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Vierunddreißigstes Kapitel.
Ein gewaltsamer Gerichtshof

Der vom Untersuchungsrichter und seinen sieben Leuten mit der zu Pferde sitzenden Mona eingeschlagene Weg führte über den als Sherragh Vane bekannten Bauernhof zu einem Knotenpunkt von drei Gebirgspfaden. Einer derselben wand sich dicht unter dem westlichen Fuß des Snaefell herum, ein anderer folgte dem Lauf des die sogenannte Crammag-Schlucht durchschlängelnden Flusses, und der dritte vereinte sich, den Beinn-y-Phott kreuzend, mit den erstgenannten beiden. Am äußersten Ende des Sherragh Vane machte der Untersuchungsrichter Halt.

»Kann irgend jemand den Bleischacht sehen?« fragte er. Niemand konnte es. Die Dunkelheit hatte sich geklärt, und die Spitze von Snaefell stach kahl, wie eine grüne, vor einer Dunstwolke daherfließende Insel gegen den Himmel ab. Der Nebel jedoch lag noch schwerer auf dem Moorlande und verhüllte sogar die höher gelegenen Schluchten.

»Er muß dort drüben, anderthalb Meilen den Fluß hinauf, sein,« sagte der Untersuchungsrichter.

Der Blei-Schacht lag an der Südostspitze des die drei Gebirgspfade vereinenden Punktes, südwestlich unter Snaefell und nördlich von Beinn-y-Phott. Die Gesellschaft machte einen kurzen Halt, während dessen der Untersuchungsrichter über die einzuschlagende Richtung nachsann.

Monas Ungeduld war unverkennbar. »Laßt uns eilen,« sagte sie.

Der Untersuchungsrichter sah sie groß an und nahm seine Betrachtungen wieder auf.

»O, weshalb unsere Zeit so vergeuden,« begann sie von neuem. »Wenn die Bleimine dort drüben ist, weshalb halten wir uns noch unnütz auf?«

Der Untersuchungsrichter erkundigte sich mit einem beleidigenden Lächeln, ob die Dame die Kälte sehr empfände.

»Er befindet sich in Lebensgefahr, und wir verschwenden unsere kostbare Zeit mit müßigem Geschwätz,« antwortete sie.

»Lebensgefahr,« wiederholte der Untersuchungsrichter mit kaltem Hohn und fügte in bedeutungsvollem Tone und seine eigenen Hintergedanken belächelnd, »möglich, möglich,« hinzu.

Monas Angst überstieg ihre Empörung.

»Seht, der Nebel klärt sich. Dort ist der Schuppen – dort in der Schlucht inmitten der Berge, und es ist ganz derselbe Ort, den ich gesehen habe. Kommt, beeilt Euch – seht, es ist Tag.«

»Beruhigt Euch, beruhigt Euch. Wenn sie in jenem Schuppen dort sich versteckt halten, sind sie so sicher verpackt wie Heringe in einem Faß,« sagte der Untersuchungsrichter.

Darauf verteilte er seine Kräfte. Drei Männer schickte er den Pfad der Crammag-Schlucht hinab, zwei ließ er, um die Curraghs nach Norden und Westen zu überwachen, dort, wo sie hielten, zurück, zwei andere sollten den Pfad unter Snaefell entlang schleichen und die Flucht auf die See und nach den östlichen und südlichen Niederungen verhindern. Er selbst wollte gerade auf den Schuppen zugehen, und seine sieben Leute sollten, so wie er demselben sich genaht hätte, von ihren drei Ecken ihm schnell nacheilen.

