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Leo XIII.

Völlig vollendet, wie einst der graue, reisige Nestor, starb Leo der Leise still dahin. Im letzten Lenz seines Lebens war ihm eine letzte Freude erblüht: aus Anglien, aus dem Inselreich, wo die Sendboten Gregors des Großen den spröden Germanensinn der Römischen Kirche gewonnen hatten, kam ein König, aus dem Lande Luthers in pomphaftem Aufzug ein Kaiser; und Beide beugten vor dem Nachfolger Petri in Ehrfurcht das Haupt. Der firne Greis vermochte die stolze Stunde noch auszukosten, mit Auge und Ohr ihre Wonnen zu schlürfen. Drei Nächte lang hatte er sie herangewacht: nun gehorchten die Nerven dem Willensgebot; und während der Deutsche Kaiser seufzend vom engen Gemäuer der Landeskirche sprach, aus dessen Stickluft er sich in weitere Horizonte sehne, ward er, wie ein heimkehrender Sohn, vom hoffenden, fürchtenden Vaterblick betastet, in zärtlicher Angst durchstöbert. Von einem scharfen, in neunzig Wintern nicht ermüdeten Blick. Der Papst fand den Kaiser früh gealtert; »zwischen seinen Brauen ist die Furche tiefer als auf meiner Stirn und Bitterniß lagert um den Mund, den man mehr sieht, seit die Bartspitzen aufwärts gezwungen sind.« Und mit den schmalen, runzligen Fingern malte der alte Priester den Schnurrbart des deutschen Kriegsherrn in die Luft. Das Fußkissen war ihm entglitten; der Kaiser hatte sich rasch gebückt, um es zurechtzurücken, und die Hand, die den Griff des Gastes hemmen wollte, die entfleischte, zitternde Hand mit dem schweren Fischerring und den langen Nägeln, fromm an die Lippen gedrückt. »Dabei rutschte ihm ein Armband weit übers Handgelenk. Das muß eine neue Mode sein.« Nichts war dem Greisenauge entgangen. Dieser den Kurialsitten genau angepaßte Besuch und der Unmuth, den er im Herzen lutherischer Eiferer anschürte, war die letzte Freude des Pontifex. Unter den dörrenden Strahlen der Junisonne versiechte ihm mählich der Lebenssaft; und durch die bunte, üppige Sommerpracht der vatikanischen Gärten klang sacht schon des Dengeln der Sense, die Jeden am Tag seiner Reife mäht. Lange noch, über Menschenerwartung lange hielt Leo sich aufrecht: und als ein Aufrechter wollte er, da die Nonen des Julius nahten, die Schwelle der Zeitlichkeit beschreiten. In dem entlebten, erkaltenden Leib fachte der Wille immer wieder ein schlankes Nothflämmchen an, bei dessen Flackerschein für die letzte Reise das Bündel geschnürt werden konnte; ein des rechten Weges bewußter Wille, der das Viatikum, den Sühnheller, nicht vergaß und selbst noch bestimmte, welche Hautstellen das geweihte Oel netzen solle. Todesschauer schüttelten das welke Stämmchen: doch gleich einer grünen Gerte bog es sich, ohne zu brechen. Der Dichter wollte sich selbst das Sterbelied singen. Mit verröchelnder Stimme hauchte er Verse, die er noch korrigiren, noch gedruckt sehen wollte. »Das Taggestirn weicht sterbend dem Reich der Abendröthe.« Das Taggestirn: so hatte man ihn genannt, nannte er nun selbst sich im letzten Gedicht. Qualis artifex … Noch einmal rafft er sich auf, steigt, in lächelndem Trotz, aus dem Bett, läßt sich von den Pflegern, denen, wie vor einem grausig hohen Wunder, der Athem stockt, ans Fenster tragen und schaut hinab und umfängt mit erlöschender Sehkraft die urbs, die Campagna, das Albanergebirge. Draußen dämmert die Nacht; um so heller wirds im Herzen des sterbenden Papstes. Dort unten, auf dem Platz von Sankt Peter, war einst der Cirkus des Caligula und des Claudius. Dort loderten, auf Neros Wink, Menschenleiber, beseelte Fackeln, himmelan. Dort hatte, an einem Hochsommertag des Jahres 64, Petrus in Martyrqual am Kreuz gestöhnt. Ein Sektenheiliger: und der Fels doch, auf den die Papstkirche gebaut ward. Wieder, nach achtzehnhundertundvierzig Jahren, prangt heute Rom im Hochsommerglanz: und Petri Schlüsselgewalt reicht über die Weltmeere, bis ins dunkelste Afrika, bis in die Erdmitte, und der Spruch des Bischofs von Rom bindet und löst in schwarzen, braunen, gelben Leibern die Seelen. Einen glücklich Scheidenden schleppen die Aerzte ins Bett, befreit ihr Messer von letzter Brest .. »Völlig vollendet liegt der ruhende Greis«; und an seinem Lager würde Goethes Pallas Athene nicht fragen, wer wohl den Alten beklage. Eine Welt trauert um ihn, der, trotz einem Jüngling, »unendliche Sehnsucht erregt«, und dem thränenden Auge des Frommen ziehen Lebensbilder vorüber, wie ein Sterblicher selten sie sah; kaum einer noch in unseren grauen Tagen.

Pius der Neunte lag auf dem Paradebett. In der Pracht seiner Ceremoniengewänder; die Mitra auf dem Haupt, das Kissen aus Goldtuch stützten, mit rothen Handschuhen und rothen Pantoffeln, die der Gläubigen Inbrunst zu küssen drängte. Geschäftig waltete der Kardinal Pecci des Kämmereramtes. Nie hatte man den Achtundsechzigjährigen so unruhvoll, den oft als mild Gerühmten so streng gesehen. Nach Antonellis, seines Feindes, Tod war er von Perugia nach Rom berufen worden und hatte dort still für sich gelebt. Er wollte nicht auffallen. Schon war ihm geweissagt worden, er werde nach Pius auf dem Stuhl Petri thronen. Er war bereit, hatte die Zeit der Verbannung nicht ungenützt gelassen und bebte nun doch im Innersten, da die Entscheidung nahte. Pius selbst, dessen starke Herrennatur sich gegen jede Erkenntniß kränkender Wahrheit sträubte, hatte in seinen letzten Lebenstagen einsehen gelernt, wie viel, wie Ungeheures dem Papstthum verloren und wie nöthig es war, der Kirchenmacht neue, festere Fundamente zu schaffen. War solche Aufgabe nicht am Ende zu schwer für einen hinfälligen Greis, der einmal nur, als Nuntius in Brüssel, in ein Eckchen des Weltgetriebes geblickt und sich stets mehr als Gelehrten denn als streitbaren Kirchenfürsten gefühlt hatte? Und dennoch: konnte nicht gerade in dem schwachen Leib des Carpineters der Herr das Wunder wirken, das er dem robusten Siegerbewußtsein des neunten Pius versagt hatte? Der Kämmerer harrte des Herrn. Ringsum wurde eifrig an dem Gespinnst gearbeitet, das ihn umgarnen, ihn von der Mehrheit im Heiligen Kollegium absperren sollte. Er schien nichts zu merken und erwiderte stichelnde Andeutungen mit dem Hinweis auf seinen nahen Tod. Die Hand, die des toten Papstes Schläfe dreimal mit dem silbernen Hammer berührte, zitterte nicht und fest klang die Stimme, die fragte: »Schläfst Du, Johannes Mastai?« Dann aber erlahmte die Nervenkraft. Joachim Pecci wurde von einer Unruhe ergriffen, die nie vorher an ihm gesehen ward. Er schlief wenig, tauchte, wo man ihn nicht erwartete, plötzlich auf und hatte einen hastigen Befehlshaberton, der seinem Wesen früher ganz fremd gewesen war. So auffällig war die Veränderung, daß, als er vor dem Katafalk in der Sixtinischen Kapelle nach der Totenmesse die Absolution ertheilte, der Kardinal Oreglia dem Kardinal Guibert zutuschelte: »Der rührt die Werbertrommel!« … Das war am fünfzehnten Februar 1878. Am nächsten Tage wurde Pius eingesargt; Tannenholz, Blei, Ulmenholz umfingen mit dreifacher Hülle den ruhenden Leib, sechs Siegel verschlossen den Sarg, der Fischerring, den der Lebende so lange getragen hatte, wurde zerbrochen und jedes Stück, als eine kostbare Relique, einem Würdenträger anvertraut. Wieder versammelten sich, als die Rede Pro Pontifice Eligendo verklungen war, die Kardinäle, wieder riefen sie zum Herrn und flehten, ihren Sinn zu erleuchten; dann stand jeder, dessen Name genannt war, auf, schritt zum Altar hin und legte seinen Stimmzettel in einen Kelch. Acceptasne electionem de te canonice factam in Summum Pontificem? Gehorchest Du dem Ruf, der Dich auf den Papstsitz erküret? Knieend richtete ein Dechant die überlieferte Frage an den Kardinal Pecci. Der hatte des Herrn geharrt: er folgte dem Ruf des Herrn. Als man ihn wegführte, soll er einer Ohnmacht nah gewesen sein. Doch ehe er ruhen durfte, mußte er den ganzen Pomp der Huldigungfeier hinnehmen. Die Diener kleideten ihn in weiße Gewänder. Diakone warfen vor ihm Kerzen nieder, daß sie erloschen, und riefen: Wie dieses Licht, so vergehe der weltliche Ruhm! Auf Hände und Füße, auf den Saum seines Kleides preßten sich heiße Lippen. Von der Höhe einer Loggia herab breitete er die Arme aus und segnete die Ewige Stadt, segnete die katholische Christenheit. Und alsbald ward verkündet, der neue Papst werde sich Leo den Dreizehnten nennen, um sich als einen Verehrer Leos des Zwölften zu zeigen, des strengen Herrn, der wider Freimaurer und andere Ketzer gewüthet, im Jubeljahr 1824 eine Bannbulle erlassen und die Jesuiten, der Kirche klügste Triarier, zu neuer Macht geführt hatte.

