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XI. Israels Heimkehr.

Israel machte auf seiner Heimreise durchweg entgegengesetzte Erfahrungen, wie bei seiner Ausfahrt. Von der großen Summe, mit welcher er von Tetuan aufgebrochen war, hatte er nur noch sieben Thaler in seiner Gürteltasche. Seine Leute waren ihm voraufgezogen und hatten ihre Lügengeschichte aller Orten erzählt. So beachteten die ihm Begegnenden ihn entweder gar nicht, oder sie verhöhnten ihn, und nicht einer von denen, die sich bei seiner ersten Ankunft beeilt hatten, ihm Ehre zu erweisen, ging ihm jetzt auch nur aus dem Wege.

Am dritten Tage, nachdem er Fes verlassen hatte, kam er wieder nach Weßan. Es war um Sonnenuntergang, als Israel die Stadt betrat und so genau wie damals sah alles aus, daß er sich beinahe hätte vorspiegeln und es auch glauben können, daß er sie vor noch nicht zwei Minuten verlassen habe. Dort am Brunnenrand warteten die Wasserträger mit ihren Schläuchen, und auf dem Marktplatz saßen Weiber und Kinder mit ihren Suppennäpfen; da lümmelten sich die Männer mit ihren gestopften Pfeifen an den Läden herum, und dort stand der Mudin auf dem Minaret und schaute in das flache Land hinaus. Alles war unverändert, außer alledem, was Israel persönlich betraf. Kein Groß-Sherif wartete auf ihn, um ihm sein Roß anzubieten, und das seinige zu besteigen, und keine schwarze Leibwache geleitete ihn durch die Stadt. Mit wunden Füßen, schmutz- und staubbedeckt, müde und matt schritt er allein durch die Straßen. Und als jetzt plötzlich die Stimme aus der Höhe erklang und die atemlos harrende Stadt mit einem Male in Lautwellen erbrauste – dem Klingeln der Glöckchen der Wasserträger, dem Jauchzen der Kinder, dem Rufen der Männer – schien nur ein Mensch ihn zu sehen und zu erkennen. Ein Araber war es, dessen Lumpen kaum hinreichten, seine Blöße zu bedecken, und der sein heißes Gesicht mit dem Wasser badete, das ein Wasserträger ihm in die Hände goß; der hob sein feuchtglänzendes Gesicht auf, als Israel vorbeiging, und nannte ihn »Hund!« und »Jude!« und herrschte ihn an, seine Schuhe auszuziehen.

Israel schlief diese Nacht in einem der unsauberen, von Juden bewohnten Fondaks von Weßan. Sein Zimmer war eine Art engen Kastens in einem viereckigen Hof, der noch viele ähnliche enthielt; als Bett diente ihm eine Handvoll auf den Erdboden geschüttetes Stroh. Am Thürpfosten war eine Hand mit roter Farbe gemalt, und über dem Thürbalken war in groben Zügen ein Skorpion gezeichnet und darunter eine Verwünschung, welche den Anspruch erhob, aus dem Munde des Propheten Josua, des Sohnes Nuns, zu stammen. Wenn der Zauber die bösen Geister von Israels Ruhestätte hinwegtrieb, so bannte er doch nicht die guten. Israel schlief auf diesem armseligen Lager, wie er noch nie unter dem Purpurbaldachin seines eignen Zimmers geschlafen hatte, und die ganze Nacht – so kam es ihm vor – umschwebte ihn eine Engelsgestalt. Es war Naomi. Er konnte sie deutlich sehen. Sie waren irgend wo in einer kleinen Hütte bei einander. Das Haus war ein ärmliches, aber Jasmin und Majoran, Nelken und Rosen umblühten es draußen, und die Liebe blühte drinnen. Und Naomi! Was waren ihre Augen hell! Sie konnten ja sehen! Ja, und ihre Ohren konnten hören und ihre Zunge konnte sprechen!

Zwei Tage, nachdem Israel Weßan verlassen hatte, gelangte er in das Paschalik von Tetuan zurück. Jede Nacht hatte er denselben Traum geträumt, und obgleich er sich jeden Morgen beim Erwachen seufzend sagte, daß sein Traum nur der Widerschein von der Vision seiner verklärten Frau sei, so konnte er doch nicht umhin, den ganzen Tag hindurch daran zu denken. Er versuchte sich darauf zu besinnen, ob und wo er die Hütte wohl je mit wachenden Augen gesehen habe: er rief sich Naomis Stimme ins Gedächtnis zurück, wie er sie im Traum vernommen, um darüber klar zu werden, ob es auch dieselbe sei, die er in den Stunden gehört zu haben meinte, wenn er heimlich nachts an dem Bette der Schlummernden wachte. Zuweilen, wenn er es sich recht überlegte, meinte er, er fange wohl an kindisch zu werden, so thöricht war seine Freude beim Herannahen der Nacht – er hatte sich förmlich in sie verliebt – weil er hoffte, seinen Traum wieder zu träumen.

