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Albert von Sachsen

In guten Häusern, deren Erbauer schon wohlhabend war und die ein Hörtlein vererbter Kultur bergen, kommt um die Vesperzeit manchmal noch eine alte Sachsenkanne auf den Tisch. In Parvenupolis stellt man sie als Prunkstück in den Glasschrank, wo die seltenen Tassen um die Wette protzen: Japan, Henri Deux, Delft, Sèvres, Nymphenburg, Wegdwood, Capo di Monte. Da steht sie, das zerbrechliche Denkmal einer Epoche, an die den Besitzer keine Ahnentafel erinnert. Er, dessen Vater vielleicht noch an der Weichbildgrenze der alten Königsstadt hauste, hat die Sächsin um schweres Geld bei irgend einem Bernheimer eingehandelt und hütet sie nun ängstlich vor allen Fährlichkeiten des Gebrauches. In den alten Häusern, die ihre Geschichte, ihren Familienstolz haben und ihren Wohlstand nicht dem Spielerglück einer Stunde danken, steht sie vor würdigen Gästen auf der Damastdecke des Kaffeetisches. Die Mutter gab sie der Tochter, der Braut des Sohnes oder auch spät erst der Enkelin in die junge Wirthschaft mit und die Köchin hat das Alter ehren gelernt. Kein Sprung, kein abgestoßener Rand ärgert das Auge und selbst der schlanke Henkel ist unversehrt. Ein artig gebogener Henkel, den der Wohlerzogene respektvoll, mit höflichem Finger, anfassen wird. Und der putzige Truthahnschnabel scheint krähen zu wollen: Mehr giebts nicht; und lockt gerade damit zu immer reichlicherem Genuß. Das ganze Ding sieht patrizisch aus, behaglich und allerliebst unzeitgemäß. Es ist entweder aus Böttgerporzellan, roth, mit japanisch stilisirten Blümlein, oder echtes Meißener, weiß, mit bunten Guirlanden, oben und unten ein Bischen Rothbraun, das sich in Tupfen bis unter den Schnabel zieht, dahin, wo er sich zu einem Porzellankröpfchen baucht; und nie fehlt der Deckel, die Kannenmütze mit dem dicken Knopf. Rokoko; aber deutsches, das dem Blick nicht die Bilder galanter Tändelei und erotischer Schäferspiele heraufbeschwört. An Alchemistenspuk mag man denken, an die Polakenherrlichkeit Augusts des Zweiten und an die wüsten Tyrannentage, wo Auroras starker Freund seinen meißener Hexenmeister auf der Albrechtsburg als Strafgefangenen zu höherem Ruhm des Polenkönigs erfinden und Kaolin machen ließ. Augusts legitimer Erbe fand kein weiches Bett; und Aurora von Königsmark ist später Pröpstin geworden und hat Kantaten komponirt. Eine traurige Geschichte. Die alte Sachsenkanne hats vielleicht schon erlebt. Doch ihre behäbige Rundgestalt läßt Wehmuth nicht aufkommen. Seit August Kronrechte und Landfetzen verschacherte, ists ja besser geworden; die Sachsenraute ist grün, ringsum schnurren Räder, rauchen Schlote und über den Kaffeekonsum kann man nicht klagen. Providentiae memor: so heißt der Spruch auf dem Hausordensband, das zwei Leun bewachen. Die Vorsehung wird zur rechten Stunde Alles zum Guten wenden. In die Zeit mußt Du Dich freilich schicken, auch wenn es böse Zeit ist, und niemals darfst Du, unter keinen Umständen, den Kopf hängen lassen. Das lehrt die alte Sächsin. Kein besonders kostbares Schaustück; aber der Kenner schätzt ihren Werth.

