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Hedwig Niemann.

Eine ganz kleine Frau mit sehr hellem Haar und grauen, manchmal ins Grünliche schillernden Augen. Sie konnte sich kaum verändern; die proteische Verwandlungskunst, die Thoren für die eigentlich schauspielerische Fähigkeit halten, fehlte ihr völlig und sie wäre, auch wenn sie Perücken von millionen Locken aufgesetzt hätte, immer doch Hedwig Niemann geblieben. Sie versuchte auch die täuschenden Künste gar nicht erst; sie trat stets in der selben Gestalt vor das Publikum und war, wo sie zu gesunden Sinnen sprechen durfte, immer des Sieges gewiß. Das nur begrenzte ihre Wirkung: den Ungesunden bot sie nichts, den kraftlos Kränkelnden, die nur durch die stärksten Reizungen noch, durch pastilles galantes, durch Peitsche und Perversitäten, für ein Weilchen aus träger Ohnmacht aufzurütteln sind, hatte ihre schlichte und stille Kunst nichts zu sagen. Deshalb gefiel sie auch den Börsenbarbaren, die in den berliner Theatern Hausse und Baisse machen, schon lange nicht mehr und durfte aus Gnade und Barmherzigkeit nur von Zeit zu Zeit noch spielen, wenn gerade kein Kassenstück da war oder wenn irgendeine Greisenhetäre, die, um ihre Boudoirpreise zu steigern, in der entwürdigten Moralischen Anstalt ihr Unwesen trieb, für die vierundzwanzig Arbeitstunden des Tages lohnendere Verwendung hatte.

Hedwig: der Name erinnert an blonde Kriegerinnen, an schlanke und weiße Weibchen, die immer bereit waren, mit den Germanenmännchen den heißen Kampf um das Glück und die Herrschaft zu wagen; und die Höhere Tochter, die sich hinter Butzenscheiben eifrig für ähnliche Kampfspiele rüstet, denkt bei dem holden Namen an Scheffels Frau Hadwig, die gelehrte Freundin des schönen, versonnenen Mönches Ekkehart. Mit diesen altdeutschen Weibsbildern schien unsere Hedwig Niemann dem ersten Blick nicht die geringste Gemeinschaft zu haben, obwohl sie mit den kleinen, soignirten Händchen sich den stattlichsten Germanenrecken erstritten hatte, aus Wälses Stamm den Riesen, dem man glauben konnte, er habe den hehrsten Helden der Welt, den Brecher alter Verträge, im Schoß der bräutlichen Schwester gezeugt. Aber auch Hadwig aus Bayernland war wohl nicht immer die weise Frau; eine Anekdote erzählt von ihr, sie habe, als sie den Kaiser Konstantin, den sie nicht mochte, heirathen sollte, den verhaßten Ehebund durch eine boshafte Mädchenlist schlau zu vereiteln gewußt: sie verzerrte ihr hübsches Lärvchen so standhaft, daß der Maler, der dem Basileus ihr Portrait liefern sollte, kein ordentliches Bild zu pinseln vermochte und Konstantin, der die deutsche Katze doch nicht im Sack kaufen wollte, die Werbung freiwillig aufgab. Wahrscheinlich ist die Geschichte erfunden; aber sie läßt uns immerhin ahnen, daß Fräulein Hadwig ein Racker war. Und allen zierlichen Rackern fühlte die Hedwig der Bretterwelt sich ganz sicher nah verwandt; wenigstens hat die kleine Hedwig Raabe die Racker immer am Liebsten gespielt. Etwas Streitbares steckte in ihr, deren Gestalt doch gar nicht einer Virago glich, und sie konnte auf der Bühne ganz merkwürdig wild mit den Geschlechtsgenossinnen um das Glück und das Mutterglück verheißende Männchen kämpfen; nicht wie eine Heldin freilich, sondern wie eine allerliebste, aber auch bösartig pfauchende Katze. Wenn sie als Frou-Frou mit der ihr unähnlichen Schwester stritt, wurde ihr Auge ganz grün, in dem hellen Haar schienen, wie unter finsterem Himmel in einem Katzenfell, Funken zu knistern und dem Zuschauer schlich Angst vor dem kleinen Satan ins erkältete Gebein. Dann aber lachte sie wieder, wie nur eine reinliche Seele lachen kann, schmiegte sich kätzchenhaft an den Geliebten und rieb schnurrend, mit Zärtlichkeit erbettelnden Pfötchen, die Mädchenglieder an dem ersehnten Leib. Die reine, keusch erwachende Sinnlichkeit war das Stärkste in ihrer Spielkunst; nicht die mit Kanthariden erkünstelte Sinnlichkeit, die in den Logen und im Ersten Rang die müden Herren kitzeln und lüstern machen will, sondern die gesunde Sinnlichkeit des Naturweibchens, das jauchzend sich vom Ueberwinder erkennen läßt und spöttisch den werbenden Mann mißt, in dem es des Mannes zu wenig findet. Haben es einst, in dumpfen Germanenhütten und in den altdeutschen Häusern, Hedwigs Ahnen nicht auch so gepflegt und gethan? Die Natur überlebt lachend den Wechsel der Mode.

