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Herbert Bismarck.

Der fromme Eifer des weltfremden Landpastors, der berufen war, an der Bahre des zweiten Fürsten Bismarck zu reden, hat die Trauerpredigt an das Bibelwort von der Seligkeit Derer geknüpft, die von ihrer Arbeit ruhen und deren Werk den Leib überlebt. Der Sinn dieses Wortes aus der Apokalypse wird klarer, wenn man dem Hinweis auf die Stelle des Hebräerbriefes folgt, wo der Mensch gepriesen wird, »der ruhet von seinen Werken, gleich wie Gott von seinen«. Solcher Grabspruch ziemt einem thätigen Schöpferleben. Der arme Fürst Herbert, den am Herd nur, im Engsten, ein spätes Glück krönte, ward bis in die Gruft vom Mißgeschick verfolgt. An seinem Sarg stand, als Vertreter des Kaisers, der Generaloberst Hahnke, den er seit den Märztagen des Jahres 1890 haßte, stand, als Vertreter des Reiches, der Kanzler, den er schon längst nicht mehr liebte, längst nur noch als geschickten Redner gelten ließ. Und der Pfarrer, der ihm letzten Gruß nachrief, wählte, redlichen Willens, das unpassendste Leitwort, das in den Evangelienbezirken zu finden war. Welches Werk soll denn den Mann überleben, der niemals die Möglichkeit selbständigen Wirkens sah? Die Summe seines Lebens müßte gering scheinen, wenn sie aus seinen fortzeugenden Thaten errechnet würde. Ein Bossuet hätte an dieser Bahre ein besseres Motto erdacht. Hätte vielleicht, wie in der mächtig widerhallenden Rede, die dem Kanzler Le Tellier geweiht war, an Pauli Wort aus dem Ersten Korintherbrief erinnert: Unusquisque in qua vocatione vocatus est; und sicher, wie von Michel Le Tellier, von Otto Bismarck gesagt: »Nie wäre der Sohn von ihm für das Staatssekretariat vorgeschlagen worden, wenn er nicht geglaubt hätte, dem König einen guten Diener zu empfehlen.« Auch an die fast mephistophelische Frage des Matthaeus, wer seiner Länge wohl eine Elle zusetzen möge, konnte ein Frommer hier denken. Herbert Bismarck muß nach den Umständen beurtheilt werden, in die er hineingeboren war; und das Leid seines öffentlich sichtbaren Lebens wurzelte in der stets erneuten Forderung, er solle das Maß seines Wesens um eine Elle verlängern. Eine einfache, starke Seele hätte sich gegen solche Zumuthung früh gewehrt und sich selbst den Maßstab bestimmt. Das vermochte Herbert nicht. Er hat nie, nicht eine Minute, gewähnt, dem Genius des Vaters zu gleichen; doch ihm gelang auch nicht, sich als freie Persönlichkeit durchzusetzen. War er zu schwach? Persönlichkeit, sagt Emerson, ist, wie Licht und Wärme, eine Naturkraft; und müßte, denkt man hinzu, also auch im überragenden Schatten noch mählich wärmen und leuchten. Wenn ein auf des Lebens Höhe Gestellter dreißig Jahre lang von Freund und Feind völlig verkannt wird, kann der Kontur seines Wesens nicht scharf gezogen sein. Herbert Bismarck war klug, reinen Herzens, gebildet, fleißig im Dienst, tapfer in Leibesgefahr: und hat sich auf keinem Posten doch zu rechter Geltung gebracht und ist als Politiker nie des Daseins ganz froh geworden. Warum? … Unkirchlicher Sinn hätte am dunklen Eingang zur Gruft dieses Fürsten kein besseres Leitwort zu wählen gewußt als den Dämmerspruch Goethes: »Es giebt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keine genug thut. Daraus entsteht der ungeheure Widerstreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt.« So oft ich dem Toten nachdachte, klang dieser Spruch mir ins Ohr.

