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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Eine Mappe voller Pläne


In den hübschen und eleganten Schreibsalon des Grafen Helfenberg haben wir den geneigten Leser bereits an einem trüben Regentage eingeführt, ihm denselben dann auch wieder Abends bei Beleuchtung und dadurch in viel behaglicherem Lichte gezeigt, und um nun eine Steigerung zu haben, die man so nothwendig bei einer längeren Geschichte braucht, begeben wir uns jetzt nach eben diesem Salon, und zwar an einem klaren, prachtvollen Wintermorgen. Nach dem Palaste des Grafen könnten wir im Schlitten fahren, denn es ist seit einigen Tagen eine gute Bahn vorhanden; ziehen wir einen Wagen vor, so hören wir, wie die Räder bei jedem Umschwünge knirschen und jene eigenthümliche Melodie hervorbringen, die Aehnlichkeit mit der hat, wenn man mit dem nassen Finger auf dem scharf geschliffenen Rand eines Glases hin und her fährt. Gehen wir aber zu Fuß, so werden wir uns beeilen, denn es weht ein ziemlich scharfer Nordostwind, und wenn wir über die bläulichen Schatten dahinschreiten, welche die Häuser auf den Schnee werfen, so empfinden wir die Macht des Winters und erfreuen uns an unserem guten Paletot oder Pelze.

Das Letztere tat auch der wohlbeleibte Portier im gräflichen Hause; seine Livree war so dick mit Pelz besetzt, daß ein Nordpolfahrer daran sein Vergnügen hätte haben können, und wenn auch schon im gewöhnlichen Leben die Figur dieses ehrlichen Dieners etwas unbeholfen aussah, so hatte sie jetzt alle menschlichen Formen verloren, und der Portier stellte nun eine blau und schwarze Kugel vor, oben mit einem roten Knopfe, unten mit zwei Stützen versehen, die aber gegen die ganze Masse so dünn und zerbrechlich erschienen, daß sie der dritten Stütze, des Stabes nämlich, unbedingt nicht entbehren konnten.

Der dicke Portier hatte übrigens im Winter seine schlimmste Zeit; er litt etwas an Engbrüstigkeit, und wenn er lange in seiner kleinen, geheizten Loge sein mußte, so verursachte ihm das ein Gefühl, wie wenn ein Fisch sich auf trockenem Sande befindet; ebenso wie ein solcher, pflegte er dann auch nach Luft zu schnappen. Deshalb hielt er sich bei trockener Kälte am liebsten unter dem Torbogen oder in dem vom Schnee reingefegten Hofe auf, und da es ihm hier an Unterhaltung gebrach, veranlaßte er auch gern Andere aus der Dienerschaft, ihm hier und da Gesellschaft zu leisten, die aber, weniger beleibt und bepelzt, das warme Zimmer vorzogen. Auch Besuche, an welche der Portier es wagen durfte, ein Wort zu richten, hielt er nicht selten auf der Treppe fest und tat dies namentlich am heutigen Morgen, eben sowohl aus der angeführten Ursache als auch aus einer anderen, für ihn noch viel wichtigeren.

Doktor Flecker hatte nämlich eben die Zimmer droben verlassen und sprang mit raschen Tritten, wie er es zu thun gewohnt war, gesticulirend und mit sich selbst redend, die Treppen hinab, um unten von dem dicken Portier augenblicklich angehalten zu werden. Dieses Anhalten bestand indessen nur in einer ehrerbietigen Verbeugung, wobei der alte Mann seinen Hut abnahm und den Doktor mit bittender Geberde ansah.

Dieser war aber augenblicklich in Gedanken vertieft und mit einer Idee beschäftigt, die er sich nicht wollte entschlüpfen lassen, weßhalb er den Thürhüter von sich abwehrte, indem er den rechten Arm ausstreckte und mit den Fingern den dicken Pelzbesatz von dessen Ueberrock faßte.