Die starke Natur des nachschaffenden, die schwache Schöpfung ergänzenden Künstlers kann den schlechtesten Theaterstücken für flüchtige Stunden den Schein des Lebens leihen. Wer heute die verstaubten Stücke von Iffland und Benedix, von Putlitz und der Birch prüfend mustert, wird nicht begreifen, daß diese leichte Waare ganze Geschlechter ergötzte; er weiß eben nicht, wie diese Unbeträchtlichkeiten damals gespielt wurden. Mit der nüchternen, korrekten und uniformirten Schauspielerei, die sich jetzt, gar neckisch und selbstbewußt noch, auf den schlecht gekehrten Brettern der berliner Hofbühne spreizt, wäre die armsälige dramatische Kleingewerbeproduktion des ersten Jahrzehntes im neuen Reich nie zu Erfolgen gekommen. Damals aber standen am Schillerplatz die Herren Döring, Berndal, Liedtke, Krause, Vollmer, Oberländer, die Damen Frieb-Blumauer, Erhart, Keßler und Meyer neben einander; und durch diese in ihrer harmonischen Einheit und robusten Laune seitdem in Berlin nie wieder erreichte Lustspieltruppe tollte und kicherte von Zeit zu Zeit Hedwig Niemann-Raabe. Sie kam immer nur für ein Weilchen und huschte, wie ein Irrwisch, bald wieder hinweg; mit ihr aber kam Sonnenschein, Frohsinn und ausgelassene Koboldstücke. Wenn sie Ifflands steifen Hofrath mit Mädchenreiz aus dem Hagestolzenthum lockte, des Städters staubige Pedantenseele mit Landluft labte und mit der eigenen Jugendlust den ängstlichen und von Honoratiorenstolz doch geblähten Herrn Freier über Nacht verjüngte, konnte man glauben, ein Kunstwerk zu sehen, den Lenz eines Herzens zu erleben; wenn sie Fanchon, Jane Eyre oder Lorle war, glich die muffige Requisitenkammer der guten Madame Birch-Pfeiffer beinahe der hellen, blühenden Menschenwelt; und wenn sie, in einer längst vergessenen Kinderei, als flinkes Theaterbachfischchen Hedwig »ihr Herz entdeckte«, dann wars, als ob in einem zärtlich von schlanken Mädchenfingern gepflegten Gärtchen die Knospen sprängen, um durch den Morgenthau blinzelnd die Sonne zu sehen. Viele haben ihr eifernd nachgeäfft, das Lächeln und Schmollen ihr abgeguckt und fast Alles, was man jetzt an »Naivetät« hinter der Rampe sieht, kommt aus dem Raabereich; ihr Bestes aber, die von Saft und Kraft strotzende und doch so lacertenhaft geschmeidige Persönlichkeit, blieb ihr unnachahmliches Eigenthum. Selbst die entzückende Kunst der Frau Sorma ward selten so völlig deutsche Natur; sie ist spiritueller, fast immer sentimentalisch und sehnt sich nur nach der Natur, der verlorenen, zurück; sie ruft den spitzen Verstand zu Hilfe, den grämlichen Meuchelmörder der Ursprünglichkeit, während Frau Niemann sich still vom Instinkt leiten ließ. Es ist ein Unterschied wie zwischen Grillparzer und Goethe; und vielleicht ist es kein Zufall, daß die charmanteste Hexe im Reich der jungen Frau Sorma die Jüdin von Toledo, die feinste und stärkste Mädchengestalt der Frau Niemann Goethes Marianne wurde. Wie sie da hausmütterlich im engen Kleinbürgerbereich schaltet und waltet, mit dem Bruder, dem Freund und dem Bübchen Christel verkehrt, leise schmunzelt und ganz sacht, daß nur ja Keiner sich drüber gräme, ihr bärmliches Herzleid in verstohlenen Thränen erleichtert, wie das dämmernde Sehnen des Busens ihr klar wird und immer klarer, bis in dem Bruder endlich der Liebende sich und der Geliebte enthüllt und die von der Fülle des Glückes Betäubte, von Wilhelms heißem Kuß Bebende nur den Ruf des Zweifels findet, der doch schon kein Zweifel mehr ist: »Wilhelm, es ist nicht möglich!