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Sechsunddreißigstes Kapitel.
Die Czrabowski'schen Güter


In dem Hause des Rechtsconsulenten Plager, oder in den gewissen Kreisen, welche mit demselben häufig in Berührung kamen, hatte sich unterdessen allerlei begeben, was für unsere wahrhaftige Geschichte wichtig genug ist, um es nicht mit Stillschweigen zu übergehen.

Nach jener abendlichen Katastrophe im Bureau des Advokaten war das Frühstück am anderen Morgen zu einer etwas stürmischen Sitzung ausgeartet. Der Rechtsconsulent, als er an dem gleichen Abend nach Hause kam, hatte schon an untrüglichen Vorzeichen einen nahenden Sturm entdeckt, der am nächsten Tage ausbrechen würde. Ein tiefer Seufzer hatte sich nämlich der Brust seiner Gattin entrungen, als er, obgleich äußerst leise und auch nicht allzu spät in das gemeinschaftliche Schlafzimmer getreten; er hatte einen zweiten Seufzer gehört, sowie eine sehr unruhige Wendung, als er sein Licht angezündet, und nachdem dies geschehen und er freundlich einen guten Abend gewünscht, war die ganze Antwort ein unverständliches Gemurmel, sowie ein sehr verständlicher dritter Seufzer.

Herr Rechtsconsulent Plager war sich aber durchaus keiner Unthaten bewußt, mit denen er diese Vorboten eines Sturmes hätte in Zusammenhang bringen können. Während er Hut und Stock ablegte, ging er in Gedanken nicht nur den heutigen, sondern auch den gestrigen und sogar den vorgestrigen Tag durch, um vielleicht etwas zu finden, was, wenn auch nur nachwirkend, diesen ihm so wohlbekannten Seufzer hätte, hervorrufen können. Aber, wie gesagt, sein Gewissen war rein. Er hatte zu Hause nicht gemurrt, als er statt des sehnlich gewünschten Sauerkrautes weiße Rüben bekam, deren Geruch er nun einmal nicht ertragen konnte; auch nicht, als er in der Suppe die verbrühten Theile einer Bettfeder gefunden, ja, nicht einmal, als hierauf die Schwiegermutter mit großem. Ernst versichert, das sei eigentlich gar keine Bettfeder, sondern nur etwas stark zusammengelaufenes Eiweiß; er hatte nicht gemurrt, als er gefunden, daß Madame seine Haarbürste zum Abwischen ihrer Stiefeletten benutzt, oder als er entdeckt, daß sein Sprößling Fritzchen des Vaters Rasirmesser herabgeworfen, so daß zwei der besten schartig geworden waren. Dem Kinde könne man eigentlich keine Schuld beimessen, hatte die Großmutter im Nebenzimmer, aber mit sehr lauter Stimme gesagt, denn Rasirmesser gehören nicht auf den Toilette-Tisch, sondern müßten unter Verschluß gehalten werden. Als ob überhaupt der arme Rechtsconsulent etwas eigenes Verschließbares gehabt hätte!

Aber auch in sonstigen Dingen war er sich keines Fehls bewußt; er hatte von keiner Familie etwas Nachtheiliges gesprochen, welche im Kaffee-Gesellschafts-Verband der Plager'schen war; er hatte keine andere gelobt, welche die Schwiegermutter oder eine ihrer Töchter durch, Gott mochte es wissen, welche Kleinigkeit vor Jahren einmal aufs tödtlichste beleidigt; ja, er hatte um des lieben Friedens willen noch mehr gethan; er hatte stillschweigend zugegeben, daß die Weibel'sche Familie eine ganz vortreffliche Familie sei, und daß sich Jedermann glücklich schätzen müsse, der in diese Ausnahms-Familie aufgenommen werde.

Die Veranlassung zu Letzterem hatte ihm Herr Schilder gegeben, der Fräulein Clementine vorgestern auf der Promenade etwas kalt gegrüßt, ein Betragen, das natürlicher Weise die gerechte Indignation der ganzen Familie Weibel hervorgerufen. Was denkt dieser Schilder! hatte der Rechtsconsulent durch alle Tonarten hören müssen; glaubt er vielleicht, man werde sich eine Ehre daraus machen, von ihm gegrüßt zu werden, daß die Leute mit Fingern nach einem zeigen und alle Welt erfahren muß, daß dieser Mensch Hoffnung hat, in eine so respektable Familie aufgenommen zu werden, wie die unsrige ist? – Da sind ganz andere Leute, die sich um Clementine bemüht haben und noch bemühen.

Der Doktor hatte die Selbstüberwindung gehabt, nicht einmal zu fragen, wer denn eigentlich diese anderen Leute seien; überhaupt war er in den letzten Tagen ein Muster von Sanftmuth und Duldsamkeit gewesen. Und doch dieses Geseufze! Hatte er vielleicht zufällig beim Nachhausegehen etwas lebhafter als gewöhnlich in das gegenüberliegende Haus gegrüßt, wo die blasse Kaufmannswittwe wohnte, von der die Schwiegermutter ohne allen Grund, aber mit großer Entschiedenheit behauptete, es sei nicht viel an dieser Person, man müsse sich vor ihr in Acht nehmen? Nein, auch das hatte er nicht gethan. Und so im Bewußtsein eines vollkommen guten Gewissens dachte er, indem er mit wunderbarer Stille seine Stiefel auszog: Seufze du in Gottes Namen, ich kann dir nicht helfen.