Das gab eine Ueberraschung. Der Kardinal-Kämmerer hatte für einen milden Mann gegolten und als ein liberaler Papst, hieß es, würde er das Weihezeichen des Triregnum tragen. Zwar hatte er in heftigen Briefen an Victor Emanuel gegen die Besetzung des Kirchenstaates, gegen die Belästigung der Kongregationen und gegen die Civilehe protestirt, Priester, die vom Papst den Verzicht auf die weltliche Macht zu fordern gewagt hatten, mit der Suspension a divinis bestraft und Ratazzi hatte ihn einen bis zur Grausamkeit unbeugsamen Geist genannt. Doch das Alles war unter der Herrschaft des unerbittlichen Pius geschehen, in der ersten Zeit leidenschaftlichen Widerstandes gegen den Usurpator, und andere Stimmen hatten gesagt, dieser Kardinal, der ein Gelehrter und ein Dichter sein wolle, werde, sobald er selbständig handeln dürfe, sich von der natürlichen Sanftmuth seines Wesens leiten lassen. Und nun, wie um jede schüchternste Hoffnung zu enttäuschen, bei der Namenswahl schon die Erinnerung an den Mann, der die Gefängnisse der Inquisition wieder geöffnet hatte? Als Crux de cruce hatte Pius der Neunte auf der Kirche gelastet und abertausend unerfüllte Wünsche hatten auf Peccis Wappensspruch Lumen in coelo sehnend geblickt. Sollte der Strahl dieses Lichtes die zarten Keime jungen Hoffens wegsengen?

Die Meinungen blieben getheilt und das Charakterbild des neuen Oberhirten war, von der Parteien Haß und Gunst verwirrt, lange nicht klar zu erkennen. Er wird uns mit Skorpionen peitschen, sagten die Einen; die Anderen: Auf Petri Stuhl sitzt ein Jakobiner. In beiden Lagern suchte man Trost im Anblick seiner Gebrechlichkeit. Das war nicht Pius, dessen Gestalt bis ins Greisenalter straff geblieben war und dessen fleischiger Herrscherkopf von innerer Gluth geleuchtet hatte. Dieses längliche, knochige, bleiche Asketenhaupt mit den dünnen, blutlosen Lippen würde die Tiara gewiß nur kurze Zeit tragen; diesen dürren, fast diaphanen Leib würden sie bald auf das rothe Totentuch betten. Kaum hielt er sich aufrecht. Und schon am Tage der Huldigung, als er, selbst weiß und schlank wie eine Wachskerze, schwankend durch das Spalier der Kerzenträger schritt, wurde in allen Winkeln des Vatikans geflüstert: »Ein sterbender Papst! Seine Heiligkeit wird nicht lange unter uns wandeln. Ueber ein Kleines erlischt dieses blasse Licht.«

Non videbit annos Petri … Ein Vierteljahrhundert war seitdem vergangen; und noch immer hielt der nun Dreiundneunzigjährige in entfleischten Händen den Hirtenstab. Noch immer schwebte er, wie ein weißer Schatten, an hohen Feiertagen über den staunenden Häuptern der Gläubigen dahin. Noch immer auch schlug er mit unverminderter Kraft für seine Sache die Werbertrommel. Noch im Jahre 1902 ermahnte er in eindringlichen Worten die Ketzerheit, in den wärmenden Schoß der Katholischen Kirche heimzukehren. Denn nur da lasse sich gut sein. Daß Vernunft Unsinn wird und eine materialistische Weltauffassung das Glück der Menschheit nicht mehrt, sei längst doch offenbar geworden. Was habe die Freiheit genützt, die Forschung, all der schöne Wahn, der seit den Tagen der Reformation durch die Hirne spukt? Die Moral ist zerrüttet, die Grundmauern der Staaten wanken: so strafe, so räche der Herr den Abfall vom wahren Glauben. Leo der Dreizehnte hat die Encyklika, in die er so hart rügende Sätze schrieb, sein Testament genannt. Und der Greis, der an der Schwelle der Ewigkeit schwachen Menschen solchen Scheidegruß sandte, hieß seit elf Jahren der moderne Papst.

Der Name gebührte ihm und wird ihm, trotz dem Testament, bleiben. Als Antonelli gestorben und der Blick des Pontifex nicht mehr durch trügende Schleier gehemmt war, hatte Pius geseufzt: »Mein Nachfolger wird von vorn anfangen und eine ganz andere Politik treiben müssen als ich!« Das hatte auch Leo erkannt. Er fand das Papstthum der weltlichen Herrschaft beraubt und war zu klug, um sich der Hoffnung hinzugeben, diesen Verlust könne die Zeit je wieder aus dem Buch der Geschichte tilgen. Und die feinen Nerven des Erben fühlten noch schlimmeren Verlust. Die hierarchische Zucht war straffer als je; Pius hatte dafür gesorgt, daß der Riesenkörper der Kirche dem leisesten Druck des Zügels gehorchte. Doch diese Kirche war in der modernen Welt ein Fremdling geworden; nicht den Ketzern nur, nein: auch vielen Gläubigen. Ueberall mühte sie sich in fruchtloser Willensanstrengung, Fallendes zu stützen, war alles Werdenden Feind und nirgends neuen Wünschen erreichbar. Eine ehrwürdige Ruine, die sacht verwittert. Wohl galt noch immer das stolze Wort: Stat crux, dum volvitur orbis. Stand aber auch das Pontifikat so fest wie das Heilandskreuz, konnte es ohne innere Wesenswandlung allen kommenden Stürmen trotzen? Leo hat sich oft als Verehrer des Heiligen Thomas bekannt und gewiß im Archiv des Klosters auf Monte Cassino, wo das scholastische Genie des erwachsenden Neapolitaners gebildet ward, einmal die weisen Worte gelesen, die Cremonini, Galileis Freund, schrieb: Mundus nunquam est; nascitur semper et moritur. Niemals ist eine Welt; in jedem Augenblick wird sie und stirbt. Ein gutes Leitwort für Einen, der die Menschenwelt ewig welkender, ewig erneuter Illusionen beherrschen will. Nicht an Vergehendes darf er sich klammern. So aber hatte Pius gethan. Der war zufrieden gewesen, wenn sein hitziges Temperament sich in prachtvollen Unwettern ausgetobt hatte. Von keinem Kompromiß, keinem Pakt mit feindlichen Mächten mochte er hören. Sein Fluch, daran gab es für ihn keinen Zweifel, drang in den Himmel und rief Gottes Strafgericht auf der Sünder unreine Seelen herab. Wie Vielen hatte er geflucht, die ihr Haupt noch aufrecht trugen und ungebrochenen Muthes vorwärts schritten! Von einer anderen Methode hoffte Leo Gewinn für die auf allen Seiten bedrängte Papstkirche. Keine fleischliche Wallung schien über den hageren Greis Macht zu haben; nie sah man ihn zornig, nie kam aus seinem Munde ein schriller Ton. Er nahm das alte Programm der christlichen Platoniker wieder auf und folgte den Spuren des Doctor Angelicus. Wie die Kirchenväter sich bemüht hatten, die Philosophie, die Kulturschätze der Hellenen dem neuen Bedürfniß der jungen Christenheit anzupassen, wie Thomas von Aquino einen großen Theil seiner Kraft an die Aufgabe gesetzt hatte, den aristotelischen Geist in das Bewußtsein der Katholiken hinüberzuretten, so wollte Leo nun Kirche und Welt, Glauben und Wissen versöhnen. Allzu lange war die Kirche ein Hemmniß auf allen Wegen der Civilisation gewesen; sie sollte künftig, gerade sie, der Kultur den rechten Pfad weisen. Was halfen die Flüche gegen den neuen Geist? Man muß sich mit ihm einrichten, ihm Luft und Licht gönnen und, während die Linke ihn streichelt, mit der Rechten unter väterlichem Zuspruch ihm die drohende Waffe entwinden. Die Menschheit muß wieder erkennen lernen, daß auch die Wissenschaft christlichen Ursprunges ist und daß keine unüberbrückbare Kluft den Forscher vom Gläubigen trennt. Das war das Ziel des neuen Papstes; mußte das Ziel eines Mannes sein, der den Musen nicht minder eifrig als seinem Gott diente, Dante zärtlich liebte und die ciceronischen Perioden seiner Hirtenbriefe so sauber feilte, als lange er, wie einst der Humanist Arneas Sylvius, nach dem Ruhm eines Literaten.

Der Kirchenstaat war verloren, seit am zwanzigsten September 1870 die italienischen Truppen durch die Porta Pia in Rom eingedrungen waren und Victor Emanuel gesagt hatte: Ci siamo, ci resteremo. Noch war die Wunde zu frisch, die Gewalt der Tradition zu groß, als daß der Nachfolger des neunten Pius daran denken konnte, mit dem Minderer seiner Macht Frieden zu schließen. Er blieb der im Vatikan Gefangene und protestirte, wann die Pflicht es gebot, pünktlich gegen den Raub. Doch in der Stille mag Leo sich oft gesagt haben, daß dieser Raub ein Glück für die Kirche war. Jede weltliche Herrschaft weckt Haß; und ein leidender Papst ist stärker als ein im Prunk eines Hofstaates thronender. Eine Kirche, die wirklich ecclesiarum omnium mater et caput sein will, braucht keine Hausmacht und wird durch die allzu enge Verbindung mit einem bestimmten Lande in ihrer Propaganda eher gehemmt als gefördert. In einer Zeit, wo in den Kanzleien aller Großmächte die Verträge sich zu kleinen Gebirgen häufen, hat Leo kein Bündniß gesucht; ihm ist zuzutrauen, daß er jede Bundesgenossenschaft abgelehnt hätte, selbst wenn ihm als Preis die Wiederherstellung des Kirchenstaates versprochen worden wäre. Wer sich heute Einem ganz hingiebt, hat morgen mindestens einen Feind; und der Papst will sich die Möglichkeit friedlicher Verständigung mit allen modernen Mächten bewahren. Als am zwölften November 1890 der Kardinal Lavigerie in Algier das französische Geschwader in einem Trinkspruch begrüßte, in dem gesagt war, der Katholik könne sich mit jeder Staatsform abfinden, hielt man das auf der Zunge eines Kirchenfürsten revolutionär klingende Wort für das Zufallsprodukt einer Laune. Man sollte bald erfahren, daß es sehr ernst gemeint und mehr war als ein Bekenntniß persönlichen Glaubens. Leo hatte sich der Mahnung erinnert, die Toten ihre Toten begraben zu lassen. Sein Ziel war nur zu erreichen, wenn die Katholiken unfruchtbarem Groll entsagten und aufhörten, sich als Gehilfen der Reaktion verhaßt zu machen. Schon zwanzig Jahre zuvor hatte er an die spanischen Bischöfe geschrieben, die Behauptung, die Religion sei an das Programm einer politischen Partei geknüpft, müsse als Irrlehre bekämpft werden. Das dünkt Manchen wohl banale Weisheit; wer aber vergangener (und nicht einmal allzu lange vergangener) Tage gedenkt, wird sich hüten, solches Urtheil zu fällen. Ueberall waren die Katholiken die Träger oder doch die Schutztruppen der Reaktion. Gegen das Schisma, die Reformation, die Revolution, den Kulturkampf ballten sie die Faust und konnten die Entwickelung doch nicht aufhalten. Rußland war dem römischen Priesterkönig nicht zurückzugewinnen; in Frankreich zog kein neuer Roy von Papstes Gnaden ein; und das politische Werk Luthers und Bismarcks spottete ohnmächtigen Zornes. Ein Zustand, der die Katholiken zu dumpfer Thatlosigkeit verdammte, durfte nicht dauern. Leo Tolstoi, der Heiland müder Artisten, konnte den Völkern predigen, hinter ihnen liege das Heil, und sie zur Umkehr ermahnen. Ein Papst, der wirken, Welt und Kirche versöhnen will, darf nicht das Dysangelium verkünden lassen, jeder vorwärts führende Schritt sei ein Verbrechen, eine Sünde wider den Heiligen Geist. In den Köpfen, selbst in denen oft, die der Glaube noch nicht floh, wacht ein uraltes Mißtrauen; immer regt sich, wenn von den Lebensrechten der Kirche gesprochen wird, an deren Mauer die drei Worte universitas, antiquitas, unitas locken und schrecken, die Furcht, die Tage der Gregor und Innozenz könnten wiederkehren und die lähmende Macht der Theokratie, die Gräuel der Inquisition zurückbringen. Diese Gespenster hat der Entschluß Leos des Dreizehnten verscheucht. Er hat die Katholiken zu politischer Arbeit gerufen und von ihnen verlangt, sich in die Zeit zu schicken, so schlimm sie ihnen auch scheine. Er hat den Bund gebrochen, der die Schicksale von Thron und Altar an einander ketten sollte. Er hat offen und feierlich Frieden mit der Demokratie geschlossen, die so lange von der Kirche bekämpft worden war.

