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Vierunddreißigstes Kapitel.
Ein Abenteuer


Dem Laufe der Stunden nach folgte auch an diesem Tage die eine der andern, der Nachmittag verging, und gemäß dem kurzen Wintertage sank die Sonne schon bald an dem klaren Himmel hinab gegen die fernen Berge zu, mit dem scharfen Lichte ihrer letzten Strahlen noch einmal die Erde küssend, ehe die kalte Nacht ihren winterlichen Schleier darüber breitete.

Windspiel hatte seine Geschäfte besorgt, das Gemach bestens hergerichtet, wo sich in späterer Stunde die Künstler zu versammeln pflegten, und wollte gerade, wie ihm in der Dämmerstunde erlaubt war, für einige Augenblicke in seine bescheidene Dachstube hinaufsteigen, als er, durch den Hausgang gehend, die lange Gestalt seines Freundes und Gönners Don Larioz erblickte, der eben zur Thür herein kam.

Man kann sich denken, mit welcher Freude der Kellner demselben entgegen eilte und ihn nöthigen wollte, in eines der Gastzimmer zu treten, wo sich nur hier und da an irgend einem Tische ein Gast befand und deßhalb Platz genug zu finden gewesen wäre.

Der Spanier aber blieb, dankend für das Anerbieten, im Gange stehen und wollte nicht einmal in das Gemach eintreten, das ihn damals so gastlich ausgenommen und wo sich die Verbrüderung zum Dolche Rubens zu versammeln pflegte.

»Wäre es Ihnen wohl erlaubt,« sagte er nach den ersten freundschaftlichen Begrüßungen, »mich für eine kurze Zeit in Ihr eigenes Zimmer zu führen, so würde ich das mit großem Dank annehmen.«

Obgleich sich der Kellner durch diese Bitte geschmeichelt fühlte, so hielt er doch seine Wohnung für gar zu bescheiden und ärmlich, um sie einem so hochgeehrten Gaste anzubieten, und machte in dieser Richtung seine Einwendungen.

Doch war Larioz der Mann nicht, der die Wohnung eines Freundes gering geachtet hätte, weil sie nicht im ersten oder zweiten Stocke lag, weil ihre Wände schief unter das Dach hinliefen, und weil die Möbel in derselben von einer fast rührenden Ursprünglichkeit waren. Auch lächelte er so eigenthümlich, als er darauf bestand, in die Dachkammer des Kellners hinaufzusteigen, daß dieser wohl einsah, der Spanier habe seine besonderen Gründe; und diese Gründe lagen ja auch so nahe, daß es nicht des guten Taktes Windspiels in solchen Dingen bedurft hätte, um sie augenblicklich zu erkennen und darauf, dem Wunsche seines Gönners gemäß, diesen sogleich unter das Dach zu begleiten.

Es ging auf einer ebenso dunkeln Treppe aufwärts, wie die im Breiberg'schen Hause war. Doch wurde hier die Phantasie nicht aufgeregt von seltsamen Geräthen und geheimnißvollem Gerümpelwerk, von Helmen mit wehenden Straußenfedern oder sogar von rothen Tricots; hier hatte Alles ein einfaches, offenes und ehrliches Ansehen. Die alten Treppenstufen knarrten freundlich und zufrieden, obgleich sie sehr ausgetreten waren; der Strick, der Einen in die Höhe leitete, war kühl und glatt, und alles vielleicht Außergewöhnliche, auf welches das Auge traf, wenn man die Höhe der Treppe erreicht hatte, bestand in einem halben Dutzend harmloser, strammer Mehlsäcke.

Die Kammer des kleinen Kellners war durch Bretterverschläge dem Dachboden abgerungen, jedoch mit verschiedenen Stücken alter Tapeten bekleidet, die nur leider an vielen Stellen gerissen waren, wo die Trockenheit der Luft nämlich die Bretter nach und nach zusammengezogen. Doch hatte Windspiel hier nachgeholfen, indem er Streifen Druckpapier über die Fugen geklebt, was sehr praktisch war und auch recht artig aussah.