»Ist es Rauch, was dort über dem Schuppen aufsteigt? Ein Feuer? Wahrscheinlich. Er glaubt sich sicher, dafür stehe ich Euch. O! ja, und ißt und trinkt und läßt sich's wohl sein. Nun, Männer, fort mit Euch.«

Innerhalb des Schuppens spielte sich um diese Zeit eine so grausige Szene ab, wie sie nur je sich einem menschlichen Auge zu bieten vermag. Das Gebäude selbst war ein großer, viereckiger Kasten und in zwei Räume geteilt, einen zu ebener Erde und einen darüber. Den oberen erreichte man durch eine an der Wand stehende Holzleiter und eine Falltüre. Der Verschlag hatte einmal als Gerätschaftsschuppen und Bureau, Stall und Warenlager gedient, nun aber war er kahl und leer. In der östlichen Wand befand sich eine weite Öffnung, in der die Türe fehlte, und in der nördlichen eine enge, in der das Fenster fehlte.

Die große Stute war an einen am Türpfosten befindlichen Haken gebunden, und der Bursche Davy versuchte abwesenden Geistes in dem durch die beiden Öffnungen hervorgerufenen Zug ein Ginsterfeuer über zwei Steinen anzuzünden. Dichter Rauch erfüllte das Gemach, und durch ihn hindurch erschienen die Gesichter der Männer in dem Zwielicht des nebligen Morgengrauens trübe, grünlich und hager. Die vier Fischer bildeten eine Gruppe für sich, und der alte Quillasch stand einen Schritt vor ihnen, die Vogelflinte mit auf den Boden gestütztem Kolben in seiner Hand. Zwei Schritte vor ihm und mit ihm zugekehrtem Angesicht stand Dan mit noch fest zur Seite geschnürten Armen, unbedecktem Haupte und ungefesselten Beinen. Jedes Angesicht trug einen finstern Ernst zur Schau.

»Hört mich an,« sagte der alte Quillasch. »Wir werden Euch verhören und richten; alles jedoch in so gehöriger und gerechter Weise, wie Gott über uns richten wird, wenn einmal die große Abrechnungsstunde kommt, wo jeder Mann Rede stehen muß. Hört Ihr, was wir sagen, Sir?«

Dan neigte leicht zustimmend das Haupt.

»Wir haben Euch gewaltsam geraubt und hierher geschleppt, das ist unleugbar; wir werden aber nur gerecht mit Euch verfahren und keine weitere Gewalt anwenden; und dies ist die heilige Wahrheit und nicht gelogen.«

Die andern Männer murmelten: »Ja, ja,« und Quillasch fuhr fort: »Wir alle sind Gesellen, die treu zu ihren Freunden halten und für diejenigen, die ihnen Gutes erweisen, einstehen, und es ist Verlaß auf uns. Alles aber hat seine Grenzen.«

»Ja, das hat es,« sagte Crennell, und die andern murmelten von neuem: »Ja, ja!«

Quillasch spuckte hinter seiner vorgehaltenen Hand aus und fuhr fort: »Kurz und gut, die Wahrheit ist, daß Ihr Euer Bestes tut, uns an den Galgen zu bringen, und es wäre unnatürlich, wenn wir ruhig dabei stehen und es zulassen sollten.«

Dan erhob den Blick vom Boden. »Ich habe Euch nichts zuleide tun wollen, meine guten Burschen,« sagte er schnell.

»Wollen ist wollen, tun ist tun, und wir haben alles gehört, was sich zugetragen hat,« sagte Quillasch. »Ihr habt Euch dem Gericht gestellt und eingestanden, und die Anklage ist gegen uns alle gerichtet, und was Euch bevorsteht, steht uns bevor.«

»Ihr seid aber unschuldig. Was habt Ihr zu fürchten?«

»Unschuldig sind wir, wo der Deemster jedoch das Urteil spricht, ist nicht der geringste Unterschied zwischen Euch und uns.«

Dans Gesicht überflog eine tiefe Röte, und er antwortete erregt: »Männer, laßt Eure elende Furcht keine Feiglinge aus Euch machen. Was habt Ihr getan? Nichts! Ihr seid unschuldig. Und dabei, wie betragt Ihr Euch? Wie Schuldige. Wenn ich unschuldig wäre, glaubt Ihr, ich würde mich hier in die Berge verkriechen?«

»Sachte, Sir, sachte. Vielleicht würdet Ihr wie eine Ratte in die Falle gehen. Feiglinge? Nun, vielleicht, vielleicht. Eine Frau und ein paar Kinder können jedoch aus dem mutigsten Mann einen Ausreißer machen. Was aber die Feiglinge anbetrifft, so wollen wir die mit Verlaub ruhen lassen.«

Quillasch machte eine würdevolle Bewegung mit seiner umgekehrten Hand, während die übrigen Männer beistimmend riefen: »Ja, das wollen wir.«

»Weshalb habt Ihr mich hierher gebracht?« fragte Dan.

