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Dreiundfünfzigstes Kapitel.
Die letzte Rose


Die Thür öffnete sich, und George von Breda trat mit dem Hausherrn ein.

Fremont erhob sich von seinem Stuhle, nicht so Tondern, der sich noch länger ausstreckte, als bisher, und laut gähnte.

»Verzeiht mir, daß ich habe warten lassen,« sagte Graf Helfenberg; »ich wäre aber zur Zeit da gewesen, wenn ich mich nicht hätte unterwegs aufhalten müssen, um diesen theuren George aufzulesen, den mich ein glückliches Ungefähr finden ließ.«

»Doktor Flecker!« meldete der eintretende Kammerdiener.

»Ist mir sehr willkommen,« sprach der Hausherr, und als hierauf der kleine Armenarzt eintrat, ging er demselben entgegen und reichte ihm mit einem vielsagenden Blicke die Hand.

Hinter dem Doktor war indessen noch eine andere Figur ins Zimmer geeilt, der bewegliche Legationsrath von S., welcher, dem Hausherrn seine Rechte reichend, eilig wie immer sagte: »Ich habe Ihren Brief erhalten, lieber Graf, und eine wichtige Sitzung geschwänzt, um hieher zu kommen. Möge es Seine Excellenz, unser Gewaltiger, mir nicht gelegentlich ins Wachs drücken! Ah, bon jour, Breda! wie geht dir's? – Sieh da, Fremont und Tondern, die Unzertrennlichen. Ich versichere euch, Orestes und Pylades waren gegen euch ein paar unverträgliche, zänkische Kerle. – Das nenne ich Freundschaft!« Er war bei diesen Worten schon wieder in die Mitte des Zimmers zurück geeilt, wandte aber plötzlich wieder um und tänzelte an den Stuhl zurück, auf dem Fremont saß, wobei er die Hände unter seine Rockschöße steckte und freundlich sprach: »Apropos, Fremont, man kann dir ja –«

Weiter aber brachte er seinen Satz nicht, denn Tondern warf seinen Fauteuil so heftig herum, daß er mit den Fußspitzen die Schienbeine des Sprechers berührte und diesem dabei mit einem höchst unwilligen Gesichtsausdrucke einen verständlichen Wink gab.

Der Legationsrath wandte plötzlich wieder um und schoß in die Mitte des Zimmers zurück, wo er dem Doktor Flecker sein Compliment machte, der einige gleichgültige Worte mit George von Breda sprach.

Fremont hustete leise, aber so auffallend, daß Herr von Tondern ihm den Kopf zuwandte, worauf Jener ein Zeichen mit den Augen machte, welches Dieser mit einem Achselzucken und einem gleichgültig sein sollenden Gesichte beantwortete. In Wahrheit aber blitzten seine Augen lebhaft, und er blickte aufmerksam auf den Hausherrn, der dem Kammerdiener ein paar Worte sagte, und darauf zu der Gruppe in der Mitte des Zimmers trat.

»Du!« sagte Fremont flüsternd.

»Was solls?«

»Das gefällt mir ganz und gar nicht.«

»Was denn?«

»Die Einladung des Grafen an uns, um diese Stunde hier zu erscheinen.«

»Aus welchem Grunde mißfällt dir das?« fragte Tondern, wobei seine Blicke aber unruhig nach der Mitte des Zimmers schweiften.

»Wir Beide sind da,« fuhr der Baron mit leiser Stimme fort, »George von Breda, der Legationsrath, der kleine Doktor, gerade wie an jenem Abend; es fehlt nur noch –«

»Der Herr Rechtsconsulent Doktor Plager!« sagte der Kammerdiener, indem er die Thür weit öffnete, und der Angemeldete mit der unvermeidlichen weißen Halsbinde, die er bei feierlichen Gelegenheiten trug, trat mit einer tiefen Verbeugung ins Zimmer.

»Tondern – «

»Laß mich jetzt ins Teufels Namen!« gab dieser flüsternd, aber sehr verständlich zur Antwort. Dann sprang er von seinem Fauteuil in die Höhe und begab sich ebenfalls in die Mitte des Zimmers.

Baron Fremont folgte mit einem etwas bleichen Gesichte.

Graf Helfenberg hatte den Rechtsconsulenten freundlich bewillkommt und schaute nun heiter die guten Freunde an, welche ihn umgaben. »Es ist zum zweiten Male,« sagte er, »daß ich von euch einen Dienst in der gleichen Angelegenheit verlange, der aber noch müheloser ist, da es sich nicht einmal wie damals um eure Namensunterschrift handelt, sondern nur um eine kleine Viertelstunde Gehör für Herrn Doktor Plager, meinen Geschäftsmann.« Er machte bei diesen Worten eine Handbewegung gegen den Rechtsconsulenten, welche dieser mit einem ehrfurchtsvollen Compliment rings umher beantwortete, worauf der Graf hinzusetzte: »Bitte, einen Augenblick Platz zu nehmen.«

Der Kammerdiener hatte mit einem Lakaien einige Stühle und Fauteuils im Kreise gestellt, welche aber von keinem der Anwesenden benutzt wurden.

Der Hausherr trat etwas zurück und lehnte sich mit der Hand an eine Seite des Kamines; das Gleiche that George von Breda auf der anderen Seite. Der Legationsrath umschlich den Kreis der Stühle, auf den Zehen schreitend, aufmerksam lauschend, wie der Schäferhund seine Heerde, und ebenfalls wie dieser, wenn das möglich gewesen wäre, mit gespitzten Ohren.

