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XVIII. Ins Reich des Lichtes geboren.

»Pascha,« sagte Israel – er sprach langsam und ruhig, aber mit erzwungener Selbstbeherrschung – »Pascha, du mußt dir eine andre Hand suchen für eine solche Aufgabe – diese meine Hand soll unter einen solchen Befehl niemals das Siegel drücken.«

»Pah! Mann!« flüsterte Ben Abu. »Bricht denn deine neue Krankheit überall aus? Bin ich nicht Kaid? Kann ich dich nicht zu meinem Kalifa machen?«

Israel sah müde und bleich aus, aber in seinem Auge glühte das Feuer seines großen Entschlusses.

»Pascha,« sagte er wieder ruhig und gefaßt, »und wenn du Sultan wärest und mich zu deinem Vezier machen könntest, so würde ich es doch nicht thun.«

»Warum nicht?« schrie Ben Abu; »warum nicht? warum nicht?«

»Weil,« fuhr Israel ebenso ruhig wie vorhin fort, »ich hier stehe, um mein Amt niederzulegen.«

»Dein Amt willst du niederlegen? Dein Siegel willst du aufgeben?« rief Ben Abu. »Mensch, bist du toll?«

»Nein, Pascha, heute nicht!« entgegnete Israel leise. »Das muß ich gewesen sein, als ich einst vor fünfundzwanzig Jahren hierherkam.«

Ben Abu nagte an seiner Unterlippe und runzelte finster die Brauen. Nachdem er die erste Bestürzung überwunden, würde er zornig aufgebraust und mit stürmischen Schmähreden über Israel hergefallen sein, hätte ihn nicht plötzlich wie ein Blitzstrahl ein neuer schrecklicher Gedanke getroffen. Zitternd und bebend, und kurze Gebete vor sich hinmurmelnd, fuhr er von Israel zurück und sagte: »Dahinter steckt etwas. Was kann es sein? Warte einmal! Was kann es sein?«

Auch Katrinas Gesicht war unter der Schminke erbleicht. Mit dem raschen Instinkt einer argwöhnischen Natur legte sie sich in kaum gedämpftem Zornestone dieselbe Frage vor: »Was bedeutet das? Was bedeutet das?«

Im nächsten Augenblick schon hatte aber Ben Abu das Rätsel in seiner Weise gelöst. »Halt!« rief er und blickte vergebens um sich, ob ihm nicht jemand der Umstehenden einhelfen wollte. »Wer sagte doch, daß er nach Fes ging, als er damals Tetuan verließ? Damals war der Sultan dort. Er war gerade von Sohs heimgekehrt. Das ist es! Ich wußte es ja, dieser Mensch ist auch nicht besser als die anderen. Abderrahman hat ihn bestochen. Allah! Allah! Was habe ich gethan, daß jeder Hund, der mein Brot ißt, zum Laurer und Aufpasser an mir wird?«

Da ihm Israels Benehmen hierdurch völlig erklärt schien, wartete er keine weitere Versicherung ab, sondern überließ sich einem wilden Sturm durcheinander gemischter Gebete und Beteuerungen. »O Geber alles Guten! O du mein Schöpfer! Schon wieder Abderrahman. Ya Allah! Ya Allah! Oder am Ende seine habgierigen Trabanten – seine Diebe, seine Räuber, seine Halsabschneider! Dieser aufgeblasene Vezier! Dieser aussätzige Náïb es-Sultan! O ich kenne sie! Bismillah Im Namen Gottes!! Sie wollen mir das Fell über die Ohren ziehen! Sie wollen mir mein bißchen Reichtum abzwacken – meine ehrlichen Ersparnisse – alles, was ich in langen treuen Dienstjahren mir sauer erworben! Fluch über sie! Fluch über ihr ganzes Haus! O du gnädiger Gott! Das nennen sie dann Rückstände von Steuern! Aber nein, nein, beim Bart meines Vaters! Nicht einen Fluh Fluh (Plural von Fils) eine plumpe marokkanische Kupfermünze. sollen sie haben, und wenn ich drum sterben muß. Ich bin ein alter Krieger. Mögen sie mich doch martern! Mögen sie mir die Bastonade geben – ich werde fest bleiben! Allah! Allah! Bismillah! Warum haßt mich Abderrahman? Weil ich sein Bruder bin – darum, darum! Aber ich habe mich doch nie gegen ihn empört, niemals! Alles habe ich ihm bezahlt! Alles! Ich sage dir, ich habe ihm alles bezahlt! Kein Rest ist geblieben! – Das weißt du selbst, Israel, das weißt du!«

