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Neunundfünfzigstes Kapitel.
Der Anfang des Endes


Don Larioz hatte, wie wir im letzten Kapitel bemerkten, auf der Schwelle des ungastlichen Hauses den Staub von seinen Füßen abgeschüttelt, und sein Herz war tief bewegt, gekränkt, man hätte sagen können: zerrissen. Welche Täuschungen hatte er nicht in der letzten Zeit erfahren! Wie schmählich war sein guter Glaube nicht belohnt worden! Wie undankbar hatten sich nicht fast Alle, mit denen er in Berührung gekommen, dafür gegen ihn benommen, daß er, in redlichster Absicht, seiner Meinung nach nur das Gute gewollt, daß er schützend aufgetreten war, wo rohe Gewalt die Unschuld zu verderben gedachte!

Jener furchtbare Abend im Breiberg'schen Hause hatte in seiner Brust eine gewaltige Oede zurückgelassen; wenn er auch überzeugt war, welch schändliches Spiel man mit ihm getrieben, so blieb doch die schöne Dolores wie das Bild einer geliebten Verstorbenen, einer ruchlos Ermordeten vor seinem inneren Blicke stehen, und wenn er an jenen Abend dachte, so überkam ihn ein glühender Rachedurst, ein Haß, nicht nur gegen die Gebrüder Breiberg, sondern auch gegen die Gesellen des Bundes zum Dolche Rubens, die ihm Vertrauen geheuchelt und ihn dann so entsetzlich betrogen.

Er hatte schon gestern den Versuch gemacht, die Verbündeten in dem bewußten Lokale zu treffen, aber die Thür desselben war verschlossen, und das getreue Windspiel, das vor dem ernsten Blicke des Spaniers zagend erschienen war, hatte ihm kleinlaut die Versicherung gegeben, der Bund habe sich auf unbestimmte Zeit vertagt, und die Mitglieder desselben seien für länger verreist. Als der Spanier das vernommen, drang er auch nicht weiter in den kleinen Kellner, da er vernünftig genug war, einzusehen, dieser habe seine Weisungen erhalten und könne gegenüber seinem Brodherrn nicht anders handeln.

Don Larioz hatte ihm freundschaftlich die Hand gereicht und ihm die Versicherung gegeben, er hoffe ihm zu beweisen, daß er beständig dankbar bleiben werde für die Anhänglichkeit, welche Windspiel ihm bewiesen, und daß er sogar verzeihen würde, wenn Umstände denselben bewegen sollten, auf die Seite seiner Feinde zu treten. Dagegen hatte nun freilich der kleine Kellner feierlich protestirt, doch entging dem edlen Spanier nicht, daß er dies mit einem scheuen Blicke auf die Thür des Gastzimmers gethan, hinter welcher man die grobe Stimme des Wirthes vernahm, der darüber sprach, daß mit dem beständigen Schwatzen über unnöthige Sachen so viel Zeit verloren gehe.

Larioz hatte darauf, nicht ohne einen schmerzlichen Blick auf die Fenster des Breiberg'schen Hauses zu werfen, den Reibstein verlassen und legte sich noch am selben Tage auf Erkundigungen nach dem Vorsitzenden des Bundes, dem dicken Kupferstecher Wurzel, dessen Aufenthaltsort er denn auch ohne große Schwierigkeiten erfuhr. Denselben zu Hause zu treffen, war aber schon schwieriger, und hatte er dies im Laufe des Tages mehrmals vergeblich versucht. Die einzige Zeit, wo der Künstler in seiner Stube sei, wäre von Nachts zwölf oder ein Uhr bis den andern Morgen gegen Neun, hatte ihm die Hauswirthin gesagt. Doch nehme er in diesen Stunden keine Besuche an; worauf Don Larioz einen Zettel mit den Worten hinterließ, er wünsche ihn morgen zur Zeit der Dämmerung zu sprechen und hoffe von ihm als einem Ehrenmanne, er werde ihn keinen vergeblichen Gang machen lassen.

Nach diesen gestern gethanen Schritten war der Spanier fest überzeugt, er werde heute den Vorsitzenden des Bundes zu Hause treffen und denselben gebührend zur Rechenschaft ziehen können. Er schritt in tiefes Nachdenken versunken durch die Straßen, und wer sich seiner erinnerte, wie er noch vor Kurzem so aufrechten Hauptes gewandelt war, der mußte sich eingestehen, daß mit ihm eine große Veränderung vorgegangen; er blickte nicht mehr wie sonst mit seinen klaren Augen forschend umher; er schien im gegenwärtigen Augenblicke durchaus nicht geneigt zu sein, sich um die Angelegenheiten anderer Leute zu bekümmern, indem er den Schwächern gegen den Stärkeren in Schutz nahm oder indem er sich bei einem Auflauf auf die Seite der mißhandelten Person schlug, wenn er zwei Buben trennte, die im Begriff waren, sich die Nasen blutig zu schlagen; er setzte sogar seinen Stock nicht mehr so scharf und bestimmt auf das Straßenpflaster, und sein umgehängter Mantel zeigte ein paar melancholische Falten, die man früher nicht an demselben gesehen.

Diese Bemerkung hatte der Schneidermeister Schwörer später gemacht, der am heutigen Tage dem ehemaligen Schreiber an einer Straßenecke begegnete. Beide erkannten sich augenblicklich, und auf dem Gesichte des Spaniers zeigte sich ein trübes Lächeln, während Meister Schwörer ehrerbietig den Hut zog. Und er hatte dazu alle Ursache, denn Don Larioz hatte den Anstoß gegeben, ihn aus dem faulen Pfuhl, in dem er versunken war, herauszujagen, und war der Hauptgrund davon, daß er sein Beten und Singen in Beten und Arbeiten verwandelte, mit anderen Worten, daß er der Theorie des Herrn Brenner gemäß Sonntagmorgens in die Kirche ging und alsdann nicht verschmähte, am Abend nach gethaner Arbeit ein oder auch mehrere Gläser Wein im Kreise lustiger Freunde zu leeren.