Tondern, dem es mit einem Male klar wurde, worauf diese Verhandlung ziele, hatte einen Augenblick gute Lust, in auffallender Weise das Zimmer zu verlassen; doch bedachte er sich eines Besseren, trat an den Schreibtisch und flüsterte mit etwas verstörten Gesichtszügen dem erschrockenen Fremont zu: »Du hast Recht – das ist eine Teufelei! Laß dir aber um Gottes willen nichts merken!«

»Darin gehst du mir mit schlechtem Beispiel voran,« antwortete der Baron in kläglichem Tone. »Du ziehst selbst eine Grimasse, wie ein armer Sünder; wirf nur einmal einen Blick in den Spiegel, und dann fasse dich. Ich müßte mich sehr irren, wenn Helfenberg und nicht minder dieser verfluchte kleine Doktor zuweilen lauernde Blicke auf uns werfen.«

Der Rechtsconsulent hatte unterdessen ein bekanntes Couvert aus der Tasche gezogen, mit sieben Siegeln versehen, welches er emporhielt, um die Anwesenden sich überzeugen zu lassen, daß sämmtliche sieben Siegel unverletzt seien. Dann legte er das Couvert auf einen kleinen Tisch, den der Kammerdiener vor ihn hingeschoben, und zog ein anderes zusammengefaltetes Papier aus der Tasche.

»Sollte es sich vielleicht um ein Codicill handeln?« fragte Fremont seinen Nachbar mit tonloser Stimme.

»Um den Teufel wird es sich handeln!« entgegnete dieser. »Gib nur Achtung.« Dann trat er ein paar Schritte vor, legte die Hände auf dem Rücken zusammen und stellte sich mit gespreizten Beinen dem Hausherrn gerade gegenüber.

Doktor Plager war mit einem ernsten und feierlichen Gesichtsausdruck in die Tiefe seiner Halsbinde hinabgetaucht, während er langsam das Papier, welches er in den Händen hielt, entfaltete. Jetzt erhob sich sein Gesicht wieder und nahm, wie es über den Rand der Cravatte emporstieg, einen freundlichen und lächelnden Ausdruck an. Man sah deutlich: er hatte etwas Angenehmes zu verkünden. Darauf las er: »Nachdem Seine Erlaucht, der hier gegenwärtige Graf Hugo Helfenberg, vor einiger Zeit den Unterzeichneten ersucht, seinen letzten Willen in Gestalt eines Testamentes in mystischer Form aufzunehmen und vor den hier anwesenden Herren, welche bei diesem Akt als Zeugen dienten, zu beglaubigen und zu versiegeln, wurde besagtes Testament bei dem betreffenden Gerichte bis heute deponirt, wo mich, den Unterzeichneten, ein Befehl Seiner Erlaucht beauftragte, das Testament zurückzuziehen, um es dem Willen des Herrn Grafen gemäß vor den Augen der anwesenden Herren zu vernichten.«

Baron Fremont zuckte etwas zusammen, wogegen Tondern jetzt fest da stand in unerschütterlicher Ruhe, mit einem freundlichen Lächeln auf seinen Zügen, welches eine Erklärung erhielt durch eine Handbewegung, mit der er dem Grafen wie gratulirend zuwinkte.

»Ja, vollständig zu vernichten,« wiederholte der Rechtsconsulent, nachdem er sich mit unverkennbarer Rührung rings im Kreise umgeschaut, »was demnach hiermit vor Aller Augen geschehen soll.«

Er nahm eine große Scheere zur Hand, die der Kammerdiener zugleich mit einem brennenden Wachslichte auf einer silbernen Schale vor ihn hingestellt, schnitt das versiegelte Testament in mehrere Stücke, von denen er jedes einzeln an dem Lichte anzündete, ehe er es in die Schale warf. Darauf faltete er seine Hände und blickte mit hoch emporgehobenen Augenbrauen nachsinnend in die aufzüngelnden Flammen.

Auch Graf Helfenberg schaute wie träumend in die Gluth, hie hoch emporflackerte, dann aber schnell in sich zusammensank. Ein tiefer Seufzer entwand sich seiner Brust, worauf er sich rasch gegen George von Breda wandte, ihm beide Hände auf die Schultern legte und den ernst, fast finster blickenden Mann mit einem unaussprechlich innigen Ausdrucke eine kleine Weile betrachtete.

»Da brennen Stromberg und unsere Legate,« flüsterte Herr von Tondern dem fast zusammen knickenden Fremont zu; »aber aus den Flammen, die dort eben gelodert und mir allerlei beleuchtet, ging mir ein absonderlich klares Licht auf; nur wer selbst seine Partie aufgibt, hat sie verloren.«

Nach diesen Worten drängte er sich rasch vor, reichte dem Grafen seine Hand und sagte ihm so herzliche Worte über die angenehme Fortsetzung des traurigen Testaments-Aktes, daß jeder, der sie hörte, hätte glauben sollen, es freue sich Niemand so darüber, wie gerade Herr von Tondern.

Auch der Legationsrath hüpfte gratulirend auf den Hausherrn zu, und endlich auch Fremont mit einem erträglich freundlichen Gesichte. Der dicke Baron konnte sich nicht so verstellen, wie sein guter Freund, und er wandte sich deßhalb auch so bald wie möglich von dem Kamine nach dem Schreibtische zurück, wo er gedankenvoll in die sonnbeglänzte lachende Ferne hinausblickte.