So jammerte er laut und vergoß schwachmütige Thränen in seiner Feigherzigkeit. Dazwischen versuchte er sich zu rechtfertigen, drohte, bat, fingerte an den Kugeln seines Rosenkranzes und stapfte aufgeregt im Patio umher – endlich blieb er mit flehendem Ausdruck vor Israel stehen. Hätte es noch eines Antriebes bedurft, um Israels Entschluß, Ben Abus Dienst für immer aufzugeben, unerschütterlich zu machen, so würde er ihn in diesem kläglichen Anblick gefunden haben. Dieser vor elender Angst haltlos lamentierende Kaid, sein schneller Argwohn, seine gemeine Abtrünnigkeit, und der hämische Groll, den er gegen seinen eignen Herrn, den Sultan hegte, machten ihn tief verächtlich.

Aber Israel kämpfte seine Verachtung nieder und sagte ebenso bedächtig und ruhig wie vorhin: »Pascha, fürchte nichts! Ich habe mich nicht von Abderrahman erkaufen lassen. Es ist wahr, daß ich in Fes gewesen bin, aber nicht um den Sultan aufzusuchen. Ich habe ihn niemals gesehen. Ich bin nicht sein Spion. Er weiß nichts von mir, und ich weiß nichts von ihm. Was ich jetzt thue, das thue ich einzig und allein für mich.«

Als Ben Abu diese ruhige Versicherung vernahm, leuchtete sie ihm sofort als glaubhaft ein; denn mochten andere Männer seiner Umgebung auch Lügner und Ränkeschmiede sein, Israel hatte ihn noch nie hintergangen. Deshalb versuchte er, so gut er konnte, seine Scham über die eben verratene klägliche Schwäche zu verschleiern. Erst schaute er ganz starr in Israels furchtloses Antlitz; dann senkte er die bösen Augen und lachte gezwungen auf, wie über seine eignen Worte. So versuchte er die Anwesenden durch eine täppische Prahlerei über dieselben hinweg zu täuschen und den Eindruck hervorzurufen, als hätten sie nichts weiter als eine humoristische Maske vorstellen sollen, die kein Mensch einfältig genug sein könnte, in vollem Ernst zu nehmen. Nach dieser Posse aber wandte er sich, seiner Befürchtungen ledig, wieder zu Israel und überließ sich ohne Verhüllung und ohne Schamgefühl seiner früheren wilden Laune.

»Und darf ich fragen,« spottete er mit unheimlichem Lächeln, »wie viele Reichtümer du dir gesammelt hast, daß du dich jetzt bescheidest, nicht mehr zusammen zu scharren?«

»Gar keine,« versetzte Israel kurz.

Ben Abu lachte laut auf und wechselte bedeutungsvolle Blicke mit Katrina.

»Und darf man ferner fragen,« sagte er wieder mit spöttisch zuckenden Lippen, »wie du ohne Amt und ohne Vermögen zu leben gedenkst?«

»Als ein armer Mann unter armen Leuten,« sagte Israel, »der Gott dient und sich auf seine Barmherzigkeit verläßt.«

Wieder lachte Ben Abu heiser, und Katrina stimmte ein. Israel aber stand ruhig und schweigend da, ohne eine Miene zu verziehen.

»Gottesdienst ist hartes Brot,« sagte Ben Abu.

»Teufelsdienst gibt Stein für Brot!« entgegnete Israel.