Der Erfolg hat für ihn entschieden. Als er an Rampolla, der damals Nuntius in Madrid war, schrieb, die Bischöfe sollten sich von der karlistischen Agitation fern halten, als er Monsignore Czacki, den pariser Nuntius, mit der Mission betraute, zwischen der Republik und der Kurie einen modus vivendi zu schaffen, schüttelte mancher Kardinal das Haupt und wisperte, das lumen in coelo habe sich als ein Irrlicht erwiesen. Längst aber war nun jeder Zweifel verstummt. In Asien und Afrika sind die Quadern des hierarchischen Gefüges fester als je gefügt und in Europa ist die Macht des Papstthumes über alles Erwarten gewachsen; sogar mit Rußland hat der kluge Politiker auf Petri Stuhl sich verständigt. Im Karolinenstreit hat Bismarck ihn zum Schiedsrichter erkürt und Wilhelm der Zweite hatte seinen Rath erbeten, als der Versuch gemacht wurde, den Arbeiterschutz durch internationale Gesetze zu regeln. So Großes, so Ungeahntes wurde erreicht, trotzdem der Papst offen erklärt hatte, die Kirche werde nicht unter allen Umständen mehr fortan die alten Dynastien stützen.

Den Frieden mit der Demokratie hatten Männer wie Montalembert und Lacordaire längst empfohlen; und mit lauterer Stimme als sie hatte Lamennais gesprochen. Er schuf den Bund zur Vertheidigung der religiösen Freiheit und bemühte sich, von dem ebbenden Strom der katholischen Inbrunst zu den modernen Lebensmächten einen Weg zu finden. Die Kirche, so wollte er, sollte im werdenden Bewußtsein des Jahrhunderts feste Grundlagen suchen und ihre Diener sollten sich ohne Vorbehalt auf den Boden der Charte stellen; vor allen Dingen aber sollte die Kirche vom Staat, der Staat von der Kirche frei sein. In allen Zungen klangen seine Paroles d'un croyant über die Erde hin und kündeten die Souverainetät der christlichen Völker. Der Bannstrahl, den Gregor der Sechzehnte gegen den unbotmäßigen Priester schleudern wollte, traf sein Ziel nicht; die Encyklika Mirari vos ist vergessen und Lamennais lebt in der Geschichte des Katholizismus als einer der stärksten Wirker des neunzehnten Jahrhunderts. Vor ihm schon hatte Saint-Simon den Papst als Retter aus sozialer Noth angerufen. Im Nouveau Christianisme stehen die Sätze: »Das wahre Christenthum muß auch für das irdische, nicht nur für das himmlische Glück der Menschen sorgen. Dem Papst ist die Aufgabe gestellt, die Gesellschaft nach den sittlichen Grundsätzen des Heilands zu organisiren. Es genügt nicht, den Gläubigen die Gotteskindschaft der Armen zu predigen; die streitbare Kirche muß rücksichtlos alle Macht und alle Mittel anwenden, um schnell die moralische und die physische Lage der Klasse zu bessern, der die größte Menschenzahl angehört.« Und ein Schüler Saint-Simons, der jüdische Bankier Isaac Pereire, wiederholte den Ruf des Meisters, als der Kardinal Pecci zum Papst gewählt war. »Wie konnte«, rief er (La question religieuse), »die Kirche bis heute verkennen, daß die Wandlung der Welt nicht ein ruchloses, antichristliches Werk ist, sondern von der Vorsehung vollendet ward, um den tiefsten Gedanken des Christenthumes in seinem göttlichen Glanz zu enthüllen? Nie ward von der Kirche die Erfüllung einer schöneren, ihres Stifters würdigeren Pflicht gefordert. Ist sie nicht zur Mutter der Waisen, zur Schützerin der Unterdrückten bestimmt? Sie hat die Sklaverei der Heidenzeit beseitigt und das Joch der Feudalherren gebrochen: sie muß auch den modernen Arbeiter aus den Banden der Hörigkeit erlösen. Nur die starke Organisation der Katholischen Kirche sichert ein soziales Wirken großen Stils. Solche Wirksamkeit wird erst möglich, wenn über den Gesetzgebern, den Gelehrten, den Fabrikanten Apostel stehen, Missionare, die bereit sind, ihr Leben dem Heil der Menschheit zu opfern, unabhängige Männer, die den Muth haben, Allen die Wahrheit zu sagen. Und wo wären solche Männer zu finden, wenn nicht im Bereich der Kirche?« Wir wissen nicht, welche dieser Stimmen bis ins Ohr Leos des Dreizehnten drang. Doch was sie ersehnten, hat er vorzubereiten versucht. Am fünfzehnten Mai 1891 erging an die ehrwürdigen Brüder im katholischen Glauben die Encyklika De conditione opificum, die mit den Worten begann: Rerum novarum semel excitata cupidine … Die Neuerungsucht, an der seine Vorgänger sich geärgert hatten, war ein Faktor geworden, mit dem der Papst rechnete. Bis zu diesem Tag hatte in Rom nur alte Münze gegolten.

Oft ist seitdem die soziale Aktion verhöhnt worden, die damals so geräuschvoll begann und die dann so schnell wieder endete. Von den überschwänglichen Hoffnungen, die sich ans Licht wagten, als der Papst den Pilgerzug der französischen Arbeiter im Vatikan empfing, ward keine erfüllt; konnte keine erfüllt werden. Nur fromme Einfalt verstieg sich bis zu dem Wahn, der Heilige Vater vermöge mit einem Wink seines Zauberstabes die Nöthe zu lindern, unter deren wechselnden Formen die Menschheit seit Jahrtausenden ächzt. Dennoch sollten die Spötter ihren Witz für bessere Gelegenheit sparen. Es war eine große Stunde, die in einem mit der Tiara geschmückten Haupt den Entschluß gebar, »ins Volk zu gehen« und die Dynastien, den ganzen Heerbann der sich allein legitim dünkenden Mächte ihrem Schicksal zu überlassen. Einst werden späte Thomisten vielleicht dem aufhorchenden Erdkreis künden, daß in dieser Stunde die von abertausend Seelen ersehnte Renaissance der Katholischen Kirche begann.

Die Kirche kann warten; und kluge Päpste waren immer geduldig: patiens quia aeternus. Die Starrheit war gewichen und in der Gemeinschaft der Gläubigen neues Leben erwacht. Schon wagte man, von Reformen zu reden, wurden die alten Mauern untersucht und die Hand, die auf hohle Stellen wies, brauchte nicht mehr zu zittern. Wer hatte sich früher um die Sendschreiben des römischen Bischofs gekümmert? Jetzt wurden sie von allen Gebildeten gelesen, von Gelehrten und Politikern kritisirt und in der akatholischen Presse besprochen. Das Papstthum ist wieder eine geistige Macht geworden und mählich lösen sich nun auch die Märchenschleier, die diese Institution dem Auge verhüllten. Niemand glaubt heute noch, daß alle Päpste ein orgiastisches Schlemmerleben führen; die Borgia sind auch im Vatikan eben so selten wie die Hildebrand. Als Gutzkow seinen Rationalistenroman gegen den römischen Zauberer schrieb, sah er den Papst noch als eine Riesenspinne, die Alles aussaugt, was ihr flatternd naht, alle regsamen Kräfte zu umstricken strebt. Und viel später noch, da längst schon der Ruhm des Jungen Deutschland verblichen war, dachten wir, wenn vom Papst gesprochen wurde, an Benedikt den Vierzehnten, der, während er von der Loggia der Peterskirche den Segen spendete, sich selbst den größten Betrüger genannt haben soll: »In der Menge da unten betrügt Einer den Anderen; und ich betrüge sie Alle!« Wir sind nüchterner geworden, skeptischer, doch auch gerechter. Wir stellen uns vor, daß es im Vatikan nicht anders zugeht als an anderen Höfen; nur sind die Höflinge, ist die Bureaukratie da klüger, nach vernünftigerer Auslese auf die Höhe gelangt. Und in diesem Gewimmel herrscht nicht die Sucht, die Geister zu knebeln, der armen Menschheit ihr Bischen Glück zu rauben und alles Licht, alle Lebenslust auszulöschen. Wir sehen Menschen, die ihre kleinen Geschäfte machen und meist wohl überzeugt sind, daß ihr Wirken der großen Christengemeinde frommt. Der Greis, dem sie gehorchten, wurde von Todfeinden des Katholizismus bewundert, aber kaum von Einem, der ihm nicht unterthan war, gefürchtet. Rom hatte den erschreckenden Nimbus verloren; und Leo der Dreizehnte war der moderne Papst.

