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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Kampf und Niederlage


Um dem geneigten Leser die plötzlich eingetretene, höchst peinliche Situation pflichtschuldigst zu erklären, müssen wir in unserer Geschichte um eine Viertelstunde zurückgehen, und zwar bis zu dem Augenblicke, wo Windspiel sich auf dem Schutthaufen aufgestellt hatte in der festen Absicht, sich würdig zu zeigen des Vertrauens, das der edle Don Larioz in ihn gesetzt, möge auch kommen, was da wolle. Das Schüreisen hatte er in der rechten Hand und trug es auf der Schulter; mit der linken hielt er den Stock ungefähr so, wie ein tapferer Rittersmann auf Vorposten sein Schwert zu handhaben pflegt. Einige Zeit hindurch aber kam gar nichts, was seinen Muth auf die Probe gestellt hätte; nur zuweilen fuhr ein Windstoß durch das offene Thor des Hofes und jagte ihm dann und wann einen Regenschauer ins Gesicht, dessen Kälte eigentlich nicht dazu gemacht war, seinen Muth zu vermehren.

Die Augen hatte er fest auf die beiden Fenster der Schreibstube gerichtet, er sah, daß sich dort herabgelassene Rouleaux befanden, durch welche er, freilich sehr undeutlich, einen Lichtschimmer bemerkte. Es dauerte aber nicht lange, so erlosch derselbe, wie dem Leser bereits bekannt. Nach einiger Zeit erschien dieser Schimmer jedoch wieder, und dann war es dem Wachestehenden, als vernehme er, daß im Zimmer gesprochen werde. Alles das. gab ihm indeß keine Veranlassung, seinen Posten zu verlassen, und so scharf er auch umher spähte, er sah in dem ganzen Hofe eine Zeit lang durchaus nichts Verdächtiges. Uebrigens war es so dunkel, daß er seine Sehwerkzeuge scharf anstrengen mußte, um die Umrisse der Hintergebäude sowie die Form des Hauses vor ihm zu erkennen. Jetzt blickte er aber schärfer nach der Ecke desselben, ja, er beugte sich erwartungsvoll etwas vornüber, denn es war ihm gerade, als sehe er eine Gestalt dort herum schleichen. Richtig, er hatte sich nicht geirrt, etwas schlich an dem Hause dahin, langsam und spähend – eine menschliche Gestalt.

Wir wollen nicht verschweigen, daß dem tapferen Windspiel das Herz einigermaßen schneller schlug. Das geschah aber natürlicherweise nicht aus Angst, sondern nur weil er sich selbst sagte, daß der entscheidende Augenblick komme, wo es sich zeigen müsse, ob er des in ihn gesetzten erhebenden Vertrauens würdig sei oder nicht.

Die Gestalt schob sich so dicht an dem Hause hin, daß man sie kaum noch sah und daß sie dann erst wieder recht sichtbar wurde, als sie vor die matt erleuchteten Fenster trat. Da blieb sie stehen, da beugte sie den Kopf herab, da schien sie etwas vorzunehmen.

Nun hatte Windspiel oft von Dieben gelesen, die bei ihren Einbrüchen mit einem scharfen Diamant die Fensterscheiben zu zerschneiden pflegten, dann durch die gemachte Oeffnung den Riegel des Fensters zurückschoben und so ihren Einbruch bewerkstelligten. »Verwegene Gesellen, die so handeln,« sprach der Kellner zu sich selber, »kräftige Leute, die meistens noch mit gefährlichen Mordinstrumenten bewaffnet sind.« – Doch gleichviel; mochte auch die Gefahr, in die er sich stürzte, noch so groß sein, er beschloß, langsam vorzugehen, was er denn auch that. Seinen Stock ließ er oben auf dem Schutthaufen in den weichen Boden eingedrückt; das stark gekrümmte Feuereisen schien ihm eine bessere Waffe zu sein, und indem er es mit aller Kraft umfaßte, setzte er seinen Weg wirklich immer muthiger fort.

Die Gestalt unten war so beschäftigt, daß sie die Annäherung Windspiels durchaus nicht bemerkte, sogar als dieser nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, wo dann der Kellner seinerseits mit Erstaunen sah, daß der vermeintliche Dieb Weiberkleider trug. Glücklicher Weise erinnerte er sich aber, daß kühne Räuber bei ihren nächtlichen Angriffen sich nicht nur die Gesichter zu schwärzen pflegten, sondern sich auch oft, um gänzlich unkenntlich zu bleiben, der Weibertracht bedienten. Deßhalb beschloß er, zum Angriff zu schreiten, und that dies nach einem tiefen Athemzuge, indem er den Arm mit dem Feuereisen weit von sich abstreckte, um mit der gekrümmten Spitze des letzteren den Nacken des Räubers zu fassen und ihn auf diese Art rückwärts zu Boden zu ziehen. So geschah es denn auch, und es gelang ihm vortrefflich. Mit einem tüchtigen Rucke brachte er den einbrechenden Dieb auf den Boden nieder und warf sich dann über ihn hin, um ihn durch Festhalten der Hände von dem Gebrauch seiner Mordwerkzeuge abzuhalten.

Anfänglich schien der fürchterliche Räuber überrascht zu sein, dann aber schrie er: »Ach, Herr Jesus, helft, helft!« und zu gleicher Zeit fühlte Windspiel etwas wie scharfe Nägel in seinem Gesichte.