Aber es war eine liebe köstliche Thorheit, denn sie half ihm über die schweren Anstrengungen der Reise hinweg, und dieser waren nicht wenige. Kaum lag El Kasar hinter ihm, da überfiel ihn eine Bande Strolche, die ihm aus der Stadt gefolgt war, und nahm ihm nicht nur sein Geld, sondern auch alles weg, was er von besseren Kleidungsstücken an hatte. Da erbarmte sich eine gute Frau über ihn – sie war das alte Weib eines Mauren, der sie zur Dienerin erniedrigt, nachdem er eine junge Frau genommen hatte – und gab ihm einen abgetragenen maurischen Dschellab. Ein Überwurf, dessen Kapuze über den Turban gezogen werden kann, aus feinster weißer Wolle; der Burnus des Arabers, Nationalgewand der Berber. Sein Unglück hatte indes gewisse Vorteile. Da er nun gezwungen war, in maurischer Verkleidung weiter zu reisen, hörte er die Leute, die seine Nähe nicht ahnten, über ihn selbst reden. An jeder Not, die sie betroffen, trug er die Schuld. Ben Abu, ihr Pascha, war ein gütiger, menschenfreundlicher Mann, der oft zu dem getrieben wurde, was seine Seele verabscheute. Israel ben Oliel allein war ihr grausamer Steuervogt.

Als Israel nur noch eine Tagereise von Tetuan entfernt war, kam eine fürchterliche Geißel über das Land. Die Heuschreckenplage zog gleich einer dichten Wolke von der Wüste herauf und fraß jedes Blatt und jeden Grashalm, alles was die sengende Sonne grün gelassen hatte, so daß die Ebene, über welche sie gezogen war, schwarz und kahl aussah, wie ein Lawastrom. Die Pächter verarmten, und die ärmeren Leute wurden Bettler. Sogar dieses letzte Unheil luden sie in ihrer Verzweiflung Israel auf, denn Allah, meinten sie, verfluche sie um Israels willen. Und das waren dieselben Leute, welche ihm auf der Hinreise ihre Geschenke aufgedrängt hatten.

In der einsamen Hütte der alten Frau, welche ihm die Schüssel Buttermilch dargeboten hatte, ruhte Israel aus und bat um einen Trunk Wassers. Sie gab ihm eine Schale Zummita Ein aus gerösteter Gerste bereitetes Getränk. und fragte, ob er nach Tetuan ginge. Er erwiderte bejahend, und sie forschte weiter, ob er dort zu Hause sei. Und als er antwortete, daß dem so sei, blickte sie ihn wieder an und sagte bewegt: »Dann möge Allah dir beistehen, mein Bruder!«

»Warum mir mehr denn einem andern, meine Schwester?« fragte Israel.

»Weil du offenbar ein armer Mensch bist,« erwiderte die alte Frau, »und gegen solche ist er am härtesten.«

Stockend sagte Israel: »Er? Wer, Mutter? Ach du meinst –«

»Wen anders als Israel, den Juden?« sagte sie und fügte dann, als besänne sie sich plötzlich, hinzu: »Aber es heißt ja, er sei endlich fort und der Sultan habe ihn ausgeplündert. Nun Allah sende uns bald jemand anders, der unser armes Land in Ordnung bringt! Und was hätte er den Armen sein können – so klug wie er ist, und so mächtig!«

Israel hörte gebeugten Herzens zu, und wie eine Motte um die Flamme kreist, so konnte er sich nicht enthalten, mit dem Feuer zu spielen, das ihn versengte. »Man sagt,« fing er an, »daß Allah ihn mit einer Tochter gestraft hat, welche vom Teufel besessen ist.«

»Blind und stumm ist die arme Seele,« versetzte die alte Frau; »aber Allah erbarmt sich der Elenden. Er nimmt sie zu sich.«

Israel erhob sich.

»Zu sich?«

»Sie ist krank, seitdem ihr Vater nach Fes reiste.«

»Krank?«

»Ja – gestern hörte ich, sie läge im Sterben.«

Israel stieß einen Schrei aus, wie ein Tier, das geschlachtet wird, und floh aus der Hütte. O Thor, dreifacher Thor, der er war, daß er mit Träumen getändelt, mit seinen eignen Einbildungen gekost – ihnen geschmeichelt, sie gepflegt und sich in sie versenkt hatte! Tot und in Ewigkeit verdammt sollten alle Träume sein von nun an, denn nur Höllenteufel hatten sie erdacht, um die Seelen unglücklicher Menschen ins Verderben zu stürzen! O warum hatte er niemals an Naomis Gesichtchen gedacht, das so bleich war, als er sie verließ? und an das Schweigen ihres Mundes, der sonst so herzlich lachte? Thor! Thor! Warum hatte er sie überhaupt je verlassen?

