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Zweiundvierzigstes Kapitel.
Von der Aufhebung des Fluches

So weit bin ich die letzten vier Tage unter großen Schmerzen und bedeutender Kräfteabnahme gekommen. Während schlafloser Nachtstunden, oft bis der Tag blau über der See lag, habe ich beim Schein meiner schwachen Kerze diese Zeilen niedergeschrieben. Und nun, da ich zurückblicke und mein eigenes Herz im Lichte der Erkenntnis sehe, komme ich mir wie ein von einer furchtbaren Seuche genesener Mensch vor, der sein durch die Spuren der Krankheit verändertes Gesicht zum ersten Male im Spiegel sieht; und ich frage mich, ist es möglich, daß ich, der Schreiber dieser Zeilen, derselbe Mann bin, der ich vor sieben Jahren war? O, nun erst sehe ich, welch eine große Veränderung meine schwere Strafe in mir bewirkt hat und erkenne die Absicht Gottes, in der er das Sühnopfer meines armen Lebens für das genommene verweigert und mich von den Menschen abgeschnitten hat.

Ich will nicht sagen, daß das, was ich schon geschrieben habe, mich kein Herzweh und keine Tränen gekostet hat. Nun aber bin ich bei dem großen Wendepunkt meines traurigen Lebens angelangt, und obgleich es mir fast an Kraft gebricht, die Feder zu halten, schwingt sich mein Geist im Hinblick darauf wie eine durch den Sonnenaufgang erweckte Lerche empor.

Dieses Jahr – sicherlich das trübste, dessen unsere armen Manxleute sich erinnern – begann seinen übermäßig ausgedehnten Winter mit unausgesetztem schweren Regen. Der ihm folgende Frühling brachte ebenfalls nichts als Nässe, und als ich nach dem Beginn des Sommers ausschaute, regnete es noch immer fort. Sogar der Moorboden, auf dem ich lebte, war durchweicht und schwer, so daß meine Füße wie in einen Morast einsanken, und viele der von mir gesäten Saaten fortgewaschen wurden. Nachdem endlich der lange Regen aufhörte, waren wir schon weit in den Juni hinein, und die Sonne brannte glühend und heiß. Mein Haus stand auf einer nach den Klippen zu abfallenden Erhöhung, und der mir als Untergrund auf meinem Felsen dienende Boden war kaum zwei Fuß tief, als aber die große Hitze den anhaltenden Regen ablöste, entströmte ein übelriechender, die Luft verpestender und das Licht verdunkelnder dicker Dunst demselben und legte sich mir in schweren Schweißtropfen auf Haar und Körper und durchzog und durchsickerte die Wände, den Fußboden, das Bett und alle sonstigen Möbel meines Hauses.

Schnell machte ich mich daran, tiefe, senkrecht nach den Klippen hinabführende Abzugsgräben zu graben, und bald war, viele Äcker um mich herum, der Boden trocken. Obgleich ich nun eine reinere Luft atmete und die Sonne ebensowohl sehen wie fühlen konnte, fiel es mir doch auf, daß in einem weiten Halbkreis um mich herum der Nebel, wie aus der Entfernung und aus klarer, sonniger Luft heraus gesehene Regenwände, hängen blieb. Auf meinen täglichen Wanderungen nach der Höhe des Moores konnte ich vor der sie einhüllenden Dunstwolke die Häuser von Cregneesch nicht erkennen, und als ich seit dem Verlust meines Hundes zum ersten Male wieder nach der Kallow-Spitze ging, erschien mir das Becken drunten, in dem Port-le-Mary liegen mußte, wie eine weite, dampfende, keinen einzigen Ruhepunkt von Haus oder Hügel enthaltende See.

Meine Gesundheit litt wenig unter dieser übermäßigen Feuchtigkeit, denn meine körperliche Kraft war stets eine außergewöhnliche, meine Stimmung jedoch sank tief herab, und ich fragte mich oft, wie es den armen, auf den Curraghs nahe meiner alten Heimat lebenden Seelen wohl ergehen möge. Tag auf Tag, Woche auf Woche entstieg der Nebel unter der heißen Sonne dem feuchten Boden, und immer noch kam die Erde in dicken Klumpen unter dem Spaten hervor.

