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XVII. Israels großer Entschluß.

Sechsundzwanzig Tage waren vergangen seit der Schreckensnacht auf dem Sôk, und noch war kein Regen gefallen. Die Heuschreckeneier konnten jeden Tag ausgebrütet sein. Dann würden die ungeflügelten Larven den Boden wie Schnee bedecken und die armseligen dünnen Halme der Gerste und des Weizens, die eben grün aus dem Boden aufsproßten, mußten vor ihnen dahinwelken. Die Landleute waren in Verzweiflung. Fast all ihr Vieh war gefallen, und sie hatten keine Milch; auch mußten sie zu Fuß zu Markte kommen. Sie sahen dem Tode ins Gesicht. Weder in den Moscheen noch in den Synagogen wurde jetzt um Regen gebeten. Sie hatten längst ihre Bitten eingestellt. Und im Feddán vor ihren Zelten erhoben sie ihre matten Augen zu der Dunsthitze des unbarmherzigen Himmels und murmelten: »So steht es geschrieben.«

Israel beschäftigten andre Dinge. Während dieser sechsundzwanzig Tage war er mit sich selbst darüber zu Rate gegangen, was für ihn das Rechte und Notwendige sei, das er thun müsse.

Endlich war er zu dem Schlusse gekommen, daß es seine Pflicht sei, das Amt, das er unter dem Statthalter inne hatte, niederzulegen. Er konnte nicht länger zweien Herren dienen. Zu lange hatte er an dem einen festgehalten, da er meinte, durch Wiedererstattung und Vergütung, durch Ehrlichkeit und Unparteilichkeit dem andern genug zu thun. Leiden vergüten wollen, die bereits mit dem Tode geendet haben, heißt sie verhöhnen; und wiedererstatten war – bei der Erschöpfung seines eignen Geldbeutels – nicht mehr möglich, ohne seines Herrn Schatz zu berauben. Ehrlichkeit und Unparteilichkeit blieben in der Berberei leere Worte, wo jedermann, der ein Amt inne hatte, von dem herzlosen Sultan in seinem Harem an bis zu dem frechen Mut-Hassib (Thürhüter) auf dem Markte, eigentlich nur ein Folterinstrument in Menschengestalt vorstellte, dazu erfunden und bestimmt, den niedriger Stehenden das Lebensblut auszupressen.

Noch länger die Lästerreden und das Hohnlachen Ben Abus ertragen zu müssen war ihm unmöglich, und der habgierigen Zudringlichkeit seines spanischen Weibes Katrina zu widerstehen war eine Verschwendung von Mut und Schamgefühl. Außerdem und vor allem gedachte Israel daran, daß Gott die Opfer, die er bereits gebracht, gnädig angesehen hatte. Zweimal hatte Gott ihm durch die Naomi erwiesene Barmherzigkeit dafür gelohnt, daß er den Pomp und das Gepränge der weltlichen Ehre zurückgewiesen. Sollte Gottes große Hand jetzt feiern – jetzt, wo er ihre mächtige Wunderkraft am nötigsten hatte? jetzt, wo Naomi ihrer Blindheit bewußt geworden, sich grämte und nach dem lieblichen Anblick der Welt verlangte; jetzt, wo er selbst im Begriff stand, sein letztes Besitztum, das ihn von den übrigen Menschen trennte – sein Amt – wegzuwerfen, für das er in den ersten Zeiten im Schweiß seines Angesichtes und bis aufs Blut gearbeitet und an dem er seither festgehalten, dem Haß und üblen Gerüchten zum Trotz, um das Schicksal zu besiegen, das ihn zuerst niedergeworfen hatte.

Israel war auf dem besten Wege, Gott wieder bestechen zu wollen und vergaß in der Hitze seines Verlangens die Beschämung, die ihm seine Reise nach Schawan bereitet hatte. Er traf seine Vorbereitungen. Ihrer waren nur wenige. Sein Geld war bereits verbraucht und ebenso die Juwelen seiner Frau. Er hatte beschlossen, sein Haus, wenn auch nur als Obdach für Naomi zu behalten – mußte er doch auf ihr materielles, wie ihr geistiges Wohlsein Rücksicht nehmen – aber die Einrichtung und Möbel zu vereinfachen, da sie luxuriöser waren, als ihre veränderte Lage erlaubte.