Bei dieser Antwort, obgleich Israel sie weder durch Blick noch Gebärde anzüglich machte, entfärbte sich Ben Abu und fuhr ihn zornig an:

»Bei Allah! Was meinst du?« schrie er. »Wer bist du, daß du deine freche Zunge so gegen mich zu rühren wagst?«

»Ich bin dein Sündenbock, Pascha,« erwiderte Israel mit feierlichem Ernst, »dein Sündenbock, der deine Missethaten trägt vor den Augen deines Volkes. Dein Sündenbock, der gegen sie sündigt, der sie bedrückt und durch bittere Qualen in den Tod treibt. Das bin ich, Pascha, das war ich lange – Schmach über mich! Und während ich dort unten auf den Straßen unter deinem Volk einhergehe – gehaßt, geschmäht, verachtet, angespieen und ausgestoßen, sitzest du hier in der Kasbah über ihnen in Ehren und Wohlsein, in Reichtum und in der angemaßten Liebe der Menschen.«

Während Israel so sprach, stürzte Ben Abu von der gegenüberliegenden Seite des Patio mit dem wilden Blick eines Raubtiers auf ihn los. Seine dunklen Züge waren gespannt, seine kleinen Triefaugen loderten auf, seine plumpe Nase, seine dicken Lippen, seine massige Kinnlade zitterten sichtlich, und unter seinem Turban fielen zwei eisgraue Locken, wie eine zottige Mähne über seine Ohren.

Aber Israel zuckte mit keiner Wimper. Mit einem Blick ruhiger Würde, Aug' in Auge mit dem Tyrannen, von dem ihn kaum ein Fußbreit Raum trennte, begann er von neuem: »Pascha, ich beneide dich nicht, aber ich will nicht länger dein Geschäft, noch deinen Lohn teilen. Ich will nicht länger dein Sündenbock sein. Hier ist dein Siegel. Es ist rot von dem Blut deines unglücklichen Volkes. Fünfundzwanzig schlimme Jahre lang habe ich es geführt. Ich kann es nicht länger thun. Nimm es zurück!«

Rasend vor Wut schlug Ben Abu das Siegel aus Israels Hand, die es ihm entgegenstreckte, und das Silber rollte und klang auf den Ziegelsteinen des Patio.

»Narr!« schrie er. »Das also war es! Allah! Im Namen des allbarmherzigen Gottes, wer hätte das geglaubt? Israel ben Oliel unter den Propheten! Ein Prophet der Armen! O du gnädiger Gott! O du Barmherziger!«

So tobte und wütete Ben Abu, und dabei gab er sich das Ansehen, als verspotte er seinen eignen Angstausbruch von vorhin, und dabei hob er die geballte Faust in theatralischer Beschwörung Gottes zum Himmel empor.

»Wer sagte doch, du gingest zum Sultan?« rief er wieder. »Das war ein Narr! Nein; aber zu Mohammed von Mekines! Mohammed der Dritte! Das war es! Das war es!«

Indem er so sprach und in seiner Wut ganz vergaß, was er vorhin selbst von Mohammed gesagt hatte, lachte er wild auf und rannte im Patio auf und ab wie ein wildes Tier im Käfig.

»Und wenn ich ein Tyrann bin,« stieß er dann heiser heraus, »wer hat mich dazu gemacht? Wenn ich die Armen bedrücke, wer hat's mich gelehrt? Wessen kluges Hirn hat die neuen Wege zu Einkünften ausgeheckt? Lösegelder und Wechsel, Schuldscheine und gefälschte Urteile – was habe ich von all solchen Dingen vorher gewußt? Wer hat die Silberthaler zu neun Dukaten das Stück eingewechselt? Und wer kaufte die Schulden der Leute, die gegen solche Beraubung murrten? Allah! Allah! Wessen verschlagener Kopf hat das alles gethan? Ei nun, wer anders als deiner – deiner – Israel ben Oliel? Das schwöre ich beim Barte des Propheten!«

