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Fünfundfünfzigstes Kapitel.
Im Reibstein


Obgleich Don Larioz seit jenem denkwürdigen Morgen die Schreibstube seines ehemaligen Prinzipals nicht wieder betreten hatte, obgleich er seine Geschäfts-Verbindungen mit demselben als gänzlich gelöst betrachtete, so hatte er doch seine Wohnung in dem alten Hause, wo sich unten das Bureau des Advokaten befand, nicht verlassen.

Es war dieses aber weniger aus Anhänglichkeit an eben dieses Bureau geschehen, als weil er einen gewissen Termin abwarten mußte, ehe er sein Quartier wechseln, das heißt ein anderes beziehen konnte. Auch wollte er vor den Augen der Welt nicht so Knall und Fall davon gehen, um böswilligen Gerüchten, die sich über die Ursachen seiner Verabschiedung ohnedies schon verbreitet hatten, nicht noch mehr Vorschub zu leisten.

Der edle Spanier hatte geglaubt, es sei seiner Nachbarschaft durchaus gleichgültig, ob er bleibe oder gehe, und diese würde sich nicht im Mindesten darum bekümmern. In dieser Ansicht aber hatte er weit gefehlt, und Leute, mit denen er durchaus keinen Verkehr hatte, die er nie gesprochen, welche ihm früher nicht den geringsten Antheil gewidmet, beschäftigten sich jetzt aufs eifrigste mit der Ursache, mit der Art und Weise des Zerwürfnisses zwischen ihm und seinem ehemaligen Prinzipal.

Es war der Tiger, welcher dergleichen Mittheilungen an Gottschalk machte, der aber verständig genug war, das Meiste für sich zu behalten, und sich nur hie und da veranlaßt sah, eine oder die andere Aeußerung seinem väterlichen Freunde mitzutheilen.

Don Larioz zuckte gleichgültig mit den Achseln, wenn er erfuhr, wie freundlich man sich in Kreisen, die er durchaus nicht kannte, mit seinem Wohl und Wehe beschäftigte.

Nicht so der Tiger, der zuweilen in eine gelinde Wuth ausbrach, was bei der alten Frau immer etwas Komisches hatte. Denn sie pflegte alsdann zu weinen, mit der Rechten auf die linke Handfläche zu klopfen und auszurufen: »Daß dich – daß dich – daß dich!« Und das that sie in den verschiedensten Tönen, so lange, als Jemand den Versuch machte, sie zu beruhigen.

»Da habe ich gestern in einem Hause gewaschen,« sagte sie, »wo mir die Magd erzählte, jetzt wisse sie ganz genau, warum Herr Don Larioz nicht mehr bei dem Herrn Doktor Plager bleibe; er habe eine Liebschaft angefangen mit Mamsell Emilie, und da sei man dahinter gekommen, man habe sie ertappt. O, daß dich, daß dich! – Und doch hätte ich nichts dagegen gesagt, aber die alte Frau Stiefel, die auch da gewaschen hat, erzählte, sie sei gestern bei Kanzleirath Denker gewesen, da war vorgestern eine Kaffeevisite, wo die Frau Hofrath Reibeisen und die Regierungsräthin Pfeffer mit klaren Worten gesagt hätten, man wisse ganz genau, weßhalb der Schreiber des Herrn Doktor Plager weggeschickt worden sei, er habe wichtige Schreibsachen – wissen Sie, Herr Gottschalk, Sie verstehen mich schon – so – auf die Seite gebracht. O, daß dich, daß dich!«

In solchen Fällen tröstete der kleine Schreiber die alte Frau, indem er ihr versicherte, es gehe einmal in dieser Welt nicht anders, als daß man von seinen Nebenmenschen Böses rede. Auch sie müsse sich nicht einbilden, daß es ihr anders ergehe, er habe schon die schrecklichsten Dinge gehört.

»Ueber mich? du lieber Gott!« rief alsdann die alte Frau. »Was kann man über so ein miserables Wesen, wie ich bin, sagen? Das möchte ich wahrhaftig wissen.«

Der kleine Schalk zog seine Augenbrauen in die Höhe, nickte auffallend mit dem Kopfe und antwortete: »Glaubt Sie wohl, Frau, daß es den Leuten nichts zu denken gebe, wenn sie hören, daß man Sie nur schlechtweg den Tiger nennt? O, darüber habe ich schon Entsetzliches vernommen.«

»Herr Gottschalk, machen Sie keine Geschichten! Was kann man mir nachsagen?«

»Nichts als Verleumdungen, Frau, das weiß ich wohl, aber man kann Niemand das Maul stopfen. Sie sagen zum Beispiel, Sie sei früher eine wilde, blutdürstige Person gewesen; Sie habe einen Mann gehabt und sechs Kinder, die Sie alle Sieben ums Leben gebracht. Und davon habe man Ihr den Namen »der Tiger« gegeben.«

»Daß dich, daß dich! Herr Gottschalk!« gab die alte Frau betrübt zur Antwort. »Sehe ich wie eine blutdürstige Person aus, wie Jemand, der sieben Menschen ums Leben bringen könnte, ich, die ich selbst froh bin, wenn man mir mein bischen Leben läßt?«

Und das Aeußere des Tigers hatte allerdings nichts an sich, was diesen Namen rechtfertigen konnte; namentlich jetzt nicht, wie sie dastand, den Kopf auf die Seite gesenkt, die Unterlippe herabhängend, die eine Hand unter der Schürze in ihrer Tasche verborgen haltend.

»Im Allgemeinen kann man nicht behaupten,« sagte der kleine Schreiber, nachdem er die Frau ein paar Sekunden aufmerksam betrachtet, »daß Sie etwas auffallend Wildes an sich hat; aber zuweilen ist es mir doch schon so vorgekommen, als würde ich mich fürchten, Sie böse zu machen. Ich glaube, alsdann könnte Sie erschrecklich sein.«

In diesem Augenblicke wurde die Unterhaltung plötzlich unterbrochen, da sich vor der Thür die Tritte des Spaniers hören ließen, worauf der Tiger sich wieder daran begab, die Stühle im Zimmer abzuwischen und an ihren Platz zu setzen. Gottschalk aber nahm einen Brief vom Tische, als sei er so eben erst herauf gekommen, um diesen zu übergeben.

Don Larioz trat in das Zimmer, er hatte den Hut auf dem Kopfe, den Mantel umgehängt, weßhalb die alte Frau diensteifrig herbei eilte, um ihm letzteren abzunehmen, wobei sie nicht wenig erschrak, als sie sah, daß ihr Herr zwei lange Degen unter dem Arme trug, von denen er dem Tiger ebenfalls einen in die Hand gab, den anderen aber sorgfältig neben dem alten Kamin in die Ecke stellte.