«: als fortwirkendes Erlebniß kanns nicht Vergangenheit werden. Nur eine Szene gab es noch, wo, in ihrem begrenzten Rollenkreis, diese Spielerin solche Kunsthöhe erreichte (erreichen konnte, weil ein Dichter sie führte): die qualvolle Szene, in der Hebbels todwunde Maria Magdalena den gehaßten Verführer anfleht, sie zu heirathen, aus der Schande zu lösen. Frau Wolter hat der seltsamen Tischlerstochter mehr herbe Größe gegeben, in ihr mehr die Tochter des stacheligen, düster sinnenden Vaters gezeigt, doch ihr Herointhum verfügte nicht über die Fülle der flehenden und unter Schluchzen fluchenden Frauentöne, die Hedwig Niemann fand; so mußte das Mädchen sein, das, von der Stickluft des dumpfen, lichtlosen Hauses entkräftet, sich in einer schwülen Stunde an den ungeliebten, das Püppchen schlau knetenden Mann verlor und mit der letzten, fast schon verzweifelnden Hoffnung nun um die Ehre kämpft, das höchste, beinahe das einzig heilige Gut im dunklen Haushalt des Meisters Anton. Die spitzfindig erklügelte Vorgeschichte des mächtigen Werkes wurde glaubwürdig und dem von der Hebbellauge nicht angefressenen Menschenverstand sogar wahrscheinlich, wenn Hedwig Niemann Klara Anton war. Leider kam sie allzu selten dazu, echten Dichtern solchen Sieg zu erstreiten. Sie mußte gewöhnlich die Sache der Macher und Mächler führen und die Kraft an die schwere Aufgabe verzetteln, Paraderollen zu Menschlichkeit zu erwecken. Das war nicht ihre Schuld, nicht die Bequemlichkeit eines lässigen und eitlen Talentes, das kokett nur nach wohlfeilen Effekten spähte und sich im Poetenland, wo die Früchte ihm langsamer reifen mußten, nicht heimisch fühlte. Nein: die unermüdliche kleine Frau schnupperte gierig stets nach neuer, hoch lohnender Arbeit umher und hätte gern an den von den Größten geschaffenen Jungfrauen und Frauen die Kräfte geübt; aber die äußeren Mittel, von denen der Kunsthandwerksbetrieb des Schauspielers abhängig ist, zwangen ihre nach freier Regung langenden Rollenwünsche in enge Grenzen. Sie wäre das beste Gretchen gewesen, das man erträumen könnte, ein nachdenkliches, einfältiges Bürgerkind, das im heißen Wirbelwind einer von Höllenkünsten geheizten Leidenschaft über Nacht zum Weib und zur sündigen Mutter wird; doch die helle Vogelstimme hätte das Gebet an die Gnadenreiche und den Jammer der irren Kindesmörderin in einem weiten Schauspielraum nicht zu leisten vermocht. Ihr fehlte immer der große Ton und die große Geberde; sie fand auch nicht den sicheren Führer, der, als es noch früh genug war, bis in Stellas Park ihr den Weg zu weisen versuchte. So blieb sie denn auf die bürgerliche Dramatik beschränkt; und mit der sah es, als die Natur der Niemann das Bühnengepräge empfing, recht übel aus. An den deutschen Bachfischen, die unter der Witztyrannis der Lindaugenossen rasch verrohten, hatte sie sich bald übersättigt und suchte, als ihr in den »Augen der Liebe«, einem allzu bewußt klugen Theaterspiel der Birchtochter Wilhelmine von Hillern, noch ein kleines Puppenwunder gelungen war, bei den Franzosen das Heil. Frou-Frou war sie schon früher gewesen; jetzt wurde sie das Fräulein von Belle-Isle, Dora, Cyprienne und Francillon. Diese Rollen »lagen« ihr eigentlich nicht, denn sie dachte und empfand nicht wie eine Französin, sondern war in ihrem Wesen so kerndeutsch, wie die Chaumont und die Réjane gallisch (oder