Ungefähr so, als ein ehrwürdiges, das ruhlose Auge tröstendes Erbstück, das an entschwundene Tage wechselnden Glückes mahnt, sahen die nach 48 geborenen Deutschen den Sachsenkönig Albert. Seit er in Sibyllenort, dem Tudorschloß, das der braunschweiger Wilhelm ihm hinterließ, sich aufs Krankenbett strecken und die leiseste Bewegung mit heftigem Schmerz büßen mußte, las man, Alldeutschland blicke in banger Sorge auf dieses Lager und flehe den Himmel an, Alberts Lebenstag zu verlängern. Das ist Reportergeschwätz, das nicht zu scheiden, zu unterscheiden weiß und jedes Menschengefühls innigen Ausdruck zur läppischen Phrase fälscht. Zu den ragenden Männern, an deren Lebensdauer ein Volksschicksal hängt, konnte kaum ein Dienstbotengemüth den wettiner Albert zählen. Die Sachsen selbst haben nie mit überschwingender Begeisterung von ihm gesprochen; nur mit ruhiger Achtung, wie von einem redlichen Herrn, mit dem sich leben läßt. Und hinter den grün-weißen Grenzpfählen wußte man wenig von ihm. Er soll ein guter Soldat gewesen sein und Moltke hat ihn als Kronprinzen den einzigen Feldherrn des deutschen Heeres genannt. Aber Moltke konnte, wenn sichs um Fürsten handelte, recht nach der Diplomatenkunst reden und wir sind, seit auch der Kronprinz Friedrich Wilhelm zum reisigen Helden aufgeputzt ward, gegen den Kriegsruhm hoher Herren mißtrauisch geworden. Gravelotte, Nouart und der Mont Avron waren längst vergessen und als Heerführer wurde Albert nur noch in rasch verhallenden Tafelreden gepriesen. Einen tüchtigen Haushalter hieß man ihn und an den Stammtischen schlugen die Herzen höher, wenn erzählt wurde, der König sei ein seßhafter Skatspieler, der wie ein Fuchs im ersten Semester vergnügt sein könne, wenn er einen Grand mit Vieren gemacht habe. Skat: Das klingt nicht nach achtzehntem Jahrhundert. Sonst aber schien Albert uns Jüngeren deutsches Rokoko. Er paßte nach Pillnitz, in die nicht allzu üppige Anmuth einer Gegend, die eine Hecke vor allen Modernisirungversuchen geschützt haben könnte. Man sah ihn überall gern: vielleicht, weil man ihn selten sah. Nur, wo es ihn nöthig dünkte, zeigte er sich; dann aber stand er seinen Mann. Ein Monarchentypus, den die Deutschen im Reich nicht mehr schauen werden, entschwand mit ihm unserem Blick. Neue Formen sind in die Mode gekommen. Auch neue keramische Künste, deren Leistung mehr ins Auge fällt als die der Böttgerzeit. Dennoch behalten die alten Sachsenkannen ihren Werth. Sie sind aus gutem, dauerhaften Material, wollen nicht feiner scheinen, als sie sind, und brauchen, wo eine Tradition sie vor rauhen Griffen bewahrt, den Alltag noch unter dem Aeroplan nicht zu scheuen.

Ganz leicht war es 1873 nicht, König von Sachsen zu sein. Johann Philalethes hatte mit seinem Beust und seiner Triasidee so ziemlich Alles verdorben, was an Sachsens deutscher Machtstellung noch zu verderben war. Die größte Sünde war freilich lange vorher Ereigniß geworden: als Friedrich August, um seine Eitelkeit mit dem Königsreif Sobieskis zu krönen, der Reformirten Kirche den Rücken kehrte. Nur als Person, als ein Einzelner wollte er katholisch werden; doch umgab er seinen Sohn mit klugen Vätern Jesu, die dafür sorgten, daß auch der Kurprinz der Papstkirche gewonnen wurde. Damit war die albertinische Linie dem evangelischen Glauben entfremdet, das Kurfürstengeschlecht vom Weg der Reformation gewichen, der es zum Ruhm geführt hatte, auf die Höhe dynastischer Macht führen konnte. Wäre die Entscheidung Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen geachtet, nicht der Laune eines gewissenlosen Lustsuchers geopfert worden, dann war Sachsen als lutherischer Vormacht in Deutschland die Bahn geebnet, während es unter katholischen Herrschern die Konkurrenz Oesterreichs und Bayerns auf der einen, Preußens auf der anderen Seite zu fürchten hatte. Immerhin war es nicht nöthig, 1866 so blind Partei zu ergreifen. Albert, der Kronprinz, hätte vielleicht anders gehandelt; als