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Erster Teil


I

Ja, wir sind Landstreicher auf Erden. Wir wandern Wege und Wüsten, zuweilen kriechen wir, zuweilen gehen wir aufrecht und zertreten einander. So auch Daniel, der zertrat und selbst zertreten ward.

Jetzt ist es nicht schwer, nach Torahus zu kommen, wo er wohnte, aber es gab ein Jahr, da es gefährlich war, da man eine Büchse mitnehmen und sich gut vorsehen mußte. Es dauerte nur ein paar Tage, aber damals herrschte er über den Berg und schoß auf die Leute. Das ist schon lange her, wir waren alle damals jünger.

Ursprünglich war Torahus eine Sennhütte; sie gehörte zum Hofe seines Vaters, war vernachlässigt, zuletzt aufgegeben worden und dann lange Zeit verlassen gewesen. Sein Vater vernachlässigte alles, was er hatte, auch den Hof und sich selber. Das ist leicht gesagt, aber es hatte seinen Grund. Das Elend begann, als seine Frau starb, und das Elend wuchs in zwanzig Jahren; dann starb er in Saus und Braus, und der Hof wurde verkauft. Daniel rettete die Sennhütte und ein paar Stück Vieh, zog hin und wohnte dort; es gefiel ihm, er war frisch und stark und einige zwanzig Jahre alt. Eine alte Dienstmagd vom Hofe folgte ihm aus Anhänglichkeit.

Es erzählt sich so schnell, aber es war ein langer und qualvoller Prozeß. Vor aller Augen mußte er das Kirchspiel verlassen und zur Sennhütte hinaufwandern, und es stand Daniel an der neuen Stätte schwere Arbeit bevor. Er packte zu wie ein Knecht, legte Gräben an, warf Deiche auf, rodete den Kiefernwald, leitete den Bach in ein neues Bett, und dabei enthielt der Boden eine unsagbare Menge von Steinen. Niemand hätte Daniel für ein solches Arbeitstier gehalten, denn auf dem Hofe hatte er nicht allzuviel getan, wohl weil es ihm doch hoffnungslos erschien. Als er nun auf seinem eigenen Besitz arbeitete, zeigte er sich von einer ganz andern Seite, er wurde Tagelöhner, war gewissermaßen sein eigener Bauer geworden und verrichtete sein Tagewerk, welch inneren Grund er auch dazu haben mochte. Aber er hatte wohl einen Grund.

Es vergingen ein paar Jahre, Daniel war genügsam und zuverlässig, vielleicht etwas ermüdend in seiner Rede und nachlässig in seiner Kleidung, aber ausdauernd. Krieg, Pest und Erdbeben draußen in der Welt gingen ihn nichts an, er las nichts und »er staubte keinen Stein ab, eh' er sich drauf gesetzt«.

Nach ein paar Jahren hatte er mehr Land bekommen, und Torahus war ein Hof im kleinen geworden; Torahus: Donnerheim. Er verkam nicht hier oben, er lebte nach seinem Herzen. Hier war Einsamkeit, aber nicht Leere, die Aussicht war prachtvoll: meilenweit über die Berge und mit einer Fülle von Wald dazwischen. Er ging in seiner Arbeit auf, wurde er durstig, so schritt er mit seinem Blecheimer zum Bache, spülte ihn aus und nahm ihn gefüllt wieder mit. Hier war Stille, mit einem Hintergrund von Ewigkeitslauten, hier waren hübsche Sterne, nicht das goldene Ungeziefer, das man drunten auf dem nebeligen väterlichen Hofe sah, nein, blinkende Lichter, wirklich hübsch; Sterne haben etwas Süßes an sich, sie sind wie kleine Mädchen. Er fühlte sich nicht arm und verlassen, wie er es im Grunde war, schon allein alle die Steine, die er ausgegraben hatte, umgaben ihn geradezu wie eine Volksmenge; er stand in einem persönlichen Verhältnis zu jedem Stein, es waren lauter Bekannte; er hatte sie überwunden und aus der Erde hervorgezwungen.