Nur die Nächte waren klar, und gegen die Hundstage hin beobachtete ich einige merkwürdige Himmelserscheinungen. So sah ich einen Kometen, einer züngelnden Flamme gleich, von Küste zu Küste über die Insel dahinfahren. Lange und ernstlich grübelte ich darüber nach, was diese Erscheinung wohl bedeuten möchte, und es packte mich ein großes Verlangen, zu erfahren, was in der menschlichen Welt sich zutrüge. In der Hinsicht kam ich mir in meinem verkehrten Sinn wie ein lebendig Begrabener vor, der die Glocken im Turm läuten hört, aber kein Fenster in seinem Sarg hat, um zu sehen, ob sie die Leute zur Freude oder zum Schmerz zusammenrufen.

Als die Zeit kam, daß die Heringsflotte von Port Erin nach dem südlich vom Kalbsund gelegenen Heringsgrund absegeln sollte, konnte ich kaum ein einziges Segel erspähen, und nicht ein Boot hatte ich die unter Port-le-Mary liegende Poolwasch-Bucht verlassen sehen. Von der Spitze der Mull-Berge blickte ich gerade auf den nach Castletown führenden Weg hinab, jedoch nie sah ich an Markttagen einen Lastwagen über ihn hinweg fahren. Gruppen von Menschen freilich konnte ich undeutlich beieinander stehen sehen, und einmal um die Mittagszeit klang der Schall von Singen und Beten von einem frisch gemähten Heufelde aus zu mir herauf. Öfter als zu irgend einer Zeit meines einsamen Lebens sah ich Menschen auf dem Gebirge oder fühlte ich ihre Nähe, denn meine Sinne hatten sich wunderbar verschärft. Öfter ebenfalls als sonst schlug der Klang von Kirchenglocken durch die Luft an mein Ohr. Und eines Tages, als ich zu meinem entmasteten Lugger an den Strand hinabging, sah ich ein anderes Boot langsam und mit im Winde klappenden Segeln und keiner Hand am Steuer den Sund dahergetrieben kommen. Ich blieb stehen, um das kleine Fahrzeug mit der Flut auf den Strand laufen zu sehen. Es fuhr mit seiner Spitze gegen die Fistardklippe und blieb dort stecken. Als ich dann aber zu ihm hinabging, fand ich keine lebende Seele an Bord.

Diese und andere auffallende Erscheinungen, die sich mir wie bei einem Lebendigbegrabenen durch einen Sinn nur offenbarten, erweckten die Vermutung in mir, daß irgend ein Mißgeschick die armen Leute der Insel betroffen haben müsse. Gewisses freilich kam mir nicht eher als in der ersten Septemberwoche – meiner Berechnung nach – darüber zu Ohren, dann aber begab sich ein wunderbares Ereignis.

Es war kein Sonnenschein, und sobald die Sonne nicht hervorkam, war nur wenig Nebel. Dazu hatte sich ein starker Wind von Nordosten her erhoben, und die Luft klärte sich, je weiter der Tag vorschritt, mehr und mehr über Land und See. Nachdem die Gezeit umgesetzt hatte, verstärkte sich der Wind dermaßen, daß er bei Halbflut zu einem von prasselndem Regen begleiteten Orkan ausgeartet war. Der Regen hörte nach einigen Stunden auf, und nachdem die schweren Wolken sich gelüftet hatten, konnte ich von der Anhöhe hinter meinem Hause eine Brigg mit gekürzten Segeln südwestlich vom Sund hart gegen den Sturm ankämpfen sehen. Sie befand sich gerade in der dort fließenden starken Strömung und versuchte unter dem Schutz der Leeseite sich der Insel zu nähern, wurde jedoch immer wieder zurückgeschleudert, ohne die schützenden, vom Orkan umbrausten Felsen zu erreichen. Ebenso bemerkte ich, daß auf der Spitze der Mullberge eine große Anzahl Menschen sich versammelt hatten, und ich glaubte zu sehen, daß sie nach der schwer gegen die See ankämpfenden Brigg ausschauten.

