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Achtundfünfzigstes Kapitel.
Ein unterbrochenes Opferfest


An jenem Tage, an welchem zugleich mit Baron Fremont und Herrn von Tendern der Rechtsconsulent Doktor Plager das Palais des Grafen Helfenberg verließ, hatte der Advokat mit Hülfe seiner scharfen Ohren wohl die Aeußerung Fremonts vernommen, daß der polnische Graf Czrabowski einer der niederträchtigsten Schufte sei, die ungehenkt umherlaufen. Daß es ihm höchst unangenehm war, solches über einen Mann zu hören, der nächstens mit seiner Familie in enge Verbindung treten sollte, ist leicht begreiflich. Wenn er auch bei sich überlegte, daß der Baron in einem gereizten Zustande war und man daher dessen Worte nicht so genau nehmen dürfe, so wurde doch ein schlummernder Argwohn gegen den Grafen unwillkürlich in seiner Brust geweckt. Und als ein Mann, dessen Geschäft es war, Thatsachen mit Hülfe von Worten, Blicken, ja, selbst von Winken zu einem erfreulichen oder unerfreulichen Ganzen zusammen zu stellen, konnte er auch in diesem Falle von der eben genannten Gewohnheit nicht lassen und stickte sich aus manchem, was ihm an seinem künftigen Schwager im Laufe der Zeit mißfallen, ein Gewand zusammen, mit dem man wohl Jemand bekleiden konnte, dessen Thun und Treiben zu Aeußerungen, wie die des Herrn Baron von Fremont, berechtigten. Sein alter Argwohn, der siegreich niedergekämpft worden war durch die Reden seiner Frau, der Madame Weibel, nicht zu vergessen des Vertrauens, welches der sonst so vorsichtige Schwager Banquier dem Polen bewies, vor Allem aber durch die Zuversichtlichkeit Clementinens, mit der sie überzeugt war, durch Vereinigung mit diesem edlen Charakter glücklich zu werden, fing jetzt wieder an, hohnlachend sein verzerrtes Haupt zu erheben und ihm zuzuflüstern: Die Sache ist faul, faul, sehr faul!

Auf dem ganzen Wege nach Hause beschäftigten ihn diese Gedanken, und als er die Treppen seiner Wohnung langsam hinaufstieg und, droben angekommen, aus dem Zimmer seiner Frau den Gesang Clementinens vernahm, welcher der Welt verkündigte, daß glücklich allein sei die Seele, die liebt, hätte ein wehmüthiges Gefühl sein. Herz beschleichen können, wenn er nicht gleich darauf die harte Stimme der Schwiegermutter vernommen hätte, welche zur fröhlich Singenden sagte:

»Höre auf, Clementine, er kommt; wenn er dich so guter Laune hört, so wird er nothwendig etwas Unangenehmes für dich haben müssen, um den Uebermuth, wie er es nennt, zu dämpfen. Mag der Himmel wissen, warum es diesem Mann unmöglich ist, Unserer Familie etwas Gutes zu wünschen.«

Wir setzen den Fall, der Rechtsconsulent hätte wirklich unter dem Einflusse seiner eben erwähnten Gedanken einige Worte über den Grafen Czrabowski fallen lassen, so würde er dieses sicher in angenehmer, weicher, mitfühlender Art gethan haben, kaum als eine leichte Warnung, eher noch als eine sorgliche Frage, – ob denn Clementine auch in der That hoffe, mit ihrem Erwählten glücklich zu werden? Ja, er war unerklärlicherweise zur Wehmuth geneigt, die Kammern seines Herzens standen weit offen, harrend eines freundlichen Wortes, das von ihm mit Rath und That vergolten worden wäre. Aber nun bei der scharfen Aeußerung der geliebten Schwiegermutter, einer Aeußerung, die für ihn berechnet war und wovon er keine Sylbe verlor, klappten diese geöffneten Kammern seines Herzens heftig zu, seine Gefühle verwandelten sich in Haß und Groll, er tauchte mit dem Kopfe in die schützende Halsbinde hinab und erschien vor der Familie mit einem majestätischen Stirnrunzeln.

Zu gleicher Zeit trat auch Babette mit einem Briefchen an Fräulein Clementine Weibel, das so eben außen abgegeben worden war, in das Zimmer. Von wem dieser Brief kam, sah man deutlich an dem Farbenwechsel auf dem Gesichte der jungen Verlobten. Was in demselben stand, würde unfehlbar für den Herrn des Hauses Geheimniß geblieben sein, wenn er nicht, dies voraus wissend, auf seine Art manövrirt hätte, da es ihm begreiflich nicht uninteressant war, zu wissen, was der edle Graf schrieb.

Nachdem er also gefragt, ob vielleicht Jemand da gewesen sei, der ihn zu sprechen verlangt, sagte er zu Clementinen: »Ich komme eigentlich, dir zu sagen, daß ich einen Gang zu Czrabowski thun muß, und wollte mich nur bei dir erkundigen, ob du nicht irgend einen Auftrag an ihn habest.«

Clementine hatte den Brief gelesen, ließ ihn darauf mit der Hand, die ihn hielt, in den Schooß sinken und blickte nachsinnend zum Fenster hinaus. Sie hatte wohl die Frage ihres Schwagers verstanden, aber es dauerte eine kleine Weile, ehe sie eine Antwort gab, und auch dann nur indirekt, denn sie wandte sich an ihre Mutter und sagte ihr: »Stanislaus schreibt mir so eben, daß er auf zwei Tage verreist.«

Madame Weibel blickte erstaunt in die Höhe; da sie aber bemerkte, daß ihr Schwiegersohn ebenfalls ein verändertes Gesicht zeigte, so änderte sie augenblicklich den Ausdruck des ihrigen und sprach lächelnd: »Er wird seine Gründe haben; laß' mich doch sehen, was er schreibt.«

»Da, meine Mama,« versetzte das junge Mädchen und reichte den Brief hinüber.