Der Tiger brachte das Zimmer so schnell wie möglich in Ordnung und verließ es alsdann, nicht ohne Gottschalk zuzuflüstern, daß der Herr Don Larioz wahrscheinlich ein Unglück angerichtet habe, denn er sehe gar erschrecklich und wild aus.

Dies war aber nicht der Fall, vielmehr hatte der edle Spanier ganz das Aussehen eines Mannes, der vollkommen ruhigen Gemüthes ist, mit sich selbst zufrieden, im Bewußtsein, eine gute und gerechte That verübt zu haben. Er nahm den Brief aus den Händen Gottschalks und bedeutete diesen, indem er sich auf einen Lehnstuhl niederließ, ihm gegenüber Platz zu nehmen; dann betrachtete er das Siegel des ziemlich großen Schreibens, dessen Ausprägung übrigens undeutlich war; man bemerkte, freilich nur mit Mühe, einen etwas verschobenen Kopf mit unleserlicher Umschrift; es konnte ein altes Sigill sein. Dafür hielt es auch der Spanier, wogegen ein Unbefangener, vielleicht nicht ohne Grund, auf die Vermuthung gekommen wäre, als habe man ein älteres Thalerstück absichtliche etwas undeutlich auf das Siegellack gedrückt. Die Aufschrift lautete: »An den sehr ehrenwerthen Edelmann und Ritter Don Larioz von la Mancha; dahinter: M. d. B. z. D. R. Und darunter: Derzeit hier.«

Was die Buchstaben zu bedeuten hatten, wollte dem Leser im ersten Augenblicke nicht recht klar werden; er erinnerte sich, daß er eigentlich ganz ohne Titel sei, und wenn er auch etwas der Art besäße, er doch keinen wüßte, der mit den angeführten Buchstaben in Verbindung zu bringen wäre.

Wie es aber oft zu geschehen pflegt, daß wir, uns im Dunkeln befindend, plötzlich durch eine scheinbar fern liegende Ursache erleuchtet werden, so auch Don Larioz, als er zufälliger Weise auf dem Kamingesimse ein Brodmesser bemerkte, das sich mit seinem dicken Griff und langer spitzer Klinge in seiner Einbildung augenblicklich zu einem Dolche umformte und ihn an jene Verbrüderung erinnerte, der er das Glück hatte anzugehören und deren Botschaft er stündlich mit großer Sehnsucht entgegensah. Jetzt wurde ihm mit einem Male die Bedeutung jener Buchstaben klar, und er las mit einiger Genugthuung nochmals die Aufschrift: Dem etc. Don Larioz von la Mancha, Mitglied des Bundes zum Dolche Rubens. Ja, er hielt es in seiner Hand, worauf er lange gewartet, die Botschaft, welche ihm unfehlbar die versprochene Hülfe zusagte zur Befreiung seiner geliebten Dolores, der unglücklichen und schönen Spanierin.

Vor den Augen des ihm gegenübersitzenden jungen Menschen war es ihm indessen unmöglich, das Couvert zu erbrechen, und wenn es ihm auch Ueberwindung kostete, so legte er das Schreiben doch bei Seite, bis dieser das Zimmer verlassen haben würde.

Gottschalk machte jedoch keine Miene hierzu; er schien etwas auf dem Herzen zu haben; er sprach Dies und Das über gleichgültige Dinge, wahrscheinlich in der Hoffnung, sein Freund und Gönner würde ein Gesprächsthema berühren, das ihm Veranlassung gäbe, mit seinen Wünschen oder Fragen herauszurücken.

Da aber Don Larioz einsylbig blieb, auch zuweilen auf die Uhr schaute und zuletzt die Frage that, ob der Prinzipal dem kleinen Schreiber einen längeren Urlaub bewilligt, so sah dieser sich zu einem tiefen Seufzer veranlaßt und knüpfte an letzteren die Bemerkung, der Herr Doktor Plager würde es gewiß nicht einmal sehen, wenn er auch noch so lange ausbliebe, denn einestheils sei er im Bureau fast gar nicht mehr anwesend, anderentheils bekümmere er sich in der letzten Zeit durchaus nicht mehr um sein, des Lehrlings, Thun und Lassen.

»In den nächsten Tagen,« sagte Gottschalk, »kommt ohnedies ein neuer Schreiber, und dann wird es dem Herrn Doktor wahrscheinlich am liebsten sein, wenn ich ganz aus dem Bureau wegbleibe.«

»Und woher vermuthest du das?« fragte Larioz einigermaßen besorgt. »Ich hoffe nicht, daß du Streiche gemacht hast, welche deinen Prinzipal veranlassen, dich zu entfernen?«

»Streiche habe ich gar keine gemacht,« versetzte Gottschalk, »und fleißig bin ich gewesen wie immer.«

»Du könntest eben so gut sagen: faul wie immer, denn du wirst dich erinnern, wie oft ich mein großes Lineal in Bewegung setzen mußte, um dich zur nothwendigsten Thätigkeit anzuhalten.«

Der Knabe stieß einen kläglichen Seufzer aus, dann sagte er: »Das ist wohl wahr, aber da, seit Sie fort sind, das große Lineal nicht mehr gedroht hat und ich einsah, daß ich von selbst fleißig sein müßte, so habe ich mich in diesem Punkte auffallend gebessert, obgleich mir das keine kleine Mühe gekostet hat.«

»Und warum war dir das so mühsam?«

»Weil ich von Tag zu Tag mehr fühlte,« antwortete der Knabe kleinlaut, »wie wenig Lust und Talent ich eigentlich zu der ganzen Schreiberei habe. – So lange Sie noch da waren,« setzte er hastig hinzu, als er den sehr ernsten Blick des Spaniers bemerkte, »da war es was ganz Anderes, da nahm ich Sie zum Vorbilde und dachte auch einst so zu werden, wie Sie. Seit ich aber gesehen, daß Sie ebenfalls die Schreiberei verlassen –«

»Wer sagt dir, daß ich die Schreiberei verlassen?«

»Mein Vater hat es mir gesagt,« versetzte Gottschalk stockend.