Leider hatte der tapfere junge Mensch nicht daran gedacht, daß Räuber bei ihren Einbrüchen selten allein zu sein pflegen, sonst wäre er vorsichtiger zu Werke gegangen und nicht unterlegen, wie wir leider der Wahrheit gemäß berichten müssen. Denn im nächsten Augenblick fühlte er seine Arme von zwei so kräftigen Fäusten erfaßt, daß er sich trotz seines Ringens nicht loszumachen im Stande war; er mußte einem entsetzlichen Räuber, wenn nicht vielleicht einem erbarmungslosen Mörder in die Hände gefallen sein. Wie mit eisernen Klammern fühlte er sich zusammengefaßt und mit wahrer Riesenkraft in die Höhe gehoben, ja, förmlich in die Höhe gehoben wie ein schwaches Kind, wodurch es dem am Boden liegenden Diebe in Weiberkleidern möglich war, aufzustehen, der nun zu seiner großen Verwunderung an zu schreien fing: »Wir haben ihn, wir haben ihn!« und der darauf, wie wir bereits wissen, so stark an die Fenster schlug, daß eine Scheibe zerbrach, wobei er fortwährend mit heiserer Stimme rief: »Kommen Sie, kommen Sie, wir haben ihn! – Kommen Sie geschwind, Herr Larioz!«

Da wir uns in unserer wahrhaften Geschichte immer der größten Gewissenhaftigkeit befleißigen und es verschmähen, durch unglaubliche Ueberraschungen auf unwürdige Art das Interesse des Lesers zu steigern, dagegen aber pflichtschuldigst erzählen müssen, wie sich eine Sache wirklich begeben, so erlauben wir uns, durch ein paar erklärende Worte zu sagen, woher fast im gleichen Augenblicke, als das eben Erzählte im Hofe geschah, mit sehr sicheren Schlägen an Thür und Fensterläden der Schreibstube des Herrn Doktor Plager geklopft wurde. Wir wollen damit beweisen, daß diese an sich etwas auffallende Thatsache durchaus nicht erfunden wurde, um unsere Geschichte pikant zu machen, sondern daß wir, wie schon oben bemerkt, nur das einfach berichten, was sich begeben und was sich, wie nun einmal der Lauf der Welt ist, stündlich wieder begeben kann.

Die Rechtsconsulentin war mit ihrer Mutter, der Madame Weibel, bei einer Kaffeegesellschaft gewesen und schritt von dort, nachdem die Dunkelheit längst eingebrochen war, ihrem Hause zu. Das ist eine Begebenheit, die durchaus nichts Außergewöhnliches hat, ebensowenig, wie das, was bei anderen Kaffeegesellschaften schon häufig genug vorgekommen, daß der abwesenden Ehemänner in allerlei Empfindungen, selten in Liebe und Güte gedacht wurde. Es ist eigen, daß sich bei solchen Zusammenkünften die Theilnehmerinnen so oft als unglückliche Opfer ihrer ehelichen Verhältnisse ansehen; es muß in der That etwas sehr Aufregendes in dem Genüsse des Kaffee's liegen, wobei dann Eine der Anderen selten mit einem soliden Tröste unter die Arme greift, sondern vielmehr durch viel Achselzucken, Augenbrauen in die Höhe ziehen und Seufzen all das Schlimme, was sie erfahren, vollkommen als richtig anerkennt. Darin liegt freilich auch eine Art von Trost, daß Keine was Besseres besitzt als die Andere, und daß sich am Schlusse die ganze Conversation zu einem Seufzerkranze verschlingt, in dem wie Dornen und Disteln die Worte eingeflochten sind: »Sie sind alle so – Keiner ist besser – nein, Keiner – es ist doch eine wahre Landplage – ich weiß nicht, warum alle Mädchen so aufs Heirathen versessen sind!«

Von einem eigenthümlichen Einflusse des Kaffee's auf die Nerven der Thiere lesen wir schon bei alten Schriftstellern, wo Schafe, Ziegen und Böcke nach dem Genusse der fremden Bohne vor Vergnügen anfingen zu springen und zu tanzen. Diese Kraft muß sich nun in der Länge der Zeit dahin modificirt haben, daß sich die Nervenerregung, nachdem man eine feste Kaffee-Gesellschaft überstanden, nur selten in vergnüglichen Sprüngen und Tänzen äußert, sich dagegen jetzt häufiger in geistigen Sprüngen zeigt, in einer gewissen Gereiztheit, einem blinden Glauben an das, was man Nachtheiliges über seinen Nebenmenschen hört, und einer fast unglaublichen, krankhaften und unglückseligen Sucht, längst vergessene Sachen wieder hervorzurufen und frisch aufzuwärmen.

Letzteres war sehr bei der Rechtsconsulentin, namentlich aber bei deren würdigen Mutter der Fall. Es brauchte sich nur in einer Kaffeegesellschaft eine theilnehmende Freundin etwas umständlich nach dem Befinden des Rechtsconsulenten zu erkundigen oder vielleicht, wenn auch noch so entfernt, des kleinen Gottschalk und jener seltsamen Geschichte zu erwähnen, durch welche er auf das Bureau gekommen, so hob Madame Weibel ihre Nase in die Höhe und lauschte so aufmerksam, daß sie auch Sachen vernahm, die gar nicht einmal gesprochen wurden. Dabei schwebte dieser respectabeln Dame und ihrer Tochter das vom Hause entfernte Bureau des Rechtsconsulenten als ein Ort vor, wo schlimme Unthaten zu geschehen pflegen, da er nicht unter ihrer beständigen Controle stand, und der nothwendiger Weise der Schauplatz verbrecherischer und höchst entsetzlicher Thaten sein müsse. Wir sind überzeugt, Madame Weibel hätte sich gar nicht gewundert, wenn man ihr eines Tages erzählt von Jammergeschrei, das man dort vernommen, sowie von schuldlosen Jungfrauen, die dorthin verlockt worden seien und dann nie mehr zum Vorschein gekommen. Sie hatte die Ansicht, das könne gar nicht anders sein, und wenn je zu Hause die Rede auf dieses Thema kam und der Rechtsconsulent sehr entschieden und allen Ernstes seine Meinung dagegen aussprach, so besaß die Madame Weibel statt aller Antwort einen so eigenen Blick und ein so ungläubiges, verächtliches Lächeln, daß ihr Schwiegersohn demselben selbst in den ruhigsten Augenblicken nur ein sehr indignirtes Achselzucken entgegenzusetzen wußte.