Das wars. Nichts, was von außen her kam, durch den Wechsel äußeren Schicksals zu ändern gewesen wäre. Auch nicht das vielbewinselte Verhängniß, der Sohn eines Großen zu sein. Ist solche Kindschaft denn gar so fürchterlich? Das gewaltigste, an Lebenskraft zähste Symbol der Christengeschichte zeugt wider diesen Wahn; und daß er im Hirn des vornehmsten Heidenvolkes nicht wohnte, wird durch die alte Hellenensitte bewiesen, den Heroen von des Olympos Höhe die Vater zu holen. Wohl seufzte Homer, selten nur wachse ein Sohn ins Richtmaß des Vaters; fast jeder Greis noch hats von der Jugend gesagt und jeder hat Beispiele anzuführen vermocht, weil unter den Menschen Größe stets selten war. Kein natürliches Empfinden wird aber den Sohn beklagen, der aus dem Glanz väterlichen Ruhmes wohlausgestattet ins Leben schreitet. Was Tausende lähmt, bleibt Diesem erspart. Er verbraucht nicht die Hälfte, drei Viertel der Kraft, um im Gedräng nur erkennbar zu werden. Früh blickt Alles auf ihn; und erfahrene Weisheit lehrt ihn auf das für den Kampf und den Sieg Wesentliche achten. Wenn William Pitt nicht der Sohn des Earl of Chatham gewesen wäre, hätte Shelburne den Dreiundzwanzigjährigen nicht zum Schatzkanzler erwählt. Hätte das Glück Richard Wagner so begünstigt wie jetzt Richards mittelwüchsigen Sohn, dann wäre Lohengrin nicht so lange stumm, seinem Schöpfer die Narbe erspart geblieben. So fest ist in einfachen Menschenköpfen der Glaube, nur von hohem Stamm sei köstliche Frucht zu hoffen, daß die Legende ihren Lieblingen heldische Zeuger oder weise Lehrer giebt und Bonaparte selbst, der Plebejer, die Pariser nicht gern an den Ursprung des Königthumes erinnern ließ. Das Gerede über das tragische Schicksal, aus den Lenden eines Großen zu stammen, gleicht falscher Münze, die von Hand zu Hand geht, bis ein Zweifler sie auf den Zahltisch wirft. Nein: Otto Bismarck war nicht Herberts Verhängniß. Die Stürme, denen des Vaters Wink gebot, haben oft freilich das Haupt des Sohnes gezaust. Das war unbequem, doch nicht tragisch, brachte Aerger, doch nicht grauses Verhängniß. Wie nur er es vermochte, hat dieser Vater den Sohn gerüstet. Er schickte ihn an die wichtigsten deutschen Höfe, machte den noch nicht Dreißigjährigen zu seinem Privatsekretär, gab ihm Gelegenheit, in der Schweiz und den Niederlanden, in Wien, Petersburg, London sich umzusehen. Er that, ohne es zu wollen, noch mehr für ihn: er ließ ihm einen ungeheuren Komplex unerfüllter, nach Erfüllung drängender Volkswünsche. Der Sohn lernte, was zu lernen war, lernte nur Eins nicht: innere Sicherheit. Er war keiner Lage gewachsen, auch der günstigsten nicht, und keine that ihm genug. Der Erbe des populärsten Staatsmannes, den die Geschichte kennt, war seinen Landsleuten ein Fremdling, wurde mißtrauisch betrachtet und nach seinem Tode mit dem winzigen Ruhm eingescharrt, ein zärtlicher Sohn und ein guter Hausvater gewesen zu sein … In dem Kapitel über Bacon sagt Goethe: »Man durchsuche Diktionäre, Bibliotheken, Nekrologe; selten wird sich finden, daß eine problematische Natur mit Gründlichkeit und Billigkeit dargestellt worden ist.«

Unbilliger als Herbert ist kaum je Einer behandelt worden. Den Gegnern war er ein Grobian, ein eben so barscher wie unwissender Machterstreber. Die Freunde lobten ihn halb mit Erbarmen und fragten, wenn sie unbelauscht waren, ob er wohl fähig sein würde, ohne väterlichen Rath die Rolle eines Ministers zu spielen; hört: fähig, zu leisten, was die Richthofen, Tschirschky, Schoen, die Recke, Möller, Sydow ohne Hilfe vermochten. Einer nur kannte ihn ganz genau: sein Vater. Am Tag der Reichstagswahl des Jahres 1893 sprach er lange zu mir über den Sohn, der wieder um ein Mandat warb. Zärtlich, doch ohne die kleinste Illusion. Für sein Werk