So blieben die Beiden ein paar Sekunden lang neben einander stehen, der Doktor aufwärts blickend und dann mit einem Male sagend: »Ja, ja, es wird und muß gehen; ich kann mich nicht getäuscht haben; nur langsam, langsam, höchst langsam!«

Nach diesen Worten hatte er seine Gedanken verabschiedet und schüttelte nun den Portier ein klein wenig, indem er sprach: »Nun, was ist's, Meister Jonathan? Haben wir abermals Indigestionen oder uns vielleicht bei dem Wetter erkältet? In beiden Fällen brauche ich Ihnen nicht zu rathen; Sie wissen, wie ich für die betreffenden Hausmittel schwärme.«

»Ach ja, Herr Doktor, ich schwärme auch dafür, aber –«

»Kamillenthee, Abends so heiß Sie ihn trinken können, dann warm zugedeckt und tüchtig geschwitzt. Haben wir uns aber leicht den Magen verdorben, dann unsere bekannte Medicin: ein kleines Gläschen Boonecamp of Maagbitter.«

»Danke recht sehr, Herr Doktor; ich werde diese kostbaren Mittel all mein Lebtag nicht vergessen, aber –«

»So, etwas Anderes?« rief der Armenarzt. »Nun denn geschwind heraus damit, ich habe noch einen weiten Weg zu machen.«

Statt aber zu antworten, winkte der alte Portier so auffallend nach dem ersten Stock hinauf, daß der Doktor unwillkürlich die Treppe hinanblickte, wo aber nichts zu sehen war als die alten Ritter, die ebenso unbeweglich standen wie immer, heute aber um Vieles freundlicher aussahen, da. ein scharfer Sonnenstrahl zu dem Fenster oben hereindrang und einen goldenen Glanzstreifen auf die grauen Steinfiguren warf.

»Aha, ich verstehe,« sagte der Doktor, nachdem Meister Jonathan seine Mimik wiederholt. »Wir sind ein wenig neugierig und möchten erfahren, wie es droben aussieht. Nun ist mir das aber sehr schwer zu sagen, denn Sie werden mir zugeben, daß es höchst gefährlich ist, über das gute Gelingen eines Unternehmens zu reden, wenn dieses Gelingen noch sehr zweifelhaft ist.«

»Aber nicht unmöglich?« fragte mit einer bittenden Geberde der alte Mann. »Sehen Sie, Herr Doktor,« fuhr er fort, indem er die Hände unterhalb des dicken silbernen Knopfes seines Amtsstabes faltete, »seit Sie im Hause sind, habe ich die größten Hoffnungen. Früher hatte ich nämlich gar keine, und da mag man sagen, was man will, ich kenne unseren Herrn und kann Sie versichern, Herr Doktor, er ist in der kurzen Zeit schon um ein Gewisses besser geworden. Sie greisen das Ding aber auch so an, wie ich mir gedacht habe, so müsse es angegriffen werden. O, Hausmittel sind etwas Köstliches! Ich habe einen wahren Abscheu gegen die Apotheke.«

»Ich auch, ich auch, Meister Jonathan!« sagte eilig der Arzt, indem er fortzukommen suchte, was ihm aber nicht so leicht gelang, denn der Portier in seinem Pelzrocke füllte die ganze Glasthür aus und fuhr, ohne zu weichen, fort: »Ich habe es Allen gesagt: Gebt Achtung, wie der Herr Doktor Flecker ins Haus kommt, geht die Sache anders. Hausmittel, habe ich gesagt, gebt nur Achtung, Hausmittel! Und das ist ja auch alles, was Sie dem armen gnädigen Herrn verordnen, Bäder und Wassertrinken und viel Bewegung, und auf das Letztere halte ich namentlich viel. Aber, nicht wahr,« fragte er abermals recht dringend bittend, »es geht schon etwas besser?«

Der Armenarzt sah wohl, daß ihn der Pelzkoloß nicht eher frei ließ, als bis derselbe eine Antwort erpreßt. Deßhalb faßte er ihn mit beiden Händen lachend am Kragen und sagte, indem er den Versuch machte, ihn auf die Seite zu rücken: »Nun ja denn, Meister Jonathan, wir sind nicht unzufrieden, und ein Anderer würde schon sagen, es gehe besser.«

Dieser Ausspruch wirkte wie ein Zauberwort, der alte Portier gab mit einer tiefen Verbeugung die Thür frei, und der Doktor sprang behende davon.

Meister Jonathan setzte seinen Hut würdevoll auf den Kopf, nahm den Stock an die Seite und schritt, nachdem er die Glasthür hinter sich zugezogen, auf den Hof, wo man die Remise geöffnet sah und eine Menge der verschiedensten Equipagen so weit vorgezogen waren, daß man bequem um sie herum gehen konnte. Am Ende dieses Hofes lagen die Stallungen, und auch hier standen die Thüren offen, und man bemerkte sämmtliche Wagen- und Reitpferde in ihren glänzenden Geschirren, sowie unter dem eleganten Sattelzeug, daneben Stallleute, welche im Begriffe waren, die Thiere ihres Glanzes zu entkleiden, während die Reitknechte und Vorreiter in großer Livree mit zufriedenen Mienen damit beschäftigt waren, sich derselben wieder zu entledigen.

