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Portrait: Hall Caine

Hall Caine. Nach einer Photographie von 1892.

Eine Begegnung mit Hall Caine.

Von Robert Koenig.

Die Übertragung einer Dichtung des Auslandes in die heimatliche Sprache ist eine genußreiche Arbeit. Das habe ich erfahren, als ich vor längerer Zeit einige der herrlichsten Romane Walter Scotts zu verdeutschen wagte, und dasselbe kann ich von der vorliegenden Übersetzung des » Scapegoat« von Hall Caine sagen. Eine Vorfreude möchte ich es nennen, daß ich den Dichter persönlich kennen lernte, ehe ich daran ging, sein eigenartigstes Werk in Deutschland heimisch zu machen. Diese Begegnung gewährt mir den Vorzug, ihn meinen Landsleuten wirkungsvoller vorzustellen, als es durch einen kritischen Essay geschehen könnte.

Als Hall Caine zum ersten Mal in mein Studierzimmer trat, war es mir, als kennte ich ihn schon seit Jahren. Gerade so hatte ich ihn mir nach seinen Romanen und nach dem, was ich über ihn gelesen, in seiner äußeren Erscheinung und Haltung, wie in seiner Sprache vorgestellt. Ein mittelgroßer, wohlgebauter Mann mit hoher, freier Stirn, von der die dunkelrötlichen Haare leicht zurückwallen, mit großen braunen Augen, unter deren sanftem Glanze ein lebhaftes Feuer je und je hervorblitzt; das feingeschnittene, blasse, geistsprühende Gesicht, das in seinen Linien etwas an den typischen Shakespearekopf erinnert, von einem leicht zugespitzten Vollbart umrahmt – so trat er mir entgegen. Der kräftig männliche Druck seiner langen, schlanken Hand hatte etwas Nervöses, das übrigens seiner ganzen Erscheinung aufgeprägt, auch in seiner fesselnden, liebenswürdigen Unterhaltung hervortrat. Sein ungezwungenes Auftreten verrät ebensowohl, wie sein Äußeres, den Künstler, der durchdringende Blick, der sich auf die Züge seines Gegenübers heftet, den Seelenkenner. Aber seine Überlegenheit erdrückt nicht, sondern trägt empor, denn man fühlt ihm zugleich das warme Herz, die reine, fast kindliche Aufrichtigkeit an.

Als ich im Verlauf unseres Gesprächs äußerte, ich hätte in einem Engländer kaum jemals ein so lebhaftes Temperament wahrgenommen, wie bei ihm, fuhr er auf und sagte sehr energisch:

»O ich bin gar kein Engländer, obgleich ich zufällig in Runcorn in Cheshire geboren wurde. Thomas Henry Hall Caine, geb. am 14. Mai 1853. Ich bin ein Manxman, und in meinen Adern fließt keltisches neben einer geringen Portion norsischen Blutes. Meine Namen weisen auf meine Rassenabstammung: nach meiner Mutter, einer Norsin, heiße ich Hall, nach meinem Vater, einem Kelten, Caine

Die aus Walter Scotts » Peveril of the Peak« bekannte Insel Man ist Hall Caines Heimat. Ihre Bewohner, die Manx-Leute, haben das von Gladstone für Irland solang erstrebte Home-rule (einheimische Regierung) und ihre eigne, uralte Verfassung, noch heute wie vor tausend Jahren. Ein Lieutenant-Governor repräsentiert unter ihnen die englische Krone. Sie selbst sind loyale Unterthanen der Königin, senden aber keine Vertreter in das englische Parlament.

In drei im »Royal Institution« 1891 gehaltenen, fesselnden Vorträgen hat Caine die Geschichte seiner Landsleute erzählt. Niemand war dazu so berufen, wie dieser Sohn des Volkes, der aus altem Bauernblute stammt. »Mein Großvater,« erzählte er mir, »war, wie seine Vorväter, ein Farmer. Mein Vater war zuerst sein Knecht und später Hufschmied. Seit fünfzehn Jahren,« fügte er gutmütig schalkhaft hinzu, »ist er nichts weiter, als mein Vater, eine Beschäftigung, die seine Zeit ganz auszufüllen scheint.«

In Man wird, wie in Schottland, stets der geistliche Stand für den »klugen« Sohn der Familie ins Auge gefaßt. Diesem Umstande verdankte Hall Caine eine Bildung, wie sie seine Heimatinsel nicht zu gewähren vermochte. Der Vater schickte ihn nach Liverpool auf eine höhere Schule, die er mehrere Jahre besuchte. Dazwischen versuchte er sich auf seiner Heimatinsel als Schulmeister. Aber Pastor zu werden, dazu verspürte er nicht die geringste Lust.

Dagegen hatte er Freude am Zeichnen und nach dem Zeugnis seiner Lehrer ein ausgesprochenes Talent dafür. Das bewog ihn, sich bei einem Liverpooler Architekten zu melden, der einen Lehrling suchte. Er wurde sofort angenommen und arbeitete fünf Jahre zur Zufriedenheit seines Chefs in dem erwählten Lebensberufe.