Er pflegte nach dem Abendessen wieder auszugehen und umherzuschlendern, den schön wachsenden Wald und Moore anzusehen, die der Entwässerung warteten; hätte er ebensoviel Geld wie Lust dazu gehabt, so würde er sich ein Pferd gehalten haben, gewiß, aber das kam wohl noch; der Tag verging auch so, und es war schön hier.

Wenn sich die alte Magd in ihre Kammer und die wenigen Tiere in den Stall begeben hatten, ging er wieder hinein. Die Stube empfing ihn, wie sie jeden empfing, aber sie gehörte ihm und keinem andern, sie beherbergte ihn, sie hatte die Unparteilichkeit einer Höhle und beherbergte ihn, zugleich aber verbarg sie ihn, weil sie so dicht und klein war. Die Wände waren gezimmert, das Dach war niedrig; kam er von draußen, wo ihm kalt geworden, so brannte die Wärme zur Nacht auf dem Herde, er kuschelte sich vor Wohlbefinden zusammen und konnte es tun, weil keiner ihn sah. Draußen war die Einsamkeit. Ein Bach murmelte einige Schritt vor dem Hause. Er legte sich in Frieden zu Bett.

So ging es ein paar Jahre, aber natürlich konnte es auf die Dauer nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit so gehen.

Im dritten Jahre begann er öfter das Kirchspiel, Bekannte und kleine Gesellschaften aufzusuchen, in die Kirche und zu Auktionen zu gehen. Dort unten war ja auch sein Mädel. Er war noch ein junger Bursch, zu feurig, um sein Leben stets im Schritt zu leben, er lief zu seinem Mädel. Die Entfernung war nicht gering, aber auch nicht unüberwindlich, schon als Kinder hatten sie den Weg zueinander gefunden, sie von ihrem Heim, er von dem seinen. Es wimmelte von kleinen Bächen im Walde, über die sie sprangen, hie und da gab es grüne Flecken, Haselsträucher mit Nüssen, Eichhörnchen, Ameisenhaufen und duftende Hecken. Jetzt, da er erwachsen war, ging er denselben Pfad wie früher, und er fühlte sich wohl und sang in seiner Freude über die bekannten Steine und Büsche und Brüche. Er war ganz wirr, es kam vor, daß er zu hüpfen und sich zu benehmen begann, als ob er nur noch wenige Schritt statt einer halben Meile vor sich hätte. Zuweilen traf er sie, ehe er hinkam, und dann schämten sich beide, weil sie sich entgegengegangen waren, und suchten Erklärungen, die zu nichts zerrannen. Das war besonders in der Zeit nach den Schultagen und der Konfirmation, später wurde Ernst aus dem Spiel, es ging bergab mit dem Hofe seines Vaters, und ihr kam es wohl allmählich etwas unsicher vor, zu ihm zu halten. Nicht etwa, daß sie sich weniger gern gehabt hätten als früher, ein Liebespaar waren sie ja nie gewesen und waren es auch jetzt nicht.

Eines Tages kamen zwei Fremde nach Torahus. Sie jagten in den Bergen. Der eine sagte, er sei Rechtsanwalt, der andere Doktor. Sie schwatzten mit Daniel und sahen zu, wie er arbeitete.

Er habe ja einen richtigen kleinen Hof, sagten sie zu ihm.

Daniel lachte ein bißchen, es sei schon ein ganz hübscher Hof, wenn er nur noch Weide für ein paar weitere Kühe hätte.

Aber wenn er fortführe, wie er begonnen, so könnte er sich wohl bald noch ein paar Wiesen dazu leisten.

Ach ja, Daniel hielt das nicht für ganz unmöglich.

Sie wurden hineingebeten und bekamen Milch, sie tranken, bliesen darauf und tranken wieder. Die alte Dienstmagd bekam ein ganzes Zweikronenstück. Flotte Kerle, reiche Leute, Daniel war gern mit ihnen zusammen. Er begleitete sie und trug ihnen die Rucksäcke ins Kirchspiel.

Unterwegs sprachen sie weiter über Torahus und fragten, ob Wald genug da sei?