Durch dergleichen Aeußerungen indeß stand das Bureau auch wie ein schwarzer Punkt vor der Seele der Rechtsconsulentin, und wenn sie in außergewöhnlichen Stunden von einem Besuche nach Hause ging, namentlich in der Begleitung ihrer Mutter, so scheuten die beiden Damen einen ziemlichen Umweg nicht, um an den verschlossenen Fenstern dieser Mörderhöhle einen Augenblick zu lauschen und endlich einmal eine Bestätigung ihrer schauerlichen Ahnungen zu finden.

Mit welcher Wirkung dies auch am heutigen Abend geschah, als Beide im Begriff waren, von ihrer Kaffeegesellschaft nach Hause zurückzukehren, brauchen wir nach alle dem eigentlich nicht ausführlicher zu beschreiben. Das scharfe Auge der Madame Weibel hatte schon von Weitem einen Lichtschimmer entdeckt, worauf sie triumphirend, ihre Tochter aber mit klopfendem Herzen, näher schritt. Wie ward ihnen nun aber, als sie drinnen Stimmen hörten, von denen es ja genug war, daß sie unterscheiden konnten, es sei eine männliche und eine weibliche Stimme! Dieses Ungeheuer von einem Manne!

Wenn sich auch die Rechtsconsulentin schon längst einen vollen Beweis gewünscht hatte, so knickten ihr doch jetzt, Angesichts dieser vollendeten Untreue, beinahe die Kniee ein, und sie erschrak aufs höchste, als nun Madame Weibel, die nicht mehr an sich halten konnte, den Heuchler zu entlarven, mit fester Hand zuerst an die Thür, dann an die Fensterläden schlug; auch flüsterte die Tochter, es sei das sehr unklug gewesen, wogegen die Mutter sagte: in einer solchen Sache sei sie gegen alle Halbheit, man müsse wissen, mit wem es dieser schlechte Mann zu thun habe.

So standen die Sachen; im Hofe versicherte der Tiger mit lauter Stimme, daß man ihn habe; an die Fensterläden, die auf die Straße führten, wurde immer heftiger geklopft. Clementine, die gerade den Schlüssel in das Schloß stecken wollte, fuhr entsetzt vor diesem Klopfen zurück und stürzte im nächsten Augenblicke, zitternd vor Wuth und Aufregung, in das Zimmer hinein, wo sich Don Larioz befand. Ihr an sich schon etwas dunkler Teint erschien fast gelblich, die Augen flammten, die krampfhaft geschlossenen Lippen ließen kaum die Worte: »O, Sie Ungeheuer!« durch, und mit den Fingern machte die junge Dame dicht vor der Nase des Spaniers allerlei verdächtige, zuckende Bewegungen, so daß Larioz unwillkürlich einen Schritt zurückwich.

In diesem höchst kritischen Momente mußte etwas geschehen; der Lärm im Hofe war so toll, daß er nothwendig die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft erregen mußte. Herr Larioz, der jetzt wohl begriff, daß der Tiger ebenfalls das Haus umspäht habe, konnte nicht anders denken, als daß der Herr Gras Czrabowski um das Gebäude herum geschlichen und dort, so unglaublich dies auch schien, von dem tapferen Windspiel festgehalten worden sei. Um also dem lauten Skandal ein Ende zu machen, eilte er in das dunkle Nebenzimmer, von dort auf den Gang, der zum Hofe führte, und gebot dem Tiger, das Maul zu halten und in die Schreibstube zu kommen. In der Dunkelheit entdeckte er nichts als drei undeutliche Gestalten, von denen die eine, der polnische Graf, sich noch immer heftig sträubte. Auch polterten die Drei ziemlich lebhaft ins Zimmer herein, während der Schreiber in das Bureau seines Herrn eilte, um Clementine durch einen Blick zu befragen, was wegen der Klopfenden draußen geschehen solle.

Die Eile war jedoch vergebens, und auch eine wirkliche Frage umsonst. Das junge Mädchen hatte seine Hände vor das Gesicht gedrückt und ließ kein Wort vernehmen; um so deutlicher aber hörte der Spanier eine andere Stimme, die draußen vor dem Laden sprach: »Machen Sie augenblicklich auf, es hilft Alles nichts! Wir haben die Person hinein gehen sehen! Keine Zögerung, und wenn ich klopfen sollte, bis der Nachtwächter kommt!«

Herr Larioz kannte diese Stimme und wußte auch genau, daß die Besitzerin derselben sich nichts daraus machen würde, die halbe Stadt in Aufruhr zu bringen, um ihrer Rache genug zu thun; deßhalb nahm er seinen eigenen Schlüssel, ging an die Hausthür und öffnete.