Einundzwanzigjähriger schon hatte er gesagt, nur das Zusammenwirken aller deutschen Stämme könne die Einigung bringen, die er ersehne. Siebenzehn Jahre danach mußte er seine Sachsen dem Corps Clam-Gallas zuführen und mit einem geschlagenen Heer aus Böhmen heimkehren. Als er den Thron bestieg, war die Einheit erstritten, das Reich gegründet; aber er herrschte über ein Land, wo von je hundert Einwohnern fünfundneunzig dem Lutherthum angehören. Solcher Glaubenszwiespalt, der sich zwischen Volk und Fürst aufthut, ist immer gefährlich; und das Mißtrauen der lutherischen Sachsen ist nie völlig erloschen. Ein als Kronprinz geborener Albertiner müßte, so grollten sie, nach alter Verheißung den reformirten Glauben bekennen; doch die römischen Herren haben ganz heimlich und schlau dafür gesorgt, daß seit dem Uebertritt Augusts des Starken kein Erbe der Wettinerkrone mehr dem Mutterschoß als Kronprinz entbunden ward. Nur Alberts altmodisch sicherer Takt konnte Konflikte vermeiden und es nach und nach dahin bringen, daß der konfessionelle Gegensatz kaum noch empfunden wurde. An seinem Hof herrschten die Priester nicht (wenigstens war ihre Herrschaft nicht sichtbar) und die Akatholischen fingen erst wieder zu bangen an, als die schlechten Nachrichten aus Sibyllenort kamen. Wie tief in den Sachsenherzen der Haß römischen Wesens saß, merkte man später erst: als der fromme Wahn entstand, der Kronprinzessin Luise (an deren Sexualirrungen das gute Volk nicht glauben wollte) sei von Pfaffen eine Falle gestellt, der Hof und das Land verleidet worden. Unter Alberts Szepter wäre dieser häusliche, dieser staatliche Skandal nicht denkbar gewesen … Das war nicht die einzige Schwierigkeit, die Johanns Sohn als König zu überwinden hatte. Er war im Gefühl festen Zusammenhanges mit Oesterreich, angeborener Antipathie gegen Preußen erwachsen und sollte nun Bundesfürst in einem Deutschland sein, aus dem Oesterreich verdrängt war. Im Juni 1866 hatte sein Armeebefehl den Oesterreichern versprochen, sie würden ihn in guten wie in bösen Tagen an ihrer Seite finden; und nun konnte er, der dem Kaiser Franz Joseph persönlich befreundet war, in die Pflicht kommen, sein Kontingent gegen die Truppen des Habsburg-Lothringers führen zu müssen. Doch als Kronprinz schon hat er sich tapfer in die neue Zeit geschickt. Für die zuverlässige Treue, die ihn ans Reich band, und für die Bescheidenheit seines Wesens zeugt laut der Brief, den er zwanzig Tage nach seiner Thronbesteigung an Bismarck schrieb. Da liest man die Sätze: »An wen könnte ich mich wohl besser wenden als an den Kanzler des Deutschen Reiches, der so oft erklärt, er gehöre allen Bundesfürsten gleichmäßig an? Mit vollem Vertrauen wende ich mich daher an Sie, wenn ich die Hilfe gebrauchen sollte, wenn ich weisen Rathes bedürfte. Seien Sie dagegen versichert: auch ich werde Alles, was Sie zum Heil des Reichs und deutschen Volks unternehmen, so kräftig unterstützen, wie es meine geringen Kräfte erlauben, und hoffe, ein werkthätiges Mitglied, eine feste Stütze des Gebäudes zu sein, das mir mit dem Schwert aufrichten zu helfen vergönnt war. Indem ich bitte, diese Zeilen nicht übel zu deuten, die Sie vielleicht in Ihrem Tuskulum stören, verbleibe ich Ihr ergebener Albert.« Kein Schwulst, keine Phrase: der schlichte Ausdruck eines Gefühls der Unzulänglichkeit und zugleich der klaren Erkenntniß, wo in Nöthen der starke, bereite Helfer zu suchen wäre. So schrieb der König von Gottes Gnaden an den »Handlanger Wilhelms des Großen«, der Sachse an den Exponenten der großpreußischen Politik, dessen Siegerschritt ihm manche keimende Hoffnung zerstampft hatte, der Katholik an den Ketzer, dem tausend Priesterzungen in Rom fluchten. Wir sind an die Tonart solchen Fürstenbriefes gar nicht mehr gewöhnt; wie aus weiter Ferne klingt sie zu uns, wie das letzte Echo einer versunkenen Welt, von der nur die Alten noch, aller Herrschgewalt enthobene, in den Ausgedingstuben raunen.

