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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Geraubt

Eine Reihenfolge außergewöhnlicher Begebenheiten hatte stattgefunden. Am frühen Morgen hatte die unter Kälte und Hunger in der Bergeinsamkeit schutzsuchende Bemannung der Ben-my-Chree einen ihrer Genossen nach Sulby zurückgesandt, um dort einen Viertelzentner Mehl zu kaufen. Tere war der Auftrag zuteil geworden, und nach Erfüllung desselben wollte er sich gerade in das Gebirge zurückschleichen, als er die vielen von Ramsey heimkehrenden Menschen bemerkte. Hinter einer größeren Gesellschaft sich haltend, fiel ihm eine weibliche Gestalt in die Augen, in der er seine Frau erkannte. Er wußte, ohne die Aufmerksamkeit der vor ihr Gehenden zu erwecken, ihren Blick auf sich zu ziehen. Sie kam von der vom Deemster in Ramsey geführten Untersuchung zurück und erzählte ihm alles, was sich während derselben zugetragen hatte; daß Dan, des Bischofs Sohn, sich dem Gericht gestellt, und daß die gerichtliche Anklageakte nicht allein auf seinen, sondern auch auf die Namen der vier Schiffer und auf den des Schiffsjungen der Ben-my-Chree gelautet hätte.

Tere trug eine schwerere Last als nur den Viertelzentner Mehl mit sich in das Gebirge zurück. Seine Genossen hatten ihn mit dem Sack auf dem Rücken langsam den Sulby-Fluß entlang schleichen sehen, und bemerkten bei seinem Näherkommen den Unheil verkündenden Ausdruck seines Gesichtes.

»Schickt den Burschen einen Augenblick fort,« flüsterte der Zurückkehrende dem alten Billy Quillasch zu, und Davy Fähl wurde ausgeschickt, um Ginster für ein Feuer zu schneiden.

Darauf umringten die Männer den Fischer Tere und hörten, was sich begeben hatte. Das von ihnen vorausgesehene Unheil war über sie hereingebrochen. Was konnten sie tun? Crennell stimmte unter Herbetung eines Psalmes dafür, dem Herrn zu vertrauen, der alte Quillasch dagegen stimmte unter einem Fluch dafür, der Geschwindigkeit ihrer Beine zu vertrauen. Nach einer Pause enthüllte Tere seinen in Dans Entführung gipfelnden Plan. Dan mit seinem Geständnis wäre ihre einzige Gefahr; sobald dieselbe nur einmal beseitigt sei, wären sie freie Männer. Ehe er sein Schuldgeständnis abgelegt hatte, lag es weder in seiner Macht, ihre Unschuld zu beweisen, noch in ihrer, sie zu bestätigen. Während seines Weges vom Tal herauf hatte Tere sich ein kühnes Abenteuer ersonnen. Sie wollten in das Peeler Schloß einbrechen, Dan mit Gewalt entführen, ihn hier oben nach den Bergen heraufbringen und ihm die Wahl zwischen Leben und Tod lassen: das Leben, wenn er verspräche, seine Unschuld der Anklage gegenüber aufrecht zu erhalten, den Tod, wenn er bei dem Entschluß, der ihn zur Übergabe getrieben hatte, verharre.

Die Männer drängten sich dichter und mit noch bleicheren Gesichtern um Tere herum, der ihnen seinen fertigen und dieselbe Nacht in Ausführung zu bringenden Plan vorlegte. Paton Gorry sei der Gefangenwärter vom Peeler Schloß. Der Bursche Davy sei des alten Kirchendieners Patenkind. Davy sollte abgeschickt werden, um des alten Gefangenwärters Schlüssel aus der Wachstube zu stehlen. Wenn sich dieses als unmöglich erwiese – nun, dann war Paton ja ein alter Mann, der ohne viel Federlesens aus dem Wege geräumt werden könne – ohne alle Gewalt – o, ja, ohne die geringste Gewalt! Und dann sei Corkell ja der Schwiegersohn vom Nachtwächter von Peeltown, und der müßte den Hafenmeister nach den »Lustigen Heringen« in der Schloßstraße locken, während sie selbst, Tere, Quillasch, Crennell und Corkell die Ben-my-Chree von ihrem Ankerplatz am Ausfluß des Hafens holten. Darauf würden sie an der Westküste der St. Patricks-Insel kreuzen und den kleinen Kahn an Land schicken. Dan würde dann in seiner Zelle überwältigt, an Händen und Füßen gebunden an Bord geschafft werden. Bei günstigem Winde – er kam jetzt aus Ost-Süd-Ost – müßten sie nach der Ramsey-Bucht segeln, bei Lague umlegen, dort Anker werfen und an Land gehen. »Das wird den einleuchtenden Verdacht erwecken,« meinte Tere, »daß Master Dan mit dem Whitehavener Paketboot, das um Mitternacht den Hafen verläßt, sich nach England aus dem Staube gemacht hat.«