»So, dein Vater?«

»Ja, er hat gesagt, Sie hätten endlich auch eingesehen, daß nicht viel dabei herauskomme, und er hat mir ferner gesagt, ich solle Sie bitten, freundlichst für mich überlegen zu wollen, ob Sie wirklich glauben, daß ich Talent zur Schreiberei habe.«

»An Talent dazu wird es dir nicht fehlen,« entgegnete Don Larioz, nachdem er ein paar Augenblicke nachgedacht; »mir scheint aber, dir ist die Lust vergangen, so Tag ein, Tag aus an dem Schreibtische zu sitzen, und wenn das ist, so ersuche ich dich, mir das geradezu zu sagen.«

»Die Lust ist mir eigentlich nicht vergangen,« erwiderte schalkhaft lächelnd der Knabe, »denn ich habe wohl nie viel Lust dazu gehabt. Wie ich Ihnen schon vorhin sagte, so lange auch Sie da waren, hatte ich nichts gegen die Schreiberei einzuwenden; aber jetzt, wo ich so allein da unten sitze, möchte ich oft in das Dintenfaß weinen, wenn ich nicht fürchten müßte, es laufe über.«

»Es ist mit der Schreiberei allerdings so eine Sache,« sprach gedankenvoll der Spanier; »ich konnte mich freilich auch schwer daran gewöhnen, was aber wohl daher kommen mochte, daß ich meine erste Jugend in ungebundener Freiheit, im Umherstreichen durch Gebirg und Thal zubrachte; wenn ich, wie du, in einer Schneider-Werkstätte gewesen wäre, so glaube ich fast, daß mir die edle Schreiberei schon Anfangs besser behagt hätte.«

»Ach ja wohl, Herr Larioz, das ist freilich wahr, aber mein Vater meint, in der Schreiberei hätte ich so gar keine Zukunft, und stellte Sie selbst mir zum Beispiel auf. Er sagte: Siehst du, der Herr Don Larioz, der hat doch wahrhaftig was gelernt und ist lange genug dabei gewesen, und der wird auch noch umsatteln, darauf kannst du dich verlassen.«

»Umsatteln schwerlich,« versetzte träumerisch der edle Spanier. »Aufsatteln möchte ich wohl, wenn das möglich wäre. Aber die Zeiten sind vorüber, wo ein gutes Pferd, ein scharfes Schwert, ein fester Arm und ein gesunder Muth alles war, was man bedurfte, um eine glänzende Carriere zu machen. – Was dich anbelangt, mein Sohn Gottschalk,« fuhr er nach einer Pause fort, »so bist du jung und kannst es deßhalb in der Schreiberei noch zu etwas Tüchtigem bringen, wenn du fleißig bist und den guten Muth und die Hoffnung nicht verlierst.«

»Ja, Muth und Hoffnung sind gut, um sich selbst etwas weis zu machen, wie es auch dem Maurer ergangen ist, als er vom Thurme fiel.«

»Und wie ist es dem Maurer ergangen, wenn ich fragen darf?«

»Als der Maurer im Fallen wär, dachte er: Das ist noch lange so schlimm nicht; vielleicht bleibe ich unterwegs irgendwo hängen oder unten fährt gerade ein Wagen mit Heu vorüber, auf den ich zu fallen komme.«

»Dieser Maurer hatte einen guten Glauben, von dem man sich schon etwas wünschen könnte; und wenn du jetzt in deine Schreibstube hinunterfielest und im Fallen dächtest: vielleicht hält mich unterwegs Jemand auf und schlägt, mir eine andere Laufbahn vor, oder du fällst unten in einen Sack von zwanzigtausend Thalern hinein, die dir Jemand zum Geschenk macht, so bist du besser daran als jener Maurer, denn der starb wahrscheinlich eines kläglichen Todes, während du vor dir hast, das vergnügliche Dasein eines Schreibers zu führen.«

Gottschalk erhob sich langsam von seinem Stuhle und sagte kleinlaut, während er sich am Kopfe kratzte: »Ich denke wie mein Vater; der hat einen Abscheu vor aller Schreiberei.«

»Das Denken wird dir Niemand verwehren, und wenn du ein folgsamer Knabe bist und keine dummen Streiche machst, so will ich auch für dich denken. Was soll man aber mit dir anfangen? Zum Schneider hast du keine Lust, zur Schreiberei auch nicht, wenigstens jetzt nicht mehr; denn du wirst dich erinnern, daß du damals recht froh warst, die Nadel mit der Feder vertauschen zu dürfen. – Was ist es denn eigentlich, womit du vollkommen einverstanden wärest?«

»Ich möchte Jäger werden,« sagte Gottschalk, ohne sich zu besinnen.

»Wie dein Vater?«

»Das gerade nicht; dagegen hat meine Mutter einen Widerwillen, und was die Mutter will, das will ich auch. Ich möchte nicht Jäger werden wie der Vater, um dabei in einem herrschaftlichen Hause zu dienen, sondern ich möchte was Rechtes lernen in der Jägerei, von dem Wild und den Bäumen im Walde, um das recht zu verstehen und immer im Freien sein zu dürfen.«

»Ah! ich begreife, du möchtest Förster werden oder dergleichen. Kein übles Geschäft, ist noch ziemlich frisch geblieben aus jener alten ritterlichen Zeit. Es sind das die einzigen Leute, die seit damals ihre Beschäftigung nicht geändert haben. Der Rittersmann auf gepanzertem Rosse mit Schild und Lanze ist verschwunden, den frommen Pilgrim sieht man nicht mehr mit seinem Muschelgewand durch die Länder ziehen; alle die abenteuerlichen und so edlen Gestalten, welche damals die Welt bevölkerten, sind im Strudel der Alltäglichkeit zu Grunde gegangen; nur allein der Jägersmann streift heute noch wie damals durch die Wälder, tödtet den Eber und beschleicht den Hirsch. – Ich muß sagen,« fuhr er nach einem tiefen Nachsinnen fort, »wenn ich nicht zu alt dazu wäre, so könnte es mich noch dazu verlocken, ein Jägerbursch zu werden; ich wüßte mir nichts schöneres, als unter den grünen Bäumen zu leben, von alter Zeit zu träumen und dabei den entfernten Schlag der Axt zu vernehmen oder das Halloh der fröhlichen Jagd, wie es damals gewesen ist. Bei Gott, das müßte ein lustiges Leben sein.«

Die Augen des Spaniers flammten auf, doch senkte er gleich darauf den Kopf in die Handfläche und sprach in traurigem Tone:

»Was mich anbelangt, so bin ich, wie gesagt, wohl zu alt zu einem Jägerburschen. Wenn das nicht wäre, so sollte mich nichts vom grünen Walde abhalten. – Und doch wäre es am Ende möglich, mir dort eine beschauliche Existenz zu gründen, wie büßende Ritter vor mir gethan, nicht als ehrwürdiger Einsiedler – leider ist deren Zeit ebenfalls vorüber – aber ich stelle es mir als ebenso würdig, als ebenso romantisch vor, fernab im wilden Walde zu hausen, als frommer Köhler in bescheidener Hütte zu leben, ein Hort der Verirrten und der müden Reisenden, ein gewissenhafter Aufbewahrer alter geheimnißvoller Sagen, ein Erzähler jener lieblichen Märchen, die von edlen Köhlern am rauchenden Meiler erdacht sind, die mit goldenen Sprüchen untermischt von ihrem Munde kommen und die darauf fortleben im Munde des Volkes von Jahrhundert zu Jahrhundert.«

»O, das wäre herrlich, Herr Larioz!« rief fröhlich der Knabe aus. »Wenn ich dann ein Jägersmann wäre und mit Büchse und Hirschfänger zu Ihnen träte –«