An der Eingangsthür zum Stalle stand der Bereiter des Grafen in gran fiocchi, ein Wachtmeister von der ehemaligen Schwadron des Herrn von Breda, und nickte dem würdevoll heranschreitenden Portier freundlich zu.

»Die Stallparade,« sagte der Letztere, »muß ja außerordentlich gut ausgefallen sein; Seine Erlaucht summten ein Lied vor sich hin, als Sie die Treppen wieder Hinaufstiegen.«

»Und daran haben Sie hoffentlich nie gezweifelt?« sagte der Bereiter, ein Mann von kraftvollem Körperbau und sehr energischem Gesichtsausdruck. »Aber, unter uns gesagt, mir war diese Stallparade an sich lieber als jene Paraden, die ich noch mitzumachen das Glück hatte. Es ist doch ein Zeichen,« setzte er flüsternd hinzu, »daß der gnädige Herr wieder anfängt, sich für etwas zu interessiren. – Ich, Meister Jonathan,« fuhr er nach einer Pause fort, während der Portier bedächtig, aber zufrieden mit dem Kopfe nickte, »fand nebenbei, daß Seine Erlaucht schon ganz andere Bewegungen macht, als noch vor vierzehn Tagen. Hat er mich doch um meine Meinung gefragt, ob, wenn er vielleicht nächstens einmal ausreiten wolle, der große Rappe nicht noch zu heftig für ihn sei. – Du lieber Gott! wie Einem das leid thut, Meister Jonathan, wenn ein Herr so spricht! – Zu heftig! Wenn man da an früher denkt; da war ihm nie einer heftig genug.«

»Das kann alles wieder kommen,« sagte der Portier wichtig und mit so entschiedenem und lautem Tone, daß es die Leute im Stalle ebenfalls verstehen mußten. Er liebte es, seine Aussprüche hören zu lassen. – »Der gnädige Herr ist in den rechten Händen; ich sage Ihnen, Doktor Flecker ist ein Mann, von dem die Stadt leider noch nicht weiß, was sie an ihm hat. Davon wirst du auch zu erzählen wissen?« wandte er sich an einen der Kutscher, der an der Thür erschien und nun grinsend an seinen Hut langte, als er angeredet wurde. »Du lagst komisch in der Brühe, und er hat dich doch so bald wieder herausgerissen.«

»Ja, man hört viel Gutes von ihm,« meinte der Bereiter; »wenn ich in den Fall käme, so würde ich auch nach ihm schicken.«

»Und was das Schönste an der Sache ist,« fuhr der Portier fort, wobei er den vergeblichen Versuch machte, seine Hände auf dem Rücken auf bequeme Art zu vereinigen, »er wendet fast nur Hausmittel an. Und über ein Hausmittel geht nichts. Nicht wahr, Kleiner?« rief er einem der Vorreiter zu, der eben einen Sattel von einem der Pferde herunter genommen hatte; »dich haben wir kurirt mit sechs Flaschen Magnesiawasser und vier Tagen Hungern. – Das that ich selbst,« sagte er und kniff dabei sein linkes Auge gegen den Bereiter zu. »Hausmittel, habe ich zu Doktor Flecker zuweilen im Vertrauen gesagt, ein Hausmittel ist das Einzige, was allenfalls dem gnädigen Herrn noch helfen könnte. Und sehen Sie, er wendet jetzt Hausmittel an.«

Da Meister Jonathan unbestritten das Factotum des Hauses und als wohlwollender Mann bekannt war, so versammelte sich gern die ganze Dienerschaft um ihn, einestheils um seinen weisen Worten zu lauschen, dann aber auch wieder, weil man wußte, daß er zahlreiche Zuhörer liebte, wenn er sprach. Und so dauerte es auch jetzt nicht lange, als ein Kutscher und ein Reitknecht nach dem andern erschien, auch die kleinen Vorreiter sich schüchtern nahten und sich endlich auch ein paar Lakaien vom Hause her zu der Gruppe hinstahlen.