erwartete er nichts von ihm. Nicht etwa, weil er Herberts Talente gering schätzte; er schätzte sie hoch. Aber der Erbe war in seiner Rechnung kein Faktor mehr. »Er ist ganz anders als ich. Ein Stadtkind; früh verwöhnt und leicht verstimmt; himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt. Dabei hat er sein Leben lang mehr gearbeitet als ich und ich wüßte keinen tüchtigeren Diplomaten unter unseren jüngeren Leuten. Aber wo ich verachte, haßt er; ein sehr anständiges Gefühl; nur hält solche Hitze nicht immer lange vor. Fällt er heute durch, dann treibt der dépit ihn wahrscheinlich für eine Weile nach England, wo er schließlich nichts Anderes zu thun hat, als sich dreimal an jedem Tag umzuziehen. Nur deshalb wünsche auch ich seine Wahl; sonst …« In diesen Stunden sagte der Fürst auch, er habe nie daran gedacht, seinen Aeltesten dem Reich als Kanzler aufdrängen zu wollen, ihm nicht einmal gewünscht, daß ers werde. Nur ein Esel könne sich einbilden, solches Amt sei zu vererben. »Bei uns kommts ja viel weniger auf den Kanzler als auf den Kaiser an; und daß ich geglaubt hätte, den immer schon schwierigen Herbert mit unserem Herrn auf die Dauer zusammenspannen zu können, sollte man mir eigentlich nicht zutrauen. Boetticher, sagt man mir, hatte die Idee, mit Herbert weiterzuwirthschaften; nach der Inventuraufnahme konnte die Firma ja dann geändert werden.« Ein paar Wochen danach hatte der Vertreter des Wahlkreises Jerichow zum ersten Mal im Reichstag geredet. Für die caprivische Militärvorlage, die er vergebens im Sinn der ersten wilhelminischen Epoche umzugestalten gestrebt hatte. Er zeigte, wie weit der Caprivismus sich von allen Traditionen der größten Zeit deutscher Geschichte entfernt habe, rieth, auf diesem Wege nicht weiterzuschreiten, stimmte schließlich aber mit den Konservativen, weil er die Verantwortung für das Chaos nicht tragen wollte, das nach einer zweiten Ablehnung zu fürchten war. Freisinnige und Sozialdemokraten hatten ihn laut gehöhnt, geschimpft, durch Gebrüll einzuschüchtern gesucht. Das war nicht gelungen. Gegen Abend hatte Herr von Kardorff an die ängstliche Fürstin telegraphiert: »Herbert hat sehr gut abgeschnitten.« Aus der Zeitung war aber zu merken, welche Wuth ihn umheult hatte. Nach Zehn kam er selbst, recta vom Reichstag, ins Sachsenwaldhaus; noch ganz heiß von der Schlacht. »Laß Dich mal ansehen«, hieß es. »Dein Rock hat ja kein einziges Lochl So schlimm kanns nicht gewesen sein. Ich dachte mindestens, sie hätten Dir die Kleider vom Leibe gerissen.« Kein Wort über Herberts Abstimmung. Trotzdem der Vater vorher gesagt hatte, als Abgeordneter hätte er sich nicht gescheut, im Nothfall ganz allein, in Uniform, gegen das Gesetz zu stimmen. Jeder mündige Wille wurde in diesem Haus respektirt. Aber auch damals war deutlich zu fühlen, wie verschieden, nicht nur an Intuition und Intelligenz, die Beiden waren, die einander so innig liebten. Sechs Monate später. Der Kaiser hat dem vor vier Jahren ungnädig Entlassenen eine Flasche Rheinwein geschickt und im Lauf zweier Tage zweimal zum militärischen Jubelfest nach Berlin geladen. Auf die erste Nachricht eilt Herbert nach Friedrichsruh. Die Aufregung könnte dem Vater schaden; die Reise im Winter, die Unruhe hauptstädtischen und höfischen Treibens, die Wucht der Erinnerungen; auch schien der Besuch geeignet, eine leidige Wahrheit, die nackt gesehen werden sollte, zu übertünchen. »Willst Du denn wirklich …« »Der Kork ist aus der Flasche; jetzt heißts, trinken.« Der Fürst hatte nicht eine Sekunde gezögert. Die ehrerbietigste Absage hätte ihn ins Unrecht gesetzt. Herbert mußte wieder dran glauben. Der, hieß es, hat auf dem Bahnsteig die Hand des Kaisers geküßt und Thränen vergossen. Der will um jeden Preis wieder ins Amt.