Obgleich aber, wie wir bereits wissen, Doktor Plager und Frau nicht in großer Harmonie mit einander lebten, so hatten die Beiden doch oft, ohne es zu wissen, wunderbare Sympathieen in ihren Gedanken. Denn kaum hatte er, wie eben berichtet, gedacht, so patschte sie mit der Hand auf die Bettdecke und sagte unter einem tief herauf, geholten Seufzer, der schließlich mit einem Ach ja – a! verbrämt war:

»Uns kann nur der liebe Gott helfen!«

Um eine Million hätte aber der geduldige Ehemann jetzt keine weiteren Fragen gestellt; es wäre das der verwegene Zug an einem furchtbaren Schleusenwerk gewesen, dessen sprudelnde Wasser ihn wahrscheinlich, wie das schon oft vorgekommen war, aus seinem eigenen Schlafzimmer hinausgeschwemmt hätten bis auf das kühle Sopha im Gesellschaftszimmer. Er nahm sich also zusammen, so wenig Geräusch wie nur möglich zu machen; er vermied es, einen Stuhl zu rücken, und als er seine Taschenuhr aufzog, fand er, daß die Feder heute ungewöhnlich knarre. Dann schlich er auf den Fußspitzen an sein Bett, war aber so vorsichtig, ehe er hinein schlüpfte, das Licht auszulöschen, denn er sah, wie Madame in diesem Augenblicke ihr Haupt mit der Nachtmütze langsam herum wandte und ihm einen Blick schenkte, o, einen Blick, ob dem er die Bettdecke mit der Hand fast zerdrückte und bei sich selber dachte: O, könnte ich, wie ich wollte!

Solche Blicke sind gefährlich, geneigter Leser, und wenn du zufällig eine Leserin bist und dich annähernd im gleichen Falle befindest, wie die Frau Doktorin Plager, so bitte ich dich, da ich es gewiß gut mit dir meine, dich vor häufiger Anwendung solcher Blicke zu hüten; sie rufen eine unendliche Erbitterung hervor: man gedenkt früherer Zeiten, wo diese Blicke ganz anders waren, oder wo man überhaupt noch gar keine von dir erhalten; man träumt von vergnügteren, freieren Tagen, von einem stillen Schlafzimmer mit harmlosem Bedienten, der uns den Stiefelknecht zurecht rückt und dabei freundlich sagt: Heute kommen Sie aber sehr früh nach Hause. Man phantasirt von jener glücklichen Zeit, wo man dich und deinen Blick noch nicht gekannt, theure Leserin –

wo man noch im Flügelkleide
in die Mädchenschule ging! –

Danach hatte Herr Doktor Plager sanft und ruhig geschlafen, auch geschnarcht, wie am anderen Morgen Madame ihrer Frau Mutter mit großer Entrüstung erzählte. Doch ging dieses Vergehen in der allgemeinen bitteren Stimmung unter, welche begreiflicherweise die Gemüther der beiden Damen beherrschte und beim Kaffee zu einem ganz gehörigen Ausbruch kam. Natürlich wurde dabei die Geschichte von gestern Abend mit den empörendsten Einzelheiten und genau so erzählt, wie sie Fräulein Clementine Weibel berichtet. Dabei hielt sich die Schwiegermutter klugerweise bei der Frage auf, was der Schreiber eigentlich so spät und allein im Bureau zu schaffen gehabt. Daß die Motive dazu höchst unlautere seien, verstand sich von selbst, und wenn Madame Plager mehr der Ansicht war, Larioz habe, Gott weiß zu welchem Zwecke, geheime und wichtige Aktenstücke durchgesehen, copirt, vielleicht auch sogar entwendet, so war die Schwiegermutter vollkommen überzeugt, der nächtliche Besuch habe der Kasse gegolten, und dieser Diebstahl sei durch das kluge und muthige Benehmen ihrer Tochter Clementine zum Glück vereitelt worden.

»Daß Sie nach alle dem,« schloß die würdige Dame, »noch immer nicht einsehen wollen, was Sie an uns und unserer Familie haben, begreifen wir vollkommen, machen uns auch weiter keinen Kummer darüber, da wir es doch nicht ändern können, indem wir zu genau mit Ihren Gesinnungen bekannt sind. Ja, wir kennen Ihre Gesinnungen so genau,« wiederholte sie mit einem bezeichnenden Blick auf ihre Tochter, »daß wir überzeugt sind, Ihr nobler Spanier, Herr Don Larioz, braucht nur den Versuch zu machen, Ihnen die Begebenheiten von gestern Abend in einem anderen Lichte darzustellen, so werden Sie ihm unbedingt glauben und unsere Angaben für Lügen halten.«

Wir müssen in der That eingestehen, daß der Rechtsconsulent wirklich so dachte, obgleich es ihm räthselhaft war, was sein Schreiber, der doch als Kranker in seinem Zimmer hätte sein sollen, am späten Abend im Bureau zu schaffen hatte.

»Ob Herr Don Larioz nun,« fuhr die Schwiegermutter fort, indem sie ihre Nase hoch erhob und dabei das Weißbrod, das sie in der Hand hielt, vollständig im Kaffee ersäufte, »den Versuch machen wollte, Akten zu entwenden oder die Kasse zu bestehlen, ist mir und meiner Tochter vollkommen gleichgültig; obendrein aber hat er sich gegen uns so benommen, daß wir verlangen können, müssen und wollen, dieser Mensch solle nicht einen Tag länger in Ihren Diensten bleiben.«

Auf das hin lächelte Madame Plager auf eigenthümliche Art und zuckte leicht mit den Achseln, als sie sagte: »Herr Don Larioz wird nicht entlassen, Mama, darauf kannst du dich verlassen, es ist nur des Anhangs wegen. Was sind wir gegenüber diesem vortrefflichen Schreiber? Hast du überhaupt je erlebt, daß man sich unserer Familie annimmt, wenn Jemand uns noch so grob und unverschämt behandelt? – Das hast du nicht erlebt, nie nie!«

»Allerdings ist das bis jetzt noch nicht vorgekommen,« nahm Madame Weibel in sehr spitzem Tone das Wort. »Doch ist dieses ein Fall, wo der Herr Schwiegersohn nicht mehr wird umhin können, einmal Gerechtigkeit gegen uns zu üben. Oder –«

»Oder?« fragte scharf der Rechtsconsulent, der, von den unnöthigen Anspielungen gereizt, unruhig auf seinem Stuhle hin und Her rückte.

