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Fünfundvierzigstes Kapitel.
»Vater unser, der Du bist im Himmel.«

Wenige Tage nach den im vorhergehenden Kapitel berichteten Ereignissen erwachten die Leute der Insel Man zu der freudigen Gewißheit, daß das Schweißfieber von ihnen gewichen sei. Die äußerste Hitze hatte nachgelassen; der Boden unter den Füßen war trocken und die ihn deckende Erde wieder leicht geworden, und von den Curraghs stiegen um die Mittagszeit keine übelriechenden Dünste mehr auf. Auch wehte eine frischere Luft, und die Nächte waren so kalt, daß am Morgen die spitzen Reifnadeln von den vertrockneten Zweigen des Holunders herabhingen.

Mit der Zeit fingen die armen Leute an, den geschehenen wunderbaren Ereignissen einiges Nachdenken zu schenken; ihre Verluste durch den Tod aufzuzählen; von den vaterlos gewordenen Kindern und den vereinsamten alten Männern zu sprechen, die, gleich vom gestrigen Sturm gefällten Bäumen, als ast- und zweiglose, kahle Stämme zurückgeblieben waren.

Und während dieser ersten Musterung nach der Schlacht zwischen Leben und Tod wurden die Leute sich plötzlich bewußt, daß zugleich mit dem Schweißfieber der Mann, der das Heilmittel für dasselbe brachte, verschwunden sei. Er war nicht auf den Curraghs, er war nicht in Michael, auch östlich hatte er seine Schritte nicht gelenkt. Niemand wußte, was aus ihm geworden war. Das letzte, was man von ihm gesehen hatte, war, daß er German durchschritten und sich südlich, der Richtung von Patrick zugewendet hatte. Außer dem ihm wie ein Hund folgenden, halb stumpfsinnigen Burschen Davy Fähl war er allein gewesen. Als er jedoch den Creg Willeys erstiegen hatte, waren ihm die Leute von St. John, um ihm ihren Dank auszusprechen, einzeln oder zu zweien und dreien gefolgt. Er aber war wie taub und blind eiligst vorwärts geschritten. Am Tynwald angelangt, hatte er Halt gemacht und sich, wie in der Absicht, seine Richtung zu ändern, halb und halb Greeba zugekehrt, gleich darauf jedoch den nach dem Dorfe unterhalb Slieu Whallin führenden Weg weiter verfolgt. Als er die weite Grasfläche überschritten hatte, war die ihm von St. Johns und vom Tynwald den Berg hinauf folgende Menge zu einer großen Anzahl angewachsen, und während er mit langen, schnellen Schritten, gesenktem Haupte und fest auf den Boden gerichteten Blicken am alten Hügel vorübergeeilt war, hatten die grauköpfigen Männer ihr Haupt entblößt und die jungen Frauen ihre Kinder ihm zugeschoben, auf daß er die Hand ihnen aufs Haupt legen und sie segnen möge, und alle vereint hatten, wie einer Eingebung folgend und wie aus einem Munde ihre Stimme zu dem Ruf: »Gott segne den Priester! Der Himmel behüte den Priester,« erhoben.

Es gab Zuschauer jener Szene, die, nachdem das Nachspiel ihre Erinnerung aufgefrischt hatte, behaupten wollten, daß inmitten dieser wilden Dankbarkeitsäußerungen der Armen der, dem sie gegolten, mit einem schnellen, schmerzerfüllten Blick auf den nun kahl über der grünen Grasfläche sich erhebenden Berg die ihn umgebende Menge geteilt und ohne ein Wort, einen Blick oder ein Zeichen sie durchschritten habe. Nachdem es den Leuten endlich klar geworden, daß er keinen Dank wollte, hatten sie ihn nicht weiter begleitet, waren aber auf dem Grasplatz stehen geblieben, um seinen Weg, Slieu Whallin und höher den Gebirgspfad hinauf, zu verfolgen. Auf der Höhe des Pfades, wo der Abstieg in das jenseits gelegene Tal beginnt, hatte er noch einmal gezögert und sich zurückblickend umgewandt. Die unten verweilenden Leute hatten seine Gestalt sich klar gegen den Himmel abheben sehen und noch einmal, wie von einer plötzlichen Eingebung getrieben, ihre Stimmen in dem lauten, das entfernte Brausen der See übertönenden Ruf: »Gott segne den Priester! Der Himmel behüte den Priester!« vereinigt. Und der Ruf war zu ihm gedrungen, denn augenblicklich hatte er sich umgewendet und ihren Blicken sich entzogen.