Gebührte der Name ihm wirklich, auch nach der unmodern klingenden Encyklika, die er sein Testament genannt hat? Auch sie ist von einem gebildeten Manne verfaßt. Wie Leo, so haben größere Pessimisten über die »Errungenschaften der Neuzeit« geurtheilt; nur haben sie den Enttäuschten dann nicht das älteste Heilmittel angepriesen: die Religion. Das aber muß jeder Papst thun, wenn er sich selbst nicht aufgeben will. Er kann nur gerade so modern sein, wie es der Rang und der Pflichtenkreis, in den er gebannt ist, ihm erlaubt. Doch solche Grenzen sind in der engen Welt der Interessen und Leidenschaften nicht nur Päpsten gesetzt. Der Schüler des Heiligen Thomas hat in seinem Testament nicht anders als früher gesprochen. Schon elf Jahre vorher hatte er geschrieben, die Fundamente der Gesellschaft seien erschüttert, weil sie sich vom rechten Glauben abgewandt habe. Die alte Formel, die höchstens überraschen konnte, weil man den Papst mit moderneren Dingen beschäftigt glaubte, An das Ohr des Neunzigjährigen war von den wirren Geräuschen der Welt längst wohl nur noch ein fernes Brausen gedrungen. Er ahnte nicht, welcher Zwiespalt sich in den Gemüthern aufgethan hat; und hätte ers gewußt: er vermochte die Kluft nicht zu schließen. Man könnte einen Papst träumen, der Jesu Lehre nachlebte, allem Glanz entsagte und mit den Armen als Armer hauste. Er wäre eine interessante Gestalt, doch kein Papst mehr, nicht die weithin leuchtende Spitze der Pyramide, die in langer Säkulararbeit von den feinsten, erfahrensten Geistern aufgethürmt worden ist. Ein Papst mag modern sein, die Zeichen der Zeit erkennen und das Schifflein Petri vom Ballast der Jahrhunderte entbürden: er bleibt der Hüter einer Institution, die, um zu dauern, sein muß, wie sie ist, wie sie immer war. Leo der Dreizehnte hat durch klugen Takt, durch stille Benutzung des nützlich Möglichen erreicht, daß die Gebildeten seiner Stimme wieder lauschen, ihn ohne verurtheilenden Haß hören lernten. Er hat die stärkste Organisation, die je ersonnen ward, dem Anspruch des neuen Tages angepaßt. Seine politische Technik war ganz modern, so modern, daß jeder Staatsmann, jeder Großindustrielle sie mit Nutzen studiren wird. Da aber endet auch des Mächtigsten Macht. Das Lebenswerk eines ungewöhnlichen Menschen reichte kaum hin, um das Daseinsrecht der Kirche zu sichern, um zu zeigen, daß in jedem Staat, mit jedem politischen Glauben ein Katholik dem Dogma treu bleiben und selig werden kann. Nun aber naht ein anderer Kampf, der nicht Rom allein, sondern die tiefsten Wurzeln der Christenlehre bedroht. Langsam dämmert der Menschheit die Erkenntniß, daß sie wählen, neue Sittlichkeit suchen, sich eine neue Geistesheimath schaffen muß. Das Gebet, das von der Lippe gelallt und vom Handeln auf Schritt und Tritt verleugnet wird, der leere Kult kraftloser Heuchelei hilft nicht weiter. Der Papst, der diesen Kampf zu bestehen und aus den Ruinen die Herrschaft der Kirche ungemindert zu retten vermag, wird das größte Wunder der Christengeschichte wirken.

 

Das Waffengeklirr drohender Feindschaft hat auch Rom vernommen und mancher Priester hat seitdem unruhvoll über die witternde Mauer gelugt, um zu sehen, ob das Heer schon zur Belagerung anrücke. Noch naht es nicht; es rüstet sich erst, ordnet die Reihen und füllt allzu sichtbare Lücken mit hastig geworbenen Rekruten. In Frankreich, dem alten Experimentirgelände der Menschheitgeschichte, regte sichs zuerst. Pfäffischer Uebermuth, der den Staat ins Kirchenjoch ducken möchte, sollte niedergezwungen werden. So war anfangs das Feldgeschrei; ungefähr wie in Mirabeaus Tagen, da man auszog, den Mißbrauch der Feudalrechte zu sühnen, und in Blutströmen die Reste theokratischen Wahnes ertränkte. Schon ahnte das weitsichtige Auge, daß auch diesmal der Marsch über das Ziel hinausführen werde, das enger Troupiergeist ihm wies. Der Eintagsruhm der Combes und ihres kuttenfeindlichen Gefolges wird bald verblassen, die Mönche, die Nonnen werden eines Tages vielleicht ins Land des Heiligen Ludwig zurückkehren: doch den Antichrist, den Erzfeind alles holden Spukes, wird kein frommes Gelall je mehr von dem aufgewühlten, entweihten Boden verbannen. »Religionen sind Kinder der Unwissenheit, die ihre Mutter nicht lange über leben«, sprach Schopenhauer; und Hunderttausende fühlen es, Millionen heute mit ihm. Fühlen, daß die ehrwürdige asiatische Lehre für das gewandelte Leben des Europäers nicht taugt, daß er sie in jeder Stunde frischen Wirkens verleugnen und, als Heuchler, den wahrhaft Frommen ein Gräuel, den muthig Gottlosen ein Spott werden muß. Keine Reform, kein auf dem Saumpfade der ratiocinatio gepflücktes Kräutlein kann die siechen Gewissen heilen: selbst Luthers Werk war nur der geniale Irrthum eines Menschenverkenners, den der Ekel von bunten Götzenbildern zum Logosdienst zurücktrieb, zum kahlsten, armsäligsten aller Götzen, und den Rom längst nicht mehr zu fürchten hat. Nicht eine Reformation: nur eine Revolution, die keinen Stein des alten Lehrgebäudes auf dem anderen läßt, kann Roms Wälle brechen; und von Gallien zieht ein schweres Wetter herauf. Mea culpa, schrie auf dem Sterbebette der Papst; und viele Kirchenfürsten fanden, die Selbstbeschuldigung sei hier mehr als eine sakramentale Formel. Trug er, der da im Todesschweiß lag, nicht wirklich den größten Theil der Schuld? Warum mußte er von dem alten, durch tausendjährige Tradition geheiligten Weg abbiegen, die Könige ihrem Schicksal überlassen, sich der Demokratie verbünden und öffentlich von der trostlosen Lohnsklaverei des Proletariates reden? Warum der wirren Menge den Heiland als hörigen Menschen zeigen der fast bis ans Ende seiner Tage opere fabrili, durch Handarbeit, sein Leben fristet? Wer dem Bösen erst einen Finger reicht … Die wider den Kommunismus geschleuderten Bannfluche verhallten, der christliche Sozialismus wirkte fort. Nein: Rom mußte bleiben, was es gewesen war; nur im Bund mit den herrschenden Staatsmächten konnte es gedeihen. War erst ein Steinchen gelockert, dann konnte über Nacht der ganze Bau stürzen. In Frankreich merkt mans: hätten wir uns der Republik versagt und das Lilienbanner der Legitimität hochgehalten, Alles stünde besser. Wer weiß? Der Mann aus Carpineto hat schließlich nur um Bewunderung gebuhlt.

So raunten Einzelne, dachten Viele. Sie kannten den Geist nicht, der da langsam, wie die scheue Schnecke dem Haus, der verlebten Hülle entkroch. Der Tod, sagt Dickens irgendwo, giebt oft auch Alten noch einmal das Kindergesicht zurück und läßt im Greis uns den Jüngling ahnen. Sah in dem spitzen, schlaffen Gesicht des Papstes Leo Keiner die Züge des jungen Joachim? Als Anna Pecci ihrem Eheherrn Lodovico den Knaben gebar, saß in Sankt Petersburg ein frommer Streiter, der die Sätze schrieb: »II n'y a plus de religion sur la terre; le genre humain ne peut rester dans cet état. Mais attendez que l'affinité naturelle de la religion et de la science les réunisse dans la tête d'un seul homme de génie. L'apparition de cet homme ne saurait être éloigné et peut-être même existe-t-il déjà.« Der Prophet hieß Joseph de Maistre und war der stärkste, der mit der reichsten Bildung gerüstete Vorkämpfer der Römischen Kirche, der einzige, der damals mit Geistern vom Schlage der Hume, Bacon, Gibbon getrost den Strauß wagen durfte. Und schon er sprach, neun Jahre vor dem Erscheinen seines berühmten Buches »Ueber den Papst«, das Wort: »Die Religion lebt auf Erden nicht mehr«. Der Retter, den er ersehnte, lag, dicht beim Städtchen Anagni, in den Windeln. Keinen neueren Autor hat Leo so oft citirt wie Joseph de Maistre; von ihm hat der politische Papst Brauchbareres noch gelernt als vom Heiligen Thomas. Das Wichtigste dankte er ihm: den festen Glauben an die natürliche Affinität von Religion und Wissenschaft. Dieser Glaube war sein Stab, blieb seine Stütze bis an die äußerste Schwelle des Greisenlebens. Doch einem Wissenden nur konnte dieser Stab vorwärtshelfen: und so saß der Bischof von Perugia, der Kardinal-Kämmerer, der Papst denn Nächte lang über Büchern und Papier und nährte das hungernde Hirn mit weltlicher, von der Indexkongregation mißtrauisch beschnüffelter Speise. Wer hatte vorher einen Pappas geträumt, der neben dem Heiligen von Aquino in einer Encyklika, ohne zu zaudern, Bastiat nennen würde? Der ex cathedra über Zins, Lohn, Wucher, Strike spräche, recht wie ein von der Mehrzahl gewählter Höfling der Menge? Leo war bei Ricardo und Henry George fast so heimisch wie bei Aristoteles und Dante, seinen Lieblingen. Er fühlte, daß solche Kenntniß Dem unentbehrlich war, der mit den großen, leuchtenden Zeichen der Zeit gehen wollte. Auch sein Streben war, sich den herrschenden Mächten zu verbünden; nicht aber, wie die murrenden Kardinäle, den morschen, die sich müde schon ins Grab hinbetten möchten, sondern denen, die zu neuen Sonnen emporstiegen. Den Weg ins nächtige Reich der sozialen Nöthe hatte er nicht selbst gebahnt; Ketteler, Manning, Ireland, Gibbons, Graf de Mun, Winterer, Decurtins waren, auf der Spur von Saint-Simon und Lamennais, vorangeschritten. Nun aber tönte die neue Weise vom Sitz Petri zu der lauschenden Menschheit hinab. Und dort oben saß ein belehrbarer, jede neue Erfahrung nützender Greis, der aufhorchte, als Erzbischof Ireland in Baltimore rief, Jesus habe the social question zur tiefsten Grundlage seines Heilandwaltens gemacht, und sich vom Kardinal Gibbons das Bannwort gegen die knights of labour von der Lippe fortbitten ließ. Den Mahnern wurde das Werk nicht einmal schwer. Schon in den Fastenbriefen der Jahre 1877 und 78 hatte Bischof Pecci sich als den Schüler christlicher Sozialisten bekannt, vom Leben des Arbeiters, vom Los der im industriellen Großbetrieb überanstrengten Frauen und Kinder gesprochen. Daß er seitdem nicht taub geworden war, lehrten die Encykliken vom Mai 1891 und vom Februar 1892. Die erste beklagt »die Proletarierschaar, die in beinahe sklavischer Frohn seufzt«; in der zweiten steht der denkwürdige Satz: »Nur die Kirche Christi vermochte bis heute ihre alte Herrschaftform zu bewahren und wird sie bis ans Ende aller Tage unverändert behalten; auf hundert Blättern aber lehrt die Geschichte, daß in rein menschlichen Gesellschaften die politischen Einrichtungen stetem Wechsel ausgesetzt sind, wie die Zeit ihn, die große Wandlerin, wirkt.« Dieser Wechsel beschränke sich manchmal auf winzige Aenderungen des geltenden Herrschaftrechtes, schaffe oft aber auch ganz neue Gebilde und verleihe den früher Machtlosen im Staate die höchste Gewalt. Dieser Satz, der den französischen Klerus aus unfruchtbarem Hoffen aufscheuchen sollte, schlug von Sankt Peter die Brücke zur Demokratie. So weit war der Jünger Josephs de Maistre gekommen; so dicht stand er nun bei Galileis skeptischem Freund. Sah seines Geistes Auge den nahen Zusammenbruch des Hauses Savoyen? In einer Italerrepublik gab es nur einen gekrönten Herrn, der sich auch ohne Territorialbesitz, als ein freier, nicht mehr gefangener Papst, dem Volk zeigen konnte. Doch daran hat Leo wohl kaum gedacht. Ihm wars nicht um den Schein und er hat nie, mochten die rothen Männer es noch so oft wiederholen, um Bewunderung gebuhlt. Wie Goethes Gregor, sah er das Große groß, das Kleine klein. L'affinité naturelle de la religion et de la science: Das schwebte ihm vor. Nicht hoch zu Roß konnte er, wie die alten Päpste, mit blankem Schwert seinem Glauben den Erdkreis erobern; geräuschlos mußte er, sacht, die befreiten Geister ins Lehrgebäude zurückschmeicheln.

