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Die Erzählungen aus dem Männerhause zu Faraulip

Faraulip verzeichnete einen Festtag. – Strom und Wetter hatten der einsamen kleinen Koralleninsel reiche Gaben beschert. Morgens waren die drei flinken großen Auslegerkanus aus dem ruhigen Wasser der Lagune hinaus aufs hohe, wildbewegte Meer gefahren. – Lange waren sie außer Sicht der Zurückgebliebenen gewesen. – Nun kündeten fröhliche, aufgeregte Schreie, an denen sich die Jugend vor allem nicht genug tun konnte, ihre Heimkehr. – Doch sollte die Geduld der Wartenden noch eine geraume Zeit auf die Probe gestellt werden; der Zauberer und Wettermacher hatte allerdings den Tag über das Orakel als günstig erkundet, die Antwort der befragten Fischgottheiten war im selben Sinne ausgefallen. Da erwartete man eine reiche Ausbeute und freute sich auf ein leckeres Mahl; der Taros, Gemüse und Kokosnüsse der letzten Zeit war man wieder einmal recht überdrüssig geworden. Gegenwind hinderte die schnelle Heimfahrt; endlich erschienen die drei so lange gesichteten und herbeigesehnten Boote vor den drei Einfahrten, die die natürlichen Segeleinläufe zwischen den brandungumtosten Korallenriffen bilden; in der scheidenden Abendsonne leuchteten die dreieckigen braunen Mattensegel golden auf, glitzerten grell die rot und schwarz bemalten nassen Bordwände. Scharen von Vögeln, weiße und braune Möwen, schwarze Fregattvögel umstrichen die Kanus, die sich nun schnell, die Lagune kreuzend, dem heimischen Strande näherten. Fröhliches Singen, manche Juchzer kündeten dem hier versammelten Volke, daß die Gottheit ihnen wohlgesinnt gewesen war. – Als die Boote ins seichte Wasser gelangten, wateten Frauen und Männer zu ihnen hinaus, um die Beute ans Land zu schaffen. Sie war über Erwartung reich ausgefallen. Viele Male mußte der Weg über das Riff zwischen Kanu und Strand zurückgelegt werden, bevor der kostbare Fang, hunderte der großen, stahlblauen, weißbäuchigen, gelbflossigen Bonitos und das viele Kleinzeug, geborgen war. – Die Nacht war schon herabgesunken, ehe man die Arbeit geschafft und die schweren Fahrzeuge den Strand hinaufgezogen hatte. Der Aufgang des Mondes war erst einige Stunden später zu erwarten. – So entzündete man Fackeln, trockene ineinandergerollte Palmwedel; bei ihrem grellen Lichte, dessen roter Widerschein sich in langen Schlangenlinien auf dem Wasser abzeichnete, wurde die Verteilung vorgenommen. Jedes Haus, jede Familie erhielt einen Anteil; nicht gleichmäßig, sondern dem Range entsprechend; manche bekam mehr als sie verzehren konnte und gab großmütig den Minderbedachten ab, um von der freundlichen Gabe des Fischgottes nichts zu vergeuden. – Bald hatte sich das eilige Hin-und-Her am Strande verlaufen. In den einzelnen, auseinandergelegenen, niedrigen Hütten der Eingeborenen flammte Licht auf; übler Duft, den auch die frische Brise vom Meere her nicht vertreiben konnte, verriet nach kurzer Zeit, daß das Festmahl bereitet wurde.

Ich nahm daran nicht teil. Die Anwesenheit des Weißen ist den Leuten bei den Mahlzeiten peinlich und daher nicht erwünscht. Ich war überflüssig. Meine Jungen hatten meinen Anteil ins Haus geschafft und richteten ihn her.

Als ich annehmen durfte, daß das Festmahl in den Hütten sich dem Ende zuneigte, begab ich mich zum Großen Haus, zum Männerhaus, dessen Betretung den Frauen untersagt ist. Hier hatte ich stets eine muntere Gesellschaft angetroffen, – Männer, Jünglinge, Knaben mir oft von ihrem Tun und Treiben erzählen lassen, – und glaubte auch heute, an dem Festabende, die hochgestimmte Laune der Leutchen benutzen zu sollen, um einen für mich erfolgreichen Fischzug in dem Meere ihrer Mythen und Legenden zu tun.