Wollte ers wirklich? Sechs Tage nach diesem »Versöhnungfest« schrieb er mir: »Ich kann immer nur persönlich befriedigt bleiben, daß ich bei Zeiten privatim wurde und keinerlei Verantwortung für all das Unheil trage, das über uns kommen wird … Für mich heißt es: Ne bis in idem!« Und er hat nie lügen gelernt. Ich bin überzeugt, daß er, so lieb ihm die Arbeit des Diplomaten war, sich niemals in die Wilhelmstraße zurücksehnte. Botschafter in London: Das hätte ihm behagt. Da hatte er Verwandte und Freunde, da, auf der Stätte seiner ersten Erfolge, im großartigen Stil britischer nobility, lebte er gern. Seine Vergangenheit sperrte ihm diesen Weg; er konnte nicht das Werkzeug einer Politik werden, die er, als Sohn seines Vaters, verdammen mußte.

Im Januar 1894 hätte er, aus Sorge für den überschwänglich geliebten Vater, die Steinbergerflasche am Liebsten schnell wieder zugekorkt. Kurz vorher aber hatte die Hoffnung, dem gekränkten Vater eine Freude zu schaffen, ihn zu einem Schritt verleitet, an den er später nicht gern mehr dachte. Von Höflingen wurde ihm zugetragen, der Kaiser lechze nach der Gelegenheit, die ihm erlaube, ohne seiner Würde Etwas zu vergeben, den in stürmischen Märztagen abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen. Wie aber könne ers, wenn der Vater grollend im Wald sitzt und der Sohn den Hof wie das Fegfeuer meidet? Sobald er Herbert sehe, werde Alles in Ordnung sein. Zureden half. Graf Bismarck ging zur Cour (oder wie die Sache heißt) und ließ sich vom Oberhofmarschall auf einen Platz stellen, wo der Kaiser ihn gar nicht übersehen könne. Der übersah ihn dennoch. Und dem Grafen wurde von der Höflingschaar nachgezischelt, er habe sich vergebens ans Licht gedrängt. Die Presse bespöttelte ihn, wie einen geprellten Gunstjäger. Der konnte ers nun einmal nicht recht machen. Bald sollte er wie ein Rohrspatz, nur lauter noch, auf alles Regirende schimpfen, bald zur tiefsten Demüthigung bereit sein, die ihm ein Aemtchen eintragen könne. Drei Jahre nach der Schloßvisite strich ihn Wilhelm der Zweite von der Liste der zu Wedel-Piesdorf geladenen Hochzeitgäste; unter achtzig Menschen durfte der Eine nicht sein, trotzdem er den Bräutigam Vetter nannte. Wieder war Spott sein Tafeltheil. Und wieder ließ er sich, als die erste Hitze verraucht war, sacht sänftigen und ward manchmal noch im Weißen Saal gesehen.