Das hat er vollbracht, der Milde, Leise, den die Gegner auf und nach dem Konklave einen Wirrkopf hießen, einen mit thomistischer Tünche bestrichenen Dutzendpolitiker, der, mit seinem eckigen Knochenbau, mit dem schleppenden Gang und der näselnden Stimme, nach der massigen Hochgestalt Mastais wie das Zerrbild eines Papstes wirken müsse. Er kam ans Ziel, weil er sich hütete, das Schifflein Petri je unachtsam gegen den Strom zu steuern. Eine Welt trauert um ihn; eine weitere als um Pius. Lumen in coelo … Vom Fenster des Vatikans sah er noch einmal die Sonne, sah weithin über die Häupter der Christenheit und schloß das müde Auge, ehe von Gallien her die Belagerer vor die Engelsburg rückten.

 

Propheten blicken, Sibyllen, Heilige und Helden von der Decke herab. Alle Wunder der Schöpfungsgeschichte, alle Aengste des Sündenfalles leuchten, lieblich und furchtbar, dem scheu bewundernden Auge. Gott-Vater selbst, mit der frohen Zuversicht des Weiterweckers und, ein unerbittlicher Rächer, in majestätischem Zorn. Von der Altarwand her dräut das Jüngste Gericht. Der Zeitlichkeit letzte Mauer scheint vom Flehen gläubigen Sinnes geborsten und es ist, als dürfe Menschenkurzsicht zum ersten Mal in den offenen Himmel schauen, als müsse Menschenschwachheit vor so grauser Pracht zum letzten Mal hier das Zittern lernen. Mit zürnender Geberde erhebt sich der Heiland vom Richterthron und sondert von den Gerechten die Sünder. Und bebend irrt der ruhlose Blick über das verblaßte Geknäuel und lebt in Sekunden die tausendjährige Geschichte uralten, ewig erneuten Wahnes; irrt vom Christengott, der den Schrein der Herzen entriegelt, zu Charon, dem heidnischen Fergen, der seinen Kahn von verdammtem Gewimmel so gleichmüthig leert, als schüttle er lästige Mäuse aus einem Sack. Alles wird von den Posaunen dieses Weltgerichtes überdröhnt. Signorelli, Perugino, Ghirlandajo, Botticelli verstummen; nur die fromme Hybris, der ins Kirchenjoch gezwungene Dämon Michelangelos spricht. Den geschäftig huschenden Greisen im Veilchengewand ists Heiligenmalerei wie andere auch; sie ahnen nicht, daß hier Einer von Luzifers Stamm gewagt hat, mit Handwerkeremsigkeit seine Titanenvision zu gestalten; achten längst nicht mehr des bekannten Kapellenschmuckes. Sie lesen die Messe und lösen Bittende vom Sünderbann. So will es die Ordnung, wenn ein Pontifex im Pallium auf dem Goldtuch der Totenbahre ruht. So wars, genau so vor fünfundzwanzig Jahren gewesen. Als der Kardinal-Kämmerer Pecci, am sechzehnten Februar 1878, nach der zweiten Totenmesse mit nervöser Grimasse und überlauter Stimme den drängenden Haufen Absolution ertheilte: tuschelte da nicht Kardinal Oreglia dem Nachbar ins Ohr: »Der rührt die Werbertrommel?« Denn Oreglia haßte den Kämmerer und war entschlossen, ihm mit schlauster Ränkeschmiedkunst im Konklave den Sieg sauer zu machen. Joachim Pecci, der, weil er greisenhaft und unschädlich schien, dennoch siegte, kannte seinen Mann, sah in ihm den Erben und pflegte zu sagen: »Oreglia wird, wenn ich tot bin, mit dem silbernen Hammer meine Schläfe recht leise berühren, um mich ja nicht etwa zu wecken.« Nun war es so weit. Oreglia Kämmerer, Gebieter im Vatikan, von künstlich genährtem Irrglauben fast schon mit der Tiara gekrönt. Jetzt rührt er die Trommel. Von Leo blieb nur ein schlecht balsamirter, in der Hitze verwesender Erdenrest. Rasch ins dreifache Sarggehäus, auf das der Kämmerer sein Siegel drückt, dann die Zerstückung des Fischerringes, dessen Theilchen wieder als Reliquien verliehen werden … Der Ring ist fort. Nicht zu finden. Und Ungeduld treibt zur Eile. Der Magister Camerae wird den Ring später suchen. Schnell die Rede pro eligendo Pontifice, die Bereitung zur Zellengefangenschaft, die Wahl. Kurze Stunden genügen. Der Kämmerer hütet das von der Welt abgesperrte Haus und bald kann, auf sein Geheiß, der Ceremonienmeister die Gänge der drei Stockwerke abschreiten und die Kardinäle rufen: »In die Kapelle, Monsignori!« Sie schlürfen herbei; nicht mehr in Trauer: im rothen Kleid. Wieder blicken Propheten, Sibyllen, Heilige und Helden von der Decke herab. Auf heilige Männer, die den Heiligsten wählen. Nur den ihnen Bequemsten vielleicht? Und von der Altarwand her dräut das Jüngste Gericht.

Wenige Wochen vorher hatte der sieche Papst sich in der Abendkühle auf eine Gartenloggia geschleppt. Er ahnte den Tod und wollte nicht sterben; er wußte sich nah am Thron des Höchsten die Ehrenstätte bereitet und klammerte sich an vergängliches Glück, vergänglichen Glanz. Einer durchsichtigen Elfenbeinfigur glich er; und in dem entfleischten Leib wachte bei Tag und bei Nacht ungesättigt, unermüdet der Wille zum Leben. Die Stadt prangt, der Borgo in Hochsommerfülle: und sehnsüchtig, als könne er strotzende Erdkräfte heraufflehen, breitet der Greis die Arme. Wie ein weißes Beinkreuz ragt er durch die Dämmerung. Doch die Ekstase weicht und die Arme sinken, gleich welken Zweiglein, die ein Windstoß hochgepeitscht hat. Und als der bleiche Schatten geschwunden ist, liegt in der Loggia ein goldener Reif; er glitt wohl vom dürren Finger und das ins Schweigen großer Natur hinaushorchende Ohr vernahm nicht das leise Klirren. War die Sommersehnsucht allzu irdisch, unwürdig Eines, der Petri Statthalter sein soll, und ward deshalb der annulus piscatoris von der erkaltenden Knochenhand gestreift? … Um die Spükezeit weben dunkle Mächte. Unbeachtet, ungeehrt liegt die heilige Zier auf dem Stein, Stunden lang, nicht besser denn eine werthlose Scheibe. Im Bleigrau des nächsten Tages ersieht sich ein römischer Rabe die funkelnde Beute; mit scharfrandigem Diebesschnabel packt er den Ring und fliegt mit ihm an die Küste, dem Horst entgegen. Bald aber wird dem Galgenvogel die Last zu schwer und er läßt sie am Tyrrhenerstrand fallen. Dahin kommt ein Mann aus Fiumicino, der nach Rom Muränen, Goldbrassen, Makrelen liefert und auch den Vatikan bedient. Der findet zwischen Muscheln den Ring. Solchen sah er noch nie. Sankt Petrus selbst ist darauf abgebildet; sitzt in seinem Kahn und hält in der Rechten die Schlüssel zum Himmelreich. Das ist ein Fund, der sicher seine zweihundert Soldi einträgt. Nur müßte mans wohl melden; gewiß hat ein Monsignore das Kleinod verloren. Doch Inspektoren und Delegaten haben lange Finger und geben, was sie einmal haben, nie wieder heraus. Herr Bartolo, der Koch, wird Rath wissen. Das ist ein Feiner. Seit Jahrzehnten im Borgo; bei allen Prälaten beliebt, mit allen Schlichen vertraut; und um seinen Sparpfennig von allem Gesinde der schwarzen Stadt inbrünstig beneidet. Ihn hat der Tod des Pontifex nicht allzu tief betrübt. Sein Mann war Mastai-Ferretti gewesen. Den hatte er so oft, so laut und so lange gerühmt, daß die Küchenzunft dem feisten Polterer schließlich den Spitznamen Pio Nono gab. Joachim Pecci? Ein heiliger Herr, ein Gelehrter, ein Dichter. Aber es war doch so gekommen, wie Schlauköpfe nach dem Konklave von 1878 geweissagt hatten. Natürlich; damals bekamen die Konklavisten magere Gratifikation und den Schweizern wurde das Trinkgeld verweigert, das noch jeder neue Papst für die Zeit des Interregnums bewilligt hatte. Ein böses Omen; und so wars weiter gegangen. Drei Viertel der Jubiläumsgeschenke zum Vortheil des Heiligen Stuhles an den Meistbietenden versteigert; sogar der Wein: zu zwei Lire die Flasche Crémant Impérial. An allen Ecken geknausert. Keine Spur mehr von der üppigen Pracht Mastais. Warum nur? Kleine Leute mögen ihr Bischen Geld auf die hohe Kante legen; Petri Nachfolger aber soll im Glanze wohnen. Und wenn Einer winselte und über die karge Wirthschaft klagte, erhielt er als Trost nur ein Lächeln und die Mahnung: »Machts wie ich; mit zwanzig Soldi täglich komme ich ohne Entbehrung aus«. Pius, den schönen, stolzen Greis, dessen starke Stimme bis zuletzt die Basilika füllte, der zu repräsentiren wußte und für die Aermsten, wie für die Mächtigsten, stets das rechte Wort fand, hatten Alle bewundert. Leo war unscheinbar, ließ sich nicht gern sehen und traf selten den Ton echter Leutsäligkeit. Mild war er ja; zu mild für Bartolos Geschmack. Der gerieth schon in Wuth, wenn er die ewig wiederholte Litanei von der mitezza des Herrn hörte. Als ob einem Statthalter des Allmächtigen nicht höhere Pflicht vorgeschrieben sei als die, immer mild zu scheinen! War der dritte Innozenz mild gewesen, da er rief, der Heiland habe Petro nicht nur das Kirchenregiment, sondern die Weltherrschaft vermacht, oder Bonifazius der Achte, da er die Könige mahnte, nie zu vergessen, daß sie, wie der Mond all sein Licht von der Sonne leiht, ihre Territorialgewalt nur der Gunst der Kirche zu danken haben? So mußte ein dreifach Gekrönter reden. Wie weit man mit der Milde kam, zeigte sich jetzt ja in Frankreich und anderswo. Nein: Kardinal Ferrieri hatte nur allzu wahr gesprochen, als er Pecci hochmüthig hieß und nach der Wahl seufzte, nur unter Blinden könne der Einäugige den Herrscher spielen. Dazu der Aberglaube, mit kleinen Zuckerstückchen Raubvögel ködern zu können. Nie der Entschluß zu offenem Krieg gegen den Mordbrennerstaat der Savoyer, nie mehr als taktische Kniffe und vorsichtige Kompromisse. Und immer die kaum verheimlichte Furcht vor dem Tode, als obs mit dem Paradies und der ewigen Seligkeit doch nicht so ganz sicher wäre. Man darf ja nicht murren, muß mit Dem, was man hat, sich zufrieden geben. Aber ein Papst, der nachts den Kämmerling aus dem warmen Bett ruft, um ihm lateinische Verse vorzudeklamiren … Ach, unter Pius hatte es im Vatikan anders ausgesehen.

