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Vierundsechzigstes Kapitel.
Zwei Jahre später


Zwei volle Jahre später als jene Zeit, in der unser letztes Kapitel schließt, sah man des Morgens gegen 10 Uhr auf der Landstraße, die nach der Stadt zuführte, eine fremd gewordene und dadurch fast seltsame Erscheinung; es war ein schwerer, aber eleganter Reisewagen, und er nahm sich um so eigenthümlicher aus, als neben der Straße, auf der er fuhr, freilich mehr in der Tiefe, gerade ein Eisenbahnzug desselben Weges brauste. Der Postillon, der auf dem Sattelpferde des Gespanns saß, welches diesen Reisewagen zog, – er war festlich gekleidet, trug eine saubere Uniform, auf dem Hute einen Federbusch und an der Brust einen mächtigen Blumenstrauß – hatte seine Peitsche auf den linken Arm herübergelegt und blickte sinnend auf die schnelle, riesenhafte, gelenkige, feuerspeiende Schlange, welche da unten durch das Thal hinschoß, fort und fort auf der langen Eisenspur, eingehüllt in Rauch und Qualm. – »Das schneidet allerdings – unser Grundwasser ab,« sprach er kopfnickend, »aber man mag sagen was man will, mir soll kein Mensch weis machen, daß nicht nach langen, langen Jahren alte Leute von heute sprechen werden und es bedauern, daß die lustigen Extraposten nimmer zu sehen sind. – Ja, pfeif nur! – Für einen vornehmen Herrn muß es doch ein jämmerliches Vergnügen sein, so eingepfercht zu sitzen. Und dann, wenn sie ankommen, das Gewühl, der Lärm – pfui Teufel!«

Und als wollte er sich beruhigen, steckte er die Peitsche in seinen Stiefel, machte das Horn aus der Schnur auf dem Rücken los, brachte es an seine Lippen und blies, vielleicht angeregt durch den grünen dichten Wald, der nun die Chaussee auf beiden Seiten einrahmte, die Melodie des bekannten Liedes:

Der Jäger von Churpfalz
Der stolpert über'n Haselstrauch
Und bricht beinah' den Hals.

Angenehm für den Virtuosen war es, daß es gerade bergauf ging, was auch die vier Pferde benutzten, um schweifwedelnd im langsamsten Schritt zu gehen. Wie aber Alles auf dieser Welt ein Ende nimmt, so auch das Blasen des Postillons und der ziemlich lange Berg. Auf der Höhe desselben sah man die Stadt vor sich liegen, weiterhin die Häusermassen, näher einzelne Gebäude, unter diesen hervor erblickte man ein ziemlich hohes Dach mit einer rothen Fahne.

In diesem Momente legte sich eine junge Dame ein klein wenig aus dem Wagenschlag, schaute dort hinab und sagte dann zu Jemand, der neben ihr saß:

»Ich habe das Haus gesehen mit seiner rothen Fahne.«

Der Postillon that jetzt einen lauten Zungenschlag, seine lange Peitsche berührte mit einem Zickzackhieb fast zu gleicher Zeit alle vier Gäule, und da nun der Wagen rasch abwärts flog, so verschwand auch die Stadt wieder und ebenso das Haus mit der rothen Fahne. Unten angekommen, wo die Landstraße wieder aufstieg, erhob sich einer der Bedienten, die hinten auf saßen und rief dem Postillon zu: »Jetzt mußt du rechts fahren, aber thu's langsam, der Weg ist dort nicht ganz sauber.«

»Er ist ja gemacht worden,« sagte der andere Bediente mit einem bedeutsamen Kopfnicken, »und wie gemacht worden! Ihre Erlaucht wird sich wundern.«

Und Ihre Erlaucht, die junge und schöne Gräfin Helfenberg, die neben dem Grafen im Wagen saß, wunderte sich in der That, als nun der Reisewagen von der Chaussee weg in den ihr wohlbekannten, früher so verwilderten Weg einlenkte und da sanft fortrollte.

Wie war das hier anders geworden! eine breite, mit weichem Sand bedeckte Straße zog sich wie unter einer Laube dahin, denn wenn auch Gräben und Einfassungen rechts und links wieder hergestellt waren, so hatte man doch Bäume und Sträucher geschont, und diese berührten sich von beiden Seiten und bildeten ein breites Schattendach.

Eugenie sah den Grafen an, der mit dem Ausdrucke innigster Liebe ihren Blicken begegnete, dann legte sie ihre Hand in die, in einige und verbarg einen Augenblick das Gesicht an seiner Brust. Als sie wieder aufschaute, lächelte sie durch Thränen und sagte:

»Wie dankbar bin ich dir, lieber Hugo, daß du Alles das hier so werden ließest! Weißt du wohl, daß ich mich vor dem öden Wege, den umgestürzten Bänken, der halb verfallenen Brücke und namentlich vor den Steinfiguren im Grase gefürchtet habe? Erschien mir doch alles das in der Erinnerung wie ein gespensterhafter Traum, und ich zitterte fast, wenn ich daran dachte, nun seine Wirklichkeit durchleben zu müssen.«

»Das fühlte ich für dich, mein Kind,« erwiederte der Graf, indem er mit der Hand leicht, über ihr glänzendes Haar strich und, da er einmal so beschäftigt war, ihren Kopf sanft umwandle und sie auf die Lippen küßte. »Sage mir ehrlich,« fuhr er alsdann fort, »erscheint dir wirklich Manches von der Vergangenheit wie ein gespensterhafter Traum, den du weit hinter dir wünschest? – Wenn dem so ist, du liebe Träumerin, so sage mir, wann bist du eigentlich erwacht, und verkünde mir ohne Rückhalt, ob dein Erwachen wirklich ein fröhliches war.«

Der Blick, mit dem sich die junge Frau nach diesen Worten an ihn schmiegte, hatte etwas Verschämtes; auch dauerte es eine kleine Weile, ehe sie zur Antwort gab:

»Um ganz ehrlich zu sein, will ich dir nicht verschweigen, daß, als wir zum letzten Mal diesen Weg fuhren – wir hatten uns von Mutter und Vater verabschiedet – ich in dem bösen Traum noch ziemlich befangen war. Dabei will ich noch hinzufügen, daß das Erwachen sogar sehr langsam von Statten ging. – – Nie, mein guter Hugo,« setzte sie alsdann mit vor Rührung zitternder Stimme hinzu, »werde ich aber dabei vergessen, wie liebevoll, wie zart du die Schläferin, die Träumerin, die Nachtwandlerin behandeltest, wie du sie nie durch ein lautes Wort erschreckt, wie du ruhig zusahst, als sich so nach und nach ein Band um das andere löste, die ihr Gemüth, ja, warum soll ich's läugnen, auch ihr Herz gefangen hielten.«

»Das war ja meine Schuldigkeit, liebes Kind; ich war Egoist, weiter nichts.«

»Verkleinere nicht das, was du gethan, Hugo!« bat sie mit dem herzlichsten Tone ihrer Stimme. »Wußte ich doch damals, wie innig du mich liebtest, und wie es dir durch die Seele schnitt, daß ich noch eine Zeit lang so düster fortträumte.«

»Und als du erwachtest?« fragte Hugo mit einem treuherzigen Lächeln.

»O da fühlte ich mich glücklich, selig wie eine Gefangene es nur sein kann, deren Fesseln sich lösen, die aus dumpfigem Kerker nun mit einem Male an die frische, freie Himmelsluft, an den hellen, glänzenden Tag tritt.«

»Und dieser Tag, Eugenie?« sagte der Graf nach einer kleinen Pause, während welcher er ihre Hand an seine Lippen gedrückt hatte, »erschien er dir glücklich? Dachtest du wirklich nicht mit einer kleinen Sehnsucht an die Vergangenheit?«

Statt aller Antwort schlang sie hastig ihre beiden Hände um seinen Hals, drückte sich fest an ihn und versetzte erst nach einer längeren, süßen Pause:

»Du böser, böser Mensch! Wenn du noch einmal solche Fragen stellst, so schließe ich die Augen und schlafe ein, um nichts von alle dem zu sehen, was du hier gemacht. – – – Aber nein, nein,« fuhr sie darauf lustig fort, indem sie wie ein tolles Kind von ihrem Sitze emporsprang, und sich dann wieder tief in die Kissen des Wagens fallen ließ, »damit wäre ja nur ich gestraft, und zur Strafe für dich will ich recht lustig sein. – Nicht wahr,« sprach sie schelmisch lächelnd, »ich sollte wohl hier ganz still und nachdenklich sein? – O Gott! das kann ich ja nicht,« rief sie aus, indem Thränen ihre Augen füllten, »komme ich ja hier in meine Heimat zurück, in meine gute, liebe Heimat, in meine süße Heimat – da den Baum kenne ich wieder – und den auch! – Was, sogar Blumen hinter den alten Steinbänken? – Dort ist auch die früher so verfallene Brücke! – – Ah! das ist lieb, Hugo, daß das graue Gemäuer mit Schlingpflanzen verziert wird. O wenn du nur fühlen könntest, wie in diesem Augenblicke mein Herz schlägt!«

»Ich fühle es, meine Eugenie.«

Nun sprach sie nichts mehr; sie beugte sich vornüber, sie schaute mit starrem, eigenthümlich funkelndem Auge hinaus und man sah, daß ihre Gedanken den Blicken weit voranflogen.

Jetzt rollte der Wagen über die Brücke, kurze Zeit darauf bog er links und nun hatten sie die Avenue erreicht, wo vordem die herabgestürzten Steinfiguren gelegen. Diese waren verschwunden, und das Ganze hatte sich ein wenig verändert; rechts und links sah man Gebüsche und einzelne Bäume weggenommen und so, was stehen geblieben, von dem anderen isolirt, daß nun das Buschwerk in zierlichen Gruppen auf der Ebene vertheilt war. Der Boden war mit einem saftig grünen Rasen bedeckt, und der ehemalige Fußpfad hatte sich in einen breiten, sanft geschlungenen Fahrweg, mit weichem Sande beschüttet, verwandelt.

Das alles bemerkte Eugenie wohl, aber sie gab durch kein Zeichen zu erkennen, daß sie es sah; ihre Blicke bohrten sich zwischen die Bäume hinein, und jetzt zucke es in wehmüthiger Freude auf ihrem Gesichte auf. – Da in einiger Entfernung wurde ja das kleine Schloß sichtbar, in dem sie ihre Jugend verlebt; da sah man seine rothen Mauern durch das Grün der Gebüsche hervorglänzen; da erblickte man die spitzen Dächer der Erker auf den Seiten stolz über dieselben emporragen. Und die Dächer hatten recht, stolz zu sein, denn nachdem sie Jahre lang sehr vernachlässigt worden, hatte man ihnen jetzt ein neues Kleid von glänzenden grünen und blauen Ziegeln angezogen. – Und was für stattliche Wetterfahnen sie trugen! – – –

Auf dem weichen Weg und unter dem angenehmen Schatten der Bäume trabten die vier Pferde munter dahin, und der Postillon wickelte abermals sein Horn los und blies, diesmal aber nicht den Jäger aus Churpfalz, sondern:

Ueber's Jahr, über's Jahr, wenn i wiederum komm,
Kehr' i ein, mein Schatz, bei dir.

Dann warf er eilig sein Horn auf den Rücken, nahm die Zügel kürzer, die Peitsche sauste über das ganze Gespann, und er that sein Mögliches, um mit einem recht flotten Zuge vor die beiden Obelisken hin zu gelangen, die heute noch wie damals den Eingang zum Hof bildeten.

Aber auch die Obelisken sahen freundlicher aus; aus ihren nachgemachten Hieroglyphen hatte man Staub und Moos entfernt, und sie standen stattlich da und würdig des nicht nur reinlich hergestellten, sondern auch zierlichen Hofes. Hier bildete ein neues Pflaster eine glatte Fläche, und in der Mitte bemerkte man ein großes Rondel, freundlich eingehegt und mit einer Gruppe prachtvoll blühender Blumen versehen.