Und der König, der sich so bescheiden, so frei von dem Haß bleiben konnte, mit dem legitime Herren fast immer das Genie verfolgt haben, dieser Monarch des Altväterstils hat die modernste Entwickelung erlebt. Sein Land wurde der Hauptsitz der Großindustrie, die dicht bevölkerte Stätte des neuen Maschinenproletariates, das Manöverfeld der Sozialdemokratie. Das Alles war ihm ganz fremd und er hat sich oft darüber gewundert, daß Städte, wo die Bürger ihn so ehrerbietig grüßten, rothe Revolutionäre in den Reichstag schickten. Aber er hielt sich still. Nicht etwa, weil er ein feiner politischer Kopf war und sich sagte, da es nun einmal stets eine radikalste Partei geben müsse, sei die noch am Leichtesten zu ertragen, die an die Allmacht einer Evolution glaube, jede Gewalt verschmähe und ihres Sieges so sicher sei, daß sie nicht daran denke, ihn zu erstreiten. So hoch hinauf flogen seine Gedanken nicht. Nein: er hielt sich still, weil Ruhe ihn erste Königspflicht dünkte. Ein Wort konnte erschnappt, ein Seufzer weitergetragen werden. Oeffentlich hat man ihn nie klagen, nie drohen gehört. Er verstand die neue Zeit nicht, konnte sie nicht verstehen; doch er schwieg und wandte das Auge von dem Spektakel, wenn es ihn allzu tief kränkte. Im Grund ihres Herzens, mochte er denken, sind auch die Rothen recht brave Leute und gute Sachsen; und ich muß trachten, mir und meinem Hause sie nicht ganz zu entfremden. Sächsische Regirungen haben, seit die Geschwindigkeit der proletarischen Bewegung wuchs und die Fabrikfeudalherren in Schrecken jagte, oft recht unklug gehandelt; der König aber hat sich keiner von ihnen engagirt. Er wurde, als Katholik, von den Lutherischen geliebt; er stand treu zum Reich und die Partikularisten sahen ihn nicht scheel an; er ernannte Minister, deren soziales Verständniß aus der Eiszeit zu stammen schien, und die Schaar der Bedrückten sprach mit Achtung, mit zärtlicher manchmal, von ihm und selbst in Stunden leidenschaftlicher Erregung las man kaum irgendwo ein Wort, das den König verletzen konnte. Dem Knaben war wohl von den dresdener und leipziger Tumulten erzählt worden, die den verhaßten Grafen Einsiedel gestürzt und dem Prinzen Maximilian den Weg zum Thron gesperrt hatten, und der Jüngling hatte den leipziger Paradeputsch, die Folge prinzlicher Politik, und die bis hart ans Schloß reichende Wirkung der Februarrevolution erlebt. Solche Anschauunglehre schlug er nicht in den Wind. Für die Fürsten, fühlte er, ists am Besten, wenn sie hinter dem goldenen Gitter bleiben, das sie von der Raserei Hungernder, von den Kämpfen um Macht und Beute trennt, wenn sie der Möglichkeit, Unheil zu stiften, sich entziehen und nur ihr Recht wahren, Gutes zu thun. Er ließ die Regirung regiren, das Volk am Wahltag die Richtung seiner Wünsche andeuten und freute sich jeder Gelegenheit, ein Unrecht tilgen, einem Bittsteller Gnade gewähren zu können. Jagd und Karten kürzten ihm die Mußezeit; Speise und Trank mundete noch, als ihn längst das schmerzhafte Blasenleiden heimgesucht hatte, das auch den alten Wilhelm plagte; und er vertrug die schwersten Virginiacigarren. Die Wirthschaftinteressen seiner Sachsen lagen ihm am Herzen und er hat, in Gemeinschaft mit Franz Joseph, den Kaiser für den Gedanken der Handelsverträge gewonnen, die der sächsischen Textilindustrie Vortheile brachten. Nie aber empfand er das Bedürfniß, zu reden, über politische Vorgänge vor dem Volk seine Meinung zu sagen. Er schwieg. Er konnte schweigen; denn er war der König.