Nachdem er verschwunden war, schien ein Zauber gebrochen. Die Leute blickten verstört einander ins Angesicht, als ob das Bewußtsein in ihnen erwache, daß irgendwo und zu irgend einer Zeit, jedoch unter ganz anderen Verhältnissen ihre Augen das, was sie eben geschaut, schon einmal gesehen hätten. Und allmählich kam ihnen die mit einem Namen, den sie nicht auszusprechen wagten, verknüpfte Erinnerung zurück. Und darauf wurde ihnen manches klar, was ihnen wunderbar erschienen war.

Innerhalb weniger Tage ging ein Flüstern von Nord nach Süd, von Ost nach West, von den Lehmhütten auf den Curraghs bis zum Schloß nach Castletown über die Insel Man, daß der, der die Leute von ihrer Krankheit geheilt, der für den irischen Priester angesehen worden wäre, kein anderer, als der verfluchte, lange tot geglaubte Mann sei, der, um sein Volk zu erretten, am Leben erhalten war.

Die große Neuigkeit wurde nach Bischofs-Hof getragen; es stellte sich jedoch heraus, daß sie dort schon bekannt war. Das Gerücht wollte wissen, daß eine Nachfrage aus Castletown gekommen sei, ob die Nachricht auf Wahrheit beruhe, niemand jedoch konnte erfahren, wie die aus Bischofs-Hof zurückgesandte Antwort gelautet habe. Der Bischof hatte alle Besuche abgewiesen, selbst die seiner Geistlichen. Allein mit Mona und dem Kinde, Ewans kleiner Tochter, hatte er die Tage seit Thorkells Tode verbracht, und seine Einsamkeit vor seines Bruders Begräbnis nicht stören lassen. Zu demselben jedoch ging er nach dem kleinen, auf die See hinausblickenden Kirchhof hinab.

Sie begruben den Ex-Deemster zur Seite seines Sohnes Ewan, kaum einen Fuß von demselben entfernt. Außer Jarvis Kerrisch war der Bischof Thorkells einziger Leidtragender, und kaum war der Trauergottesdienst beendet und die zweite Schaufel Erde vom alten Willy-Thorns Spaten auf den Sarg gefallen, als Jarvis sich eiligst umwandte und davonging. Der Bischof allein blieb an der jeder Ehrenbezeugung baren Grabseite seines Bruders zurück und bemühte sich, dessen Bosheit und Herzenshärte und seinen sinnlosen Aberglauben, der so viel Unglück bewirkt hatte, zu vergessen und nur mit an Liebe grenzendem Mitleid des großen Zusammenbruches seines armseligen Glaubens zu gedenken. Und als der Bischof nach Hause zurückgekehrt war, zeigte die Liste der seinem Leben am nächsten Stehenden viele traurige Lücken. »Es beginnt einsam auf der Insel zu werden, Mona,« sagte er.

Denselben Abend erschien Davy Fähl mit einem Buch in der Hand auf Bischofs-Hof. Er erzählte Mona, daß er die Ben-my-Chree als ein vollständiges Wrack auf dem Kiesufer der Dhoobucht im Kalbsund und dieses Buch in einer ihrer Laden gefunden habe. Davy selbst konnte keine Silbe lesen, er wußte jedoch, daß es das Logbuch des Bootes, und seit er es zuletzt gesehen, mit vielen Eintragungen versehen sei.

Mona nahm das Buch mit sich in die Bibliothek und las es mit dem Bischof vereint. Es war ein kleiner, in Schafsleder gebundener Quartband, mit Ecken und Rücken von ungegerbtem Leder. Über die Rückseite waren der Länge nach die Worte: »Ben-my-Chree-Logbuch« mit einer weichen, aber von kraftvoller Hand geführten Posenfeder geschrieben. Auf der Vorderseite befand sich folgende Inschrift:

 

Ben-my-Chree.
Besitzer, Daniel Mylrea, Bischofs-Hof,
Insel Man.
Kapitän, William Quillasch.

 

Die ersten Seiten trugen die Überschrift »Berechnung«, und darunter folgten die verschiedenen Einnahmen und Ausgaben des Bootes. Die Handschrift war kühn und frei, die Berechnung jedoch nicht sehr klar.

Acht Seiten schwach vergilbten, stark abgenutzten, aus freier Hand liniierten Papieres waren mit der Berechnung des Heringsfanges von – ausgefüllt. Unten auf jeder Seite war ein schwacher Versuch gemacht, den Gewinn und Verlust und den dem Besitzer, dem Kapitän und den Männern zugekommenen Anteil einzeln zu verrechnen. Die Bilanz stand nur zu augenscheinlich auf der verkehrten Seite. Es war ein Verlust von vierzig Pfund, vier Schilling und sechs Pence.