Zwischen den Obelisken stand ein kleiner, alter, gebückter Mann, der beim Herannahen des Wagens seine beiden Hände erhob und eifrig mit dem Kopfe nickte. So schnell sich auch in diesem Augenblicke die Bedienten vom Bock herabgestürzt hatten, um den Schlag zu öffnen, so war ihnen doch Graf Helfenberg zuvor gekommen. So leicht und gewandt wie nur in früheren Zeiten sprang er auf den Boden, nahm alsdann Eugenie in seine Arme und ließ sie erst wieder dicht vor dem alten Vater auf den Boden. Es war dies eine rührende Scene des Wiedersehens, und der alte Herr betrachtete sein Kind, nachdem er es innig abgeküßt, von allen Seiten, worauf er mit einigem Stolze meinte, Eugenie sei viel schöner geworden.

»Ein Compliment,« sagte lachend Graf Helfenberg, »für das auch vielleicht ich ein klein wenig Ursache habe, mich zu bedanken, aber –«

»Wo ist denn Mama?« fragte die junge Gräfin mit einer etwas besorgten Miene.

»Vollkommen wohl,« erwiderte der alte Herr; »aber ihr wißt wohl, Kinder, wie sie sich bei allen Dingen aufregt; heute Morgen – nun ihr könnt euch denken, daß wir seit vierzehn Tagen von eurer Ankunft sprechen – da hatte sie mit der größten Entschlossenheit alle möglichen guten Vorsätze; zuerst wollte sie auf die Eisenbahnstation fahren, um euch dort in Empfang zu nehmen; dann meinte sie, es sei besser, wenn sie sich erst am Ende unseres Waldweges zeige, aber« – unterbrach sich der Baron eifrig, »was stehen wir hier auf dem Hofe? Kommt geschwind herein! Mama wird es mit Recht für unverzeihlich halten, daß wir nicht zu ihr eilen.« – Damit faßte er den Grafen mit seinem rechten und die Tochter mit dem linken Arm und schritt mit ihnen, so schnell es ihm möglich war, dem Hause zu. – »Ja, was habe ich vordem sagen wollen?« sprach er währenddem. – »Richtig! Je näher es gegen Mittag kam, um so kürzer bestimmte sie den Weg, den sie euch entgegen gehen wolle, nicht aus Mangel an Freude – nun, das denkst du auch nicht, Eugenie, aber weil sie sich vor einer heftigen Aufregung fürchtete. Nun also, vor einer Stunde noch, da wollten wir euch bei der Brücke empfangen, dann unten am Hofe – aber wie ich vor kurzem oben am Fenster stehend das Rollen des Wagens und das Klatschen der Peitsche vernahm, da trieb sie mich allein hinunter. Ich wette, sie sitzt droben in ihrem Stuhle und weint, aber aus purer Freude,« setzte er mit glückseligem Blick hinzu; »wie könnte das auch anders sein!«

Eugenie flog die wohlbekannte Treppe hinan; oben aber mäßigte sie tief athemholend ihren Schritt und trat leise in die Thüre des Boudoirs ihrer Mutter, wo sie dieselbe wirklich auf ihrem Fauteuil sitzen sah.

»Mama, ich bin wieder hier.«

Nach diesen Worten sank sie vor der Mutter auf den Boden nieder und drückte einen Augenblick ihr Gesicht in deren beide Hände, aber nur einen Augenblick, dann hob sie ihr Haupt empor, blickte ihre Mutter durch die herabstürzenden Thränen lächelnd an und sagte: – –

»– – Mama, ich bin sehr – – sehr glücklich.«

Diese paar Worte schienen mit belebender Kraft auf die Baronin zu wirken, denn sie erhob sich plötzlich, umschlang heftig ihr Kind mit beiden Armen, küßte sie auf die Stirn, auf die Augen, auf das Haar und rief zu wiederholten Malen aus:

»Gott sei gelobt! so viel Segen habe ich nicht erwartet.«

Graf Helfenberg, der diese Scene nicht stören wollte, that dem alten Herrn den Willen, sich in ein Zimmer zu ebener Erde nöthigen zu lassen, wo dieser mit leuchtenden Blicken am Eingange stehen blieb und mit einer Handbewegung sagte:

»Sind Sie mit der Aufstellung zufrieden?«

Was hier aufgestellt war, kann sich der geneigte Leser, der unserer wahrhaftigen Geschichte mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt ist, wohl denken. So sehr sich auch der Graf freundlicher Weise das Ansehen gab, Alles dies scheinbar aufs höchste überrascht zu bewundern, so kannte er doch einen großen Theil dieser Vasen, Krüge, Lampen aufs allergenaueste, denn er hatte sie dem eifrigen Sammler durch allerlei Zwischenträger zukommen lassen, offizieller Sendungen nicht zu gedenken, die er ihm hatte aus Italien schicken lassen.

Nachdem die Sammlung gehörig bewundert war, stiegen auch sie die Treppen hinauf, wo sie oben auf dem Gange die Baronin fanden, die sich jetzt wieder so weit gefaßt hatte, um ihren Schwiegersohn zu bewillkommnen. Sie that das mit wenig Worten, aber als sie mit vor Rührung zitternder Stimme hinzusetzte: »Wie ist Eugenie so froh, so glücklich zurückgekehrt!« Da wallte ihm das Herz auf, er preßte seine Lippen heftig auf einander, und aufgeregt, wie auch er war, mußte er unwillkürlich mit den Augen zwinkern.


Drunten hatte unterdessen der Postillon ausgespannt, sein reichliches Trinkgeld empfangen, auch noch einen kühlen Labetrunk aus einem dickbäuchigen irdenen Kruge, den er wiederholt an die Lippen setzte, um ihn gänzlich zu leeren, was ihm als am heutigen festlichen Tage unumgänglich nothwendig vorgestellt wurde und wozu es auch nicht vieler Ueberredungskunst bedurfte. Zum Danke dafür half er dem Kutscher des Grafen den prächtigen Viererzug Brauner einspannen, welcher die Herrschaft von hier nach Stromberg führen sollte. Daß er von den edlen glatten Thieren hinweg, die mit den Hufen ungeduldig im Sande scharrten und mit den Köpfen schüttelten, fast mitleidig zu seinen müden Gäulen hinüberschaute, welche ihre Häupter hängen ließen, ist wohl begreiflich; doch mischte sich nicht die Spur von Neid in diese Betrachtungen. Als er sich von den Stallleuten verabschiedet hatte und in den Sattel sprang, ritt er zufrieden durch den duftigen Wald der Landstraße zu und dachte an sein kleines Haus mit der Bank davor, wo er heute Abend sitzen werde, die Beine weit ausgestreckt, seine Pfeife rauchend und dabei den Kindern erzählend von dem nobeln Herrn und der wunderschönen Dame, die er heute Nachmittag geführt.