Ja, zu Brennholz? Viel mehr als genug!

Wieviel ihm von dem Berge gehörte?

Daniel zeigte: eine gute halbe Meile auf dieser Seite und bis zur Nachbarsennhütte, dem zweiten Torahus, auf der andern Seite.

Als sie sich unten im Kirchspiel trennten, fragten die Herren:

Willst du dein Anwesen verkaufen?

Daniel entgegnete: Verkaufen? Die Herren scherzten wohl. Es waren liebenswürdige Leute, angenehme Leute –

Es ist nicht gerade Scherz, sagte der, welcher Doktor war.

Verkaufen? sagte Daniel. Ach nein, ich muß es doch behalten.

Sie gingen ihrer Wege, und Daniel machte sich auf den Heimweg. Er hatte ganze fünf Kronen von dem Rechtsanwalt für den Weg bekommen.

Nein, wie konnte er Torahus verkaufen, seinen winzigen Hof«, der war ja alles, was er hatte. Aber es freute ihn, daß Torahus so schön war, daß auch andere es haben wollten. Er bastelte an den Gebäuden, war fleißig und setzte instand, legte eine neue Abflußröhre in den Bach, mauerte lange steinerne Einfriedigungen, es gab genug zu tun daheim. Und wenn er ins Kirchspiel hinunterkam, konnte er jedermann einladen, ihn in den Bergen zu besuchen, sie sollten dort schon nicht umkommen. Aber ein Kirchspiel geht unermeßlich langsam von einer alten, eingewurzelten Vorstellung zu einer neuen über: Daniel war das einzige Kind von einem großen Hof und war in einer Sennhütte gelandet. Das war sein Schicksal, von dem er sich nicht losmachen konnte.

Das Mädchen hieß Helena. Eine Schönheit war sie nicht, weit entfernt; wie manche hatte sie Finnen im Gesicht und Blutmangel in der Haut. Aber sonst war sie recht ansehnlich, und sie lauschte so hübsch, wenn er mit ihr sprach. Es ist ein Unterschied, ob man mit Aufmerksamkeit oder mit Nachsicht lauscht. Sie war ein wenig lässig, etwas langsam und schien über das, was er sagte, nachzudenken; deshalb machte sie einen so guten Eindruck auf ihn. Und für ihn war sie reichlich hübsch genug. Er möchte sie gerne haben, sagte er.

Sie dachte darüber nach.

Denn jetzt habe er seinen Besitz, und der sei nicht schlecht. Mit der Zeit könne er übrigens ein bißchen anbauen – eine Stube.

Ziehst du nicht bald wieder von der Sennhütte herunter? fragte sie.

Wie?

Und wohnst hier im Kirchspiel?

Nein. Was ich hab', das hab' ich. Ist es dir nicht gut genug?

Doch, sagte sie nachdenklich.

Sie sprachen mehrmals auf diese Weise miteinander, und nichts wurde entschieden. Zuletzt bekam er doch so viel aus ihr heraus, daß sie ihn schon nehmen würde; aber sie rieb sich im geheimen die Augen, um Wasser hineinzubekommen und sie tränen zu lassen.

Er faßte das nicht als Absage auf, dachte nicht daran, sich zurückzuziehen, auf ihrem Grabe zu sterben und dergleichen, im Gegenteil, er meinte, erreicht zu haben, was er wollte.

Einige Wochen später traf er Helena unten beim Kaufmann. Er begleitete sie nach Hause, fragte unterwegs, wann sie zu ihm heraufkommen wollte, und meinte damit die Zeit, wann sie heiraten würden.

Das wußte sie nicht. Es käme darauf an.

Nun ja. Aber wenn sie ihn nicht häßlicher und gefährlicher als manchen andern fände, so könnte sie ihn ja gern nehmen und sich entschließen.