Madame Weibel durchlas denselben, auf ihrem Gesichte zeigte sich ein freundliches Schmunzeln, und sie sagte mit Salbung, nicht ohne einen Seitenblick auf den Rechtsconsulenten zu werfen: »Ein nobler Mann, ein gefühlvoller Mann; es muß ihm gut gehen auf Erden, denn er achtet und verehrt die Mitglieder seiner Familie.«

»Herr Graf Czrabowski ist also verreist?« erlaubte sich der Hausherr zu fragen. »So nützt es demnach nichts, wenn ich gehe, ihn aufzusuchen.«

»Es wäre in der That überflüssig,« erwiderte Madame Weibel mit erhobener Nase. »Du lieber Gott, mein Herr Schwiegersohn, Sie hätten früher so häufig Gelegenheit gehabt, Ihre Besuche zu machen, und dachten nicht daran. Der gute Graf wird sich schon daran gewöhnt haben, von Ihnen als Bagatelle behandelt zu werden, oder wird das, was noch wahrscheinlicher ist, nicht einmal bemerken.«

»Auf Ihre freundliche Rede,« sprach lächelnd der Rechtsconsulent, »werden Sie mir die Bemerkung erlauben, daß ich den sehr edlen Grafen von Czrabowski nie en bagatelle behandelt; ich habe nicht mein Mißtrauen verhehlt, so lange ich solches für gerechtfertigt hielt, und bin ihm freundlich entgegen gekommen, sobald sich – die Familie für ihn entschieden.«

»Die Familie,« wiederholte achselzuckend Clementine.

»Ich habe nicht gesagt, die Familie,« gab der Hausherr zur Antwort, »sondern ich sagte die Familie. Aber laßt uns nicht über Worte streiten. Also ich kann meinen Besuch beim künftigen Herrn Schwager sparen?«

»Vollkommen,« meinte würdevoll die Schwiegermutter. »Die Familie erläßt Ihnen das; und Graf Stanislaus wird auch nicht untröstlich darüber sein, daß wir Sie zurückgehalten. – Er ist doch ein feiner, gebildeter Mann, Czrabowski, voll Aufmerksamkeiten gegen uns alle; wenn du auch nicht Frau Gräfin würdest, Clementine, so müßtest doch du und wir alle durch diese Verbindung glücklich werden und den Glanz empfangen, welcher der Familie Weibel eigentlich zukommt.«

Jetzt hielt es der Rechtsconsulent für angemessen, an seinen Rückzug zu denken, weßhalb er sich in sein Zimmer begab, worauf alsbald die Damen den Brief des edlen Grafen einer ziemlich genauen Besprechung unterwarfen.

Stanislaus schrieb an Clementine:

 

»Geliebtes Mädchen! Mein Onkel, Graf Wladimir Czrabowski, will uns bei unserer Vermählung durch seine Gegenwart erfreuen. Er reist zu diesem Zwecke den weiten Weg von Warschau hieher, weßhalb ich nicht weniger thun kann, als ihm eine Tagereise entgegen zu fahren.

»Es ist eine Pflicht der Dankbarkeit, von der ich dich hätte mündlich in Kenntniß setzen sollen; aber ich fürchtete deine süßen Augen, deine verlockenden Worte.

»Verzeihe mir, Geliebte; nebenbei habe ich noch immer etwas überflüssige Romantik an mir, und habe es mir so reizend ausgemalt, dich ein paar Tage nicht zu sehen, um dann mit einem Male zu jener seligsten Stunde meines Lebens vor dir zu erscheinen und mein Glück in Empfang zu nehmen.

»Fünf Schläge der Uhr darfst du an jenem Morgen zählen, beim sechsten wird an deine Brust sinken

Dein Stanislaus

 

Madame Weibel fand diese kleine Trennung von ein paar Tagen reizend, Clementine versicherte, sie wisse nichts Poetischeres, als daß er mit dem sechsten Schlage der Uhr an ihr Herz sinken werde. Die Rechtsconsulentin allein schien mit ihrer hausbackenen Natur nicht vollkommen befähigt zu sein, die ganze ungeheure Romantik in dem Schreiben des sehr edlen Grafen von Czrabowski zu erfassen; ja, sie erhob sich gedankenvoll von ihrem Stuhle, ging in das Zimmer ihres Mannes, that, als wenn sie dort etwas zu suchen hätte, und fragte nur so nebenbei und in gleichgültigem Tone: »Wenn er verreist ist, gehst du wohl nicht in seine Wohnung?«

Doktor Plager rieb sich ein paar Sekunden lang die Stirn mit der Hand und versetzte alsdann: »Ich werde doch vielleicht nach seiner Wohnung gehen, um zu erfahren, wann er abgereist ist. Es könnte ja sein,« setzte er mit Betonung hinzu, »daß er irgend einen Auftrag an uns zurückgelassen hätte.«

Die Rechtsconsulentin blickte ihren Mann an, doch war auf dessen Gesichte nicht sonderlich viel zu lesen, er hatte den Mund gespitzt, als pfeife er irgend eine Melodie, und ließ dabei die Augenlider niederfallen, wie wenn er seine Gedanken von den Eindrücken der Umgebung frei erhalten wollte.

»Dieser Graf von Czrabowski,« sagte er, als er seinen Hut nahm, um wegzugehen, »ist, wie mich deine Mutter unzählige Male versichert hat, einer der ehrenhaftesten Charaktere, die in der Welt zu finden sind, und wenn er etwas thut, was wir anderen, minder hoch begabten Menschen augenblicklich nicht zu deuten verstehen, so hat er gewiß seine guten Gründe dafür, die wir auf alle Fälle achten müssen.«

»Das ist recht gut gesagt,« meinte etwas pikirt Madame Plager; »aber du denkst anders, das sehe ich dir an.«

»Und wenn dem so wäre?« versetzte der Rechtsconsulent. »Bin ich nicht leider seit langer Zeit in diesem Hause gezwungen, meine Gedanken zu verheimlichen, als ob jeder derselben ein Verbrechen wäre? Diesen Kriegszustand verdanke ich deiner Mutter.«

Madame Plager seufzte gelinde auf, und ob es nun nur die Neugierde war, die Gedanken ihres Mannes in Bezug auf ihren künftigen Schwager zu erfahren, oder ob wirklich die vernünftige Idee bei ihr zum Durchbruch kam, ihre Mutter dominire etwas zu viel und mische sich in Angelegenheiten, die sie eigentlich nichts angehen – genug, die Rechtsconsulentin fuhr mit sanfter Stimme fort: »Du hast darin nicht unrecht, aber ich, als deine Frau, könnte doch eigentlich verlangen, deine wahren Gedanken in wichtigen Dingen zu erfahren.«