So verkaufte er denn die Sofas und Lehnstühle, die er aus England hatte kommen lassen, wie auch die Teppiche von Rabat und die seidnen Wandbehänge aus Fes und die Purpurbaldachine aus der Stadt Marokko an einen jüdischen Händler in der Mellah. Als diese Dinge weg waren und nichts mehr übrig blieb, als die groben wollenen Decken und Matratzen, deren allein ein armer Mann in einem Lande bedarf, wo die Witterung stets milde ist, rief er seine Dienstboten zu sich in den Patio – Ali sowohl wie auch die beiden leibeignen Frauen – denn es stand fest bei ihm, daß er auch von ihnen sich trennen und sie ihres Weges ziehen lassen müsse.

»Meine guten Leute,« sagte er, »ihr seid mir so manches Jahr treue und anhängliche Dienstboten gewesen – du, Fatima, und auch du, Habiba, schon lange vor meiner Verheiratung – auch du, Ali, mein Junge, seit du alt genug warst, um dich nützlich machen zu können. Es wäre mir deshalb auch nie in den Sinn gekommen, mich von euch zu trennen, so lange ich lebte, aber mein Leben in unsrer unglücklichen Berberei ist schon zu Ende, und morgen werde ich weniger sein, als der Geringste in Tetuan. So habe ich denn dies zu thun beschlossen. Du, Fatima, und du, Habiba, die ihr mir vom Kaid als Leibeigene übergeben wurdet in den Tagen, da meine Macht, die nun klein und von keinem Belang mehr ist, noch groß und unentbehrlich war – ihr gehört mir. Nun, ich schenke euch die Freiheit. Eure Papiere lauten auf Ben Abus Namen, und ich habe sein Siegel darunter gedrückt – das ich danach nur noch einmal zu gebrauchen gedenke. Hier sind sie für euch beide. Tragt sie morgen nach dem Frühgebet zum Kaid, und er wird sie euch zu Recht bestätigen. Dann werdet ihr für alle Zeit freie Weiber sein.«

Die Negerinnen hatten Israels Rede mehr als einmal mit Ausrufungen der Überraschung und Bestürzung unterbrochen. »Allah! – Bismillah! – O ihr Heiligen! – Beim Bart des Propheten!« – Und als er endlich die Emanzipations-Urkunden in ihre Hände legte, da brachen sie in lautes hysterisches Weinen aus.

»Was nun dich angeht, Ali, mein Sohn,« fuhr Israel fort, »dir kann ich deine Freiheit nicht schenken, denn du bist frei geboren. Du bist mir diese vierzehn Jahre ganz wie ein Sohn gewesen. Für dich habe ich noch eine Aufgabe – eine gefahrvolle Aufgabe, eine ernste Pflicht – und wenn sie erfüllt ist, werde ich dich nicht wiedersehen. Du hast einen weiten Weg vor dir, mein braver Junge, aber ich sorge mich nicht um dich. Wenn du fort bist, werde ich deiner gedenken; und wenn auch du zuweilen deines alten Herrn gedenken möchtest, der dich nicht behalten konnte, bleiben wir vielleicht nicht immer getrennt.«

Der junge Schwarze war bei diesen Worten wie aus den Wolken gefallen. Daß seltsames Mißgeschick seit kurzem ihren Haushalt betroffen, war eine Thatsache, die sich seinem widerstrebenden Geiste gewaltsam aufgedrängt hatte. Aber daß Israel, der größeste, edelste, mächtigste Mann von der Welt – mochten doch die schäbigen Judenhunde und die ganze räudige Meute der Mauren kläffen und belfern, soviel sie wollten – daß ein solcher Mann so tief fallen sollte, daß er geringer als die Geringsten in Tetuan würde, und daß er, wenn er dann gestürzt wäre, ihn fortschicken sollte, ihn Ali, seinen Jungen, den er einst als Naomis Spielgefährten erzogen hatte – Allah! Allah! im Namen des barmherzigen Gottes, was konnte sein Herr meinen?