Darüber lachte sie und scherzte nur, daß er häßlich und gefährlich sein sollte. Auf die Frage nach der Zeit ging sie nicht ein, sie wich aus, das war wohl ihre Form für eine sanfte Weigerung. Sie sagte es nicht mit reinen Worten, aber er mußte es wohl verstanden haben: sie ging nicht von einem Hof nach einer Sennhütte. Weshalb war er so zudringlich? Ihre ganze Haltung in der letzten Zeit mußte ihm doch gesagt haben, daß sie, wenn es ihm so einigermaßen einerlei war, am liebsten nichts von ihm wissen wollte. Konnte er das nie begreifen?!

Schön. Aber auch diesmal lauschte sie mit einer gewissen Zärtlichkeit seiner Rede, und als sie sich trennten, schien ihm, als blinzelte sie ihm ein wenig zu. Oder vielleicht blinzelte sie nicht gerade, sondern senkte langsam ihren Blick, als täte ihr die Trennung ein bißchen leid.

Auch schön – Daniel ging zufrieden nach Hause und begann ohne eigentliche Ursache leise vor sich hinzusingen.

Einige Wochen später, als der Frühling schon begonnen hatte und die jungen Gänse auf die Weide getrieben waren, hörte Daniel eine merkwürdige Neuigkeit:

Na, da ist sie also am Gendarmen hängengeblieben.

Wer?

Wer? Weißt du nicht? Helena.

Daniel verstand nicht, glaubte es nicht. Helena?

Letzten Sonntag sind sie aufgeboten worden.

Helena? Letzten Sonntag, wirklich?

Er bewirbt sich um den Schreiberposten, und dann wird er Schulze. Dann wird Helena fein, sag' ich dir!

Ich dachte fast, ich würde heute eine Neuheit zu hören bekommen, zwang Daniel sich, zu antworten. Die Drossel rief mir unterwegs etwas zu! Dann lachte er mit weißen Lippen.

Er machte sich mit den Waren, die er für seine Haushälterin eingekauft hatte, auf den Heimweg, und auf einmal kehrte er wieder nach dem Kirchspiel um. Er war noch nicht weit. Ja, was wollte er eigentlich wieder unten im Kirchspiel? Er wußte es selber nicht, er ging nur, lief, blieb einen Augenblick stehen und lief wieder. Hast du etwas vergessen? fragten sie, als er wiederkam. Ja, antwortete er. Er traf einen Nachbarn, der ihn einlud. Sie traten in ein Hinterzimmer des Kaufmanns und bestellten zu trinken. Es war ein guter Freund, Helmer hieß er, von Kindheit an benachbart, gleichaltrig, jung. Sie saßen einige Zeit, es kamen noch mehr herein, sie wurden eine kleine Gesellschaft, die sich über allerlei unterhielt. Einer erzählte, daß er zum nächsten Termin seine Stellung wechseln sollte, ein anderer, daß er seinem Bruder, der in Kristiania wohnte, ein geschlachtetes Kalb geschickt habe. Jawohl, dies und jenes aus dem Leben im kleinen.

Alle beobachteten Daniel ein wenig, sie wußten, was ihm widerfahren, es war eine bekannte Sache, daß er Helena haben wollte, und jetzt hatte er sie verloren. So etwas konnte vorkommen, denn das Leben war nun einmal nicht besser. Sie vermieden es, den Namen des Mädchens zu nennen, legten statt dessen ihr Mitgefühl an den Tag, indem sie ihm oft zutranken und über seine Wirtschaft, über Torahus, mit ihm sprachen, das er ja zu einem richtigen kleinen Hof gemacht hatte. Er war ein tüchtiger Kerl!

Daniel selbst saß schweigend da und ließ sich wie ein Kranker behandeln. Dieses Wohlwollen seitens der Bekannten war sehr angenehm, vielleicht stellte er sich auch ein wenig an und tat verwirrter, als er war. In der ersten Erregung war er nun zweimal hin und zurück auf den Berg gegangen, dazu kam, daß die guten Getränke zu wirken und ihn freier zu machen begannen. Schließlich konnte er sich nicht länger halten, sondern fragte:

War einer von euch letzten Sonntag in der Kirche?

Ja, viele von ihnen. Weshalb er fragte?

Nur so.