Der Bischof warf einen Blick auf die Eintragungen und überschlug sie dann mit einem tiefen Seufzer. Beim Umwenden der Blätter jedoch kam er auf Dinge, die für ihn von traurigem Interesse waren. Es war ein langer, persönlicher, einige zweihundert Seiten füllender Bericht des Schiffseigentümers. Der Bischof durchflog ihn hastig, ängstlich und mit gespannten Blicken. Dann reichte er Mona das Buch.

»Lies es mir vor, Kind,« sagte er in einer gänzlich veränderten Stimme und setzte sich, eine gefaßte Miene heuchelnd, in seinem Stuhl zurecht.

Zwei ganze Stunden las Mona aus dem in dem Buche verzeichneten Bericht ihm vor. Was derselbe enthüllte, brauchen wir nicht zu wiederholen.

Oft wollte der Vorleserin die Stimme versagen, manchmal konnte sie derselben nicht Herr bleiben, und in den Zwischenpausen unterbrach ihr leises Schluchzen die Stille.

Der Bischof lauschte, während die Vaterliebe mit dem Pflichtgefühl des Gottesdieners kämpfte, in angenommener Ruhe. Bei manchen Stellen des Berichtes schienen beide Empfindungen in so argem Widerstreit miteinander, daß es sein altes Herz fast zerriß. Er bezeigte aber große Tapferkeit und versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß das, was er vor sieben Jahren getan habe, das einzig Richtige gewesen sei. Bald nachdem Mona zu lesen begann, unterbrach er sie mit den Worten:

»Es ist schon früher vorgekommen, daß Leute auf eine einsame Insel verbannt worden sind, und nur zu oft haben sie auf unbekannter See den Wellen als Spielball gedient.«

Und weiter unterbrach er sie, um mit langsamem Kopfschütteln zu sagen:

»Es ist schon früher vorgekommen, daß Leute in die Acht getan und lange, schwere Jahre im Exil gelebt haben; ja, es haben öfter schon Männer unter dem Bann und den Fesseln des Gesetzes gestanden.«

Und noch einmal unterbrach er sie, um in zitterndem Flüsterton zu sagen: »Es hat sich erfüllt – es ist alles gekommen, wie ich es erwartet habe – es ist ein lebender Tod gewesen.«

Als Mona jedoch zu der Stelle kam, wie der Verstoßene, allen mündlichen Verkehres bar, versucht hatte, den seelischen Teil eines Menschen sich zu erhalten, unterbrach der Bischof sie noch einmal und sagte mit versagender Stimme:

»Dieses Leben ist in seiner Trostlosigkeit ein einzig Dastehendes.«

Und als Mona weiterlas, wie der verfluchte Mann in seiner Einsamkeit ohne Hoffnung auf Erhörung und sich noch immer, trotzdem Gottes Hand schon über ihn sich ausstreckte und der Segen des Himmels wie Morgentau auf ihn herabträufelte, für einen von Gottes Gnade Ausgestoßenen und zu ewiger Verdammnis verurteilten Menschen haltend, täglich seine Gebete gesprochen hatte, da gewann die väterliche Liebe den Sieg über den letzten Rest des geistlichen Stolzes, der noch im Herzen des Bischofs zurückgeblieben war, und sein altes Haupt sank auf seine Brust herab, und heiße Tränen netzten seine gefurchten Wangen.

Später am selben Abend ließ Mona Davy suchen. Der Bursche war leicht gefunden, er hatte in der Dunkelheit außerhalb des Hauses gewartet und hart mit dem Wunsche gekämpft, hineinzugehen und Fräulein Mona zu verraten, wo Daniel Mylrea zu finden sei.

»Davy,« sagte sie, »wißt Ihr, wo er ist?«

»Gewiß,« sagte Davy.

»Und könntet Ihr mich zu ihm führen?«

»Das könnte ich.«

»Dann kommt morgen früh ganz zeitig, und wir wollen zusammen zu ihm gehen.«

Am nächsten Morgen, als Mona zur Reise gerüstet zu einem eiligen Frühstück herabkam, fand sie den Bischof einen Brief in seinen zitternden Fingern um und um kehren.

»Lies dies, Kind,« sagte er mit erstickter Stimme und reichte ihr den Brief.