Bei solchen Reden traf der Mann aus Fiumicino seinen Gevatter, der einen stattlichen Schwärm um sich hatte; denn in kritischen Zeiten lief Alles, zu hören, was Pio Nono zu grollen, zu wettern habe. Die Fische waren schnell besichtigt und frisch gefunden. Doch der Fischer hatte noch ein Anliegen; zog seinen Gönner in die Ecke und zeigte den Fund. Bartolo wurde ganz blaß, faßte sich aber und schrie, wie zum Scherz: Extra omnes! Der alte Ruf, den der Kardinal-Kämmerer der Konklaveverhandlung voranschickt. Sacht schob das Gedräng sich hinaus. »Wirklich wie bei Pio Nono: immer ein gedeckter Tisch und immer Etwas zu lachen.« Als der Letzte die Thür hinter sich geschlossen hatte, fuhr der Koch auf den Lieferanten los. Woher er den Ring habe. An der Nordmole der Tibermündung, dicht beim alten Porto gefunden? Wers glaubt! Diesen Ring, mit dem Bild Petri im Kahn und den Himmelsschlüsseln? Stehler oder Hehler. Der Ring sei nie aus dem Vatikan hinausgelangt und die Behauptung, er habe am Strand gelegen, sei eine alberne Lüge. Ob der Gevatter sich einbilde, einen alten Fuchs prellen zu können. Und gar verkaufen? Den Ring, womit ein Vierteljahrhundert lang jedes Breve versiegelt worden … Plötzlich schleußte der Koch den Strom. Wenn mans nüchtern nahm: Hatte er denn der Herkunft des Kleinods nachzufragen? Den Fischer kannte Jeder als ehrlichen Mann; und jetzt stand er blitzdumm, begriff Bartolos Zorn offenbar nicht, blinzelte ängstlich und hätte sich am Liebsten ohne den Ring weggetrollt. Kann denn nicht ein Wunder geschehen sein? Der verhörende Richter sänftigte sich. Vor dem Konklave habe man den Kopf voll und ärgere sich schon über einen Pappenstiel. So schlimm sei es nicht gemeint und dem alten Freunde nichts Unredliches zuzutrauen. Ein hübscher Ring; wohl ein uraltes Erbstück, denn heutzutage arbeite man feiner; und das Gold sehe verdächtig nach schlechter Mischung aus. Am Ende ist das Ding nicht einmal echt, habe vielleicht seine fünfzig oder hundert Jahre auf dem Meeresgrund gelegen (die lateinische Inschrift kann der Fiumiciner ja nicht entziffern) und sei nun angespült worden. Immerhin ein netter Fund für einen armen Teufel. Zweihundert Soldi, habe er sich gedacht? Eigentlich ists Unsinn; doch man hat mal die Sammelwuth und einen guten Bekannten läßt man nicht gern vom Trödler übers Ohr hauen. »Ich will Dir das Doppelte geben. Zwanzig Lire. Trotzdem ich verdammt knapp bin. Aber: reinen Mund halten! Die Sippschaft sagt mir so schon nach, ich hätte unter Sankt Schmalhans Schätze gespeichert. Und Dir würde nicht Jeder die Strandgeschichte auf Dein ehrliches Gesicht glauben; wenigstens kämest Du wegen Fundunterschlagung vors geistliche Gericht und mit den Lieferungen für den Borgo wäre es sicher aus. Also: keinen Ton! Und grüße mir Monna Lena.« Mit den vierhundert Soldi und dem Fischpreis in der Tasche konnte der Gevatter sich heute einmal die Eisenbahnfahrt von Ponte Galera gönnen. Signor Bortolo aber kroch in die Speisekammer, verriegelte die Thür, putzte und rieb den Ring, bis der Arm ihm erlahmte, und träumte dann vor sich hin. Ein großes Geschäft, das der Ahnunglose ihm da ins Haus gebracht hatte. Wenn man ein Bischen wartete … Gewiß war der Ring unter Brüdern, als Rarität, seine tausend Lire werth. Nur blieb der Handel gefährlich; und Bartolo hatte sich nie mit unsauberen Sachen abgegeben. Einen bescheidenen Schmuggelgroschen nimmt Jeder mit, der ihn haben kann. Dies aber konnte als Todsünde ausgelegt werden. Schon ging das Gerücht, der Fischerring sei verschwunden; die camera papalis war in Aufruhr; alle Stuben, Truhen, Winkel wurden durchstöbert und Niemand konnte wissen, wie weit die Untersuchung sich erstrecken würde. Nein. Das durfte er seinem Pietro nicht anthun; seinem Einzigen, für den er sparte und sorgte. Der sollte Besseres werden als sein Vater, sollte, wenn er das Almo Capranicense verließ, für die höchsten Ehrenstellen im Heer der Kirche gerüstet sein. Dann … Wie Erleuchtung kams über den Alten. Ists ein Zeichen himmlischer Verheißung? Wie käme sonst dieses Sinnbild höchster Gewalt an ihn? Und ein Fischer hatte es, von Sankt Peters Gewerbe ein schlichter Mann, ihm gebracht. Des Herrn zu harren, ist Pflicht. Wenn der Tag der Weihen herangewacht ist, wird der Vater dem frommen Jüngling den Ring an den Finger stecken; und frei mochte dann Pietro über sein Eigenthum schalten.

 