Große Thränen quollen in Alis Augen empor und rollten in glitzernden Perlen über seine schwarzen Backen. Endlich gewann er die Sprache wieder und platzte mit der Versicherung heraus, daß er nicht gehen werde. Er wolle seinem Vater folgen und ihm dienen bis ans Ende seines Lebens. Was brauchte er Lohn? Wer verlangte solchen? Er sollte nicht mehr seines Herrn Gänge besorgen? Das wäre doch noch besser, wenn er abgehen und seinen Vater nicht wieder sehen sollte, noch Naomi – Naomi – das – das – aber Gott würde es zeigen! Gott würde es zeigen!

Nachdem Ali so gesprochen, folgte ihm Fatima. Sie schritt auf Israel zu und gab ihm ihren Freibrief zurück. »Nimm ihn wieder!« sagte sie; »ich brauche keine Freiheit. Ich bin so frei genug. Und hier – hier,« sie nestelte an ihrem Gürtel und zog eine gestrickte Börse hervor, »ich würde dies schon längst angeboten haben, ich fürchtete nur, es könnte zudringlich sein. Mein Lohn? Ja, es ist mein Lohn. Du hast uns seit neun Jahren Lohn gezahlt, nicht wahr? Und was hatten wir für Recht darauf, da wir doch Sklaven waren? Du willst es nicht nehmen, o Herr? Nun denn, wenn ich wirklich fort soll und dich verlassen, so nimm wenigstens meinen Freibrief und verkaufe mich an jemand anders. Ich mache mir nichts daraus, und du hast das Recht dazu. Vielleicht bekomme ich wieder einen guten Herrn – wer weiß?«

Sie hatte die Stirn gerunzelt und sich bemüht, streng und ärgerlich auszusehen, aber dann auf einmal war ihr ganzes Angesicht von heißen Thränen überströmt.

»Ich bin ja wohl närrisch!« rief sie. »Niemals werde ich einen so guten Herrn wieder bekommen; aber wenn ich auch einen bösen bekomme, der mich prügelt, will ich mir nichts daraus machen, denn ich werde an dich denken und an mein köstliches Kleinod, mein Goldherz, meinen Silberstern, meine hübsche Gazelle, meine Naomi! – Allah behüte sie! – daß du doch mein Geld nähmest und ich für euch beide leiden könnte – für euch arbeiten – Tag und Nacht – von früh bis spät –«

Länger konnte es Israel nicht aushalten. Er stand auf und floh aus dem Patio in sein Zimmer, um sein von Thränen überströmtes Gesicht zu verbergen. Aber seine Seele wurde weit, und er frohlockte. Mochte die Welt ihn schelten, wie sie wollte – einen Tyrannen, Verräter, Verworfenen, Paria – es gab doch schlichte Herzen, die ihn liebten und ehrten – ja ihn ehrten – und das waren die Herzen, welche ihn am besten kannten.

Die gefahrvolle Aufgabe, die Israel für Ali aufbehalten hatte, war die, nach Schawan zu gehen und die Anhänger Absalams in Freiheit zu setzen. Diese, weniger glücklich als ihr Führer, dessen starke Seele schon längst zur Ruhe gekommen war, lagen noch immer im Gefängnis unter unablässigen Qualen und Entbehrungen. Er sollte dies thun kraft einer an den Kaid von Schawan gerichteten, vom Siegel des Kaid von Tetuan beglaubigten Vollmacht. Israel hatte dieselbe aufgesetzt und untersiegelt ohne Vorwissen oder Gutheißen Ben Abus; denn da er wußte, was für ein Mensch Ben Abu war, da er Katrina kannte und wußte, wie vollständig sie ihn beherrschte, hielt er es für zwecklos, den Versuch zu machen, sie oder ihn zur Gnade zu bewegen. Deshalb hatte er beschlossen, auf jede Gefahr hin diesen letzten Gebrauch von seinem Amte zu machen.

Ben Abu würde ja möglicherweise niemals erfahren, daß die Leute in Freiheit gesetzt waren, denn Ali sollte ihnen verbieten, nach Tetuan zurückzukehren, und bis Schawan waren es fast zwei Tagereisen. Und wenn er es doch einmal erführe, so war Israel selbst da, um seinen vollen Zorn zu tragen. Ali, das Werkzeug seines Unternehmens, mußte dann weit entfernt sein. Denn so wie die Pforten des Gefängnisses geöffnet und die Gefangenen frei waren, sollte Ali weder nach Tetuan zurückkehren, noch in Marokko bleiben, sondern mit dem Gelde, das ihm Israel aus den Trümmern seines Vermögens gab, eiligst über Ceuta nach Gibraltar schiffen und sein Leben nicht eher für sicher halten, als bis sein Fuß den Boden Englands betreten hätte.