Daneben war er unaufhörlich bestrebt, sich durch Lektüre fortzubilden. Shakespeare und Carlyle waren seine Lieblinge. Auch seine Feder ruhte keinen Tag. Noch war er nicht siebzehn Jahre alt, als der » Mona's Herald«, eine weitverbreitete Manx-Zeitung, einen anonymen Leitartikel von ihm veröffentlichte, dem viele andere folgten.

»Die guten Leute,« sagte er lächelnd zu mir, »lasen die grünen Stilübungen so andächtig, als hätte sie ein ehrwürdiger Graubart geschrieben. Freilich als es ruchbar ward, daß sie von einem bartlosen, noch nicht völlig ausgewachsenen Jungen herstammten, war die Entrüstung groß.«

»Was Sie aber nicht abschreckte, weiter zu schreiben,« bemerkte ich fragend.

»Natürlich nicht,« erwiderte er. »Aber zunächst hielt ich mich in den Grenzen meines Berufes. Ich wurde regelmäßiger Mitarbeiter des › Builder‹, schrieb über praktische Architektur, trat auch bald mit meinem Namen hervor. Ein damit gezeichneter Aufsatz über den Markusdom von Venedig fand freundliche Beachtung bei Ruskin, dem großen Kunstkritiker. Er schrieb an mich und ist mir auch weiterhin ein litterarischer Freund und Gönner geblieben. Meine Romane sollen ihn in den trüberen, – oder soll ich sagen, den ruhigeren? – Tagen seines hohen Alters erquickt haben, worauf ich, wie Sie denken können, nicht wenig stolz bin. Erst danach wagte ich mich an Artikel für andere Blätter, war auch vorübergehend ein gefürchteter Theaterkritiker.«

»Und Ihre erste Dichtung – wann erschien sie?«

»Als ich achtzehn Jahre war,« antwortete Caine lächelnd. »Sie fand sogar einen Verleger und erschien unter einem romantischen Pseudonym, hinter dem ich meinen Namen verbarg. Wie froh bin ich, daß ich das that! Der einzige, der mein Geheimnis kannte, George Gilfillan, ein Freund und Führer so mancher Anfänger, weilt längst nicht mehr unter den Lebenden.«

Damals fühlte sich der junge Dichter aber doch sehr ermutigt durch den Beifall eines so kunstverständigen Mäcens, der ihm eine erfolgreiche litterarische Laufbahn zuversichtlich voraussagte. Zugleich faßte er durch Gilfillans gewichtige Empfehlung festen Fuß in der Journalistenwelt von Liverpool, beteiligte sich an der Gründung einer Shakespearegesellschaft, wie einer anderen zum Schutze altertümlicher Gebäude u. s. w. So wurde der untergeordnete Clerk, der erst zwanzig Jahre zählte, in gewissem Sinne ein Mann der Öffentlichkeit, und erhielt im darauf folgenden Jahre vom Liverpooler Stadtrat die ehrenvolle Aufforderung, Vorlesungen für die Arbeiter zu halten.

Bald war Hall Caine in den Kreisen seiner Zuhörer sehr beliebt. Aber auch außerhalb derselben wurde man auf ihn aufmerksam. Der Dichter und Maler Dante Gabriel Rossetti, der davon aus den Zeitungen gehört, trat mit ihm in Briefwechsel und lud ihn schließlich nach London in sein Haus ein. Nach kurzer Zeit waren sie innige Freunde. Welcher Gewinn ihm aus diesem vieljährigen Freundschaftsbündnis erwuchs, hat Caine nach dem Tode Rossettis (1882) in seinen » Recollections of Rossetti« sehr anregend und beredt erzählt. Der ältere Mann war ihm stets ein strenger Kritiker. Als Hall Caine ihm die » Sonnets of three centuries« brachte, hatte Rossetti wenig Lob dafür übrig und sagte ihm gerade heraus:

»Ich glaube, daß Ihr Gebiet vornehmlich die glühende, leidenschaftliche Prosa ist.«

Eine Vorhersagung, die sich seitdem in Hall Caines Romanen voll bewahrheitet hat.

Es sollten aber mehrere Jahre vergehen, ehe er sich an eine Prosadichtung wagte. Er schrieb für Zeitungen und Revuen, gab kritische Werke (» Cobwebs of criticism«), und ein Leben des Dichters Coleridge heraus, erlebte auch einmal die Rücksendung eines Manuskripts – doch ich lasse ihm selbst wieder das Wort.

»Endlich hielt ich's nicht mehr in London aus,« erzählte er. »Ich war des ewigen Kritisierens satt. Meine Kraft war auch zu Ende. Mein Arzt schickte mich auf die Insel Wight. Nahe dem Ufer in Sandown fand ich ein Bungalow, das aus drei Zimmern bestand und in einem Garten lag, ein Tusculum, wie ich's nicht besser hätte träumen können. Dort fing ich meinen ersten Roman zu schreiben an. Als er fertig war, hat ein Freund ihn ›den Schatten eines Verbrechens‹ ( the shadow of a crime) getauft. In meiner Phantasie hatte der Keim dazu lange verborgen gelegen. Es war eine Großvatergeschichte. Der Vater meiner Mutter stammte aus Cumberland. Er war die lebendige Chronik seiner heimatlichen Hügel und Thäler. Eine der ältesten Legenden, die ich aus seinem Munde hörte, war in den Tagen der Pest des siebzehnten Jahrhunderts entstanden:

›Es war eine fürchterliche Zeit. Die Menschen scheuten sich, auf den Markt zu gehen, in der Kirche zusammen zu kommen, auf der Landstraße einander zu begegnen. Wenn ein Vereinsamter krank lag, stellte ein Nachbar Essen und Trinken vor die Thür des heimgesuchten Hauses, klopfte an und rannte weg. Eine Witwe lebte mit zwei Söhnen in einem der dunkelsten Thäler. Der jüngste Sohn starb an der Pest. Seine Leiche mußte weit über die Berge zum Begräbnis getragen werden. Der Weg führte quer über den Sty-Head-Paß, einen jähen, unwirtlichen, von rasenden Stürmen oft umtobten Gebirgspfad. Der älteste Sohn, ein starkherziger Bursch, hatte es unternommen, die letzte Pflicht gegen seinen Bruder zu erfüllen. Er schnallte den Sarg auf den Rücken eines jungen Pferdes und brach mit ihm auf. Es war ein böses Wetter. Auf der Höhe des Passes tobte der Wind. Das Pferd wurde scheu. Unversehens riß es sich los und jagte mit seiner Last die Felsen hinab. Der Bursch rannte hinterher, aber es war vergeblich – er verlor das Tier binnen kurzem aus den Augen und mußte endlich unverrichteter Sache umkehren. All dies geschah im Frühling. Den Sommer und Herbst hindurch stellte der überlebende Sohn Nachforschungen nach dem Flüchtlinge an, aber er bekam ihn nie zu Gesicht, obgleich er zuweilen, wenn er spät abends heimkehrte in der hereinbrechenden Dunkelheit durch das Windesrauschen das Wiehern des Pferdes zu hören glaubte. Als der Winter kam, starb die Mutter. Und wieder mußte der Sarg einem Pferde aufgeschnallt und über die Höhe nach dem Friedhof getragen werden. Diesmal wurde eine alte Stute, die Mutter des verloren gegangenen Tieres, zu dem Dienst erwählt, und da die Pest nun vorüber war, gaben die Nachbarn ihr das Geleite. Durch knietiefen Schnee ging der kleine Leichenzug ungefährdet, bis er auf die Paßhöhe gelangte. Kein Windhauch war zu spüren – alles totenstill. Der Sohn hielt den Zügel fest wie in einem Schraubstock. Aber gerade als die Mähre die Stelle erreichte, wo der Sturm einst das junge Pferd scheu gemacht hatte, geschah ein fürchterliches Getöse. Eine ungeheure Schneemasse hatte sich von der überhangenden Felswand losgerissen und war donnernd ins Thal herabgestürzt. Die Stute erschrak, bäumte wild empor, schleuderte ihren Herrn von sich und galoppierte auf und davon. Sobald die Leidtragenden sich von ihrer ersten Bestürzung erholt hatten, jagten sie dem Ausreißer nach. Endlich tief unten in einer Bergmulde glaubten sie den Gesuchten zu erblicken. Es war ein Pferd mit einer Last auf dem Rücken. Aber als sie herankamen, fanden sie, daß es nicht das alte, sondern das junge Tier war mit dem Sarge des jüngsten Sohnes. Es ließ sich ruhig fortführen, und die Leiche, die es so lange getragen, konnte beerdigt werden. Die alte Stute aber wurde nie wiedergesehen, und die Leiche der Mutter blieb unbegraben.‹

»Die Kritik hat mir vorgeworfen, diese schreckliche Geschichte sei eine sensationelle Ausgeburt meiner Phantasie – aber es ist eine von mir einfach wiedererzählte Volkstradition. Ihr Zauber für mich lag in der Andeutung des Übernatürlichen. Sie war packend wie eine Spukgeschichte, ohne doch aus dem Rahmen der Realität herauszutreten. Tausend Fragen stiegen in meiner Seele auf über Charakter und Geschicke des älteren Sohnes. Was waren seine Gedanken? Was fühlte er? War er abergläubisch? Was wurde aus ihm nachher? Starb er im Wahnsinn oder war er ein Mann, der sich über alle Zweifel und Schrecken erhob? Jahrelang verfolgten mich diese Fragen, ehe ich sie als das centrale Ereignis einer Geschichte erkannte, als das Material zu einem Feuer, von dem alle andern Ereignisse ausstrahlen, und Gestalten der Einbildungskraft Leben empfangen könnten.