Leider befand sich das Lager des Bewohners noch in etwas unordentlichem Zustande, da das Schenkmädchen keine Zeit gehabt hatte, danach zu sehen; auch lagen hier und da Kleider umher, die aber der Kellner alsbald beseitigte und darauf seinem Gaste den einzigen Stuhl der Kammer anbot. Für den uns schon bekannten poetischen Sinn des Bewohners sprachen ein paar Gedichtsammlungen, die auf einer Kiste lagen, sowie eine Guitarre mit himmelblauem Bande, welche über derselben an einem Nagel hing.

Don Larioz dankte freundlich für das Anerbieten des Stuhles und bat um Erlaubniß, aus dem Fenster sehen zu dürfen, eine Bitte, die Windspiel verstand und welche ihn so rührte, daß er beinahe nicht im Stande gewesen wäre, den rostigen Riegel zurückzuziehen.

Doch gelang dies den vereinten Anstrengungen Beider, worauf sich die wackeligen Flügel aus einander thaten und der edle Spanier hinaus schaute, indem er mit den Schultern an beide Seiten der etwas schmalen Oeffnung anstieß.

Windspiel, dessen Gegenwart zu Beschreibung des Terrains höchst nöthig war, bohrte seinen dünnen Kopf zwischen den Ellbogen des langen Schreibers hindurch und machte denselben alsdann auf die höchst interessante Umgebung aufmerksam.

Beim ersten flüchtigen Blicke gewahrte man freilich nichts als Dächer und wieder Dächer, Schornsteine und abermals Schornsteine, hier und da eine Windfahne oder einen Blitzableiter, dessen goldene Spitze im letzten Strahle des Tagesscheins wie glühend erschien. Auch stieg schon der Duft des winterlichen Abends in die Höhe und füllte die tief liegenden Straßen. Für jeden Andern wäre auch eigentlich nicht viel Interessantes hier zu sehen gewesen; für Larioz dagegen das Haus, welches sie verbarg, das Fenster, hinter welchem sie schmachtete, – genug, um ihn einen ganzen Tag, in stille, selige Träumereien versunken, an diese Stelle zu fesseln. Ja, es war das Haus der Gebrüder Breiberg, welches er dort so dicht vor sich sah, daß er mit ausgestreckten Armen die für ihn so lieben Mauern fast hätte erreichen können. Sehr leicht wäre es ihm gewesen, eine Hand zu drücken und zu schütteln, die gegenüber ebenfalls in dieser Absicht herausgestreckt worden wäre. Aber da war von einer Hand keine Spur, da sah man nichts als die grauen Mauern des Hauses, oben Dachfenster mit zerbrochenen Scheiben, ein Stockwerk tiefer verschlossene Fensterläden, zur Wohnung der verruchten Brüder gehörig, die sich und ihr scheues Wesen hier vor den Blicken der Nachbarschaft abzusperren bemüht waren.

Noch ein Stockwerk tiefer, da war der Ort, wohin sich seine liebende Seele senkte. Dort sah er die beiden Fenster, und wenn er sich das große Zimmer vergegenwärtigte, so konnte er sich ungefähr vorstellen, wo die spanische Wand aufgestellt war, und dann befand sich links von derselben das Lager, wo sie geruht.

Ja, es waren die Fenster des Ateliers, das bekräftigte auch Windspiel schaudernd, dieselben Fenster, die Letzterer vor kurzer Zeit bei der Samstags-Nachmittagwäsche gesehen, wo er das unglückliche Mädchen erblickt in härenem Gewande, wo er jene unwürdigen Worte gehört, die Clemens Breiberg ausgesprochen: »Die hast du heute wieder einmal tüchtig ausgeklopft!«

Die Fenster des Ateliers waren, wie gewöhnlich der Fall, innen mit einem Carton halb verstellt, und die Oeffnung, die oben blieb, war zu klein, um hinein zu blicken, selbst wenn sich der Spanier nicht so hoch über denselben, sondern mehr gegenüber befunden hätte. Unter den eben genannten Fenstern befand sich noch ein weiteres Stockwerk, dessen Läden aber fest verschlossen waren, und dann ging es auf einen feuchten Winkel hinab, den die Mauern beider Häuser bildeten, der vorn an der Straße mit einer hölzernen Thür verschlossen und an welchem hinten der Verschlag angebracht war, wo der Schreiber jenen denkwürdigen Abend zugebracht und wo er den Spruch des großen maurischen Weisen Carabanzeros vernommen.