»Das Oder werden Sie erfahren, wenn es Zeit ist,« versetzte Madame Weibel mit Geringschätzung. »Jetzt bitte ich, bei der Sache zu bleiben und nicht, wie es gewöhnlich Ihre Art ist, durch ein hingeworfenes Wort Streit anzufangen, um so von einem Gegenstand abzukommen, der Ihnen unangenehm ist.«

Der Hausherr biß sich auf die Lippen und sprach zu sich selber: Ruhe, Ruhe, Geduld! Und daß er es wirklich über sich vermochte, vollkommen ruhig zu bleiben, ja mit blassen Lippen zu lächeln, verursachte ihm eine aufrichtige Freude, und er konnte in gewöhnlichem Tone sagen:

»Sie haben ein Wort hingeworfen, Frau Mama, und nicht ich. Doch will ich es fallen lassen, um Ihnen zu sagen, daß, wenn sich die Sachen so verhalten, wie Sie mir erzählt – woran ich durchaus nicht zweifle,« setzte er hinzu, als er einem aufflammenden Blicke der Madame Weibel begegnete, »Larioz heute noch entlassen wird, aber –«

Madame Weibel und ihre Tochter waren durch eine, nur ihnen verständliche Miene übereingekommen, weßhalb die Letztere sagte: »Aber –? Plager, du hast doch vielleicht nicht im Sinne, uns deinem Schreiber gegenüberzustellen oder seine Rechtfertigung anzunehmen, nachdem wir dir bewiesen, wie zweideutig er sich gegen dich benommen und wie sehr er Mama, mich und Clementine beleidigt? O, daß er sich gründlich entschuldigen wird, daran zweifle ich ebenso wenig, als daß du unserer Familie gegenüber seine Entschuldigung annimmst.«

»Vor allen Dingen, liebes Kind,« antwortete der Rechtsconsulent mit erhöhter Stimme, »muß ich dich bitten, die ewigen Pikanterieen bei Seite zu lassen. Allerdings sollte ich Larioz hören; das ist in der ganzen Welt noch nicht vorgekommen, daß man Jemand verurtheilt, ohne ihm Zeit zu seiner Vertheidigung zu lassen; namentlich ich, als ein Mann des Rechtes, sollte nicht so handeln. Um aber der Frau Schwiegermutter den Beweis zu geben, daß ich gern bereit bin, sie und ihre Familie vor jedem Angriff zu schützen, so will ich die alte Magd vornehmen, einen unparteiischen Zeugen, die, wie ich ja von euch hörte, auch zugegen war.«

»Und dieses Weibsbild nennen Sie einen unparteiischen Zeugen, Herr Schwiegersohn?« fuhr Madame Weibel auf. »Nehmen Sie mir nicht übel, das ist eine Verhöhnung, wie wir sie freilich gewohnt sind, wie wir aber nicht Lust haben, sie länger uns von Ihnen gefallen zu lassen.«

»Madame,« sagte hierauf der Rechtsconsulent, indem er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und mit den Fingern auf dem Tische trommelte. Seine Stimme war ruhig, aber etwas schärfer als gewöhnlich. »Madame,« wiederholte er, »Sie sprachen da von Gefallenlassen und dergleichen Dingen, die ich freilich schon oft. von Ihnen gehört, Aeußerungen, die ich aber durchaus nicht an ihrem Platze finde. Es steht ja eigentlich bei Ihnen, was Sie sich in meinem Hause gefallen lassen wollen oder nicht. – – Das ist Eins,« fuhr er mit einer Handbewegung gegen seine Frau fort, die ihm in die Rede fallen wollte; »das Andere, was ich ebenso unbegreiflich finde, ist Ihre Art, im Pluralis zu sprechen. Sagen Sie doch um des Himmels willen; mir sagt Dieses oder Jenes nicht zu, mir gefällt das nicht, und lassen Sie Ihre Tochter, meine Frau, reden und denken, was ihr beliebt.«

Der Rechtsconsulent hatte damit ein gefährliches Thema berührt, und da er mit seinem allzu nachgiebigen, etwas furchtsamen Temperamente es doch nicht wagte, dasselbe weiter auszuführen, so lenkte er Angesichts des flammenden Blickes seiner Frau und der offenbaren Kampfbereitschaft seiner Schwiegermutter ein, indem er fortfuhr: »Lassen Sie uns aber vor Allem bei der Sache bleiben und nicht immer auf andere Dinge abschweifen. Sie sehen, wie geneigt ich bin, Ihnen Recht zu geben, da ich nicht einmal Ihren Gegner vernehmen will.«

»Dafür aber ein altes, lüderliches Weibsbild zum Zeugen aufrufen, das mit Ihrem sauberen Schreiber zusammenhängt und natürlicher Weise nur das sagen wird, was diesem gefällt. O, Herr Schwiegersohn,« setzte sie mit sehr bezeichnender Handbewegung hinzu, »machen Sie uns keine Faxen vor; wenn die Familie Weibel auch in Ihren Augen nicht viel gilt, so können Sie sich doch darauf verlassen, daß sie eben so gescheidt ist, wie sechs Dutzend Plager.«

»Ihre Gemeinplätze, Madame, bin ich gewohnt,« erwiderte der Rechtsconsulent, »doch habe ich mir vorgenommen, mich heute nicht von Ihnen in Zorn bringen zu lassen.«

