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Die Liebe siegt

Rangi-uru war die Mutter eines Häuptlings, namens Tutanekai; eigentlich war sie die Gemahlin des Whakaue-kaipapa, des Ahnherrn des Ngati-whakaue, doch eines Tages lief sie ihm fort, und Tuwharetoa, der Ahn der Te Heukeu und der Ngati-tuwharetoa, begleitete sie. Mit Whakaue hatte sie drei Söhne gezeugt; Tawakeheimoa, Ngararamui und Tuteaiti waren sie genannt worden. Und nach der Geburt des Tuteaiti floh Rangi-uru mit Tuwharetoa, der als Fremder nach Rotorua gekommen war. Aus ihrer Verbindung wurde Tutanekai als Bankert geboren; am Ende söhnten sich Whakaue und Rangi-uru wieder aus; sie lebten wieder zusammen und bekamen noch einen Sohn, der Kopako benannt wurde; danach wurde ihnen eine Tochter geboren, die den Namen Tupa erhielt; sie war das letzte Kind von Whakaue.

Sie lebten alle auf der Insel Mokoia. Whakaue war sehr freundlich mit Tutanekai und behandelte ihn wie seinen eigenen Sohn; Tutanekai wuchs mit den Brüdern auf; sie wurden Jünglinge und wurden Männer.

Da hörten sie auch von Hine-moa, einem Mädchen von seltener Schönheit. Sie war von hohem Rang. Sie war die Tochter des Umukaria, des Ahn der Ngati-Unui-kara-hapu; ihre Mutter war Hine-maru. Als soviel von ihrer Vornehmheit und Schönheit geredet wurde, da begehrten auch Tutanekai und seine Brüder sie sehnlichst zur Frau.

Am Abhang eines Hügels erbaute Tutanekai einen hohen Turm, den nannte er Kaiweka. Und eine innige Freundschaft verband ihn mit einem Jüngling, namens Tiki. Beide liebten sie die Musik. Tutanekai blies das Horn und Tiki die Flöte; abends stiegen sie gern auf den Turm und spielten; und an ruhigen Abenden trug der leichte Landwind die Weisen über den See nach Owhata, wo Hine-moa wohnte, die jüngere Schwester des Wahiao.

Dann vernahm Hine-moa die lieblichen Töne aus dem Horn des Tutanekai und der Flöte des Tiki; sie erfreuten ihr Herz mächtig. Und jeden Abend, wenn die beiden Freunde so zusammen spielten, sagte sich Hine-moa: »Ah! jetzt spielt Tutanekai!«

Denn obgleich Hine-moa von den Ihrigen so hoch geschätzt wurde, daß man sie nicht einmal einem Häuptling anverloben wollte, war sie doch bei verschiedenen Gelegenheiten dem Tutanekai begegnet.

Bei den großen Versammlungen der Leute von Rotorua hatte Hine-moa den Tutanekai zum ersten Male erblickt; sie hatten sich oftmals einander in die Augen gesehen, und einer schien dem andern so herzlich zugetan und liebenswert, daß sie heimlich in gewaltiger Leidenschaft zueinander entbrannten. Trotzdem wagte Tutanekai nicht, sich Hine-moa zu nahen, ihr die Hand zu geben und zu warten, ob er wohl einen Gegendruck spüren würde, denn er sagte sich: »Vielleicht mag sie mich gar nicht leiden«; und anderseits dachte Hine-moa bei sich: »Wenn ich nun eine Freundin zu ihm schicke, die ihm von meiner Liebe erzählt, sollte er mich dann wohl leiden mögen?«

Als sie sich so viele, viele Male getroffen und einander herzlich in die Augen geblickt hatten, sandte Tutanekai eines Tages einen Boten zu Hine-moa, der sollte ihr seine Liebe gestehen; und als der Bote wieder weg war, sagte Hinemoa: »Ehu! da haben wir also die gleichen Liebesgedanken gehabt!«

