wendepunkt eines ernsten Lebensjahres eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen. Sie haben unserem unvergeßlichen Kaiser treu beigestanden und meine Bitte der Fürsorge für seinen Enkel erfüllt. Sie haben mir in bitteren Stunden Theilnahme bewiesen. Deshalb fühle ich mich berufen, Ihnen, bevor ich dieses Jahr beschließe, nochmals zu danken und dabei auf die Fortdauer Ihrer Hilfe zu rechnen, mitten unter den Widerwärtigkeiten einer vielbewegten Zeit. Ich stehe im Begriff, den Jahreswechsel im Familienkreise still zu feiern, und sende Ihnen und Ihrer Gemahlin einen freundlichen Gruß. Augusta.« Das klingt gar nicht russisch. Klingt, als komme es aus der Tiefe eines sanften Frauengemüthes, so mild, daß man kaum noch begreift, warum diese weibhaft gütige Kaiserin dem sehnsüchtigen Volksgefühl fremd bleiben mußte.

Ihr Verhängniß war, daß jede Schicksalsstunde sie auf der falschen Seite fand. Wenn sie, nach dem achtundvierziger Märzsturm, ihren Willen durchgesetzt hätte, wäre Wilhelm nicht zur Regirung gekommen; dem vierten sogleich der fünfte Friedrich Wilhelm gefolgt. Weder ihr Schwager, meinte sie, noch ihr Mann könne sich auf dem Thron halten; ihr aber bleibe die Pflicht, die Rechte ihres Sohnes zu wahren, während dessen Minderjährigkeit sie die Last der Regentschaft tragen wolle. Sie selbst hat (in einem Dienerzimmer des potsdamer Stadtschlosses, aus dem ihre Angst den Mann in die sichere Einsamkeit der Pfaueninsel getrieben hatte) diese Absicht Herrn von Bismarck-Schönhausen nur angedeutet. Dann, um aus dem Verdacht reaktionärer Gesinnung erlöst zu werden, den Weg ins Lager der Fortschrittspartei nicht gescheut. Als im erfurter Hôtel des Princes Georg von Vincke den schönhauser Kollegen für den Regentschaftplan zu gewinnen versuchte, erhielt er die Antwort, wer solchen Antrag stelle, möge sich darauf gefaßt machen, daß Bismarck gegen ihn ein Strafverfahren wegen Hochverrathes fordere. »Von diesem Vorgang und von der Aussprache, welche ich von seiner Gemahlin während der Märztage in dem potsdamer Stadtschlosse zu hören bekommen hatte, habe ich dem Kaiser Wilhelm niemals gesprochen und weiß nicht, ob Andere es gethan haben. Ich habe ihm diese Erlebnisse verschwiegen auch in Zeiten wie die des vierjährigen Konfliktes, des österreichischen Krieges und des Kulturkampfes, wo ich in der Königin Augusta den Gegner erkennen mußte, welcher meine Fähigkeit, zu vertreten, was ich für meine Pflicht hielt, und meine Nerven auf die schwerste Probe im Leben gestellt hat.« (»Gedanken und Erinnerungen.«) Vergessen hat der Altmärker das grasse Erlebnis niemals; auch nicht in den Zeiten augustischer Gunst. Die hats wirklich gegeben. »Bei der Prinzessin von Preußen stand ich bis zu meiner Ernennung nach Frankfurt so weit in Gnade, daß ich gelegentlich nach Babelsberg befohlen wurde, um ihre politischen Auffassungen und Wünsche zu vernehmen, deren Darlegung mit den Worten zu schließen pflegte: ›Es freut mich, Ihre Meinung gehört zu haben‹, obschon ich nicht in die Lage gekommen war, mich zu äußern.« In den frankfurter Briefen an Gerlach finden wir den Seufzer: von einem »Wechsel der Umgebung des Prinzen von Preußen« (der in der rheinischen Luft, nach dem Vorurtheil entsetzter Patrioten, zum liberalen Russenfeind und Freimaurerfreund geworden sein sollte) sei nichts Dauerndes zu hoffen, weil »die wirklichen Influenzen unabsetzbar sind«. Und, nach dem frostigen Empfang in Stolzenfels, die Sätze: »Einen etwas bitteren Nachgeschmack hat mir das erste Debüt meiner armen Frau am Hof hinterlassen. Seine Majestät ignorirten sie vollständig, auch als wir en très-petit comité einige Stunden lang auf dem Dampfschiff zusammen waren; die Königin war leidend und hatte daher nicht viel für sie übrig; und die Prinzessin von Preußen behandelte sie mit gesuchter Zurücksetzung, während alle übrigen Gesandtenfrauen sich des Sonnenscheins der Gnade der Herrschaften in hohem Maße erfreuten. Wenn auch der Prinz von Preußen mit großer Liebenswürdigkeit sich der merklichen Verlassenheit meiner Frau annahm, so kam doch ihr unverdorbener hinterpommerscher Royalismus etwas thränenschwer aus dieser Probe zurück.« Noch 1860 stimmt Augusta den König für Schleinitz (»ihr Geschöpf, einen von ihr abhängigen Höfling ohne eigene politische Ueberzeugung«) und gegen Bismarck. Den sie im nächsten Jahr dann, während der Krönungfeste in Königsberg, mit so auffälliger Huld auszeichnet, daß es ihrem Mann, der nicht wieder »in eine reaktionäre Beleuchtung« gerathen möchte, zu viel wird. Am achten Oktober 1862 wird Bismarck, der schon vierzehn Tage lang den Fürsten von Hohenzollern vertreten hat, zum Ministerpräsidenten ernannt. Sitzt er nun fest in Augustens Gunst? Der Streit um die Elbherzogthümer lehrts ihn erkennen. Mit eifernder Heftigkeit kehrt die Königin sich gegen ihn; malt dem König die Schrecken der Kriegsgefahr und stöhnt, da sie ihn nicht aus dem Entschluß locken kann, wie über persönliche Kränkung. Sie wäre, wenn Bismarck auf Vincke gehört hätte, nicht Königin geworden; nicht Königin geblieben, wenn Bismarck nicht am zweiundzwanzigsten September 1862 das Abdankungprojekt aus Wilhelms Hirn gerodet hätte. Scheint ihn dennoch zu hassen; wie Kriemhild den Tronjer, der ihr des Lebens Maienhoffnung gemordet hat. Im September 1869 schreibt Oberhofmarschall Graf Pückler an den Ministerpräsidenten: »Daß Eure Excellenz auch die Königin bezaubert, freut mich sehr; und würden einige nichtssagende Aufmerksamkeiten hinreichen, dies gute Vernehmen zu erhalten.« Zwei siegreiche Kriege, die der Dynastie Macht und Liebe geworben haben: und noch immer sind zur Sicherung guten Einvernehmens »nichtssagende Aufmerksamkeiten« nöthig. Bismarck taugt nicht zum Werkzeug fremden Wollens; weigert sich, Ansichten der hohen Frau als seine eigenen vor dem König zu vertreten; läßt sich auch im Drang nicht die Ueberzeugung ablisten. Bezaubert? Sicher nicht lange. In jeder Schicksalsstunde ist auch fortan Wilhelms Frau gegen ihn; und immer drum auf der falschen Seite. Das ward ihr Verhängniß.