Nachdem alles dies vollbracht sei, müßten sie ein Pferd auftreiben, den gefesselten Mann darauf festbinden und ihn während der dunklen Nachtstunden in die Berge führen, um bei Tagesanbruch ihn einem feierlichen und gerechten Verhör, dem von ihnen über Leben oder Tod bestimmten Ausgang gemäß, zu unterwerfen. Keine Gewalttätigkeit! Nein, bewahre, alles nur gerecht und der Ordnung gemäß! Sollte es des Mannes Absicht sein, sie an den Galgen zu bringen, würde ihm nur Gerechtigkeit, wie es sich unter Männern gehöre, widerfahren. Der Deemster selbst könne kein gerechteres Urteil, nein, nicht einmal ein so gerechtes fällen. O, nein, keine Gewalttätigkeit!

Es war ein verwickelter, gefahrvoller, von vielen günstigen Zufällen abhängender Plan. Vielleicht war es keine logische Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aber, gut oder schlecht, logisch oder unlogisch, möglich oder unmöglich, leicht oder gefährlich ausführbar, es war der einzige ihnen bleibende Ausweg zwischen dem von Crennell vorgeschlagenen Gottvertrauen und dem von Quillasch vorgezogenen Vertrauen auf die Geschwindigkeit ihrer Beine. Sie entschlossen sich für den Vorschlag und hielten sich zu seiner Ausführung bereit.

Gerade als die Männer diesen Entschluß gefaßt hatten, kam Davy Fähl mit einem Arm voll trockenen Ginsters für ein Feuer zurück. Der erste Schritt dieses nächtlichen Abenteuers lag ihm zu tun ob. »Überlaßt mir den Burschen,« flüsterte Quillasch den Männern zu und wandte sich unverzüglich an den Jungen. Wahrheitsliebe war nicht das vorherrschende Element der nun folgenden Erklärung des alten Seebären. Der arme Master Dan sei zu seinem Unglück erwischt worden und säße im Peeler Schloßgefängnis hinter Schloß und Riegel. Er würde gehängt werden, so viel sei gewiß, es sei denn, daß von irgend welcher Seite stehenden Fußes eine Gegenanstrengung gemacht würde. Sie wollten es nicht daran fehlen lassen und zwar denselben Abend noch! Ob er sich daran beteiligen dürfe? Nun, vielleicht, vielleicht. Sie hätten nichts dagegen. So fiel Davy also dem ihm vorenthaltenen Plan zum willigen Opfer. Wenn es gälte, Master Dan von dem Lumpengesindel, das ihn eingelocht hätte, zu befreien, würde nichts ihn zurückhalten, o, nein, er müsse dabei sein. »Nehmt den Jammerlappen von der rechten Seite und Ihr seid seiner sicher,« flüsterte der alte Billy, einen langen Strahl seines Priemchens ausspeiend, hinter der umgekehrten Hand.