»Keine lebende Seele weiß, wo Ihr seid, und wenn sie Euch im Schloß vermissen, werden sie denken, Ihr hättet es für geratener gefunden, das Weite zu suchen.«

»Weshalb habt Ihr mich hierher gebracht?« wiederholte Dan seine Frage.

»Das Whitehavener Boot hat, nachdem wir gestern abend in der Bucht Anker geworfen hatten, Ramsey verlassen, und die Leute werden sagen, Ihr wäret nach England entflohen.«

»Sagt mir, weshalb Ihr mich an diesen Ort gebracht habt.«

»Wir sind unter uns und können nach Gefallen mit Euch verfahren, ohne daß jemand um einen Deut weiser sein wird.«

»Was habt Ihr zu tun vor?«

Darauf stellten sie ihm die Wahl zwischen Leben und Tod. Nichts als sein eigenes Geständnis spräche wider ihn. Wenn er nur den Mund halten wollte, wären nicht genügend Beweise vorhanden, um eine Katze zu hängen. Er sollte nur versprechen, im bevorstehenden Verhör sich für unschuldig zu erklären, und sie wären bereit, mit ihm zurückzukehren und ihm beizustehen. Wenn nicht –«

»Was dann?« fragte Dan.

»Dann werden wir uns genötigt sehen –« sagte Quillasch und schwieg.

»Nun?«

»Ich sage, dann werden wir uns genötigt sehen –« Quillasch schwieg von neuem.

»Heraus damit, Mann,« fiel Tere hier ein – »genötigt sehen, ihn wie einen Hund niederzuschießen.«

»Ja, das ist die reine Wahrheit,« sagte Quillasch ruhig.

Davy Fähl sprang mit einem entsetzten Schrei vom Feuer auf. Dan jedoch war ruhig und gefaßt.

»Männer, Ihr wißt nicht, was Ihr verlangt, ich kann es nicht.«

»Sachte, Sir, sachte, und überlegt es Euch noch 'mal. Denn seht, Euer Geständnis verwickelt uns in die ganze Angelegenheit, und wer weiß, ob nicht tiefer als Euch selbst.«

»Gott aber weiß, daß Ihr unschuldig seid. Er würde nicht zugeben, daß Euch etwas zuleide geschähe.«

»Wir haben Frauen und Kinder, die von uns abhängen, und was sollte aus ihnen werden, wenn wir von ihnen gingen.«

»Ihr seid brave Burschen, und es tut mir leid, Euch Feiglinge genannt zu haben.«

»Schon gut, laßt das ruhen. Vielleicht haben wir auf dieselbe Weise geantwortet. Laßt uns nun zu Tatsachen schreiten.«

Sie trugen ihm den Fall noch einmal ruhig und bedachtsam vor. Er fragte sie, wie es ihre Lage ändern könne, wenn sie ihm das Leben nähmen. Sie antworteten, daß sie zurückgehen, sich dem Gericht stellen, und nach stattgefundenem Verhör freigesprochen werden würden. Einem feierlicheren Gerichtshof, als diese vier Männer ihn bildeten, hatte sich wohl nie ein Mensch, um sein Lebens- oder Todesurteil zu hören, gegenüber befunden. Kein Anflug von Heftigkeit, kaum ein Anflug von Wärme beunruhigte ihr unbarmherziges Gerechtigkeitsgefühl.

