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Der abnehmende Mond

In alten Zeiten hatten es die Frauen angenehmer als heute; sorglos und munter lebten sie dahin; jede tat, was ihr beliebte, und den Männern war die ganze Sorge und Arbeit um das Hauswesen aufgebürdet. Das Tabu war über die Frauen noch nicht ausgesprochen, sie brauchten keine Bluthäuser zu besuchen. Der Mond lockte aus ihnen kein Blut heraus, hingegen wohl aus den Männern. Die mußten an heimlichen Orten, damit böse Menschen sie nicht verzauberten, die Gürtel lösen und in Kokosschalen mit dem Wasser das Blut abschlagen.

Nun lebte auf einer Insel ein mächtiger, alter Zauberer. Eines Abends, als die blutrote Sichel des Mondes am Himmel stand und seine Zeit gekommen war, ging er in den Busch, um der Gottheit das Opfer zu bringen. Er glaubte sich allein. Doch war er es nicht. Drei junge Mädchen waren ihm leise und unbemerkt gefolgt. Als der Alte nun den Gürtel löste, sich die Kokosschale vor den Leib hielt und Blut und Wasser abschlug, kam dies den drei Lauscherinnen so sonderbar und lustig vor, daß sie erst leise kicherten, dann aber laut loslachten. Dem Alten war das Kichern nicht entgangen; argwöhnisch hatte er sich nach allen Seiten hin umgewendet, als das helle Gelächter ihm das Versteck der drei Mädchen verriet. Er zog den Gürtel wieder fest und ging auf die drei los.

»Also, ihr verlacht mich alten Mann und das Opfer der Götter? Fluch über euch, Fluch, Fluch, Fluch! Mein Blut fahre euch in den Leib! Jedesmal, wenn der Mond wie heute abnimmt, soll er es euch wieder entlocken, sollt ihr den Göttern das heilige Opfer bringen! Abseits vom Dorf sollt ihr hausen, sieben Tage lang, allein, von niemand beachtet. Streng ruht das Tabu auf euch, kein Mann darf euch schauen und ihr keinen Mann.«

Sprach's und ging seiner Wege.

Seither sind die Männer von dem Opfer befreit.

Als der Mond das nächste Mal abnahm, wirkte der Zauber des Alten. Nun mußten die Frauen es bringen.

Und so ist es geblieben.

*

»Wir aber meiden die Bluthäuser und ihre Umgebung; denn wer von uns kennt die Macht und die geheimen Kräfte der Frauen? Vermöchte nicht eines Tages eine von ihnen uns wieder das Blut in den Leib zu zaubern?«

Wohlgefälliges Schmunzeln erheiterte die Gesichter der Hörer; die anfängliche Befangenheit schwand. Falumet, mein Begleiter aus Yap, wollte eine Geschichte beginnen, als der alte Olapel sich räusperte und damit kundgab, daß er uns eine Erzählung zum besten geben wollte. – Alle schwiegen. – Er bat zunächst um den unvermeidlichen Tabak, wickelte sich auf den Schenkeln einige derbe, plumpe Zigaretten, setzte eine in Brand, räusperte sich nochmals und begann.


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