Ihre eindringlichen Warnungen vor den Kriegen gegen Dänemark und Oesterreich waren als grundlos erwiesen. Das hatte ihr in Wilhelms Schätzung nicht geschadet noch sie selbst zu nüchterner Kritik der eigenen Urtheilskraft gestimmt. Im Sommer 1870 fing sie das Flötenspiel wieder an. Hielt, als die spanische Bombe schon geplatzt war, Benedetti Tage lang in Koblenz unter dem Strahl ihrer Gnadensonne und beredete mit diesem seltsamen Gast alle Möglichkeiten ehrbarer Verständigung. Der König (der ihr seit dem siebenten Juli über die pariser Vorgänge und über seine ersten Gespräche mit Benedetti berichtet hat) soll nachgeben; nicht mit dreiundsiebenzig Jahren noch einmal ins Feld ziehen und alles Errungene aufs blutige Spiel setzen. An dem Tag, da der Bundeskanzler den Freunden erklärt, seine Stellung sei schon dadurch unhaltbar geworden, »daß der König den Französischen Botschafter unter dem Druck von Drohungen während seiner Badekur vier Tage hinter einander in Audienz empfangen und seine monarchische Person der unverschämten Bearbeitung durch diesen fremden Agenten ohne geschäftlichen Beistand exponirt hatte«, schickt Augusta aus Koblenz ein exposé, das dem König sanftmüthige Nachgiebigkeit empfiehlt. Als die Pariser schon die von Bismarck redigirte Emser Depesche lesen, schreibt Wilhelm an die aufgeregte Frau: »Vielleicht läßt sich noch eine Vermittlung auffinden; aber nur eine, die nicht meine persönliche und die Ehre der Nation tangirt.« Als er die Kur abbricht und sich zur Fahrt nach Berlin bereitet, umgellt ihn die letzte Warnung der Geängsteten: nach Jena führe ihn, nach Tilsit sie Beide der Weg, wenn er nicht jetzt noch den Krieg vermeide. Den Krieg, dem, als einer nationalen Nothwendigkeit, in Nord und Süd die Deutschen entgegenjauchzen und dessen Möglichkeit den sonst so gelassenen Moltke zu dem Ausruf hinreißt: »Wenn ich Das noch erlebe, in solchem Krieg unsere Heere zu führen, mag gleich nachher die alte Carcasse der Teufel holen!« Augusta grollt. Fürchtet ein neues Jena. Das Herz der Königin ist nicht bei der deutschen Sache.