»England!« rief Ali. »Aber da sind ja die Menschen alle weiß.«

»Weiß-herzig sind sie, mein Junge,« sagte Israel; »und ein jüdischer Fuß kann bei ihnen einen Ort finden, wo er rasten darf.«

Noch am selben Tage nahm der schwarze Knabe Abschied von Israel und Naomi. Beide sollte er auf immer verlassen, und ihm brach fast das Herz vor Wehmut. Israel war sein Vater, Naomi seine Schwester, und beide sollte er niemals wiedersehen. Aber stolz auf seine gefährliche Mission hielt er sich tapfer.

»Gute Nacht,« sagte er und ergriff Naomis Hand, ohne sie anzusehen.

»Gute Nacht,« antwortete sie, und dann nach augenblicklichem Besinnen schlang sie beide Arme um seinen Nacken und küßte ihn. Er lachte auf und wandte sich zu Israel.

»Gute Nacht, Vater,« sagte er, und seine Stimme klang hohl und schrill.

»Glückliche Reise, mein Sohn,« erwiderte Israel. »Mögest du alle meine Aufträge gut ausrichten!«

»Gott möge meinen Urgroßvater verbrennen, wenn ich's nicht thue,« sagte Ali mit Nachdruck.

Aber mit dieser landesüblichen Beteurung brach seine tapfre Haltung zusammen; er zog Israel beiseite, damit Naomi ihn nicht hören sollte, und flüsterte schluchzend und stammelnd: »Wenn – ich fort bin – sage – bitte sage ihr nicht, daß ich schwarz bin!«

Im nächsten Augenblick war er davongeeilt.

»Geh in Frieden!« rief Israel ihm nach. »In Frieden! mein wackrer Junge, schlichtes edles, treues Herz!«

Am nächsten Morgen machte sich Israel auf nach der Kasbah, um seinen großen Entschluß auszuführen, und das Amt, das er unter dem Kaid bekleidet hatte, niederzulegen. Als er durch die Straßen dahin schritt, trug er den Kopf hoch und hielt sich stolz. Eine große Last war von ihm abgefallen, und sein Herz war leicht. Wer ihm begegnete, beugte das Haupt vor ihm und blickte ihm mit finsterer Miene nach, wenn er vorüber war. Die Bettler am Thor der Moschee spieen hinter seinem Rücken über die Finger und murrten: »Bismillah! Im Namen Gottes!« Ein schwarzer Hufschmied, der auf dem Feddán einen knochigen, räudigen Maulesel beschlug, hob sein häßliches, in Schweiß gebadetes Gesicht und grinste Israel an, als er vorbei ging. Ein Trupp von Rifern, schmutzigen, hageren, hohläugigen Kerlen, die ihre ausgemergelten Esel fütterten und angstvoll nach dem Himmel über den Bergspitzen schauten, fletschten die Zähne wie die Hunde, als er zwischen ihnen hindurch schritt. Der Himmel war bewölkt, und die Berghäupter trugen Nebelhauben. »Bálak!« tönte es von allen Seiten an Israels Ohren. »Arrah!« erklang es beständig hinter ihm. Ein Bonbonverkäufer, der sein Holzbrett vor der Brust hin und her schwenkte und rief: »Bonbons! Bonbons! O mein Herr Idris, alles Bonbons!« änderte den Namen des Schutzheiligen aller Zuckerwaren und sagte: »Bonbons, Bonbons; o mein Herr Israel! Bonbons, Bonbons!« Überall war die Luft voll des spöttischen Echos seines Namens.

Doch was that das? Israel konnte den armen Leuten nicht zürnen. Sechsundzwanzig Jahre war er unter ihnen aus und ein gegangen wie ein Sklave. An diesem Morgen war er ein freier Mann, und morgen würde er ganz ihresgleichen sein.