Wie ein Schwärmer fuhr Madame Weibel durch den Hausgang in das Zimmer. Langsam, aber doch mit entschiedenem Wesen folgte ihre Tochter. Clementine saß in der Ecke des Sopha's, den Kopf noch immer in die Hände gedrückt, theils geduldig erwartend, wie sich Alles entwirren werde, theils nachdenkend, welche Ausrede in diesem Fall am besten zu gebrauchen sein möchte.

Die Schwiegermutter hatte beide Arme in die Seiten gestemmt und den Kopf in den Nacken geworfen, mit welcher Attitüde ihr eleganter Hut und Shawl nicht vollkommen harmonirte. Da saß die Verbrecherin, an welche sie ihre Worte wandle, wahrend ihre Blicke an der geöffneten Thür des Ganges hasteten, um den ungleich größeren Verbrecher, sowie er eintreten würde, niederzuschmettern.

»Da ist also das saubere Weibsbild,« schrie sie, »das sich erfrecht, nächtlicher Weile in Häuser einzudringen, das sich nicht schämt, mit Menschen zu verkehren, deren Aeußeres eher vor der Sünde zurückschrecken sollte als dazu anzureizen! – Doch dieser Person kann man es nicht so übel nehmen.« – Man hörte, wie sich der Schreiber, nachdem er die Thür wieder verschlossen, langsam näherte. – »Sie thut, was sie nun einmal nicht lassen kann; macht sie doch keine Ansprüche vor der Welt und will nicht mehr scheinen, als sie wirklich ist – ein gemeines Weibsbild! – Aber er – er, – den unsere Familie – die Familie Weibel –«

»Mama!« kreischte Clementine in diesem Augenblicke auf und schnellte vom Sopha in die Höhe, wobei sie sich selbst ihren schönen Hut fast rückwärts vom Kopfe riß. »Mama, um des Himmels willen! ich bin's ja, und es ist wahrhaftig nicht so schlimm, wie du glaubst.«

Wenn in diesem Augenblicke eine Stimme vom Himmel erschollen wäre, die gerufen hätte: »Laßt mir meinen Plager in Frieden, es ist das eine edle Seele!« so hätte Madame Weibel nicht in größeres Entsetzen gerathen, nicht fürchterlicher enttäuscht und überrascht werden können als jetzt, da sie die Stimme ihrer eigenen Tochter vernahm. Doch mochte sie vielleicht diese Erscheinung für eine Zauberei halten, von dem Lösen Geiste, der unfehlbar dem Rechtsconsulenten dienstbar sein wußte, hervorgebracht; oder war es die Begierde, nicht früh genug den Schuldigen unter die Zunge kriegen zu können, – genug, sie wehrte Clementine mit der Hand von sich ab und blickte mit einem Ausdruck wahrer teuflischer Freude nach der Thür, die auf den Hausgang führte, wo nun – der lange Schreiber erschien.

»Und wo – wo – wo ist der Andere? Der Andere, ja der Andere?« rief Madame Weibel, wobei sie zwischen jedem Worte auf eine wahrhaft beängstigende Art nach Luft schnappte.

Dieses auffallende nach Luft schnappen beunruhigte Clementine so sehr, daß sie ihre Mutter bei der Schulter ergriff Und dann sogleich begann, dieselbe so kräftig als möglich hin und her zu schütteln. Dabei schrie sie ihr weinend und wiederholt in die Ohren:

»Welcher Andere denn, Mama? Was willst du denn von einem Anderen? O Gott, es ist ja aber gar kein Anderer da!«

»Kein Anderer da?« antwortete Madame Weibel endlich mit matter Stimme und stierte dabei auf eine bedenkliche Art um sich. »Kein Anderer? Wo ist denn mein Schwiegersohn, Doktor Plager?«

Bei der Nennung dieses Namens schaute Larioz hinter sich in den Hausgang, denn nach dem stieren Auge der alten Dame zu urtheilen, welches sich suchend bei ihm vorbei in die Dunkelheit bohrte, glaubte er nicht anders, als der Rechtsconsulent sei dort auch auf eine unbegreifliche Art erschienen. Dem war aber nicht so, und als das endlich die Neuangekommenen inne wurden und fühlten, daß das am meisten herbei gewünschte Opfer ihrer Rache vorderhand nicht zu haben sei, da sank die Schwiegermutter in die uns bekannte Sopha-Ecke, schlug die Hände zusammen und rief aus: »Das hat mich über alle Maßen angegriffen!«

Am ruhigsten benahm sich die Rechtsconsulentin; ja, wir müssen als Freunde von jedem häuslichen Frieden mit Freuden gestehen, daß sich im Gegensätze zu ihrer Mutter ihre finsteren Mienen aufklärten, als sie den nicht fand, welchen diese Mutter hier zu finden gehofft hatte. Wir können es nicht verschweigen, daß sie unter einem tiefen Athemzuge: »Gott sei Dank!« sagte, aber so leise, daß es Niemand verstehen konnte, und sich darauf mit großer Verwunderung und einem fragenden Blick an ihre Schwester Clementine wandte, wobei sie die Hände zusammenschlug.

Der lange Schreiber beschloß, nach Verlauf der Umstände zu handeln, und begab sich deßhalb mit leisen Schritten an die Thür des dunkeln Nebenzimmers, wo sich, seiner Meinung, nach, der polnische Graf Czrabowski befand, fest gepackt von Tiger und Windspiel. Da lehnte er sich an den Thürpfosten und harrte in majestätischer Ruhe der Dinge, die da kommen sollten.