»Als ich in dieser praktischen Weise darüber nachzudenken begann, war ich sechsundzwanzig Jahre alt und wohnte mit Rossetti in einem einsamen Winkel des Thales von St. John. Er war schwerleidend, aber noch geistig ungebrochen. Am Tage malte er einige Stunden, abends bis in die tiefe Nacht las ich ihm aus unsern klassischen Romanen – Smollet, Fielding, Walter Scott – vor, da er vor den Morgenstunden nie Schlaf finden konnte. Die geistvollen Bemerkungen, die er hie und da einstreute, waren für mich fruchtbare Winke für die Kunst des Erzählens. Unwillkürlich fühlte ich mich durch die Lektüre dazu angeregt. Die nächste Umgebung unserer Einsiedelei rief mir die alte Legende von Cumberland in die Erinnerung. Ich erzählte sie Rossetti. Sie machte einen tiefen Eindruck auf ihn, aber er riet mir entschieden ab, sie dichterisch zu verwerten. Der Vorfall war ihm nicht seines geisterhaften Charakters wegen anstößig, aber er meinte, es gäbe keine Möglichkeit, den Stoff sympathisch zu gestalten. Sein Urteil entmutigte mich und ich verwies die Idee in die dunklen Kammern des Gedächtnisses. Aber dort lebte sie verborgen fort. Die cumbrische Legende hatte es mir einmal angethan, und ich frischte sogar meine Kenntnis des cumbrischen Dialekts, der mir in der Kindheit ganz geläufig gewesen, wieder auf und schob einen Manx-Roman, zu dem Rossetti riet, bis auf weiteres zurück.

»Zwei Jahre vergingen. Rossetti war gestorben. Ich saß am Meeresstrande von Wight und träumte – verschiedene Geschichten schwirrten durch meine Phantasie, meist biblische, aus denen sich meine späteren Romane herausgestalteten, u. a. die von Jakob und Esau, die sich in den ›Leibeigenen‹ ( the bondman) wandelte und auch die von Samuel und Eli, die sich später – wenn Sie wollen – in den ›Sündenbock‹ umbildete. Aber ich konnte nun einmal von der cumbrischen Legende nicht lassen, und glaubte einen Weg gefunden zu haben, der Rossettis Einwurf beseitigte. Die Sympathie sollte dem ältesten Sohne sich zuwenden. Er sollte glauben, daß Gottes Hand auf ihm lag; aber auf wem Gottes Hand liegt, der hat auch Gott zu seiner rechten Hand! So sollte der älteste Sohn ein Prachtkerl werden, tapfer, stark, geduldig, langmütig, ein Opfer unerwiderter Liebe, ein Mann, der fest steht, wenn auch der Sturm ihn umtobt. Man sagt, daß der junge Novellist gewöhnlich damit beginnt, seinen eignen Charakter zu verherrlichen – bei mir war das nicht der Fall. Jede Eigenschaft meines ersten Helden war ein Gegenstück und Vorwurf für die mir eignen Schwächen.

»Um diese Centralfigur und den legendenhaften Vorfall gruppierte ich eine Familie von Charakteren. Sie waren heldenmäßig und excentrisch, gut und schlecht, aber sie alle übten auf den Helden einen Einfluß. Und nun machte ich mich ans Schreiben. Sie werden kaum glauben, wie unsagbar schwer mir der Anfang wurde. Ich versuchte es auf verschiedene Weise: mit einem einleitenden Kapitel à la Walter Scott, mit einer Bierhausscene, die in medias res hineinführte – aber beides gefiel mir nicht und wanderte ins Feuer. Den ersten Halbband habe ich zum mindesten viermal geschrieben. Endlich sah ich meinen Weg klar und kam rascher vorwärts.

»Drei Monate hatte ich so gearbeitet, – zwei Bände lagen fertig vor mir. In bester Laune packte ich sie ein und ging nach London. Ein alter Freund, dem ich sie brachte und die Umrisse des Schlusses darlegte, sagte: ›Eins fehlt Ihnen darin, die peine forte et dure.‹ – ›Was ist das?‹ fragte ich. ›Eine alte Strafe unseres englischen Gesetzes – höchst interessant!‹ Und nun holte er einen alten Folioband und las mir die Strafe für das Stummbleiben gegenüber einer Anklage vor. Sie bestand darin, daß dem Inkulpaten so viel schwere Gewichte auf den Leib gelegt wurden, daß er daran starb.

»Das war's, was ich für meinen Helden brauchte, aber ich war doch in gelinder Verzweiflung. Um dies neue Motiv in meine Geschichte zu bringen, mußte ich die Hälfte meines Manuskripts vernichten. Aber was half's? Ich schnitt energisch in mein eignes Fleisch. Das merkwürdige Stück alter Jurisprudenz erhielt eine Hauptstelle in meinem neuen Plan, und zwei Monate später war ich bereits mitten im dritten Bande.

»Nun ging ich mit meiner Arbeit nach Liverpool und zeigte sie meinem Freunde John Lovell, einem sehr geschickten Journalisten und Redakteur, dem ich sie später auch dedizierte. Als er sie gelesen, sagte er: ›Nicht wahr, Sie wünschen meine ganz aufrichtige Meinung zu hören?‹ – ›Freilich – ja – ‹ antwortete ich gedehnt. – ›Es ist unausgereift und bedarf einer gründlichen Umarbeitung‹, lautete sein Urteil.

»Eine Umarbeitung! Ich nahm meine Arbeit nach London zurück, fing wieder bei der ersten Zeile an und schrieb Seite für Seite noch einmal. In vier Wochen war die Geschichte rekonstruiert, dazu um etwa fünfzig Seiten gekürzt. Es hatte mein Herzblut gekostet, so und so viele meiner Lieblingsstellen herauszustreichen, aber nun war's geschehen, und das Buch war besser geworden. Darauf führte ich's zu Ende und schloß mit einer Tragödie.