Es waren drei Kindstaufen und eine Beerdigung.

Ja, und der Gendarm wurde aufgeboten, sagte endlich einer.

Ein anderer wollte darüber hinweggehen, wendete sich zu Daniel und fiel ein: Ich hab' gehört, daß du schon zwei Weiden auf Torahus dazu bekommen hast. Willst du dir ein Pferd halten?

Langes Schweigen. Sie begannen allmählich von andern Dingen zu reden, da sagte Daniel: Ob ich mir ein Pferd halten will? Was soll ich damit? Was soll ich mit dem ganzen Torahus jetzt?

Er saß hier mit Kameraden und Gleichaltrigen aus dem Kirchspiel zusammen, vielleicht durfte er das Getue nicht zu weit treiben; diese jungen Burschen waren gewöhnliche Bauern, sie wünschten ihm alles Gute, aber sie verstanden nicht, daß Liebesgram eine Sennhütte, einen Berghof wertlos machen konnte. Er fing bald an, sie mit seiner Kopfhängerei zu langweilen, und Daniel mußte, um sich zu behaupten, ein wenig drauflos schwatzen: daß er den Teufel danach fragte, daß man sich aber vor ihm zu hüten hätte, daß gewisse Leute sich vor ihm in acht nehmen sollten!

Ja, sagten die Burschen gleichgültig, und Prosit! sagten sie und machten nicht mehr Wesens davon.

Dann gingen sie einer nach dem andern, da es langweilig zu werden begann, und der, welcher das geschlachtete Kalb mit der Bahn abschicken wollte, mußte zum Kaufmann, der ihm bei den Formalitäten helfen sollte. Daniel und Helmer blieben sitzen und rauchten.

Helmer, ich will ein Haus anstecken, sagt Daniel und raucht ruhig weiter.

Der andere gähnt. Nein! antwortet er endlich, lächelt und schüttelt den Kopf.

Ich tue es, sagt Daniel. Die soll eine schöne Wärme von dürrem Holz unter sich spüren.

Aber nein, das ist Unsinn!

Daniel nickt nur.

Dem Kameraden fällt etwas ein; er sagt: Es ist zu weit vom Schulzen.

Was?

Du mußt dich eine Stunde, nachdem du es getan hast, beim Schulzen melden.

Warum? fragt Daniel mit Interesse.

Sonst wirst du verfolgt und gefangen und zum Tode verurteilt.

Darauf laß ich's ankommen!

Nein, es ist gefährlich, so was zu weit vom Schulzen zu tun! schließt Helmer dann. Und um den andern noch mehr davon abzubringen, fügt er hinzu: Und außerdem, glaubst du, daß sie das wert ist? Komm, wir wollen gehen!

Sie gingen zusammen, bis die Wege sich trennten, dann verabschiedeten sie sich.

Du, Helmer, rief Daniel, ich tue es!

Unsinn! entgegnete Helmer.

Dann ging der eine heim, und der andere ging, um Feuer an ein Haus zu legen.

Um neun Uhr abends kam er hin und setzte sich an den Rand des Gutes, um zu warten, bis es dunkel geworden wäre. Das Wetter war wie gewöhnlich zu Beginn des Frühlings, gegen Abend kühlte es sich ab, aber die Getränke hatten Daniel ja innerlich erwärmt, so daß ihn nicht fror. Es stieg noch Rauch aus einem Schornstein auf dem Hause vor ihm, aber kein Leben war auf dem Hofe zu sehen, alle Menschen hatten sich zur Ruhe begeben. Der Anblick des Hauses, eines bestimmten Kammerfensters, die Erinnerungen, die Nachwirkung des Rausches begannen Daniel weich zu stimmen, er weinte und wiegte hoffnungslos den Kopf. Zuletzt schlief er ein.