»Vielleicht habe ich voreilig gehandelt,« sprach Graf Helfenberg, nachdem er die herzlichen Glückwünsche seiner Freunde herzlich erwidert. »Aber in diesem Falle schiebe ich alle Schuld auf unseren guten Doktor, wie ihm nach dem barmherzigen Gott im anderen Falle auch alles Verdienst an dieser Aenderung meiner gewiß trostlosen Lage zukommt. Auf seine Verantwortung habe ich beschlossen, jenes Testament zu vernichten, da er mir in einer glückseligen Stunde die Hoffnung auf ein längeres Leben wiedergegeben.«

Hier hielt es der Rechtsconsulent für passend, das Wort zu Beschließung dieses Aktes abermals zu ergreifen, weßhalb er von seinem Papier herunter las: »Daß die Vernichtung des fraglichen Testamentes auf Befehl Seiner Erlaucht geschehen, beurkundet Herr Graf Hugo Helfenberg durch seine eigenhändige Unterschrift, und ist darüber gegenwärtige Urkunde entworfen und auch von mir unterzeichnet worden.«

Nachdem dies also geschehen, blieben die Freunde des Hausherrn nur noch sehr kurze Zeit bei einander. George von Breda, der ziemlich theilnahmlos und offenbar mit anderen Gedanken beschäftigt an dem Kamin gelehnt, nahm seinen Hut und empfahl sich zuerst. Ihm folgte der kleine Armenarzt und der eilige Legationsrath von S., der die Hoffnung aussprach, noch den Schluß seiner wichtigen Sitzung genießen zu können. Baron Fremont und Herr von Tondern verabschiedeten sich mit dem Rechtsconsulenten zuletzt und stiegen, von diesem gefolgt, schweigend die breiten Marmortreppen hinab. Unter dem Thorbogen angekommen, faltete Baron Fremont die Hände und blickte seinen Freund mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Es war eine Mischung von Zorn und Ueberraschung, welche sich auf seinen Zügen gelagert hatte; dabei zwinkerte er mit den Augen, wie er nur in sehr seltenen Fällen zu thun pflegte, wenn sein Phlegma sich zu einem Zornausbruche bewegen ließ; er biß die Lippen auf einander und wollte gerade seinem Unmuthe in heftigen und lauten Worten Luft machen, als ihm der immer besonnene Tondern ruhig die Hand auf den Arm legte und dabei sagte: »Gib dem da hinter uns kein Schauspiel; du wirst nachher Zeit genug finden, dich auszulassen.

Bei diesen Worten trat Baron Fremont selbst etwas auf die Seite, damit der Rechtsconsulent bei ihm vorbeigehen könnte, und faßte auf die sehr verbindliche Verbeugung desselben mit zwei Fingern leicht an den Rand seines Hutes. Herr Doktor Plager aber, anstatt vorüber zu schreiten, machte eine Viertelswendung gegen Herrn von Tondern und ersuchte ihn um die Vergünstigung, gefälligst zwei Worte von ihm anhören zu wollen.

Fremont trat augenblicklich einen Schritt von seinem Freunde weg, worauf dieser mit sehr hoch erhobener Nase und herabgesenkten Augenlidern vor dem Advokaten mit einem nachlässigen »Was beliebt?« stehen blieb.

»Ich wollte mir nur erlauben, den Herrn von Tondern zu fragen,« sprach der Rechtsconsulent demüthig, »zu welcher Stunde in den nächsten Tagen ich dem gnädigen Herrn zu einer kleinen Unterredung nicht unpassend käme. Es handelt sich um ein paar kleine Papiere, die ich in Händen habe und zu deren Berichtigung oder einem anderweitigen Arrangement wohl die höchste Zeit wäre.«

»Das erscheint Ihnen heute mit einem Mal so dringend?« erwiderte Herr von Tondern mit finsterem Blick; »heute, jetzt, nachdem Sie droben den fatalen Akt vollzogen? Ah, ich verstehe Sie schon; Sie haben sich seit vorgestern stark geändert.«

»Es ist mir sehr lieb, wenn mich Euer Gnaden vollkommen verstehen; es ist leider wahr, wir und die Zeiten ändern uns. – Wann darf ich Euer Gnaden belästigen?«

»Wann Sie wollen,« entgegnete der Andere in sehr hochmüthigem Tone; »nur nicht zu früh und nicht zu spät.« – Er wandte dem Rechtsconsulenten den Rücken und trat zu Fremont, um mit diesem nach Hause zu gehen.

Herr Doktor Plager schritt ebenfalls von dannen, aber wie in tiefe Gedanken versunken, so außerordentlich langsam, daß er eine Aeußerung Baron Fremont's hören mußte, eine Aeußerung, die den Rechtsconsulenten sehr unangenehm berührte. Der Baron sagte nämlich: »Nun gut, ich will mich mäßigen; ich will über diese verfluchte Geschichte hier auf der Straße kein Wort verlieren. Aber Eins laß mich sagen; ich könnte daran ersticken, wenn ich es bei mir behielte: Dieser elende Pole, dieser Czrabowski hat uns verrathen. O, wenn ich diesen Kerl vergiften könnte! Gib mir wenigstens zu, Tondern, daß dies einer der niederträchtigsten Schufte ist, die ungehenkt umherlaufen.«

»Zugestanden,« versetzte Tondern, »aber sei ruhig, dieser Kerl entgeht mir nicht.«

So sprachen die Beiden von dem Herrn Grafen Czrabowski, künftigem Schwager des Rechtsconsulenten Doktor Plager, was diesem Letzteren Einiges zu denken gab.– –

George von Breda hatte langsam das Palais des Grafen Helfenberg verlassen und war so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er den überaus freundlichen Gruß des dicken Portiers nicht einmal wahrnahm, ja, daß er vor dem Hause einen falschen Weg einschlug, einen Weg, der ihn von seiner Wohnung noch weiter abgeführt hätte, und doch wollte er dorthin zurück, da es an der Zeit war, wo man ihn zum Diner erwartete. Als er seinen Irrthum gewahr wurde, lächelte er still in sich hinein und dachte: Es wäre am Ende besser, wenn ich jetzt nicht nach Hause zurückkehrte; ich fürchte, nicht ruhig genug zu sein, um ihren Anblick ertragen zu können, ohne in Vorwürfe, ja, in Klagen auszubrechen, was beides ebenso nutzlos als lächerlich wäre. Und doch, fuhr er strenger fort, was ich ernstlich gewollt, habe ich immer noch durchgesetzt, und es soll und muß mir auch dieses Mal gelingen, nichts von dem Sturme zu verrathen, der mein Herz bewegt und martert.