»An diesem Schluß nahm aber Lovell Anstoß. ›Die Geschichte ist jetzt prächtig,‹ sagte er, ›aber der Tod Ihres Helden muß fort. Wenn Sie den Ralph töten, so töten Sie Ihr Buch. Diesmal lassen Sie sich vom Publikum beherrschen, nach und nach beherrschen Sie das Publikum.‹ Ich folgte dem Rat des erfahreneren Freundes, so schwer es mir wurde. Nach einigen Fehlversuchen fand ich den rechten Verleger, der mir ein gutes Honorar bot. Er hat nicht darunter gelitten – das Buch, mein Erstlingswerk, hat bereits die zwölfte Auflage erlebt.« Die sofort nach Hall Caines Besuch von mir gemachten Notizen über unser Gespräch habe ich nach einem von ihm seitdem im » Idler« veröffentlichten Aufsatz: » My first book« (Mein erstes Buch) ergänzt und vervollständigt.

Ich hatte dem Erzähler gespannt zugehört. Es war mir gerade nichts Neues – aus meinen Redaktionserfahrungen hätte ich manches deutsche Seitenstück zu seinen Erlebnissen liefern können. Was mich überraschte, war, was er hinzufügte:

»Meine litterarische Lehrlingschaft ist aber keineswegs zu Ende. Jedes Buch, das ich seitdem geschrieben, hat mir die größten Schwierigkeiten gemacht. Oft bin ich dabei in Verzweiflung geraten, und habe gelobt, das Schreiben ganz aufzugeben – ich kann's aber nicht lassen. Doch bin ich unabhängiger vom Publikum und von der Kritik geworden, und eine derartige Konzession, wie in meinem Erstlingsbuch, habe ich dem Publikum nie wieder gemacht, und werde es nie wieder thun.«

Ein Jahr nach dem Erstlingswerke Hall Caines erschien der Roman » A son of Hagar«, der auch in Cumberland spielte. Er bezeichnte keinen Fortschritt, und der Dichter selbst sagte von ihm in einem Briefe an mich: »Er ist nicht mein Günstling, um den mildesten Ausdruck zu gebrauchen.«

Um so bedeutender war sein darauf folgender Roman: » The Deemster.« So wurden auf der Insel Man die Richter genannt, welche nach alten, jahrhunderte lang nur mündlich überlieferten Gesetzen: » breast-laws« (Brustgesetze) Recht sprachen. Damit betrat der Dichter den Boden seiner Heimat, wie ihm Rossetti geraten hatte. Der Erfolg bewährte die Weisheit des Rates. Es weht ein so echter Erdgeruch und Meeresduft durch das Buch, daß selbst die aller Poesie abgeneigten Landsleute des Dichters davon ergriffen wurden. Wohl mäkelten sie in ihrer nüchternen Weise an diesen und jenen Kleinigkeiten, aber an die Geschichte selbst glaubten sie, wie an das Evangelium. Ein guter Manxman schrieb an den Dichter, und fragte ihn, wie er dazu käme, seine Erzählung » a romance« zu nennen – es sei ja alles wahr! Ein anderer versicherte ihn, daß er in seiner Jugend den armen Dan Mylrea, den Helden des Buches, sehr gut gekannt habe – sie seien wie Brüder gewesen – er habe oft versucht, ihn von seinen üblen Wegen abzubringen! Nach dem Morde sei Dan zu ihm gekommen, und habe ihm das Messer gegeben, mit dem er seinen Freund und Vetter Ewan getötet. Er bewahre es noch! Freilich fehlte es auch nicht an solchen, denen die Worte Lügen und Dichten synonyme Begriffe waren. So fragte ein Verwandter des Hauses, ein methodistischer Prediger, einmal Hall Caines Vater: »Na, ist das wahr, daß dein Sohn sich jetzt durch Lügenschreiben sein Brot verdient?«

Der » Deemster« ist aber nicht nur eine geniale Kunstdichtung ersten Ranges voller Lebenswahrheit in Lokalkolorit und Charakterzeichnung – er ist auch ein gewaltiges Seelengemälde, das die Frage: »Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?« die der Verfasser seinem Werke als Motto voranstellt, in tief erschütternder Weise beleuchtet. Unter allen Bekenntnissen, die je niedergeschrieben wurden, gehören die von Dan Mylrea, die den Schlußteil des Buches bilden, zu den gewaltigsten, die ich kenne. Welchen Eindruck sie auf schuldige Gemüter gemacht, davon zeugt nachstehende Geschichte:

Ein in England als der »Woodstockmörder« bekannter junger Mann schrieb vier Tage vor seiner Hinrichtung an einen Freund und bat ihn um »ein Buch, in welchem ein armer Kerl, Namens Daniel Mylrea, seinen liebsten Kameraden getötet und dann diese Missethat durch eine lange Buße in der Einsamkeit gesühnt habe.« Er erhielt Hall Caines » Deemster« und benützte seine letzten Lebenstage, um ihn aufmerksam zu lesen. Am Morgen seiner Hinrichtung sandte er dem Freunde das Buch zurück und schrieb ihm dazu, daß er, durch das Beispiel Dans gestählt und gekräftigt, dem Tode fest entgegengehe.