»Aber gemein sind wir nicht, das muß ich mir ausbitten!« rief Madame Plager, indem sie ihre Tasse heftig zurückstieß. »Das müssen wir uns alles von ihm sagen lassen, Mama!«

Der Rechtsconsulent zuckte mit einem Blick zum Himmel die Achseln, wobei er die Schultern so lange oben behielt, daß man hätte glauben können, er wolle ewig in dieser Stellung verharren; doch schien dies abermals zu seiner Besänftigung beigetragen zu haben, denn er entgegnete mit einer bewundernswürdigen Ruhe: »Ich sprach von Gemeinplätzen, und damit ist noch lange nicht gesagt, daß ich euch für gemein halte.«

»Er sagt das nicht,« rief die Schwiegermutter mit einem krampfhaften Lachen, »darauf kannst du dich verlassen; aber er denkt es. Ich bin gemein, du bist gemein, die ganze Weibel'sche Familie ist gemein. Und damit Basta!«

Jede Geduld ist zerreißbar, namentlich aber eine künstlich hervorgebrachte und auf übermenschliche Proben gesetzte. Deßhalb zerriß auch die des guten Doktor Plager; er sprang vom Tische auf, und es hätte in diesem Augenblicke wahrscheinlich eine der schon oft da gewesenen geräuschvollen Familienscenen gegeben, wenn sich nicht zur rechten Zeit die Thür geöffnet hätte und Babette eingetreten wäre, ein Schreiben in der Hand tragend.

Obgleich dieses Schreiben an den Hausherrn gerichtet war, so konnte es doch das würdige Dienstmädchen nicht über ihr Herz bringen, es diesem Tyrannen zu übergeben; sie warf deßhalb den Brief geringschätzend auf den Kaffeetisch, wobei sie sagte: »Das wurde so eben gebracht,« und verließ alsdann wieder das Zimmer, während sie ihren Kopf sehr auffallend hin und her bewegte.

Der Rechtsconsulent warf mit finsterem Stirnrunzeln einen Blick auf die Adresse, und als er die Handschrift derselben erkannte, riß er heftig das Couvert ab und durchflog die Zeilen.

Sie waren von Larioz, und derselbe schrieb folgendermaßen:

 

»Hochgeehrtester Herr Doktor!

»Seit einer ziemlichen Reihe von Jahren bin ich in Ihren Diensten, und wenn auch hier und da, wie das unausbleiblich ist, kleine Differenzen entstanden sind, so glaube ich doch nicht, daß Ihnen der Tag besonders hassenswerth erscheinen wird, an welchem Sie mich mit einer Anstellung auf Ihrem Bureau beehrten. Ob ich dort meine Pflichten erfüllt, wissen Sie, verehrtester Herr Doktor, am besten selbst zu beurtheilen; was mich anbelangt, so kann ich wohl sagen, daß ich die Zeit, welche ich dort verbracht, im Ganzen für eine recht erfreuliche und angenehme halte. Wenn Ausnahmen stattfanden, welche den gemessenen Gang meines Lebens beunruhigten, so kamen dieselben in sehr wenigen Fällen oder eigentlich nie von den Arbeiten des Bureau's selbst oder von Ihrer verehrten Person her, sondern sie tropften aus einer Quelle, die ich wohl nicht näher anzugeben nöthig habe.«

Indem der Rechtsconsulent den letzten Satz las, schielte er über den Brief hinweg nach den beiden Damen hin, die aber mit dem größten Gleichmuthe da saßen; die Schwiegermutter strickte an einem Strumpfe, die Frau Doktorin setzte einen dunkeln Fleck auf eine helle Nachtjacke.

»Daß es mir« – las Herr Plager weiter – »unter diesen Verhältnissen so eigentlich nie in den Sinn kam, Ihr Bureau, verehrtester Herr Doktor, zu verlassen, brauche ich Ihnen wohl nicht zu versichern. Und doch ist ein Umstand eingetreten, der mich veranlaßt, meine Entlassung aus Ihrem Dienste und zwar so schleunig zu verlangen. Welche Ursache dieser meiner Bitte zu Grunde liegt, darüber wird Sie wahrscheinlich, noch ehe Sie diesen Brief empfangen haben, Ihre Frau Gemahlin, auf jeden Fall aber Madame Weibel aufgeklärt haben, und kann ich nichts Besseres thun, als mich der Art zu unterwerfen, in welchen diese einen Vorfall von gestern Abend Ihnen, verehrtester Herr, mitgetheilt. Eine Berichtigung meinerseits wird nicht erfolgen, wäre auch unnütz, da mein Entschluß fest steht, ferner nicht im Dienste eines sonst so achtbaren Mannes zu bleiben, dessen Familie mich, wiewohl mit großem Unrecht, aufs tiefste verabscheut.

»Genehmigen Sie, Herr Doktor, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung, mit der ich bin

Ihr
ergebenster Larioz.«

 

Herr Doktor Plager hatte dieses Schreiben zweimal überlesen, dann legte er die Hände auf dem Rücken zusammen, so daß der Brief sich nothwendiger Weise auch dort befand, und verließ den Kaffeetisch, den Blick zu Boden geheftet, um im Nebenzimmer mit großen Schritten auf und ab zu gehen.

Madame Weibel zog die Augenbrauen hoch empor, ließ die Hände mit dem Strickstrumpf in den Schooß fallen und zuckte mit den Achseln, als ihre Tochter sie fragend ansah.

Die Rechtsconsulentin lehnte sich vornüber und meinte flüsternd, das Schreiben müsse etwas Unangenehmes enthalten, denn sie habe ein untrügliches Zeichen zu dieser Vermuthung auf dem Gesichte ihres Mannes bemerkt. – Aber woher?