Den Abend dieses Tages saß ich eifrig beschäftigt, mir mit meinen ungeschickten Fingern aus den besten Resten verschiedener Kleidungsstücke, die in sich selbst nicht länger halten wollten, einen Rock herzustellen, rauh wie ein langer Mönchssack und gänzlich formlos; nichtsdestoweniger aber ein passendes Seitenstück zu den Sandalen an meinen Füßen, die ich mir kürzlich aus dem Fell meines unglücklichen Millish-veg-veen angefertigt hatte.

Während ich mit meiner großen Segeltuchnadel und Zwirn mich abquälte, ächzte der Wind um die Wände meines Hauses herum und pfiff derart durch seine vielen Spalten, daß die Kerze, bei der ich arbeitete, unruhig hin und her flackerte und wegtröpfelte. Mein Gemüt jedoch war fröhlicher gestimmt, als es kürzlich der Fall gewesen war, und mit meinem Gesicht dem Feuer zugekehrt sang ich leise vor mich hin.

Als dann aber gegen zehn Uhr die See unten ein lauteres Zischen, dem ein tiefes Grollen folgte, zu mir heraufsandte, schlug plötzlich etwas gegen mein Fenster, und eine arme Seemöwe kam atemlos mit geöffnetem Schnabel durch dasselbe hindurch und fiel hilflos auf den Boden nieder. Ich hob das sturmgepeitschte Tier auf und beruhigte es und nähte einen Flicken auf die von ihm zerrissene Haut vor dem Fenster.

Dann plötzlich kehrten meine Gedanken zu der auf See kämpfenden Brigg zurück. Fast denselben Augenblick und zum ersten Male seit diesen sieben Jahren erscholl ein lautes Klopfen an meiner Türe. Ich schrak zusammen und blieb, ohne zu antworten und mit dem geängsteten Vogel in der Hand, mitten im Zimmer stehen. Ehe ich mich erholen konnte, wurde der hölzerne Drücker meiner Türe aufgehoben, und ein Mann trat über die Schwelle. Im nächsten Augenblick hatte er die Türe hinter sich geschlossen und redete mich an:

»Könnt Ihr es übers Herz bringen,« sagte er, »mir in einer solchen Nacht Obdach zu verweigern?«

Ich antwortete ihm nicht. Mit meinem geistigen Ohr hörte ich ihn überhaupt nicht, sondern nur mit meinem leiblichen. Ich stand da, wie jemand, der plötzlich aus einem langen Traum erwacht und sich nicht besinnen kann, was Traum und was Wirklichkeit, was Vergangenheit und was Gegenwart ist. Der Mann stolperte einen Schritt vorwärts und flüsterte mit versagender Stimme: »Ich bin durch einen Schlag betäubt.«

Er schwankte noch einen Schritt vorwärts und würde zu Boden gestürzt sein, wenn ich ihn nicht, nachdem ich einigermaßen meine Besinnung wieder erlangt hatte, mit meinen Armen aufgefangen und nach dem Lehnstuhl am Feuer geführt hätte.

Kaum saß er, als seine Augenlider zu zittern und sich zu schließen begannen, und er die Besinnung verlor. Er war ein großer, dunkler, starkknochiger Mann, dessen Gesicht die Spuren harter Lebenskämpfe trug. Seiner Kleidung nach war er augenscheinlich ein Priester, jedoch einem mir unbekannten Orden angehörig. Eine stolze Armut lag über den Mann gebreitet, und ehe ich mir Rechenschaft geben konnte, weshalb, fühlte ich mein Herz in unerklärlicher Verehrung ihm entgegenschlagen.