Und man sah es dem Aeußeren des Schneidermeisters an, daß er sich außerordentlich wohl dabei befand, seit er die Heuchelei an den Nagel gehängt und nun wieder Fräcke und Hosen zuschnitt, statt Betstunden zu besuchen. Waren doch wieder eine Menge seiner ehemaligen Kunden zu ihm zurückgekehrt, und gab es doch vornehme Häuser genug, wo er nicht bloß im Bedientenzimmer, sondern auch in der Garderobe des Herrn zu schaffen hatte. Danach wurde auch sein äußerer Mensch geändert, und es dauerte nicht lange, so stellte Meister Schwörer, der bis jetzt nur im grauen Rocke herumgeschlampt war, und den seine Gesellen nie anders als mit niedergetretenen Pantoffeln gesehen, nach dem jeweiligen Modejournal eine elegante Erscheinung dar. Der lange Hals stak in einer Cravatte nach neuestem Schnitt, sein struppiges Haar bedeckte ein untadelhafter glänzender Hut; und um seine eingefallenen Wangen, denen er keine Umhüllung geben konnte, einigermaßen in Einklang mit dem Ganzen zu bringen, ließ er dort einen Backenbart wuchern, der wie Gesträuche über einem Abgrunde die tiefen Stellen mitleidig verdeckte.

Ja, die Beiden, denen wir im Anfang unserer wahrhaftigen Geschichte begegnet, hatten sich freundlich begrüßt und gingen darauf wieder von einander, der Eine hierhin, der Andere dorthin. Der Schneider blieb alsdann übrigens einen Augenblick stehen, schaute sich mit prüfendem Blicke um, und hier war es, wo er die Bemerkung machte, daß ihm das Aeußere des langen Mannes durchaus nicht mehr gefalle. Verschwunden sei die stramme aufrechte Haltung, und am Mantel zeigen sich ein paar melancholische Falten, die von gebeugtem Rücken und von gebeugtem Gemüthe sprächen.

Don Larioz, der natürlicher Weise nichts ahnte von den Beobachtungen des Schneidermeisters und sich auch wahrscheinlich wenig darum bekümmert hätte, ging seiner Wohnung zu, stieg aber, dort angekommen, statt nach seinem Zimmer zu gehen, zu dem des Doktors empor. Doch war die Thür desselben verschlossen. Er klopfte an, erhielt aber nichts zur Antwort, als das Gekläff der kleinen eingesperrten Hunde.

Darauf schritt er die Treppe wieder hinab, um bei sich einzutreten; er warf Hut und Mantel von sich, legte die Hände auf dem Rücken zusammen und ging mit großen Schritten auf und ab. Es war ihm so seltsam zu Muthe, er vermochte nur mit Mühe einen vollkommen klaren Gedanken zu fassen. Was ihm in letzter Zeit begegnet, drängte sich in mehr oder minder verzerrten Bildern vor seinen Geist, und wenn er laut mit sich selber sprach oder auch in großem Ernste die Gestatten anredete, welche bei ihm vorüber gaukelten, so war er doch nicht im Stande, sie in bestimmten Umrissen vor sich erscheinen zu lassen. Wenigstens sprachen sie zu ihm ganz anders, als er es wohl erwartet hatte. So erinnerte er sich des Auftrittes im Hause des Rechtsconsulenten und war vollkommen überzeugt, daß er Clementine Weibel ohnmächtig neben sich gesehen, aber ebenso klar tönten die Worte seines ehemaligen Prinzipals wiederholt in seinen Ohren: Bemühen Sie sich nicht, meine Herren und Damen, das ist gar kein lebendes Wesen, das da vor Ihnen liegt, das ist nichts mehr und nichts weniger als eine künstlich gearbeitete Puppe. Sehen Sie nur die starren gläsernen Augen, die harten glänzenden Wangen, die trotz der Ohnmacht so frischen Lippen mit dem immerwährenden unangenehmen Lächeln.

»Ja, dieses Lächeln,« sprach Don Larioz mit dumpfer Stimme und drückte beide Hände vor die Stirn, »dieses Lächeln kann ich ihr nicht verzeihen; es war das sehr, sehr überflüssig. Wenn sie auch eine Puppe war, so hätte sie doch nicht lächeln sollen, als sie mich so in Schmerz aufgelöst an ihrer Seite sah. – Darin mußt du mir Recht geben, ehrwürdiger Ahnherr,« wandte er sich gegen das Bild; »dieses Lachen war in der That sehr verletzend, und es hat mir am meisten weh gethan. – Woher erschallte es doch, dieses Lachen?« fuhr er nach einer längeren Pause fort. »Richtig! aus dem Nebenzimmer; da war jener maurische Weise – wie hieß der Kerl auch? – Caraba-Carababinbabunceros glaube ich; er ist an Allem schuld, und wie ich erfahren habe, wohnt er auf dem Burgplatze und heißt im gewöhnlichen Leben Kupferstecher Wurzel. – Ihn unschädlich zu machen, ist die schönste Aufgabe, die sich ein tapferer Ritter stellen kann. Es ist das Geschäft dieses Weisen, arme Jungfrauen zu bethören und sie unglücklich zu machen; auch bin ich überzeugt, daß ich keinen kleinen Kampf mit ihm werde zu bestehen haben. – Doch gleichviel; er komme als gewaltiger Riese oder als schuppiger Drache; er trete mir entgegen mit Eisen oder Feuer, unschädlich werde ich ihn machen, zur Ruhe werde ich ihn bringen mit der Hülfe Gottes, meines starken Armes und dieser vortrefflichen Toledaner Klinge.«

