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Die Geschichte eines liebesbedürftigen Greises, und wie es ihm erging

Hoch oben in den Bergen von Jokasch auf Ponape lebte einmal ein böser Zauberer, der hieß Taile. Er war schon sehr alt und betagt und wohnte in einem Häuschen, das dicht neben einer großen Höhle stand. Eines Tages erzählten ihm die Leute, daß in der Landschaft Matolenim das hübscheste Mädchen lebte, das man je gesehen hätte. Alle priesen seine Schönheit und lobten es. Die »Schöne von Taman« wurde es genannt, und es war die Tochter des Königs Schau Telur. Als Taile das hörte, wurde er so von Liebe zu ihr entflammt, daß er sie heiraten wollte.

Er machte sich auf und wanderte zu Fuß über die Berge nach Matolenim. Unterwegs traf er eine Anzahl Männer, die bereiteten für Schau Telur eine Brotfruchtspeise. Er sah ihnen eine Weile zu, fragte sie dann nach dem Wege und erzählte von seinem Vorhaben. Da lachten alle ihn aus und sagten, die Königstochter würde sich wohl für solch einen häßlichen Mummelgreis allerschönstens bedanken. Taile antwortete ihnen nichts darauf, sondern zog weiter; im stillen dachte er aber über die Worte der Leute nach und überlegte sich, wie er sich wieder jung machen könnte, um die Schöne von Taman für sich zu erringen.

Er pflückte zunächst eine Menge schöner roter Blumen und machte sich daraus einen prächtigen Kranz. Den setzte er auf den Kopf. Da sah er schon besser aus. Er wanderte weiter und kam an einen einsamen Ort. Dort legte er seine dicken, geschwollenen Beine ab und setzte sich dafür frische, jugendlichere ein. Er zog weiter und kam an einen andern Ort. Dort legte er sein weißes Haar ab und vertauschte es mit einer hübschen schwarzen Kopfzierde. Er ging weiter und kam an einen andern Ort. Dort entledigte er sich seiner schlaffen, runzligen Hoden und ersetzte sie durch kleine, zarte, pralle. Er wurde immer jünger aussehen. Und als er schließlich noch seine alten häßlichen Triefaugen aus dem Kopfe nahm und blanke, helle Augen dafür einsetzte, als er sich die Runzeln und Falten aus dem Gesichte strich, da war er wieder zum jungen Mann geworden.

Er kam nach Pankatra an den Hof des Königs. Er trat in das Haus ein, wo der König mit seiner Tochter gerade beim Essen saß. Die luden Taile ein, bei ihnen Platz zu nehmen und mitzuessen. Die Schöne von Taman mochte den hübschen jungen Mann gern leiden und bat ihn, ihr den roten Blumenkranz zu schenken. (Den hatte Taile aber zuvor verzaubert.)

Als sie den Kranz aufgesetzt hatte, da packte sie eine heftige Liebe zu Taile. Die Liebe wurde immer größer, und als der Zauberer sie fragte, ob sie seine Frau werden wollte, sagte sie mit Freuden ja. Da heiratete Taile die Schöne von Taman; und beide wohnten in Pankatra.

Nach einiger Zeit wollte Taile jedoch nach Jokasch zurückkehren. Er sagte zu seiner Frau, sie möge ihren Vater, den König, bitten, sie reisen zu lassen. Schau Telur entließ sie, und sie gingen fort. Sie gingen zu Fuß. Als sie an den Platz kamen, wo Taile die Triefaugen abgelegt hatte, nahm er sie wieder auf und setzte sie sich ein. So machte er es auch an den andern Orten; überall, wo er vordem seine alten Sachen abgelegt hatte, holte er sie sich wieder, das weiße Haar, die schlaffen Hoden und die dicken Beine. Und mit Schrecken merkte die junge Frau, wie ihr jugendlicher Mann plötzlich zum alten Mummelgreis geworden war.

Sie wollte fliehen; doch das ging nicht. Sie kannte nicht den Weg in der fremden Wildnis und mußte wohl oder übel bei Taile aushalten.