Ich löste den seinen Hals umschließenden harten Priesterkragen, öffnete sein Gewand und benetzte seine Lippen mit Wasser. Noch andere Dienste, wie ihn von seinen durchweichten Stiefeln zu befreien und seine Füße dem Feuer zuzuwenden, leistete ich ihm. Ebenso rührte ich den Torf auf, so daß er eine warme, angenehme Glut gab. Dann suchte ich nach der von ihm erwähnten Wunde und fand dieselbe an der gefährlichsten Stelle seines Hinterkopfes. Obgleich kein Blut floß, war der Schädel auf einer, wie eine Kupfermünze großen Fläche bis auf das Hirn eingedrückt.

Nur allmählich und nach harten Kämpfen kehrte er zur Besinnung zurück. Und ich, der ich mir keinen anderen Rat wußte, nahm einen Napf und wusch seine Wunde mit lauwarmem und seine Stirne mit kaltem Wasser. Während dieser ganzen Zeit lag die Seemöwe, die ich, als der Priester niederzustürzen drohte, aus der Hand geworfen hatte, schwer atmend, mit niederhängendem Kopf, aufwärts stehendem Schwanz und machtlos unter sich ausgestreckten Flügeln in einer Ecke am Boden.

Dann endlich nach einem tiefen Atemzug öffnete der Mann seine Augen und äußerte, als er mich erblickte, einige Dankbarkeitsbezeugungen. Er erzählte mir, daß während er von der aus Cork in Irland kommenden Brigg »Bridget« ausgeschifft worden sei, ihn der Schwingbaum, wie er mit dem Winde sich gedreht, auf den Kopf geschlagen habe, daß er jedoch seiner Verletzung nicht achtend und in dem Gedanken, Port-le-Mary noch zu erreichen und die Nacht dort zu bleiben, weiter über das Moor geschritten sei, während seine Reisegefährten auf der Brigg eiligst unsere gefährliche Küste verlassen und sich England, ihrem Reiseziel, zugewandt hätten.

So weit hatte er unter großer Anstrengung erzählt, als er von neuem die Besinnung verlor und irre zu reden begann. Ich versuchte, mein Ohr seinen Worten zu verschließen, da es mir als etwas Ungehöriges erschien, daß in einer solchen Stunde der Geistesabwesenheit das Herz eines Menschen, in das nur Gott allein blicken sollte, sich einem anderen Sterblichen derartig offenbare. Wenn ich den Mann in seiner Hilflosigkeit jedoch nicht allein lassen wollte, mußte ich ihm wohl oder übel zuhören. Er sprach mit lauter Stimme von irgend einer großen Gewalttat, während der hilflose Frauen auf die Straße hinausgeworfen und selbst Tote in ihren Gräbern nicht verschont geblieben wären. Als er wieder zu sich kam, wußte er, daß er irre geredet hatte und erzählte mir, daß er vor Jahren Beichtvater am Kloster von Port Royal in Frankreich gewesen sei. Er sagte, daß in dem Kloster alle, Männer und Frauen, dem Orden der Jansenisten, die einfache Güte und Gottesfurcht predigten, angehört hätten, ihr Kloster jedoch auf Befehl der Jesuiten aufgehoben sei, und sie allesamt Frankreich hätten verlassen müssen. Er selbst sei nach seinem Heimatslande Irland geflohen, wo er jetzt als Gemeindepriester wirke. Noch mehr dergleichen erzählte er mir, mein Geist jedoch war so verwirrt, daß ich seiner Worte mich nicht genau erinnern noch unsern Gesprächsinhalt wiedergeben kann, außer daß er während seiner schmerzensfreieren Augenblicke mir einige abgebrochene Fragen vorlegte, und nachdem ich dieselben in aller Kürze oder gar nicht beantwortet hatte, viel vor sich hinmurmelte.

Die Empfindung, als ob ich ein aus einem Traume, einem langen, siebenjährigen Traume erwachender Mensch sei, nahm, während er mir von dem, was kürzlich in der Welt vorgegangen, und von dem er Zeuge gewesen war, erzählte, beständig zu. Und während der ganzen Zeit kämpfte ich, in der Furcht vor dem auf mir lastenden Fluche, demgemäß kein Mensch mit mir, noch ich mit ihm reden durfte, einen harten Kampf, ob ich mich abwenden und diesen Mann, der zufluchtsuchend mein Haus betreten hatte, verlassen, oder dem auf mir ruhenden Fluch zuwider handeln sollte.