Israel ließ diese Vorwürfe unbeweglich über sich ergehen. Als Ben Abu innehielt, antwortete er ruhig und traurig: »Gottes Wege sind nicht unsre Wege und seine Gedanken sind nicht unsre Gedanken. Er führt seinen Willen aus, und wir sind nur seine Diener. Ich hatte einmal geglaubt, Gottes Gerechtigkeit sei ohnmächtig, aber sie hat mich doch erreicht. Denn für das, was ich vorlängst aus freiem Willen und eigner Entschließung zur Unterdrückung der Armen gethan, habe ich gelitten, und leide ich noch.«

Während dieser ganzen Unterredung hatte Ben Abus spanische Frau in dem Alkoven gesessen. Ihre Lippen erblichen unter der roten Schminke; ihr Fächer fuhr rastlos hin und her durch die leere Luft, während sie schnell und hörbar atmete. Jetzt aber, bei Israels letztem Wort, das so traurig und so feierlich zugleich klang, brach sie in ein höhnisches Lachen aus und sagte leichthin: »Aha! Ich dachte mir wohl, daß deine Liebe zu den Armen ganz jung ist. Armes Ding! Noch im Zahnen begriffen, was? Ein Säugling in Windeln, wie? Wann wurde das Kindlein geboren?«

»Um die Zeit, Herrin,« entgegnete Israel »als du es wurdest,« und er richtete seine schwermütigen Augen fest auf die Spanierin.

Da wandelte sich ihre scherzhafte Stimmung in jähen Zorn. »Mann,« platzte sie los, mit bitter vorwurfsvoller Miene zu Ben Abu gewendet, »jetzt siehst du's hoffentlich ein, daß ich recht gehabt habe! Von Anfang an habe ich's dir vorausgesagt, was uns von diesem frechen alten Burschen bevorstände. Aber du wolltest es in deiner Thorheit besser wissen! Und doch lag es auf der Hand, daß er in Satans Solde stand. Aber du wolltest mir nicht glauben! Ihm hast du geglaubt! Dummkopf, der du bist, du glaubst ihm auch jetzt noch! Die Armen! Papperlapapp! Ich sage dir noch einmal, dieser Mann will dir den Fuß auf den Nacken setzen. Wie er das thun will? O, der hat seinen Plan, darauf kannst du dich verlassen! Sieh dich vor, El Arby, sieh dich vor! Er wird noch Herr in Tetuan werden!«

Von Satz zu Satz ihrer Rede hatte sie sich immer mehr in die höchste Wut hineingeredet, zwischenein lachte sie wild auf, und ihre Stimme klang wie ein zorniger Schrei. Jetzt sprang sie auf ihre Füße, wandte sich zu den arabischen Soldaten, welche schweigend und verwundert dastanden und rief ihnen zu: »Araber, Berber, Mauren, kämpfet so tapfer ihr wollt, folgt dem Pascha, so treu ihr es vermögt, und doch werdet ihr noch alle miteinander auf demselben Lager liegen: und wo? Unter dem Fuß des Juden!«

Ein heiser tönendes Murren lief von Mund zu Mund unter den Leuten, und ein schattenhaftes Lächeln glitt wieder über Ben Abus Gesicht.

»Freilich hast du recht!« versetzte er, »freilich! Ya Allah! Ya Allah, diesen Hund habe ich aus dem Kot aufgelesen. Ich fand ihn als Bettler und gab ihm Reichtum. Ein Betrüger war's, ein Gaukler, ein Schwindler, und ich gab ihm Stellung und Rang. Ohne Heim war er, und ich gab ihm ein Haus, niemand wollte ihm dienen, da gab ich ihm Sklaven. Ich habe seine Feinde verbannt und habe eingekerkert, die er haßte. Als sein Weib gestorben war und niemand ihm helfen mochte, und er eigenhändig hätte ihr Grab aushöhlen müssen, da gab ich ihm Gefangene, um sie zu begraben und als sie es gethan, gab ich sie frei. All die Jahre her habe ich ihn mit Gold überhäuft, Ya Allah! Ich, sein Herr? Sein Sklave bin ich gewesen, und habe dem Wink seines kleinen Fingers gehorcht. Und wofür das alles? Dafür! Dafür! Dafür! Undankbarer!« schrie er wieder mit halberstickter Stimme, indem er sich jähzornig zu Israel wandte, »wenn du dein Siegel aufgeben mußt, warum thust du es wie ein Narr? Konntest du nicht zu mir kommen und sagen: »Kaid, ich bin alt und müde; ich bin reich und habe genug; ich habe dir lange und treulich gedient; laß mich ausruhen? – Warum nicht? Ich frage: warum nicht?«