Aus der Erinnerung an diese Tage hat Bismarck ihr »Mangel an Nationalgefühl« vorgeworfen. »In ihr lebte ein Bedürfniß des Widerspruches gegen die jedesmalige Haltung der Regirung ihres Schwagers und später ihres Gemahls. In den Perioden, wo unsere auswärtige Politik mit Oesterreich Hand in Hand gehen konnte, war die Stimmung gegen Oesterreich unfreundlich und fremd; bedingte unsere Politik den Widerstreit gegen Oesterreich, so fanden dessen Interessen Vertretung durch die Königin, und zwar bis in die Anfänge des Krieges von 1866 hinein. Während an der böhmischen Grenze schon gefochten wurde, fanden in Berlin unter dem Patronat Ihrer Majestät durch das Organ von Schleinitz noch Beziehungen und Unterhandlungen bedenklicher Natur Statt … Der Kaiser hatte während der Belagerung von Paris, wie häufig vorher und nachher, unter dem Kampf zwischen seinem Verstand und seinem königlichen Pflichtgefühl einerseits und dem Bedürfniß nach häuslichem Frieden und weiblicher Zustimmung zur Politik andrerseits zu leiden. Die ritterlichen Empfindungen, die ihn gegenüber seiner Gemahlin, und die mystischen, die ihn der gekrönten Königin gegenüber bewegten, seine Empfindlichkeit für Störungen seiner Hausordnung und seiner täglichen Gewohnheiten haben mir Hindernisse bereitet, die zuweilen schwerer zu überwinden waren als die von fremden Mächten oder feindlichen Parteien verursachten.« Das sind harte Worte; und der grimmige Humor des Vereinsamten fand im Sachsenwaldhaus noch härtere. »Wenn ich ins Schloß trat, merkte ich bald, ob die Kaiserin anwesend oder verreist sei. War sie fort, dann athmete Alles leichter und die Diener (sie bevorzugte die dunkelhaarigen, fremdländisch aussehenden) schienen weniger genirt. Aber auch von Weitem ließ sie sich die Beunruhigung des alten Herrn angelegen sein. Und wo mir was Bitteres eingerührt wurde, hatte sie sicher die Hand am Löffel. Um mich zu ärgern, befahl sie eines schönen Tages, den Ministerfrauen an der Hoftafel künftig schlechtere Plätze zu geben. Als Einer, der meiner ungehorsamen Gemüthsart Widerstand gegen diese Neuerung zutrauen mochte, mich vorsichtig sondirte, bekam er die Antwort: Meine Frau darf nicht schlechter placirt werden als ich; mir aber können sie jeden Platz anweisen, der Ihrer Majestät beliebt: wo ich sitze, ist immer ›oben‹. Seitdem hat sie den Versuch persönlicher Kränkung aufgegeben. Leider nicht die Einmischung in die Geschäfte, deren Zusammenhang und Bedeutung der ›Feuerkopf‹ (so nannte sie der Kaiser) doch nie begreifen lernte.« Die Beiden konnten einander nicht finden. Vierzig Jahre währte die Fehde. Und der Mann war der Frau nicht gerechter als die Kaiserin dem Minister.