»Eine großartige Wirkung müßte Ihr » Deemster« auf dem Theater haben,« bemerkte ich, als Hall Caine mir diese Geschichte erzählt hatte.

»Das habe ich auch gedacht,« erwiderte er, »und meinen Roman deshalb dramatisiert. Mein Freund Wilson Barret brachte 1888 mein Stück u. d. T. › Ben-My-Chree‹ (manxisch für ›mein Herzensmädchen‹) auf dem Prinzeß-Theater in London zur Aufführung. Der Erfolg war mäßig – auf den Provinzialtheatern und in Amerika hat das Stück aber sehr guten Erfolg gehabt.«

»Unerwartete Schwierigkeiten,« fuhr er fort, »hatte ich mit einem andern Drama. Henry Irving hatte mich angeregt, eine Episode aus dem Leben des Propheten Mahomet für das Theater zu bearbeiten. Ich that es. Das Stück wurde angenommen, angekündigt, aber die indischen Moslems erklärten es für eine Profanation, daß ihr Prophet auf die Bühne kommen sollte, protestierten bei der Regierung, und das Stück mußte zurückgezogen werden. Ich hoffe aber, daß der berühmte Schauspieler Willard in Amerika es zur Aufführung bringen wird.«

Der 1890 erschienene Roman » The bondman« (der Leibeigene) verdankt seine Entstehung einem längeren Aufenthalt des Dichters in Island. Um den Anfang unseres Jahrhunderts, als die weltferne Insel das letzte sichtbare Zeichen ihrer nationalen Unabhängigkeit verlor, spielt die Geschichte der beiden Halbbrüder, des roten Jason und Michael Sunlocks abwechselnd dort und auf der Insel Man. Hall Caine nennt seine Erzählung eine »neue Saga«. Man könnte sie aber geradezu ein Prosa-Epos nennen, das den biblischen Grundgedanken: »Die Rache ist mein – Ich will vergelten, spricht der Herr,« in ungesuchter Weise veranschaulicht. Es hat nämlich der ältere Bruder Jason seiner sterbenden Mutter gelobt, sie an ihrem treulosen Manne und an dessen, in zweiter Ehe in Man gebornem Sohne Michael zu rächen. Er wird aber von höherer Hand so geführt, daß er den Vater aus einem Schiffbruch rettet, dem Sterbenden, von dessen Reue erschüttert, vergibt und dem zum Tode verurteilten Bruder in liebender selbstloser Hingebung seine Liebe und sein Leben opfert.

Unser Gespräch berührte sehr eingehend diesen Roman. Ich sagte ihm, so schön und eigenartig das Buch sei, mir schiene eine gewisse Einheitlichkeit zu fehlen, da offenbar im ersten Teile Michael Sunlocks und im zweiten Jason als Held aufträte.

»Sie haben ganz recht,« fiel er lebhaft ein, »ich beabsichtigte zuerst Sunlocks zum Helden des Romans zu machen und bemühte mich lange, ihn als solchen aufrecht zu erhalten, aber es ging nicht – Jason kam immer mehr und mehr hervor, und ich mußte Sunlocks fallen lassen.«

Die Lebendigkeit, mit der er von den Kindern seiner Phantasie sprach, die für ihn wirklich zu leben schienen als Menschen, mit denen er täglichen intimen Umgang gepflegt, machte sich noch mehr geltend als wir auf sein – damals neuestes Werk – den » Scapegoat« (Sündenbock) zu sprechen kamen.

Hall Caines Gesicht strahlte, als ich meine unverhohlene Bewunderung zu erkennen gab und hinzufügte, wie ich mich auf die Übersetzung gerade dieses Buches freute. Er hat augenscheinlich einen vollen, selbstbewußten Glauben an sich und seine ihm innewohnende Kraft. Und doch ist er fast kindlich dankbar für jede kritische Bemerkung und geht bereitwillig auf alle Einwürfe ein. Ja, es machte ihm Freude, sie hervorzurufen. So unterbrach er die Unterhaltung über die einzelnen Charaktere einmal ganz plötzlich mit der eifrigen Frage: »Wen halten Sie für den Helden des Buches, den Mann oder das Mädchen?« Als ich entgegnete: »Den Mann, ohne Frage« – rief er förmlich triumphierend: »Nicht wahr? Es muß der Mann sein! Aber es haben manche das Mädchen dafür gehalten!«

Ich äußerte mein Erstaunen über seine scharfe Beobachtungsgabe und seine treue Charakter- und Sittenschilderung eines so ganz andersartigen Landes und Volkes. »Man hat den Eindruck« sagte ich, »daß Sie in Marokko ganz so zu Hause sind, wie in Cumberland und Man.«

»Es freut mich,« erwiderte er, »wenn Sie finden, daß ich mich in jenes so sonnige und doch so finstere Land hineingelebt und hineingedacht habe. Es hat mich auch manchen Schweißtropfen gekostet. In Tanger und Tetuan wie in Fes habe ich mit Hilfe eines dort langjährig eingebürgerten Freundes Land und Leute monatelang studiert. Für meinen besonderen Zweck habe ich längere Zeit zwei taubstumme Maurenknaben unterrichtet und sie soweit gebracht, daß sie die Vokale aussprechen konnten. Daneben habe ich die Geschichte solcher unglücklichen Kinder, wie des taub und blind geborenen James Mitchell und der nur auf den Tastsinn beschränkten Laura Bridgeman studiert, um das Seelenleben meiner Naomi richtig darlegen zu können.«

»Ist es nicht aber doch etwas übertrieben und unwahrscheinlich, daß Israel seiner taubstummen und blinden Tochter täglich aus der Bibel vorliest und sich eine Wirkung davon verspricht?« fragte ich.