»Du, als meine Frau?« rief fast erstaunt der Hausherr. »Allerdings, wenn du das sein wolltest, hättest du nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, nach meinen innersten Gedanken und geheimsten Wünschen zu forschen. Aber, liebe Emilie, bis jetzt hast du noch keine Neigung gezeigt, dich auf jene Stufe zu erheben, die du eigentlich im Hause einnehmen solltest; du warst bisher nicht die Gebieterin desselben, du stelltest weniger die Frau deines Mannes vor, als die Tochter deiner Mutter; du gabst die Herrschaft aus deinen Händen, du ließest dieselbe listiger Weise mir entwinden, um deiner geliebten Mutter ein schweres Scepter in die harte Faust zu drücken, mit welchem sie sich das kindliche Vergnügen macht, Jedem von uns auf den Kopf zu schlagen, der sich erlaubt, die Nase etwas selbstständig zu erheben. O, das ist unerträglich, Emilie, und führt zu bösen Händeln.«

Obgleich Madame Plager eifrig an ihrer Schublade zu kramen schien, hatte sie doch aufmerksam den Reden ihres Mannes gelauscht; man bemerkte das an ihrem freilich kaum sichtbaren Kopfnicken, sowie an einem beistimmenden Blicke, den sie zuweilen seitwärts empor sandte; ja, sie entfernte sich jetzt von ihrer Commode, nicht um das Zimmer zu verlassen, vielmehr um die Thür desselben in Betracht der Nachbarschaft zu schließen.

»Es ist wahr, viel könnte anders sein,« sagte sie alsdann.

»O, viel, sehr viel, außerordentlich viel!« gab der Hausherr in stiller Freude zur Antwort. »Bei uns allen könnte Manches anders sein; nicht nur bei dir, sondern auch bei mir, – gewiß, bei mir nicht minder. Die Aufgeregtheit, mit welcher ich manche Sachen zu beurtheilen pflege, würde weniger hervortreten und sich nicht so scharf äußern, wenn ich nicht zum Voraus wüßte, daß in euren Augen das Unrecht stets auf meiner Seite ist und daß alles, was ich rechtmäßiger Weise auszusetzen habe, von euch aus Grundsatz nicht anerkannt wird. – Du hast gute Eigenschaften, liebe Emilie,« setzte er mit weicher Stimme hinzu, »vortreffliche Eigenschaften; aber statt auf meine wohlgemeinten Rathschläge und Ermahnungen zu hören, lässest du dir von deiner Mutter in den Kopf setzen, du seiest, wie alle Mitglieder deiner Familie, von einer rührenden Vollkommenheit, und alles, was ich mir erlaube dir zu sagen, geschehe nicht in der Absicht, Dies oder Das in unserm Haushalte zu bessern, sondern nur, um dir das Leben durch Vorwürfe und Plackereien unerträglich zu machen. Wir haben alle unsere Schwächen, meine liebe Emilie, aber ich kann dich versichern, daß ich es in jeder Beziehung mit dir und den Kindern redlich und gut meine.«

»Ach, wenn ich das gewiß wüßte! wenn ich daran glauben könnte!« sprach Madame Plager mit leiser Stimme, wobei sie ihrem Manne die rechte Hand ließ, die dieser ergriffen hatte und freundlich zwischen seinen Fingern drückte.

»Den Glauben hattest du, aber du hast ihn gewaltsam unterdrückt,« erwiderte der Rechtsconsulent. »Warum solltest du auch den Glauben nicht haben, da du aus meinen Handlungen sehen mußt, wie gut ich es mit dir und den Kindern meine? Aber dein Vertrauen zu mir stand auf schwachen Füßen, es war untergraben worden durch die freundschaftlichen Worte deiner lieben Mutter, welche dir einredete, du habest in allen Dingen Recht, und daher kamst du auch nicht zu einer Erkenntniß deiner Fehler. Es sind überhaupt zu wenige Menschen dazu geneigt, ihre Mängel einzusehen, und wenn man sie noch darin bestärkt, sie hätten wirklich keine, so nehmen sie das aufs bereitwilligste auf, und wo die Selbsterkenntniß fehlt, da ist auch eine Aenderung ganz unmöglich.« –

»Emilie!« hörte man aus dem Nebenzimmer die laute Stimme der Madame Weibel, und die gehorsame Tochter wollte augenblicklich von ihrem Manne fortspringen, zu welchem Ende sie die hervorgesuchten Chemisetten, Aermel und dergleichen so schnell und unordentlich wie möglich in die Schublade hineinstopfte. Der Rechtsconsulent aber hielt sie sanft zurück, indem er sagte:

»Beginne jetzt, das deinem Manne zu sein, was du ihm sein sollst; räume deine Sachen gehörig auf; ich will deiner Mutter sagen, wo du bist.« Damit öffnete er die Thür, und da der Ruf der Madame Weibel zum zweiten und dritten Male immer schriller erscholl, rief er durch den Salon hinüber: »Emilie ist bei mir, ihrem Manne, sie hat etwas hier zu thun und wird zu Ihnen kommen, sobald sie fertig ist.«

»Sie ist bei ihm!« vernahm man die Stimme der Schwiegermutter mit einem eigenthümlichen Lachen. »O Gott! Clementine, hörst du es? sie ist bei ihm – das glückliche Weib! Hahaha! das ist wirklich ungeheuer komisch.«

»Ja, bei mir,« antwortete der Hausherr mit lauter Stimme. Und es wäre wahrscheinlich wieder eines der gewöhnlichen Wortgeplänkel entstanden, wenn Madame Plager ihren Mann nicht sanft zurückgezogen, alsdann die Thür geschlossen und mit weicher Stimme gesagt hätte:

»Ja, ich bin bei dir, und bleibe auch da, so lange du es wünschest. Deßhalb laß das Andere gut sein, ich versichere dich, daß ich unendlich froh wäre, wenn die Streitigkeiten einmal aufhören wollten.«

»Für dieses Wort danke ich dir!« versetzte der Rechtsconsulent mit wirklicher Rührung. – Es war das seit Jahren nicht mehr vorgekommen, daß seine Frau der Mutter gegenüber auf seine Seite trat; er fühlte wie die Erbitterung, die sein Herz umlagerte, so oft er sich dem Hause näherte, plötzlich aufthaute, und wenn er den in der That jetzt guten Blick seiner Frau betrachtete, so war es ihm, als verheiße derselbe noch eine Reihe von schönen und glücklichen Tagen.