Nachdem so alle Zweifel über die von ihnen einzuschlagende Handlungsweise beseitigt waren, zündeten sie, um sich zu wärmen und Haferbrei aus Flußwasser und Mehl zu kochen, ein Feuer an und aßen und tranken und erwarteten den Abend. Es wurde früh dunkel, das Tageslicht erstarb gegen vier Uhr. Darauf verlöschten die Männer ihr Feuer mit Gras und Erde und machten sich nach Peeltown auf den Weg. Ihre Straße führte sie über Colden und zwischen Greeba und Beary nach den Höhen von Slieu Whallin, und von dort am Fuße von Corrins Hill vorüber nach der St. Patricks-Insel hinab. Es waren zwölf Meilen über Berg und Tal durch die düstere und feuchte Winternacht. Sie mußten die wenigen auf ihrem Wege liegenden Häuser vermeiden und ihren Gang unterbrechen, wo immer sie nur Fußtritte sich nahen hörten. Doch hatten sie die Entfernung in weniger als vier Stunden zurückgelegt. Um acht Uhr standen sie am Südende der den Nebenfluß oberhalb des Peeler Hafens kreuzenden Brücke. Dort trennten sie sich. Corkell ging einem verschlungenen Pfad vom Hafen folgend, der Stadt zu, um den Nachtwächter zu suchen und sich seiner zu entledigen. Nachdem auch der Hafenmeister aus dem Wege geschafft war, sollte Corkell nach der am Ende der hölzernen Landungsbrücke im Tiefwasser liegenden Ben-my-Chree gehen, den Mastkorb nach Süden öffnen und als Zeichen, daß alles sicher sei, für die auf der gegenüberliegenden Landspitze wartenden Quillasch, Tere und Crennell die Lampe hineintun. Darauf würden diese an Bord kommen. Davy Fähl wandte sich dem südlichen Hafen nach der St. Patricks-Insel zu. Es war niedriger Wasserstand, und Davy sollte die das Festland von der Insel trennende Meerenge durchwaten. Vielleicht möchte er auf ein Boot stoßen, vielleicht trockenen Fußes hinüberkommen. In einer halben Stunde sollte er an der als Riesengrab bekannten Stelle westlich vom Schlosse sein, wo die vier Männer mit ihrem Kahn auf ihn warten würden. Unterdessen solle er den alten Paton Gorry besucht und guten Gebrauch von Augen und Ohren gemacht haben. Unter dieser Verabredung trennten sie sich.

Davy fand das Wasser niedrig und die Furt trocken. Er durchschritt sie so leise wie möglich und erreichte die Felseninsel. Es war nicht so dunkel, daß er die verschwommenen Umrisse des zerfallenen Schlosses nicht hätte erkennen können. Eine Reihe Stufen führte vom Rande des Wassers nach dem Schutzgatter hinauf. Davy erklomm dieselben. Er hatte im Sinne gehabt, an das schartige alte Eingangstor zu klopfen, fand es jedoch offen. Er blieb lauschend stehen. Einen Moment war es ihm, als ob er ein Geräusch hinter sich vernähme. Hier hinter diesen dicken Mauern war es dunkler als überall sonst. Er ging weiter an dem Torflügel vorüber, der die Überlieferung des Moddey Dhoo Geistersage von dem Erscheinen eines schwarzen Hundes. in schauriger Erinnerung erhält. Als er an der Türe vorbeikam, wandte er seinen Kopf derselben in der Dunkelheit zu, und wieder glaubte er, etwas sich bewegen zu hören. Diesmal schien das Geräusch aber nicht hinter, sondern vor ihm. Er hielt den Atem an und hätte beinah aufgeschrien. Dann streckte er seine Arme der Richtung des Lautes entgegen. Es war aber nichts. Alles war wieder still. Davy trat in den Hof, wo das in demselben wachsende Gras seinen Fußtritt dämpfte. Endlich erreichte er die Wachstube. Von neuem erhob er seine Hand, um zu klopfen, und wieder fand er die Türe offen. Er schaute in das Zimmer hinein, es war leer; ein Feuer brannte im Kamin, eine Bank war vor denselben gezogen, und eine Pfeife lag auf dem roh gezimmerten Tisch. »Er ist in die Zelle hinuntergegangen,« dachte Davy bei sich und schlich der in den Kerker hinabführenden Treppe zu, hielt jedoch abermals inne, und sein Herz schien ihm stille zu stehen. Es war unzweifelhaft, irgend jemand näherte sich. Ein schwaches Klirren wie von Schlüsseln schlug an sein Ohr. »Paton! Paton!« rief Davy erschreckt. Es erfolgte keine Antwort, die Tritte aber näherten sich. »Wer ist da?« rief der Knabe von neuem in bebendem Flüsterton. Im nächsten Moment schritt ein Mann in der Dunkelheit an ihm vorüber, und Davy sah und erkannte ihn. Es war der Bischof.