Als der Reisewagen des Grafen eingespannt war, erschien einer der Bedienten mit der Meldung: Seine Erlaucht wollten mit der Gräfin nach Stromberg fahren in dem kleinen Phaeton, der für den Baron und die Baronin bestimmt sei, diese aber würden sich in den Reisewagen setzen.

Ob der feine Hieb, den der Kutscher nach Anhörung dieser Botschaft dem Vorläufer-Handpferd, das allerdings ein wenig ungeduldig hin und her trat, mit der äußersten Spitze der langen Peitsche versetzte, wirklich dieser Unart galt oder ob der Unmuth, die Herrschaft an diesem wichtigen Tage nicht führen zu dürfen, seinen Arm gelenkt hatte, lassen wir dahin gestellt sein, – genug, die Sache wurde ausgeführt wie vorhin befohlen.

Wenige Augenblicke nachher erschien Graf Helfenberg, die Baronin führend, und trat an seine Pferde, nachdem er den Kutscher freundlich gegrüßt, und klopfte jedem der Thiere wohlgefällig auf den schlanken Hals.

»Wie geht's, Joseph? – immer wohl gewesen?«

»Danke, Erlaucht, ja, ja, freuen uns Alle auf den heutigen Tag; hatte sehr gehofft –«

»Hm! hm!« machte einer der Bedienten, der hinter dem Kutscher stand, wobei er ihn freundschaftlich in die Rippen stieß.

Der alte Herr folgte nun mit Eugenien, und wir müssen schon gestehen, daß die sämmtliche, hier versammelte Dienerschaft mit noch größerem Interesse auf ihre neue Herrin blickte, als sie vorhin den Grafen betrachtete.

Der Baron und die Baronin bestiegen den Reisewagen; ehe der Kutscher aber davon fuhr, wandte er sich um und sagte mißmuthig zu den Bedienten: »Wir haben da droben verabredet, daß, wenn die Herrschaft im Wagen ist, einer von euch schon von weitem mit einem weißen Tuch winken soll. Das unterbleibt nun natürlicher Weise – verstanden?«

Da keine Widerrede erfolgte, nahm der Kutscher seine Zügel kunstgerecht zusammen, ließ einen leichten Zungenschlag hören und dahin rollte der Wagen auf dem weichen Waldwege mit dumpfem Geräusch; ein paar Sekunden lang galoppirte jedes, der vier ungeduldigen Thiere, bis ihnen der verdrießliche Kutscher auf seine Weise zu verstehen gab, was sich für ein wohlgesittetes herrschaftliches Pferd gezieme.

Einige Minuten nachher folgte, der leichte Phaeton mit zwei sehr raschen, aber vertrauten Pferden aus dem Stalle des Grafen bespannt, weßhalb dieser nach dem Einsteigen lächelnd die Zügel der Gräfin reichte und ihr sagte:

»Liebe Eugenie, du mußt mir schon den Gefallen thun, wenigstens eine Zeit lang den Wagen zu führen, erstens kenne ich deine Liebhaberei, und dann will ich dir auch gestehen, was ich damals, als ich noch sehr, sehr unglücklich war, schon für eigenthümliche Phantasieen erfand, um mich zu quälen. Dazu aber mußt du den Weg rechts nehmen.«

Eugenie ergriff Zügel und Peitsche und lenkte mit einer außerordentlichen Sicherheit in den schmalen Weg ein, der an dem stillen See vorbeiführte, welcher hinter dem Hause lag.

»Siehst du dort, Eugenie, dicht am Wasser jenen umgestürzten Stein? Dort saß einst – der Neffe des Jägers und dachte natürlicher Weise an dich; du warst damals in der Stadt, und quälte sich und träumte und phantasirte, bis er zuletzt weinend vor tiefem Schmerz seinen Kopf in die Hände verbarg und dann – – – – sehnsüchtig nach dem stillen, verlockenden Wasser blickte. Da war es dem Neffen des Jägers, als steige ein leichter Dunst über dem Wasser auf und trennte den glänzenden Spiegel desselben. Und als er den Kopf erhob und darauf hinblickte, meinte er, sich ein Bild im Wasser wiederspiegeln zu sehen – das Bild eines leichten Wagens wie dieser, die Gestalt zweier Pferde wie jene, und in dem Wagen die eine, die er überall sah, selbst die Zügel lenkend, da neben ihr, wie jetzt hier, ein Müssiggänger saß, dessen ganzes, seliges Geschäft darin bestand und besteht, ihr in die lieben, guten, süßen Augen zu blicken. – O Eugenie, mein Weib, hätte ich denken können, daß jener Traum in Erfüllung gehen werde!«

»Ich danke dir für die allerliebste Geschichte,« versetzte die junge Gräfin nach einer Pause. »Aber ich bitte Seine Erlaucht jetzt dringend, sich ruhig zu verhalten, denn der Weg ist hier sehr schmal, und bei der geringsten Unvorsichtigkeit liegen wir beide in dem vielfach gepriesenen See. – Also Ruhe, Herr Graf.«

»Gewiß, Frau Gräfin, Ruhe, und wenn Sie erlauben, mit Hintansetzung aller Poesie – – eine Cigarre.«

»Zugestanden. – Dorthin,« sagte die Gräfin nach einer Pause, – »weißt du auch, was dort hinaus liegt?«

»Ob ich es weiß, Eugenie! Gerne hätte ich dich vorüber geführt, aber ich habe mir gedacht, wir fahren in den nächsten Tagen dahin und bleiben einen Tag da – der Neffe des Jägers und sein Weib.«

»Das ist prächtig, Hugo; ich besorge die Küche, nach dem Essen schlafe ich in dem alten Stuhle ein und du erscheinst wie damals am Fenster.«

»– Der Neffe des Jägers.«

So fuhren die Beiden dahin, glücklich, selig. Es war ordentlich, als wenn der Wald lauschte bei ihrem fröhlichen Lachen und als ob das Echo sich ein wahres Vergnügen daraus mache, dieses Lachen immer weiter und weiter unter die alten Stämme zu bringen.