Bewußten Geistes entschied ich mich weder für das eine noch für das andere; ehe ich mich dessen jedoch versah, war ich mit dem Priester und er mit mir im tiefen Gespräch.

Der Priester sagte: »Ich bin der katholische Priester, den Euer guter Bischof aus Irland erwartet, wie Ihr jedenfalls gehört haben werdet?«

Ich antwortete: Nein, ich hätte es nicht gehört.

Der Priester fragte mich, ob ich allein in diesem Hause lebte und wie lange ich schon hier sei?

Ich antwortete: Ja, ich lebte hier allein, und es würden nächste Weihnachten sieben Jahre.

Der Priester fragte: »Und geht Ihr nie in die Stadt hinab?«

Ich antwortete ihm: »Nein«.

Darauf sagte der Priester nach langem Nachdenken:

»Dann habt Ihr wohl von der furchtbaren Seuche nichts gehört, die unter Euren Landsleuten ausgebrochen ist?«

Ich sagte nein, ich hätte nichts davon gehört.

Der Priester erzählte mir, es sei das Schweißfieber, und unzählige Menschen seien davon ergriffen, und viele ihm zum Opfer gefallen. Ich glaube, er sagte – sicher kann ich es nicht behaupten – daß nach vielen vergeblichen Versuchen, die Krankheit zu unterdrücken, der Bischof der Insel, nachdem er gehört, daß der allmächtige Gott seine eigenen Anstrengungen während einer gleichen, vor zwei Jahren auf den Moorbrüchen im westlichen Irland ausgebrochenen Krankheit gesegnet habe, ihn hätte rufen lassen.

Ich lauschte gespannt, und vieles mir in letzterer Zeit rätselhaft Erscheinende wurde mir klar. Ehe der Priester jedoch weiterreden konnte, überkam ihn seine Schwäche von neuem, und er blieb lange in einem bewußtlosen Zustand. Während er schweigend oder die vergangenen Jahre von neuem durchlebend dalag, weiß ich nicht, welch ein Gefühl sich meiner bemächtigte. Als er jedoch seine, in ihrem ruhigen Glanz friedlichen, aber nur von schwacher Lebenskraft erfüllten Augen wieder öffnete, sagte er, er fühle, daß er seine Aufgabe unerfüllt lassen müsse, und daß er nur mein Haus betreten habe, um in demselben zu sterben. Bei diesen Worten sprang ich, einen Schrei ausstoßend, auf, er aber, in dem Glauben, daß mein Schrecken meinen armen Landsleuten gelte, die in ihm ihren Erlöser verlieren würden, ermahnte mich, in Geduld auszuharren und sagte, Gott, der ihn von hinnen rufe, würde einen viel mächtigeren Erretter für meine heimgesuchten Mitbrüder senden.

Dann sprach er während einiger schmerzensfreien Augenblicke von der Krankheit, die sein Volk betroffen hatte, und die in dem anhaltenden und den Boden durchweichenden Regen und dem darauffolgenden, der Erde faule Dünste entziehenden, heißen Sonnenschein ihren Ursprung habe; daß die Seuche hauptsächlich solche Leute befalle, die auf dem Moor oder auf tief gelegenem Boden wohnten, und daß die von ihr Ergriffenen nur dadurch zu retten seien, daß man sie in wollene Decken einhülle, und die Luft, in der sie lägen, durch starkes Heizen vollständig austrockne. Ebenso sagte er mir, daß seiner Erfahrung nach alle Medizin gegen diese Krankheit nutzlos, ja oft sogar, da sie meistens kühlenden Gehaltes sei, den Tod befördere. Er sagte, daß in seiner Heimat alle auf den Bergen Lebenden von der Seuche verschont geblieben wären. Auch erzählte er mir, wie aus Furcht vor Ansteckung Männer ihre Frauen, Mütter ihre Kinder verlassen hätten, daß jedoch, ausgenommen in den schlimmsten Fällen, das Schweißfieber durchaus nicht ansteckend sei. Viel mehr Derartiges, das ich jedoch nicht alles niederschreiben kann, teilte er mir mit. Manchmal sprach er nur mit äußerster Anstrengung, als ob eine starke Eingebung ihn triebe. Und ich, der ich eifrig lauschend zuhörte, fühlte eine große Furcht mich überkommen, denn ich sagte mir, daß, wenn, wie er dächte, der Tod ihn wirklich ereilen solle, ich im Besitz von Kenntnissen sei, die zu verheimlichen eine große Sünde wäre.