Einige Zeit später – sie hatten sich oftmals und heimlich getroffen – kehrte Tutanekai mit den Seinen ins Dorf zurück; und als man eines Abends gemütlich im geräumigen, großen allgemeinen Versammlungshause beisammensaß, sagten die älteren Brüder des Tutanekai: »Wer von uns hat durch Zeichen oder einen Händedruck Beweise erhalten, daß Hine-moa ihn lieb hat?« Der eine sprach: »Ich habe sie!« und ein anderer erwiderte: »Nein, ich habe sie!« Schließlich fragten sie auch den Tutanekai; er antwortete: »Ich habe Hine-moa die Hand gedrückt, und sie hat sie mir wieder gedrückt.« Doch die älteren Brüder meinten: »Unsinn! glaubst du denn, sie wird sich ernstlich um einen Gesellen von so niederer Abkunft wie dich bekümmern?« Doch da bat er den Vater Whakaue, nicht zu vergessen, was er ihm jetzt anvertrauen würde, denn er hätte wirklich eindeutige Beweise für die Liebe von Hine-moa – sie hätten schon seit einiger Zeit alles genau besprochen, wie Hine-moa zu ihm entfliehen wollte; als das Mädchen gefragt hätte: »Auf welches Zeichen hin soll ich denn zu dir kommen?« hätte er geantwortet: »Jeden Abend wirst du das Horn ertönen hören; ich werde es blasen, mein Liebling – – – dann fahr' mit dem Boot nach der Stelle.« Whakaue behielt das Geständnis des Tutanekai bei sich.

So bezogen nun jedesmal gegen Mitternacht Tutanekai und sein Freund Tiki den Turm; der eine blies das Horn, der andere die Flöte; Hine-moa hörte sie und große Sehnsucht überkam sie, im Boote zu Tutanekai hinüberzufahren; doch ihre Freunde mußten irgend welchen Verdacht geschöpft haben, denn sie hatten alle Boote sorgfältig versteckt; keins war im Wasser geblieben; sie waren alle am Strande hinaufgezogen; alltäglich und in jeder Nacht taten ihre Freunde das von neuem.

Schließlich ging sie sehr ernsthaft mit sich zu rate und sagte: »Wie soll es mir bloß gelingen, über den See nach Mokoia hinüberzukommen? es ist ja klar, meine Freunde ahnen, was ich tun will.« Sie setzte sich hin, um sich auszuruhen; da klangen aus der Ferne sanfte Töne aus Tutanekais Horn an ihr Ohr; und die junge und schöne Häuptlingstochter hatte das Empfinden, als ob ein Erdbeben sie durchzitterte; sie mußte zum Herzallerliebsten gehen, – doch nun fiel ihr ein, daß ja kein Boot da war. Schließlich kam ihr der Gedanke, daß sie vielleicht hinüberschwimmen könnte. Sie verschaffte sich sechs große leere Kürbisflaschen; drei davon band sie sich als Schwimmsäcke an jede Seite, damit sie nicht untersänke, dann stieg sie auf den Iri-iri-kapua-Fels und ging zum See bis an die äußerste Spitze Wai-rere-wai, warf die Kleider ab und sprang ins Wasser: als sie an den versunkenen Baum kam, der dort lag, hielt sie sich eine Weile an ihm fest und schöpfte Atem; als die Müdigkeit ihrer Schultern vorüber war, schwamm sie weiter, und als sie matt wurde, ließ sie sich mit der Strömung treiben; die Kürbisflaschen trugen sie; hatte sie wieder neue Kräfte gesammelt, dann schwamm sie; in der Dunkelheit der Nacht vermochte sie nichts zu sehen, konnte sie die Richtung nicht erkennen; die sanften Weisen von Tutanekais Horn waren ihre einzigen Führer; die gaben das Ziel an, nach dem sie geradenwegs nach Waikimihia hinüberschwamm; denn gerade oberhalb dieser heißen Quelle lag das Dorf des Tutanekai; und so erreichte sie schwimmend endlich die Insel Mokoia.