Ein paar Sekunden lang herrschte jetzt tiefe Stille in beiden Schreibstuben, aber es war jene schwüle Stille, jene unheimliche Ruhe, die wir häufig vor Ausbruch eines großen Gewitters bemerken. Es dauerte auch nicht lange, so fing es an unter den zusammengezogenen Augenbrauen der Madame Weibel zu blitzen, und ihre Stimme klang wie ein ferner Donner, als sie sich gegen ihre Tochter Clementine wandte und sprach: »Aber sage mir, was soll die ganze Geschichte bedeuten? Kommt man denn in dem Hause nie zu seinem bischen Frieden? Gott im Himmel! hätte ich doch Alles eher erwartet, als dich hier zu finden!«

»Ach, Mama,« weinte das junge unschuldige Mädchen, das seinen Schlachtplan entworfen hatte, »weiß ich doch eigentlich selbst kaum, wie ich hieher gekommen bin; daß ihr nun aber erschienen seid, o, das macht mich ganz glücklich, und ich bin froh, nun endlich mit euch Beiden wieder von hier weggehen zu können.«

»Weggehen zu können?« fragte Madame Weibel und richtete mit einer gewissen Majestät ihre grauen Augen auf Herrn Larioz, der an der Thür stand und diesen Blick mit einem sehr gemüthlichen Lächeln aushielt. »Weggehen zu können?« wiederholte sie; »ich hoffe doch nicht, daß Jemand den Versuch gemacht hat, dich mit Gewalt zurückzuhalten! – Sprich, mein Kind, wie kamst du hieher?«

Ehe aber dieses Kind sprechen konnte, hob die Mama ihren Zeigefinger in die Höhe und sagte, indem sie sich an die Rechtsconsulentin wandte: »Wir sind im Bureau deines Herrn Gemahls, Emilie; dort steht sein würdiger Helfershelfer, der Herr Sekretär Don Larioz; die Brut des Jägers wird auch nicht fern sein, eben so wenig wie die alte Vettel, die alle möglichen Commissionen besorgt. Ich sage dir, das ist eine tief angelegte Geschichte, und ich bin fest überzeugt, Man hat Clementine zu irgend einem Zwecke durch allerlei Mittel hieher gelockt.«

»Vielleicht, um sie zu compromittiren,« meinte die Rechtsconsulentin. »Es ist wahr, Plager kann Clementine nie in Ruhe lassen und hat immer etwas an ihrem Betragen auszusetzen.«

»Um sie zu compromittiren,« sprach mit großer Entschiedenheit Madame Weibel. Dann sagte sie zu ihrer jüngeren Tochter: »Nun, wie ist die Geschichte, mein Kind? – Erzähle uns alles genau und ohne Scheu.«

»Ach, Mama,« erwiderte seufzend das junge Mädchen, »das hat mich so angegriffen, daß ich den Zusammenhang nicht recht werde finden können. Doch so war es –« Darauf hustete sie ein paar Mal sehr laut, gerade als wollte sie zum Grafen Czrabowski im Nebenzimmer sagen: Gib Achtung, damit unsere Aussagen nöthigenfalls übereinstimmen. Dann fuhr sie fort: »Ich war bei euch, Mama, und ging fort, um nach Hause zurückzukehren, – weißt du, es war schon dunkel – und wie ich auf die breite Straße komme, bemerke ich, daß mir Jemand folgt.«

»So! es folgte dir Jemand?« meinte die Mutter.

»Ja, Mama, es folgte mir Jemand.«

»Vielleicht Herr Schilder?« fragte die Rechtsconsulentin ungezwungen.

»Herr Schilder?« that erstaunt das junge Mädchen. »Ach Gott, ja, das dachte ich im ersten Augenblicke auch; kurz, es folgte mir Jemand, weßhalb ich mich sehr ängstigte. Ich hatte schon vor, wieder nach eurem Hause zurückzukehren, doch da wäre ich ja gerade meinem Verfolger in die Hände gelaufen. Deßhalb ging ich rasch vorwärts, und als ich in die Nähe des Bureau's kam, war ich recht froh, daß ich Licht durch den Fensterladen schimmern sah.«

»Erlauben Sie!« konnte sich hier der Schreiber nicht enthalten, ihr in die Rede zu fallen.

Doch warf ihm Madame Weibel einen so entschlossenen Blick zu, und seine eigenen Worte: »Erlauben Sie!« welche sie ihm zur Antwort gab, wurden so determinirt ausgesprochen, daß der Spanier beschloß, fürs Erste noch den Verlauf der Erzählung abzuwarten.

»Ja, es schimmerte Licht durch den Laden,« fuhr das junge Mädchen einigermaßen zögernd fort; doch da sie nicht mehr zurück konnte, schritt sie muthig auf dem Pfade der Lüge dahin. »Da ich nun dachte, der Schwager sei noch auf seinem Bureau, so klopfte ich heftig an den Laden, worauf derselbe sogleich geöffnet wurde; als ich aber eintrat, sah ich, daß meines Herrn Schwagers Schreiber – der edle Herr Larioz allein in der Schreibstube war.«