Als er die Kasbah erreichte, erinnerte ihn etwas – war es in der Luft, oder was es sonst sein mochte – an den Tag des vor fast vier Jahren bei Katrinas Hochzeit veranstalteten Kinderfestes. Lungenkräftige Araber kauerten an den Thoren, neben Soldaten in weißen Selhams und spitzigen Schasiahs. Weiber in wollene Decken gewickelt, standen im Außenhof. Die dunklen Gänge rochen modrig, aus den innern Gemächern strömten betäubende Gerüche auf den großen Patio mit dem Springbrunnen und den Feigenbäumen – überall dieselbe wollüstig schwüle Luft.

Und wie an jenem Hochzeitstage, so saß auch heute Ben Abu mit seinem spanischen Weibe unter dem hufeisenförmigen Bogen. Die Zeit war nicht spurlos an ihnen vorüber gegangen. Das schwarzbraune Gesicht des Kaid war aufgedunsen, die kurzen Locken unter seinem Turban waren etwas grauer, und seine nußbraunen Augen fahl und triefend geworden, aber im übrigen war er derselbe Mann geblieben, der er gewesen war. Auch Katrina, abgerechnet den Verlust einiger Oberzähne, war noch die nämliche Frau. Und wären die Kinder jenes festlichen Tages vor Israel aufgetaucht, als er jetzt auf der Schwelle des Patio stand, er hätte kaum mit größerer Überraschung den Atem anhalten können, als bei dem Anblick des Mannes, welcher an diesem Morgen an ihrer Stelle stand.

Es war Mohammed von Mekines. Er war gekommen, um von dem Statthalter die Freilassung der Anhänger des Absalam aus dem Gefängnis von Schawan zu verlangen. Der höfischen Sitte zuwider hatte er die Schuhe nicht ausgezogen. Er trug ein Kleid von ungegerbter Kamelshaut, das bis an die Kniee reichte und von einem Gürtel um den Leib zusammengehalten wurde. Sein unbedecktes, den Sonnenstrahlen preisgegebenes Haupt hielt er heute nicht einer Blume gleich sanft gesenkt, wie es seine Natur war, sondern hoch und stolz aufgerichtet. Wildes Feuer blitzte aus seinen Augen. Er kam nicht, um die Freilassung jener Leute demütig zu erflehen, sondern er verlangte sie, und nannte Ben Abu ins Gesicht einen Tyrannen.

»Liefere sie mir aus, Ben Abu,« sagte er gerade, als Israel die Schwelle betrat, »oder wenn sie in ihrem Gefängnis umkommen, so gelobe ich dir eines!«

»Und was wäre das?« sagte Ben Abu.

»Daß es eine blutige Nachforschung nach ihrem Mörder geben wird.«

Ben Abus Brauen zogen sich zusammen, aber er warf nur einen schnellen Blick auf Katrina und lachte gezwungen auf, dann sagte er: »Und wer, ich bitte dich, o gnädigster Herr, wer soll ihr Mörder sein?«

Da reckte Mohammed von Mekines seine Hand aus und sprach: »Du bist der Mann!«

Ein sekundenlanges Stillschweigen trat nach dieser Antwort ein. Ben Abu rückte auf seinem Sitz hin und her, Katrina durchschauerte es an seiner Seite.

Endlich warf Ben Abu einen flüchtigen Blick auf Mohammed. Er war Kaid, er war Pascha, er war Herr über alle Menschen auf dreißig Meilen in der Runde, aber er fürchtete sich vor diesem Manne, den das Volk einen Propheten nannte. Und teils aus Furcht, teils weil ihm Mohammeds mutiges, herausforderndes Auftreten in seinem eignen Schloß und nahe seinen Kerkern mehr Achtung abgewann, als sein hitziges Wort ihm Zorn verursachte, hätte Ben Abu ihm in diesem Augenblick fast versprochen, die Gefangenen von Schawan in Freiheit zu setzen. Aber mit einem Male fiel es Katrina ein, daß auch sie Ursache zum Zorn gegen diesen Mann habe. Ganz kürzlich hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Mohammed ihre Heirat öffentlich gerügt hatte.