Obgleich er nicht sehr rasch ging, erreichte er doch sein Haus in unglaublich kurzer Zeit. So kam es ihm wenigstens vor; ja, wenn er noch so langsam dahinschritt, so schien es ihm, als verkürze sich der Weg von selber. Und er ging sehr langsam, als er die Bäume sah, die sein Haus umgaben, als er jetzt das Dach desselben erblicke und die glänzende Glasdecke des Wintergartens, von welcher die Strahlen der sinkenden Sonne wie in lodernden Flammen abprallten. –

Jetzt hatte er den kleinen Garten erreicht, jetzt betrat er das Glashaus, und als er die Thür öffnete, lauschte er angestrengt, ob er nicht ihre helle Stimme vernehme, die so oft, so sehr oft durch diese Räume geklungen war, wenn Eugenie ihn erwartend auf der kleinen Bank saß, die sich in der Laube hinter dem Springbrunnen befand. –

Alles war ruhig und still, nur das Wasser plätscherte einförmig, melancholisch; sein Fuß betrat den knisternden Sand der verschlungenen Wege, und nachdem er ein paar Schritte gemacht, blieb er horchend stehen. Wenn es ihm auch noch vor kurzer Zeit peinlich erschienen war, das junge Mädchen wieder zu sehen, so sehnte er sich doch jetzt nach ihrem Anblicke. Er hätte viel, sehr viel darum gegeben, wenn sie ihm jetzt – wie sonst so oft – entgegen geeilt wäre, heiter, unbefangen, lachend, wenn er ihren lustigen Ruf vernommen hätte: »Onkel George, bist du da? – Onkel George, du kommst sehr spät!«

Aber er vernahm nichts dergleichen; ringsum war Alles ruhig und still, nur das niederstürzende Wasser machte einen fast unausstehlichen Lärmen – ja, unausstehlich; denn er bildete sich ein, es sei ihm wohl wegen dieses Geräusches nicht möglich, den leichten Tritt ihres Fußes zu vernehmen, wenn sie ihm vielleicht schweigend entgegen eile.

Vor dem Rosenbäumchen, dessen Knospe er vorhin genommen, nachdem sie mit ihren Fingern leicht darüber gestreift, blieb er einen Augenblick stehen, und wieder kam ihm der Gedanke von vorhin, als sei sie zum letzten Male hier gewandelt, als sei es, ihr wohl selbst unbewußt, der Abschiedsgruß gewesen für alle die lieben Blüthen und Blumen, da sie mit der Hand diese Rose berührte. Dann aber ärgerte er sich über seine weiche Stimmung, und Schmerz und Groll erfüllten seine Brust. Sie wird mir heute nicht entgegenkommen, sprach er zu sich selber mit einem traurigen Lächeln. Ah! sie weiß, warum, und wenn ich es genau überlege, so muß ich sie noch darum achten, daß sie nicht kommt. Heuchelei ist alsdann doch diesem starren Charakter fremd. – Aber daß sie nicht kommt, ist mir ein Zeichen ihrer Schuld; sie scheut meinen Anblick. Nun gut, wir werden uns drinnen wieder sehen, und an dem Blick deiner Augen will ich erkennen, ob ich Recht oder Unrecht hatte.

Der Baron machte wieder ein paar Schritte, dann blieb er abermals stehen und zog seine Uhr hervor. Es ist wohl noch früh, dachte er; man erwartet dich noch nicht. Ja, ja, so wird es sein. – Aber es war nicht so, die unerbittliche Uhr zeigte schon eine Viertelstunde nach Fünf. – Vielleicht bin ich auch, fuhr er nach einer Pause fort, gegen meine Gewohnheit sehr leise und unhörbar in das Gewächshaus eingetreten. Ja, so muß es sein. – Und als er das gedacht, kehrte er wieder um, öffnete noch einmal die Glasthür und warf sie hinter sich laut schallend ins Schloß. Das hohe Gewölbe des Wintergartens gab den Ton der zufallenden Thür laut hallend wieder, worauf George von Breda athemlos lauschend stehen blieb. Aber Alles blieb still wie vorher; nichts regte sich, nichts war hörbar, als der geschwätzige Strahl des Springbrunnens; er vernahm keinen Gesang, keinen heiteren Ruf: »Onkel George! Onkel George!« keinen Schall ihrer Fußtritte.– –

– –»Ich Thor!« rief er jetzt überwältigt aus; »wie kann ich so verblendet sein und an das Wahre der Geschichte zuletzt denken! Sie wird noch nicht zu Hause sein. O,« setzte er zähneknirschend hinzu, »es muß sie Interessantes fesseln, wo sie sich eben befindet; ja, ja, das ist es. Was kümmert sie die Ordnung des Hauses, die Stunde, wo ich zurückkehre? – Die Zeiten sind vorbei! Gut, es sei darum!«

Er that noch einen tiefen Atemzug und schritt dann rasch dem Eßzimmer zu. Wie schmerzlich berührte es ihn aber, als er jetzt vor sich die kleine Terrasse sah, wo Eugenie so oft stand und auf ihn wartete, von wo sie ihm neckisch zurief und ihn ausschalt, daß er so spät komme! Was hätte er jetzt um ihre Vorwürfe gegeben! – Aber sie war auch dort nicht, auch von dort her vernahm er nicht ihre liebe, helle Stimme; er sah auch nicht ihre schöne Gestalt, ihr glänzendes Auge.