»Während ich gedankenvoll am rauchenden Meiler sitze.«

»Ich erzählte Ihnen, was es Neues in der Welt gäbe.«

»Und ich würde dir dafür ein Märchen mittheilen.«

»Ja, und vielleicht sagte ich auch eines Tages, daß draußen Krieg entstanden sei, zu dem auch wir Jäger mit hinausziehen müßten, um das Land zu retten.«

»Und alsdann,« rief Don Larioz begeistert, »sammelte ich die Köhler und Köhlerburschen der Umgegend, bewaffnete sie mit Schwertern und Armbrüsten, und zöge mit ihnen hinaus in das Gefecht, und käme zur rechten Zeit, um es glorreich zu beendigen.«

»O, Herr Larioz, das wäre so sehr schön! Der Vater sagte, Sie hätten so vornehme und reiche Freunde und könnten schon was für mich thun. O, denken Sie daran! Es wäre so schön, wenn ich später einmal auf einem Jagdschlosse mitten im Walde wohnte.«

»Ja, das wäre allerdings höchst angenehm; und ich käme eines Abends auf müdem Roß und klopfte an die Pforte und spräche alsdann: »Sagt mir, Pförtner, wie weit ist es zum nächsten Kloster?«

»O, dann dürften Sie in kein Kloster gehen,« sprach Gottschalk lustig. »Dann würden wir beisammen bleiben und Rehe und Hirsche schießen. Hurrah, das wäre ein Leben Nicht wahr, Herr Larioz, Sie denken an mich?«

»Ich werde dich nicht vergessen,« erwiderte der Spanier, nachdem er einige Augenblicke nachgedacht. »Aber nur dann, wenn du deine Geschäfte drunten so pünktlich besorgst, als hättest du vor, dein ganzes Leben beim Herrn Doktor Plager zu bleiben. Die geringste Klage, die ich über dich höre, wird mich veranlassen, mit keinem jener mächtigen Gönner zu reden, die sich mir zu Liebe vielleicht entschließen könnten, etwas für deine Zukunft zu thun. – Jetzt laß mich allein.«;

»Tausend herzlichen Dank, Herr Larioz, dafür, daß Sie sich meiner annehmen wollen!« rief der Knabe. »Gewiß, Sie sollen keine Klage über mich hören; im Gegentheil, der Herr Doktor Plager soll sehr betrübt darüber sein, wenn er erfährt, daß ich ihn verlasse.«

»Gut, gut!« sagte der lange Mann gelassen; »sei du nur aufmerksam und fleißig; was die Betrübniß des Herrn Rechtsconsulenten anbelangt, so wird dieselbe auf alle Fälle mäßig bleiben.«

Gottschalk verließ das Zimmer, und kaum schloß sich die Thür hinter ihm, so nahm Don Larioz den bewußten Brief zur Hand, öffnete das Couvert und vertiefte sich in den Inhalt des Schreibens. Er hatte richtig geahnt; es war vom Vorsitzenden des Bundes zum Dolche Rubens und enthielt die Worte:

»Die Zeit ist da, wo wir handeln werden. Der Bund hat über Euch gewacht und ist bereit, Euch, edler Ritter, in Eurem Unternehmen zu helfen. Muth und Verschwiegenheit! Wenn die achte Stunde anschlägt auf dem Thurme jener alten Kirche, die nicht entfernt liegt vom Hause, das zum Schild einen Reibstein führt, werden sich dort die Brüder versammeln zur helfenden That. Waffen sind vorräthig. Den Zehrpfennig für fremde arme Pilgrime ersucht man den edlen Ritter nicht zu vergessen.

»Der Vorsitzende des Bundes zum Dolche Rubens.«

Don Larioz ließ die Hand mit dem Blatt Papier auf seine Kniee niedersinken und blickte träumerisch an die Decke empor. Der Inhalt des Briefes war ihm nicht vollkommen klar. Wohl erinnerte er sich jenes Abends, wo der Bund in geheimer Abstimmung beschlossen, die Angelegenheit gegen das verruchte Treiben der Gebrüder Breiberg als seine eigene zu betrachten und dem neuen Mitgliede helfend die Bruderhand zu reichen. In wie fern dies aber geschehen könne, wollte ihm nicht recht klar werden. Hatte Herr Wurzel, der edle Vorsitzende, vielleicht nähere Nachricht über das Schicksal der unglücklichen Spanierin? war es ihm gelungen, Verbindungen mit ihr anzuknüpfen? Die treuen Freunde hatten wohl so weit vorgearbeitet, um ihre Entführung erleichtern zu können?

Larioz zitterte bei diesem Gedanken. Nicht aus Furcht, wer könnte so etwas glauben! – gewiß nicht, sondern er zitterte vor Freude und gewaltiger Aufregung, daß jetzt endlich vielleicht der Augenblick gekommen sei, wo er zu ihrer Befreiung sein Leben einsetzen dürfe; wo ihm möglicher Weise diese Befreiung gelingen könne, wo es ihm, und zwar in nächster Zeit, vergönnt sei, die unglückliche und so sehr geliebte Dolores an sein treues, ritterliches Herz zu drücken.

Es duldete ihn nicht mehr auf seinem Stuhle; er erhob sich, trat zu dem kleinen Tische, wo das Kästchen stand mit ihrem Portrait, öffnete dasselbe und blickte in ihre geliebten Züge. Dann ging er mit langsamen Schritten vor den Kamin, über welchem jenes Bild hing, das dem edlen Spanier so ähnlich sah, stellte das Portrait der unglücklichen Dolores unterhalb desselben auf, nahm den langen Stoßdegen aus der Ecke, entblößte die Klinge und hielt sie hoch gegen das Bild empor, indem er den Griff mit beiden Händen faßte.

»Edler Don Manuel,« sprach er mit bewegter Stimme, »tapferer Ahnherr des Geschlechts der Larioz! endlich darf ich es wagen, vor deinem strengen Angesicht diese noch nie mit Schmach bedeckte Toledaner Klinge zu erheben, nachdem sie heute durch mich aufs Neue geweiht worden. Ja, sie zwang einem kühnen Verräther das Bekenntniß seiner Schuld ab, der sich unterstanden, Einen deines erhabenen Namens mit dem Schimpf einer gemeinen Anklage zu besudeln; sie zwang ihn zum Widerruf; sie nöthigte ihn, feierlich zu erklären, daß jenes holde, aber unglückliche Mädchen, deren Schönheit und Tugend das Herz deines Urenkels gerührt hat, zu den Vorzüglichsten ihres Geschlechts gehöre, daß Dolores das schönste Weib auf Erden sei. Ehe mir dieses durch die Kraft meines Armes gelang, durfte ich es nicht wagen, das Bild ihrer Schönheit vor dein strenges Antlitz zu bringen. Jetzt aber thue ich es mit Stolz, indem ich zu gleicher Zeit um deinen Schutz für sie bitte, edler Ahnherr, und indem ich dein unbeflecktes Schwert erhebe und feierlich gelobe, in dem Versuche, das theure Mädchen aus unwürdigen Banden zu befreien, zu siegen oder unterzugehen.«

Darauf hob er den Degen hoch empor zu dem ernsten Kopfe, mit dem spitzen, aufwärts gedrehten Barte, steckte die Klinge langsam in die Scheide, lehnte sie darauf in die Ecke des Kamins, verschloß das Portrait der schönen Dolores wieder in das kleine Kästchen und ging alsdann nachdenkend, die Hände auf den Rücken gelegt, im Zimmer auf und ab. Doch war er augenscheinlich zu bewegt, um es in den engen Mauern des Zimmers aushalten zu können; er nahm deßhalb seinen Mantel um, setzte den Hut auf und verließ seine Wohnung, nachdem er einiges Geld zu sich gesteckt für fremde arme Pilgrime; diese Stelle des Schreibens hatte er wohl verstanden.