»Wir sind unschuldig, aber wir sind mit in die Geschichte verwickelt, und wenn Ihr auf Eurer Schuld beharrt, zwingt Ihr uns, dasselbe zu tun, und was würde es für einen Zweck haben, unser Leben derartig wegzuwerfen?«

Dan blickte, ohne mit der Wimper zu zucken, in ihre abgehärmten Gesichter. Es war zu spät, er konnte nicht mehr zurück, doch bemächtigte sich seiner eine tiefe Bewegung.

»Männer,« sagte er, »ich wollte zu Gott, ich könnte Eurem Verlangen nachkommen, ich kann es aber nicht, und außerdem wird der Allmächtige Euch vor allem Unheil bewahren.«

Es entstand eine Pause, und dann sagte der alte Quillasch mit ruhigem Ernst –

»Ich selbst halte auf Religion und auf gelegentliches Absingen frommer Lieder und vielleicht auch auf das Lesen eines kurzen Bibelabschnittes; wenn es sich aber ums Leben handelt, verflucht will ich sein, wenn ich nicht nach etwas Handgreiflicherem mich umsähe.«

Ihr einmal gefaßter Vorsatz war ebenso wenig durch geistiges Vertrauen zu erschüttern, wie Dans Entschluß durch körperliche Furcht einzuschüchtern war. Sie gewährten ihm eine Entscheidungsfrist, bis sie hundert gezählt hätten. Das Zählen wurde von Tere unter Totenstille der übrigen vollbracht. Während dieser kurzen Minuten stellte sich Dans schnell arbeitendes Gehirn die ganzen entsetzlichen Folgen dieser Entführung vor. Seine Gedanken kehrten zu dem Besuch des Bischofs im Kerker und zu dessen heimlichen Fluchtvorbereitungen zurück. Er erinnerte sich, daß der Gefängniswärter die Schlüssel dem Bischof überliefert, und derselbe die Zellentüre offen gelassen habe. Die Tatsachen schnell überblickend, sah er nur zu klar, daß, wenn er nicht zu seinem Verhör zurückkehrte, es für seinen Vater dasselbe sein würde, als wenn er von dem ihm angebotenen Fluchtversuch Gebrauch gemacht hätte. Der in seinem Vorhaben schuldige, in der Tat aber unschuldige Bischof würde der Sklave des ersten besten, von seinem Vorhaben unterrichteten Schurken sein. Wenn sein Vater auch seine Absicht geändert hatte, würde der Schein gegen ihn sprechen, und die Leute, deren Hilfe er sich erkauft hatte, einfach annehmen, er habe andere Fluchtmittel gewählt. Seine Abwesenheit würde nur auf die eine Weise erklärt werden, daß er entflohen sei, und daß nur ein Weg der Flucht ihm offen gestanden habe, der vom Bischof gebahnte. Nur auf eine Weise konnte er seinen Vater vor unbegründeter und lebenslänglicher Verleumdung schützen, nämlich dadurch, daß er zu seinem Verhör zurückkehrte, und nur unter einer Bedingung sollte ihm die Rückkehr gestattet werden, nämlich unter der, auf die Anklage, Ewans Tod verursacht zu haben, mit »unschuldig« zu antworten.

Es war ein entsetzlicher Widerstreit guter Empfindungen mit nicht durchaus bösen. Während eines Momentes gewann der sophistische Gedanke, daß ein ihm unter Drohungen entlocktes Versprechen nicht bindend für seine Ehre sei, daß er den Männern das gewünschte Versprechen geben, zurückgehen, seinen Vater retten und schließlich in der Untersuchung handeln könne, wie es ihm am besten erschien, den Sieg über ihn. Den nächsten Augenblick jedoch sah er sich zu Seiten dieser fünf braven, ihm in ihrer Lebensgefahr so unbedingt vertrauenden Burschen vor den Gerichtsschranken stehen, und dann hörte er seine Stimme das Geständnis, das sie alle an den Galgen bringen würde, ablegen. Koste es was es wolle, alles war besser als ein solcher Verrat, er mußte die Wahrheit sprechen, ihretwegen und seiner selbst wegen. Und was den Bischof anbetraf, wann hätte der liebe Gott je solch einer jämmerlichen Hilfe als der Lüge eines blutbefleckten Verbrechers bedurft, um die Ehre eines Gottesmannes zu retten?