»Eine edle Dame in London,« erwiderte er, »hat davon einen ganz andern Eindruck gehabt. Sie arbeitete unter den gefallenen Mädchen des Ostens unserer Riesenstadt und war oft ganz todesmatt von ihren vergeblichen Bemühungen um die geistig blinden, tauben und stummen unglücklichen Geschöpfe. Da las sie in dem Journal, das meine Erzählung zuerst zum Abdrucke brachte, die von Ihnen beanstandete Stelle. ›Mir war zu Mut,‹ schrieb sie mir, ›wie jenem Vater, so schwer war es, irgend eine Frucht meiner Arbeit zu sehen. Aber nun erstarkte mein Glaube, daß Gott mein Werk unsichtbar vollbringe!‹«

»Das ist überzeugend,« mußte ich gestehen, »und bestätigt, was unser deutscher Naturforscher und Psychologe Schubert in seiner ›Geschichte der Seele‹ von dem selbständigen Sein und Leben derselben erzählt. – Nun aber sagen Sie mir etwas von dem geheimnisvollen Mahdi, Mohammed von Mekines. Liegt ihm irgend etwas Historisches zu Grunde?«

»Ja und nein!« erwiderte er. »Es gibt mindestens ein Dutzend Mahdis in Nordafrika – Männer von großer Selbstverleugnung und sittenreinem Leben, die nur eine abgeklärte Quintessenz der Lehre ihres Propheten bekennen und selbst als Propheten gelten; Männer, die, ähnlich wie einst Johannis der Täufer, in die Wüste gehen, begleitet von den Elendesten und Ärmsten, die ihr asketisches Leben teilen. Aus ihren respektiven Charakterzügen habe ich den meinigen zusammengesetzt. Erst unlängst ist ein solcher, der noch jugendliche Hamam, der manches mit meinem Mahdi gemein hat, in Marokko-Stadt eingekerkert worden. Vor zehn Jahren lebte ein anderer, der mehr ausgesprochen ein religiöser Führer und zum Teil ein Nachfolger Jesu genannt werden konnte. So ist denn Mohammed von Mekines eher eine typische, als eine historische Person.«

Ich fragte meinen Gast schließlich noch über das Verhältnis zweier wesentlich verschiedener Versionen des »Sündenbock«. Die in Leipzig (in der » English library«) erschienene Ausgabe, die ich erst zu Gesichte bekam, als ich den Roman in der Londoner gelesen hatte, weicht nämlich in der ganzen Einkleidung und Umrahmung auffallend davon ab. In der Leipziger war die Erzählung, welche jetzt meinen Lesern in deutschem Gewande vorliegt, von einem Ich-Roman gleichsam eingefaßt. Der Erzähler kommt nach Tetuan an dem Tage, als Sultan Abderrhaman seinen Einzug hält, erblickt unter den ihm folgenden Frauen durch einen unbedeutenden Zwischenfall ganz flüchtig die schöne Naomi, verliebt sich in sie, forscht nach ihrer Geschichte, hört alles bis zur Rückkehr Israels aus dem Gefängnis (S. 357 ff.) und beschließt, sie zu befreien. Es gelingt ihm, sie erwidert seine Liebe, Israel gibt seine Einwilligung, stirbt, und Naomi folgt dem kühnen Engländer in seine Heimat.

Ich sprach es ganz offen aus, daß diese Ich-Version mir sehr mißfalle und fragte ihn, welche er denn als die dauernd giltige bezeichne.

»Ich freue mich,« erwiderte er, »daß Sie die neue Version lieber mögen. Ich will Ihnen erzählen, wie diese Doppelgestalt entstanden ist. Ich schrieb die Geschichte in einer Zeit außerordentlicher Nervenabspannung, während die » Illustrated London News« Woche für Woche auf Manuskript wartete. In der Separatausgabe hoffte ich eine Umgestaltung vornehmen zu können, aber mein Verleger bestand darauf, sie unverändert als Buch erscheinen zu lassen, um die günstige Verlagszeit zum Beginn der Saison nicht zu versäumen. Das Buch schlug ein und erlebte in vier Monaten vier Auflagen außer dem in Leipzig erschienenen Abdruck. Aber ich selbst war nicht zufrieden. Im Frühjahr 1892 schrieb ich die ganze Geschichte so um, wie Sie sie zuerst kennen gelernt haben, und wie Sie sie so gern mögen.«