Ich wurde nicht enttäuscht.

Als ich zum Hause hinaustrat, strich noch immer der fettduftende, brenzliche Schwaden durch die Luft; ich ging an den Strand, wo inzwischen der halbe Mond aufgegangen war und mit seinem fahlen Lichte die blanken Blattspreiten der im Winde rauschenden, sich langsam beugenden und wieder aufrichtenden Palmen versilberte. Weiß glitzernd, hell aufleuchtend, dann wieder in der Dunkelheit verschwindend, schimmerte quer über die Lagune vom Riffe her das wogende Band der Brandung, deren Donnern weithin durch die stille grünblaue Nacht vernehmbar war.

Aus dem Männerhause fiel ein blasser Lichtschein, der oft von Rauchwolken verschlungen wurde, und wies mir mein Ziel. Nach allen Seiten hin frei hob sich sein Schattenriß von dem mondbeschienenen hellen Strandsande ab. Busch und Palmen, zwischen denen die Eingeborenenhütten gebettet liegen, beengen es nicht. Schmale, ausgetretene Fußpfade führen nach ihm hin; vielfach gewunden, wie es der Eingeborene liebt, zwischen Bäumen, Palmen und niedrigem Salzwasserbusch. Vereinzelte Gestalten huschten wie gespensterhafte Schatten darauf hin und her, nach den Hütten, in den zikadenbeschrieenen Busch oder gleich mir nach dem Männerhaus.

Auf sechs roh behauenen, mächtigen Baumstämmen ruht sein palmblattgedecktes, schräges Dach, das den Boden streift; Wände hat es nicht; nur die Giebelflächen sind zur Hälfte mit vorstehenden, kurzen Pultdächern verkleidet. Wind und Regen wird das Eindringen durch Mattenvorhänge verwehrt. Kanus, Segel, Reusen füllen das Haus größtenteils an. Auf den verbindenden Querbalken liegen Ruderstangen, Paddeln, Waffen, Netze; und hoch oben, unterm Firstbalken, hängt das heilige Doppelboot, das die Gottheit benutzt, wenn sie ihre irdischen Untertanen besucht.

Bei meinem Eintritt waren erst wenige versammelt. Sie unterhielten ein kleines Feuer, dessen Flackern in dem dichten, beißend scharfen Rauche oft verschwand. Knisternd, knackend, gelegentlich hellaufblitzend, wie es grünes Holzwerk zu tun pflegt, erleuchteten dann die Flammen den Raum, eigenartige, muntere, und wieder geisterhafte Schlaglichter auf das Innere und die Anwesenden werfend. Der Rauch sollte die Mücken, die quälenden, peinigenden Blutsauger vertreiben. Am Boden, auf der Bordkante eines Kanus, auf den Fischreusen hockten etliche Eingeborene, nackte, braune Gestalten, die nur mit einem schmalen, von den Frauen gewebten Gürtel bekleidet waren; kein auffallender Schmuck zierte sie; zur Feier des Tages hatten sie sich mit frischem Kokosöl, dem wohlduftende Kräuter beigemengt waren, gesalbt; komische, drollige, verschiedenfarbige Lichtflecke zeichneten die Flammenblitze auf den glänzenden Körpern ab. Das Haar trugen sie in einer dichten, schwarzen Wolke, aus der einsam ein breiter, hölzerner Steckkamm herausstand; die Augen waren matt, verschleiert, ausdruckslos; zwischen den Zähnen und den wulstigen, dicken Lippen hielten sie die nimmer ausgehende kurze Pfeife oder die selbstgefertigte Zigarette, trockene, zusammengedrehte Bananenblätter, in die spärlicher Tabak eingestreut war. Sie schwiegen. Sie waren gesättigt; mit kräftigem Rülpsen zeigten sie einander, daß sie eine ganz vortreffliche Mahlzeit hinter sich hatten.