Israel antwortete ruhig: »Weil es eine Lüge gewesen wäre, Pascha!«

»Das ist wahr,« versetzte Ben Abu scharf, »du hast recht – es wäre eine Lüge, eine verfluchte Lüge gewesen! Aber warum mußt du denn zu mir kommen und mir sagen: »Pascha, du bist ein Tyrann und hast mich auch zum Tyrannen gemacht? Du hast das Blut deines Volkes ausgesogen, und mir's zu trinken gegeben –«

»Weil es die Wahrheit ist, Pascha!« sagte Israel.

Ben Abu fuhr nicht gleich fort, aber sein dunkles Gesicht verzerrte sich gräßlich. Dann wies er mit bebender Hand nach dem entgegengesetzten Ende des Patio, und sagte:

»Noch etwas ist wahr. Es ist wahr, daß jenseits jener Mauer ein Gefängnis liegt,« und im kreischenden Tone fügte er hinzu: »Du stehst am Rande eines Abgrundes, Israel ben Oliel. Noch ein Schritt –«

Gerade in diesem Augenblick wandte ihm Israel sein Gesicht voll zu. Aug' in Auge stand er ihm gegenüber. Da blieb die Drohung, die der Tyrann aussprechen wollte, ihm im Halse stecken. Wenn er Israel nur hätte zum Zorn reizen können, hätte er seinen Willen durchsetzen mögen. So aber strafte Israels würdige leidenschaftslose Haltung, sein von Trauer und Leiden durchfurchtes, edles Antlitz auf das wirkungsvollste des Paschas unbändige Leidenschaftlichkeit und wies seine Worte scharf zurück.

In der That hätte Israel der Erzählung des Pascha von seiner Undankbarkeit eine verschiedene Lesart entgegenstellen können. Dieser erbärmliche Sklave des Jähzorns und der Furcht, dieses aus Lumpen und Lappen zusammengeflickte, winselnde, kreischende, belfernde Geschöpf, das ihm Vorwürfe entgegenschleuderte, war der Herr, in dessen Dienste er sein bestes Hirn und Blut verbraucht hatte. Ohne die starke Hand, die er ihm geliehen, ohne den kühlen Verstand, womit er ihn geschützt hatte, wo würde der Mann jetzt sein? In den tiefsten Kerkern Abderrahmans, nachdem er die Bekanntschaft von des Sultans Folterwerkzeugen gemacht hätte! Im Geiste sah ihn Israel in diesem Augenblick dort – blind, hungrig, abgezehrt! – Aber nein, noch war er hier – wohlgenährt, üppig, wollüstig, herrisch! Und wackere Männer verschmachteten in seinen Gefängnissen, und verhungerte Kinder lagen in ihren Gräbern, und er selbst, sein Diener und sein Sündenbock, der sein Gehirn für ihn zermartert, der für ihn Blut geschwitzt hatte, er stand jetzt vor ihm, wie ein alter Löwe, der weit weg gewandert war und nun von seinen eignen Jungen zurückgetrieben wurde!

Aber was lag daran? Es hätte ihn ein Wort gekostet, den Pascha zum Schweigen zu bringen, doch warum sollte er es aussprechen? Zwanzigmal hatte er diesen Mann, der weder lesen, schreiben noch rechnen konnte, vor dem angedrohten Strafverfahren des Sherifianischen Hofes bewahrt – er konnte ihm alles aufzählen, doch warum sollte er das thun? Fünfundzwanzig böse Jahre lang hatte er das Haus dieses Mannes aufgebaut; doch wozu sollte er sich dessen rühmen, was so schmachvoll ausgeführt war? Er hatte seine Meinung gesagt, und das war genug. Diese Stunde der Beschimpfung und Erniedrigung hatte er selbst heraufbeschworen, sie konnte ihm nicht erspart bleiben. Darum Mut! Mut!