»Nun, und was sagte Ihr englisches Publikum dazu?«

»Die Wirkung war höchst seltsam. Einige Kritiker schrieben, als ob sie durch diese Art der Revision angeführt worden wären: Schreckliche Katastrophe! Das Publikum mußte das Buch noch einmal lesen! – Aber dem Publikum schien das nicht unangenehm zu sein. Das Buch hat in der neuen Form bereits die siebzehnte Auflage erlebt. Gegenwärtig ist es die zwanzigste Auflage (20 000) außer der Leipziger und einer amerikanischen Ausgabe. Von Übersetzungen liegen eine dänische und eine russische vor. Der gute Geschmack hat diesmal gesiegt.«

»Und Ihres Freundes Lovell Voraussetzung sich bewahrheitet,« fügte ich hinzu, »jetzt beherrschen Sie das Publikum.«

*

Fast zwei Jahre sind seit meiner persönlichen Begegnung mit Hall Caine vergangen. Auf den mündlichen Verkehr ist ein schriftlicher gefolgt. Die ersten Briefe kamen aus » the Hawthorns«, einem kleinen Landsitz nahe bei dem anmutigen Städtchen Keswick in Cumberland, das er seit 1889 mit Frau und Kindern bewohnte. Es ist dieselbe Gegend von Keswick und Penrith, die er in seinen cumberländischen Romanen so lebendig schildert, daß jenes von engen Thälern durchfurchte, von reißenden Bächen durchströmte Bergland mit seinen malerischen Hügeln und schroffen Felsen, von rotschimmernder Heide überblüht, vor unserm geistigen Auge lebendig dasteht. Überhaupt ist Hall Caine in der Schönheit seiner Naturschilderungen ein würdiger Nachfolger von Walter Scott und Wordsworth; er hat aber noch einen größeren Reichtum an Worten und Klängen, die seitdem in der Sprache neu geschaffen oder ausgegraben sind, vor ihnen voraus, und weiß sie meisterhaft seiner Erzählung dienstbar zu machen.

Sein Herz aber zog ihn fortwährend nach der geliebten Heimatinsel. Niemals verlor er die Fühlung mit ihr. Zweimal mindestens im Jahr besuchte er sie für längere Zeit. Jedesmal wurde ihm das Scheiden schwer. Seit vorigem Jahr ist er denn auch ganz dorthin übergesiedelt. Im Mai v. J. erhielt ich einen Brief, datiert Greeba Castles, Isle of Man. Er schrieb: »Erschrecken Sie nicht über den stolzen Namen. Das Haus ist zinnengekrönt und wird daher Schloß genannt, übrigens ein reizend altertümlicher Bau. Ich bin fast ängstlich und fühle mich beschämt, hier zu wohnen – freilich wohl auch ein wenig stolz, aber die Scham ist größer als der Stolz. Mein Vater wurde in einer kleinen Fischerhütte unten am Strande geboren! Die Bewohner von Man haben uns mit herzlicher Wärme empfangen. Ich habe Cumberland mit gemischten Gefühlen verlassen, Bedauern um das, was hinter mir liegt, und Hoffnung auf das, was vor mir liegt. Aber ich bin ein Kelte, und Kelten und Man ist das rechte Heim für mich.«

Auf Greeba Castle hat Hall Caine seitdem inmitten seiner Landsleute und Nachbarn gelebt. Besonders scheinen die Fischer des nahen Hafenortes Peel von ihm bevorzugt zu werden. Im August v. J. hatte er die Heringsfischer zu einem kleinen Fest eingeladen. Der Hering spielt eine besonders große Rolle in der Geschichte der Insel, er ist sogar gleichnisweise in die wichtigsten Akte des Volkslebens übergegangen. So leistete und leistet noch heute der Deemster den Amtseid mit den Worten: er wolle die Gesetze der Insel handhaben so gerecht und gleichmäßig nach beiden Seiten, »wie des Herings Rückgrat in der Mitte des Fisches liegt«.

Unter dem Verkehr mit allerlei Volk seiner Heimat ist ein neuer Roman Hall Caines herangereift: » The Manxman«, der im Erscheinen begriffen ist. »Er ist meine ganze Liebe,« schreibt er mir darüber. »Niemals zuvor habe ich das Schreiben eines Buches genossen. Bei diesem Buche sitze ich mit Eifer und Lust, und nicht wie sonst, mit scheuem Bangen.«

Die ersten Aushängebogen, die ich bisher davon erhalten, versprechen ein sehr bedeutendes und ganz originelles Werk. Aber bereits schweifen des Dichters Gedanken weit darüber hinaus. Sein großes Ziel ist ein Leben Jesu. Er will darin, wenn ich ihn richtig verstanden habe, dasselbe vom christusfreundlichen Standpunkte leisten, was Renan vom feindlichen geleistet hat. Er ist sich der großen Schwierigkeiten einer solchen Aufgabe wohl bewußt. »Sie ist mit Gefahren verbunden,« äußerte er sich einmal, »der Gefahr vornehmlich, von den Linien der klaren Urkunden abzuweichen, – und aus dem Grunde will ich mich nicht übereilen, das Buch, dessen Anfänge bereits in meinem Pulte liegen, zu vollenden.« Neuerdings hat er von verschiedenen Verlegern bestimmte Aufträge in dieser Richtung erhalten. Er will aber vorher das Heilige Land kennen lernen und plant deshalb eine Reise nach Palästina.


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