So gut es ihm möglich war, suchte er seine Fassung zu gewinnen, und betrat äußerlich ruhig den Eßsalon. Der Tisch war gedeckt; es standen da drei Couverts wie gewöhnlich; aber Eugenie fehlte; die Baronin war da, aber gegen ihre Gewohnheit saß sie nicht mit ihrem Buche beschäftigt in dem kleinen Fauteuil, sondern ging mit ungewöhnlich hastigen Schritten in dem Zimmer auf und ab; auch sah sie etwas bleich aus, und als Herr von Breda eintrat, sagte sie zu dem Jäger Brenner, der an der Thür stand, welche in das Wohnhaus führte: »Es ist gut, bringen Sie die Suppe.«

Der Baron legte seinen Hut auf den Nebentisch, und sprach, indem er einen Blick auf die Uhr warf: »Ich bitte um Entschuldigung, daß ich eine Viertelstunde zu spät komme; Graf Helfenberg traf mich auf der Straße, als ich hieher wollte, und bat mich, ihm eine Gefälligkeit zu erzeigen. Ich halte es für meine Pflicht, dir diesen Grund meines späten Kommens zu sagen; denn ich weiß selbst, wie unangenehm es ist, auf sich warten zu lassen.«

»Es ist wahr, fünf Uhr ist vorüber,« antwortete die Baronin, nachdem sie ebenfalls die Uhr angeschaut. »Ich hätte es in der That nicht einmal bemerkt, denn du bist gewöhnlich von einer Pünktlichkeit, die uns gar an dem Schlage der Uhr irre werden läßt.«

Sie sprach das zu dem Baron mit einer freundlichen Miene, doch bemerkte sein scharfes Auge, daß sie sich zwang, heiter zu scheinen. Früher wäre seine erste Frage nach Eugenien gewesen; jetzt fürchtete er sich, sie zu thun; er schob seiner Frau den Stuhl etwas vom Tische zurück, und als diese sich niedergelassen, setzte er sich auch.

Der Jäger brachte die Suppe, die Baronin legte für zwei Couverts vor, und selbst beim Anblick des leeren dritten Tellers wagte es Herr von Breda nicht, nach Eugenien zu fragen, sondern sagte: »Es ist wirklich wunderbar, wie sich Helfenberg besser befindet; der kleine Doktor, den er so zufällig genommen, hat ein Meisterstück an ihm gemacht.«

»So, so?« versetzte die Baronin, nachdem sie mit der Hand leicht ihre Stirn berührt, in einem Tone und mit einem Ausdrucke ihres Gesichtes, welcher offenbar anzeigte, daß ihre Gedanken mit etwas Anderem beschäftigt waren.

George von Breda that einen tiefen Athemzug; er hustete leicht vor sich hin, und wollte gerade einen Löffel Suppe nehmen, als er, wie sich jetzt erst an die Fehlende erinnernd, lebhaft fragte: »Wo ist denn Eugenie? Warum fehlt sie bei Tische, sie, die sonst doch so pünktlich ist?«

Da war seine Frage heraus, und er beugte sich tief auf den Teller hinab, um bei der Antwort, die er erwartete, sein Gesicht nicht sehen zu lassen.

Und doch hatte er sich geirrt. Die Baronin führte ihr Taschentuch leicht an den Mund, dann versetzte sie: »Eugenie ist unwohl, sie läßt sich entschuldigen; sie hat sich auf ihr Zimmer zurückgezogen.«

Diese Worte drangen wie ein Dolchstoß tief verletzend in sein Herz, seine Fassung war dahin; er richtete sich hastig auf und schaute seine Frau mit einem flammenden Blicke an. Schon wollten wilde, unerhörte Worte seinen Lippen entströmen, doch besann er sich glücklicher Weise eines Besseren, preßte heftig die Zähne auf einander und fragte nach einer Pause, als er die bestürzten Züge der Baronin bemerkte: »Es ist etwas vorgefallen, Julie; ich sehe es an deinen Mienen. Ums Himmels willen, sprich, was ist's mit Eugenien?«

Frau von Breda zuckte mit den Achseln, dann entgegnete sie: »Beruhige dich, George: allerdings ist etwas vorgefallen, und doch im Grunde wieder nichts. Es hat mich heute auch ein wenig alterirt; morgen werden wir vielleicht darüber lachen.«

»Und wo ist Eugenie?«

»Wie ich dir sagte, auf ihrem Zimmer; sie ist in der That unwohl.«

»Aber heute Morgen war sie heiter und gesund!«

»Das war sie.«

»Sie verließ das Haus vor Mittag.«

»Und kehrte vor einer starken Stunde hieher zurück.«

»Alterirt? unwohl?« fragte der Baron mit einem leichten Beben der Stimme.

»O nein, sie kehrte heiter und ruhig zurück, wie sie gegangen war; etwas bleicher fand ich sie allerdings.«

»Ah!«

»Sie sagte mir, sie sei etwas schnell gegangen, da sie gefürchtet, zu lange von Hause wegzubleiben und mich dadurch in Unruhe zu versetzen. Es ist ein so gutes, liebes Geschöpf, dieses Mädchen.«

»Ja, das war sie,« sprach Herr von Breda wie zu sich selber. »Und wo war sie?« fragte er alsdann hastig.

Die Baronin antwortete lächelnd: »Sie hat einen Besuch eigener Art gemacht; sie hat es mir gleich gesagt, als sie zurück kam, und mich gebeten, es auch dir mitzutheilen.«

»Einen Besuch eigener Art?« wiederholte George in namenloser Spannung. »Wen hat sie besucht? Bitte, Julie, es ist mir interessant, das zu erfahren.«

»Sie hätte es vorher sagen sollen, aber sie hat geglaubt, du würdest nicht gut dazu sehen.«

»Vielleicht hätte ich Recht gehabt. – Wen hat sie besucht?«

»Es war eine Grille von dem Mädchen. Vielleicht wirst du dich einer Kammerfrau meiner Mutter erinnern, einer guten, treuen und sehr braven Person. Sie war so unglücklich, durch einen Sturz aus dem Wagen gelähmt zu werden, weßhalb sie den Dienst verlassen mußte. Henriette und ich haben sie früher einige Mal besucht, und als Eugenie ein halbes Jahr alt war, ließ meine Schwester das kleine Mädchen einmal zu der alten Kammerfrau bringen, um was diese bat und worüber sie eine außerordentliche Freude hatte.«

»Ah so!« machte der Baron, und in sein Herz zog ein Gefühl wie von innigem Danke für das Wiederfinden eines scheinbar Verlorenen.