Wir wissen wenig von ihr. Hörten, daß sie mit allerlei Talenten, musikalischem und literarischem, ans Licht dränge; sahen, daß sie das Welken ihrer Reize mit jedem erreichbaren Kunstmittel zu verbergen trachtete; und ließen uns, als sie tot war, von ihrem größten Feind ihres Wirkens Geschichte erzählen. Allen Gegnern deutscher Macht, deutscher Einheit still verbündet. Das Haupt heimlicher Nebenregirung. Des Kaisers Quälgeist. Ohne Nationalgefühl … War sie so schlimm? Sie kommt aus Weimar ins arme Preußen Friedrich Wilhelms des Dritten. Ist als Pauls launisches Enkelkind, als Goethes andächtig horchende Schülerin aufgewachsen. Wird einem Mann angetraut, in dessen Herz ein anderes Bild lebt und dessen bequeme Lust suchenden Sinnen sie viel, bis ins späte Alter, zu verzeihen hat. Daß sie ihm als Ehegefährtin so viel zu verzeihen hatte: klärt diese Tatsache nicht das dem ersten Blick so wunderliche Verhältniß der Gatten? Lehrt sie Den, der ihr nachdenkt, nicht verstehen, warum der sonst so schlicht männliche, soldatisch tapfere Wilhelm vor diesem Auge schüchtern, manchmal fast furchtsam ward und, weil er den Begriff der Treue anders empfand als die Frau, ihr, in Gewissensnoth, auch im Politischen öfter nachgab, als dem Staat frommen konnte? Sie muß neben einem Mann leben, der vom Wirbel bis zur Zehe Soldat ist, ohne tiefere Geisteskultur und ein Fremdling im Reich des humanistischen Ideals, das ihrer jungen Seele eingepflanzt ist. Hof und Adel ganz anders als an der Ilm; auch das Volk von gröberem Schlag. »Zur Nation Euch zu bilden, Ihr hofft es, Deutsche, vergebens; bildet, Ihr könnt es, dafür freier zu Menschen Euch aus.« Schiller, denkt die Prinzessin, sprach Wahrheit. Doch die Hoffnung, auf diesem starren Boden ein augustisches Alter erblühen zu sehen, muß sie früh schon bestatten. Zufrieden sein, wenn ihr gelingt, den Mann der Volkswuth zu entziehen und des Sohnes Anspruch zu wahren. Ists Todsünde, daß sie nach den Wonnen der Herrschgewalt langt? Daß sie den Mann hassen lernt, dessen Hünenleib ihr den Weg auf die Höhe sperrt? Der räth in jeder Fährniß zu blutigem Kampf: gegen die Revolution und gegen draußen lauernde Tücke. Der hat freilich keine Krone zu verlieren und kann im Toben den Muth kühlen. Augusta hat Bismarcks Genius wohl nie ganz erkannt; seinen Machtzuwuchs stets aus eifersüchtigem Auge gesehen. Weil sie sich nicht entschließen konnte, ihn grenzenlos zu lieben, und in gelassenem Gleichmuth neben Diesem Keiner zu wandeln vermochte. »Geworden ist ihm eine Herrscherseele und ist gestellt auf einen Herrscherplatz. Wohl uns, daß es so ist!« So empfand der nüchterne Wilhelm. Nie Wilhelms Frau. Die wollte im Diener keine Herrscherseele, auch im höchsten nicht, und hing an dem Glauben, daß Glück und Glanz auch in friedlicher Arbeit zu sichern sei. Der rechte Preuße lächelte spöttisch, wenn er solche Botschaft hörte; nur unter Mißvergnügten und Ausländern warb sie der Königin eine Gemeinde. Der Königin, die, lieblos, machtlos, in ihrem Hermelin fror. Alles hatte ihr Einer genommen. Den ersten Platz im Rath des Königs und im Gefühl der dankbaren Nation. Weder ihr noch dem Sohne nur den engsten Bereich gelassen, auf dem ernsthafte Arbeit möglich, der Trieb zur That dem Lande nutzbar zu machen war. Und just dieser Eine prägt ihr Bild ins deutsche Gedächtniß. Wie ers will, sieht Deutschland Augusten. Ists für hilflos irrendes Weibthum nicht Strafe genug?

 

Augusta gehört dem Reichsmythos. Blickt aus frommem Auge auf die prangende Spinnerin, deren furchtsame Klugheit den Walvater der Heldenzeit, weil er unter seinem Himmel ein Mann mit Mannessinnen blieb, zu schrecken vermochte!


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