»O, wenn es möglich wäre,« sagte er, »daß diese Streitigkeiten in unserem Hause wirklich ihr Ende erreichten! Und warum soll ich nicht darauf hoffen, da du so freundliche Gesinnungen zeigst, und da ja vielleicht deine Mutter, der ich übrigens alles Gute wünsche, geneigt ist, unser Haus mit dem der künftigen Gräfin Czrabowski zu vertauschen?«

»Dazu gebe der Himmel seinen Segen!« erwiderte die Frau mit einem leichten Seufzer. »Verlaß dich darauf, ich will das Meinige thun, damit ich wieder Ruhe und Frieden bekomme. Was das Andere anbelangt, so thu mir den Gefallen und geh in seine Wohnung; ich weiß nicht, ich habe so meine eigenen Ahnungen, und es ist mir immer, als sollte aus der Heirath doch nichts werden.«

»Das wäre entsetzlich!« meinte der Rechtsconsulent, dem bei dieser Vermuthung seiner Frau das glänzende Luftschloß zusammensank, das er sich bei dem Gedanken an die Entfernung seiner Schwiegermutter aufgebaut.

»Das wäre entsetzlich!« wiederholte er mit um so schmerzlicheren Empfindungen, da er, den künftigen Schwager betreffend, Aehnliches schon gedacht hatte und da ihm jetzt wieder die Aeußerung Baron Fremonts einfiel. »Aber sage mir um Gottes willen,« fuhr er nach einer Pause fort, »wenn dir der Charakter des Herrn Grafen nicht ganz richtig vorkam, warum hast du denn früher deiner Mutter oder Clementinen gegenüber nie etwas darüber fallen lassen? Da wäre vor einiger Zeit noch Manches gut zu machen gewesen, während man jetzt der Sache ihren Lauf lassen muß.«

»Das ist ein Punkt,« entgegnete Madame Plager, »über welchen es unmöglich ist, mit einer der Beiden unumwunden zu sprechen. Clementine verlangt zu sehr darnach, selbstständig zu werden, wie sie es nennt, als daß es möglich wäre, Vernunftgründe bei ihr geltend zu machen, und was die Mutter anbelangt, so weißt du, wie süß ihr der Gedanke ist, durch die Verbindung mit einem vornehmen Herrn den Glanz des Familiennamens zu erhöhen.«

»Wäre denn Clementine nicht auch durch den guten Schilder selbstständig geworden, ja, selbstständiger, als sie es dort vielleicht wird? Schilder hätte sich ein Vergnügen, eine Ehre daraus gemacht, in unsere Familie aufgenommen zu werden, während der Herr Graf der Ansicht sein wird, und in gewisser Beziehung vielleicht nicht mit Unrecht, er hebe Clementinen zu sich empor. – Ich fürchte, ich fürchte, Emilie, da sind noch andere Gründe, welche Clementine neben ihrer ungeheuren Liebe Alles daran setzen lassen, daß jene Heirath zu Stande kommt.«

Madame Plager schlug eine Sekunde die Augen nieder, sie zuckte leicht mit den Achseln, ehe sie erwiderte: »Geh in seine Wohnung, thu mir die Liebe und erkundige dich so genau wie möglich nach ihm.«

»Dir zu Liebe auf alle Fälle, meine gute Emilie,« versetzte der Hausherr freudig bewegt, indem er einen Arm um seine Frau legte und sie freundlich an sich zog. – »O du mein Gott!« fuhr er herzlich fort, »auf ein angenehmes Wort von dir, welches ich so lange entbehrt, würde ich ja Alles thun. Ach, das wäre erschrecklich, wenn diese Heirath nicht zu Stande käme!«

Nach diesen Worten nahm er seinen Hut, um sich nach der Wohnung des Herrn Grafen Czrabowski zu begeben. Als er durch den Salon schritt, hörte er die Schwiegermutter im Nebenzimmer sagen: »Herzlos wie immer und fortwährend gegen unsere Familie intriguirend.«

Worauf Clementine versetzte: »Ja, Mama, herzlos und voller Intriguen.«

Der Rechtsconsulent ging in der That zur Wohnung seines zukünftigen Schwagers; er fand die Thür derselben offen stehen und eine alte Frau im Begriff, das bescheidene Zimmer mit dem Besen zu reinigen. Auf seine Frage nach dem Bewohner gab sie zur Antwort, sie wisse es nicht anders, als daß der Herr Graf auf ein paar Tage verreist sei. Der Doktor begab sich hierauf zu seinem Schwager, dem Banquier Springer, der nicht viel wußte, aber, als vorsichtiger Geschäftsmann schon eher zum Argwohn geneigt, ein verlängertes Gesicht zeigte, als ihm der Advokat von der plötzlichen Abreise sprach und dabei einige düstere Vermuthungen nicht unterdrücken konnte.

»Das wäre der Teufel!« sagte der Mann des Geldes, indem er in seinem geheimen Buche das Conto Czrabowski's aufschlug, dessen Soll ein sehr starkes Uebergewicht zeigte. »Was ist da zu machen?«

»Vorderhand ruhig abwarten,« erwiderte der Advokat, »was uns der übernächste Tag bringen wird. Jetzt schon Schritte zu thun, die Aufsehen erregen könnten, das würde die Sache noch schlimmer machen.«

»Aber Alles ist zur Hochzeit vorbereitet; deine Einladung zum Dejeuner nach der Trauung schon gemacht.«

»Auf Verlangen der Schwiegermutter; ich habe daran nichts ändern können.«

»Der Teufel, das gäbe einen unangenehmen Scandal!« bemerkte der Banquier auf und ab gehend. »Man sollte wahrhaftig gegen Clementine ein Wort fallen lassen.«

»Wenn du das wagen willst, thu es, ich habe zu neuen Scenen keine Lust.«

»Ich will mit meiner Frau darüber sprechen.«

»Und ich mit der meinigen. – Auf Wiedersehen!«

Beide thaten also, und sowohl die Frau Doktor Plager als auch Madame Springer hielten es für das Beste, gegen ihre Mutter und Clementine so zart wie möglich dieser delikaten Angelegenheit zu erwähnen.