»Die alte Frau,« fuhr die Baronin fort, »hatte sich immer darnach gesehnt, Eugenie, von der sie viel Gutes und Liebes gehört, wieder zu sehen; anstatt aber geradezu ihren Wunsch gegen uns oder gegen meine Schwester auszusprechen, wandte sie sich durch den alten Jäger Klaus direkt an Eugenie, und das gute Mädchen that jenen vielleicht unüberlegten Schritt, ohne dich oder mich davon in Kenntniß zu setzen. Es hat ihr aber recht leid gethan, und sie wird dir ihre Entschuldigung machen.«

Der Jäger Brenner war eingetreten, um die Teller zu wechseln, und blieb wartend hinter dem Stuhle des Barons stehen, welcher nun mit sichtlichem Behagen einen Theil seiner kalt gewordenen Suppe aß. Allerdings, dachte er, hätte Eugenie sagen können, daß sie jenen Besuch vorhabe; hätte ich mir doch selbst ein Vergnügen daraus gemacht, sie dorthin zu begleiten. Aber ich weiß wohl, sie hat ihren eigenen Sinn. Jetzt ist mir Alles erklärlich; und daß sie einen Wagen nahm, was mir ein Beweis ihrer Schuld schien, finde ich jetzt so begreiflich und danke ihr dafür. Sie konnte ja doch in jenem unbekannten Stadtviertel nicht zu Fuß gehen. O, ich fange an, mich wieder glücklich und zufrieden zu fühlen. – »Und diese Kammerfrau,« sagte er zu seiner Frau, »wohnt sie nicht in der Nähe des Blumenmarktes?«

Die Baronin blickte auf den Jäger Brenner, welcher mit dem Kopfe nickte.

»Ja, ja, in der Nähe des Blumenmarktes,« fuhr Herr von Breda fort, »dort in einer kleinen, unscheinbaren Gasse.«

»So ist es,« sagte die Baronin, nachdem sie abermals den Jäger angeschaut.

»Ich möchte das Haus wissen,« fuhr der Baron fast heiter fort, »ist nicht in seiner Nähe ein kleiner Spielwaaren-Laden? Ja, ein Spielwaaren-Laden mit vielen Bären und Affen. Weißt du nicht, Julie, was es für ein Haus ist?«

»Es ist das Haus, wo meine Familie wohnt, gnädiger Herr,« gab der Jäger Brenner mit ruhiger Stimme zur Antwort. »Die alte Kammerfrau, welche so glücklich war, Fräulein Eugenie sehen zu dürfen, ist die Mutter meiner Frau.«

»Ei, ei, Herr Brenner, was vermitteln wir in unserem Hause für Sachen!« sprach der Baron lachend. »Wahrhaftig, jetzt erinnere ich mich, schon früher von der Kammerfrau unserer hochverehrten Gräfin Eller, deiner Mutter,« wandte er sich wieder an seine Frau, »gehört zu haben. Sie wird meiner wohl noch gedenken.«

»O, sehr oft, gnädiger Herr,« erwiderte der Jäger, »und meine Schwiegermutter spricht gern von ihrer glücklichen Zeit auf Stromberg, wo sie häufig Gelegenheit hatte, den Herrn Baron zu sehen.«

»Jetzt erinnere ich mich deutlich; es war eine große Frau mit ernsten, schönen Augen; sie hat uns oft gewehrt, wenn wir in unseren Spielen gar zu unartig waren. – Ich muß sie wieder sehen, ich will mit ihr über die vergangenen glücklichen Zeiten auf Stromberg sprechen.«

»Ja, das waren glückliche Zeiten,« sagte Frau von Breda mit einem leichten Seufzer, worauf sie dem Jäger einen Wink gab, der mit dem Service das Zimmer verließ.

»Aber schelten muß man Eugenie doch ein wenig,« meinte der Baron nach einem längeren Nachdenken. »Ein junges Mädchen muß vorsichtig sein. Wenn nun Jemand sie gesehen hätte! Wer kann es wissen, daß in dem finsteren Hause jener entlegenen Gasse eine Kammerfrau ihrer Großmutter wohnt, die sie besucht! – Aber bei alle dem vergaß ich fast,« sprach er, mit einem Male den Strom seiner Gedanken unterbrechend, »daß du mir gesagt, Eugenie sei unwohl, sie leide. Es ist ihr doch nichts passirt, Julie? Du sagtest, sie sei heiter nach Hause zurückgekehrt, und habe sich alterirt. Doch hoffentlich nicht in meinem Hause?«

»Wie ich dir vorhin schon sagte,« versetzte Frau von Breda, »werden wir vielleicht morgen über diese Geschichte lachen. Beruhige dich, ich werde es dir nach Tisch erzählen.«

»Aber sie ist nicht bedeutend krank?«

»Krank wohl nicht, aber sie will Niemand sehen.«

»Niemand sehen? So kann ich mich später nicht nach ihrem Befinden erkundigen?«

»Es ist viel besser, man läßt sie allein. Du weißt wohl, George, das Mädchen hat einen eigenen Sinn, und so heiter und entschlossen sie auch ist, so ist doch das Geringste im Stande, ihr feines Gefühl schmerzlich zu berühren, sie tief zu verletzen.«

»Du spannst mich auf die Folter! Bitte, sprich, was ist geschehen?«

»Nach dem Essen, George.«

»Gut denn, wenn du darauf beharrst; aber ich kann dir versichern, mir wird kein Bissen schmecken. Und siehst du,« rief er laut, indem er auf den Teller seiner Frau zeigte, »dir geht es gerade so. Du lässest alle Speisen unberührt und die vollen Teller hinaustragen.«

Und so war es in der That; die Baronin schien selbst zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um dem Diner zusprechen zu können. Da es nun Herr von Breda fast ebenso machte, und der Jäger so schnell wie möglich servirte, so war in Kurzem das ganze Mahl beendigt; der Baron legte seine Serviette auf den Tisch und erhob sich alsdann mit den Worten: »Nun denn, Julie, so laß mich jetzt endlich deine Geschichte hören.«

Der Jäger verließ das Zimmer und zog die Flügelthüren leise hinter sich zu.