pariserisch) waren; aber sie übersetzte die zierlich frechen Heldinnen der Dumas und Sardou keck in ihr geliebtes Deutsch und war stark genug, um uns in den Glauben zu zwingen, ein Pflänzchen wie Cyprienne oder Francillon könne in Magdeburg gewachsen sein. Freilich konnte dieser Jahrzehnte lang währende Umgang mit Männern, deren Art mehr geistreich als poetisch ist, nicht ohne Folgen bleiben. Frau Hedwig gab den klugen und thörichten Jungfrauen, den unbefriedigten oder unbeschäftigten Gattinnen, die sie zu spielen hatte, ihr blondes Gemüth, aber sie fühlte sich ihnen überlegen und ging mit den Ersinnern dieser Figuren nicht immer säuberlich um. Für den Schauspieler, der sein Handwerk beherrscht, ist die ununterbrochene Beschäftigung mit geringer Kunst die größte Gefahr: er wird, weil er sich nicht einem starken Dichter unterzuordnen braucht und in jedem Augenblick jeden gewünschten Ton sicher trifft, leicht zum selbstherrischen Virtuosen, dem das Drama nur noch das Mittel ist, die eigene interessante Persönlichkeit glänzen und glitzern zu lassen. Auch Frau Niemann ist dieser Gefahr nicht entronnen; sie hörte nicht immer gut zu, entzog sich oft dem Zusammenspiel und amüsirte sich, während die Anderen vorn redeten und rasten, im Hintergrund auf eigene Faust. Vor der seelenlosen Aeußerlichkeit der schlimmen Virtuosen hat ihre starke Natur sie aber bewahrt; wo es galt, versagte sie niemals; ihre Thränen waren stets echt (allzu echt manchmal, denn sie weinte wirklich und schmälerte durch eigene Ergriffenheit dann die Wirkung), und wer die Alternde als Marianne sah, konnte, immer wieder, erkennen, daß sie die schwerste Schauspielerkunst niemals verlernt hatte: bescheiden und treu sich in Demuth dem Gebote des Dichters zu fügen. Pedanten pflegten ihr vorzuwerfen, Ibsens Nora sei ihr vor Jahren nicht gelungen, und wollten damit beweisen, daß sie die größten Aufgaben des »modernen« Schauspielers nicht bewältigen konnte. Der Vorwurf ist ungerecht. Als sie Nora spielte, war Ibsen noch der fremde, unverstandene Mann aus dem Nebelland; ehrfurchtlose Theaterleute drängten dem Noradichter eine unsinnige Aenderung des Schlusses auf: und die Niemann hatte eine läppische Frau Helmer darzustellen, die reuig ins Puppenheim zurückkehrt. Eine menschliche (oder gar weibliche) Einheit ist aus Frau Nora, die unheilbar am Ibsenbruch krankt, überhaupt nicht zu schaffen; denn die zwitschernde Lerche wird plötzlich mit dem radikalen Trachten Ibsens, des Alleinfliegers, belastet und soll, nachdem sie zwei Akte lang ein munteres, moralinfreies Weibchen war, im dritten das moralische Pathos des Dichters und das Recht der starken Persönlichkeit gegen die Gesellschaftsitte verfechten. Dieser letzte Akt, der nur noch Tendenz und persönliche Polemik des Dichters bringt, fordert von der Darstellerin scharfen, raisonnirenden Verstand: und der Verstand war nie die starke Seite der Frau Niemann. Ihre Kraft stammte aus feinem und derbem Frauengefühl, sie konnte Marianne, Lise Pomme und Madame Sans-Gêne sein, und wenn sie das alte Fräulein Ella Rentheim, die Jugendliebe des unseligen John Gabriel Borkman, gespielt hätte, dann wäre das an heimlichen Wundern reiche Werk besser verstanden worden und man hätte gemerkt, daß diese Schauspielerin, die in Dorf und Stadt das glaubhafteste Lorle war und an schlechten Kramstoff so viel Kraft verschwendete, selbst im dunklen Ibsenreich noch echte Frauen gestalten konnte.