Sein Gesicht hatte einen finsteren, unheimlichen Ausdruck angenommen, als er so und ziemlich laut zu sich selber sprach. Zuweilen blieb er mitten im Zimmer stehen und schaute sich wie verwundert rings um; dann aber spielte plötzlich ein Lächeln um seine Züge, und er sagte: »Ah, richtig! jene Tage sind vorüber, wo mich hohe Bogenfenster umgaben, wo mit dem entzückenden Duft der Orangen das Geräusch des plätschernden Springbrunnens zu mir herein drang in mein maurisches Gemach. – Pfui über diese Mauren! Es war eine große und edle Nation, ehe Amora jene Fledermaus zur Welt brachte, aus welcher sich später der garstige Zauberer entwickelte. – Und doch waren sie schön, jene Zeiten, o, so schön! Bewahre ich doch aus ihnen noch ein herrliches Andenken, das Bild der göttlichen Semire, das sie mir in jener Nacht gab, am Fuß der uralten Cypresse, im Lorbeergarten der Xeneralife. Sie sagten zwar, es sei ein Abencerage gewesen, und brachten sie auf Anstiften des Zauberers vor diese verfluchten Zegri's, aber ich allein bin entronnen, um sie Alle zu rächen. Fluch dir und wehe, Carabunzeleros!«

Larioz war an den Tisch getreten, hatte das Kästchen geöffnet und jenes Portrait heraus genommen, welches er aufmerksam und mit innigem Blicke betrachtete. – »Ja, sie ist es,« sprach er kopfnickend, »ja, ja, sie ist es, und mich wollten sie überreden, dieses göttliche Gebilde habe nicht Fleisch und Blut, es sei eine kalte, leblose Puppe! – Doch ich weiß ihre Absicht, es geschah nur, um mich von der richtigen Spur abzulenken, um die süße Prinzessin jenem schändlichen Weisen zu überlassen. Aber, wehe dir, Bursche, wehe dir! Wo ich dich treffe, in welcher Gestalt ich dich finde, du sollst verdammt sein, du sollst die Kraft meines Armes fühlen. Große Fürstin Mirza, verzeihe mir; wie es Brauch war in alten Zeiten, muß ich abermals den schwarzen Schleier über dein Haupt werfen und es in Dunkel und Trübsal hüllen, bis dein schändlicher Verfolger gefallen ist, bis der Klang meines Hüfthorns dich aus dumpfem Hinbrüten erweckt.«

»Wer ist da?« unterbrach er hastig den Strom seiner pathetischen Rede. »Wer wagt es, mich zu stören, mich, den König von ganz Spanien? Carracho, Senor! Euer Kopf scheint mir Lust zu haben, von den Schultern herab zu fliegen. Bei San Jago! – Ah!« setzte er freundlich hinzu, »Ihr seid es, edle Dame!«

Es war der Tiger, welcher schüchtern in das Zimmer trat, schüchtern, weil die alte Frau geglaubt hatte, es sei außer ihrem Herrn noch sonst Jemand da, mit dem dieser sich so laut unterhalte. Verwundert blickte sie um sich her, und als sie Niemand sah, schlug sie in ihre Hände und rief aus:

»Ach Herr je! der Herr Don Larioz haben mit sich selber gesprochen!«

»Mit mir selber gesprochen?« erwiderte der Spanier im Tone tiefer Verachtung; »alte Vettel! man nennt das einen Monolog, und wenn Könige und große Herren sonst nichts zu thun wissen, so pflegen sie aus Langweile dergleichen zu halten. Du kannst das in der Komödie häufig genug sehen. – Wiehert mein Schlachtroß drunten am Thore?«

Der Tiger machte ein sehr dummes Gesicht, da er aber glaubte, es sei schicklich, eine freundliche Antwort zu geben, so kicherte er und sagte: »Ich habe in der That nichts wiehern gehört.«

»Auch wohl möglich,« versetzte Larioz, indem er die Hand auf der Brust verbarg und mit langsamen Schritten nach dem Kamin zuging, wo sein langer Stoßdegen lehnte. »Ich habe es hier mit Zauberern und Weisen zu thun, lauter niederträchtigen Kerls, die sich kein Gewissen daraus machen, meinen edlen Andalusier in einen alten Besenstiel zu verwandeln. – Sei es darum, ich werde zu Fuß in der Halle erscheinen, majestätisch groß, ein Held vom Wirbel bis zur Sohle. Und beim Blinken meines Schwertes werden sie sich bis zur Erde niederbeugen, die Wachen, und werden Löwen und Drachen in ihre Schweineställe kriechen wie – wie – Oh, oh!« fuhr er tief aufseufzend fort, »das ist ein jammervolles Bild, und Ihr mögt sagen, Prinzessin, was Ihr wollt, es war nicht das Gemach, welches man boshafter Weise Schweinestall benennt, es war ein ritterlich Gefängniß in dem alten Thurm gegen Westen, wo ich allabendlich die Sonne erlöschen sah, wenn ich in der engen Spalte träumend lag. Dabei aber sah ich auf der Wiese gegenüber Schweine grasen; viele Schweine, entsetzlich viele. Und das ist für einen edlen Mann immer ein jammervoller Anblick. – Oh, daher kam die ganze üble Nachrede.«

Er preßte die rechte Hand einen Augenblick an die Stirn, dann machte er eine heftige Bewegung mit derselben und sprach: »Wohlan, die Zeit drängt; ich habe einen weiten Weg zu thun und muß in der Dämmerung vor des Verruchten Antlitz erscheinen.« – Er warf den Mantel um die Schultern, nahm den langen Stoßdegen unter den Arm, und machte gegen den Tiger, der mit gefalteten Händen und offenem Munde dastand, eine achtungsvolle Verbeugung.

»So lebt denn wohl, Dame!« sagte er, »der Himmel sei meinen Waffen günstig, und wenn dem so ist, werde ich Euch als Turnierpreis allerlei Schnupftabaksdosen mitbringen, denn ich weiß, Ihr liebt das Schnupfen sehr, und –« setzte er geheimnißvoll flüsternd hinzu, indem er dicht an die Frau trat und ihr in das Ohr sprach – »das Schnupfen ist eine heilsame Erfindung zur Betäubung der Nase; denn es gibt Gerüche, die man nie mehr vergessen kann. – Lebt wohl, Donna Bramvilla, einstens sehen wir uns wieder.«

Darauf ging der Spanier mit hoch erhobenem Haupte zur Thür hinaus, wobei er nach rechts und links freundlich mit dem Kopfe nickte, als befänden sich noch mehr Leute im Zimmer, von denen er Abschied zu nehmen habe.