An das alles dachte Larioz, während er hinab blickte, und sein ohnedies empfängliches Gemüth wurde noch weicher, noch poetischer gestimmt; seine Phantasie befand sich in lebhafter Aufregung, und es war ihm, als könne er durch die Mauern des vor ihm liegenden Hauses in das Atelier blicken und sehe das schöne, unglückliche Mädchen, entkleidet von ihrem reichen spanischen Gewande, o, so sehr entkleidet von demselben! – und als erblickte er Clemens Breiberg vor ihr stehend, nicht mit Schlägen drohend, wohl aber mit seiner Liebe.

Als er das dachte, biß er die Zähne fest auf einander und sein Schnurrbart sträubte sich ordentlich empor wie der eines erzürnten Katers. – Ach, verruchte Seele! dachte er, deßhalb jene Mißhandlungen! – Aber glaube nicht, daß du dein verbrecherisches Vorhaben ausführen wirst! Vertrau' ich doch auf ihre Tugend und die Stärke meines Armes – bei San Jago!

Der lange Spanier hatte sich bei diesem Gedanken stark aus dem Dachladen hinaus gebeugt, und seine Blicke bohrten sich ordentlich in die Fenster des Ateliers.

Da war es ihm mit einem Male, als bewege sich der Carton an dem Fenster, welches an der spanischen Wand lag. Hastig zeigte Larioz darauf hin, und Windspiel bestätigte kopfnickend, was der Andere gesehen. Ja, der Carton wurde langsam weggerückt, und dann sah man eine Hand, – Gott! eine kleine, weiße Hand, die sich am Riegel des Fensters zu schaffen machte, denselben zurückzog und dann die Flügel ein ganz klein wenig öffnete.

»Sie gibt ein Zeichen,« flüsterte Windspiel.

Larioz lächelte zweifelhaft, wie man wohl mißtrauisch zu lächeln pflegt, wenn uns unverhofft etwas Glückliches begegnet, von dem wir unmöglich glauben können, daß es uns wirklich, zu Theil wird. Er that einen tiefen Athemzug und sagte:

»Wenigstens ist das, was wir da unten sehen, keine Täuschung. Das Fenster ist in der That geöffnet worden, und es war mir wirklich, als hätte ich eine weiße Hand blinken sehen.«

»Und ich ein glänzendes Augenpaar,« meinte der Kellner. »Gewiß, ich habe mich nicht geirrt.«

»Stille, stille! – horch!«

Und Beide waren mit einem Male stille; denn von da unten herauf klang unverkennbar das sanfte Vorspiel einer Laute, weiche, melancholische Töne, welche das Herz umstricken und das Auge in den Himmel blicken lassen.

So that auch der Spanier, der entzückt an dem Dachfenster lehnte und aufwärts schaute zum dunkler werdenden Abendhimmel, wo nach und nach tausend leuchtende Funken sichtbar wurden. Und nicht genug an dem Saitenspiele, jetzt vernahm man eine weibliche Stimme, welche leicht und anmuthig sang. Ach, und was sie sang, erfüllte das Herz des langen Schreibers mit Entzücken, denn es war, allerdings in deutscher Uebersetzung, ein spanisches Lied:

»Tief im Herzen trag' ich Pein,
Muß nach außen stille sein.
Den geliebten Schmerz verhehle
Tief ich vor der Welt Gesicht;
Und es fühlt ihn nur die Seele,
Denn der Leib verdient ihn nicht.
Wie der Funke frei und licht
Sich verbirgt im Kieselstein,
Trag' ich innen tief die Pein.«

Windspiel war begeistert; er schloß zuweilen die Augen, und durch sein dünnes Gehirn zuckten Bilder von dem fernen Andalusien, von Goldorangen, von blühenden Granaten, von Serenaden und Mandolinenklängen; er war zu mitfühlend, zu aufgeregt, um wie Larioz dabei ruhiger Zuhörer zu bleiben. Gern hätte er seine Guitarre genommen und mit eingestimmt in das spanische Lied; aber unter den vier Accorden, die er kannte, waren jene leider nicht, die drunten gespielt wurden. Still und wonneschauernd nahm er den Stiefelknecht zur Hand, hielt ihn wie eine Laute an den Busen und griff in gutem, festem Takte auf dem unempfindlichen Holze umher.