Es war übrigens noch so früh am Tage, daß vor Verlauf einiger Stunden nicht daran zu denken war, die Glocke jenes bezeichneten Thurmes die achte Stunde schlagen zu hören. Don Larioz wandelte deßhalb, mit seinen Gedanken beschäftigt, durch die Straßen der Stadt, und da er den Weg, der nach dem Hause des Jägers Brenner führte, häufig zu machen pflegte, so kam er dieses Mal fast willenlos auf den Blumenmarkt und befand sich kurze Zeit darauf in der engen und finsteren Gasse, wo er an einem kleinen Spielwaaren-Magazin vor einigen Tagen mit jenem fremden Herrn zusammen getroffen war.

Er blieb an dem Fenster stehen, um sich die Bären und Affen zu betrachten, die ihm zum Vorwande hatten dienen müssen, und wollte gerade wieder kopfschüttelnd weiterschreiten, als er neben sich leise seinen Namen nennen hörte. Rasch wandte er sich um und sah zu seinem Erstaunen ein junges Mädchen, in welchem er augenblicklich Kathinka Schneller von der Entenpforte erkannte. Leider war es ihm unmöglich, sie trotz seines Wohlwollens für alle Menschen mit einem freundlichen Blicke anzuschauen; sie vergegenwärtigte ihm zu sehr jenen ganzen unglücklichen Abend mit seiner tiefen Erniedrigung. Ja, durch die Aeußerungen, welche er auf der Polizei gehört, hatte er doch ein gewisses Mißtrauen nicht nur gegen das Treiben in jenem Hause gefaßt, sondern auch gegen die, welche ihm Dolores als ihre Freundin empfohlen.

Natürlich war er weit davon entfernt, zu glauben, daß hiedurch der mindeste Schatten auf die unglückliche Gefangene fallen könne; denn er konnte sich zu lebhaft vorstellen, daß ebenso, wie der Ertrinkende nach jedem Strohhalme greife, auch Jemand in der Nacht des Kerkers nicht lange wählen dürfe in dem Gegenstande, der ihm Hülfe bringen konnte.

Der edle Spanier wollte sich mit einer einfachen Neigung des Kopfes von den Bären, den Affen und von Kathinka Schneller entfernen, als Letztere mit einem tiefen Seufzer sagte: »Ja, jetzt gehen Sie stolz an mir vorüber, jetzt, da ich eigentlich durch Sie ins Unglück gekommen bin.«

Diese Worte änderten augenblicklich den Ideengang des langen Mannes; Kathinka befand sich im Unglücke, also war es Pflicht von ihm, anzuhören, was sie zu sagen habe.

Obgleich dieser Vorsatz gewiß ein edler war, so blickte Larioz doch einige Mal verlegen die Gasse auf und ab; er dachte an seinen Freund, den Armenarzt, in dessen Revier er sich befand, und es wäre ihm gerade nicht angenehm gewesen, von demselben im gegenwärtigen Augenblicke gesehen zu werden.

Kathinka mochte seine Gedanken errathen; sie zeigte auf ein kleines Haus, dem Spielwaarenladen gegenüber, indem sie sprach: »Dort wohne ich jetzt; es ist eine anständige Restauration, Sie können, ohne Aufsehen zu erregen, eintreten und ungestört mit mir reden, da niemand Fremdes im Gastzimmer ist.«

Don Larioz nickte mit dem Kopfe, worauf das junge Mädchen in den kleinen finsteren Hausgang schlüpfte, dort an einer sehr engen Treppe stehen blieb und dem Spanier die Hand reichte, um ihm in dem gänzlich dunklen Raume beim Emporsteigen behülflich zu sein.

Oben an gekommen, öffnete sie die Thür zu einem niedrigen und ziemlich unreinlichen Zimmer, wo man ein paar hölzerne Tische sah, einige wackelige Stühle und außer einer alten Frau, die aus einem Nebengemache erschien, um den verlangten Wein zu bringen, niemand Fremdes.

Der Spanier ließ sich an einem der Tische nieder, Kathinka setzte sich ihm gegenüber, senkte den Kopf in die Hand und sagte tief aufseufzend: »Ja, ich bin recht unglücklich!«

»Wenn ich Ihnen in etwas helfen kann,« sprach der Spanier mit nicht unfreundlichem Ernste, »so will ich das recht gern thun, obgleich –«

»O, ich weiß, was Sie sagen wollen,« klagte das Mädchen, »und Sie können mir glauben, jener Abend liegt mir heute noch schwer auf der Seele. Ach! ich war ebenso unwissend und unschuldig wie Sie selber. Clemens Breiberg hatte das Alles angestiftet, und der Stöpsel, die schlechte Person, ihm geholfen, mich zu überreden. O, ich bitte Sie herzlich, mir zu verzeihen, denn wenn Sie das nicht thun, so habe ich keine ruhige Stunde mehr.«

»Wenn Ihnen an meiner Verzeihung wirklich etwas gelegen ist, so werde ich Ihnen dieselbe nicht vorenthalten. Ich sehe, daß Sie einiges Unrecht, welches Sie mir gethan, bereuen, und damit ist die Sache nichts nur abgemacht, sondern ich biete Ihnen wiederholt meine Dienste an.«

»Vorderhand können Sie mir in nichts helfen,« gab Kathinka zur Antwort, »und ich würde mich auch schämen, von Ihnen, gegen den ich unrecht gehandelt, irgend eine Hülfe zu verlangen oder anzunehmen. Sie sind sehr gut, Herr Don Larioz, recht sehr gut, und deßhalb thut mir nicht nur das leid, was ich gegen Sie gethan, sondern ich möchte. Sie auch warnen, damit Andere Ihnen nicht noch Schlimmeres zufügen.«