»Halt ein, Sidi,« sagte sie, »ist dies nicht derselbe Mensch, der in deinem Paschalik herumgelaufen ist und unsre Heirat verschrien hat, weil sie gegen das Gesetz Mohammeds sei?«

Da erkannte Ben Abu klärlich, daß es hier keinen Ausweg für ihn gab. So zwang er sich noch einmal zum Lachen und rief: »Allah! Du hast recht! Mohammed der Dritte, he! he! Sohn von Mekines, Gott wird dir's lohnen. Besten Dank! Du glaubst gar nicht, wie lange ich mir gewünscht habe, den Propheten von Angesicht zu Angesicht zu sehen, der einen Kaid öffentlich angeklagt hat!«

Er stieß diese großsprecherischen Worte zwischen Ausbrüchen höhnischen Gelächters hervor, aber sein Lachen erstarb urplötzlich auf seiner Lippe, als Mohammed ihm zurief: »So ist dein Wunsch erfüllt, Ben Abu – sieh ihn dir recht an und wisse, daß du eine unreine That begangen hast, und daß du kinderlos sterben wirst!«

Da überwältigte der Zorn den Statthalter. Wütend sprang er auf und schrie: »Prophet, du hast dich selbst vernichtet. Merke auf meine Worte! Die aufständischen Hunde, für die du bittest, sollen in ihrem Gefängnis liegen, bis sie Hungers sterben und in ihren Wunden verfaulen! Das schwöre ich bei dem Barte meines Vaters!«

Mohammed war nicht eingeschüchtert. Den Kopf zurückwerfend versetzte er: »Bin ich denn ein Prophet, o Ben Abu, so höre meine Prophezeiung! Ehe das, was du sagst, geschieht, werden beide, du und deines Vaters Haus, vernichtet sein. Noch nie ist ein Tyrann im Frieden aus dem Leben geschieden, und du sollst es verlassen wie ein Hund!«

Da sprang Katrina auf und rief einer Gruppe barfüßiger arabischer Soldaten, die in der Nähe standen, zu: »Greift ihn! Laßt ihn nicht entkommen!«

Die Soldaten aber rührten sich nicht. Ben Abu sank in seinen Sitz zurück, und Mohammed fuhr furchtlos fort zu sprechen:

»Gestern nacht sah ich dich, o Ben Abu, in einem Gesichte. Das Schwert der Rache hatte dich getroffen für alle deine Nichtachtung unsrer heiligen Gesetze, und für den Jammer, den du über unser armes Volk gebracht hast. Und in diesem Hof und an derselben Stelle, wo deine Füße jetzt ruhen, lag dein Leib; und jenes Weib lag wehklagend über dir! Ihr Gesicht und ihre Hände waren bespritzt mit deinem Blute; sie allein war bei dir, denn alle anderen hatten dich verlassen – alle außer einem, und das war dein Feind, und er war gekommen, dich mit seinen Augen zu sehen und in seinem Herzen über dich zu frohlocken, weil du gefallen warst und tot dalagst.«

In schauderndem Entsetzen erhob sich Ben Abu noch einmal, aber er wankte zurück, und seine Augen hefteten sich starr auf den Fleck zu seinen Füßen, auf den Mohammed hingewiesen hatte. Beinahe wollte es ihm vorkommen, als sähe er die furchtbare Scene, von der Mohammed gesprochen hatte, so gewaltig hatte die Vision auf seine Phantasie gewirkt.

Doch rasch wieder gefaßt, schrie er: »Hebe dich fort! Im Namen Gottes hinweg mit dir!«

»Ich gehe,« versetzte Mohammed, »und du bedenke wohl, was du thust, wenn ich fort bin.«

»Drohst du mir?« rief Ben Abu. »Willst du zum Sultan gehen? Willst du dich an Abderrahman wenden?«

»Nein, Ben Abu, aber an Gott!«

Mit diesen Worten verließ Mohammed von Mekines den Hof, und niemand hinderte ihn. Ben Abu sank kraft- und sprachlos in seinen Sitz zurück, und weder der Purpur, der seine Schultern umhüllte, noch das Silber auf seiner Brust hatten ihm etwas genützt gegen den schlichten Mann im Kamelskleide, der nichts besaß und nichts erbat und weder Kaid noch König fürchtete.