»Wohl aus hartem Felsgestein
Sind geschaffen unsre Herzen,
Meins, das aushält so viel Schmerzen,
Deins, das kalt bei meiner Pein.«

erklang die Stimme, worauf sich das Saitenspiel in ein leises Geflüster verlor, dann aufhörte und somit anzeigte, daß die Sängerin im gegenwärtigen Augenblicke mehr nicht wagen dürfe.

Wir müssen gestehen, daß sich Larioz wunderbar bewegt fühlte; noch nie in seinem Leben glaubte er eine weichere und lieblichere Stimme gehört zu haben. Und dieses herrliche Geschöpf mußte schmachten und sich winden unter den Mißhandlungen der Gebrüder Breiberg! Was hielt ihn ab, sich eine Waffe zu suchen, ein langes Brett hinüber zu schieben nach dem gegenüber liegenden Dachladen, von dort hinab in das Atelier zu stürmen und das arme Mädchen zu befreien, zu erretten? – Was hielt ihn ab? Ach! nur der Gedanke an die kalte prosaische Zeit, in der er leider, leider lebte, eine Zeit, die kein Verständniß mehr hatte für echte mannhafte Ritterlichkeit, eine Zeit, die ein tapferes Herz, welches Kraft in sich fühlte, für die Geliebte Alles zu wagen, in ähnlichen Fällen kalt und grausam bedroht haben würde mit einem Institut, das Larioz wohl kannte, mit der Polizei nämlich, die von Liebe und Begeisterung nichts versteht und die Ergüsse warmer, gefühlvoller Herzen nicht zu würdigen weiß. O, über diese Zeit, in welcher er geboren!

Diese finsteren Träumereien des langen Schreibers wurden unterbrochen durch Windspiel, welcher seinen Nachbar sanft am Aermel zog und dabei leise, aber hastig sagte: »Schauen Sie hinab!«

Und als Don Larioz in der That hinabschaute, erblickte er, so deutlich es die Dämmerung erlaubte, die feine weiße, blinkende Hand wieder, die sich jetzt zwischen der Spalte der Fensterflügel hindurch stahl und ein Papier fallen ließ, welches um etwas Schweres gewickelt sein mußte: denn es stürzte mit großer Schnelligkeit in den schmalen Raum zwischen den beiden Häusern hinab.

»Sie gab mir ein Zeichen!« sagte der Spanier entzückt.

Und Windspiel wiederholte schwärmerisch: »Ja, sie gab ein Zeichen; dort unten liegt es.«

Darauf beugten sich Beide so weit hinab, als ihnen möglich war, um der Stelle gewiß zu sein, wohin das Papier gefallen. Denn dasselbe in seinen Besitz zu bekommen, war jetzt der einzige und eifrigste Gedanke, der die Brust des Spaniers erfüllte.

Wenn aber die Beiden nicht gar so eifrig hinabgeschaut hätten, so würden sie vielleicht bemerkt haben, wie sich ihnen gegenüber in der Wohnung der Gebrüder Breiberg ein Fensterladen öffnete und das Gesicht des Herrn Clemens mit hämischem Lächeln zum Vorschein kam. Doch nur einen Augenblick; denn ehe Don Larioz und der Kellner wieder in die Höhe sahen, war der drüben verschwunden und hatte auch den Laden wieder geräuschlos zugezogen.