Wo sie auf der Insel landete, befindet sich eine heiße Quelle, die nur durch eine schmale Felsschranke vom See getrennt ist; die heißt Waikimihia. Hine-moa begab sich sogleich in den warmen Quell, um sich zu wärmen; sie bebte am ganzen Körper, einmal infolge der Kälte während des nächtlichen Schwimmens über den breiten See von Rotorua, dann auch wohl bei dem Gedanken, daß sie nun bald bei Tutanekai sein würde.

Während das Mädchen sich im heißen Quell wärmte, wollte es der Zufall, daß Tutanekai Durst bekam und zu einem Diener sagte: »Hole mir etwas Wasser.« Der Diener ging hin, um das Wasser für ihn zu holen; nahe an der Stelle, wo Hine-moa saß, schöpfte er es aus dem See. Das Mädchen erschrak, und barsch, mit einer Stimme, wie ein Mann, rief es ihn an: »Für wen ist das Wasser?« Er antwortete: »Für Tutanekai.« – »Nun, dann gib her!« entgegnete Hine-moa. Er gab ihr das Wasser, sie trank es aus; und als sie fertig war, ließ sie die Kalabasse absichtlich hinfallen, daß sie zerbrach. Da fragte sie der Diener: »O, warum hast du die Kalabasse des Tutanekai zerbrochen?« Doch Hine-moa antwortete nicht. Nun ging der Diener wieder nach Haus. Tutanekai fragte ihn: »Wo hast du das Wasser, das du bringen solltest?« Er erwiderte: »Deine Kalabasse ist entzwei.« Sein Herr fragte ihn: »Wer hat sie zerbrochen?« – »Ein Mann, der da im Bade sitzt!« Und Tutanekai befahl ihm wieder: »Geh zurück und hole mir etwas Wasser.«

Er nahm eine neue Kalabasse, ging zurück und schöpfte neues Wasser; Hine-moa fragte ihn wieder: »Für wen ist das Wasser?« Der Diener antwortete wie vordem: »Für Tutanekai.« Und das Mädchen sagte wieder: »Gib es mir, ich bin durstig.« Der Diener gab es ihr; sie trank und warf die Kalabasse wieder absichtlich hin, so daß sie zerbarst. Dieser Vorfall wiederholte sich mehrere Male.

Schließlich ging der Diener zu Tutanekai; der sagte zu ihm: »Wo ist das Wasser für mich?« Der Diener entgegnete: »Das ist ausgeflossen. Alle deine Kalabassen sind entzwei.« – »Wer tat es?« fragte sein Herr. »Habe ich dir nicht erzählt, daß dort ein Mann im Bade sitzt?« erwiderte der Diener. »Wer ist der Bursche?« sagte Tutanekai. »Das weiß ich nicht,« antwortete der Gefragte, »nun, es wird wohl ein Fremder sein.« – »Wußte er nicht, daß dies Wasser für mich bestimmt war?« sagte Tutanekai. »Wie darf der Kerl es wagen, mir meine Kalabassen entzwei zu machen? Nun, ich werde ihn dafür totschlagen.«