Sie wendete das Schriftstück ängstlich um, und die Aufschrift lautete: »Dieses ist an den Lord-Bischof von Man, in seinem Palast auf Bischofs-Hof«, und das Siegel auf der andern Seite war das Regierungssiegel.

Während der Bischof anscheinend seine ihm auf der Nase sitzende Hornbrille mit seinem Taschentuch putzte, öffnete und las Mona den Brief.

Er war von dem Gouverneur von Castletown und sagte, daß der Lord von Man und der zugehörigen Inseln, in Anerkennung der dem Volke während seiner kürzlichen Heimsuchung von Daniel Mylrea geleisteten Dienste dringend wünsche, denselben als Nachfolger seines verstorbenen Onkels, Thorkell Mylrea, zum Deemster zu ernennen, für welche Stellung er ihn, falls der Primas des geistlichen Gerichtshofes gewillt sei, den auf ihm ruhenden Kirchenbann aufzuheben, für vollständig geeignet halte.

Nachdem sie geendet hatte, sah Mona mit einem ängstlich bittenden Blick zu dem Gesicht des Bischofs auf, und dann schlang sie mit einem mit Schmerz vermischten Freudenschrei ihre Arme um seinen Hals.

Der alte Bischof brach vollständig zusammen.

»Der Menschen Urteil,« sagte er, »ist wie der Zorn kleiner Kinder – heute erweckt, morgen verraucht, und des Vaters Angesicht scheint über uns alle.«


Wir haben nicht nötig, von Monas Reiseerlebnissen, noch von den großen Hoffnungen, die sie die schweren Anstrengungen ihres langen Weges überstehen ließen, zu berichten. Gar manches Mal während dieser sieben vergangenen Jahre hatte sie sich erinnert, daß sie es war, die Dan dazu überredet, sein Leben als Sühnopfer für sein Verbrechen darzubieten. Und oft hatte der Gedanke, daß sie in ihrer Blindheit ein Verhängnis, schlimmer als der Tod, über ihn heraufbeschworen, mit der Schnelle der Reue sich ihrer bemächtigt. Die Wege des Herrn jedoch waren nicht ihre Wege gewesen, und Er hatte alles wohlgemacht. Das Sühnopfer war gebracht, und die Sünde aus dem Buche des Lebens verlöscht worden. Dan, ihre Liebe, ihr Geliebter, hatte seine Erlösung erwirkt. Er hatte sich als der große Mann bewiesen, für den sie ihn stets gehalten hatte. Er würde mit Ehre beladen und mit Dankbarkeit überhäuft und von zahllosen Freunden umgeben zurückkehren.

Mehr als einmal, wenn die Reiseanstrengungen am schwersten auf ihr lasteten, preßte sie die Hand gegen die Brust und berührte das Dokument, das dort so warm ruhte. Und dann sah sie im Geist Dan auf dem Stuhle des Deemsters als gerechten Richter seines eigenen Volkes. O, ja, er würde Deemster werden, aber er würde doch immer noch Dan, ihr Dan, der muntere, frohe, heitere, vielleicht sogar der mutwillige Dan wieder sein. Er würde mit ihrer kleinen Ally herumtollen und ebenso mit ihr spielen, wie er vor langen Jahren mit einem andern kleinen Mädchen, dessen sie selbst sich erinnern konnte, herumgetollt hatte, das er, während es ein quieksendes Gelächter erschallen ließ, unter Armen und Kinn zu kitzeln pflegte.

Die schwere Sorgenlast langer Jahre war so plötzlich von Mona genommen, daß sie ihre Gedanken nicht von kindischem Mutwillen zurückhalten konnte. Manchmal jedoch erinnerte sie sich Ewans, und dann trübte sich ihr Gemüt, und manchmal beschäftigten sich ihre Gedanken mit ihrem eigenen Selbst, und dann strömte ihr das Blut voll und heiß zu Herzen. Und o! wie köstlich war das Geheimnis, das sich manchmal zwischen ihre Vision von Dan und der seiner harrenden hohen Bestimmung stahl. Es war eine Vision ihrer selbst, verklärt im Lichte seiner edlen Liebe, wie sie auf ihn sich stützend zu ihm aufblickte immerdar, fort und fort bis ans Ende.

Einmal erinnerte sie sich zusammenschauernd, daß Dan in den von ihr gelesenen Aufzeichnungen von seiner Krankheit gesprochen hatte. Was aber schadete das? War sie doch auf dem Wege zu ihm und würde sie ihn doch bald wieder gesund pflegen.