Der Bursche fiel auf die Knie. Gleich darauf war der Bischof durch das äußere Tor und die Stufen hinab verschwunden. Seine Tritte verhallten, und dann erschallten andere Stimmen und das Platschen eines Ruders, und darauf trat wieder eine, nur durch die gegen die Felsen donnernde See unterbrochene Stille ein.

Davy erhob sich und schritt der zum Kerker hinabführenden Treppe zu. Ein Licht schimmerte ihm von unten entgegen. Die Kerkertüre stand ebenfalls offen, und sich seiner ganzen Länge nach auf den Boden streckend, konnte Davy in die Zelle hineinschauen. Auf dem Fußboden sah er eine Laterne stehen, und neben derselben lag ein Bündel. Dan konnte er ebenfalls auf der Steinbank liegen sehen, aber außer ihm war niemand im Kerker.

Atemlos und zitternd erhob der Bursche sich wieder und floh aus dem alten Schloß und den felsigen Damm, der nach einem Brückenbogen unter dem Riesen-Grab führte, hinab. Dort erwarteten ihn die Männer.

»Das Gebäude ist behext,« sagte er fliegenden Atems; und dann erzählte er den Fischern, daß alle Türen offen ständen, und keine Seele außer Dan sich im Schloß befände. Die Männer hörten ihm mit augenscheinlichem Grauen zu. Corkell hatte ihnen gerade eine ähnliche Geschichte erzählt. Der Nachtwächter und der Hafenmeister wären beide schon, ehe er sie zu suchen sich auf den Weg gemacht hätte, aus dem Wege gewesen. Alles schien ihnen in die Hände zu spielen, nichts für sie zu tun übrigzubleiben, als einfach in das Schloß hineinzugehen und ihr Vorhaben auszuführen. Dies erschreckte sie. »'s ist Bestimmung,« flüsterte Corkell; und Crennell, in heller Angst vor der ihren Plan fördernden unsichtbaren Hand, war immer noch der Ansicht, dem Herrn zu vertrauen. Sie steckten in abergläubischer Furcht ihre Köpfe zusammen. Quillasch war der erste, dieselbe zu besiegen. »Kommt, schweigt still und redet keinen Unsinn,« sagte er und schritt mit einem Sack und einer Rolle Stricke beladen entschlossen vorwärts. Die übrigen Männer folgten ihm schweigend. Davy erhielt den Befehl, mit dem kleinen Kahn zurückzubleiben.

Sie fanden alles, wie der Bursche es verlassen hatte; die schartige Türe des Schutzgatters, die Wachtstubentüre und schließlich auch die Türe zu der Kerkertreppe geöffnet. Einen Augenblick blieben sie lauschend stehen, kein anderer Laut als die leichten, regelmäßigen Atemzüge eines einzigen Menschen drang herauf. Darauf gingen sie eiligst die Treppe hinab und in die Zelle, wo sie Dan schlafend fanden. Bei seinem Anblick, wie er bewußtlos und allein dort unten lag, drohte ihr Mut sie einen Augenblick zu verlassen. Die unsichtbare Hand schien noch über ihnen zu walten. »Ich sag Euch, 's ist Bestimmung,« flüsterte Corkell wieder über Quillaschs Schulter hinweg. In einer halben Minute war der schlafende Mann an Händen und Füßen gebunden, und der Sack ihm über den Kopf geworfen. Bei der ersten Berührung war er erwacht und hatte aufzustehen versucht, vier Männer aber hielten seinen Körper niedergepreßt und bemächtigten sich seiner. Er rief mit lauter Stimme um Hilfe, es war jedoch niemand da, ihn zu hören. In weniger Zeit, als es zu erzählen gebraucht, hatten die Männer Dan aus der Zelle hinausgetragen. Die Laterne ließen sie auf dem Fußboden stehen, und das danebenliegende Paket übersahen sie in ihrer Aufregung.