Abermals erhob Madame Weibel ihren Zeigefinger und sprach zu ihrer älteren Tochter: »Du wirst nicht vergessen, Emilie, daß der Schreiber deines Mannes, obgleich er sich krank gestellt, hier im Bureau war, allein und zu ganz ungewöhnlicher Stunde. – Reden Sie nicht mit uns,« wandte sie sich an den Spanier, der sich, auf Clementinens Worte, von neuem aufrichtete und die Lippen zu einer Antwort öffnete; »Sie haben sich bei Ihrem Prinzipal zu verantworten; wir wollen nichts von Ihnen wissen, nicht das Geringste. Verstehen Sie mich?«

Obgleich die Schwiegermutter versucht hatte, den Angeredeten mit Blick und Wort niederzuschmettern, so gelang ihr das doch in diesem Falle nur sehr unvollkommen; Herr Larioz trat vielmehr einen Schritt näher und sagte, indem er sich an die alte Dame wandte: »Nachdem Fräulein Weibel die Sache nach ihrer Auffassung dargestellt, werde ich mich durch kein Geschrei abhalten lassen, die Geschichte zu erzählen, wie sie wahr ist.«

»Also wollen Sie sich unterstehen,« rief die Schwiegermutter in überlautem Tone, »meine Tochter einer Lüge zu beschuldigen? Sie – Subjekt!«

»Höre ihn nicht an, Mama!« kreischte das junge Mädchen; »höre den Menschen nicht an!« wiederholte sie, indem sie sich, aufgeregt durch Angst und Zorn, mit einer drohenden Bewegung gegen den langen Mann warf. »Das ist eine tief angelegte Geschichte, wie du vorhin sagtest, ein schändliches Complot. Denke nur, der da hat das ganze Haus, uns alle mit Spionen umgeben, um unsere Schritte zu verraten, um etwas Schlimmes über uns aussagen zu können. Und was er nun sieht und nicht sieht, das rapportirt er treulich seinem Herrn.«

»Solch ein Intrigenspiel,« sagte Madame Weibel mit Würde, indem sie sich an die Rechtsconsulentin wandte, »sieht deinem Manne ähnlich.«

»Ach, Mama, ja!« gab Clementine jetzt statt ihrer älteren Schwester sanft weinend zur Antwort. »Intriguen, nichts als Intriguen! Man will nun einmal mit Gewalt etwas auf mich bringen, und da sind ihnen alle Mittel recht. Wie ich euch gesagt, so ist es die Wahrheit; gewiß so und nicht anders; darauf könnte ich schwören.«

»So würden Sie also schwören, mein Fräulein,« sagte Don Larioz mit einer großen Ruhe, welche für jeden Unbefangenen hätte vortheilhaft abstechen müssen gegen die Aufregung der Anderen; »so wollen Sie also schwören, daß Sie nicht schon hier im Zimmer waren, als ich herein trat, daß ich Sie nicht überraschte im Zwiegespräch mit einem – Manne?«

»Mit einem Manne?« schrie das junge unschuldige Mädchen, und man sah an der Art, wie sie krampfhaft ihre Hände emporwarf, daß schon dieser Gedanke allein im Stande war, sie außer sich zu bringen. »Ich mit einem Manne? – Haben wir nicht Recht, Emilie,« wandte sie sich schluchzend an ihre ältere Schwester, »daß dies ein niederträchtiges Complot ist?«

Madame Weibel hatte sich mit großer Indignation erhoben und schlug mit der Faust so heftig auf das Schreibpult, daß Dintenfaß, Lineal und Siegellack erschreckt in die Höhe hüpften.

»Schweigen Sie!« rief sie Larioz entgegen; »mein Schwiegersohn soll morgen mit Ihnen reden, und ich hoffe, zum allerletzten Male; er wird wissen, wie er sich gegen einen Schreiber zu benehmen hat, der bei Nacht und Nebel die Bureaux aufschließt, um Gott weiß zu welchem Zwecke in den Akten umherzustöbern. Und Sie wollen nun die größten Infamieen, die ausgesuchtesten Schändlichkeiten auf dieses unschuldige Mädchen aussagen, um Ihre eigenen sträflichen Handlungen zu verbergen? – Pfui Teufel! wir hatten Sie für sehr schlecht gehalten, aber doch nicht für so niederträchtig.«

Herr Larioz hatte bisher noch immer unbeweglich seinen Platz in der Mitte des Zimmers behauptet und nur bei den letzten schmachvollen Worten seine Hand auf den langen Stoßdegen gelegt. Er fühlte, daß seine Finger zu zucken begannen, auch färbte sich sein bleiches Gesicht mit einer dunkeln Röthe; all das Ungeheure, was man ihm ins Gesicht gesagt, mußte in dem sonst so ruhigen Manne einen furchtbaren Sturm hervorbringen; doch gelang es ihm, sich zu bezwingen; ja, er war in den ersten Sekunden wieder so weit Herr seiner selbst, daß er, wenn auch mit zuckenden Lippen, lächeln, dann eine Verbeugung machen konnte und, freilich mit bebender Stimme sagte: »So bin ich denn gezwungen, Zeugen für mich reden zu lassen, und wir wollen sehen, ob Fräulein Weibel es wagt, auch vor diesen ihre Aussagen von vorhin zu. wiederholen.«

Wohl erschrak das»junge Mädchen, doch faßte sie sich im nächsten Augenblicke wieder und sprach: »Siehst du wohl, Mama, er hat Zeugen, das sind seine Spione.«

»Und wir wollen sie nicht sehen, diese Spione!« schrie Madame Weibel im höchsten Zorne. »Emilie, du bist die Hausfrau, du hast hier zu befehlen; jage das Gesindel zur Thür hinaus.«