Die alte Frau schlug höchst erstaunt die Hände zusammen, blickte ihrem Herrn mit aufgerissenen Augen nach und rief ein Mal über das andere: »O, daß dich – daß dich – o, daß dich!« – Damit eilte sie, so schnell sie konnte, ebenfalls zur Thür hinaus und die Treppen hinab, ohne eigentlich recht zu wissen, was sie wollte.

Don Larioz befand sich noch im Hause, und jetzt vernahm die Frau droben seine Stimme, als er sprach:

»So, endlich kommst du, kleiner Page, nachdem du dich, Gott weiß wo, mit deiner Mandoline herum getrieben und vergessen, deinen Herrn und Meister zu wappnen?«

»Er spricht mit Gottschalk,« sagte der Tiger zu sich selber, während er eilfertig die Treppen hinabstolperte.

»Es ist aber eigentlich besser so,« fuhr der Spanier fort, »dein Arm dürfte noch zu schwach sein zu diesem ernsthaften Kampfe. Warte deßhalb auf mich am Thore der feindlichen Burg, und wenn du drinnen die Siegesfanfare hörst, so hebe mein Banner und lasse alle Welt wissen, daß ich die Feinde geschlagen. – Sehr viele Feinde. Laß einmal sehen, sechs Riesen, die boshaften Zwerge gar nicht mitgerechnet, acht Drachen, ein Dutzend Ritter, vielleicht auch ein paar darüber, zwei Stück heuchlerische Buben und ähnliches Zeug. Viel, sehr viel Arbeit! Doch, bei San Jago! sie wird gelingen. – Lebt wohl, ihr Großen meines Reichs, noch eine kurze Weile, und ihr sollt eure schöne erhabene Gebieterin begrüßen.« – Er neigte ein wenig sein Haupt und ging auf die Straße.

»Jetzt will ich Euch was sagen,« sprach eilig der bestürzte junge Mensch; »seht Ihr, ob der Doktor zu Hause ist, sagt ihm, Herr Larioz sei recht krank geworden, und wenn Ihr ihn nicht droben finden solltet, so sucht ihn in der ganzen Stadt. Ich will schauen, wo Herr Larioz bleibt, und es dann dem Doktor hier sagen, oder noch besser, er soll in die Wohnung meiner Eltern kommen, vielleicht, daß er dorthin geht. Lauft, lauft, was Eure Beine vermögen!«

Die alte Person stieg eilig die Treppen hinauf, während Gottschalk seine Mütze aus dem Bureau holte und dann dem Spanier auf die Straße nachsprang.

Dieser war ruhig dahin gegangen, den Kopf tief gesenkt und anscheinend gleichgültig, wohin ihn sein Weg führe. Doch schien er genau zu wissen, wo er sich befand, denn als er an die Straße kam, in welcher sein ehemaliger Prinzipal wohnte, wandte er sich mit einer Geberde des Abscheues nach einer entgegengesetzten Richtung. In Kurzem hatte er alsdann den Blumenmarkt erreicht, und sah nun vor sich die Gasse, in welcher das ihm wohl bekannte Haus der ihm befreundeten Familie Brenner lag. Dorthin wollte er, stand aber mit einem Male still und wandte sich nach dem Brunnen in der Mitte des Platzes, auf dessen Brüstung er einen Arm stützte und so wartend stehen blieb.

»Hier war es,« murmelte er nach einer kleinen Weile, »wo ich jenen stolzen und verrätherischen Baron traf, dem ich meinen Handschuh hinwarf und ihn hieher zum Zweikampf lud. Aber die Zeit ist vorüber,« setzte er hinzu und schaute gedankenlos auf das Zifferblatt der benachbarten Thurmuhr; »er kommt nicht mehr. Vielleicht hat ihn auch das Schicksal ereilt, und er ist anderswo gefallen im gerechten Kampfe. – Weiter, weiter also! ich will mich bei jenem glorreichen Gottesgericht, zu dem mich die Stunde ruft, nicht vergebens erwarten lassen.«

Er raffte sich auf und schritt in die Gasse hinein, welche gerade vor ihm lag. Bald hatte er das alte Haus erreicht, in welchem die Familie Brenner wohnte, und wollte gerade eintreten, als er sich mit einem Male an etwas zu erinnern schien, sich umwandte und in das gegenüber liegende Haus ging, wo sich die ärmliche Restauration befand, in welcher Kathinka Schneller diente.

Bedächtig stieg er die Treppen hinauf, beschleunigte aber plötzlich seinen Schritt, als er von droben die Stimme des jungen Mädchens hörte, welche ausrief:

»Ich will mich aber von Euch nicht herum zerren lassen, ich habe keine Lust dazu, trinkt Euren Wein in Frieden und laßt mich in Ruhe!«

Diese Worte fielen wie glühende Funken in das aufgeregte Gehirn des tapferen Spaniers; er faßte seinen Degen fest unter den Arm, und wie ein Blitz durch die dunkle Nacht leuchtete mit einem Male der Gedanke in ihm auf, daß er jenem verfolgten Mädchen versprochen, ihr Schutz und Hülfe zu sein.

Hastig eilte Don Larioz die Treppen vollends hinauf, und da die Stubenthür halb offen stand, so konnte er mit einem Blicke das Gemach überschauen. An einem der Tische saßen zwei Männer, von denen der eine beide Ellbogen aufgestützt hatte und den Kopf auf den Händen ruhen ließ; er zeigte etwas stiere Augen und lachte über die Bemühungen des Anderen, der ihm gegenüber saß und im Begriff war, das widerstrebende Mädchen an sich zu ziehen. Der, welcher sich mit Kathinka Schneller beschäftigte, hatte ein glattes, feines Gesicht mit schwarzen Haaren und wohldressirtem, ebenfalls schwarzem Backenbarte; seine blassen Wangen waren momentan etwas geröthet, und er lachte gleichfalls über die Worte, welche Kathinka so eben ausgestoßen.