Über den Schloßhof, durch das Tor, die Klippen unter den bröckelnden Mauern entlang stolperten und eilten sie in der Dunkelheit fort, erreichten den Kahn und stießen ab. Zehn Minuten später waren sie an Bord der Ben-my-Chree und segelten den Hafen entlang.

Dan erkannte die Stimmen der Männer und seine Lage wurde ihm klar. Er erhob keinen zweiten Hilferuf. Der Sack über seinem Kopf war von grobem Gewebe und ließ die Luft durch, so daß er ungehindert atmen konnte. Sie hatten ihn in einen der Kajütenverschläge gelegt, und er konnte das hin- und herschwebende Licht der von dem Deckenbalken herabhängenden Hornlaterne sehen, und als das Boot auf der bewegten See dahinflog, konnte er zuweilen durch die offene Luke die Lichter der Insel erkennen.

Bei günstigem Winde steuerten sie mit vollen Segeln auf die Landspitze von Ayre zu. Corkell führte das Steuer, und nachdem alles glatt sich entwickelt hatte, gingen die andern drei Männer nach unten, wo sie ein Feuer anzündeten und rauchten. Nicht lange darauf kam Davy Fähl mißmutig und verdrießlich ausschauend ebenfalls herab. Es waren ihm Zweifel aufgestiegen, und er hatte begonnen, Fragen an die Männer zu stellen, die sie nicht beantworten konnten. »Weshalb war Master Dan wie 'n heidnischer Türke an Händen und Füßen gebunden? Und was sollte der Sack?« Die Männer waren jedoch durchaus nicht gesonnen, sich ausfragen zu lassen. Kein Zeugenverhör! Der freche, junge Taugenichts sollte lieber seinen Atem nicht unnütz vergeuden. Um den Jungen zu beruhigen, tranken sie ihm zu, und beim zweiten Zug Branntwein war er so betrunken, daß er nichts mehr von seinen Sinnen wußte. Er schlug ein wildes Lachen auf und sang ein tolles Lied und begann schließlich zu tanzen. Es war ein schauerliches aber kurzes Schauspiel, und dann wurde der Bursche, um seinen Rausch zu verschlafen, in einen andern Kajütenverschlag geworfen. So vergingen zwei von den Männern mit Zank und Streit ausgefüllte Stunden.

Crennell und Tere gingen auf Deck. Quillasch blieb unten vor dem Feuer sitzen, um eine Vogelflinte, die Dan zu Anfang der Heringszeit an Bord gebracht hatte, mit einem Lappen und mit Öl zu putzen, und dabei sang oder pfiff er eine Manxballade vor sich hin und warf, eifrig auf seinem Priem kauend, ab und zu einen verstohlenen Blick auf Dans unbeweglich daliegende Gestalt: –

»Im Jahr unsres Herrn,
Wir berichten es gern,
Siebenhundertundsechzig und sieben, [im Org.: sixteen hundred and sixty and sayven]
Der Fischfang war reich,
Wie keiner ihm gleich
Vor Douglas, o wär's so geblieben.«

Kein anderer Laut als Davys schwere Atemzüge und das einförmige Geräusch der die Schiffswände bespülenden Wellen war in der Kajüte hörbar. Dan lag totenstill da. Kein einziges Wort hatte er gesprochen oder war an ihn gerichtet worden.

Das Boot flog vor dem Winde her; der Himmel hatte sich aufgeklärt, die Sterne waren herausgekommen, und die Lichter am Ufer deutlich erkennbar. Orrisdale, Jurby und Rue zogen an den Männern vorüber, und als sie an Bischofs-Hof vorbeisegelten, leuchtete das in der Bibliothek brennende Licht hell und glänzend über das Meer. Gegen zehn Uhr umsegelten sie den auf der Landzunge von Ayre befindlichen Leuchtturm, und dann kreuzte das Boot in vielen Windungen die Bucht von Ramsey. Vor elf Uhr fuhren sie an der Stadt vorüber und konnten ganz deutlich die Lichter des im Hafen liegenden Cumberland-Paketbootes erkennen. Die Flut war um diese Zeit auf dreiviertel Höhe. Nach einer ferneren halben Stunde lag der Lugger in Port Lague vor Anker, und Dan war von Tere und Crennell an Land gebracht. Quillasch begleitete sie, mit der Vogelflinte in der Hand.