Nachdem er mir alles dieses anvertraut hatte, wurden die Zwischenpausen, in denen ihm die Besinnung zurückkehrte, und der Schmerz sich milderte, immer kürzer. Bald nach Mitternacht kam er jedoch mit einem Lächeln auf dem hageren Gesicht und einem gütigen Blick wieder zu sich. Er fragte mich, ob ich ihm, als einem Sterbenden, eine Bitte erfüllen wolle; und ehe ich gehört hatte, was es sei, antwortete ich mit einem »ja«. Dann fragte er weiter, ob ich wüßte, wo der Bischof wohne, und darauf schwieg ich.

»Bischofs-Hof wird sein Haus genannt,« sagte er, »und es liegt im Nordwesten dieser Insel, nahe dem Landstrich, den sie die Curraghs nennen. Kennt Ihr sie?«

Ich neigte bejahend das Haupt.

Darauf sagte der Priester: »Ich bitte Euch, zu ihm zu gehen und ihm zu sagen – der katholische Priester, Vater Dalby, hat sein Euch gegebenes Versprechen erfüllt und ist auf dieser Insel gelandet, er starb jedoch nach Gottes unerforschlichem Ratschluß dieselbe Nacht, als er die Küste betrat. Wollt Ihr diesen meinen Auftrag ausführen?«

Ich antwortete ihm nicht, und er fragte mich von neuem. Und immer noch klebte mir die Zunge am Gaumen, und konnte ich ihm nichts erwidern.

Darauf sagte der Priester: »Ihr braucht Euch nicht vor dem Bischof zu fürchten, denn er ist ein frommer Mann, wie ich gehört habe, und nicht stolz auf seine Lebensstellung, und er soll die Armen und Verstoßenen täglich als Gäste bei sich sehen.«

Selbst jetzt antwortete ich noch nicht, sondern saß nur brennenden Herzens und gebeugten Hauptes da.

Dann sagte der Priester: »Sein Ruf als ein gerechter Diener des Herrn hat sich weit in andere Länder verbreitet, und deshalb habe ich, der ich dem Protestantismus durchaus nicht hold bin und keine Gemeinschaft mit ihm halte, seinem Ruf Folge geleistet.«

Er ergriff meine Hand mit der seinen und fragte mich noch einmal, ob ich zum Bischof für ihn gehen und seinen Auftrag ausrichten wolle, und ich nickte mit tränenerfüllten Augen, die nichts von dem sterbenden Gesicht vor mir sahen, mit dem Kopfe und antwortete: »Ja, ich will es«.

Fast drei Stunden länger lebte er noch, und größtenteils verbrachte er sie im Delirium. Gerade vor seinem Ende jedoch erwachte er und zeigte auf einen kleinen, um seine Taille hängenden Beutel. Ich erriet seinen Wunsch, und, ein Kruzifix herausziehend, legte ich es ihm in die Hände.

Dann schlief er ruhig ein, und der Tod, das schwarze Ungeheuer, das die sieben Jahre meines totenähnlichen Lebens vor der Türe meines einsamen Hauses auf der Lauer gelegen hatte, hielt endlich seinen Einzug in dasselbe, aber nicht, um mich, sondern um einen anderen hinwegzuraffen.


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