Er erwachte frierend, verkannte das schwache Licht und glaubte, es sei das Morgengrauen. Es ist zu spät, um etwas zu tun! dachte er und machte sich auf den Heimweg. Er war ein gutes Stück gegangen, als er plötzlich stehenblieb: Das war ja nicht der tagende Morgen, im Gegenteil, es war gegen Mitternacht, gerade die rechte Zeit! Wäre es die Morgendämmerung gewesen, so würden die Vögel schon ihren Gesang angestimmt haben. So dumm war er gewesen! Aber jetzt dies lange Stück Weges zurückgehen – er mochte nicht, er war schlaff und matt. Es mußte ein andermal sein.

Es wurde nichts aus der Brandstiftung, nein, nein, nichts als Geschwätz und Getue. Aber Daniel kam in Verruf durch sein Geschwätz; was er geäußert hatte, sickerte durch und ließ die Leute im Kirchspiel schaudern: daß es so weit mit Daniel kommen sollte, der von einem großen Hofe stammte!

Wenn er jetzt ins Kirchspiel herunterkam, betrachtete man ihn ein wenig scheu; Daniel merkte wohl, daß das alte Wohlwollen bei seinen Bekannten geschwunden war. Der Nachbarsbursch Helmer war zwar noch derselbe wie früher und arbeitete dem Klatsch, so gut er konnte, entgegen, aber ein Kirchspiel verändert nun einmal schwer seinen Standpunkt und glaubt am liebsten das Schlimmste.

So hielt Daniel sich denn wieder mehr daheim auf Torahus, setzte instand und leistete Mannesarbeit. Es war jetzt Frühling, und da er alles allein schaffen mußte, hatte er genug zu tun. Und wer hätte glauben sollen, daß Daniel so schnell über seinen Liebesgram hinwegkam, daß er weder Schlaf noch Eßlust verlor? Nicht, daß sein Kummer im Anfang nicht heftig gewesen wäre, aber das war etwas für sich. Daniel fing sich die Vernunft ein, kniff sich in den Arm und spürte, daß er war, der er war. Gepflückt, den Duft genossen und fortgeworfen, da hast du ihre Liebe! Und dazu ihre verlogene Art, ihn jahrelang mit ja und nein und oft mit Küssen und Streicheln hinzuhalten, ohne es fürs Leben zu meinen! Aber gleichviel. Er hatte einen Anbau an die Sennhütte geplant, und der sollte werden, weiß Gott, nichts sollte ihn aufhalten. Hatte er nicht Holz genug, einen Stamm hier und einen da im Walde von Torahus! Er hatte diese Bäume des Abends gefällt, einen hier und einen dort, wenn er nach beendeter Arbeit draußen umherwanderte, Bergkiefer, wie lauteres Erz singend, wenn die Axt es traf, unvergängliches Holz. Ja, der Anbau mußte kommen. Es war vielleicht keine unsterbliche Tat, es war auf die Spitze gestellter Ehrgeiz. Man sollte meinen, er brauchte kein großes Haus mehr, nun, da Helena mit ihm gebrochen hatte, – schon richtig, alles schön und gut, aber es sollte doch ein Haus werden.

Ein junger, starker Bursch konnte wohl nicht sehenden Auges wie ein Blinder leben. Sollte er vielleicht hier in den Bergen ohne Ziel und Zweck verfaulen? Seit Jahren hatte er dieses Haus vor sich gesehen: es sollte keinen verblüffen durch feine, verzierte Unnützigkeit, sondern geradeso groß sein, wie nötig war: ein Stockwerk, drei Fenster nach dem Kirchspiel.

Im Herbst kamen die beiden Jäger wieder, der Anwalt und der Arzt. Sie trugen zum Schein Büchse und Rucksack, waren aber ohne Hund und hatten nichts geschossen.

Sie fragten Daniel, ob er seine Sennhütte, seinen Hof verkaufen wollte?

Ach nein, antwortete er wieder lächelnd.

Auch heuer nicht?

Nein.

Er könne ja sagen, was er haben wolle, er könne fordern.

Nein.

Nun ja, sagten sie. Das ist der Bauer in ihm; er ist starrköpfig! mochten sie denken. Dann begannen sie ihn damit zu reizen, daß sie ja die Nachbarsennhütte, das andere Torahus, kaufen könnten.