– – – Das Schloß Stromberg lag an einem Abhange, dessen Plateau ein prächtiger Wald bedeckte mit uralten Bäumen, der mit dem feinsten Geschmack und der größten Sachkenntniß zu einem der herrlichsten Parke umgeschaffen war, den man nur sehen kann. Klares, kühles, reichliches Wasser strömte von einer anstoßenden, höher liegenden Bergkette herab, bildete hier einen Wasserfall, der schäumend über die Felsen in einer wilden Waldpartie herab toste, um sich dann langsam durch eine Wiese zu schlängeln, die mit dichtem Gebüsch umgeben war, an deren Saume zuweilen ein mächtiger Edelhirsch erschien, um, wenn rings Alles ruhig und still war, seine Kühe auf die saftige Weide zu führen.

Das Schloß war ein mächtiges Gebäude, aber im heiteren Styl erbaut; auch wurde das Strenge seiner Massen gemildert durch Säulengänge unten, Balkons und Terrassen oben. Vor dem Hauptthor befand sich eine so kolossale Veranda, daß sie weit über die Rampe, wo die Wagen auffuhren, hinüber auf eine weite Terrasse reichte, die mit Steingeländer eingefaßt war und von der aus man eine wunderbare Aussicht auf den in der Tiefe vorbeifließenden breiten Strom, sowie auf und abwärts auf das Donauthal selbst hatte, welches hier mit malerisch geformten, wenn auch ziemlich flach ansteigenden Bergen begrenzt war, die an verschiedenen Stellen Kapellen, kleine Dörfer, Schlösser oder auch alte Burgruinen zeigten.

Auf der Terrasse, von der wir eben sprechen, stand ein großer, etwas starker, aber dabei wohl gewachsener Mann neben einem Lehnstuhle, in welchem eine Dame saß, die ein aufgeschlagenes Buch auf den Knieen liegen hatte. Sie las aber nicht in demselben, sondern blickte zu dem Herrn auf, der den Hut abgenommen hatte, sich mit der Hand durch das blonde Haar fuhr, dann an seinem horizontal abstehenden Schnurrbarte drehte und hierauf langsam seine Uhr hervorzog.

»Sie werden,« sagte er darauf mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme, »die Eisenbahn bis zur Station D. benutzen und kommen dort um zehn Uhr an; dorthin hat Hugo seinen Reisewagen bestellt, fährt alsdann zu deiner Schwester, was mit dem Aufenthalt dort mindestens zwei Stunden wegnimmt; von da hieher brauchen sie wieder zwei Stunden, können also um zwei Uhr anlangen. Jetzt ist es ein Uhr.«

»Du wolltest ihnen ja entgegen reiten, George.«

»Ja, ich wollte wohl, doch weiß ich nicht recht; aber du weißt, Julie, daß ich dergleichen Ueberraschungen nicht liebe.«

»Das ist aber keine Ueberraschung,« entgegnete die Dame. »Du kannst dir denken, daß meine Schwester Alles aufs umständlichste berichtet, von unserem Hiersein, von der Art, wie du alle Verbesserungen, die Helfenberg gewünscht, unter deinen Augen machen ließest, wie sehr du dich freuest, Beide wiederzusehen, und nach alle dem würden sie es seltsam von dir finden, wenn du ihnen nicht entgegen kämst.«

»Ich denke fast, du hast Recht,« sagte George von Breda, während er langsam seinen Hut aufsetzte. Der Baron hatte in den vergangenen Jahren ein klein wenig gealtert; man hätte sagen können, er halte sich nicht mehr so außerordentlich aufrecht wie früher. Doch zeigte sein Gesicht einen angenehmen Zug von Zufriedenheit und seine Augen blickten ruhig und heiter. – »So will ich denn reiten,« sagte er; »wenn ich nur genau wüßte, welchen Weg ich nehmen soll; ich kann mir nicht recht denken, daß Hugo vom Gute deiner Schwester nach der Chaussee einbiegen läßt; ich glaube immer, er fährt den Waldweg.«

»Mit dem schweren Reisewagen? – wo denkst du hin!«

»Ich habe für Henriette einen Phaeton hinausgeschickt; du wirst sehen, den benutzt er selber mit Eugenien.«

Er sprach diesen Namen freundlich, ruhig und wohlwollend aus, ohne daß sich ein Zug in seinem Gesichte geändert hätte. Dann beugte er sich über das Geländer hinab und rief: »Lassen Sie Lord vorführen!« Er reichte seiner Frau die Hand, stieg die Treppen der Terrasse hinab, schwang sich unten auf sein Pferd und ritt langsam auf der breiten Straße dem Thale zu.

Wie wir vorhin das Schloß Stromberg flüchtig beschrieben, so sah es zu gewöhnlichen Zeiten aus, heute aber bemerkte man an seinem Aeußeren, daß sich hier etwas ganz Absonderliches begab. Da war am Fuße des Berges, wo der Weg sich bog, aus grünem Laub eine Triumphpforte gebaut; da sah man die Straße entlang bis zum Schlosse zu beiden Seiten hohe Stangen, an denen lustige Flaggen in Weiß und Blau, den Farben des Helfenberg'schen Hauses, prangten; da waren die Fenster oben mit Blumenguirlanden geschmückt, über die Ballustrade des breiten Balkons herab hingen buntfarbige Teppiche, und hoch oben auf dem Dache war die große Fahne mit dem Wappen aufgezogen.