Die Baronin hatte sich in ihren Fauteuil am Kamine niedergelassen; sie hustete leicht in ihr Sacktuch und sprach alsdann: »Wie ich dir vorhin sagte, kam Eugenie von ihrem Besuche heiter zurück; wenigstens erschien sie mir so, als sie in mein Zimmer trat. Auch erzählte sie mir aufs genaueste die Ergebnisse des heutigen Tages, that dabei ziemlich bekümmert, ob du es ihr auch wohl sehr verübeln würdest, daß sie diesen Besuch gewagt, lachte darauf herzlich über ihre Angst, als sie in den Miethwagen gesessen und in ein fremdes Haus gegangen sei; kurz, sie war offen, munter, allerliebst, wie immer.«

»Ja,« sagte Herr von Breda kopfnickend.

»Darauf nahm sie ein Buch und ging in den Wintergarten. Sie wollte dich erwarten, sagte sie. Das mochte nach vier Uhr gewesen sein. – Nun ja,« fuhr die Baronin stockend fort, »es ist eigentlich schwer, dir zu erzählen, was sich dort unten im Wintergarten begeben, recht schwer, und doch wieder so leicht, es ist höchst ernst und wieder sehr komisch.«

»Also im Wintergarten begab sich etwas?« fragte der Baron gespannt. »Etwas, das Eugenie alterirte? das sie krank machte? Teufel auch!«

»Nun, ich will es dir erzählen, George,« nahm Frau von Breda nach einer kleinen Pause das Wort, »genau so, wie ich es von Eugenien nach und nach erfuhr. Aber du mußt nicht jetzt schon so unruhig und zornig blicken. Versprich mir, ruhig zu sein.«

»Nun ja, ich verspreche es dir.«

»Eugenie saß also auf der kleinen Bank hinter dem Springbrunnen und las in einem Buche, blickte auch vielleicht träumend über die Blätter hinweg, denn sie sagte mir selbst, sie habe nicht gehört, daß sich Schritte näherten. Auf einmal fiel etwas auf die Blätter ihres Buches, – eine Orangenblüthe, die aber nicht zufällig herabgefallen sein konnte, denn über ihr befand sich nur Lorber; es mußte Jemand mit der Orangenblüthe nach ihr geworfen haben. Eugenie sagte mir, sie habe gedacht, du seiest es gewesen; sie blickte empor und wollte gerade fragen, wer da sei, als Jemand neben der Bank hervorstürzte, auf die Kniee fiel und dem armen Mädchen eine der unsinnigsten Liebeserklärungen machte, die je vorgekommen.«

»Ah!« rief George von Breda, indem er mit der linken Hand emporzuckte. »Wer war es, der sich auf solche Art in meinem Hause aufführte?«

»Du hast mir versprochen, ruhig zu bleiben,« bat die Baronin. »Denke dir das Entsetzen des armen Mädchens. Sie wollte emporspringen, davon eilen, der Rasende hielt sie fest, bemächtigte sich ihrer Hand und wagte es, dieselbe zu küssen.«

»Und Eugenie rief nicht um Hülfe?« fragte der Baron mit einem seltsamen Ausdrucke in den Augen. »Es mußten doch Leute in der Nähe sein, Brenner oder der Gärtner! – Warum rief sie nicht um Hülfe?– – Wollte sie vielleicht keine Hülfe gegen diesen Jemand? Ich möchte in der That wissen, Julie, wer es gewesen ist, der solches gewagt. Ah! was zu toll ist, ist zu toll.« – Er preßte heftig die Lippen auf einander und wiederholte alsdann seine Frage. »Ich bitte dich, Julie, wer hat sich unterstanden? Nenne mir ihn ohne Scheu.«

»Später, George. Eugenie war so furchtbar erschrocken und überrascht, daß sie ein paar Sekunden wie gelähmt vor dem Verwegenen stehen blieb. Endlich aber warf sie ihn kräftig von sich, stieß einen lauten Schrei aus und konnte alsdann davoneilen, da der Jäger in diesem Augenblicke herbeikam und den Unverschämten packte.«

»Er packte ihn?« fragte Herr von Breda, und dann fuhr er mit der Hand über Stirn und Augen, als wolle er sich auf etwas besinnen, das ihm nicht gleich klar wurde. »Er packte ihn? – Nun, Brenner hat ganz gut daran gethan; wer sich einen solchen schmählichen Ueberfall zu Schulden kommen läßt, vergibt jedes Recht, das ihm Rang und Stand verleiht. – Aber wer war es? ich will es wissen, Julie.«

»Von Rang und Stand war bei ihm nicht sonderlich die Rede,« gab die Baronin sehr langsam zur Antwort und legte, um nicht aufblicken zu müssen, das Taschentuch auf ihrem Schooße in kleine Falten zusammen.