Als die beiden an die Stelle kamen, wo der Zauberer sein Boot versteckt hatte, zog er es aus dem Dickicht heraus und legte seine Frau samt allen abgelegten Sachen hinein. Dann nahm er das Boot auf die Schulter und trug es über die Berge bis nach seinem Hause. Er setzte es nieder, öffnete die Tür und schob es ins Haus hinein. Dann verrammelte er die Tür ganz fest und freute sich auf den schönen Braten, den er sich so schlau eingefangen hatte, um ihn mit seinen Freunden zu verzehren.

Taile war nämlich ein arger Menschenfresser.

Er ging auf den Berg, rief von dort aus alle seine Freunde zusammen und lud sie zum Schmause ein. Sie kamen bald herbei und fragten ihn, was für einen Braten er denn für sie habe. Er antwortete: »Die Schöne von Taman.« Da freuten sich alle und schmatzten mit den Lippen.

Während Taile auf dem Berge war, kam seine Schwester des Wegs, um ihren Bruder zu besuchen. Als sie vor dem Häuschen angekommen war, hörte sie drinnen rufen. Sie fragte: »Wer ist da im Häuschen und ruft immerfort?« Die Gefangene antwortete: »Ich bin es, die Schöne von Taman, die Tochter des Schau Telur!« – »O, du dummes Mädchen!« sagte die Schwester, »warum bist du auch mit dem bösen Zauberer gegangen? der will dich fressen.«

»Was soll ich tun,« wehklagte die Schöne, »ich kann nicht hinaus, die Tür ist fest verschlossen und verrammelt.« – »Ich werde dir helfen,« entgegnete die andere, »klopfe du drinnen, ich klopfe draußen. Bald wird ein Loch entstehen, dann kannst du heraus und dich in Sicherheit bringen.« Das tat das Mädchen, und bald war es frei.

Es lief nun so schnell es konnte fort und bat inständig alle Bäume und Büsche, ihm zu helfen, ihm den rechten Weg zu zeigen und es ja nicht dem Taile zu verraten. Die Bäume und Büsche hatten Mitleid mit der Schönen, sie halfen ihm, zeigten ihm den Weg und versprachen, es nicht dem Zauberer zu verraten. Nur ein kleiner winziger Busch weigerte sich. Da pißte es auf ihn und zog über die Berge weiter.

Als Taile nun vom Berge herab an sein Haus kam, öffnete er die Tür, um das Mädchen für den Schmaus herzurichten. Der Vogel war ausgeflogen. Er fragte seine Schwester, ob sie wüßte, wo das Mädchen geblieben sei. Sie verneinte es. Da suchte er überall nach der Entflohenen; er fragte alle die Bäume und Büsche, ob es bei ihnen vorbeigekommen wäre. Die antworteten alle nein; nur der kleine winzige Busch sagte: »Soeben ist die Schöne von Taman an mir vorbeigelaufen.« Da lief der Zauberer weiter. Aber er holte das Mädchen nicht ein. Mit seinen jungen Beinen konnte es schneller rennen, als er mit seinen alten. So mußte er schließlich seine Absicht aufgeben und kehrte nach Hause um.

Unterwegs begegnete er zwei alten Frauen, die trugen frische Kokosnüsse mit sich. Er bat sie, ihm einige zu geben; denn vom Laufen war er matt geworden und wollte sich erfrischen. Sie taten es. Als er sie fragte, ob sie das Mädchen gesehen hätten, antworteten sie: »Zieh dein unteres Augenlid einmal herunter, dann wollen wir es dir sagen.« Taile zog die unteren Augenlider herunter, und die Frauen warfen ihm große Hände voll Staub hinein. »So, nun geh hin, wasch dir die Augen aus, dann wirst du die Schöne sehen!« riefen sie und rannten fort.

Taile war blind geworden; er konnte nichts mehr sehen; er verirrte sich in der Wildnis, fand nicht mehr nach Haus und ging elendig zugrunde.

Die Schöne von Taman war jetzt frei. Sie kam glücklich nach Pankatra und erzählte dort allen ihre Erlebnisse.

*

Der Mond war längst hinter den Palmen verschwunden. Geradeaus, jenseits der Riffkante, funkelte noch schwach, einsam, auf die rechte Seite geneigt, das fünfsternige Kreuz des Südens. Kalt und frisch wehte der Morgenwind.

Bald sollte das stille Ringen der roten Morgensonne mit den weichenden schwarzen und grauen Schatten der Nacht beginnen. – – –


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