Ich ließ mich neben ihnen nieder, verteilte etwas Tabak – – – und wir schwiegen weiter. So will es der Anstand der Südsee.

Nun erschienen meine beiden alten Freunde, Sau Uru, der Häuptling, und Olapel, der zum Besuch von Uleai nach Faraulip gekommen war. Beide fröhliche Greise, deren Lebenslust ungebändigt war; in allen Künsten und Fertigkeiten nahmen sie es noch mit den Jünglingen auf, doch übertrafen sie das Jungvolk im unermüdlichen Erzählen von Geschichten und Schnurren. Alt und Jung hörte ihnen gern zu; auch vor mir legten sie sich keinerlei Zurückhaltung auf. Ich hatte ihre Zuneigung gewonnen, als ich sie wenige Tage vorher vom quälenden Kopfschmerz befreite, gegen den die mächtigsten und längsten Beschwörungen des Zauberers nichts vermocht hatten.

Es war natürlich, daß wir uns zunächst über das Ereignis des Tages, den Fischfang und die Abendmahlzeit unterhielten. Beide erklärten, daß ihr Bauch sehr zufrieden wäre.

Bei der Verteilung der Fische war es mir nicht entgangen, daß eine junge, schöne, fast mädchenhafte Frau auffallend gering bedacht worden war. Ich erkundigte mich nach dem Grunde und erfuhr bald ihre Geschichte.

»Als du um die Insel gingst,« sagte der Häuptling, »sahst du doch auf der andern Seite, hart am Strande, ein kleines Häuschen? – Dort wohnt Remesielang, die Blume des Himmels. Paroa, ihr Mann, ist seit zwei Brotfruchternten auf das Totenfloß Lugeilengs berufen worden. Sie hat keine Kinder, ist ohne Gesippen und steht außerhalb unserer Gemeinschaft. Sie gehört niemandem und allen. Unfruchtbare Frauen haben kein Recht auf einen zweiten Gatten. Freudlos verbringt sie ihr Dasein. Wer sie begehrt, dessen Matte teilt sie. In der Dämmerung schleicht sie zu ihm, und am Morgen, wenn die Sonne ihr Kommen überm Meer kündet, sucht sie wieder ihr einsames Häuschen auf. Die Fische waren das Geschenk des Nageteg, der sie sich zur Nacht bestellte.«

So kannte ich die eine Hälfte des traurigen Geschicks der Himmelsblume; zu mildern war es nicht; sämtliche Schätze meiner Tauschkiste hätten ihr keinen neuen Gatten verschafft. Irgendwie mußte sie die Götter schwer gekränkt haben, daß sie ihr den Schoß verzauberten und Paroa früh zu sich abriefen. Kein Einwand hätte etwas genützt. Sie entstammte einer vornehmen Familie, die sie jetzt verstoßen hatte. Paroa wäre der Nachfolger des Sau Uru geworden. Liebesleute waren beide gewesen; als jedoch im zweiten Jahre kein Kind geboren wurde, entwich das Glück. Paroa vernachlässigte Remesielang, die mählich vereinsamte, und die Frauen bemitleideten. Als ihr Gatte von einem Fischzug nicht heimkehrte, verstießen beide Familien die junge Frau. Als freudlose Witwe mußte sie ein niedriges, ärmliches Dasein fristen.

»Es ist der Wille der Götter gewesen«, schloß Sau Uru seinen Bericht. »Als ich vor Jahren auf einem der großen Fahrzeuge von euch Weißen in den Palauinseln war, erzählte ein Mann mir eine Geschichte. Ich habe später darüber manchmal nachgedacht; ich glaube, sie deutet uns, warum es unglückliche Ehen gibt und warum sie besonders auf Palau zahlreich sind. Willst du sie hören und in dein großes Buch hineinschreiben?«

Ich bejahte. – Sau Uru ließ sich frischen Tabak reichen, stopfte umständlich seine Pfeife, setzte sie mit einer glühenden Kohle aus dem Flackerfeuer in Brand, tat einige mächtige Züge und erzählte:


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