Es war ein entsetzlicher, jedoch kurzer Zwiespalt der Gefühle. Das Zählen verstummte, und Quillasch erbat sich seine Antwort.

»Nein, ich kann es nicht – Gott mag mir vergeben, ich wollte, ich könnte es,« rief Dan in einem Ausbruch von Ungeduld.

Es war heraus! Die Männer antworteten nicht, es waltete ein furchtbares Schweigen. Sie begannen zu losen. Fünf Kupfermünzen gleicher Größe, eine darunter mit einer durch eine Nagelspitze gezeichneten Schramme, wurden in einen Beutel gesteckt. Einer nach dem andern fuhren sie mit der Hand hinein und zogen eine Münze heraus, und jeder der Männer hielt bis alle gezogen hatten, seine Hand fest zugeballt. Der Bursche Fähl wollte sich nicht beteiligen, die Männer drohten ihm aber, und er gab nach. Dann mußten sich alle Hände zu gleicher Zeit öffnen.

Das Los war auf Davy Fähl gefallen; sein einfältiges Gesicht erbleichte sichtlich, und seine Lippe sank tief herab. Der alte Quillasch händigte ihm die Flinte ein, die er gleichgültig, sich des damit verbundenen Zweckes kaum bewußt, ihm abnahm.

»Was soll ich damit?« fragte er lässig.

Die Männer sagten ihm, daß ihn das Los getroffen habe es zu tun.

»Was zu tun?« fragte er verwirrt und unverständlich.

Beschämt und auch wieder mit einem Anflug von Großtuerei setzten sie ihm auseinander, was er zu tun habe, und darauf nahm sein nichtssagendes Gesicht plötzlich einen zornigen Ausdruck an, und mit einem Schrei des Entsetzens und der Wut warf er die Flinte zu Boden. Quillasch hob dieselbe wieder auf und sagte, sie ihm von neuem in die Hand steckend:

»Du mußt es tun, das Los hat dich getroffen, und es hat keinen Zweck, sich dem Schicksal zu widersetzen.«

Zuerst versicherte Davy, daß nichts auf Gottes Erde ihn bewegen würde es zu tun; plötzlich aber gab er nach, ergriff schnell die Flinte und nahm drei oder vier Schritte von dort, wo Dan mit zur Seite gebundenen Armen, aschbleichem Gesicht und entsetzlich anzuschauenden Augen stand, Stellung.

»Ich kann ihn nicht, so gefesselt wie er dasteht, niederschießen,« sagte Davy, »macht seine Stricke los, und dann will ich es tun.«

Die Männer waren über Davys plötzliche Gefügigkeit erstaunt gewesen, nun wurde ihnen dieselbe klar. Solch einer offenbaren List fielen sie jedoch nicht zum Opfer. Sie wußten nur zu genau, daß Dan als ein freier Mann es mit ihnen allen vieren, unbewaffnet wie sie waren, aufnehmen konnte.

»Ihr habt vor, über seinen Kopf hinwegzuschießen,« sagten sie zu Davy, und hingerissen durch seine Erregung und unfähig, seine Absicht zu verheimlichen, rief der Junge hysterisch: »So ist es, und das ist die heilige Wahrheit.«

Die Männer steckten die Köpfe zusammen und begannen von neuem heimlich zu flüstern. Im nächsten Augenblick hatten sie sich Davys bemächtigt, ihn gleich Dan gebunden und demselben zur Seite gestellt. Sie betrachteten Davy nun als Dans Mitschuldigen.

Darauf losten sie noch einmal, und diesmal traf Quillasch das Los. Er stellte sich auf den Platz des Burschen und spannte den Hahn der Flinte.