Vor der Terrasse dehnte sich eine Strecke weit den Berg hinab eine weite Rasenfläche mit den verschiedensten Blumenpartieen, in deren Mitte sich ein großes Bassin befand, aus dem ein dicker Wasserstrahl hoch empor sprühte. An dem Wasserbassin sah man neugierige kleine Mädchen stehen in weißem Anzuge und Knaben im Sonntagsstaate – die Schuljugend des zur Herrschaft gehörigen Dorfes, welche, den Lehrer an der Spitze, gekommen war, den Grafen und die Gräfin gehörig zu begrüßen.

Unterhalb dieses Rasenplatzes sah man Zurüstungen zu allerlei Feuerwerk gemacht, auch führte von dort ein kleiner geschlängelter Pfad nach einer Art Bastei, die sich zur Seite befand, wo der Berg ziemlich steil in das Donauthal abfiel. Diese Bastei war mit kleinen Kanonen und Böllern besetzt; in der Mitte erhob sich eine Stange, ebenfalls mit weiß und blauer Fahne, und an der kleinen Mauer, welche das Ganze hier umgab, lehnte ein Mann mit dichtem Barte und brummte in tiefem Baß vor sich hin:

»Ihr Constabler auf der Schanze,
Spieltet auf zu diesem Tanze
Mit Karthaunen groß und klein.

»Ja, ja,« unterbrach er darauf sein Lied, »wenn es nur bald einmal losginge! Es ist nichts langweiligeres, als hinter einem so geladenen Ding zu stehen, und eine Ewigkeit warten zu müssen. Wie ist's denn eigentlich mit Ihm?« wandte er sich an eine kleine dünne Person, die neben ihm stand, und mit zusammengelegten Händen auf den stillen Muß hinabschaute und dabei ein Mal um das andere Mal ausrief: »Ach wie schön, wie außerordentlich schön und poetisch; fast unerträglich schön!«

»Wie steht's denn eigentlich mit der Schießcourage, Windspiel? Können wir darin etwas leisten, oder fallen wir beim ersten Schuß um, wie eine ohnmächtig gewordene Fliege?«

»Wir sollten uns doch lange genug kennen, Herr Wurzel als daß Sie nöthig hätten, an meinem Muthe zu zweifeln. Ich denke, ich habe Ihnen bewiesen – damals – es war eine harte, eine poetische Zeit, es war eine traurige Zeit.«

»Allerdings,« gab der Kupferstecher zur Antwort, indem er mit der Hand über das Gesicht fuhr und sich dann in dem dichten Barte zauste, »reden wir nicht davon, ich muß so oft genug daran denken.«

»Ja, ja,« seufzte der kleine Kellner, »das hätte er noch mit erleben sollen, hier der schöne Tag auf der Schanze, das Schießen mit den Kanonen, es hätte ihn unsäglich gefreut – Gott hab' ihn selig.«

»Das wird er, ohne alle Frage,« meinte der Andere, »es wäre sonst keine Gerechtigkeit da oben; er war eine gute, treue und ehrliche Seele; so vom Schlage der alten, biedern Ritter.«

Während unsere beiden Freunde dieses kleine Zwiegespräch hielten und dabei fleißig nachspähten, ob sich auf dem Wege nichts sehen ließe, stand am Fuße der Terrasse, von der wir oben gesprochen, ein großer Mann, im Anzug eines herrschaftlichen Försters. Er war stattlich anzusehen in seinem grünen Rocke, der mit silbernen Knöpfen und eben solchen Litzen versehen war. Er hatte einen Hirschfänger umgeschnallt und hielt seinen Hut in der Hand. Es macht uns einige Mühe, den Herrn Brenner wieder zu erkennen, denn er hatte seinen vollen Kinnbart abgeschnitten und, wie sich für einen herrschaftlichen Förster geziemte, nur den Schnurrbart stehen lassen. Die kleinere Persönlichkeit neben ihm erkennen wir augenblicklich, denn in dessen Gesichte hatte sich außerordentlich wenig verändert; Gottschalk war indessen ziemlich gewachsen und sah außerordentlich gut aus in der Kleidung, wie sie die Zöglinge der königlichen Forstakademie trugen.

Die beiden eben Erwähnten standen vor einem Dritten, der auf einem Steine am Fuße des Berges saß und jetzt seine Brille fester an die Augen schob und dabei nach der kleinen Schanze hinabblickte.

»Sie werden mir zugeben, lieber Brenner,« sagte der Mann mit der Brille, »daß es durchaus nichts schaden kann, wenn wir den beiden sonderbaren Artilleristen da unten noch Jemand vom Fache zugeben – der Kupferstecher, sonst ein braver Mann, er hat bei der Decoration im Schlosse aufs Allerbeste geholfen, und der kleine Kellner sind mir nicht genügend, um ihnen da unten die Kanonen allein anzuvertrauen. – Sie werden mir erlauben, daß ich diese Bemerkung gegen Sie ausspreche, item Sie bitte, noch Jemand dahin abschicke.«

»Gewiß, Herr Doktor, es soll geschehen, wie Sie sagen, Klaus kann hinab und Gottschalk auch.«

»So ist's recht,« erwiderte der Armenarzt, »Sie werden mir die Bemerkung nicht verübeln, daß ich gar keine Lust habe, heute mein Verbandzeug auszupacken. Ich bin zu etwas ganz Anderem daher gekommen, das werden Sie mir zugeben.«

»Der Kupferstecher ist sonst ein ganz gewandter Mann und außerordentlich gefällig und bereitwillig. Ist er doch mit seinem Hauswirthe, dem Zimmermaler Klein, ohne alle Aufforderung hergegangen, um mitzuhelfen. Hat er doch den kleinen Kellner mitgebracht, der ebenfalls Alles gethan, um sich nützlich zu machen. – Heute früh,« fuhr Herr Brenner mit leiser Stimme fort, wobei er sich gegen den Doktor niederbeugte, »haben sie drunten in dem Saale, wo die Dienerschaft speisen soll, das alte Bild des Herrn Larioz aufgehängt und außerordentlich schön mit Grün decorirt.«