»Daß dieses Papier da unten für mich ein Zeichen sein soll, unterliegt wohl gar keiner Frage,« sagte der Spanier nach einer Pause, »und daß es in meinen Besitz gelangen muß, versteht sich von selbst, und wenn mir auch rechts und links alle Gefahren der Erde den Eingang verwehrten, wenn das da unten selbst ein Löwengarten wäre.«

»Das ist nun wohl nicht der Fall,« meinte der Kellner, nachdem er ein paar Minuten nachgedacht. »Und doch hat es einige Schwierigkeiten, in den Raum da hinab zu kommen; denn den Schlüssel zur Thür nach der Straße hat mein Herr selber und gibt ihn nicht aus den Händen, seitdem neulich Diebe versucht haben, von dort her in den Verschlag einzubrechen, den Sie da unten sehen und der ins Haus führt.«

»Aber es wird doch noch ein Mittel geben, dorthin zu kommen?« entgegnete der Spanier in sehr entschiedenem Tone; »denn Sie werden von mir nicht denken, daß ich vor irgend etwas zurückschrecke, wenn ich ein Billet von ihr in meine Hände bekommen kann, in welchem sie mir wahrscheinlich ihren kläglichen Zustand anzeigt und dringend um meine Hülfe nachsucht.«

Windspiel, der das vollkommen einsah, und der trotz des neulich so unglücklich abgelaufenen Abenteuers doch gleich bereit gewesen wäre, in Gesellschaft des Spaniers ein neues zu unternehmen, kratzte sich nachsinnend mit der einen Hand am Kopfe, während er in der anderen den Stiefelknecht wie ein kurzes Schwert hielt.

»Wollten wir auch den Schlüssel verlangen,« sagte er, »so gäbe das ein Hin- und Hergerede, ein Fragen, das Sie doch wohl nicht geneigt wären, der Wahrheit gemäß zu beantworten.«

»Gewiß nicht,« antwortete Larioz mit großer Bestimmtheit; »denn es würde nur jenes unglückliche Mädchen compromittiren.«

Windspiel dachte abermals nach und meinte alsdann: »So gibt es nur eine einzige Art, um dort hinab zu gelangen; aber es ist etwas mühsam, und ich weiß nicht, ob Sie sich dazu verstehen werden.«

»O gewiß,« entgegnete Don Larioz träumerisch. »Ist doch der Pfad zu jeglichem Glücke rauh und uneben, und es würde mir wahrhaftig weniger Vergnügen machen, wenn ich mich dem schönen, angebeteten Mädchen so ohne alle Schwierigkeiten und Mühen nähern dürfte. Lassen Sie hören.«

»Auf der unteren Treppe,« sprach Windspiel, »ist ein ziemlich großes Fenster, und daneben befindet sich eine Leiter, die hinab reicht bis auf den Boden. Es wird mir gelingen, hoffe ich, die Leiter ohne Geräusch hinunter zu bringen; Sie steigen hinab, holen das Papier, und die Sache ist abgemacht.«

»Herzlichen Dank für Ihre Freundschaft!« versetzte Larioz bewegt, indem er dem Kellner seine Rechte bot, die dieser mit beiden Händen faßte, schüttelte und sich dann eilig fort begab, um die Leiter hinab zu lassen.

Mittlerweile war es so dunkel geworden, daß namentlich der Raum zwischen den beiden Häusern, der von nirgend her mehr Licht empfing, tief schwarz da unten lag.

Larioz schaute hinab, und es erschien ihm die Tiefe unheimlich, still und finster wie ein Grab; aber er fühlte seine Brust gehoben bei dem Gedanken, für sie dort hinab steigen zu dürfen, dort ein Zeichen von ihr zu erhalten, dort vielleicht ein Mittel für ihre Rettung zu finden.

Daß der Kellner für ihn beschäftigt war, konnte er bei der Finsterniß unmöglich sehen; aber er hörte es, da er mit scharfem Ohr hinablauschte; ja, das Fenster drunten war leise geöffnet worden, und jetzt rutschte wahrscheinlich die Leiter hinab, denn er vernahm ein Geräusch.

Der Schreiber hatte sich nicht geirrt; denn gleich darauf erschien Windspiel wieder und meldete, daß die Leiter an ihrem Platze sei und sonst auch wohl keine Gefahr der Ueberraschung drohe, da der Hausherr sich im vorderen Zimmer beim Kartenspiel befinde und die Frau mit viel Spektakel in der Küche umher rumore.