»Männer,« sagte er, »wenn wir dieses Menschen Leben schonen, wird nichts ihn zurückhalten, das unsere zu nehmen. Und uns davor zu schützen, ist nur unsere Schuldigkeit – das sagt schon die Bibel. Es ist kein Mord, was wir vorhaben, nur Gerechtigkeit, und Gott der Allmächtige nehme sich seiner Seele an!«

»Stellt ihm noch einmal die Wahl,« sagte Tere, und Quillasch, gern bereit, richtete noch einmal dieselbe Frage an Dan. Dan antwortete mit einem mitleidsvollen Blick auf Davy, und trotzdem sein Gesicht sich entfärbt hatte, und seine Augen ihm aus dem Kopf zu quellen, seine Nasenflügel und Lippen zu beben begannen, mit derselben ruhigen Stimme wie vorher.

Darauf trat Stille ein, und hinter Quillasch fielen die drei Männer Crennell, Corkell und Tere auf die Knie.

»Herr, nimm dich ihrer Seelen an!« beteten sie, und Quillasch erhob die Flinte.

Dan sagte kein einziges Wort, wie auch Davy Fähl weder einen Schrei noch irgend ein anderes Zeichen laut werden ließ. Quillasch jedoch feuerte nicht. Er hielt inne und lauschte und fragte sich umwendend in verändertem Ton: »Wo ist das Pferd?«

Die Männer erhoben ihre Augen und wiesen stillschweigend auf den Türpfosten hin, wo das Pferd angebunden stand. Quillasch lauschte noch immer mit seitwärts geneigtem Haupt.

»Was ist denn das für ein Tritt?« fragte er.

Die Männer sprangen auf, und Tere war in einem Augenblick an der Türe.

»Allmächtiger Gott,« rief er in angstvollem Flüsterton, »sie sind uns auf den Fersen!«

Darauf blickten noch zwei der übrigen Männer hinaus und wurden gewahr, daß sie von allen Seiten von dem Untersuchungsrichter und seinen Leuten umzingelt waren. Sie konnten jeden einzelnen Mann, obgleich der ihnen nächste noch eine halbe Meile entfernt war, erkennen. Einen Augenblick starrten sie einander hilflos und fragend an. Den nächsten Moment konnte man die jedem einzelnen Manne innewohnenden guten oder schlechten Eigenschaften ihm vom Gesicht ablesen. Corkell und Crennell brachen, sich derartig in der Minderzahl sehend, in heftiges Schluchzen aus. Tere, ein Bursche von kräftigerem Schrot und Korn, der weder Mitleid noch Reue kannte, und der mit Dans Tode jegliche Gefahr beseitigt wähnte, stimmte dafür, denselben unverzüglich niederzuschießen und ihn entweder auf den Boden hinauf, oder den Schacht hinab, oder in die nahe der Türe befindliche Dunggrube, die voll schlammigen Unrates und nun halb zugefroren war, zu werfen.

Quillasch allein behielt einen klaren Kopf und antwortete auf alle diese Vorschläge mit einem einfachen aber energischen, Nein. Darauf fragte Dan selbst, der nicht weniger aufgeregt als alle übrigen war, wie viele Männer im Anzuge seien. Crennell erwiderte es wären neun – sieben Männer, der Untersuchungsrichter und noch jemand – es möchte eine Frau – zu Pferde sein.

»Acht Männer genügen nicht, um uns sechs zu überwältigen,« sagte Dan. »Hier durchschneidet schnell meine und Davys Stricke – schnell!«

Als die Männer diese Worte, deren Aufrichtigkeit sie Dan vom Gesicht ablasen, hörten und sich sagen mußten, daß der, dessen Blut sie zu vergießen bereit gewesen waren, ihnen zur Seite stehen und ihr Schicksal mit ihnen teilen wollte, konnten sie nur sprachlos und stumpfsinnig einander ins Gesicht blicken. Im nächsten Moment jedoch hatte der böse Geist des Zweifels sich ihrer bemächtigt, und Tere sah Dan höhnisch lächelnd in die Augen.

Crennell schaute wieder zur Türe hinaus.

»Sie haben zu laufen begonnen, wir sind verloren,« sagte er und fing von neuem hysterisch zu schluchzen an.