Madame Weibel aber erhob ihre Nase darauf äußerst drohend und sah in den Worten ihrer beiden Töchter nichts als das ruchlose, intrigante Treiben ihres Schwiegersohnes, des Rechtsconsulenten Doktor Plager, wogegen Clementine einige Krämpfe affektirte und die Erklärung abgab, ihr etwas Derartiges zu wiederholen, sei gerade so gut, als ihr ein Messer in die Brust zu stoßen.

Dabei blieb es denn auch; doch lagerte über den Häusern Springer und Plager etwas wie eine schwere Gewitterwolke; der Rechtsconsulent glaubte ferne Blitze zu sehen, und daß ein dumpfer Donner nicht mangelte, dafür sorgte die Schwiegermutter.

So kam denn der Morgen heran, an dem der edle Graf von Czrabowski beim sechsten Schlage an das Herz seiner Auserwählten sinken wollte, um sie darauf zur Trauung zu führen. Vergeblich hatte sich selbst Madame Plager bemüht, die Einladungen zum Kirchgange und zum darauf folgenden Dejeuner auf die vertrautesten Freunde des Hauses zu beschränken. – Madame Weibel hatte dagegen protestirt. »Wir brauchen uns nicht zu schämen,« hatte sie gesagt, »nicht diese glänzende Verbindung meiner Tochter zu verbergen und unser Licht unter den Scheffel zu stellen; die Familie Weibel hat ein Recht, sich sehen zu lassen, und wird dieses Recht und den Glanz ihres Namens zu wahren wissen, wenn auch, intrigante Persönlichkeiten sich bemühen, diesen wohlverdienten Glanz zu verdunkeln.«

Und so erschien denn Madame Weibel geschmückt, wie man sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Ein Kleid von schwerer brauner Seide umfloß ihre majestätische Gestalt, sie hatte eine Uhr mit Kette angelegt, verschiedene Armspangen aus den dunkeln Gefängnissen ihrer Etuis befreit, worin dieselben lange geschmachtet, und das Bild des seligen Weibel trug sie in ziemlicher Größe als Broche gefaßt vor dem Busen. Eine etwas kleine Haube, aber mit kolossalen farbigen Bändern saß wie hingeweht auf ihrem Hinterkopfe.

Daß sich Clementine in weißem, fleckenlosem Atlaß befand, verstand sich von selbst; auf dem Kopfe trug sie einen reichen Spitzenschleier, der durch den jungfräulichen Myrtenkranz zusammengehalten war. Aber sie sah sehr bleich aus, die arme Clementine, äußerst bleich; ihre Lippen zuckten zuweilen so ängstlich und auffallend, und wenn an diesem Morgen die Uhr schlug, so fuhr sie erschreckt zusammen.

Die Eingeladenen kamen pünktlich gegen neun Uhr, Verwandte, gute Bekannte und Freunde des Hauses. Da war schon früher erschienen die blasse Kaufmanns-Wittwe von gegenüber; sie hatte als Frau, welche den schönsten Theil dieses armen Erdenlebens schon praktisch durchgemacht, in das Ankleidezimmer kommen dürfen und dort der Braut flüsternd einige vortreffliche Rathschläge ertheilt. Da betrat die dürre Justizräthin mit feierlichem Gesichte und einem steifen Knix den Salon; sie war heute nicht so ganz anzusehen wie das Sinnbild der Gerechtigkeit; um ihren Mund erblickte man einige freundliche Falten, und nur zuweilen schoß ein scharfer Blitz aus ihren Augen; sie sah etwas leidend aus, denn sie hatte zu Hause eine kleine Scene gehabt mit ihren drei sehr heiratsfähigen Töchtern, welche sie mit einigen schrecklichen Warums gequält hatten. Warum bekommt die Clementine Weibel so bald einen Mann? Warum sogar einen Grafen? Warum ist noch Keine von uns verheirathet? Warum haben wir noch nicht einmal hoffnungsvolle Verhältnisse? Der Sprößling des Justizrathes, ein zarter Gymnasiast, hatte die Schwestern zu trösten gesucht, indem er sehr unpassend recitirte:

»Fragt die Luft, warum sie säuselt.«

Ferner erschien auch die Regierungsräthin mit dem lauten Organ, welche schon draußen beim Ablegen ihres Shawls ihre ungeheure Freude über das glückliche Ereigniß gegen Babette laut werden ließ, die ihrem neuen Kleide und den vielen in Aussicht stehenden Trinkgeldern zu Liebe jetzt schon Thränen der Rührung weinte.

Auch Wagen rollten vor das Haus, der Arzt der Familie mit seiner besseren Hälfte, Banquier Springer mit Frau, nicht zu vergessen den guten Schilder. Ja, auch Schilder kam, um der Braut mit zierlichen Worten zu sagen, wie es ihn in gewisser Beziehung freue, daß ein besserer Mann das erreicht, wonach er selbst einstens getrachtet.

Madame Weibel, deren Rührigkeit wir bereits aus den früheren Kapiteln zur Genüge kennen gelernt haben, hatte es heute bei der Verheirathung ihrer jüngsten Tochter für passend erachtet, die alte Frau darzustellen, das Familien-Oberhaupt, welches fühlt, daß nun seine Zeit gekommen ist, um endlich von den langjährigen Sorgen und Arbeiten auszuruhen. Sie saß in ihrem Lehnsessel, aus dem sie sich nur etwas erhob bei der Gratulation der älteren Damen, in welchem sie aber ihr Aufstehen nur eben andeutete, wenn ihr Einer aus der jüngeren Generation sein Compliment machte.

Clementine hielt sich neben ihrer Mutter; sie hatte die Hand auf die Rücklehne des Stuhles gelegt, und nahm die Glückwünsche freundlich entgegen; sie lächelte, aber ihr Lächeln hatte etwas Eigenthümliches, etwas Erschreckendes. Dabei athmete sie tief und schwer, und wenn draußen ein Wagen rollte, so zuckte sie mit dem Kopfe, ohne umzublicken.