Es war das ein recht bunter glänzender Haufe, all die Livreen in lebhaften Farben, die Silberstickerei vom Glanze der Sonne übergossen, die am tiefblauen, wolkenlosen Himmel stand, und in der Mitte die etwas unförmliche Gestalt des Meister Jonathan im Pelze, sich gravitätisch hin und her wendend und seine Bemerkungen Preis gebend, die von den Anderen hier und da lebhaft erwidert, meistens aber kopfnickend gutgeheißen wurden. Das Ganze hatte Aehnlichkeit mit einer Schaar Hühner: Kutscher, Reitknechte, Vorreiter und Lakaien in ihren bunten, glänzenden Livreen stellten das Geflügel dar, Meister Jonathan hatte das würdevolle Ansehen eines wohlgenährten, federreichen Haushahns.

Wir wollen hier die Schaar verlassen und uns, wie wir Eingangs dieses Kapitels versprochen, nach dem Schreibzimmer des Grafen begeben. Die Vorhänge des einzigen großen Fensters waren weit aus einander gezogen und ließen so viel Licht herein, daß der kleinste Gegenstand im entferntesten Winkel des großen Gemaches jede Verzierung aufs deutlichste zeigte. Das Fenster selbst gewährte einen freien Blick über Häuser und Gärten hinweg in die weite schneebedeckte Landschaft hinaus, nach den fernen Bergen hin, deren jetzt entlaubte Waldungen auf dem weißen, leuchtenden Grunde wie fein hingeworfene Schatten erschienen in bläulicher und röthlicher Färbung.

Ein wohlthuendes Gefühl verursachte gegenüber dem Anblicke der Schneelandschaft der hohe Kamin mit den großen lodernden Holzblöcken, die eine behagliche Wärme ausströmten. Im Uebrigen war in dem Zimmer nichts verändert; die rothseidene Schärpe bedeckte noch immer das Portrait an der Wand und hielt unten in dem verschlungenen Knoten nach wie vor den Kranz von verwelkten Vergißmeinnicht.

Graf Helfenberg saß an seinem Schreibtische, der mit der schmalen Seite fast an das große Fenster stieß, und hatte eine große Mappe vor sich, deren Blätter er eines nach dem anderen mit vielem Interesse betrachtete. Vielleicht erinnert sich der geneigte Leser, daß der Graf gegen seinen Freund, den Baron von Breda, den Wunsch äußerte, die Pläne und Umrisse von dessen Hause, namentlich vom Wintergarten mit den daran stoßenden Gemächern, zu besitzen. Um nun diesen Wunsch des Kranken so schnell als möglich zu erfüllen, hatte ihm der Baron seine eigenen Pläne überschickt, was dem Grafen um so lieber war, da er auf verschiedenen Blättern Bemerkungen von der Hand seines Freundes eingeschrieben fand, die ihn aufs höchste entzückten. So war in dem Plane des Wintergartens nicht nur die Stelle für den Frühstücks-Tisch bezeichnet, sondern auch an demselben der Name Eugeniens bemerkt. Obgleich George von Breda als fast übertrieben ordnungsliebend und bestimmt in seinen Anordnungen bekannt war, so mußte doch der Graf lächeln, als er sah, daß der Baron seine Genauigkeit so weit getrieben hatte, sogar den Namen der neuen Hausgenossin hinzuschreiben. Und nicht nur am Frühstücks-Tische fand er denselben, auch am Kamin des kleinen Eßsalons, dann im Stalle, wo das Pferd stand, welches das junge Mädchen gewöhnlich ritt. – Ihn machte die eigentlich pedantische Genauigkeit des Freundes glücklich, und er las den Namen des geliebten Mädchens wohl hundertmal. – Wahrhaftig, da stand er auch, kaum leserlich – man hatte versucht, ihn zu verwischen – im Plane der Remise; aber der Graf mit seinem scharfen Auge erkannte ihn augenblicklich. – Der kleine Phaeton, den Eugenie so gern hat – was konnte das für ein Phaeton sein? Am Ende der, dachte der Graf, den Breda nach dem Muster des meinigen hat bauen lassen. Das wäre wunderbar und hübsch. –

Er blickte bei diesem Gedanken zum Fenster hinaus, auf den Hof hinab, wo die Hühnerschaar noch immer um den wackeren Haushahn versammelt war; doch begann sich eben die Gruppe zu lösen, da der Bereiter seine Stallleute in ihre Remisen commandirte. – Der kleine Phaeton wurde in diesem Moment hervorgezogen, um ihn dann wieder genau an seine alte Stelle zu bringen. – Und der Herr dieses kleinen Phaetons lächelte vergnügt in sich hinein, als er nun plötzlich den eleganten Wagen sah, nur für zwei Personen berechnet; er fühlte sein Herz heftiger schlagen, er nahm das für eine glückliche Vorbedeutung und preßte eine Sekunde lang selig träumend beide Hände vor das Gesicht.