»Mann!« rief die Spanierin, und man sah ihren zahnlosen Kiefer bei dem bittern Lächeln, mit dem sie Ben Abu ansah, »du mußt dieses Ungeziefer aus Tetuan hinausfegen!«

»Du hast recht!« erwiderte er. »Bei Allah, du hast recht! Und hinfort will ich mich von Kriegern bedienen lassen, und nicht von Federfuchsern!«

Noch einmal drehte er sich zu Israel um und spottete: »Mein gnädigster Herr und Herrscher, du wolltest also dein Amt niederlegen? Aber du sollst noch mehr thun als das. Du sollst mir auch dein Haus und alles, was darin ist, ausliefern und die Stadt als ein Bettelmann verlassen.«

Israel regte sich nicht bei diesen Worten. »Wie du willst,« entgegnete er ruhig.

»Wo sind die beiden Weiber – die Sklavinnen?« fragte Ben Abu.

»Zu Hause,« antwortete Israel.

»Sie gehören mir, und ich nehme sie zurück,« fuhr Ben Abu fort.

Israels Gesicht zuckte, er schien im Begriff, Einspruch erheben zu wollen, doch er holte nur tiefer Atem und sagte wieder: »Wie du willst, Pascha.«

Ben Abus Stimme wurde mit jeder weiteren Frage heftiger. »Wo ist dein Geld?« schrie er. »Das Geld, das du dir in meinem Dienste erschachert hast – mein Geld – wo ist es?«

»Nirgends,« sagte Israel.

»Das ist gelogen – wieder gelogen!« schrie Ben Abu. »O ja, ich habe von deiner Wohlthätigkeit gehört, Meister Israel. Damit hast du mein Volk dir erkaufen wollen, nicht wahr? Ich frage dich – ist dem nicht so?«

»Du sagst es, Pascha,« erwiderte Israel.

»Ich weiß es!« schrie Ben Abu; aber alles was du hattest, ist doch nicht darauf gegangen. Zwar ein Narr bist du, aber doch nicht dumm genug, um alles wegzugeben! Liefere mir die Schlüssel aus – die Schlüssel deines Hauses.«

Israel zögerte, dann sagte er: »Laß mich nur auf eine Minute dahin zurückkehren, – das ist alles, um was ich bitte.«

Da lachte das Weib krampfhaft auf. »Aha, ihm ist am Ende doch noch etwas übrig geblieben!«

Israel wandte ihr langsam die Augen zu und erwiderte: »Ja gnädige Frau, mir ist doch etwas übrig geblieben –«

Ohne auf die Antwort zu achten, rief Katrina Ben Abu zu: »El Arby, zwinge ihn, dir die Schlüssel seines Hauses zu geben. Er hat einen Schatz darin versteckt!«

»Das ist wahr, gnädige Frau,« versicherte Israel; »es ist wahr, daß ich einen Schatz darin bewahre. Mein Töchterchen – meine kleine, blinde Naomi.«

»Weiter nichts?« riefen Katrina und Ben Abu zugleich.

»Weiter nichts,« versetzte Israel; »es ist aber genug. Laßt mich sie holen.«

»Erlaube das nicht!« rief Katrina.

Israel bemühte sich, die Empfindung zu unterdrücken, die sich in seinem Gesicht verriet. »Macht mich heimatlos, wenn ihr wollt,« sagte er, »werft mich als Bettler aus eurer Stadt, aber laßt mich meine Tochter holen.«

»Sie wird dir's nicht danken,« höhnte Katrina.