 

Friedrich Nietzsche, sagt man, hat sich als blutjunger Student in das Fräulein Hedwig Raabe rechtschaffen verliebt. »Eine Erholung seltener Art« nennt er, in einem Brief an den Freiherrn von Gersdorff, 1866 ihr Gastspiel; und »ärgert sich gewaltig«, daß er die Familie seines Onkels vernachlässigt hat, bei der, in Gohlis, der »blonde Engel« nun wohnt. »Ich ertrage es jetzt als eine Strafe meiner ungeselligen Gesinnung.« Das klingt beinahe, als käms aus ernstlich verwundetem Herzen. Es wurde nichts draus (so pflegt man in besseren Kreisen ja wohl sittsam zu sagen), gesunder Erotik fiel in dem armen Leben des einsamen Lyrikers überhaupt keine wichtige Rolle zu und am Ende war der leipziger Jugendrausch nur eine gewöhnliche Studentenliebe, die, wie die Windpocken, kommt und geht. Die kleine Hedwig hätte aber auch den erwachsenen Dichter wohl noch zu locken vermocht, der auf Gletscherhöhe den Uebermenschen lehrte und Zarathustra sprechen hieß: »Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel. Deshalb will er das Weib als das gefährlichste Spielzeug.« Der den Weibern verhaßte Spruch paßte auf diese weiblichste unserer Schauspielerinnen. Ein spielerischer Kindertrieb war in ihr; mitten im tändelnden Spiel zeigte manchmal aber ein blitzschneller Blick oder eine flinke Wendung, daß man dem Sonnenschein dieses Frauenfriedens nicht trauen dürfe und daß in der holden Hülle ein unbarmherziger Satan mit spitzen Zähnchen und scharfen Krällchen hause. Hedwig Niemann war einem recht gefährlichen Zweig der vielfach differenzirten Evafamilie entsprossen; und weil sie ganz und gar Weib war und ihr stärkster Reiz aus dieser Weiblichkeit stammte, ward ihr der Uebergang zu den Müttern und bethulichen Tanten so schwer, denen der tränkende, stillende Frauenborn längst verdorrt ist. Nur der Stärkste durfte sich, ihr Albert, muthig des Wagestückes vermessen, sie zu freien und festzuhalten, nur der Stärkste, der Wälsung, bestand siegreich den Kampf mit dem gefährlichen Spielzeug. Wenn vor Zarathustras trunkenem Blick die kleine Frau neben dem reckenhaften Gatten erschienen wäre, hätte er den Freunden das blonde Paar gezeigt und ihnen gesagt, daß hier ein Ehegarten nach seinem Herzen angelegt sei, weil ein heldischer Mann, statt einer geputzten Lüge, eine starke, tanzlustige Frau fand, ein echtes Weibchen, das zur Erquickung des heimkehrenden Kriegers taugt.

Allzu früh ist Hedwig Niemann vergessen worden. Kaum liest man noch ihren Namen. Den Mimen wird oft unersättliche Gier nach raschem, sichtbaren, münzbaren Erfolg vorgeworfen; ist solche Sucht ihnen zu verargen, wenn sie täglich erleben müssen, wie schnell in ihrem Rampenreich blühender Ruhm welkt, wie Denen selbst, die einst auf einem Thron saßen, von grober Hand nur hastig ein paar Schollen ins Grab nachgeschleudert werden? Der Anblick lehrt sie »geizen mit der Gegenwart und ihrer Mitwelt mächtig sich versichern«. Minder pathetischen Ausdruck als Schiller gab Bismarck ihrem Angstgefühl, als er, nicht in Nänienstimmung, das Schauspielerwort citirte: »Nach Neune ist Alles aus«.