»Ah, das alte Bild aus seinem Nachlasse?«

»Dasselbe, es ist aber doch wohl sein Portrait; die Gesellschaft im Reibstein hat es angekauft, und mir erklärte der Kupferstecher, mit Bewilligung seiner Erlaucht wolle er es hieher aufs Schloß stiften, und am heutigen Tage dürfe es nun einmal keinenfalls fehlen.«

»Ja, ja, er hat schon Recht!« meinte der Doktor kopfnickend, »und da es sich nun doch einmal nicht anders wird thun lassen, als daß ich häufig hier oben bin, so werde ich es mir auf mein Zimmer hängen lassen, und wenn mich dann der Gottschalk da besucht, um mir,« setzte er mit einem gewissen Blinzeln der Augen hinzu, »von seinen Fortschritten zu erzählen, item, seine guten Zeugnisse vorzulegen, so kann ich mich dann dabei einer Zeit erinnern, die ich mit zu der besten meines Lebens rechnen darf – ja, mit zu der glücklichsten, wenn der Schluß desselben einestheils nicht so traurig gewesen wäre.«

P-r-r-r-dauz! – knallte es jetzt unten auf der Schanze, und man sah den Kupferstecher, sowie das Windspiel umherspringen, als wenn beide närrisch geworden wären.

Prrrdauz, bum, bum, krachte es wieder und Alles gerieth in Bewegung.

Gottschalk eilte mit dem alten Jäger Klaus, der aus dem Nebengebäude herankam, nach der Schanze hinab, um dort die beiden Künstler zu unterstützen, welche darauf losknallten, als müßten sie einen toll heranstürmenden Feind abwehren. Die Kinder, die um das Bassin standen, kamen in Bewegung, stellten sich in Reih' und Glied und ordneten ihre Blumenguirlanden, während ihnen der Lehrer in aller Eile noch einige Instruktionen gab.

Aus den Nebengebäuden kam die Dienerschaft zahlreich herbei in der großen Galalivree und stellte sich am Eingänge der Terrasse auf. Der Haushofmeister, die Kammerdiener, der wohlgenährte Portier, Leibjäger und Lakaien; Herr Brenner stand mit den übrigen Beamten auf der Terrasse selbst. – Zwischen den glänzenden Livreen bemerkte man ein mageres Männchen mit unverkennbaren Zeichen großer Unruhe im Gesichte, eilig hin- und her rennend, um dort einen Rock schärfer in die Taille hinabzuziehen, hier einer Troddel oder Quaste ihren richtigen Platz anzuweisen, dort die Maschen einer weißen Halsbinde auszubreiten, um dadurch dem ganzen Anzug des Betreffenden mehr Glanz zu verleihen – es war Herr Schwörer, der sich also bemühte, und der nun zurücktretend und das Ganze mit Kennerblicken überschauend, sich selbst eingestehen mußte, daß er mit Kunst, Geschmack und Eleganz gearbeitet!

Pr-r-r-dauz – bum – bum.

»Die haben doch unter der Schanze nicht recht aufgepaßt,« sagte Herr Brenner mit besorgtem Blick; »der Reisewagen seiner Erlaucht fährt dort freilich herauf, aber keiner von den Bedienten gibt ein Zeichen. Die Kerle sitzen so stocksteif da, als wenn sie angefroren wären; was ist nun das schon wieder?« Drunten sah man indessen Gottschalk auf der Mauer der Bastei stehen und nun ein Zeichen geben, eifrig mit Schießen fortzufahren.

P-r-r-r-dauz, bum, bum, P-r-r-r dauz – bum.

Jetzt war der Wagen unten an die Terrasse gefahren und der alte Herr von Braachen mit seiner Gemahlin ausgestiegen, Leide freundlich grüßend, worauf der erstere eifrig hinter sich wies.

Da wurde denn auch, jetzt schon über dem Triumphbogen der leichte Phaeton sichtbar, der sich in raschem Lauf der Pforte näherte; neben der linken Seite desselben, wo jetzt die junge Gräfin saß, ritt der Baron von Breda.

Die Begrüßung der neuen Gutsherrschaft ging nun vor sich, wie das bei ähnlichen Veranlassungen zu geschehen pflegt. Die Schuljugend sang so richtig, als es nur möglich war, irgend einen beliebigen Choral. Dann überreichte eines der Mädchen den gewissen Blumenstrauß, der Lehrer selbst das unvermeidliche Gedicht, die Beamten machten ihre Verbeugungen, wurden einzeln der jungen Gräfin vorgestellt und von seiner Erlaucht mit freundlichem Handschlag begrüßt. Herr Brenner, als er das junge glücklichaussehende Paar vor sich sah, konnte sich nicht enthalten, in diesem feierlichen Momente zu sich selbst zu sagen: Schäme dich, alter Narr! Dabei mußte er unwillkürlich die Lippen zusammenbeißen und es war ihm gerade, als sei ihm etwas in's Auge geflogen, das ihn sehr inkommodirte.

Der Baron George von Breda hatte sich während des Empfangs in den anstoßenden Park verloren, und kam erst einige Zeit später wieder zu der Gesellschaft, als diese schon zu dem kleinen Familiendiner im Saale des ersten Stockes, wo man vom Balkon die wunderbare Aussicht hatte, versammelt war. Dort draußen an der Balustrade lehnte Eugenie und sah mit feuchtem Blick und einem milden Lächeln auf den Zügen in die herrliche Fernsicht, die sich von hier oben weit ihrem Blicke eröffnete. Als der Baron neben sie trat, legte sie zutraulich ihre Hand auf seine Schulter und sagte ganz im herzlichen Tone früherer Zeiten: »Onkel George, wie es hier so schön ist! – – – –«

Der Kupferstecher und Windspiel hatten sich in eine wahre Wuth hineingeschossen, und man mußte sie, als es nun auch für alle die Eingeladenen Zeit zum Essen war, fast gewaltsam von ihren Kanonen und Böllern wegziehen. Der kleine Kellner hatte das Krachen der Geschütze und das Hinziehen des kräuselnden Rauches über alle Beschreibung poetisch gefunden, und als er in dieser weichen, gerührten Stimmung in das Gemach trat, wo er das Portrait seines Freundes und Gönners nun mit frischem Grün bekränzt, wieder erblickte, da fing er an zu schluchzen, und Herr Wurzel mußte ihn derb schütteln, um ihn wieder zur Besinnung zu bringen und in eine gehörige Verfassung zu setzen.