»Sprechen wir nicht von mir,« sagte der Spanier mit einer abwehrenden Handbewegung; »ich habe ein festes Ziel vor Augen, von dem ich gewiß bin, daß es ein edles Ziel ist, dem ich nachstrebe aus allen Kräften, und von dem mich nichts zurückschrecken kann, keine Drohungen, keine Warnungen. Sagen Sie mir lieber, wie kommen Sie hieher, warum haben Sie die Entenpforte verlassen?«

»Das geschah in Folge jenes Abends,« versetzte Kathinka Schneller, indem sie die Augen niederschlug. »Ich weiß, daß Sie auf die Polizei gebracht wurden; ah, ich verlebte in Trübsal und Weinen eine schreckliche Nacht. Den andern Tag mußten auch wir dort erscheinen.«

»Auf der Polizei? Sie und Ihre Frau Mutter?«

»Ja, ich und – die Anderen. Man sagte uns dort allerlei sehr unangenehme Dinge, man drohte mir insbesondere und nöthigte mich, die Entenpforte zu verlassen.«

»Ihre Mutter zu verlassen? Das kann man allerdings ein Unglück nennen.«

»O, gewiß ein Unglück!« klagte Kathinka mit leiser Stimme; »denn da führte ich ein recht angenehmes und zufriedenes Leben, während ich hier ein ganz unglückliches Geschöpf bin.«

»Es ist das freilich hier kein sehr wohnlicher Aufenthalt,« sprach Larioz, nachdem er aufmerksam um sich her geblickt.

»Ach, das wäre noch das Wenigste!« fuhr das junge Mädchen fort, indem sie ihre Hand auf den Arm des langen Mannes legte und denselben leicht drückte; »aber es kommen so arge Menschen hieher, die ein armes, unerfahrenes Mädchen, welches ohne Beschützer dasteht – ach, ich brauche Ihnen nicht mehr zu sagen, Sie kennen die schlechte Welt genug, um mich zu verstehen.«

Don Larioz verstand sie allerdings, und es schauderte ihn einigermaßen, wenn er an die Lage von Kathinka Schneller dachte und diese sich vorstellte, tugendhaft wie sie war, allen Verführungen ausgesetzt. Wenn es auch vielleicht möglich war, daß sie hier und da einen Beschützer fand, so kannte er doch die Welt im Allgemeinen als so schlecht, daß das Mädchen wohl Ursache hatte, über ihre Lage zu seufzen. Deßhalb gab er ihr den wohlgemeinten Rath, wieder zu ihrer Mutter zurückzukehren, sich dort vor den bösen Einflüsterungen des Herrn Clemens Breiberg sowie der Fräulein Stöpsel in Acht zu nehmen, ein stilles und ruhiges Leben zu führen; dann könne sie wohl überzeugt sein, daß die Polizei trotz ihrer väterlichen Fürsorge sich in Kurzem nicht mehr um sie bekümmern werde.

Kathinka dankte für diesen Rath und versicherte, ihn ausführen zu wollen, sobald es ihr möglich sei.

»Sie haben sich vertrauensvoll an mich gewandt,« fuhr der Spanier fort, »und Sie können überzeugt sein, daß ich Ihnen meinen Schutz, wo immer möglich, nicht vorenthalten werde. Wenden Sie sich an mich, so oft ich Ihnen dienen kann; und was die frechen Angriffe junger, leichtsinniger Menschen anbelangt, denen Sie, wie Sie sagen, hier zuweilen ausgesetzt sind, so geben Sie denselben zu verstehen, daß Sie einen Beschützer besitzen, dem es auf ein paar Degenstöße mehr oder weniger nicht ankommt.«

»Wie soll ich Ihnen für diese Großmuth danken!« sprach das Mädchen wirklich ergriffen; man sah das an dem ernsten, fast traurigen Blicke, mit welchem sie den langen Mann betrachtete. Sie dachte auch: Wie jammerschade ist es, daß ein sonst so verständiger und angenehmer Mann so confuse Ideen haben kann und daß er sich mit Leuten wie Wurzel und den Anderen einläßt! Sie konnte nicht umhin, diesen ihren Gedanken Worte zu leihen, und sagte deßhalb:

»Ach, Herr Don Larioz, Sie benehmen sich gegen mich armes Geschöpf so außerordentlich anständig und nobel, daß ich Sie nochmals bitten muß, sich mit diesen Gebrüdern Breiberg und den Anderen nicht einzulassen. Die meinen es doch nicht ehrlich mit Ihnen.«

Der tapfere Spanier drehte seinen Schnurrbart in die Höhe, ehe er mit dem ihm eigenen Lächeln zur Antwort gab: »Daß die es nicht gut mit mir meinen, davon bin ich vollkommen überzeugt, mein Fräulein; aber glauben Sie mir, ich vergelte ihnen Gleiches mit Gleichem.«

»Das können Sie nicht, Herr Don Larioz,« antwortete das Mädchen, »denn Sie sind geradeaus und ehrlich, während die Anderen nur mit Ränken und Schwänken umgehen. Ach, wenn Sie wüßten, wie sie Sie mit der Geschichte zum Besten haben!«

»Mit welcher Geschichte, mein Kind?«

»Nun, mit der sogenannten Spanierin bei den Gebrüdern Breiberg.«

Don Larioz schaute Kathinka mit einem mitleidigen Lächeln an, dann sagte er: »Daß die bewußte Unglückliche eine Spanierin ist, das weiß ich genau.«

»Ach, wenn Sie es nur genau wüßten,« fuhr das Mädchen fort, »oder wenn sie mich nur nicht in der Hand hätten, daß ich nichts sagen darf! Da sollten Sie erfahren, wie es mit Ihrer Spanierin aussieht.«

»Daß man die edle Dolores zu verleumden trachtet, daran zweifle ich nicht im Geringsten, und daß auch Sie das heute gerade absichtlich thun, finde ich begreiflich. Es ist das in früheren Zeiten ebenfalls häufig vorgekommen, daß man tapferen Rittern, ehe sie das Schlachtroß bestiegen, um für ihre Dame zu kämpfen, alles erdenkliche Schlimme von ihren Gebieterinnen zuflüsterte. Ich könnte mehrere Beispiele davon anführen, begnüge mich aber, Ihnen den Wahlspruch zu wiederholen, für den ich siegen oder sterben werde: daß Dolores nicht nur das schönste, sondern auch das vortrefflichste Weib auf Erden ist.«

»Aber wenn Sie nun diese Dolores,« sprach dringend das junge Mädchen, »ganz anders fänden, als Sie sich dieselbe vorstellen? – – ganz, ganz anders?«

»Wie wäre das möglich? Ich habe sie gesehen, und so, wie ich sie sah, steht sie fest in meinem Herzen eingegraben. Worin könnte sie sich geändert haben? In ihrem Aeußeren etwa? Werde ich sie vielleicht abgehärmt finden aus Kummer, Noth und vielleicht auch ein wenig Sehnsucht? O, wenn das wäre, so würde ich glücklich sein über ihre bleichen Wangen und würde das Möglichste thun, den Schimmer der Zufriedenheit und Gesundheit wieder über ihre Züge hinzuzaubern.«