Die Schwiegermutter warf verächtlich die Oberlippe auf und sagte, wobei sie sich gerade keine besondere Mühe gab, ihre Stimme zu dämpfen: »Wer weiß, von welchen vielen sauberen Geschichten, mit denen er zu thun hat, diese Zeilen handeln!«

Nun war aber Babette eine viel zu vortreffliche und gescheidte Dienerin, um ihre Damen in der Unwissenheit über etwas zu lassen, dessen Wissenschaft ihnen von Interesse sein konnte. Sie erschien deßhalb im Zimmer mit einem gewissen Lächeln auf den Lippen, und während sie das Kaffeegeschirr mit großem Geräusch abräumte, sagte sie mit leiser Stimme: »Den Brief hat die alte Magd gebracht, der Tiger, wie sie sie nennen. Ich habe auf die Adresse gesehen, und links stand: Larioz.«

»Aha!« machte die Rechtsconsulentin, und Madame Weibel hustete bedeutsam.

Babette verließ das Zimmer mit ihrem Frühstücksservice, nicht ohne dem Salon oder vielmehr dem, der dort auf und ab spazierte, einen Blick stiller Verachtung gewidmet zu haben.

Es erfolgte eine kleine Pause, nach welcher die Madame Weibel ihrer Tochter zulispelte: »Mag dieser Kerl geschrieben haben, was er will, man muß ihm unbedingt zuvorkommen.« Worauf sie laut zu Emilie sagte: »Du wirst sehen, der saubere Schreiber wird doch noch Recht behalten. O, ich sage dir, dieser Mensch ist ein Krebsschaden in deinem Hauswesen. Aber es gibt Fälle, wo man einen solchen treuen Diener schonen muß.«

Im Nebenzimmer hustete es leicht, doch entfernten sich die Schritte, die man dort vernahm, von der Thür.

»Ja, man muß einen solchen Kerl schonen,« fuhr die Schwiegermutter lauter fort; »verstehst du mich, Emilie? man muß ihn halten trotz den Klagen und dem Jammer einer ganzen Familie. – So ein Diener weiß oft viel von seinem Herrn, o, schrecklich viel, was eine arme Frau nicht erfahren darf; und wenn man ihm die Wahrheit sagt oder ihn gar entläßt, so kommen natürlicher Weise schöne Dinge an den Tag, und davor muß man sich hüten.«

Die Schritte im Salon näherten sich der Thür des Kaffeezimmers wieder, und der Husten wurde bezeichnender.

»Hahaha!« lachte die Schwiegermutter. »Erinnerst du dich noch, weßhalb jener saubere Lehrling ins Bureau genommen wurde, der Bruder der Mamsell Brenner?«

Die Schritte hatten sich ein paar Mal sehr stark der Thür genähert, waren aber alsdann wieder schnell verklungen.

»Ein schönes Mädchen das!« fuhr Madame Weibel fort: »jung und sieht feurig aus, freilich etwas gemein, aber was thut das! Das mögen sie schon leiden. Ich versichere dich, Emilie, ich ließe ihn machen, was er wollte: laß ihn seinen noblen Spanier behalten und sich mit der Familie Brenner einlassen, so tief er mag; wir haben keine Schande davon, denn Gott sei Dank, man kennt die Weibels.«

In diesem Augenblicke trat der Rechtsconsulent an die Thür des Kaffeezimmers, aber nicht im Zorn, wie man wohl hätte glauben sollen, vielmehr war etwas wie Wehmuth ersichtlich an der Art, wie er mit den Augen zwinkerte und wie er sein Kinn tief in die Falten des Halstuches vergrub.

»Allerdings, Madame,« sagte er ruhig und mit Würde zur Schwiegermutter, »man kennt die Weibel'sche Familie: es ist durchaus keine Frage, man kennt sie. Aber einige Mitglieder dieser würdigen Familie haben sich noch nicht die geringste Mühe gegeben, das Treiben anderer Leute in seinem wahren Lichte zu erschauen; sie wollen das nicht, denn sie gehen von dem Grundsatze aus, daß die ganze Welt – ihre eigene Sippschaft ausgenommen – nicht das Geringste tauge. – Sei es darum,« fuhr er mit erhöhter Stimme und einer befehlenden Handbewegung gegen Madame Weibel fort, als er sah, daß diese ihm ins Wort fallen wollte. »Um Ihnen aber einen kleinen Beweis zu geben, wie voreilig man urtheilen kann, wollen Sie sich vielleicht die Mühe nehmen, diesen Brief zu lesen. – Sie werden mir in Ihrer bekannten Manier sagen: Was geht mich der Wisch von jenem Menschen an? während Sie doch vor Begierde brennen, zu sehen, was diese Zeilen enthalten. Da ich das kenne, so lasse ich Ihnen das Schreiben hier, und können Sie später, wenn Sie Lust und Muße haben, es gemächlich durchlesen.«

Damit wandte er sich um, ging in sein Schlafzimmer, versah sich mit Paletot, Hut und Stock und schritt einige Minuten nachher abermals durch den Salon, um sich auf sein Bureau zu begeben.

Dem geneigten Leser können wir wohl gestehen, daß Madame Weibel diesen Moment benutzt hatte, um den Brief zu lesen; da sie aber durchaus den Schein vermeiden wollte, als hätte sie das wirklich gethan, so flog das Papier zusammengeballt gerade in dem Augenblicke in den Salon hinaus, als Herr Doktor Plager durch denselben schritt.

Er bückte sich, hob es auf und steckte es seufzend in seine Tasche.