Die Niemann wußte es; wußte, daß eine Rastende bald von der Menge vergessen ist, und wollte drum, nach des Dichters Wort, den Augenblick, der ihr blieb, »ganz erfüllen.« Spielen, um jeden Preis von einer Bretterhöhe herab auf empfängliche, auf widerwillig sich öffnende Herzen auch wirken. Als sie keine Rollen mehr fand (Ella Rentheim, Frau Alwing, Paillerons fröhliche Herzogin, Frau Flamm hätten sie zu neuer Laufbahn gestärkt) und als Gastspielerin immer mit der Erinnerung an ihre Jahre geärgert wurde, versuchte sies mit dem Vorlesen. Las die Gretchenszenen des frühsten Faustentwurfes: und Herz und Stimme der Fünfundfünfzigjährigen waren einer staunend unterm lauen Morgenwind der Geschlechtsliebe erwachenden Jungfrau. Da bot sich noch eine Möglichkeit. Sie konnte Märchen vorlesen, ganz alte Märchen, Legenden von Keller, Goethes kleine Erzählungen, Fabeln, galante, die freilich mild gesalzen sein mußten. Aber sie konnte ihre Siege nicht organisiren; hatte es nie gekonnt. Theaterblut aus der Zeit letzter Prinzipalschaft. Nach dem Faust las sie Wagners »Walküre«; unglaublich klingts und ist dennoch wahr. Dann wagte sies auf der Bühne noch ein letztes Mal. In der »Rothen Robe« (von Brieux) wollte die hellblonde Magdeburgerin eine wilde, mit Sonne gesäugte Baskin sein. Es war ein Jammer. Seitdem ist sie in Trübsinn und bitterem Groll hingekümmert. Ihrem Leben schien jeder Inhalt genommen; und sie hatte dem Recken doch drei Kinder geboren. (Am Ende wars, trotz dem Schein, dennoch nicht die Ehegemeinschaft, die Zarathustra lehrte.) Eine Berufspsychose verwirrte den Sinn der unbeschäftigten Frau. Und als Wohlthäter kam an einem Karfreitag der Tod.

 

Der Wallensteinprolog, der Glück und Leid des Mimen mit Schillerglanz illuminirt, ging mir durch den Kopf. Da wird der Hörer gemahnt, der Muse zu danken, »daß sie das düstre Bild der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft, aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt.« So sah der heilige Mann, hinter dem, »in wesenlosem Scheine,« das Allzumenschliche lag, das Ziel dramatischer Kunst. Täuschung sollte geschaffen, gleich danach aber wieder zerstört werden. So sah es auch der Spieler, dessen bildsamer Jugend das weimarische Evangelium mit Nutzen gepredigt ward. Das könnte den Unterschied älterer und neuster Spielweise erklären. War die Niemann etwa nicht »natürlich«? Sie konnte gar nicht anders sein; mußte reden, wie ihr der Schnabel gewachsen war. Nur, freilich, sollte er hold gewachsen sein: im Zorn, in schenkender Zärtlichkeit und in derbster Lust blieb immer der Wunsch wach, sich von der besten Seite zu zeigen, die Krone der Schöpfung nicht ins Gemeine (»was uns Alles bändigt«) niederziehen zu lassen. Auch sinnliche Frauenregung mußte aus dem Herzen zu kommen scheinen, nicht aus tieferer Region. Wenn Frau Else Lehmann (der aus dem Besitz der Niemann ein reiches Legat zugefallen ist) Rose Bernt spielt, ist ihr anzusehen, daß sie sich eben dem Manne gab; das Auge leuchtet in letzten Wonnen der Sättigung, der Athem keucht noch wie im Paarungfieber und kußmüde hängt schon die Lippe. Das hätte Frau Hedwig nie darzustellen versucht; hätte es häßlich, abscheulich gefunden. Die Unterröcke der Menschheit durften, als sie erwuchs, nicht ins Helle. Daß wir sie jetzt bei Tag ausspreiten, bei elektrischem Rampenlicht waschen, bügeln und wieder besudeln, nennt die neuste Konvention (wie lange noch?) modern. »Schlecht und modern« hätte es Goethe genannt. Der fand noch das »römische Herkommen«, Frauenrollen von Männern spielen zu lassen, gar nicht so übel, weil es das Vergnügen gewähre, »nicht die Sache selbst, sondern ihre Nachahmung zu sehen, nicht durch Natur, sondern durch Kunst unterhalten zu werden, nicht eine Individualität, sondern ein Resultat anzuschauen.« Dem war auf der Bühne jede Erinnerung an den Erdenrest so widrig, daß er 1803 in die »Regeln für Schauspieler« den Paragraphen schrieb: »Der Schauspieler lasse kein Schnupftuch auf dem Theater sehen, noch weniger schnaube er die Nase, noch weniger spucke er aus. Es ist schrecklich, innerhalb eines Kunstproduktes an diese Natürlichkeiten erinnert zu werden.« Der tadelte das deutsche Publikum, das »Männer und Weiber nicht jung genug haben kann: in Frankreich fragt Niemand nach dem Alter der Künstler, sondern nur nach ihrer Kunst.« Und schon der Xeniendichter höhnte die Schauspielerin, die von sich rühmen dürfe: »Furiose Geliebten sind meine Forcen im Schauspiel und in der comédie glänz' ich als Brannteweinfrau.« Der brauchte das Wort »modern«, um allzu Zeitgemäßes zu rügen. Der Zeuger Lottens und Gretchens.