Dann blätterte er weiter in den Plänen. Es überschlich ihn ein eigenthümliches Gefühls als er nun mit den Augen, in Gedanken aber wie in Wirklichkeit, den ersten Stock jenes Hauses betrat, und als er auch hier wieder den Namen Eugeniens fand, ihr Wohnzimmer, ihr Schlafzimmer. Wie war er glücklich, als er gleich darauf diese beiden Piecen in hübschen Aquarellen vollkommen ausgeführt sah, mit dem ganzen Ameublement versehen, das Wohnzimmer einfach, aber zierlich, mit einem einzigen großen Fenster, an demselben einen kleinen Schreibtisch, davor ein eleganter, Fauteuil; zum Ueberflusse bemerkte man neben demselben mit fast undeutlichen Bleistiftstrichen abermals den Namen Eugeniens. Ja, das war gewiß ihr Lieblingsplatz; dort saß sie wahrscheinlich Stunden lang, las, schrieb oder blickte in die Gegend hinaus.

Der Graf nahm das Bild dieses Zimmers, indem er es unzählige Mal betrachtete, so fest in seine Seele auf, daß er es in allen seinen Einzelheiten aufs Deutlichste vor sich sah, wenn er sich nun mit geschlossenen Augen in seinen Stuhl zurücklehnte. Doch ließ es ihn nicht lange in dieser Stellung; er beugte sich wiederholt über das Blatt und versank bei diesem Anblicke in süße Träumereien. War es ihm doch, als träte er eben in dieses Gemach mit leisem, behutsamem Schritte, man hörte ihn nicht kommen auf dem dicken Teppich, der den Boden bedeckte. Und das wollte er gerade. Dort stand der kleine Fauteuil, aber er war nicht mehr leer, wie hier auf dem Blatte, sie selbst ruhte darin, sie, deren Bild seine ganze Seele erfüllte, sie, die er überall sah. O, er kannte die Formen dieser wunderbaren Gestalt wohl, ihr ganzes liebliches und elegantes Wesen, auch wenn er das Gesicht nicht sah, das sie niederblickend mit der Hand bedeckt hielt! – – Leise, leise näherte er sich, – und wie er sich so in Gedanken näherte, durchschauerte es ihn süß und geheimnißvoll. Jetzt war er ihr ganz nahe, er beugte sich nieder, er berührte mit seinen Lippen ihr weiches, kühles, duftiges Haar, und als sie nun emporschrak, verwandelte sich ihr Erschrecken, sowie sie ihn erkannte, in laut jubelnde Freude – – Mein Hugo! – – O, meine Eugenie!

Er dachte das so lebhaft, daß die Unruhe, welche ihn dabei befiel, ihm nicht erlaubte, sitzen zu bleiben; so rasch wie möglich erhob er sich und machte einen Gang durchs Zimmer, wobei er denn auch fortfuhr, seinen Träumereien nachzuhängen; doch umdrängten sie ihn nicht mehr so gewaltig, wie einen Augenblick vorher beim Anblick des kleinen Heiligthums, wo das Mädchen schaffte und waltete, das er um so unendlicher und glühender liebte, da er diese Liebe ja vor aller Welt, namentlich vor sich selber, verbergen mußte.

Als die Gluth seiner Gedanken ihren Culminationspunkt erreicht hatte, wurden diese, wie schon bemerkt, ruhiger; er trat ans Fenster, blickte in die schneebedeckte Landschaft hinaus und suchte die ihm wohlbekannte Linie am Horizont, hinter welcher das Thal mit der Hütte des Jägers lag. Da hinaus schicke er mit Hand und Mund unzählige Grüße und dachte an den kommenden Frühling und meinte darauf mit einem unaussprechlichen Gefühl im Herzen, das ihm fast den Athem benahm, es sei am Ende doch noch nicht Alles für ihn vorbei auf dieser Welt, er dürfe wohl noch wieder hoffen.