Otto Bismarck pflegte die Erörterung der Frage, ob er ins Kanzleramt zurückkehren werde, mit dem Satz abzuschneiden, er habe nicht die Gewohnheit, Häuser, aus denen er einmal weggejagt worden sei, wieder zu betreten. »Mehr wie rausgeschmissen kann man ja nicht werden; und in meinem Alter ist das Ruhebedürfniß stärker als die Neugier.« Dem Sohn hätte er die Rückkehr in den Staatsdienst nicht verdacht, hätte sie dem nicht zum Landwirth Geborenen, dem, trotz Familie und Gutsverwaltung, manche leere Stunde blieb, gern gegönnt. Gern? Einst sprach er von dieser Möglichkeit. Für ihn werde es immer ein onus sein. Wenn der Name wieder auf dem Schild stehe, sei er mit verantwortlich und im Verdacht, dem Sohn als Souffleur zu dienen. Wie er sich auch wehren möchte, man würde sagen: Du hast Deine Hand im Spiel! Das könnte unter den heutigen Verhältnissen sehr lästig werden. Da er in trüber Stimmung war, erzählte ich die nette Geschichte vom alten Dumas, der, als er von allen Seiten gefragt wurde, ob er denn wirklich gar nichts für das merkwürdig gute Erstlingstück seines Sohnes gethan habe, nach hundertfacher Verneinung in lachender Wuth endlich rief: »J'ai fait l'auteur, parbleu!« Das heiterte den Großen auf. Ja, meinte er, ungefähr so würde mirs auch gehen; und diesen Theil meiner Mitwirkung könnte ich als ehrlicher Mann nicht abzuleugnen versuchen. Den zweiten Fürsten Bismarck hätte schon der Gedanke, da, wo ihm nach seinem Empfinden Kränkung angethan worden war, könne sein Sohn wieder in den Dienst treten, um den Schlaf gebracht. Er hätte die Verwirrung des Gefühls gefürchtet; der erste Fürst Bismarck erwog nur die Wirkung.

Der Vater nahm die Dinge einfach, wie das Erleben sie ihm bot, und suchte sie, nach geduldiger Prüfung, zum Besten zu wenden. Alles Unnatürliche war ihm ein Gräuel. Und unnatürlich wäre er selbst sich erschienen, wenn er seinen Sohn, nur weil er sein Sohn war, nicht zum Gehilfen erwählt hätte. Herbert hatte an allen Höfen gute Figur gemacht; als er von London nach Petersburg versetzt wurde, sah Lord Granville den Botschaftrath ungern scheiden und schrieb ihm, wie hoch er ihn schätzen gelernt habe. Der Brief wurde, wie andere wichtige Urtheile über die im diplomatischen Reichsdienst stehenden Herren, dem alten Kaiser vorgelegt, der ihn am neunten März 1884 dem Kanzler mit den Worten zurücksandte: »Das Billet von Granville ist für Ihr Vaterherz gewiß äußerst genugthuend und gratulire ich zu diesem kompetenten Urtheil über seine Fähigkeiten … Ich wundere mich daher, daß Sie mir Ihren Sohn unter den mir durch Graf Hatzfeld genannten Kandidaten für Karlsruhe vorschlagen ließen. Ich sollte glauben, er würde in Petersburg viel größere Dienste leisten können als in Karlsruhe, wo der Gesichtskreis sehr gering gegen Petersburg erscheint. Ihr dankbarer Wilhelm.« Bismarck antwortete ganz aufrichtig, sein »Hintergedanke« sei, den Sohn zur »Assistenz in den ministeriellen Geschäften heranzuziehen«; deshalb wünsche er ihm den Gesandtenrang. »Dadurch, daß ich ihn Jahre lang als vertrauten Sekretär in den wichtigsten Geschäften benutzt habe, ist er, eben so wie durch seine im Ausland angeknüpften persönlichen Beziehungen, für die Mitwirkung in der Centralstelle besonders gut vorbereitet«. Ohne Umschweife. Der Kanzler will nicht »einen Einschub, für den man bei mir persönliche und nicht sachliche Gründe