»Sie hat mich lieb,« sagte Israel. »Ich werde alt, ich kann die Schritte bis zum Tode zählen. Ich brauche ihr fröhlich junges Leben in meinem zunehmenden Alter. Zudem ist sie hilflos, sie ist blind; sie ist mein Sündenbock, Pascha, wie ich der deine bin, und niemand, als ihr Vater –«

»Ha, ha, ha!«

Israel hatte mit Wärme gesprochen, aber das Weib hohnlachte über das zärtliche Gefühl, das endlich bei ihm zum Durchbruch kam. »Verlasse dich darauf,« spottete sie, »ich weiß, wie Töchter sind. Junge Mädchen haben bessere Dinge gern. Nein, nein, ich will ihr verschaffen, was mehr nach ihrem Geschmack sein wird. Sie soll hier bei mir bleiben.«

Israel richtete sich zu seiner ganzen Höhe auf. »Herrin, lieber will ich sie tot zu meinen Füßen sehen!«

»Wagst du es, so gegen deine Gebieterin zu reden?« unterbrach ihn Ben Abu.

» Deine Gebieterin, Pascha,« sagte Israel, »nicht die meine.«

Bei diesem Wort sprang Katrina, das boshafte Antlitz flammend vor Zorn auf Israel zu und schlug ihm mit dem Fächer heftig auf die Stirn. Er regte sich nicht und sagte nichts. Der Schlag hatte die Haut geritzt, und ein Blutstropfen rann über die Schläfe nach der Wange hinunter. Eine kurze Pause tiefen Schweigens folgte.

Da wurde die gespannte, atemlose Stille durch einen schwachen Schrei unterbrochen. Er kam aus dem Hintergrunde, vom Thorweg her – es war eine Mädchenstimme, die ihn ausstieß.

Niemand hatte in der Aufregung, die alle beherrschte und aller Blicke auf die beiden Hauptgestalten gefesselt hielt, bemerkt, daß noch jemand den Patio betreten hatte. Es war Naomi. Wie lange sie schon dagewesen sein mochte, wußte niemand, und wie sie unbemerkt von der Straße durch die Korridore auf den Patio gelangt war, wußte später kaum jemand zu sagen – selbst als nachher der Makhani, der Thorwächter, Zeit gewann, seine zerstreuten Sinne zu sammeln. Jetzt stand sie unter der Thorwölbung, die eine Hand auf ihre sichtlich vor Erregung bebende Brust gedrückt, die andere ausgestreckt, um die offne eisenbeschlagene Thür, wie Hilfe suchend, zu berühren. Ihr Haupt war aufgerichtet, ihre Lippen leicht geöffnet, und ihre unbeweglichen, blinden Augen schienen wild ins Leere zu starren. Sie hatte die heißblütigen Worte gehört, sie hatte den Ton des Schlages vernommen, der ihnen folgte. Ihr Vater wurde geschlagen! Ihr Vater! Ihr Vater! da stieß sie den Schrei aus. Aller Augen wandten sich ihr zu. Bebend, wankend, fast zusammenbrechend, schwankte sie über den Patio. Seele und Sinnen schienen sich in ihrem blinden Gesichte zu bekämpfen. Was bedeutete das alles? Was ging vor? Ihre starren Augen strengten sich gewaltsam an, als müßten sie die Bande, die sie fesselten, sprengen und sehen, schauen und erkennen!

In diesem Augenblick vollbrachte Gott ein großes Werk. Er ließ eine wunderbare Veränderung eintreten, wie er es nur in zwei oder drei Fällen gethan hatte, seit Menschen in seine Lichtwelt blind geboren wurden. In einem Augenblick, mit Gedankenschnelle, wie durch einen spontanen Blitz schien des Mädchens Geist die dunklen Vorhänge zu zerreißen, welche siebzehn Jahre lang die Fenster ihrer Augen verhüllt hatten – Naomi sah!

Alle wußten es sofort. Es war ihnen, als ob jeder Zug in des Mädchens Gesicht von ihren Augen verschlungen werde, als ob der Ausdruck ihrer Lippen, ihrer Stirn, ihrer Nasenflügel plötzlich nur in den Augen läge, als müsse ihr Gesicht, wie lieblich es vorhin auch war, wie voll zuckender Empfindung, bis dahin doch nur ein leeres Blatt gewesen sein. Ja, alle meinten, sie jetzt zum ersten Male zu sehen. Denn dies war die wahre Naomi!