Bei dem Mahle, das hier unten stattfand und wozu sich die Köche keine schlechte Mühe gegeben hatten, da es galt, ihre Collegen zu bewirthen, führte der Haushofmeister, – eine würdige und ernste Persönlichkeit in untadelhafter weißer Halsbinde, – er schlug häufig die Augen nieder und stieß leicht mit der Zunge an, – den Vorsitz. Es war ein großes allgemeines Diner, zu welchem sich Herr Wurzel und Herr Brenner, sowie noch ein paar andere Kunstgenossen, die hier oben beschäftigt waren, freiwillig und mit großer Lust gesellt, obgleich für sie ein Extradiner befohlen war.

Gegen das Ende der Mahlzeit erschienen der Graf und die Gräfin und gingen rings um den Tisch, um jedem der Anwesenden ein paar freundliche Worte zu sagen. Ihnen war der kleine Armenarzt gefolgt, der aber zurückblieb, nachdem der Herr des Schlosses mit seiner Gemahlin das Gemach verlassen, gefolgt von jubelndem Lebehochruf und Klirren der Gläser.

Als es wieder stille geworden war und die eifrig beschäftigten Küchenjungen und Stallbuben die Gläser wieder gefüllt hatten – wir können hierbei nicht umhin, zu bemerken, daß in Windspiels Gliedern häufig die heftigste Begierde zuckte, ihnen zu helfen – erhob sich Meister Jonathan, der dicke Portier, nachdem er vorher pflichtschuldigst den Vorsitzenden um Erlaubniß gefragt, hielt sein Glas vor das rechte Auge und sagte alsdann: »So viel ich mich erinnere, meine Herren und Collegen, ist es noch nie vorgekommen, daß man auf den lieben Herrgott einen Toast ausgebracht; wenn er aber Dinge thut, die an's Wunderbare grenzen, und wir dürfen ihn denn doch selbst nicht leben lassen, so müssen wir uns dafür an die halten, die er auserwählt, seinen göttlichen Willen zu erfüllen. Da ist nun in erster Reihe zu nennen« – hier verdrehte der Portier beinahe seinen dicken Hals, um den Armenarzt anzuschauen, der sich bei beginnendem Trinkspruch scheu zurückgezogen hatte – »der würdige Herr Doktor Flecker, den ich zu meinem Leibmedicus machen würde, wenn ich König wäre – ein braver Mann, ein weiser Mann, denn er besorgt seine Wunderkuren nicht mit den scheußlichen Tropfen aus der Apotheke, sondern mit Hausmitteln; ja, verehrteste Herren, Freunde und Collegen –« hier zitterte seine Stimme vor Rührung – »mit den einfachsten Hausmitteln – und deßhalb soll er leben« – – brüllte er nun mit aller Kraft seiner immensen Lungen – »leben – der Herr Doktor Flecker und alle Hausmittel – hoch – hoch – und abermals hoch!«

Der Doktor konnte mit der Ovation, die ihm dargebracht wurde, zufrieden sein, denn ihm gellten die Ohren davon und die Fenster klirrten ordentlich darnach.

Um seinen Dank auszusprechen, trat er nah zum Tische, ließ sich ein volles Glas reichen und sagte, nachdem er einen Augenblick die Brillenstange mit dem Daumen- und Zeigefinger gefaßt:

»Meine verehrten, lieben Herren und Freunde, da wir einmal bei dem Kapitel find, um den Ursachen nachzuspüren, die mithelfen, um, wie sich mein verehrter Vorredner schmeichelhaft für mich ausdrückte, ein Wunder zu bewirken, so werden Sie mir erlauben, daß ich allerdings die Hausmittel gelten lasse. Ich muß aber in vorliegendem Falle, werden Sie mir zugeben, noch weiter zurückgreifen, um eines Mannes zu gedenken, der es mir möglich machte, der, wollte ich sagen, mich in den Fall setzte, Hausmittel anwenden zu können; mit einem Worte eines Mannes, der mir, wenn auch als willenloses Werkzeug diente, die Bekanntschaft mit dem Herrn Grafen von Helfenberg zu machen, item eines braven Mannes, den manche unter euch gekannt, geschätzt, geliebt.« –

Herr Wurzel blickte mit einer finsteren Schwermuth vor sich nieder; Windspiel wurde, wie man im gewöhnlichen Leben faßt, vom Bocke gestoßen, und Herr Brenner, der Portier und manche Andere nickten zustimmend mit dem Kopfe.

»Dieser Mann,« fuhr der Doktor fort, »unser geliebter Freund ist todt, und da Sie mir zugestehen müssen, daß es sich nicht ziemt, ein Lebehoch auf einen Todten auszubringen, so will ich mir nur erlauben, seiner hier, vor dem Bild dorten, das Freundeshand mit Grün geschmückt, bestens zu gedenken, und bitte Sie, darauf Ihre Gläser zu leeren. – Es war ein Mann, der gekämpft und gelitten, der das Gute gewollt mit redlichem Herzen, aber zu Vollbringung desselben nicht immer die richtigen Mittel anwandte, er focht mit begeistertem Worte, mit kräftigem Arme gegen Phantome und Gespenster, gegen Sünden und Lächerlichkeiten, die ihm im Leben entgegentraten und die er, anstatt sie mit gleichen Waffen bekämpfen zu wollen, mit Schwert und Lanze zu vertilgen hoffte – – ein anderer Don Quixote – – ein ungleicher Kampf! – – gegen eingebildete Riesen. Sie werden mir zugeben, daß er gegen den Schatten sausender Windmühlen, item gegen ungreifbare Dinge unterliegen mußte – der neue Don Quixote; aber in dem Herzen seiner Freunde, die ihn gekannt, geliebt und verehrt, möge er fortleben, möge ihm bewahrt bleiben eine gute, eine freundliche, eine herzliche Erinnerung.« – –


Denkt vielleicht der geneigte Leser ebenso? –


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