suchen könnte«; aber er glaubt, mit der Hilfe seines Sohnes die Arbeit leichter bewältigen zu können, und möchte ihn deshalb bei sich haben. Er ist fast Siebenzig, hat Arnims Verrath erlebt, sieht den klugen Staatssekretär Paul Hatzfeldt in allzu intimem Verkehr mit der englischen Gesellschaft der Kronprinzessin und wünscht sich endlich einen unbedingt zuverlässigen Helfer, dem er, ohne Indiskretionen fürchten zu müssen, das Geheimste anvertrauen kann. Der König ist einverstanden. Herbert geht von der Newa als Gesandter in den Haag, kommt als Unterstaatssekretär nach Berlin und wird im Frühling 1886 zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt ernannt. Der Inhaber dieses Amtes darf nach der Reichsverfassung nie mehr sein als der Erste Vortragende Rath des Kanzlers, dessen Hauptgeschäft immer die Leitung der internationalen Politik bleibt; konnte unter Bismarck niemals ein Marschall oder Bülow werden. Und weil er den Sohn vor der üblichen Zeit auf diesen undankbaren Posten rief, wurde der Vater des schamlosesten Nepotismus beschuldigt. Dahinter lauerte die Verdächtigung, der Sohn solle, um dem Vater nicht länger auf der Tasche zu liegen, früh bene auf Reichskosten leben. Glaubt im Ernst Jemand, ein Staatssekretär, der Diplomatendiners im bismärckischen Stil giebt, könne von seinem Gehalt Etwas ersparen, könne auch nur ohne Zuschuß auskommen? Otto Bismarck war, wie der alte Wilhelm, wie Moltke und Andere aus der Zeit schwerer Noth, in manchen Geldsachen ein Bischen genau; dem Amt aber hat er, vor und nach den Dotationen, auch materielle Opfer gebracht. Und als er fort war, wurde der Kanzlersold fast aufs Doppelte erhöht. Seit 86 aber wurde er von der Demokratie ungefähr wie Schillers Präsident dargestellt, der zu seinem Ferdinand spricht: »Wo zehn Andere mit aller Anstrengung nicht hinauf klimmen, wirst Du spielend, im Schlafe, gehoben.« Und der Sohn, der dem Vater treuer anhing als je einem aus Erde Gefügten, mußte ein Hohlkopf sein, eine Null, eine leere Menschenhülse, die auf der Welle tanzt. Sonst fehlte dem Jahrmarktslied ja der Kehrreim.

Heute lachen wir drüber; kreischen bei dem Gedanken, Bismarcks Sohn habe den Stuhl nicht gefüllt, auf dem jetzt Herberts gehorsamster Sekretär wie ein Gigant gerühmt wird. Doch für Herbert wars hart, ringsum Mißtrauen, Hohn und Haß zu fühlen. Vielleicht wuchsen ihm damals, als Schutzwehr einer dünnen Epidermis, die Borsten, über die so oft geklagt worden ist. Weiche Seelen, die sich mit Strenge waffnen, scheinen leicht rauh. Er soll im Amt oft schroff gewesen sein. Nichts von dem Epenhumor des Vaters, der, wenn er wollte, auch lächelnd zu strafen wußte. Der, als Bayerns Vertreter einst darauf bestanden hatte, unterm Diplomatencorps, nicht bei den zum Bundesrath Bevollmächtigten, seinen Platz zu nehmen, diese Partikularistenschrulle nicht zum Staatsrechtlichen Konflikt aufblies, sondern den werthen Herrn bei der nächsten Begegnung französisch, wie einen fremden Gesandten, ansprach und damit jeder Wiederholung solcher Wunderlichkeit vorbeugte. Herbert hatte wohl stets das Gefühl, für Haupt und Leben zu fechten; und die quälende Furcht, etwa dem Vater gar Aerger zu scharfen. In Dessen Hand das brauchbarste Instrument zu sein, war sein höchster Ehrgeiz. War ers? Nach dem Juni 1888 hat er sich schlimm verrechnet. Er war des Kaisers, der ihn Freund genannt hatte, gewiß und hielt all die edlen Seelen, die ihn umscharwenzelten, für mythenhaft zuverlässig. Und da der Vater, wenn er gewarnt, wenn ihm ein häßliches Symptom gezeigt wurde, leis nur die feine Hand hob und sagte: »An mich kommen diese Dinge nicht«, wars Beiden die jäheste Ueberraschung, als eines Tages die Lucanus und Hahnke so unsanft zur Räumung der Dienstwohnung drängten. Ob Herbert mitgehen würde? »Mein Sohn ist mündig.