»Du marterst mich; es war keiner unserer Bekannten?«

Frau von Breda schüttelte mit dem Kopfe, worauf sie in die Höhe schaute und ruhig sagte: »Ich habe nicht ohne Grund gefürchtet, mit dir darüber zu sprechen, George; ich wußte, es würde dich sehr aufregen. Aber sei verständig, die Sache ist schlimm, und doch nicht so schlimm. Wir thun am klügsten, sie von der komischen Seite zu nehmen. – Die Person, welche sich solches unterstand, ist an sich höchst ridicul, und wenn ich mir diese Person denke,« fuhr sie mit einem wohl erzwungenen Anfluge von heiterer Laune fort, »vor das arme Mädchen hintretend, auf die Kniee niederfallend und dann gräßlichen Unsinn redend, – ich versichere dich, George, ich könnte darüber lachen. Und du auch, wenn du dir mit etwas ruhigem Blute die ganze komische Situation vergegenwärtigst. Denn dieser Jemand war – dein kleiner Reitknecht – Friedrich.«

Der Baron hatte mit ungeheurer Spannung seiner Frau zugehört, er beugte sich auf ihren Stuhl herab und suchte ihren Augen zu begegnen, die sie aber niedergeschlagen hielt. Als er aber jenen Namen hörte, da flog, ein Ausdruck von Bitterkeit, von Verachtung über seine Züge; er zuckte, obgleich fast unmerklich, zusammen; er starrte einen Augenblick vor sich nieder, dann stieß er die Worte hervor: »Das ist schlimmer, als ich gedacht, das ist entsetzlich!«

Jetzt schaute Frau von Breda fragend zu ihm empor und blickte ihm besorgt nach, als sie sah, daß er stumm mit über einander geschlagenen Armen im Zimmer auf und ab schritt, längere Zeit, die Augen auf den Boden geheftet, keine Bewegung im Gesichte, als ein Zucken der Unterlippe, welche er zuweilen zwischen seine Zähne nahm.

»Obgleich die Sache für uns wohl ihre komischen Seiten hat,« fuhr Frau von Breda nach einem längeren Stillschweigen fort, »so kannst du dir doch denken, wie sehr sie das arme Mädchen erschüttert. Ich versichere dich, sie stürzte leichenblaß in mein Zimmer, sie erschreckte mich aufs höchste; denn sie stammelte anfänglich nur Worte, deren Sinn ich nicht verstand. Erst, als sich ihr Schmerz in lautes Weinen aufgelöst hatte, erfuhr ich den Hergang der ganzen Geschichte.«

»Und das konnte in meinem Hause geschehen?« sprach der Baron mit dumpfer Stimme, und darauf klopfte er sich mit der geballten Rechten auf die Brust. »In meinem Hause? Ah! das ist schrecklich! Julie, du begreifst vielleicht nicht, wie so sehr fürchterlich das ist.«

Frau von Breda lächelte trüb in sich hinein, ehe sie sagte: »O, ich begreife das sehr wohl; ich fühle es genau, bemühe, mich aber, etwas Linderndes in der ungeheuren Lächerlichkeit dieser Geschichte zu finden.«

»Aber hat er es nicht gewagt, ihre Hand zu berühren?« rief der Baron mit wild ausbrechendem Zorne. »Hat sich dieses Thier nicht unterstanden, ihre Hand zu küssen? – O, schlimmer als ein Thier; denn ein solches legt sich auch zu unseren Füßen, aber um seine Treue und Anhänglichkeit zu bezeugen, während er es that, um mit seinem schmutzigen Geifer zu besudeln. – Schade,« setzte er zähneknirschend hinzu, »daß ich nicht zufällig aus dem Jagdschlosse mitten im Walde bin. Es sollte mir nicht darauf ankommen, ein Stück Mittelalter aufzuführen. – Dieses elende Geschöpf, dem man nur Gutes erwiesen, das ich trotz seiner vielen Fehler und Untugenden um mich geduldet, wie einen drolligen Affen, der zuweilen durch seine komischen Sprünge ergötzt!«

»Sieh es von der Seite an, und du wirst ruhiger werden,« sagte Frau von Breda.

Der Baron machte eine unwillige Bewegung mit dem Kopfe, als er zur Antwort gab: »Alles hat seine Grenzen. – Aber wo ist er?«

»Er ist fort; Brenner hat ihn vorgenommen und ihn auf meinen Befehl vom Hause weggeschickt.«

»Du hättest ihn da behalten sollen, bis ich ihn verhört,« entgegnete Herr von Breda nach kurzem Besinnen. »Ich hätte wissen mögen, was diesen frechen Burschen zu solch unverantwortlicher That getrieben. – Und glaubst du,« fragte er nach einer abermaligen Pause, »daß Eugenie von diesem Vorfall ernstlich erkranken könne? Sollte man nicht nach einem Arzte schicken?«

»Ich glaube, das ist unnöthig; ein paar Tage Ruhe wird Alles sein, was sie braucht. Du kannst dir wohl denken, George, daß es ihr nach dem, was geschehen, am schmerzlichsten sein muß, dir vor die Augen zu treten. Es ist das vielleicht eine falsche Scham, aber du wirst sie achten. – Eugenie sprach sogar davon, zu ihrer Mutter zurück zu kehren; das hätte ich doch ungern zugegeben, George.«

Er nickte mit dem Kopfe und trat alsdann schweigend an die Thür des Eß-Salons, von wo er in den Wintergarten hinabblickte. – Sie hat zu ihrer Mutter zurückkehren wollen, dachte er, und ein Sturm von Gefühlen durchdrang seine Brust. – Vielleicht wäre das für uns beide besser. – Ich werde sie also ein paar Tage nicht sehen und will erwarten, wie mir dabei zu Muthe sein wird.– – O schreckliche, verzehrende Gedanken! Könnte ich mit zehn Jahren meines Lebens all die Erinnerungen auslöschen, die meine Seele erfüllen, die mich jetzt glücklich machen und gleich darauf wieder so namenlos elend! Könnte ich nur zwei Worte vergessen, zwei Worte mit ihrem wilden, hohnlachenden Gefolge von Lust und Qual, zwei wunderbar süße und doch wieder so schreckliche Worte – – Auch Eugenie!


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