Doch es war zu spät. Auf einen Wink des langen Schreibers hatten sich die Drei aus dem Nebenzimmer genähert, und ohne rückwärts zu blicken, sagte Don Larioz gegen Clementine: »So soll denn das Fräulein Angesichts dieses Herrn wiederholen, daß ich sie nicht in einem sehr zärtlichen Zwiegespräch mit demselben hier im Zimmer überrascht. – Sie haben mich zu diesem Verfahren gezwungen,« setzte er hinzu, »messen Sie sich die Folgen selber bei.«

So standen die Sachen, als die Drei an der Thür erschienen, worauf Clementine einen furchtbaren Schrei ausstieß und, den Anfang einer Ohnmacht affektirend, in die Arme, ihrer Mutter stürzte, gleich darauf aber wieder emporschnellte und, fast jubelnd hinaus schrie: »O Mama, rette mich, hilf deinem Kinde! mit diesem Menschen da soll ich ein Rendezvous gehabt haben!«

Danach schloß sie sehr eilig die Augen und fiel mit steifen Gliedern, wie eine hölzerne Puppe, in die geöffneten Arme ihrer Mutter.

Der Schrei, den Clementine ausgestoßen, war in der That so außerordentlich gewesen, daß sich Don Larioz veranlaßt sah, nach der Gruppe, die jetzt im Scheine des Lichtes war, umzuschauen, worauf er nahe daran war, ebenfalls einen Schrei der Ueberraschung auszustoßen. War doch da keine Spur von dem polnischen Grafen Czrabowski zu erblicken; zwei alte Weiber drängten sich vor; die eine war der Tiger, die andere die früher erwähnte handfeste Wäscherin aus der Nachbarschaft, und zwischen ihnen befand sich Windspiel in allerdings sehr trübseliger Gestalt, seine carrirten Beinkleider sowie sein Radmäntelchen, an dem ein abgerissener Fetzen tief herabhing, trugen Spuren der verschiedenen Erdarten, die sich draußen im Hofe befanden; den Hut hatte er verloren, sein straffes Haar, das, wie wir uns erinnern werden, immer in die Höhe stand, sah jetzt wirklich aus, als habe es sich bei dieser entsetzlichen Scene vor Schrecken emporgerichtet, und sein bleiches Gesicht war mit ein paar blutigen Schrammen geziert.

»Gerechter Gott!« rief Madame Weibel, »in welche Gesellschaft sind wir gerathen? Emilie, das ist der Anhang deines Mannes; fühlst du jetzt, arme Seele, warum mau dir in der ganzen Stadt mit so wenig Achtung begegnet? – O nein, es kann nicht anders sein! – Wenn du dir das bieten läßest, wer soll dich da noch achten?«

Jetzt erwachte Clementine aus ihrer scheinbaren Ohnmacht, und da sie nach derselben die Abgespannte und Ermattete spielen mußte, so wandte sie sich mit flüsternder Stimme an ihre Schwester und sagte zu ihr: »Ich kann nicht mehr, das hat mich vernichtet; auch würde mich jedes Wort reuen, das ich noch mit jenem Menschen sprechen müßte. Frage du ihn,« setzte sie weinend hinzu, »ob er es vor Gott verantworten kann, mich zu beschuldigen, ich habe mit jenem Subjekte –« dabei zuckte ihr Körper wie schaudernd zusammen – »als habe ich mit jenem Subjekte, das ich in meinem Leben nicht gesehen – o, ich kann nicht endigen! –«

Sie schloß mit einem herzbrechenden Seufzer die Augen und fiel aufs neue zurück.

Nun fühlte sich Herr Larioz in der That etwas unbehaglich bei der unerwarteten Wendung, welche die Dinge genommen; er wußte, daß er es mit drei Damen zu thun hatte, von denen selbst bei den vollgültigsten Beweisen keine von der andern etwas Schlimmes geglaubt hätte. Wenn er ihnen wirklich mit gleichem Maße hätte heimzahlen und, eine Lüge mit der andern vergeltend, behaupten wollen, Windspiel sei jener Mann gewesen, so sah doch der arme Kellner in diesem Augenblicke gar zu trübselig aus, als daß diese Beschuldigung den geringsten Glauben hätte verdienen können. Auch hatte der Spanier nie gelogen und würde es am allerwenigsten hier gethan haben. So bitter schwer es ihm also auch wurde, hier die Wahrheit zu gestehen, so konnte er doch nicht anders, obgleich er die Folgen wohl voraussah, und er sagte deßhalb achselzuckend: »Ich muß gestehen, ich habe mich geirrt, dies ist allerdings nicht der Mann, den ich hier im Zimmer getroffen.«

Trotz ihrer wiederholten Ohnmacht hörte Clementine ganz genau, was Larioz sagte, und antwortete mit matter Stimme und sehr kluger Weise: »O, gieb nur Achtung, Mama, nun wird er behaupten, es sei ein Anderer gewesen, den ich hier gesehen. O, ich unglückliches Mädchen!«

»Das wird er nicht behaupten,« sprach Madame Weibel mit einer erschrecklichen Entschiedenheit, indem sie, die Nase hoch erhoben, mit dem Ausdruck eines Racheengels auf die Gruppe an der Thür zutrat. »Glaubt nicht, meine Kinder, daß ich mich vor diesem Dinge da,« sie meinte den Stoßdegen, »oder vor der langen Gestalt jenes Menschen fürchte. – In der That eine saubere Gesellschaft!« fuhr sie fort, nachdem sie die beiden Weiber und das klägliche Windspiel gemustert. »Sie kenne ich wohl,« wandle sie sich an den Tiger, »aber Sie soll in diesem Hause Ihr letztes Brod gegessen haben; dann kann Sie Ihre liederlichen Commissionen künftig ausrichten, wo man Ihrer Dienste bedarf, Sie Vettel Sie! Was die Andere anbelangt, so kenne ich dies schmierige Weibsbild nicht, sie wird aber auch zum Anhange deines Mannes gehören.«