Der Herr Graf Czrabowski hatte nach jener von uns erzählten Zusammenkunft mit Baron Fremont und Herrn, von Tondern ein paar Tage lang ruhig seine Anweisung in der Brieftasche behalten und entschloß sich alsdann erst, sie dem Banquier zu übergeben, als er den ersten der eben genannten Herren kurz vorher auf der Straße gesprochen und dieser ihm nicht gerade unfreundlich angezeigt, er habe dem betreffenden Banquier mit einigen guten Worten die Honorirung der Anweisung bestens anempfohlen. Nun war aber jener Banquier zufälligerweise der uns bereits bekannt gewordene Schwager des Herrn Rechtsconsulenten Doktor Plager, was dem edlen Grafen außerordentlich zu seinen Angelegenheiten paßte.

Er hatte sich nun in untadelhafter, doch nicht zu auffallender Toilette auf dem Comptoir präsentirt und war von Herrn Springer, einem strengen Geschäftsmanne, freundlicher aufgenommen worden, als es das erstemal der Fall gewesen war, wo Czrabowski seine Empfehlungsbriefe präsentirt.

Baron Fremont hatte in der That, und wir können hinzufügen: etwas leichtsinnigerweise, weit Besseres über den sogenannten Grafen ausgesagt, als dieser es verdiente. Wenn auch der Baron kein großes Vermögen besaß, so hatte er doch immer, um leben zu können, wie Herr Springer wohl bekannt war, und er hatte sich bei gelegentlichen kleinen Geschäften mit dem Bankhause immer so zuverläßig und solid benommen, daß der Chef des Hauses ihm unbedenklich einen ziemlichen Credit eingeräumt hätte. Er hatte nun, wie gesagt, den Grafen Czrabowski bestens empfohlen, und dieser benahm sich mit einer außerordentlichen Klugheit: er hinterlegte bei dem Banquier seinen Wechsel, ohne Geld darauf zu nehmen, er übergab ihn, wie man das mit dem technischen Ausdrucke zu benennen pflegt, dem Hause zur Gutschrift und eröffnete sich auf diese Art ein Conto bei der geachteten Firma Springer und Compagnie.

Daß der Chef dieser Firma hierauf den Herrn Grafen Czrabowski zu einem kleinen Diner einlud, wird Niemand, der das Geschäftsleben kennt, überraschen; daß dieses Diner en famille war, dafür sorgte Clementine Weibel durch ihre Schwester, die Frau des Banquiers, und daß sie bei diesem Diner en famille an der Seite des Grafen saß, wird man ebenso wenig auffallend finden. Auffallend war es gleichfalls nicht, daß der Graf für dieses Diner en famille in den nächsten Tagen einen Besuch machte – Das verstand sich von selbst: – auch nicht, daß der Besucher den Banquier, da es gerade Börsenzeit war, nicht zu Hause traf, sondern von Fräulein Clementine empfangen wurde, – aber daß Czrabowski diese Besuche häufig wiederholte, ohne daß Herr Springer etwas dagegen einzuwenden zu haben schien.

Wie schon so oft kleine Ursachen große Wirkungen hervorgebracht, so hatte auch in diesem Falle eine an sich unbedeutende Frage des Banquiers an den ...schen Gesandten, die er ganz zufällig über den Grafen gethan, die vortrefflichste Wirkung für diesen gehabt. Es war das bei einem Diner gewesen, wo man viele gute Weine getrunken hatte und deßhalb gemüthlich und wohlwollend gestimmt war. Seine Excellenz hatten über die Frage einen Augenblick nachgedacht und dann an die Decke blickend, geantwortet: »Czrabowski? Czrabowski? Ach, richtig! kenne ihn schon, ist mir von guter Hand empfohlen; ich glaube, ein ordentlicher und gescheidter Mann. Von der Familie weiß ich allerdings nicht viel, Czrabowski – natürlicherweise polnischen Ursprungs, der Vater könnte General in der Revolutionszeit gewesen sein. – Haben Sie nie von einem General Czrabowski gehört?« hatte sich darauf Seine Excellenz an einen Ihrer Attachés gewandt, der den Namen neulich allerdings bei Bereinigung der uns bekannten Paßangelegenheit nicht nur gelesen, sondern auch geschrieben, sich aber darauf nach dem wirklich sehr guten Diner nicht vollkommen mehr besann – nur der Klang dieses Namens war ihm im Gedächtniß geblieben – und nun nach dem Grundsatz, daß man einem Vorgesetzten oder hochgestellten Herrn« nie eine Antwort schuldig bleiben soll, mit großer Zuversicht entgegnete:

»General Czrabowski – o, gewiß, Excellenz; wie Euer Excellenz eben bemerkten, ein bekannter Name – war, wenn ich nicht irre, eine Zeit lang Adjutant von Poniatowski. Haben Güter diese Czrabowski in – in – Wo haben doch die Czrabowski ihre Güter?« wandte er sich an einen jungen Legationsrath, der eine Zeit lang in Petersburg gewesen war, dort begreiflicherweise aufs intimste mit dem hohen Adel verkehrt, und um alle Schätze Indiens vor den Ohren seines hohen Chefs, des Ministers des Auswärtigen nicht eingestanden haben würde, es gäbe eine Familie Czrabowski, von der ein Mitglied General und Adjutant von Poniatowski gewesen, und von welcher er nicht wissen solle, in welchem Theile Polens deren Güter lägen. Er erwiderte deßhalb auch ohne sich im Geringsten zu besinnen:

»Die immensen Güter der Czrabowski liegen an der Weichsel bei Rachow, nicht weit von Lublin.« Man muß immer eine Sache, von der man nichts weiß, und die man glaubwürdig machen will, mit Nebenumständen behaupten, deßhalb setzte er auch hinzu: »Diese Czrabowski haben famose Bärenjagden, ich war dort eingeladen, fand aber nicht die Zeit, um hinzugehen.«