Nahe bei ihr in einer Vertiefung des Fensters befand sich Madame Plager und schien in großer Aufregung zu sein. Ein paar Mal schon hatte sie sich an ihre Schwester gewandt und ihr gesagt: »Ermüde dich nicht so sehr, Clementine, du siehst etwas blaß und angegriffen aus. Es wird dir Niemand übel nehmen, wenn du dich jetzt, nachdem du Alle begrüßt, bis zur Kirchfahrt auf dein Zimmer zurückziehst. Was meinst du, Mutter?«

»An einem solchen Tage muß man sich schon etwas gefallen lassen,« hatte Madame Weibel mit strenger Miene entschieden.

Es war ein Viertel vor zehn Uhr.

Und Clementine blieb also neben dem Sessel ihrer Mutter stehen; sie hielt mit der Hand krampfhaft die Lehne desselben, sie fuhr fort, eigenthümlich zu lächeln und schwer und tief zu athmen.

Begreiflicher Weise war bis jetzt noch keine Frage nach dem Bräutigam laut geworden; man kann sich denken, daß so ein Mann in einer Stunde, wie die gegenwärtige, viel zu thun und zu besorgen hat. Er wird gleich nach neun Uhr kommen, dachten die jüngeren Damen. Wenn er nur vor zehn Uhr kommt! meinten die älteren.

Aber der Zeiger der Uhr ging unaufhaltsam vorwärts und warf eine Minute nach der anderen hinter sich in die Vergangenheit. Wer am meisten dieses Zifferblatt zu Rache zog, war unstreitig der Hausherr Doktor Plager. Wenn es ihn auch nicht eine Sekunde lang ruhig auf einer Stelle ließ, so wandte er doch beständig den Kopf nach der Uhr, selbst wenn er eine Frage beantwortete, selbst wenn er Jemand händereibend versicherte, er als älterer Herr freue sich ungeheuer auf ein gutes Frühstück nach vollbrachter Trauung. Doch bemerkte man von dieser Freude durchaus nichts in seinen Gesichtszügen, vielmehr hatten seine Augen etwas unheimlich Stieres, seine Nase schien spitzer als gewöhnlich, und daß seine Unterlippe schlaff herabhing, daran war kein Zweifel.

»Gleich ist es zehn Uhr,« sagte die blasse Kaufmannswittwe mit einem süßen Gesichte zur Regierungsräthin; »ich bin begierig, ob der Graf Czrabowski mit allen seinen Orden kommt – er soll sehr viele haben.«

So war der Name genannt, den Niemand bis jetzt auszusprechen gewagt, und die Regierungsräthin warf einen sonderbaren Blick auf die Justizräthin, welche ihre dürren Achseln emporzog und flüsternd sprach: »Es wäre Zeit, daß er überhaupt jetzt käme.«

»Ja, es wäre Zeit,« meinte auch eine ältliche Honoratioren-Tochter, die bis jetzt in schmerzlich süßen Träumereien versunken da gestanden, und sie war es zuerst, die in herzlichem Mitgefühl den furchtbaren Gedanken: »Wenn er gar nicht käme!« nicht nur faßte, sondern auch gegen ihre Nachbarin leise aussprach.

»Wenn er nicht käme!« das flog, in Worten ausgedrückt oder durch Mienen bezeichnet, wie ein Lauffeuer durch den Salon, drehte ein paar Dutzend Augen gegen das Zifferblatt und ließ einige Herren unvermerkt ihre Taschenuhr hervorziehen.

»Wenn er nicht käme – entsetzlich – schauderhaft!« Alle Conversation schwieg mit einem Male vor diesem furchtbaren Gedanken; man hörte nur leises Husten und Räuspern der Damen, einige Oh's und Hm's der Herren, dann legte sich auch dieses Geräusch, und es flog ein stiller Engel durchs Zimmer.

Draußen schlug die Thurmuhr mit dumpfem Tone die zehnte Stunde, und die kleine Uhr im Salon that gellend die gleichen Schläge.

Ob Clementine Weibel die feste Ueberzeugung hatte, mit dem sechsten Schlage werde ihr Geliebter wirklich an ihr Herz sinken, oder ob eine Ahnung furchtbaren Unglücks in ihrer Seele aufstieg, wer kann das mit Bestimmtheit sagen? Ihr starres, fast lebloses Auge ließ das Letztere vermuthen; man sah an ihren bebenden Lippen, daß sie die Schläge der Uhr nachzählte: Eins – zwei – drei – vier – fünf, und daß sie dabei ihre Finger immer krampfhafter in die Lehne des Sessels vergrub.

Da rollte ein Wagen durch die Straße herauf und hielt vor dem Hause.

Wie ein Zauberschlag verwandelte dieses Geräusch den Ausdruck aller Gesichter. Manche wandten sich nach den Fenstern, um hinaus zu sehen, Andere erklärten ihren Nachbarn oder Nachbarinnen, man könne das ungeheuer pünktlich nennen, Clementine that einen Athemzug, als wolle sie ihre Brust zersprengen, und der Rechtsconsulent warf einen fragenden Blick auf seine Frau.

Was hatte aber Madame Weibel während all der Zeit gethan? – Sie war ruhig und unbeweglich auf ihrem Sessel sitzen geblieben, die Nase hoch erhoben, den Mund ein wenig eingeklemmt, auf ihren Zügen nicht zeigend, ob auch ihr felsenfester Glaube wankend geworden sei.

Da öffnete sich die Thür, und den erstaunten Augen sämmtlicher Anwesendender zeigte sich die lange Gestalt des ehemaligen Schreibers des Advokaten.

Don Larioz hatte draußen den Mantel abgelegt, und als er so die Blicke Aller fragend und erschreckt auf sich gerichtet sah, blieb er einen Moment unschlüssig an der Thür stehen. Das ist eine härtere Aufgabe, dachte er bei sich, als mit blinkender Waffe blutdürstigen Löwen entgegen zu treten, die von grimmigen Feinden auf mich los gelassen werden. Aber ich habe mir gelobt, mein Geschäft zu Ende zu bringen, und ich werde es thun.