Die beiden Weiber hatten den armen Kellner losgelassen, und während die handfeste Wäscherin vor den harten Worten, die sie vernahm, zurückfuhr, und darauf mit ihren Fäusten zu zucken begann, faßte der Tiger die Waffe des tapferen Lauerpostens, das Schüreisen, welches sie Windspiel abgenommen, etwas fester in die Hand, wobei die alte Frau aber kläglich zu weinen anfing.

»Was Ihn betrifft,« fuhr die Schwiegermutter in gesteigerter Wuth fort, indem sie wie zu Anfang dieser Scene abermals die beiden Fäuste aus ihren Hüften ruhen ließ, »so halte ich es für überflüssig, Ihm alles das zu wiederholen, was ich schon einmal gesagt. Glaube Er aber nicht, erbärmlicher Mensch, daß eine Frau meines Gewichtes und meiner Stellung im Leben ungestraft Dinge anhört, wie Er sich erlaubt zu sagen. Was mein Schwiegersohn morgen mit Ihm beginnt, ist mir so weit gleichgültig, als es wir einerlei sein kann, ob er Ihn einfach zum Teufel jagt oder den Gerichten übergibt. Was mich aber anbelangt, so vergesse Er den heutigen Abend nicht und nehme Er das – und theile es mit dem Lump da und den beiden liederlichen Weibsbildern.«

Es thut uns außerordentlich weh, erzählen zu müssen, worin das Geschenk bestand, welches die Schwiegermutter dem Herrn Larioz verehrte als Erinnerung an den heutigen Abend. Ehe dieser nämlich zurücktreten oder abwehrend den Arm aufheben konnte, hatte die alte Dame in überraschender Geschwindigkeit ihre rechte Hand erhoben, und auf der Wange des langen Schreibers brannte eine Maulschelle, ähnlich jener aus der Fabel, von der es heißt, daß sie in Ewigkeit nicht versaust sei.

Don Larioz stand entsetzt bei diesem furchtbaren Attentate; er erhob, aufs Aeußerste getrieben, den Arm, doch wandte sich Madame Weibel, welche diese Bewegung gesehen, mit einer bewundernswürdigen Schnelligkeit und fuhr zurück, ehe die Hand ihres Todfeindes sie erreichen konnte. Aber ihrem Schicksal entging sie deshalb doch nicht. Die handfeste Wäscherin, welche das liederliche Weibsbild nicht verschmerzen konnte, streckte ihren langen Arm vor, erfaßte von hinten den Hut der Madame Weibel, und da diese unaufhaltsam davon stürzte, jene sich aber mit ihren Fingern in Band, Seide und Blumen festkrallte, so rißen die schwachen Bänder der mißhandelten Kopfbedeckung, und der Hut selbst blieb als Siegestrophäe in den Händen der Wäscherin zurück; freilich nur einen Augenblick, denn im nächsten flog er ins Zimmer hinein, leider aber ungeschickterweise gegen das Licht auf dem Schreibpult, das dadurch umgeworfen wurde und im Niederfallen erlosch.

Der Spanier hatte den Griff der Wäscherin nicht hindern können, so gern er das auch gethan hätte, wie wir zu seiner Ehre eingestehen müssen. In diesem entscheidenden Augenblicke aber, wo die Finsterniß zu allerlei dunklen Thaten veranlassen konnte, hielt er gewaltsam seine Hülfstruppen zusammen und vernahm dabei zu seiner größten Befriedigung, daß sich eilige Schritte in den Gang verloren, daß draußen die Hausthür geöffnet wurde und wenige Augenblicke darauf wieder schallend ins Schloß zurückfiel.

Nach dem, was geschehen, vor den Anwesenden ein Licht anzuzünden, war ihm nicht möglich; er bat dieselben deßhalb, das Lokal so geräuschlos als möglich zu verlassen, und war dabei edelmüthig genug, den, zusammengebrochenen Kellner mit einigen hochherzigen Worten wieder aufzurichten. Der aufs höchste alterirte Tiger schluchzte in Einem fort, und das Schüreisen klapperte in seiner Hand; die handfeste Waschfrau dagegen versicherte, ihr zittere noch immer vor Wuth Leib und Seele; so etwas habe sie, so alt sie sei, noch nicht erlebt und von Leuten, welche ihre Nasen so hoch trügen, auch nimmer geglaubt.

Trotz dieser Emotion verließen aber die Drei mit möglichster Stille die Schreibstube, und die Weiber halfen sogar den Hut des armen Windspiel suchen, der unter eine Dachtraufe gerollt war und von Regenwasser überlief.

Larioz aber sammelte sich einen Augenblick, dann zündete er abermals das Licht an, betrachtete mit einem traurigen Gefühl den Schauplatz entsetzlicher Thaten, die heute Abend hier geschehen, hob den zerknitterten Hut der Madame Weibel auf, der noch am Boden lag, legte ihn schweigend neben sich auf das Schreibepult, nahm Papier und Dinte und fing emsig an zu schreiben, wobei er von Zeit zu Zeit seine brennende Wange befühlte.


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