»Warum so spröde, mein Schatz?« sagte er. »Das war doch sonst nicht deine Art, wie eine Menge deiner Bekannten wissen.«

»Ihr doch wohl nicht!« antwortete das Mädchen mit einer auffallenden Geberde der Verachtung. »Oder doch?« fragte sie. »Könnet Ihr vielleicht mit Recht verlangen, ich sollte fortfahren, wie ich angefangen? Oder habe ich nicht erst in den letzten Tagen das Unglück gehabt, Euch zum ersten Mal zu sehen?«

»Das ist allerdings richtig, aber da wir uns hier zum ersten Male gesehen, so wirst du dir schon von mir etwas gefallen lassen.«

»Nicht das Geringste!« rief zornig das Mädchen, »und wenn Ihr mich nicht gleich in Frieden laßt, so soll das Eurem glatten Gesichte übel bekommen.«

»Das wollen wir einmal sehen,« gab der Italiener François zur Antwort, indem ein unheimlicher Blick aus seinen Augen zuckte. »Helfen Sie mir doch einmal, Andreas, das widerspenstige Geschöpf halten.«

»Das versteht sich,« entgegnete dieser und ergriff mit der Faust das Handgelenk des Mädchens.

Da aber Kathinka Schneller die eine Hand frei behielt und aufs höchste gereizt war, so stieß sie den Kammerdiener mit ihrer Faust so derb ins Gesicht, daß er mit einem lauten Fluch zurück taumelte.

»Ah, Canaille!« sagte er, »so behandelst du die Gäste des Hauses? Schließen Sie die Thür, Andreas, und sagen Sie der Frau Schwarz, sie solle sich nicht unterstehen, uns zu stören. Jetzt wollen wir dich einmal züchtigen, wie du es verdienst.« Er haschte nach der frei gebliebenen Hand des jungen Mädchens und hielt sie fest, während Andreas sich schwerfällig erhob, um der Weisung gemäß die Thür zu schließen.

Doch prallte er dort befremdet zurück, als auf einmal eine lange Gestalt schweigend eintrat und sich mit untergeschlagenen Armen in der Mitte des Zimmers aufpflanzte.

»So, so?« sprach diese, »ihr zwei Buschklepper wollt eine arme, schutzlose Jungfrau züchtigen? Ah, ihr habt nicht bedacht, wie plötzlich ein Rächer erscheinen kann. Zieht eure Schwerter, ihr Schurken! An euch ist die Reihe, eine Züchtigung zu empfangen.«

»Was ist denn das?« fragte François erstaunt, indem er scharf nach dem Eingetretenen blickte. »Hol' mich der Teufel!« rief er nach einer Pause, »das ist derselbe Mensch, Andreas, der neulich Ihren Herrn hier auf der Gasse entführte, wo dieser so schöne Sachen hätte sehen können.«

»Der da?« sprach der Gärtner mit einem unbändigen Gelächter; »das ist ja der verrückte Schreiber, mit dem sie neulich im Reibstein ihre Possen hatten. Mir hat es der Wirth erzählt.«

»Oh, oh, er ist's, der sich in die Gliederpuppe verliebt hat und sie entführen wollte! Was hat der Kerl hier zu schaffen?«

Bei diesen Worten hatte François das junge Mädchen losgelassen, welches alsbald auf Larioz zutrat, ihre Hand auf seinen Arm legte und ihm ängstlich in das Gesicht schaute.

Wie dieses Gesicht aber auch im gegenwärtigen Augenblicke aussah, konnte es Angst und Schrecken einflößen. Die bleichen Wangen waren eingefallen, die Lippen zuckten seltsam, und aus den tief liegenden Augen strahlte ein unheimliches Feuer. Der Spanier schob das Mädchen sanft auf die Seite und trat einen kleinen Schritt näher zum Tische.

»Ja, ich bin der, von welchem ihr gesprochen,« sagte er mit hohler Stimme; »man nahm mich freundlich auf im Bunde zum Dolche Rubens, man versprach mir, zu helfen, um ein unglückliches Mädchen zu retten, das dann durch die Macht eines bösen Zauberers in eine Gliederpuppe verwandelt wurde. O, ich weiß das alles ebenso genau, wie ich dich unter deiner jetzigen glatten und heuchlerischen Larve erkenne.«

Damit streckte er den rechten Arm mit einem gewaltigen Ruck gegen den Kammerdiener aus.

»Neulich hattest du einen großen wilden Bart, aber bessere Augen. Ja, glotze mich nur so an, die Zeit der Rache ist gekommen, verfluchter Zauberer! Aber deine Künste sollen dir nichts mehr nützen, mein Degen ist geweiht in der heiligen Kathedrale von Toledo.«

Mit diesen Worten warf der Spanier langsam seinen Mantel von der rechten Schulter zurück und zog bedächtig den langen Stoßdegen.

»Frau Schwarz!« schrie entsetzt das junge Mädchen, »Frau Schwarz, kommen Sie geschwind, um Gottes willen!«

Don Larioz schüttelte sein Haupt und sprach mit ruhiger Stimme: »Es soll dir nichts nützen, wenn selbst die Unschuld für dich bittet; du hast zehnfach den Tod verdient durch deine Zaubereien gegen mich und dadurch, daß du unter deiner jetzigen Gestalt arme verlassene Jungfrauen zu mißhandeln gedenkst.«

»Das ist ein verrückter Mensch!« rief François aufs höchste erschrocken, indem er aufstand und einen Stuhl zur Abwehr erhob. »Schlagt ihn nieder, Andreas, wie einen tollen Hund!«

Der Gärtner, der etwas unsicher auf seinen Beinen zu stehen schien, faßte einen der schweren zinnernen Leuchter, die auf dem Tische standen, und schwang ihn gegen den Spanier, der, diese drohende Bewegung wohl sehend, rückwärts stoßend, den Gärtner mit dem Knopfe seines Degengefäßes so heftig auf die Faust traf, daß derselbe aufschrie und dann seine Waffe zähneknirschend in die andere Hand nahm.