»Seid ruhig,« sagte Quillasch; »wo bleibt nun Euer Gottvertrauen?«

»Hier, Billy,« rief Dan eifrig, »durchschneidet die Stricke des Jungen und macht, daß Ihr alle auf den Boden hinauf kommt.«

Ohne den Sinn dieser Worte wirklich zu verstehen und nur von dem Gedanken erfüllt, daß der Schuppen umringt und Flucht für sie unmöglich sei, kletterten zwei der Männer, Crennell und Corkell die Leiter zum Boden hinauf. Der alte Quillasch, der seit dem ersten Augenblick ihrer erschreckenden Entdeckung keinen Zollbreit von seinem Platz gewichen war, stand noch wie festgewurzelt und mit der Flinte in der Hand auf derselben Stelle. Darauf warf Dan sich mit der Absicht, die Strähnen des ihn fesselnden Strickes zu verbrennen, neben dem Ginster- und Holzfeuer auf die Knie nieder und hielt seine Schulter, einen Teil der Brust und einen Arm über die Flamme. Einen kurzen Augenblick schien es fast, als ob er, gebunden wie er war, seinen halben Körper in das Feuer stecken und sich darin herumwälzen müsse, ehe die ihn fesselnden Stricke Feuer fangen wollten. Im nächsten Moment jedoch war er mit großer Kraftanstrengung und einem brennenden Strick am Arm auf die Füße gesprungen.

Denselben Augenblick langten der Untersuchungsrichter, die sieben Männer und Mona hinter ihnen bei der Türe des Schuppens an. Dort blieben sie in höchstem Erstaunen stehen. Der sich ihnen bietende Anblick widersprach allen ihren Erwartungen.

Von einer dichten Rauchwolke umgeben erblickten sie den bleich und sprachlos und noch gefesselt dastehenden Davy Fähl und neben ihm den gleichfalls gefesselten Dan, über dessen Schultern, als ob sein Arm selbst Feuer gefangen hätte, die hellen Flammen emporstiegen, und der mit Anstrengung seiner ganzen Muskelkraft seine Stricke zu zerreißen sich bemühte. Quillasch stand wie angewurzelt und mit der Flinte in der Hand in der Mitte des Raumes. Tere hatte gerade seinen Fuß auf die erste Stufe der Leiter gesetzt, und Corkells und Crennells bleiche Gesichter blickten aus der Falltüre von oben herab.

»Was bedeutet alles dieses?« fragte der Untersuchungsrichter.

Darauf zog Tere seinen Fuß von der Leiter zurück und antwortete auf Dan deutend. –

»Wir haben ihn eingefangen, Sir, und waren auf dem Wege, ihn Euch zu bringen. Seht, so haben wir ihn gebunden. Er war gerade dabei, die Stricke zu verbrennen und uns zu entwischen.«

Dans Gesicht verdunkelte sich bei diesen verräterischen Worten, und ein heiserer Schrei entrang sich seiner Kehle.

»Ist das wahr?« fragte der Untersuchungsrichter, mit verächtlichem Lippenkräuseln sich Dan zuwendend. Davy Fähl rief heftig, daß es eine Lüge sei. Dan aber, sichtbar vom Kopf bis zu den Füßen zitternd, antwortete ruhig: »Ich will dem nicht widersprechen, Untersuchungsrichter.«

Darauf trat der alte Quillasch einen Schritt vor.

»Ich aber will dem widersprechen,« sagte er entschieden. »Er ist ein braver Kerl, das ist er; und ich bin wohl nur ein alter Taugenichts, aber verfl– will ich sein, wenn ich um irgend eines Menschen – nein, meines eigenen Seelenheils willen, derartig lügen sollte.«

Und dann erzählte der alte Bursche mit seiner rauhen Stimme, manchmal bewegt stockend, manchmal in wildes Stöhnen und dann wieder in noch wildere Flüche ausbrechend, den ganzen Hergang. Denselben Abend befanden sich alle sechs Männer, Dan, die vier Fischer und der Bursche Davy Fähl im Gefängnis von Schloß Ruschen.


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