Kathinka Schneller ließ darauf mit einem tiefen Seufzer ihre Hände in den Schooß fallen, als wolle sie dadurch ausdrücken: Da ist nicht zu rächen und nicht zu helfen. – »Denken Sie aber an mich,« sagte sie mit wehmüthigem Tone, »daß ich es gewesen bin, die Sie gewarnt.«

»Ich werde an Sie denken,« erwiderte bestimmt der edle Spanier, »und hoffe Ihnen in den nächsten Tagen viel Neues und Großes mittheilen zu können.«

»Das gebe Gott!«

»Amen!« sagte Don Larioz. »Für Ihr Mitgefühl bin ich Ihnen dankbar und werde wohl noch Gelegenheit finden, Ihnen diese meine Dankbarkeit zu beweisen. – Leben Sie wohl!«

Er erhob sich bei diesen Worten, bezahlte den Wein, den er übrigens nicht angerührt, und reichte dem Mädchen seine Hand, worauf er Zimmer und Haus verließ.

Obgleich es bereits stark dunkelte, so hatte doch der edle Spanier Zeit genug, um aufs langsamste nach dem Burgplatze hinzuschlendern, wo er trotzdem immer noch zu früh an die Thür des Reibsteins gelangte. Das Zimmer, wo sich der Bund zum Dolche Rubens zu versammeln pflegte, war noch unbeleuchtet, weßhalb Don Larioz durch den matt erhellten Hausgang nach dem hinteren kleinen Stübchen schritt, wo er sich schon zuweilen aufgehalten und wo um diese Zeit selten Gäste anzutreffen waren.

Auch dieses Mal befanden sich nur zwei Personen dort, von denen die eine, das getreue Windspiel, freudig empor sprang und dem Ankommenden entgegen lief, um ihn herzlich zu begrüßen. Die andere Person blieb am Tische sitzen, den Kopf auf beide Ellbogen gestützt, ein unberührtes Glas Wein vor sich. Näher tretend, erkannte Larioz den kleinen Reitknecht, dessen Aeußeres sich aber bedeutend und nicht vorteilhaft verändert hatte. Verschwunden war der Stolz des Grooms, die glänzenden Stiefel, die anliegende Reithose und die blanke Livree mit den coquetten Achselschnüren. Der bunte flatternde Schmetterling war nicht mehr; er hatte sich eingesponnen in ein graues unscheinbares Gehäuse, das, von groben Stoffen und überall zu weit, wenig mehr ahnen ließ von der eleganten Figur des unwiderstehlichen Friedrich.

So sehr Don Larioz auch seine Gedanken auf die ihm bevorstehenden wichtigen Ereignisse gerichtet hatte, so entging ihm doch diese Verwandlung nicht, und er blickte fragend auf den ehemaligen Reitknecht, der einen Augenblick trübselig emporschaute, dann aber wie verdrießlich über die Ankunft des eben Eingetretenen seinen Kopf mit einer heftigen Bewegung noch tiefer hinab senkte.

»Du brauchst dich vor dem Herrn nicht zu geniren,« sagte Windspiel begütigend. »Herr Don Larioz wird deine Trauer zu würdigen verstehen und ist Keiner von denen, die kalt bei dem Unglücke ihrer Nebenmenschen vorüberziehen. – Bitte, nehmen Sie Platz,« wandte er sich an den langen Mann; »es ist noch Niemand im Lokale,« setzte er flüsternd hinzu.

Der Spanier setzte sich und blickte mitleidig auf Windspiels Bruder.

»Ja, es ist ihm schlecht ergangen,« sagte der kleine Kellner achselzuckend. »Schau mich nur nicht so grimmig an,« sprach er zu seinem Bruder, »du bist hier unter guten Freunden, und wir sind gewiß bereit, dir mit Rath und That an die Hand zu gehen. – Nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Ich brauche weder Rath noch That,« murmelte tückisch der Groom.

»Er hat,« fuhr Windspiel gegen Don Larioz fort, »Differenzen mit seiner Herrschaft gehabt.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu,
Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwei.«

»Ich wollte, daß du deine Verse und deine Reden für dich behieltest,« sprach Friedrich, indem er, wie um seinen Aerger niederzuschlucken, das vor ihm stehende Glas Wein auf Einen Zug austrank.

»Es scheint mir also etwas von Liebe dabei zu sein,« meinte Larioz mit einem mitleidigen Blick auf den kleinen Mann.

Windspiel zwinkerte mit den Augen, worauf der edle Spanier seine Hand auf den Arm des gewesenen Reitknechts legte und zu ihm mit herzlichem Tone sagte:

»Wenn dem so ist, wie ich vermuthe, wenn eine unglückliche Liebe Ihr Herz bewegte, wenn Sie ihretwegen Ihre Stellung im gesellschaftlichen Leben aufgegeben, so ist es im höchsten Grade lobenswerth, und ich kann nicht unterlassen, Ihnen meine Achtung zu bezeigen.«

Friedrich schielte mißtrauisch auf die Seite nach dem langen Manne hin, um zu sehen, ob dieser nicht seinen Spaß mit ihm habe; als er aber in dessen ruhiges, ernstes, ja, wir müssen mit Recht sagen: würdevolles Gesicht sah, als er seinen Bruder erblickte, der mit gefalteten Händen, das magere Köpfchen geneigt, mit wehmüthigem Blicke vor ihm stand, da brach der Groll und die Wuth, welche sein störrisches Herz mit einer Eiskruste umgeben hatte; er ließ den Kopf auf den Tisch niederfallen und weinte mit der gleichen Anstrengung, wie man es wohl bei ungezogenen Kindern sieht, wenn man von ihnen sagt, der Bock stoße sie.

Auch in Windspiels sanftem Auge glänzte eine Thräne, und Don Larioz, der tapfere Ritter mit dem weichen Herzen, griff mit zwei Fingern an seine lange Nase, wie um auf diese Art die überströmende Quelle der Rührung zuzuhalten.

»Ja es ist wohl recht sehr traurig,« sprach der kleine Kellner nach einer Pause, und darauf schluchzte der Groom: »Du – kannst – Alles sagen – o, es ist – mir zu schlecht gegangen.«

Darauf fing der Bock bei ihm wieder so heftig an zu arbeiten, daß er ordentlich in die Höhe schnellte und alsdann den Kopf wieder sinken ließ.