Kathinka Schneller wollte sich zwischen die Beiden werfen, schrak aber zurück vor der blinkenden Degenklinge, welche in der Hand des Spaniers einen Bogen beschrieb, gerade in dem Augenblicke, als ihm der Italiener den gewichtigen Stuhl auf den Leib warf und dann vorwärts stürzte, um die Thür zu erreichen.

Doch hatte François nicht die Bewegung der Klinge berechnet, oder war er in dem Glauben, der Andere werde von dem Anprallen des Stuhles zurückgeworfen werden? Don Larioz aber blieb trotz des gewaltigen Schmerzes fest auf seinen Füßen stehen, und da er im gleichen Moment seinen Arm mit der langen Klinge ausstrecke, so rannte der Kammerdiener so furchtbar in dieselbe hinein, daß die Spitze auf seinem Rücken wieder herausdrang. Er stürzte mit einem gellenden Schrei zu Boden.

Auch der Spanier wankte in diesem Augenblicke; er öffnete krampfhaft seine rechte Hand, den Griff des Degens fahren lassend, während er mit der linken unter einem matten Aufschrei an sein Haupt griff. Seinen Körper durchflog ein convulsivisches Zittern, dann sank er in die Kniee, und gleich darauf schlug sein Kopf auf die Dielen des Fußbodens.

Andreas schleuderte einen schweren Leuchter, mit dem er einen entsetzlichen Schlag auf den Unglücklichen geführt, jetzt schaudernd von sich und verschwand in größter Schnelligkeit auf der dunklen Treppe.

Das junge Mädchen rang weinend die Hände, und die Wirthin des Hauses, welche durch den Lärm herbeigerufen worden war, erhob ein furchtbares Jammergeschrei.

»O Unglück! Unglück!« kreischte sie; »das bringt mich ins Verderben. Lauf auf die Straße, auf die Polizei, rufe die Nachbarn herbei und erzähle ihnen, wie Alles gegangen ist; du hast es ja gesehen. Oder nein, ich will auch mit, ich will nicht hier allein bleiben!«

Nach diesen Worten liefen Beide zur Stubenthür hinaus, waren aber noch nicht die Hälfte der Treppe hinab geeilt, als ihnen ein Mann, von einem Knaben gefolgt, athemlos entgegen sprang.

»Wo? wo?« schrie derselbe, »wo ist das geschehen? wo ist er? Bleibt bei der Hand, ihr verfluchten Weibsbilder! – So rennt man nicht davon! Hier schafft man Hülfe, und dann erst könnt ihr meinetwegen fort springen, um die Nachbarschaft mit eurem Geschrei zusammen zu rufen.«

So sprach der Armenarzt Doktor Flecker, trieb die erschrockenen Weiber in die Stube zurück und eilte ihnen nach.

»Ah!« sagte er, nachdem er schnell einen Blick auf die beiden am Boden Liegenden geworfen. »Gottschalk, spring hinüber und sieh, ob dein Vater da ist. Gott gebe, daß du ihn findest; er soll augenblicklich hieher kommen und noch einen Mann mitbringen.«

Jetzt keuchte auch der Tiger die Treppe herauf und blieb laut weinend unter der Zimmerthür stehen.

Der Doktor war rasch zwischen die Beiden hingekniet, warf einen prüfenden Blick nach rechts und links, und als er gehört, wie Larioz mühsam und tief athmete, rief er den Weibern zu, demselben ein Kissen unter den Kopf zu schieben. Dann wandte er sich an den Italiener, riß ihm die Weste auf und zog ihm mit fester, sicherer Hand den Degen, seiner Lage wegen nicht ohne Mühe, aus der Brust, – ein paar Tropfen stockenden Blutes quollen hervor. Hierauf betrachtete er ihn eine Sekunde, hob eines seiner Augenlider auf, und während er mit der einen Hand nach dem Pulse griff, legte er das Ohr auf die Stelle des Herzens, worauf man ihn murmeln hörte: »Da ist jede Hülfe vergeblich – todt! – Ein furchtbarer Stoß, wahrscheinlich mitten durchs Herz.«

Jetzt fing die Wirthin des Hauses, die dem Doktor mit gefalteten Händen angstvoll zugeschaut hatte, laut an zu jammern. – »Daß sich Gott erbarm'!« schrie sie, »meinen besten Kunden, einen solch' nobeln Herrn hier in meinem Gastzimmer zu erstechen! Und das von einem Schnapphahn, der nur hereinstürzt, vom Leder zieht und fertig macht! Wenn da keine Gerechtigkeit mehr geübt werden soll, da weiß ich nicht, wofür es überhaupt noch Galgen in der Welt gibt.«

»Ja, ja, Gerechtigkeit vor Allem, Frau Schwarz,« sagte der Doktor, indem er zornig in die Höhe blickte; »aber Ihr werdet mir zugeben, daß ich als Arzt vorderhand hier zu befehlen habe, und wenn ich Euch also sage, Ihr sollt Euer Maul halten, so hoffe ich, von Euren ungewaschenen Reden keine mehr zu vernehmen. – Verstanden?«

»Verstanden habe ich wohl,« gab das Weib giftig zur Antwort, »aber der da –« sie zeigte mit einer verächtlichen Geberde auf Don Larioz, »soll mir vor das Criminalgericht, und ich will selbst einen Advokaten bezahlen, damit er sicher gehenkt wird. – O der arme Herr François!« rief sie schluchzend; »wer ihm das vor einer Stunde vorausgesagt hätte!«

»Ja, wenn es möglich wäre, vorauszusagen,« entgegnete der Armenarzt, »so würdet Ihr jetzt etwas Unangenehmes wissen, was Euch widerfahren kann, wenn Ihr nicht augenblicklich stille seid.«

Man hörte Tritte auf der Treppe und sah gleich darauf den Jäger Brenner mit ein paar anderen Männern eintreten, die eine Tragbahre hatten. Nach der Anweisung des Doktors wurde eine Matraze darauf gelegt und der Spanier behutsam hinaufgehoben. Der Jäger wischte sich die Augen, als er den treuen Freund seines Knaben so regungslos, leise athmend, mit blutendem Haupte da liegen sah. Gottschalk selbst, der gefolgt war, kniete neben die Tragbahre hin und hatte die herabhängende Rechte ergriffen.