Und der ihr zur Seite schreitende Davy Fähl war ebenfalls voll von seinen eigenen großen Plänen. Herr Dan würde Deemster werden, ja gewiß; aber er würde sich ein Boot zu seinem Vergnügen halten, ganz gewiß. Und Davy Fähl würde als Matrose es befahren, vielleicht als Steuermann – und wer könnte es wissen? – eines Tages vielleicht als Kapitän. Und dann, o, wie herrlich, während des Heringsfanges rauchend hinten im treibenden Boot zu liegen und die Sterne und den Mond herniederschauen zu sehen – ja, ja, ja – ja!«

Endlich erreichten sie das Ziel ihrer Reise. Es war ein kleines, mit Ginster bedecktes Häuschen, weit draußen auf dem wilden Moor, zur Seite der Fälle und geradeswegs auf die hungrige See hinausblickend. Sein einziger leerer Raum (den weder ein Feuer noch Sonnenschein erhellte), enthielt einen Tisch, eine Bank, einen Stuhl und eine Art von Rollbett. Dan selbst war ebenfalls darin, der alte Dan, und doch, o! wie verändert! Er lag bewußtlos, dem Tode nahe, von der Krankheit befallen auf seinem Bett – das letzte Opfer, das die Seuche dahinraffte.


Was bleibt von dieser Geschichte großer Liebe und großen Leidens noch zu erzählen übrig?

Es gibt Augenblicke, in denen das Leben dem blinden Geschwirre einer im Dämmerlicht kreisenden Fledermaus gleicht – ungeschickt, unzurechnungsfähig, unberechenbar, wie das eilige, Unglück weissagende Geschöpf selbst! Wir sehen das bleiche Angesicht eines kleinen Kindes aus dem Fenster eines Krankenhauses auf uns herabschauen; wir sehen einen starken Mann erfolglos gegen das Unrecht ankämpfen; wir sehen die Unschuldigen für die Schuldigen leiden, gute Triebe vereitelt und niedrige Zwecke gefördert, und wir fragen uns mit einem Stich durchs Herz: »Was tut Gott schließlich für diese, seine Welt?« Und von einem derartigen blinden Zufallsspiel scheinen die ermüdeten und zerschlagenen Menschengenerationen sich genügend belohnt zu finden, wenn eine nach der anderen in das stille Reich des Schweigens versinkt.

Ist es zu verwundern, daß solch ein Augenblick für diese reine, edle Frauenseele kam, als sie nach langen Jahren des Sehnens ihrem Geliebten in seinem Sterbezimmer von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand?

Es gibt jedoch auch andere, höhere und bessere Augenblicke, wo in dieser verwirrenden Welt der Besiegte doch der Sieger bleibt, wo der wahre, durch unglücklichen Zufall zugrunde gerichtete Mensch doch immer noch der unüberwindliche, alle unglücklichen Zufälligkeiten überwindende Mensch bleibt, wo Hiob auf seinem Misthaufen beneidenswerter als Pharao auf seinem Thron, wo der Tod ebensogut wie das Leben ist.

Und einen derartigen hohen Moment durchlebte Mona in Dans Sterbezimmer. Viele Stunden saß sie, auf sein Erwachen aus dem Delirium und auf die kurzen Minuten der wiederkehrenden Besinnung und des Friedens wartend, die der Anfang vom Ende sein würden, an seiner Seite. Sie kamen nach langem, langem Harren, und, ach! wie bald sie kamen!

Die Nacht war angebrochen und wieder vergangen, während sie wachend an seinem Bette saß. Als die aufgehende, rot durch das mit Haut bedeckte Fenster scheinende Sonne Dans Gesicht streifte, erweckte sie ihn. Seine Augen fielen auf Mona, und ein ihm aus der Seele kommendes Lächeln überflog sein abgezehrtes Antlitz. Sprechen konnte er nicht mehr, auch nicht seine hageren Hände ausstrecken. Sie wußte, daß seine Zeit nahe sei, und ihren Schmerz, wie ein an der Leine gehaltenes wildes Tier, zurückhaltend, sank sie auf ihre Knie und faltete die Hände zum Gebet. Und während sie betete, wiederholte der Sterbende einzelne ihrer gesprochenen Worte.

»Vater unser,« –

»Vater – unser,« –

»Der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name,« –

»Geheiligt – werde – Dein – Name,« –

»Dein Reich komme, Dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden; unser täglich Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel,« –

»Sondern – erlöse – uns – von – dem – Übel,« –

»Amen,« –

»Amen.«

 

Ende.

 


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