Don Larioz faltete die Hände auf dem Bauche und blickte bewegt zu Windspiel hin, welcher fortfuhr: »Es war ein Complot, ein verabscheuenswürdiges, schändliches Complot. Natürlicher Weise war die junge Dame schön wie der Tag, hold wie ein Engel, und ich glaube annehmen zu dürfen, daß sie meinen Bruder Friedrich liebte. Nicht wahr, unglücklicher Bruder, das hast du auch vermuthet?«

»Ja, ich habe es vermuthet,« heulte Friedrich. »Und der Gärtner und der François haben es immer gesagt. O–o–h

»Das Letztere kann ich bezeugen,« sprach Windspiel; »ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört. Wie oft haben sie ihm gesagt, das gnädige Fräulein liebe ihn und –«

»Es war also ein gnädiges Fräulein?« fragte Larioz mit Interesse.

»Allerdings, o ja! Das versteht sich,« erwiderte stolz der kleine Kellner, wobei er die Hand in seinen Rock steckte und die Nase etwas Weniges erhob. »Es war ein gnädiges Fräulein, und sie gab meinem Bruder Friederich häufig Beweise ihrer Zuneigung. Ist es nicht so?«

»Ja, es ist so. Sie sah mich immer an; sie lachte so gern über mich; sie sagte, so komisch wie ich sei Niemand auf der Welt. Ich mußte ihr Alles besorgen, Alles, Alles, und wenn ich gerade nicht da war, dann wartete sie bis ich kam. O, wenn ich nur an die Orangenblüthen denke, dann könnte ich ein völliger Narr werden.«

»So, es war auch etwas von Orangenblüthe dabei?« fragte der Spanier.

»Ja wohl, auch so eine Tändelei. Genug, endlich kam es zu einer Erklärung, und sie war hart und grausam genug, den armen Friedrich schmählich zu behandeln.«

»Das kann man gerade nicht sagen,« sprach der kleine Groom mit einem sanften Schluchzen; »sie hat mich eigentlich gar nicht behandelt, sie sprang nur in die Höhe und stürzte davon, indem sie ausrief: Unerhört! – Aber der Jäger –«

»Ja, der Jäger,« sagte Windspiel –

Darob entbrennt in Robert's Brust,
Des Jägers, gift'ger Groll,
Dem längst von böser Schadenlust
Die schwarze Seele schwoll,«

declamirte er träumerisch vor sich hin.

»Und ein eifersüchtiger Jäger überraschte Sie?« fragte Don Larioz. »Er klopfte Ihnen wahrscheinlich leicht auf die Schulter, winkte Ihnen nach einem stillen Gebüsche und sprach: Die Gewalt der Waffen soll entscheiden.«

Windspiel schüttelte traurig mit dem Kopfe, als er sagte: »O nein, so sprach dieser Jäger nicht; so nobel benahm er sich nicht; er, der Stärkere, fiel über meinen armen Bruder Friedrich her, wammste ihn tüchtig durch und warf ihn zum Hause hinaus. Nicht wahr, lieber Friedrich?«

»Ja,« heulte dieser, »er wammste mich; ich mußte meine ganze Livree ausziehen.«

»Geschah Letzteres vor oder nach dem sogenannten Wammsen?« fragte der edle Spanier mit mißbilligendem Blicke.

»Allerdings nachher, aber kurze Zeit vorher, ehe er mich aus dem Hause warf.«

»Und wer gab dem Jäger ein Recht zu solch schändlichem Thun?«

»Wer?« entgegnete Windspiel achselzuckend, »die Macht des Stärkeren.«

»Und das in unserem Jahrhundert!« rief Don Larioz entrüstet, indem er mit der Hand auf den Tisch schlug; »in einer Zeit, wo man von Aufklärung spricht, von Gerechtigkeit! Beruhigen Sie sich, junger Mann, Sie haben mir nicht umsonst Ihr lehrreiches und trauriges Schicksal erzählt, Ihr Zusammentreffen mit jener schönen Dame und dem grausamen Jäger. Ihre Sache werde ich zu der meinigen machen. Es ist meine Bestimmung, die Unschuldigen zu beschützen, keine Gewaltthat zu dulden. Ich werde meinen Stand für kurze Zeit vergessen, um diesem rohen Jäger zu beweisen, daß es ihm nicht ungestraft hingehen soll, zwei liebende Herzen mit empörender Gewalt aus einander zu reißen. Nehmen Sie meine Versicherung und verzweifeln Sie nicht daran, noch glücklich zu werden.«

Er streckte einen seiner langen Arme über den Tisch hinüber und schüttelte die Rechte des ehemaligen Reitknechts, wobei er in diesen Händedruck so viel Gefühl wie möglich zu legen suchte.

»Was die Liebe anbelangt,« meinte Windspiel kopfnickend, »so hat die wohl ihr Ende erreicht. Friedrich verläßt das Haus auf immer und wird die Undankbare vergessen.«

»Ja, ich habe das Haus verlassen, nachdem mich der Jäger hinausgeworfen,« sprach der gewesene Groom mit entschlossenem Tone, wobei er nur zuweilen krampfhaft aufschluchzte. »Ich habe bereits eine andere Stelle angenommen und werde mit meinem neuen Herrn die Welt durchziehen.«

»Eigentlich hat sich mein Bruder verbessert,« sagte Windspiel mit großer Wichtigkeit. »Sein neuer Herr ist ein edler und sehr reicher polnischer Graf, und Friedrich wird heute noch abreisen, um in E., wohin sich der Herr Graf begeben, seinen Dienst anzutreten.«

»Dazu wünsche ich Ihnen von Herzen Glück,« meinte der Spanier, indem er dem Groom abermals die Hand reichte. »Was die Geschichte mit dem Jäger anbelangt, so ist sie in den besten Händen. Ich habe,« setzte er mit einem tiefen Seufzer hinzu, »noch eine eigene wichtige Angelegenheit zu bereinigen; sowie das vorüber ist, werde ich mich an Ihren Bruder wenden, um mit dessen Hülfe jenen Mann aufzusuchen, der Sie so unwürdig behandelte.«

Nach diesen Worten blickte er auf die Uhr, und als er gesehen, daß es stark auf Acht ging, erhob er sich und verließ das Zimmer mit einem herzlichen Lebewohl.

Auch Friedrich stand gleich nachher von seinem Stuhle auf und reichte seinem Bruder die Hand, indem er sagte: »Es ist Zeit, ich muß gehen. Was ich dir von meinen Sachen gebracht, hebe gut auf – auch das kleine Papier mit den Orangenblüthen,« setzte er mit einem melancholischen Zucken der Mundwinkel hinzu, »und wenn du,« fuhr er hierauf mit drohendem Tone fort, »in den nächsten Tagen den verfluchten Andreas siehst oder jenen Kerl, den François, so sage ihnen nichts weiter, als ich hätte gesagt: Berg und Thal begegneten sich nicht, wohl aber die Menschen.«

»Das werde ich thun, lieber Bruder Friedrich,« sagte Windspiel mit bekümmerter Miene.

»Meine Adresse weißt du?«

»Gewiß, und ich werde sie nicht vergessen – Adresse: Herr Graf von Czrabowski in E. poste restante


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