»Wohin bringen wir ihn?« sprach einer der Männer. »In das Spital?«

Der Arzt blickte fragend auf den Jäger Brenner und gab zur Antwort: »Wenn wir ihn in das Spital schaffen, so kann ich mich nicht weiter um ihn bekümmern; ich habe da nichts zu sagen. Und doch wäre es mir lieb, ihn unter der Hand zu haben; seine Verwundung ist sehr gefährlich, es wird Mühe haben, ihn durchzubringen, und wenn wir ihn anderswo pflegen könnten, wäre es für sein Gemüth zuträglicher.«

»Wo könnten wir ihn besser hinbringen, als zu mir?« sprach rasch der Jäger. »Ich habe es meiner Frau auch schon gesagt, und sie wird die kleine Hinterstube bereits zugerichtet haben. – Also angefaßt!« wandte er sich an die Männer, »ihr Beiden nehmt die Tragbahre, und ich will ihn auf der steilen Treppe schon halten, daß nichts geschieht.«

»Aber die Polizei!« rief eifrig die Wirthin. »Wenn die Polizei kommt und ihn nicht findet?«

»So sagt der Polizei, ich, Doktor Flecker, habe für gut befunden, ihn fortzuschaffen; er sei da drüben in der Wohnung des Jägers Brenner, – wo er nicht entwischen wird,« setzte er traurig hinzu. »Angefaßt, Leute!«

Kathinka Schneller hatte während des ganzen Auftrittes in einer Ecke neben dem Ofen gesessen, die Hände vor das Gesicht gedrückt, und erhob sich jetzt erst, als die Männer die Tragbahre aufhoben. Sie trat dicht an Larioz heran, beugte sich über ihn, legte ihre Hand auf seine Brust, und ein paar Thränen fielen aus ihren Augen auf sein bleiches Gesicht. Darauf trat sie ans Fenster, und wartete, bis die Träger mit dem schwer Verwundeten auf der Straße erschienen und dann im gegenüberliegenden Hause verschwanden. Sie seufzte tief auf und setzte sich wieder auf ihren Stuhl neben dem Ofen.

»So,« sagte sie alsdann, »hier will ich warten, bis die Polizei kommt, und ihr Alles genau sagen; der da am Boden liegt, hat angefangen, es war das überhaupt ein bösartiger Mensch, was Ihr auch sagen mögt, Frau Schwarz; und den Namen des Gärtners, welcher mit seinem Leuchter so furchtbar zugeschlagen, will ich bei Gott im Himmel nicht vergessen.«

»Unterstehe dich, den über deine verfluchten Lippen zu bringen!« schrie die Wirthin und trat mit geballten Fäusten vor das Mädchen hin.

»Ich werde mich unterstehen,« erwiderte kalt Kathinka. – »Den sie da eben fortgetragen haben, das war ein braver Herr, ein armer, braver Herr; er hat mich vertheidigen wollen und ist dabei ins Unglück gekommen.«

Sie preßte ihre Hände laut schluchzend vor das Gesicht.

– – In dem Hause des Jägers hatte man den Verwundeten in einer leer stehenden Hinterstube auf ein gutes Bett gelegt, und während der Armenarzt beschäftigt war, seine tiefe Wunde zu untersuchen, stand, mit Ausnahme der Großmutter, die ganze Familie in tiefer Rührung mit gefalteten Händen um den besinnungslos Daliegenden. Das Stübchen war klein, aber freundlich; es wurde von der Sonne geliebt, welche es Vormittags begrüßte und dann spät am Nachmittage, ehe sie verschwand, nochmals durch eine Häuserlücke einen letzten leuchtenden Blick darauf warf.

Das that sie auch gerade in diesem Augenblicke, und obgleich man das Fenster mit einem Stücke Zeug verhängt hatte, so stahl sich doch ein kleiner glühender Strahl herein und zuckte über das bleiche Gesicht des Kranken. Es war gerade, als spüre er diesen letzten Gruß und rufe derselbe seine Besinnung zurück; er that einen tiefen Athemzug, seufzte ein paar Mal, bewegte die Lippen und öffnete dann weit seine Augen. Sein erster Blick fiel auf den Armenarzt, der an seinem Kopfe beschäftigt war und sich nun über ihn beugte mit der Frage, wie es ihm gehe. Neben dem Doktor stand Margarethe Brenner, sie hielt Stücke weiße Leinwand in der Hand, und in ihren dunkeln Augen, die sie auf den Kranken gerichtet hatte, funkelten Thränen.

Larioz wandte seine Blicke von dem Arzt auf das junge Mädchen, und ein freundliches Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.

»Fühlen Sie Schmerzen?« fragte wiederholt der Doktor, worauf der Verwundete nach einer längeren Pause zur Antwort gab:

»Es kann wohl nicht anders sein, als daß ich einige Schmerzen spüre; er hat mich mit seiner Streitaxt hart getroffen, gegen alle Kampfregeln. Von rückwärts fiel er über mich her, während ich mit dem anderen Ritter beschäftigt war. – – Aber es war ein glorreicher Kampf, so viel ich mich erinnern kann; ich habe den Zauberer besiegt und bitte nur den edlen Herrn dieses Schlosses um Verzeihung, daß ich ihm Ungelegenheit mache, indem man mich hieher gebracht, um meine Wunde zu pflegen. – Welche Burg,« fragte er nach einem kleinen Stillschweigen, »hat mir nach altem Brauch ihre gastlichen Thore geöffnet?«

Er athmete tief auf und schloß alsdann die Augen wieder.