Hoffen, ja, hoffen! Wie dieses einzige Wort der Phantasie Thür und Thor öffnet, wie es eine traurige Gegenwart verklärt und uns die Zukunft mit süßen Farben malt! Wie es unser Herz schneller schlagen macht, wie es Bilder vor unser inneres Auge führt, wunderbar wechselnd, die in ihrer Reihenfolge immer schöner werden, bis wir zuletzt nichts mehr sehen mögen, nichts mehr hören wollen, nur noch fühlen den süßen Hauch eines geliebten Wesens, das Schlagen eines liebenden Herzens, und dann langsam und selig untergehen in einem Meer von Wonne unter einem langen, langen Kusse. Ja, hoffen, hoffen!

So dachte Graf Helfenberg, und er mußte sich wiederholt gewaltsam losreißen, um nicht in Phantasieen zu versinken, die ihm ja vorderhand noch keinen haltbaren Grund boten, und wo sich seine Träume alle in schwebende Luftgestalten verwandelten, die ihn, wenn er sie erfassen wollte, höhnisch anstarrten und davon flatterten. Aber hoffen, doch noch hoffen! – Er fuhr mit der Hand über die Augen, wie um die duftigen Gebilde, die ihm zu mächtig wurden, gewaltsam zu zerreißen; dann schritt er durch das Zimmer nach dem Kamine, setzte sich dort nieder und wandte einen glimmenden Block, dessen innere Seite verkohlt war, herum, so daß unzählbare Feuerfunken umherstoben. »Hoffen, ja, hoffen!« murmelte er vor sich hin. Aber auch die sprühenden Funken dienten ihm nur dazu, das Bild des lieben Mädchens zu umgeben; sie erschienen ihm wie ein lustiges Freudenfeuer nach seinem glücklichsten Tage.

Als er darauf wieder an seinen Schreibtisch zurück trat, abermals den Plan betrachtete und leicht mit dem Finger von der Thür des Zimmers nach jenem Stuhle hinfuhr, da sagte er seufzend: Was doch dieser George in aller und jeder Beziehung für ein glücklicher Mensch ist! Das selige. Vergnügen, von dem ich soeben träumte, zu ihr ins Zimmer treten, sich ihr nähern zu dürfen, ihren Namen zu nennen, alles das, was ich mir mit so viel Seligkeit ausmalte, kann er sich häufig des Tages erlauben, – vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Kusses auf ihr süßes Haar, setzte er lächelnd hinzu. An so was denkt dieser gute George auch gar nicht; aber glücklich ist er, glücklich über alle Beschreibung. Darf er sich ihr doch nahen, wann er will, sie aufs Pferd heben, ihre Hand berühren, wenn er die Zügel ordnet, ihr gegenüber sitzen zu allen Tageszeiten, ohne Aufsehen in ihr großes, dunkles, seelenvolles Auge blicken – o, schwelgen würde ich bei dem Anblick! – Kann er doch fast stündlich ihre milde und doch so hellklingende Stimme hören! Bedeckt doch ein Dach ihn und sie! – Ja, er ist glücklich.

Dabei rang sich ein tiefer Seufzer aus der Brust des Kranken los.

Und doch nicht so glücklich, als ich mir denke, sprach er nach einer Pause zu sich selber; wo meine Hand zittern würde, wenn ich ihren Arm, ihre Finger berühren dürfte, da hat er wahrscheinlich nicht die geringste Emotion. Wohl hat er das schöne Mädchen gern – das Gegentheil wäre ja auch nicht möglich – aber es ist ein anderes Gefühl als das, welches mich durchbebt. Und auch darin zeigt sich wieder einmal das Glück des wilden George. Er darf in der Nähe dieses wunderbaren Geschöpfes sein, er darf sie sehen, ihre Unterhaltung genießen, das sind lauter Lichtseiten. – Bei ihm fehlen alle Schalten, setzte er hinzu, nachdem er einen Augenblick in tiefes Nachdenken versunken. Ja, er ist gleichgültig, kalt und deßhalb so glücklich. Wenn ich mit meiner rasenden Leidenschaft für das Mädchen an seiner Stelle wäre, wenn ich gleichgültig und förmlich mit ihr sprechen müßte, wo ich vielleicht kaum im Stande wäre, Worte der glühendsten Liebe, die mir auf den Lippen säßen, zurück zu hatten, wenn ich mit ruhigem, freundlichem Lächeln ihre Hand ergreifen sollte, wo es mich drängte, zu ihren Füßen niederzufallen, ihre Kniee zu umfassen und mit tausend wahnsinnigen Küssen jeden ihrer Finger zu bedecken, – – ah, das wäre die Hölle auf Erden! Es ist doch besser so.


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