Das Collegio Capranica … Da war der Knabe erzogen worden, dessen Name jetzt, vor und hinter den Drehthürmchen der abgesperrten Wahlstätte, auf allen Lippen lag: Mariano Rampolla del Tindaro. Den schlanken, schmächtigen Kleriker mochte man sich auf Goldgrund gemalt denken; ein Flügelpaar noch: und das Auge träumte den echtesten Fra Angelico. Auch ihm, der am siebenzehnten Augusttag ins sechzigste Lebensjahr schreiten wird, ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Dem fernen Betrachter scheint er noch jung; die hagere Gestalt hält sich straff, der Blick leuchtet, wenn sich das Lid einmal hebt, wie eines Dreißigers und erst in der Nähe sieht man, daß auf den weiten Flächen dieses stillen, in strenger Zucht an lächelndes Schweigen gewöhnten Antlitzes Krähenfüße gescharrt haben, bei Tag und bei Nacht. Ein Kopf, den Keiner vergißt, jedes Künstlers Entzücken und Sehnsucht, aber längst kein zarter Beato mehr; eines anderen Giovanni erinnert vor dieser dunklen Größe sich das Auge: Cimabues, der den Heiland und den Evangelisten von Pisa schuf. Und doch ist etwas ganz Modernes in dieser Menschenhülle; Etwas, das kein Primitiver und kein Florentiner der Hochrenaissance zu geben vermocht hätte. Ein Räthselwesen; weltmännisch und priesterlich, elegant und doch unfrei in der Geberde, fast unirdisch körperlos und dennoch in allen Erdenränken heimisch; unter den Brauen eine Flamme, vor der Männer erschrecken, und um den Mund oft das fromme Lächeln friedlicher Puttenköpfchen. Einer, unter dem auf steilem Ritt einst ein Flügelroß stürzte und der seitdem in der Ebene bleibt, auf der sicheren Heerstraße, die das Dogma dem Gläubigen weist. Jesuiten waren die ersten Lehrer des Knaben aus altem Sizilianergeschlecht. Von ihnen lernte er früh, daß es den Priestern ziemt, blind sich der Vorsehung anzuvertrauen, perinde ac si cadaver essent, quod quoquo versus ferri et quacunque ratione tractari se sinit. Keiner hat je lieber und besser gehorcht. Für den harten Dienst in der Truppe Loyolas war Mariano zu schwächlich; er wäre gern den Weg des Ignatius gegangen, hätte gern in einer schwarzen, braunen, weißen Kutte nur der Ordensregel gelebt, aber die Vorsehung wollte seine junge Inbrunst im Gewirr weltlicher Händel panzern. Nur der Ruf unermüdlichen Fleißes folgte ihm nach Madrid in die Nuntiatur. Doch Simeoni, der Nuntius, merkte bald, daß man ihm keinen Dutzendmonsignore geschickt hatte, und erbat sich, als er zum Kardinal und Leiter der Propaganda ernannt ward, den bewährten Beistand auch für das wichtigere Werk. Rampolla wurde Sekretär der Orientalischen Abtheilung und wußte mit sanfter Gewalt den Streit zu enden, der in Armenien die Bischöfe trennte und, zum Schaden der Römerkirche, gegen einander trieb. Jetzt wurde ihm nicht mehr nur Ausdauer und Emsigkeit nachgerühmt. Der Mann, der allem Prälatengeklätsch fern blieb, nie in den Vorzimmern lungerte noch nach Neuigkeiten schnüffelte, der nur sichtbar wurde, wenn Pflicht ihn rief, war aus anderem Stoff als der Haufe der Müßiggänger und Streber, die, um ja nichts zu versäumen, beim winzigsten Geräusch den Kopf durch die Thürspalte stecken und wonnevoll grinsen, wenn sich in ihrem Gespinnst eine armsälige Fliege gefangen hat. Der Sekretär kannte jede Aktenseite, sah hinter dem Buchstaben die Hand, die ihn geschrieben hatte, hinter der Klage den Kläger mit seinem besonderen Temperament, fühlte im dichtesten Wortgeknäuel das allein Wesentliche und war früh ein Meister in der Kunst des Schweigens und Hörens. Solche Gaben konnten im Vatikan, wo für die Auslese der Tauglichsten besser als in Laienreichen gesorgt ist, selbst unter Jacobinis Staatssekretariat nicht unbelohnt bleiben. In Madrid waren Fehler gemacht worden. Simeonis Nachfolger, Monsignore Bianchi, hielt offen zu den Karlisten und zog sich den Unwillen des Königs Alfonso zu, bei dem er beglaubigt war. Unklügeres war nicht zu ersinnen; wer die Kirche vertritt, darf sich nicht von persönlicher Neigung und Abneigung leiten lassen, sondern soll warten, bis der Sieg einen der Kämpfenden krönt und entscheidet, wo überlieferte Glaubensschätze vor Stürmen geborgen sind. Pius war tot; und der Greis, der nach ihm die Tiara trug, wußte schon damals, daß Legitimität ohne Macht nur ein Schemen ist und fruchtlose Thorheit jedes Bemühen, das Schifflein Petri an vergängliche Staatsformen zu ketten. Bianchi würde im Heiligen Kollegium unschädlich sein; für Spanien aber paßte nur ein Geschmeidiger, der sich nicht verdrießen ließ, Fädchen um Fädchen sacht zu entwirren. Leo ernannte Rampolla zum Erzbischof in partibus von Herakleia und bot ihm die Nachfolge Bianchis an. Der noch nicht Vierzigjährige erschrak; er war eben erst in die Kongregation der außerordentlichen Kirchengeschäfte versetzt worden, hing an seiner Arbeit und scheute die Rückkehr ins Getriebe eines weltlichen Hofes. Doch: »Dein Wille geschehe!« Perinde ac si cadaver esset. In Madrid eroberte er, trotzdem er höfische Feste mied, schnell wieder den verlorenen Boden; er schien mehr Priester als Diplomat und hatte vielleicht gerade deshalb bald das Ohr Alfonsos und der Königin, die ihm dankbar blieben, weil er den Gemeindezwist endete und die karlistischen Bischöfe zwang, das Herrschaftrecht der jüngeren Bourbonen anzuerkennen. Fast fünf Jahre lang wirkte er still in Madrid. Dann wurde er in Purpur gekleidet und hieß nun Kardinal-Staatssekretär. Schon war er eine Hoffnung; achtzehn Kardinäle schaarten sich um ihn, und als er das schwere Amt des Staatssekretärs annahm, wisperte es hinter seinem Rücken: »Der ist nicht ehrgeizig; sonst hätte er abgelehnt und im nächsten Konklave mühelos eine Mehrheit gefunden.« Das war 1887. Seitdem sind die Namen Leos und Rampollas kaum noch von einander zu trennen. Als eins der weltgeschichtlichen Paare leben sie in der Vorstellung der Menschheit. Der Sekretär war klug genug, nur das Werkzeug des Papstes zu scheinen, demüthig genug, ihm alle Ehre zu gönnen, Groll und Haß aber auf sich zu nehmen. Os tuum et caro tua sum. Ein treuer Knecht. Und Mariano Rampolla wollte immer nur Priester sein und lächelte mitleidig himmelan, wenn Freund oder Feind ihn einen Politiker nannte.

Er soll auch gelächelt haben, so oft Gunstsucher ihn als Nachfolger Leos grüßten. Ein Staatssekretär, der die Geschäfte führt und sich, mag er noch so christlichen Sinnes sein, durch Handeln und Unterlassen Feinde machen muß; und gar einer, der allmächtig scheint, weil er einem hinfälligen Herrn dient und weil Niemand ahnt, wie störrisch ein Greisenhirn sein kann, wie eifersüchtig auf Jeden, der mit kecker Hand nach dem Steuer greift. Nein: auf Pecci folgt nicht Rampolla. Die Kardinäle, die einem ungebrochenen Mann von sechzig Jahren ihre Stimme gäben, müßten auf das Triregnum verzichten. Eine Mehrheit entsagt nicht gern aller Hoffnung. In schlimmer Zeit schweigen solche Bedenken und gemeinsame Noth flüchtet zu dem Stärksten. Doch Leo hinterließ ein gesichertes Erbe, das selbst fromme Einfalt ohne Gefahr eine Weile verwalten konnte. Auch im Konklave regt sich die rerum novarum cupido, in der Joachim Pecci eine Großmacht erkannte; der Fremde, Unbewährte gilt da leicht mehr als Einer, der anderthalb Jahrzehnte lang dem Auge Angriffsflächen bot. »Rampolla Papst? Der wars ja schon seit 1893«: die witzige Antwort eines Würdenträgers traf den Kern. Dazu kam der Wunsch, endlich wieder einen Praktiker zu krönen, Einen, der die Bedürfnisse der Diözesen aus eigenem Erleben kennt; selten wird eine Armee sich ein Oberhaupt wählen, das im Bureaudienst lange der Truppe entfremdet ward. Solche Erwägung war wichtiger als die Frage nach dem politischen Glaubensbekenntniß. In Kinderstuben mag man träumen, kluge Kirchenfürsten hätten keine andere Sorge als die, ob ihr Kandidat Deutschland oder Frankreich zärtlicher liebe, dem Dreibund oder dem Zweibund vom Himmel den Sieg erflehe. Leo hätte vergebens gelebt, wenn nicht einmal den seinem Throne Nächsten, von seinem Willen mit dem Purpur Geschmückten die Lehre eingeprägt wäre, daß Form, Verfassung, Gruppirung der Staaten wechselt und ewig unwandelbar nur die Kirche ist. Deren Vortheil ist zu suchen, mögen darüber auch Reiche in Stücke gehen und Kronen zerbröckeln. Immer das selbe Ziel; nur die Methode hat sich der Zeitstimmung anzupassen. Gregor der Siebente rief dem Bischof von Metz zu, die Macht der Könige stammen von Teufelsknechten, die durch frechen Raub, Treulosigkeit, Mord, durch Gräuel jeglicher Art die frömmeren Nebenmenschen unterjochten. So spricht Rom längst nicht mehr; doch die Ehrfurcht vor zufälligen Eintagsgebilden ist in tausend Jahren nicht gewachsen und heute noch ist Weisheit in dem Wort unseres Dichters: »Vom Vatikan herab sieht man die Reiche schon klein genug zu seinen Füßen liegen, geschweige denn die Fürsten und die Menschen.« Deutschland konnte die leise Geschäftigkeit, Oesterreich das schüchterne Veto sparen. Auch ohne so übereifrigen Drang wäre Rampolla nicht Papst geworden. Er war zu jung, zu stark, der Pfarralltäglichkeit und dem Wust ihrer Vorurtheile zu weit entrückt. Wer möchte das Gloria in excelsis von Lippen hören, die sich im Salon der Frau Friedländer aus Breslau zu weltmännischem Geplauder zu öffnen pflegten? Wo Mehrheit entscheidet, hat der Tüchtigste nicht viel, der Bequemste Alles zu hoffen. Wahrscheinlich wäre ein vierter, vielleicht ein fünfter Wahltag verstrichen, wenn die Erkrankung des Primas von Spanien die alten Herren nicht in Angst gejagt, die grause Möglichkeit, morgen im heißen Zellengelaß mit einem Toten zu hausen, die Einigung der Stimmen nicht beschleunigt hätte. Auch dann aber wäre auf Pecci nicht Rampolla gefolgt. »Der Papst? Wars ja schon seit zehn Jahren!«

Guiseppe Sarto war der Mann der Mehrheit; war so geschaffen, ihr Mann zu sein, daß er vorher schon im Sozialdemokratischen »Avanti« als Leos Erbe Unfrommen verkündet wurde. Kleiner Leute Kind, der Vater ein Bote und Hausbesorger, die Schwestern an Dorfschänker und Hausirer verheirathet. Ein gutmüthiger, strenggläubiger Herr, der sich den christlichen Sozialismus nicht zu nah kommen ließ und von Reformen und Modernisirungen nichts hören mochte; als Patriarch von Venedig lebte er recht behaglich, doch ohne Prunk, liebte sein Spielchen, gab nie ein Aergerniß und that pünktlich, was ihm die Pflicht gebot. Er ist niemals im diplomatischen Dienst verwendet worden, spricht außer dem Bischen Kirchenlatein keine fremde Sprache, kennt kein fremdes Land, kaum eine andere Provinz als sein geliebtes Venetien, geht ins neunundsechzigste Lebensjahr und hat unter Fettpolstern ein sieches Herz. Ecce sacerdos … Flink kränzt ihn die Legende. Er hat in Venedig den König, hat Prinzen des Königshauses begrüßt (so thaten, wenns nöthig wurde, alle Bischöfe, deren Diözesen nicht zum Gebiete des früheren Kirchenstaates gehörten): also wird er mit den Savoyern sicher schnell Frieden schließen. Er bewundert Deutschland, wird Frankreich die Privilegien nehmen, mit denen die älteste Tochter der Christenheit so lange den verblühten Reiz aufputzen durfte, und die von Rampollas Tücke gefesselten Geister aus dem Tyrannenjoch lösen Ein liberaler Papst! So wurde einst auch Joachim Pecci genannt. Der hatte als Bischof in seinem Palast Gioberti empfangen, den Feind der Jesuiten, den Apostaten und Ontologen, hatte in Perugia eine Totenmesse für Cavour erlaubt, mit Bonghi verkehrt und immer auf gute Beziehungen zu den Staatsbehörden gehalten. Ein Liberaler, sagten die Freunde, ein Jakobiner, die Feinde. Aber Sarto ist von ganz anderem Schlag. Kein Politiker. Das Herz auf der Zunge. Unfähig jeder Verstellung. Ein wirklich Liberaler und Gottes schlichtester Knecht. Und der so Gepriesene folgt nun auf den modernen Papst, der die stärkste Organisation der Menschengeschichte in langer und leiser Arbeit dem Bedürfniß des neuen Tages angepaßt hat. Für dieses ungeschulte Auge wurden die Schätze höchster Kunst gehäuft. Diesen erkürten, unter dem Dräuen des Jüngsten Gerichtes, heilige Männer zum Führer. Vor ihm beugt sich, als Erzpriester der Basilika, der feine, gebildete Diplomat Mariano Rampolla zum Fußkuß. Und am Finger Sartos, des zehnten Pius, funkelt der Fischerring, zu dem der päpstliche Hofjuwelier Fanfani gleich nach der Wahl das Maß nehmen mußte.