Der Armenarzt schüttelte betrübt mit dem Kopfe und sagte leise zu dem Jäger: »Er ist schwer verletzt.«

Nach einer Weile öffnete der Kranke hastig die Augen wieder, blickte das junge Mädchen lange und schweigend an und sprach: »Verzeiht, hohe Dame, daß ich nicht im Stande bin, mich zu erheben, um Euch meinen Dank zu sagen für diese freundliche Aufnahme. Erlaubt mir auch, edle Herrin dieses Schlosses, daß ich länger in Euer wohlwollendes Antlitz blicke, als es sich vielleicht mit der Schicklichkeit verträgt. – Eure Augen haben etwas unendlich Wohlthuendes, etwas Beruhigendes, und ich kann es nur als ein hohes Glück annehmen, vor den Mauern Eurer Burg so schwer getroffen worden zu sein. Es ist das aber schon häufig vorgekommen, und Gott fügt es oft so, daß, wo tapfere Ritter verwundet werden, edle Damen in der Nähe sind, um sie zu pflegen. – Der Himmel lohne es Euch! – – Aber nicht alle edlen Damen sind im Besitze so guter Augen, vor denen kein böser Zauber bestehen kann. – Ah!« machte er, und schaute mit einem Blick der Befriedigung rings umher, ehe er wieder das Auge nach Margarethen wandte. »Hier herein kann keines der Phantome, die mich in letzter Zeit so unsäglich geplagt.«

»Wenn Ihr zur Thür hinausschauen wollt,« fuhr er mit einem starren Blicke dorthin fort, »so werdet ihr Alle, Alle unten an der Treppe sehen, wie sie sich vergeblich bemühen, herauf zu klettern. – Aber die Stufen derselben sind glatt wie der Rücken einer Schlange, und neben meinem Lager steht eine der himmlischen Heerschaaren, deren Anblick sie erzittern macht. – Ja, Alle, Alle zittern vor ihnen, denn es sind Gebilde böser Geister – alle Gesellen des Bundes, der Zauberer mit seinem langen wirren Barte – und auch sie – sie – die schlottrige Gliederpuppe, die für einen Augenblick Leben erhielt, um sich an mich anzuklammern und mein Herzblut zu trinken, damit ich ihr gleich werde. – War sie doch nahe daran, ihren Zweck zu erreichen, denn ich fühle wohl, wie schwer und unbeholfen meine Glieder herabhängen; ich glaube, bis nahe zum Herzen bin ich ihr schon gleich geworden. – Aber du wirst mich retten, edle Herrin dieses Schlosses.«

Während er so sprach, ließ er zuweilen seine Augenlider zufallen, ohne aber seine Rede zu unterbrechen.

Der Doktor hatte dem Kranken einen leichten Verband angelegt, faßte nun seinen Puls, und während er die Schläge zählte, sah man ihn mit gespannter Erwartung auf Larioz blicken.

Dieser zuckte mit einem Male heftig zusammen, richtete sich gewaltsam in die Höhe und starrte mit unheimlich leuchtenden Augen um sich her.

»Oh!« rief er alsdann mit lauter Stimme, »von Neuem entbrennt der Kampf, gebt mir den Schild und mein gutes Schwert! Haltet mich nicht; da hilft keine Schonung, sie oder ich! Dort kommen sie heran. – Gott und San Jago! – Das ist ein schreckliches Gemetzel!« sagte er stöhnend und machte mehrmals den Versuch, von seinem Lager aufzuspringen, wobei er kräftig mit den Männern rang, die ihn hielten. »Die Uebermacht ist groß,« seufzte er alsdann, »doch Muth, Muth! die Kraft meines Armes wird uns den Sieg verschaffen! – Ah! er hat mich schwer getroffen,« sprach er nach einer Weile, indem er tief aufathmete und dann matt zurücksank; »aber das Andenken an sie, die schützend neben mir steht, wird mich wieder aufrichten.«

Ein paar Mal bewegte er hierauf seine Lippen, ohne daß man ein Wort vernahm.

Der Jäger richtete tief betrübt einen so fragenden Blick auf den Doktor, wobei er leicht dessen Arm berührte, daß dieser ihn anschaute, dann mit dem Kopfe schüttelte und leise zur Antwort gab:

»Er stirbt noch nicht. Wir werden dergleichen Anfälle noch mehrere haben – das ist ein kräftiger, gesunder Körper, bei dem noch nicht alle Hoffnung verloren ist. Ich werde jetzt selbst in die Apotheke gehen und Einiges für ihn besorgen; laßt Margarethen bei ihm, wenn Ihr sie entbehren könnt, Frau Brenner, und einen der Männer. Fahrt mit Umschlägen fort, wie ich gethan; ich komme bald wieder.«

»Aber Herr Larioz wird nicht sterben?« sagte Gottschalk, der dicht neben seinem Freunde stand und aus dessen Augen eine Thräne um die andere tropfte.

»Haben Sie wirklich Hoffnung, Herr Doktor?« fragte auch der Jäger.

Und der Armenarzt erwiderte: »Die Hoffnung ist etwas so Wohlthuendes für uns, daß wir sie gewaltsam in unserem Herzen behalten müssen, wenn auch unser Verstand sie verjagen möchte. Wer will hier sagen, was die nächsten Tage bringen werden? Der Zustand unseres armen Freundes ist sehr schlimm, und wenn wir mit Gottes Hülfe wirklich im Stande sind, seine Wunde zu heilen, wer bürgt uns dafür, daß alsdann nicht noch etwas Schrecklicheres eintritt als der Tod?«

»– Schön war der vergangene Tag,« murmelte der Kranke; »ich habe sie gefunden, die ich lange gesucht. – Hilf mir, du mit den guten, frommen Augen, wehre das schlottrige, wankende Gespenst von mir ab. – – So – so ist es gut, habe Dank – Dank – Dank.«


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