Auch Naomi selbst kam sich vor wie neugeboren. Endlich stand sie der Welt Aug' in Auge, von Angesicht zu Angesicht gegenüber. In ihre dunkelverhängte Kammer, die nie das Licht gekannt, drang alles mit einem Schlage, das weißglühende Sonnenlicht, der tiefblaue Himmel, der gepflasterte Patio, die Gesichter des Kaid, seiner Frau und seiner Soldaten, und auch das des alten Mannes, an dessen Wimper eine Thräne hing. Sie konnte das Wunder nicht fassen; sie wußte ja nicht, was sehen heißt! Sie hatte es nie gelernt. Aus dunklem, engem Raum trat ihre zitternde Seele und erblickte das mächtige Licht in seinem Strahlenreiche. »O! O!« rief sie aus und stand verwirrt und hilflos mitten in all dem fremden Leben. Das Bild dieser Welt schien über sie herzustürzen, und sie bedeckte die Augen mit den Händen, um es völlig auszuschließen.

Israel sah das alles. »Naomi!« rief er mit erstickter Stimme und streckte ihr beide Hände entgegen. Da ließ sie ihre Hände sinken, blickte auf, blieb aber zagend stehen.

»Naomi!« rief er wieder und trat einen Schritt näher. Noch einmal bedeckte sie ihre Augen, wie um den Fremdling auszuschließen, den sie ihr zeigten, und nur der Stimme zu horchen, die sie so gut kannte. Dann sank sie in ihres Vaters Arme. Und Israels Herz schwoll in seiner Brust, und zu Katrina sich wendend sagte er: »Herrin, wir stehen in Gottes Hand. Schau her und sieh! Er hat seinen Engel gesandt, um seinen Knecht zu schützen!«

Inzwischen zitterte Ben Abu vor abergläubischer Angst. Auch er sah den Finger Gottes in dem Wunder, das sich begeben hatte. Und in seine weinerliche Stimmung versinkend, murmelte er halblaut Gebete, wie er es vorhin gethan, als die irdische Majestät Abderrahmans der Gegenstand seines Entsetzens war. »O Geber alles Guten! Was ist dies? Allah, errette uns! Bismillah! Ist das die Hand Allahs oder Dschinnums? Erbarmer! Gnädiger Gott! Verflucht seien sie alle beide! Allah! Allah!«

Die Soldaten, von des Pascha Furcht angesteckt, drängten sich auf einen Haufen zusammen. Aber Katrina fing an zu lachen.

»Brava!« rief sie. »Brava! O ein köstlicher Schwindel! Was habe ich stets gesagt? Die – und blind? nicht blinder als du selbst! Aber eine hübsche Maske! Gut gespielt! Sehr gut gespielt! Brava! Brava!«

So lachte und spottete sie, und der Pascha schämte sich seiner kläglichen Furcht, als er seine Frau lachen hörte, und nahm einen armseligen Anlauf, um mit einzustimmen.

Israel hörte sie, und einen Augenblick lang, als er wahrnahm, wie sie sich über Naomi lustig machte, lohte in seinem Herzen das Feuer eines Hasses auf, der aus der tiefsten Hölle stammen mochte. Doch er kämpfte die Leidenschaft nieder, die ihn zu überwältigen drohte, und im nächsten Augenblick war das Gelächter verstummt, und Ben Abu sagte:

»Soldaten, greift sie beide! Setzt den Mann auf einen Esel und laßt das Mädchen barfuß vor ihm hergehen, und laßt einen Ausrufer neben ihnen ausrufen: »so soll man jedem Manne thun, der ein Feind des Kaid und jedem Weibe, die eine Betrügerin und Komödiantin ist! So laßt sie durch die Straßen und durch das Volk führen, bis an eines der Stadtthore und dann werft sie hinaus wie Aussätzige und Hunde!«


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