Clementine war emporgefahren, als sich die Thür geöffnet, hatte eine Sekunde den Eintretenden angestarrt und stürzte, als dieser im Begriffe war, vorzutreten, mit lautem Aufschrei ihrer Mutter an die Brust.

Alles drängte sich mit Blicken des Erstaunens und der Frage nach der Thür, den Anderen voraus aber der Rechtsconsulent, der dicht auf seinen ehemaligen Schreiber zutrat und kaum die Worte hervorzubringen vermochte: »Was treibt Sie in mein Haus? Wen suchen Sie hier?«

»Ich suche Niemand,« entgegnete der Spanier, der seine ganze Ruhe wieder gefunden hatte, indem er ein Papier aus der Tasche zog. »Nach langem Zaudern kam ich hieher, dieses zu übergeben, und da ich mir feierlich gelobt, dies zu thun, so war ich nicht im Stande, es zu unterlassen.«

»Von wem ist das Papier?«

»Es betrifft den Herrn Grafen Czrabowski.«

Mit ängstlicher Hast bemächtigte sich der Hausherr des verhängnißvollen Schreibens, während alle Umstehenden im Gefühle der Scheu und der Erwartung zurücktraten. Clementine hatte sich erhoben, unterstützt von ihrer Mutter, die ebenfalls aufgestanden war und mit einem wahrhaft erschrecklichen Blick die Gruppe an der Thür anstarrte.

Herr Doktor Plager hatte gelesen, ließ die Rechte mit dem Briefe sinken und fuhr sich mit der Linken unter einem tiefen Seufzer über das Gesicht. Wenn auch die stärker bebenden Lippen der unglücklichen Braut keine Worte aussprachen, so entnahm man doch aus ihrem stieren Auge die Frage nach dem, was vorgefallen.

Auch die nächsten Bekannten des Hauses, vor allen Dingen der Schwager Banquier, drängten sich an den Rechtsconsulenten, und man hörte schon hier und da eine schüchterne Frage laut werden, während es rings umher verstohlen flüsterte: »Eine schreckliche Geschichte! – Was wird's mit Czrabowski sein?«

Unterdessen hatte sich der Hausherr so gut wie möglich gefaßt; er schlucke einige Male heftig, tauchte auch ein paar Mal in seine weiße Halsbinde unter und sagte, nachdem er einen festen Blick auf seinen ehemaligen Schreiber geworfen: »Es ist allerdings richtig, dieser Brief ist von dem Herrn Grafen Czrabowski; er ist leider verhindert, im Augenblicke hier zu erscheinen.«

»Und wo ist er?« schrie Clementine, alle Rücksicht bei Seite setzend. »Warum kommt er nicht, wie er versprochen? Ich will Alles wissen, stoßt mir den Dolch vollends ins Herz!« – Sie stürzte vor, griff mit der Hand nach dem Schreiben, das ihr aber Doktor Plager nicht gab, vielmehr sanft ihren Arm zurückhielt.

»Gebt mir den Brief!« schrie sie mit gellender Stimme; »es muß Entsetzliches darin stehen, da ihn dieses Ungeheuer von einem Menschen gebracht hat.« – Sie machte mit ihrer rechten Hand eine heftige Bewegung gegen den Spanier, der fest und ruhig da stand wie ein Fels in der schäumenden Brandung.

Und es brandete bedenklich um ihn her, denn auch die Schwiegermutter hatte sich ihm genähert, blicke ihm aus sehr kurzer Entfernung in die Augen und sprach vor Wuth zitternd: »Er Abschaum der Menschheit! das ist Sein Werk!«

»Das Schreiben habe ich allerdings veranlaßt,« gab der Spanier zur Antwort, dem bei den grauen umherrollenden Augen der Madame Weibel die Erinnerung an jenen Abend im Bureau wieder so lebhaft auftauchte, daß es ihm unmöglich war, vollkommen ruhig und gelassen zu bleiben, – »veranlaßt, um meine Unschuld zu beweisen in Dingen, die man mir ungerechter Weise aufgebürdet. Ich bin kein Dieb, Madame, ich habe das bewußte Concept nicht entwendet.«

»Und wo ist er? – wo ist er?« – kreischte Clementine. – »O Emilie! – o Mutter! – o Schwager Springer, wo ist er? Sagt mir Alles, nur Gewißheit, selbst die entsetzlichste Gewißheit!«

»Die wird dir am besten dein theurer Schwager Plager geben können!« rief Madame Weibel sich vergessend. »O, das ist eine schlecht abgekartete Intrigue gegen unsere Familie!«

Der Hausherr wollte heftig etwas zur Antwort geben, doch warf sich die Doktorin zwischen ihren Mann und die Mutter, Beide mit leisen Worten und Mienen beschwörend, den Scandal nicht zu vergrößern.

»Wenn in dem Briefe nicht steht, wo sich der Graf von Czrabowski augenblicklich befindet,« sprach der Banquier Springer mit besorgter Miene, »so ist vielleicht jener Herr« – er zeigte auf Larioz – »im Stande, uns einige Auskunft zu geben.«

»Ja, er soll Auskunft geben!« schluchzte Clementine am Busen ihrer Mutter, »er soll Alles sagen, Alles! – Wo ist der Verräther?«

»Er ist abgereist, so viel ich weiß,« gab der lange Mann zur Antwort.

»Das wissen wir alle; aber ist er nicht zurückgekommen?«

»Er wird nie mehr zurückkommen,« versetzte Don Larioz.

»Er wird nie mehr zurückkommen! Hörst du es, Mutter?«

»Der Teufel soll ihn holen!« rief der Banquier Springer. »Aber wohin hat er sich gewandt? Man muß ihm nachsetzen!«

»Ja, wohin hat er sich gewandt?« fragte Madame Weibel mit dumpfer Stimme. »Beruhige dich, Clementine,« setzte sie leiser hinzu, »man muß ihm nachsetzen; man wird ihn finden.«

»So sprechen Sie doch, wenn Sie es wissen; wohin ist er?« sagte dringend der Hausherr.