Hätte der junge Legationsrath in diesem Augenblicke das ungeheuer malitiöse Lächeln des Herrn von Tondern, der ebenfalls bei diesem Diner war, verstehen können, so würde er weder von den großen Gütern, noch von den Bärenjagden gesprochen haben. Doch da das einmal erwähnt war, machte sich Tondern selbst ein Vergnügen daraus, diese Angaben zu bekräftigen; denn er sagte, nachdem er mit großer Ruhe ein Glas Curaçao ausgeschlürft:

»Allerdings eine große Familie, diese Czrabowski, eine weit verzweigte Familie, und da sie Güter bei Lublin haben, so müssen sie immens reich sein. Nicht wahr, es sind doch Grafen?« wandte er sich mit großem Ernste an den Legationsrath, der unbefangen antwortete: »Das will ich meinen – ein altes gräfliches Geschlecht.«

So wußte man nun denn mit einem Male, daß der bis jetzt unbekannte Czrabowski wirklich ein Graf dieses Namens sei, sowie ein Sohn jenes famosen Generals Czrabowski, der Adjutant und Vertrauter des Fürsten Poniatowski gewesen und bei dem großen Kaiser selbst einen tüchtigen Stein im Brette gehabt; daß die Familie große Güter an der Weichsel besaß, bei Rachow in der Nähe von Lublin, und daß sie auf diesen großen Gütern oft mit gewaltigen Bären zu thun hatte. Das Letztere hätte unser Graf Czrabowski in einem ehrlichen Augenblicke am allerwenigsten geleugnet.

Der Banquier Springer war nun gewiß nicht der Mann, der mit vornehmen Bekanntschaften zu prahlen pflegte. Und doch that es seinem Herzen wohl, wenn er zu Hause der dicken Gattin erzählen konnte von dem vortrefflichen Diner, dem er so eben beigewohnt, wo er zwischen dem Baron und dem Grafen G., dem französischen Gesandten, gesessen, und wie er nicht nur von den beiden Herren, sondern auch von der ganzen Tischgesellschaft mit großer Aufmerksamkeit behandelt worden sei.

Mit einem bezeichnenden Lächeln auf Clementine setzte er hinzu: »Apropos, heute kam ganz zufälligerweise auch die Rede auf Czrabowski. Mehrere kannten ihn ganz genau, und fast Alle sagten Gutes von dieser großen und reichen Familie. Die Grafen Czrabowski sollen weitläufig mit dem Fürsten Poniatowski verwandt sein; der Vater, jener bekannte tapfere General, ein Vertrauter des unglücklichen Fürsten, der in der Elster bei Leipzig ertrank – du wirst dich erinnern, Marianne,« wandte er sich an seine Frau, »wir haben den Platz damals à fünf Neugroschen die Person sehen dürfen – war ein genauer Freund Napoleons und soll dem Kaiser sehr Werth gewesen sein. Die Czrabowski haben ungeheure Güter bei Lublin, da in der Gegend der Weichsel, wo überhaupt der große polnische Adel stark begütert ist; ihr Stammschloß, glaube ich, heißt Rachow und soll eine prachtvolle Besitzung sein mit reichen Waldungen und Bärenjagden.«

Daß jedes Wort, welches der Schwager sprach, wie ein Funke in das Herz des jungen Mädchens fiel, versteht sich von selbst; ebenso, daß dieses Herz von Entzücken schwoll und sein Schlag so heftig wurde, daß sie denselben gewaltsam niederkämpfen mußte, indem sie dachte: O, mein Gott, ja, habe ich doch nie an seiner Größe gezweifelt, habe ich trotz aller boshaften Einreden so sicher gewußt, daß es der Graf Czrabowski ist, daß es in seiner Hand liegt, ein liebendes Gemüth zu sich empor zu heben, ein Herz, das für ihn schlägt, glücklich zu machen. Aber wird er dieses Herz auch vollkommen verstehen? Ist er aufopferungsfähig genug, um sein Wort zu halten? – Werde ich, wie er mir in jener süßen Stunde gelobt, Gräfin Czrabowski sein? – O Uebermaß des Glückes! – Nein, nein! das ist ja unmöglich! Ruhig, mein Herz, nähre keine thörichten Hoffnungen! – Und doch, wer weiß – und doch!

Auch die gemeinschaftliche Schwiegermutter, Madame Weibel, saß dabei, als der Banquier Springer so erzählte, und auch ihr Haupt hob sich vor Stolz und Freude. Im Gegensatz zu ihrer Tochter machte sie auch gar keinen Versuch, den Schlag ihres Herzens zu dämpfen. – Diese Verbindung muß zu Stande kommen – warum auch nicht? Allerdings ist er der Graf Czrabowski. Nun, was ist dabei so Großes? Ist sie nicht eine Weibel?

Daß die Aktien des Fabrikanten, Herrn Schilder, gegenüber dem Stammschlosse Rachow und der Grafenkrone, entsetzlich tief sanken, brauchen wir wohl nicht zu sagen; Madame Schilder – und Gräfin Czrabowski! Die Mama konnte sich nicht enthalten, diese beiden Titel ihrer Tochter lächelnd in die Ohren zu flüstern, worauf Clementine in tiefer, aber affektirter Demuth die Augen zum Himmel erhob und schmachtend sagte: »Wie Gott will! Ich nehme dankend an, was mir dort über den Sternen beschieden ist.«

Der Held aller dieser Wünsche und Hoffnungen sah wohl aus dem veränderten Benehmen des Banquiers, sowie dessen Frau, welche letztere ihn auch bisher stets mit einer gewissen Scheu und Zurückhaltung behandelt hatte, daß sich irgend etwas begeben haben mußte, was zu seinen Gunsten sprach. Welches Ereigniß dieses eigentlich gewesen, darüber hatte der Graf Czrabowski längere Zeit nur ganz unbestimmte Vermuthungen, bis er eines Tages den Herrn von Tondern auf der Straße traf, und dieser ihm lachend zum Vater General, sowie zu den Gütern bei Rachow, namentlich aber zu den Bärenjagden gratulirte.