« »Ich stehe und falle mit meinem Vater.« Ihm zu dienen, für ihn zu leiden, war schönste Pflicht. Ein von politischer Leidenschaft Gespornter hätte vielleicht weiterzuwirken versucht, wäre geblieben und hätte vom Werk des Vaters gerettet, was noch zu retten war. Ein Hoffnungloser hätte, auf dem von der Verfassung gewiesenen Weg, offenen Widerstand gewagt. Herbert schwankte. Fragte nicht: Wie würde unter diesen bestimmten Umständen der Vater handeln? Sondern: Was könnte dem Vater jetzt angenehm, was unangenehm sein? Auch: Was hat der Vater zuletzt über diese Sache gedacht? Denn der Vater hatte immer Recht. Das zu beweisen, war in den letzten Lebensjahren Herberts liebste Aufgabe. Weh Jedem, der an Otto Bismarck ein Mal untitanischer Menschlichkeit fand! Der Grenzen suchte, den Genius an seines Wachsthums Zeit binden wollte! Wie eine zärtliche Witwe die feurigste Feierrede noch immer nicht des Beweinten würdig dünkt, so fand Herbert Bismarck das Wesen Ottos nicht nach Verdienst geschätzt, wenn irgendwo noch ein Zweifel blieb, ob der Blick des Großen auch nie getrübt worden sei. Hätte Einer laut von dem ersten Kanzler gesagt, er habe oft »mit unzulänglichen Kräften gegen divergirende und wechselnde Zeitströmungen gekämpft«: das Kindgefühl des Erben wäre dadurch im Innersten verletzt worden. Und doch hatte der Große selbst diese Worte unter das Bild seines Handelns geschrieben. Nihil humani a me alienum puto: des Vaters bescheiden stolze Devise. Der Wappenspruch des Sohnes war das horazische Arceo. Daß er den Pöbel hasse, mochte er nicht auf jedem Briefsiegel gestehen; die Menge aber sollte ihm fern bleiben. Dem Sohn des volksthümlichsten Genies, das dröhnend je durch Germaniens Geschicke schritt.

Dem Sohn seiner Mutter. Der schöne, hochgewachsene Mann mit dem blau strahlenden Blick des Einzigen hatte das Temperament, den empfindsamen Wesenston, die Nerven Johannas von Puttkamer, der schmächtigen Riesenbraut, die dem angetrauten Riesen nur Riesen gebar. Ihr Talent, sich an allen erdenklichen Dingen zu ärgern, ihre Erregbarkeit, den raschen Wechsel der Stimmung zu Lust und Leid. Auch ihre im hohen Alter noch mädchenhafte Hingebung und den Drang, Alles in Einem, in der Spiegelung eines Auges zu sehen und wie ein weicher Teppich dem Einen sich unter die Füße zu spreiten. Mutter und Sohn liebten heute und haßten morgen; stets innig vereint. Doch die Mutter schaltete am warmem Herd und der Sohn sollte sich auf dem Markt mit buntem Gesindel balgen. Da reicht heftiges Gefühl nicht aus. Da ist unbeirrbare Willenskraft nöthig. Und der dem Hause Bismarck zugemessene Theil dieser Kraft war für die Wundermischung des Vaters verbraucht. Den Kindern blieb nur die Wahl, in derber Lebenslust frohsinnlich zu genießen oder vom ungeheuren Widerstreit zwischen Wunsch und Kraft das Leben ohne seelisch erquickenden Genuß verzehren zu lassen.


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