Corkell und der wieder von seinem Rausch erwachte Davy Fähl sollten die Ben-my-Chree nach der Ramsey-Bucht zurückbringen, sie dort unterhalb Ballure vor Anker legen und dann um etwa zwölf Uhr sich ihren Genossen in Lague zugesellen. Dies sollte allem Verdacht vorbeugen, und wenn das Boot am nächsten Morgen gefunden würde, die Mutmaßung erwecken, daß Dan in dem Whitehavener Paketboot nach England entflohen sei.

Die Ben-my-Chree segelte mit Corkell und Davy ab. Tere machte sich auf, um ein Pferd zu suchen, und Quillasch und Crennell blieben mit Dan am Strande von Lague. Es war ein düsterer, trostloser Ort, der gegen Süden nichts anderes als die kahlen Felsen der Tafelland-Spitze und gegen Norden kein näheres Obdach, als das eine halbe Meile entfernte Dorf Folieu zeigte. Die Nacht war bitterkalt geworden, die Sterne waren verschwunden, und schneidende Kälte und tiefe Finsternis durchdrangen die schwere Atmosphäre. Der Wind jedoch hatte sich gelegt, und jeder Laut erweckte ein dumpfes Echo in der Luft. Beide Männer warteten und lauschten. So weit war alles gut gegangen, was jedoch zu tun übrig blieb, war immerhin noch gefährlich genug. Wenn Corkell oder der Bursche zufälligerweise beim Verlassen des Bootes gesehen, wenn Tere auf frischer Tat, sich ohne Erlaubnis eines Pferdes zu bemächtigen, abgefaßt würde, wäre alles verloren. Es war eine schwer zu ertragende Wartezeit.

Plötzlich hörten sie, das dumpfe Grollen der ans Ufer schlagenden Wellen übertäubend, ein schnelles, knirschendes Geräusch, dem ein Platschen und ein leeres Abrollen folgte. Sie wußten, es war der auf den Grund sinkende Anker. Bald darauf wurde von der südlichen Seite des Landes ein scharfes Hundegebell, dem in kurzen Zwischenpausen der schwere Hufschlag eines Pferdes folgte, laut. War es Tere mit dem Pferde? Wurde er verfolgt? Die Männer lauschten, konnten aber kein anderes Geräusch hören. Dann trug die dicke Luft den dumpfen Ton einer im Hafen läutenden Glocke an ihr Ohr. Es war das erste der drei Abfahrtssignale des Cumberland-Bootes.

Das sich ihnen von der Rückseite hörbar machende Pferdegetrappel kam näher und näher, die Glocke vor ihnen läutete zum zweiten Male, und dann kam Tere, ein mächtiges Zugpferd am Zügel führend, den Berg herauf. Er wäre genötigt gewesen, es aus einem Stall in Lague zu entwenden, und dabei hätte er die Hunde erweckt; sie hätten ihn aber nicht verfolgt, und alles stände gut. Die Glocke läutete zum dritten Male, und gleich darauf kroch ein rotes Licht den Hafen entlang, der unter ihnen liegenden rabenschwarzen See zu. Das Cumberland-Paketboot hatte seine Reise angetreten.

Diesen Augenblick kehrten auch Corkell und Davy Fähl zurück. Corkell hielt Davy bei seinem Guernsey im Nacken gepackt. Der Junge hatte Zeichen der Auflehnung geäußert, die der Mann mit Gewalt zu unterdrücken für gut hielt. Davys Augen funkelten, im übrigen war er ruhig und gefaßt.

»Was soll dies heißen, du Teufelsbrut, du?« sagte Quillasch. »Was bezweckst du damit? Heraus mit der Sprache, schnell! was steckt dir im Sinn? Verdammte Narrenfratze, was glotzt er mich auf diese Weise an?«

»Laßt gut sein, Billy, kommt und helft mir und beruhigt Euch,« sagte Crennell.

»Die Frechheit dieses Bettelgezüchtes übersteigt alles,« brummte Quillasch.

Darauf hoben die Männer Dan auf das Pferd und schnürten ihn der Länge nach, so, daß sein Antlitz in den Himmel blickte, auf den Rücken desselben fest. Niemand sprach mit ihm, ebensowenig stellte er an einen der Fischer Fragen.