Die Niemann war nicht modern; aber stark. Sie hatte nicht die Kultur, den Takt und feinen Wesensrhythmus der Frau Sorma (deren weise Kunst, hoch über Toledos Ghettomauern hinaus, bis in die Möglichkeit der Madonnendarstellung gewachsen ist), nicht die krankhaft erregte Phantasie, den behenden Flattergeist, den trotzigen, alle Mängel kraftloser Leiblichkeit überwindenden Knabenwillen und den hermaphrodisischen Reiz der Frau Eysoldt; und mochte den Cerebrasthenikern, deren Noth nun höchste Tugend sein soll, altfränkisch scheinen. Aber sie war das gesündeste Herz und das kräftigste Temperament, das wir (im Norden; Oesterreich hatte die Hartmann) auf deutschen Brettern leben sahen. Nichts Adeliges war in ihr; drum konnte sie Shakespeares vornehme Mädchen nicht spielen. Als sie einmal die Beatrice (in »Viel Lärm um nichts«) wagte, wurde aus dem herben Edelfräulein, dessen Witz wie eine Stachelgerte durch die Luft sausen müßte, eine behäbig schelmische Madame, der Benedikt, als Kostverächter, bald den Rücken gekehrt hätte. Durfte sie aber die Hitze ihrer Weibheit frei ausströmen lassen, dann gelang ihr jeder Sieg. In Ohnets Schauerdrama spielte sie das arme, adelige Mädchen, das sich zum reichen Hüttenbesitzer herabläßt. Diese Claire von Irgendwie muß schlank und fabelhaft nobel sein; die Aristokratin und keusche Jungfrau, wie sie in ganz schlechten Romanbüchern steht. Und wir sollen nun, im Tiefsten erschüttert, miterleben, wie sie den täppischen Eisenrecker, trotz seinen vielen Millionen (ists glaublich?), lieben lernt. Frau Niemann war klein, stämmig, rundlich, schlecht angezogen, die Geberde hastig, der Kontur des Leibes schon recht mütterlich; Herr Barnay, der Musterhüttenbesitzer, jeder Zoll ein Herzkönig, viel eleganter als sie. Wer dachte noch dran, wenn die kleine blonde Kugel ins Feuer gerieth? Dann wars, als müsse sie in der nächsten Minute vergehen. Die Stimme, die anfangs immer ein Bischen verschleimt (verschämt, könnte man, freundlicher, sagen; denn es war stets, als liege Etwas wie Mädchenscham auf dieser hellen Strähne) klang, löste sich und konnte nun schmettern, anklagen, flehen, die ganze Pfingstkantate vom Himmel jubeln. Wo war Ohnet? Und wo Barnay, der doch »glänzend« spielte, ganz im Sinn des Gestalters seiner Welt? Auf geweihten Brettern tobte ein Stück Elementarkraft sich aus, rang und raufte ein Menschenherz sich zur Klarheit.

Das kommt nicht wieder. Anderes, Interessanteres werden wir sehen; mehr Zeitgemäßes. Die Natur der Niemann hatte nicht unseren Puls, unsere ungesunde Sehnsucht nach mächtigen Reichen. Solche Süße wird uns, aus so kräftigem Kern, nicht mehr laben. Und wenn ein Ganzmoderner fragt, obs denn ein Unglück sei, daß die Birchpfeiffer- und Ohnetspieler aussterben, so antworte ich: Nein; doch zur Wehmuth ein Anlaß, wenn von der Bühne die Mimentalente verschwinden, die Menschen darzustellen, lachend und schluchzend Menschliches in uns zu rühren vermochten, ohne vor unserem entsetzten Blick das königliche Thier zu entkrönen.


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