Voll von solchen Gedanken eilte Israel vorwärts. Zuweilen stürmte er im schnellsten Laufschritt dahin, dann stand er plötzlich wieder stille; zuweilen schrie er seine Verwünschungen laut hinaus und schlug mit der Faust auf die stachlichten Aloes, bis sie blutete, dann wieder flüsterte er entsetzt vor sich hin.

Ob Gott wirklich sein Gebet nicht erhören wollte? Gott wußte, daß ihm das Kind sehr teuer war, daß es ihm sehr am Herzen lag, und auch, daß er ein einsamer Mann war. »Erbarme dich über einen einsamen Mann, o Gott!« flüsterte er. »Laß mich mein Kind behalten; nimm alles andre, was ich habe, – alles und jedes, was es auch sei! Nur sie laß mich behalten – ja, gerade so wie sie ist, so laß sie mir! Einst habe ich mehr von dir erbeten, aber ich bin jetzt ganz demütig, und bitte nichts weiter!«

An einer einsamen Stelle des Weges inmitten der geschwärzten Blätter, welche die Heuschrecken verschmäht hatten, betete er auf seinen Knien dies Gebet, während die glühende Sonne auf sein entblößtes Haupt prallte; dann stand er auf und stürzte weiter.

Als er sich Tetuan näherte, erglänzte die weiße Stadt im Strahl der untergehenden Sonne. Da fiel ihm sein maurischer Dschellab ein; er warf zum ersten Male einen Blick auf seinen Anzug, und sah, daß er wie ein Bettler heimkehrte. Dabei erinnerte er sich, mit welchem Prunk er die Stadt verlassen hatte. Sollte er auf die Dunkelheit warten, und unter ihrem Schutz in sein Haus schleichen? Wäre ihm der Gedanke vor einer Stunde gekommen, er würde ihn empört verworfen haben. Lieber hätte er doch allen Hohnblicken in Tetuan trotzen wollen, als auch nur eine Minute länger Naomi fern bleiben. Aber jetzt, wo er so nahe war, fürchtete er hinein zu gehen; und nun er so bald die Wahrheit erfahren sollte, fürchtete er sich, sie zu hören. So wandelte er auf der Heide draußen vor der Stadt auf und ab, mit sich feilschend, mit sich ringend, und sich in heftigem Verlangen verzehrend, indem er sich vorredete, er warte ja nur auf die Nacht.

Die Nacht kam endlich, und unter dem schwarzblauen Himmel, der bald von dichten Sterngruppen weißlich erglänzte, schritt Israel unerkannt durch das maurische Thor, welches noch offen war, und die enge Gasse zum Marktplatz hinab. Am Thor der Mellah, das bereits geschlossen war, klopfte er und verlangte Einlaß im Namen des Kaid. Die maurischen Wächter fuhren bei seinem Anblick bestürzt zurück.

»Israel!« schrie der eine und ließ seine Laterne fallen.

»Halte deine Zunge zwischen deinen Zähnen!« flüsterte Israel und eilte weiter.

An der Pforte seines eignen Hauses, welche auch verschlossen war, klopfte er wieder, aber furchtsamer. Die Negerin Habiba öffnete vorsichtig die Thür, und da sie seinen Dschellab erblickte, schlug sie sie ihm vor der Nase zu.

»Habiba!« rief er und klopfte noch einmal.

Jetzt kam Ali an die Thür. »Was bist du für ein maurischer Mann?« rief Ali und stieß ihn zurück, als er sich vorbeidrängen wollte.

»Ali! Hsch! Ich bin es – Israel!«

Da erkannte ihn Ali und rief: »Gott erbarme sich! Was ist geschehen?«

»Was ist hier geschehen?« fragte Israel zurück. »Naomi!« stammelte er, »was macht sie?«

»Also du hast gehört?« entgegnete Ali. »Gott sei Dank, jetzt ist ihr wieder wohl.« Israel lachte – sein Lachen klang wie ein Aufschrei.

»Und noch mehr – es hat sich etwas Wunderbares mit ihr begeben, seit du fort warst.«

»Was?«

»Sie kann hören

»Das ist gelogen!« schrie Israel, erhob seine Hand und schlug Ali zu Boden. Doch im nächsten Augenblick schon hob er ihn auf und sprach schluchzend: »Vergib mir, mein wackerer Junge! Ich war toll, mein Sohn; ich wußte nicht, was ich that. Aber martere mich nicht. Wenn es wahr ist, was du mir sagst, so gibt es keinen glücklicheren Menschen unter dem Himmel; ist es aber falsch, so braucht kein gequälter Höllengeist mich zu beneiden!«

Und Ali antwortete unter Thränen: »Es ist wahr, mein Vater – komm und sieh!«


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