»Wir müssen von der Seite nach oben steigen,« sagte Tere und bemächtigte sich des Zügels. Corkell und Crennell schritten zu jeder Seite des Pferdes, Quillasch ging, mit der Vogelflinte auf der linken Schulter und Davy zu seiner rechten Seite, hinter ihnen her.

Die nun folgende Reise war lang und beschwerlich.

Sie schlugen den nördlich von Barrule und Clag Ouyre über Glen Auldyn und gegen Süden um Snaefell herumwindenden Pfad ein. Zehn Meilen schritten sie in der dichten Finsternis und Kälte mühsam vorwärts, allein mit den rauschenden Flüssen und den geisterhaft verschleierten Bergen als Gefährten. Weiter und weiter verfolgten sie ihren Weg mit dem gleichmäßig ausschreitenden Pferde in ihrer Mitte, das nie, so oft auch ein Fluß ihren Weg kreuzen und ihr eigener Fuß über die Wagengeleise stolpern mochte, strauchelte oder zurückschreckte. Weiter und weiter, Stunde auf Stunde, bis sie ihre müden Glieder kaum noch schleppen konnten, und ihr Geschwätz und selbst ihr Murren oder Streiten verstummte. Und doch immer noch weiter in der schauerlichen Stille.

Unter der Kuppe von Snaefell kamen sie in den vor zwei Tagen gefallenen Schnee hinein, der in den Tälern verschwunden, auf den Bergen jedoch noch liegen geblieben und nun hart unter ihren Füßen gefroren war. Es kam ihnen, wie sie in der Dunkelheit niederschauten, vor, als ob er wie räucheriger, die Augen blendender und den Kopf schwindeln machender Nebel unter ihnen verdunstete. Noch höher hinauf hörte das Geräusch des fließenden Wassers plötzlich ganz auf, die Flüsse waren gefroren, und ihre Stimmen verstummt. Der Wind blies immer schärfer, je weiter sie die eisigen Höhen erklommen.

Zuweilen machten sie nach Erreichung eines langen Aufstieges Halt, um das Pferd Atem gewinnen zu lassen, und dann, ohne ein anderes Geräusch als das schrille Pfeifen des durch den Ginster streichenden Windes in den Ohren, versagte ihnen fast der Mut. Geisterhafte Erscheinungen wollten sich nicht zurückhalten lassen.

»Habt Ihr je den Lockmann Geist. gehört?« fragte Crennell mit verhaltenem Atem.

»Ich bin nie auf ihn zugekommen,« sagte Quillasch, »denn wenn sich mir je des Nachts etwas auf dem Gebirge zeigt, lasse ich es zufrieden und bekümmere mich nicht weiter darum.«

Die übrigen Männer schauderten und begannen kräftig zu pfeifen.

Manchmal kamen sie auf dem Gebirge an einem Schafgehege vorüber, und die gestörten Schafe begannen zu blöken. Manchmal hörte ein Hund aus einem entfernten Hause sie vorüberziehen und begann zu bellen; und obgleich dies Geräusch ein Zeichen der Gefahr in sich schloß, war es ihnen doch als eine Art menschlicher Gemeinschaft auf dem grausigen Gebirgskamm willkommen.

Es war ein schauerlicher Gang und für den an Händen und Füßen gebundenen Dan war es ein schmerzhafter, wenn auch kein kalter Ritt, da ihn die außergewöhnliche Bewegung warm hielt. Die Nacht nahm ihren Fortgang, und die Luft wurde immer kälter; in die Bärte der Männer setzte sich der Reif.

Endlich gelangte die schweigsame Gesellschaft nördlich von Cronk-y-Vane und Beinn-y-Phott auf dem Kamm von Snaefell an. Darauf blieb der am Kopfe des Pferdes schreitende Tere unschlüssig stehen und fragte:

»Wollen wir den alten Schachtschuppen uns zum Ziele nehmen?«

»Ja,« sagte Quillasch.

Ihre Reise war fast beendet. Graue Streiflichter begannen den Himmel über der See hier und da zu betupfen, und der frische Morgendunst stieg von den Bergen herab.


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