Tondern hatte überhaupt eine gewisse Zuneigung zu Czrabowski, die er sich selbst nicht gestehen wollte; es war etwas in dem abenteuerlichen Leben des vermeintlichen Grafen, was ihm zusagte, und er hätte sich mehr mit ihm eingelassen, wenn Czrabowski gleich Mittel und Wege gefunden hätte, sich mit einem gewissen Aplomb als Erbe der immensen Güter an der Weichsel darzustellen und so sich in die Gesellschaft zu lanciren. So aber war er ein bischen schofel in die Residenz gekommen, man hätte ihm können den Schneider nachweisen, wo er seine sehr verdächtigen. Kleidungsstücke abgelegt und darauf mit einem eleganteren Anzuge, der freilich beinahe den Rest dessen, was er besaß, verschlungen, wieder zum Vorschein gekommen war.

»Es ist eigentlich schade um ihn,« murmelte Tondern, als er den Andern verließ, »hätte sich wohl ein bischen höher lanciren können, als da seine Zeit mit einem obscuren Bürgermädel zu vertändeln. Und wohlverstanden seine ganze Zeit; ein paar Stunden, das möchte noch angehen. Nun, Jeder nach seinem Geschmacke.«

Czrabowski also erfuhr nun zum ersten Mal in seinem Leben, daß er der wirkliche Graf Czrabowski sei, welch bedeutender Mann sein Vater gewesen, und daß er prachtvolle Güter in der Nähe von Lublin besitze. Diese kostbaren Notizen über seine eigene Person machte er sich nun bestens zu Nutze und trat in dem Hause des Banquiers Springer nun mit viel größerer Zuversicht auf als bisher. Es ist etwas Eigenes, wenn man zuversichtlich auftritt; kennt man dabei sein Terrain, so kann man mit einiger Routine, die dem edlen Grasen nicht abging, ganz Ungeheures leisten. Und Czrabowski leistete auch in der That das Außerordentlichste, nicht nur daß er Madame Springer für sich einnahm, auch der Banquier selbst gewöhnte sich so an sein Wesen, welches für den trockenen Geschäftsmann gerade nicht sonderlich sympathisch gewesen war, daß er lächelnd sagen konntet »Es ist eine seltsame Persönlichkeit, aber diese reichen Polen sind nun einmal nicht anders.«

Das Wesentlichste für den Grafen war aber, daß der sonst so vorsichtige Banquier sich durchaus nicht weigerte, Zahlungen auf Anweisungen des reichen Gutsbesitzers zu leisten, – eine Freundlichkeit, von der Czrabowski für einen Mann, der so ungeheure Güter besaß, allerdings keinen unmäßigen Gebrauch machte.

Doch konnte es nicht dabei bleiben, daß er häufig in dem Banquierhause dinirte, daß er daraus mit Clementinen allein war und dort die glänzendsten Versicherungen tausendmal wiederholte, daß er auch, aber meistens in Stunden, wo der Rechtsconsulent nicht daheim war, dessen Haus besuchte, um der Schwiegermutter und der zukünftigen Schwägerin seine Cour zu machen, – er mußte weiter gehen, das hatte ihm Madame Weibel als besorgte Mutter eines schönen Tages nicht undeutlich zu verstehen gegeben. Und darauf hin ging er denn auch weiter, ja, er ging so weit, als es ihm möglich war. Wir meinen das nicht zweideutig, geneigter Leser, wie du vielleicht vermuthen wirst; nein, der Graf Czrabowski, Herr der Güter von Rachow bei Lublin, fuhr an einem schönen Vormittage – schön in Anbetracht dieser feierlichen Gelegenheit, denn der Himmel weinte eben an diesem Vormittage Schnee und Regen durch einander – nach der Wohnung des Rechtsconsulenten, ließ sich bei Madame Weibel melden und bat förmlich um die Hand von deren Tochter Clementine.

So war es denn geschehen, und daß die Welt alsbald dieses große Ereigniß erfahre, dafür sorgte der gütige Himmel, denn drüben am Fenster lehnte die blasse Kaufmannswittwe; sie sah den Grafen Czrabowski in schwarzem Frack und weißer Halsbinde anfahren, sie bemerkte, wie die alte Weibel außerordentlich tief knixte, und hatte darauf nichts Eiligeres zu thun, als ihr Dienstmädchen, die Ricke, heimlich zu Plagers Babette zu senden, wo sie denn alsbald die ganze Geschichte erfuhr. – Das wäre zum Schlagtreffen gewesen, aber die blasse Kaufmannswittwe hoffte auf einen minder glänzenden Ausgang dieser an sich skandalösen Geschichte. Man braucht ja nur an die Punschscene zu denken, sprach sie achselzuckend zu sich selber. Und – Hoffnung läßt, nicht zu Schanden werden.

»Clementine ist nun also eine glückliche Braut, und daß die Sache endlich declarirt, kann man dem armen Mädchen wohl gönnen,« sagte an demselben wichtigen Tage Madame Weibel zu ihrer älteren Tochter, der Frau des Banquiers Springer; worauf sie noch hinzusetzte: »Ja, sie hat in der jüngsten Zeit recht gelitten, die arme Clementine, man sieht es ihr wohl an.«

Und das war die Wahrheit, denn die Augen des jungen Mädchens hatten viel von ihrem muntern Glanze und der Schärfe des Blickes verloren; ihre Wangen waren bleich geworden, und zuweilen zuckten ihre nicht mehr wie früher so frischen Lippen eigenthümlich und schmerzlich, wie man das sonst nicht an ihr gewohnt war.


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