Tutanekai warf einige Kleider über, nahm seine Keule und ging fort; als er an das Bad kam, rief er: »Wo steckt denn der Kerl, der mir meine Kalabassen zerschlug?« Hine-moa erkannte die Stimme; es war ja die Stimme des Herzallerliebsten; schnell verbarg sie sich unter dem überhängenden Felsen an der heißen Quelle; doch das war kein rechtes Verbergen, sie versteckte sich nur ein wenig vor Tutanekai, damit er sie nicht sogleich fände; er sollte sie erst einmal gehörig suchen. Er tastete den Strand der heißen Quelle ab und suchte überall; doch sie lag scheu hinter den Felsblöcken verborgen; dann und wann schaute sie hervor und wartete, daß er sie bald finden möchte. Endlich bekam er eine Hand zu fassen und rief: »Hallo! Wer ist da?« Hine-moa antwortete: »Ich bin es, Tutanekai!« Er fragte: »Wer bist denn du? wer ist Ich?« Da antwortete sie lauter: »Ich bin es! Ich, Hine-moa!« Er erwiderte: »Ho, ho, ho, ist das auch wirklich wahr? Dann wollen wir zusammen nach Hause gehen.« Sie sagte nur: »Ja.« Wundervoll wie der weiße, wilde Habicht erhob sie sich aus dem Wasser, anmutig, wie der scheue, weiße Kranich schritt sie dem Badestrande zu; er hüllte sie in seine Kleider, dann gingen sie in sein Haus und legten sich zur Ruhe nieder. So wurden sie, gemäß den alten Satzungen der Maori, Mann und Frau.

Als der Morgen heraufdämmerte, kamen alle Leute aus den Hütten heraus, bereiteten ihr Morgenessen und verzehrten es; nur Tutanekai verweilte noch. Da sagte Whakaue: »Das ist der erste Morgen, daß Tutanekai so lange schläft, vielleicht ist der Junge krank. Holt ihn her! Weckt ihn auf!« Ein Mann begab sich fort; er öffnete das Schiebefenster am Hause und schaute hinein; vier Füße sah er da. O! er war höchst verwundert und sagte sich: »Wer mag denn bloß sein Gefährte sein?« Er hatte jedoch genug gesehen; schnell wandte er sich um, und so rasch wie die Füße ihn tragen konnten, lief er zum Whakaue zurück und rief: »Hört! Vier Füße sind dort im Hause; ich habe sie selber gesehen.« Whakaue antwortete: »Wer mag denn sein Gefährte sein? Eile zurück und schau nach!« Er lief wieder nach dem Hause und blickte nochmals hinein – – – und da sah er zum ersten Male, daß es Hine-moa war. Voller Erstaunen brüllte er los: »O! Hine-moa ist hier! Hine-moa ist im Hause beim Tutanekai!« Als die Brüder die Rufe vernahmen, sagten sie: »Das ist nicht wahr,« denn sie waren sehr eifersüchtig. Da trat Tutanekai aus dem Hause heraus, und Hine-moa folgte ihm. Nun sahen die Brüder, daß es wirklich Hine-moa war; sie sprachen: »Ja, nun ist es wirklich wahr!«

Danach dachte Tiki so bei sich: »Tutanekai hat seine geliebte Hine-moa bekommen, aber ich, ach, ich Armer habe keine Frau.« Er war sehr traurig gestimmt und kehrte schmerzerfüllt in sein Heimatdorf zurück. Tiki tat dem Tutanekai leid, und eines Tages sprach er zu Whakaue: »Der Kummer um meinen Freund Tiki geht mir sehr zu Herzen.« Whakaue erwiderte: »Was meinst du?« Tutanekai antwortete: »Ich denke an meine Schwester Tupa; gib sie meinem lieben Freunde doch zur Frau.« Vater Whakaue sagte ja; und so erhielt Tiki die junge Tupa. Sie wurde seine Frau.

 

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Faraulip, Liebeslegenden aus der Südsee

erschien im Herbst des Jahres 1924. Paul Hambruch schrieb während einer Südseereise einen Teil der Erzählungen nieder, die andern sind den verstreuten Berichten deutscher und englischer Sammler entnommen. Die Übertragung ist frei; sie versucht, die Erzählweise der Textvorlagen getreu nachzuahmen. Georg Alexander Mathéy [© bis 31.12.38] schuf dazu 32 Lithographien und den Einband und leitete den Druck des Werkes. Die Lithographien wurden in den Werkstätten der Staatlichen Akademie für graphische Künste in Leipzig, der Druck des Textes von der Druckerei-Gesellschaft Hartung & Co. in Hamburg, ausgeführt.

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