Don Larioz fühlte in diesem Augenblicke trotz allem Unangenehmen, das sich vor seinen Augen begeben, eine gewisse Beruhigung, indem er die Antwort bedachte, die er auf diese verschiedenen Fragen zu geben hatte. Sein gutes Herz war glücklich, in den Jammer, der ihn in der That betrübte, etwas lindernden Balsam gießen zu können. Wie tief hätten seine Worte jenes unglückliche Mädchen verwunden müssen, wenn er auf ihre Frage zur Antwort gegeben: »Czrabowski ist in die Welt gegangen, und ungerührt von den Thaten, die er verübt, wird er sein wildes Leben wahrscheinlicher Weise da oder dort fortsetzen.« Wenn dem wirklich so gewesen wäre, so hätte er es wohl nicht über sich vermocht, das auszusprechen; so aber fühlte er sich beruhigt, ein Wort des Trostes sagen zu können.

Er wandte sich deßhalb mit einem Achselzucken an die Fragenden, und sprach mit einer Stimme, der man eine gewisse Rührung wohl anhören konnte: »Ja, jener Mann, der sich Graf Czrabowski nennt, ist abgereist, um nimmer wieder zu kehren; er ist abgereist, wie es mir schien, in tiefer Reue über die Thaten, so er begangen. Auch bin ich überzeugt, daß diese Reue andauernd sein wird, denn er sprach gegen mich seinen festen Entschluß aus, der Welt zu entsagen und in ein Kloster zu gehen. Ich selbst,« fügte Larioz stolz hinzu, »habe ihn zu diesem heilsamen Entschlusse bestimmt.«

Geliebter Leser, raube mehreren Löwinnen ihre Jungen und singe ihnen alsdann unter Guitarre-Begleitung:

An eurem Schmerz will ich mich weiden,
Lachen eurer Todesqual!

und du wirst keinen schrecklicheren Anblick haben, als den, der sich unseren Augen darbietet, nachdem der tapfere Spanier also gesprochen.

Sprühend vor Wuth erhob sich die Schwiegermutter gegen ihn; Clementine zuckte mit ihren Fingern, sprang gewaltsam in die Höhe und konnte nur durch die vereinte Kraft ihrer beiden Schwestern gehalten werden, um nicht an dem, der ihrem Bräutigam das Kloster empfohlen, die thätlichste und schrecklichste Rache zu nehmen. Zum Glück befand sich der besonnene Herr Schilder an seiner Seite und deckte ihn mit seinem eigenen Körper gegen den Angriff der Madame Weibel, während der Banquier rasch die Thür öffnete, den langen Mann bei den Rockschößen ergriff und ihn gewaltsam auf den Gang hinaus zog.

Der Spanier befand sich wie im Traume, that einen tiefen Athemzug und blickte seinen Retter alsdann fragend an.

»Ist es denn wahr, was Sie eben sagten?« sprach dieser, indem er die Hände zusammen schlug. »Das Scheusal ist in ein Kloster gegangen?«

»Er hat es mir versprochen.«

»O meine Gelder!« seufzte der Banquier. »So ist denn Alles, Alles verloren.«

»Wahrscheinlich Alles,« erwiderte Don Larioz, »bis auf seine Seele, die vielleicht durch eifrige Bußübungen noch gerettet werden könnte.«

»Hol' der Henker seine Seele und Sie meinetwegen dazu, der ihm diesen Rath gegeben! – O meine schönen Gelder!« Der Geschäftsmann vergrub bei diesen Worten die Finger in seine Haare und zauste sich ein wenig, als wolle er sich selbst bestrafen für den Leichtsinn, mit dem er gehandelt.

Don Larioz nahm seinen Mantel, stieg die Treppen hinab und schüttelte unten an der Hausthür den Staub von seinen Füßen.

Kehren wir noch auf einen Augenblick in den Salon zurück, wo sich so Entsetzliches begeben. Clementine war von ihrer Mutter bei Seite geschafft worden, und sämmtliche Eingeladene mit Ausnahme der Familien-Mitglieder, verließen so schnell, wie es ihre delikate Lage gestattete, dieses unterbrochene Opferfest. Die Thüren schlossen sich hinter ihnen, die Wagen rollten davon, und das Zimmer, das wenige Minuten vorher noch so viele Leidenschaften umfaßt, zeigte jetzt Ruhe und Stille – die Stille des Grabes. Nur die Standuhr unter dem Spiegel pickte gleichförmig und gefühllos fort, und meldete klingend die Stunden, ohne sich im Geringsten um den fünften und sechsten Schlag zu bekümmern. –

Ehe wir aber dieses Haus für immer verlassen, müssen wir unserer Geschichte ein paar Tage voraus eilen und den geneigten Leser nochmals in das Schlafzimmer des Rechtsconsulenten führen, wie an jenem Morgen, als wir diese Räume zum erstenmal betraten. Doktor Plager steht abermals vor dem kleinen Handspiegel, der am Fenster aufgehängt war, und ist wieder im Begriff, seine schwarze Halsbinde umzulegen. Er hat die beiden Enden derselben erfaßt, zieht sie rechts und links von sich ab und ist im Augenblicke mit dem künstlichen Knoten fertig; seine Mienen zeigen ein wenig Wehmuth, sind aber sonst nicht unfreundlich; er hat den Schlafrock abgeworfen und ist in seinen Rock geschlüpft.

So tritt er in den Salon, als Madame Plager gerade zur anderen Thür desselben hereinkommt. Diese drückt ihr Sacktuch an die Augen, eilt alsdann nach einem Fenster, das sie öffnet und hinaus blickt. Der Rechtsconsulent schaut über ihre Schulter, und wir bemerken unten vor dem Hause einen Reisewagen, mit Koffern und Hutschachteln beladen, der sich eben in Bewegung setzt.

In demselben befindet sich Madame Weibel, welche das Haus ihres Schwiegersohns verlassen, um mit ihrer Tochter Clementine, welcher Aerzte und andere verständige Personen Luftveränderung angerathen, eine längere Reise anzutreten.

Als der Wagen um die nächste Ecke verschwunden ist, zieht Madame Plager seufzend ihren Kopf in das Zimmer zurück und sagt: »Das wäre überstanden! – Draußen ist auch das andere Dienstmädchen, welches für Babette eintritt. Wenn du sie sehen willst, so kann sie herein kommen.«

Worauf der Rechtsconsulent die Hände seiner Gattin ergreift und mit weicher Stimme zur Antwort gibt: »Wenn sie dir gefällt, mein Kind, so bin ich auch damit zufrieden.«


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