»Ganz wie der alte«, denkt Bartolo, der sich nicht allzu weit von der sedia gestatoria ein Plätzchen gesichert hat. Mit der Gestalt und der Stimme des neuen Herrn ist er zufrieden. Nur wirds im Vatikan gewiß noch kärglicher werden. Wer in der Hütte geboren ist, findet sich im Palast nicht zurecht. Der Sizilianer, der da drüben so inbrünstig zum Thron aufblickt, ganz Priester, ganz willenloses Werkzeug in des Höheren Hand, wäre ihm lieber gewesen. Doch hat Pietro ihm nicht erzählt, wie viele Päpste Hildebrand krönen ließ, ehe er selbst nach dem Goldreif griff? Abwarten; auch für Diesen kommt noch der Tag. »Der Papst ist nach der Krönung in tiefe Ohnmacht gefallen!« »Der machts nicht lange. Pius der Zehnte ist nicht Pio Nono.«

 

Unter dem Pontifikat Gregors des Siebenzehnten, da das erste Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts dem Ende zuneigte, in einem heißen, trockenen Sommer zog sichs zusammen. Unrast scheuchte Menschen und Gethier aus träger Ruhe. Mißwachs und Seuchen plagten das Land und die dörrende Fiebergluth schien nicht weichen zu wollen. Alles schwieg; die Schwätzer selbst und die klatschsüchtigen Gevatterinnen hielten den Atem an, als fürchteten sie, durch ein lautes Wort die düsteren Schreckensreiter noch näher heranzurufen. Da klangs von der Küste her durch das stille, in tötlichem Entsetzen erstarrende Reich. Eine zornige Stimme, wie des Wüstenpredigers im härenen Rock. Zu Kasteiung und strenger Buße wurde das Volk gemahnt, das sein Elend frevelnd verschuldet habe. Denn es sei vom wahren Glauben abgefallen und friste auf heiligem Boden ein schändliches Leben; und von den Hirten kümmere keiner sich um die seiner Hut anvertrauten Seelen. Der aber sprach, war selbst ein Hirt, eines Sprengels Seelsorger; und schonte doch nichts, wagte, in Veilchenfarbe und Purpur Gekleidete zu richten, und schickte den Zürnruf bis nach Sankt Peters schimmernder Burg. Allzu weltlich, grollte er, ist Euer Treiben und heidnisch fast. Wo laset Ihr, daß Jesu Jünger den Leib in Brokat hüllten und die Lenden mit Edelgestein gürteten? Daß sie sich in buntem Aufputz je zur Schau stellten? Bei leckerem Mahl saßen und von ihren Nächsten sich, gleich asiatischen Bildgöttern, huldigen ließen? So pflegten sie nie; so that auch der Meister nicht, dem sie in Demuth, doch nie als Sklaven dienten. Gehet hin und wandelt wie sie: arm unter Armen. Die Zeit ist wieder erfüllt; und so Ihr Euch nicht zu schneller Einkehr entschließet, wird, auf einen Wink vom Weltenthron herab, die beseelte Natur das Otterngezücht ausspeien. Und Du dort auf Petri Stuhl, Du Fels, der den Kirchenbau tragen solltest: wie morsch ward Deines Scheinwesens Grund! Einem übertünchten Grab gleicht Dein öder Palast mit dem Drohnengetriebe; und nichts denn Leimen nur ist all Dein unfruchtbares Gepränge … Kein Lebender hat je so kühne Sprache gehört; und was Märtyrermuth auf die Zunge legt, verhallt niemals völlig ins Leere. Ein Summen entstand und allerlei Volk sammelte sich um den Neuerer, der so ruhig dasteht, in seinem Priesterkleid, so sicher, als könne keine irdische Gewalt ihm auch nur die Spitze des Haares krümmen. Prophet oder Narr? Heiliger oder Ketzer? Doch er predigte die reine Lehre und nichts war in seinen Worten, gar nichts wider das Dogma. Was verkündet sei, solle verkündet bleiben; auch immaculata conceptio, Syllabus, Unfehlbarkeit seien wie urälteste Glaubensschätze fortan zu ehren. Von den Priestern nur komme, nicht von der Verkündung, das Aergerniß; drum zwinge die harte Pflicht, persönlich gegen Personen zu kämpfen. Was nütze die Heuchlergeberde des Knechtgefühles, da die Klerisei doch am Herrentisch prasse? Was der Nothruf jedes Erwählten: Non sum dignus, – da sich Jeder doch würdig findet, Sankt Peters Schlüsselgewalt zu üben? Und wenn ihm erwidert werde, durch welche That er selbst denn würdig geworden sei, als Richter unter die Fürsten der Kirche zu treten, so müsse er, redlicher als Mancher, der sich den Fuß küssen ließ, sprechen: Non dignus sum. Der Herr aber könne sich auch im winzigsten Gefäß offenbaren. Und gab der Himmel ihm nicht ein Zeichen besonderer Gnade? Nicht ihm den Ring, den der große Papst bis zur letzten Weihehandlung am Finger trug? Nach alter Sitte wird dieser Reif, sobald der Pontifex im Sarge ruht, in Stücke zerbrochen. Und der eine hier, von allen der einzige, blieb unversehrt. Jeder mag ihn betrachten, betasten … Ein Wunder! Wahrlich: Dieser ward als Richter gesandt. Weisheit spricht er und rügt nur, was alle Gerechten längst schon beseufzten. Deshalb die Plage, Mißwuchs, Hunger und Pestilenz. Hörten sie nur auf ihn! Doch die Großmächtigen am Tiber verstopfen das Ohr und kein Echo dringt in den Borgo. Der Mahner aber ruht nicht, schürt die irren Flämmchen und fegt die Zündstoffe mit weißglühender Schaufel zusammen. Und zum Brausen wird das Gesumm, zu wildem Geheul; und es ist, als flehe eine Menschheit zum letzten Male in bleicher Noth und als müsse der brünstigen Bitte, der kaum verhallten, rasch der Ruf zu grausamster Waffenwehr folgen.

Am Tiber sitzt Einer, der sein Ohr nicht dem Geheul sperrt. Von allen der Mächtigste. Das Gesinde, das bunte Heer der Kongregationisten, Erzbischöfe und rothe Eminenzen betteln: er möge dem Unfug ein Ende machen. Vors Prälatengericht den frechen Lästerer, den gefälschten, im Trödel erschacherten Ring auf den Schindanger: schnell werde die alte Ordnung dann wiederkehren. Gregor lächelt nur; und keines Mundes Macht wischt dieses leise Lächeln sicheren Wollens weg. Gregor kennt Menschen und Welt. Die Zeit der Ketzergerichte ist unwiederbringlich dahin; und jede Kraft, auch die in wüsteste Irrniß gelockte, muß der Kluge jetzt zu nützen versuchen. Keine hochnothpeinliche Anklage, keine langwierig laute Prozedur, kein neues Blatt mehr im Martyrologium.

 

Der Schwärmer steht vor dem Papst.

»So war auch ich einst … Und wo ist Dein Kleinod, der Zauberring der Dir die Menge zutrieb? Er ist echt. Und ich will nicht fragen, wie er an Dich kam. Genug: er ist Dein und Du magst an Dein Juwelierwunder glauben. Der ihn trug, hatte den Muth, als Greis noch vom alten, durch tausendjährige Tradition geheiligten Pfad abzubiegen. Rerum novarum semel excitata cupido: Das war sein Wort. Damit, meinte er, müsse auch Rom rechnen lernen. Und die Wuth der Neuerung packte jetzt den Erben des Ringes. Wäre nur Alles auch neu, was Du, brennenden Wergbündeln gleich, in die Seelen schleuderst! Aus Neuem keimt Frucht. Du aber … Dein Papst soll der Lehre Jesu getreulich nachleben, allem Glanz entsagen, den Palast den Darbenden öffnen und unter Armen als Armer hausen. Dünkelst Du Dich stolz den Ersten, der Solches träumt? Weißt nicht, daß unzählige Weltflüchtlinge und Welthasser seit Bernhards Tagen uns diese Botschaft brachten? Und staunst nicht, wie das grauseste aller Wunder, die Gewißheit an, das Keiner von ihnen jemals Gehör fand? Keiner, amice, konnte Gehör finden. Glaube mir: die kalte Pracht wärmt mich nicht und gern ginge ich im Linnenkittel den Dornenweg, statt hier wie ein heute gehätschelter, morgen verwünschter Götze zu thronen. Nur in der Liebe, die Deinesgleichen Dir freiwillig schenkt, wohnst Du, merke Dirs, warm. Doch uns blieb keine Wahl. Was in Asien eine des Weltunterganges gewärtige Menschheit, einen thatscheuen und wortgläubigen Stamm band, taugt nicht für ein Universum, dem in Aeonen vielleicht die letzte Sonne aufgehen wird. Petro sollen wir gleichen? Wo ist Petri Gemeinde? Wo auf dieser Erde das dem Reichen verschlossene Paradies, dessen Fülle den Armen labt? Die Hungernden knien vor neuen Heilbringern und neuen Kreuzen und sind uns, den Herren von Gestern, verloren. Unser Anhang will die Grimasse des Gottes sehen, sein eigenes Ebenbild in Glorie und Pomp. Jahrtausende lang haben die feinsten Hirne an dieser Umwandlung eines Asiatenideals gearbeitet; und eh Du nicht Besseres findest, mein Sohn … Nimm Deinen Ring. Dir warb die Dürre Bewunderung. Wenn wieder Regen den Acker düngt, wirst Du, unseliger Fischer, vergebens nach Menschenseelen die Angel strecken; sichert Dein Köder Dir keinen Fang.«

Ein Lächeln noch; das mitleidige Lächeln noch des klugen Frommen. Nur ein Cimabue malt uns diesen modernen Papst.


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