Als Ben Abu wieder zu sich gekommen war, erblickte er Israel am Thoreingang und winkte ihm, indem er nach maurischer Weise die Hand abwärts bewegte. Dann erhob er sich mit noch bebenden Gliedern, nahm ihn beiseite und sagte: »Ich kenne diesen Burschen – Ja Allah! Allah! Trotz all seiner Prahlereien und Visionen ist er zu Abderrahman gegangen. Gott wird es an den Tag bringen! Gott wird es ans Licht bringen! Ich wage nicht, ihn gefangen nehmen zu lassen! Abderrahman benutzt ihn, um bei seinen Paschas herum zu spähen und zu spionieren! Ein Kleid von Kamelshaut? Allah! eine hübsche Verkleidung! Bismillah! Bismillah!«

Mit einem Blick rückwärts nach dem Ort, wo Mohammed in seiner Vision seinen Leichnam hatte hingestreckt liegen sehen, senkte er darauf seine Stimme zu einem Flüstern, und sagte: »Höre! Du hast mein Siegel?«

Israel steckte, ohne ein Wort zu sprechen, die Hand in seine Gürteltasche und zog das Siegel Ben Abus daraus hervor.

»So recht! Nun höre mich! Im Namen des barmherzigen Gottes! Diese ungläubigen Hunde in Schawan dürfen nicht in Freiheit gesetzt werden und weder Brot noch Wasser bekommen! Mögen ihre Angehörigen sie füttern! Und wenn das, wovon jener Kerl gesprochen hat, sich zutragen sollte – hörst du? – in der Stunde, in der es geschieht – Allah, schütze mich! – in der Stunde fertigst du einen Befehl an den Kaid von Schawan aus, und siegelst ihn mit meinem Siegel – hörst du mir zu? – einen Befehl: sie alle, Männer, Frauen und Kinder, mit dem Schwerte hinzurichten. Ya Allah! Allah! Wir wollen es diesen Spionen Abderrahmans eintränken! Wenigstens soll bei meinem Begräbnis Trauern und Wehklagen sein! – Alle Heiligen! – Wehklagen, sag' ich, bei denen, die sich über meinen Tod freuen!«

In solchen abgebrochenen Sätzen mit wutbebender Stimme, die bald zu leisem Flüstern herabsank, bald in lautes Schreien ausbrach, machte Ben Abu seiner Angst Luft.

Israel gab keine Antwort. Vor seinen Augen flimmerte es – er erkannte kaum die Wände des Raumes, in welchem sie sich befanden. Vor seinen Ohren schwirrte es – er hörte kaum Ben Abus Stimme, obwohl des Kaids heißer Atem seine Wange streifte. Aber durch den Nebel sah er eine schattengleiche Gestalt wütend im Patio auf und nieder stampfen, und durch die verdickte Luft vernahm er eine andere gedämpfte, aber barsche Stimme. Katrina, der es gelungen war, durch ihr Lächeln Ben Abus böse Stimmung zu vertreiben, wandte sich jetzt zu Israel und sagte:

»Was höre ich denn von deiner schönen Tochter – deiner Naomi – sie habe plötzlich Gehör und Sprache gewonnen? Wann trug sich das zu? Ich bitte dich. Keine Antwort? Ach, ich sehe, du bist der Täuschung müde. Ihr habt sie aber lange aufrecht erhalten. Aber ist sie noch blind? So? Jemine! Blind, das arme Kind. Man denke!«

Israel antwortete nichts und sah nicht auf, sondern stand regungslos an derselben Stelle mit dem Siegel in der Hand. Da unterbrach Ben Abu endlich sein rastloses Auf- und Niederschreiten, blieb vor ihm stehen und sagte: »Warum bist du ein Jude, Israel ben Oliel? Dein Volk, diese Hunde hassen dich. Bekenne dich zum Propheten! Ergib dich! Werde Mohammedaner, Mensch – was hindert dich?«

Noch immer antwortete Israel nicht. Ben Abu aber fuhr fort: »Höre, die Leute, die mich umgeben, stehen in des Sultans Solde, und alles in allem bist du der beste Diener, den ich je hatte. Sprich das Kelma, und ich will dich zu meinem Kalifa machen. Hörst du – zu meinem Kalifa mit einer Macht, die der meinen gleich kommt. Mann, warum sprichst du nicht? Bist du neuerdings denn ebenso dumm geworden, wie schwach und weibisch?«


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