Dagegen hatte Daniel nichts.

Dort war die Aussicht ebenso weit, es lag nur etwas höher, auf einem Plateau und nicht im Schutz des Berges, das war das einzige Unangenehme daran.

Wäre das nicht gleichgültig? fragte Daniel. Nein, nicht zu dem Zweck, zu dem die Herren es haben wollten.

Schweigen.

Aber, sagten sie, es sei ja ein und derselbe Berg, der Torahusberg überall, und auch Wald für Brennholz, Wasser, Aussicht, vierhundert Meter Höhe.

Ja, sagte Daniel.

Schweigen.

Dann würde es also nichts mit ihnen werden?

Ach nein. Es sollte bleiben, wie es war.

Ein paar Tage darauf kam ein Gerücht vom Kirchspiel herauf, daß die Nachbar-Sennhütte wirklich verkauft sei, die beiden Herren hätten die Wahrheit gesprochen. Sie wollten ein Sanatorium dort oben anlegen, eine Anstalt für Kranke und Schwache, sie seien keine Spekulanten, sie seien Wohltäter und Menschenfreunde mit großen Plänen. Und als Daniel einige Wochen später einmal auf einer entlegenen Heuwiese Steine grub, hörte er in der Richtung der Nachbar-Sennhütte Axthiebe. Er ging dem Geräusch nach und stieß auf vier Männer, die einen Weg auf dem Berge anlegten. Es waren Leute aus dem Kirchspiel, Daniel kannte sie und begann ein Gespräch mit ihnen.

Ja, alles, was er gehört hatte, stimmte, jetzt würde es was zu sehen geben auf dem Torahusberge, Gott behüte! Sie zeigten über die Schulter: dort schachtete man schon den Keller aus und mauerte den Grund zu dem ungeheuren Schloß.

Daniel kramte aus, daß die Herren zuerst bei ihm gewesen waren, daß er aber nicht hatte verkaufen wollen.

Da sei er schön dumm gewesen, meinten die Leute, die Herren hätten einen ordentlichen Batzen Geld für die Sennhütte bezahlt, und dabei sei das Weideland auf dem Berge noch ganz unbeschnitten geblieben.

Was die Herren denn gegeben hätten?

Die Männer nannten eine durchaus nicht lächerlich hohe Summe.

Na, der es bekam, konnte es auch brauchen, es war der Mann vom Nachbarhofe, Helmers Vater. Glück zu.

Daniel ging heim und dachte über die Sache nach: jawohl, große Umwälzung, aber was weiter? Hätte er, der sich den Wünschen Helenas nicht gebeugt hatte, hätte er nun Torahus, seinen kleinen Hof, verkaufen und aufgeben und obdachlos ins Kirchspiel zurückkehren sollen? Er wollte es ihnen auch in Zukunft zeigen! Er hatte seine Pläne.

Da die Zimmerleute im Kirchspiel ihm ein ums andere Mal versprochen hatten, zu kommen und zu hauen, und nicht kamen, nahm Daniel zwei Leute aus dem Nachbarkirchspiel. Er hatte selbst die Stämme im voraus zugehauen und gehobelt, die beiden Zimmerleute legten sich tüchtig ins Zeug, und in ein paar Wochen entstanden eine neue Stube und eine neue Kammer, reichlich groß und gut genug für ihn, so hübsch und weiß. Die zwei Türen und drei Fenster sollten die Männer zu Hause machen und im Winter mit dem Schlitten heraufbringen. Alles ging nach Wunsch. Oh, jedes Ding hatte seinen Inhalt und Sinn, es ging gut, zum Sommer kalbte die Kuh und dann hatte er drei Stück Vieh. Das Pferd? Jawohl, wenn er vier Kühe hatte, wollte er anfangen, an das Pferd zu denken, bis dahin war er selbst ein gutes Pferd.

Einige Außenfelder machten ihm viel Arbeit, aber sie versprachen viel; es waren Moore, furchtbar feucht, aber von besonders feinem Boden, und sie hatten eine umständliche Entwässerung nötig. Daniel schaffte.


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