Noch eine schwere Probe hatte der Greis zu bestehen. Bismarck, zu dem er in unbeirrter Zuversicht aufgeblickt hatte, wurde entlassen; und der persönliche Wille des Kaisers trat mit so starken Impulsen hervor, daß man draußen vom Empereur d'Allemagne zu sprechen begann und kaum noch der Bundesfürsten gedachte, deren erstem mit dem Bundespräsidium der Titel des Deutschen Kaisers, aber nicht das Recht eines Reichsmonarchen zuerkannt worden war. Vom Kaiser, nur vom Kaiser war Tag vor Tag jetzt die Rede. Die Geburt des Reiches war 1871 nur durch den Kaiserschnitt möglich geworden, der dem Sorgenkind ans belebende Licht half. Die beiden Männer aber, denen damals die Sectio Caesarea gelungen war, hatten noch Preußens schwarze Tage gesehen; sie kannten die Gegensätze der deutschen Stämme, die in den Landsmannschaften der Hochschulen fortlebten, und wußten, welches Opfer dem Selbstgefühl der souverainen Fürsten zugemuthet wurde, die wichtige Theile ihrer ererbten Rechte dem Sohn eines aus unscheinbaren Anfängen emporgekommenen Junkergeschlechtes ausliefern sollten. Wilhelm und Bismarck waren und blieben einig in dem Bemühen, den Kaisergedanken für besonders ernste oder besonders festliche Stunden aufzusparen. In diese Vorstellung hatten die Bundesfürsten sich gewöhnt (Andere werden sagen: die freiwillige Zurückhaltung des alten Kaisers hatte sie verwöhnt) und ein unbehagliches Gefühl mußte sich einstellen, als es anders wurde und sie von dem plötzlich, bald da, bald dort, aufblinkenden Leuchtfeuer der Kaisergloriole ihr weniger glanzvolles Mühen verdunkelt sahen. Niemand sprach noch von ihnen, Niemand traute ihnen auf das Geschick des Reiches, dem sie doch gemeinsam die Einheit schufen, entscheidenden oder auch nur mitbestimmenden Einfluß zu; sie schienen nur noch vorhanden, um an Feiertagen sich um den Thron des Einen zu schaaren, der mit seinen Worten und Willensregungen die Welt erfüllte und in einem Lande, dessen Fürstengeschlechter fast alle einmal mit einander in Fehde gelegen hatten, seinem Hohenzollernhaus mit rascher Hand die Schätze geschichtlichen Ruhmes häufte. Eine schwere Probe. König Albert hat sie bestanden. Manches gefiel ihm nicht, die Treusten sahen ihn den weißen Kopf schütteln und an leisen Friktionen hat es seit 1890 niemals gefehlt; nicht nur in der Zeit des lippischen Erbfolgestreites, den der Sachse gegen den Wunsch Wilhelms des Zweiten entschied. Einmal, im Privatgespräch, ließ er merken, daß seinem Greisenohr die berliner Geräusche nicht entgingen. Der junge Herr, sprach er, möchte immer das erste Wort haben; wenn er älter ist, wird er merken, daß es für einen Monarchen wichtiger ist, das letzte Wort zu haben. Er ahnte die Gefahr, die dem Reich erwuchs. Stets aber blieb er korrekt. Er freute sich, 1892 zu sehen, wie fest gerade die Sachsen an Bismarck hingen: doch er selbst hielt sich zurück. Er wollte weder die neue Mode mitmachen noch mit persönlichem Widerspruch die Kritik herausfordern: der unangreifbare König für Alle wollte er sein und vor des Neides langenden Blicken »die Sache halten«, so lange es irgend ging. Ob man ihn für einflußreich oder ohnmächtig, für einen Nenner oder eine Null im Reich hielt, galt ihm gleich; nur um die Erhaltung der starken Kraftwurzeln im heimischen Boden wars ihm zu thun. Da konnte er still wirken, konnte er, ohne die Zukunft der Dynastie zu gefährden, in weiser Selbstbeschränkung Nützliches schaffen. Nie vernahm man von seinen Neigungen, seinen Liebhabereien. Providentiae memor! Auch die Hand, die aus dem Purpur hervorwinkt, hält die unhemmbar nothwendige Entwickelung nicht auf. Nicht einmal auf der schmalen Höhe, wo die deutsche Muse mühsam ihr Leben fristet. Alberts Residenzstadt wurde der germanische Vorort modernster Kunst; dort lernten wir Meunier und Rodin, Van de Velde und Zuloaga kennen. Und der König schalt nicht; ließ lächelnd Alles geschehen. Warum nicht? Warum dem Zeitlauf sich eigenwillig entgegenstemmen? Die gute alte Sachsenkunst, deren Produkte so patrizisch aussehen, so behaglich unzeitgemäß, behielt auch neben dem Allerneusten noch ihren Werth.


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