»Wenn Sie hinab gestiegen sind,« sagte der Kellner, »so drücke ich das Fenster hinter Ihnen zu und bleibe in der Nähe, bis Sie mir durch ein Wort anzeigen, daß ich wieder aufmachen soll. Das Fenster offen stehen lassen darf ich nicht; denn ein Zugwind könnte uns verrathen.«

Nachdem dies besprochen war, gingen Beide mit einander hinab, erreichten den unteren Stock, ohne daß ihnen Jemand von den Hausleuten begegnet wäre, und Don Larioz stieg darauf vermittelst der Leiter in den finsteren und feuchten Raum zwischen den Häusern nieder. Da er sich den Platz, wo das Papier lag, genau gemerkt hatte, so fand er dasselbe nach kurzem Umhertappen, bemerkte aber, daß es auf dem schlüpfrigen Boden auf unangenehme Art durchnäßt worden war. Glücklicherweise war es um einen ziemlich großen Stein herum gewickelt, und so konnte er hoffen, daß die innere Seite trocken geblieben sei; denn es wäre ein außerordentliches Unglück gewesen, nach vieler Mühe den ersten Brief der Geliebten zu erhalten und ihn nicht lesen zu können, weil die Schriftzüge verwischt worden. Wie dieselben aber in der Dunkelheit zu erkennen wären, daran dachte der lange Schreiber einen Augenblick, bis ihm ein Feuerzeug einfiel, das er sich auf dem Wege hieher gekauft. Er wickelte das Papier behutsam von dem Steine ab, entfaltete es, und als er hierauf eines der Streichhölzchen entzündet, bemerkte er zu seinem unaussprechlichen Vergnügen, daß die Stelle, wo die Schriftzüge waren, trocken sei und diese selbst unverletzt. Er las – ach! es waren nur wenige Worte, aber da er sie mit seiner regen Phantasie illustrirte, so erschienen sie ihm wie der erste Theil eines angenehmen Romans. Auf dem Papier stand geschrieben: »Ich habe Sie erkannt, warten Sie!«

Ja, sie mußte mich erkennen, sprach der Spanier hoch erfreut zu sich selber; sie konnte den Blick des Mitgefühls, ja, ich möchte fast sagen: der Liebe, mit dem ich sie damals betrachtet, nicht vergessen haben. Aber, daß sie mich erkannt, macht mich dennoch zum Glücklichsten der Menschen. Ruhig, mein Herz, wir sollen warten, du und ich, und das wollen wir Beide redlich thun.

Es ist bei den meisten Liebenden der Brauch, die ersten Zeilen, die man von der Geliebten erhält, an die zitternden Lippen zu drücken. Auch der Schreiber versuchte dies, aber es blieb bei dem Versuche, denn das gewiß noch vor kurzer Zeit süß duftende Papier war an einen gar zu unangenehmen Ort gefallen.

Vor Allem aber mußte Windspiel in Kenntniß gesetzt werden, daß Don Larioz, dem Befehl seiner Dame gemäß, hier eine kurze Zeit zu warten habe. Deßhalb trat er an die Leiter zurück und wollte eben ein leises Wort hinauf rufen, als er beinahe erschrocken zurückfuhr, denn er sah an dem Fenster, durch welches er herabgestiegen, mit einem Male hellen Lichterglanz und vernahm eine polternde, grobe Stimme, welche sprach: »Was ist denn das schon wieder? Wo ist die Leiter hingekommen, die immer hier in der Ecke steht?«

»Die Leiter?« hörte er die Stimme Windspiels sagen; »ja so, die Leiter, die habe ich selbst gebraucht, um sie da hinaus zu stellen.«

»Und wozu?« fragte die grobe Stimme.

»Es ist mir eine Serviette hinaus gefallen, und die muß ich doch wieder holen,« versetzte der Kellner.

»Aber die Leiter mußtest du auch stehen lassen!« hörte man den Andern poltern. »Weißt du nicht, daß sich immer allerhand Gesindel herum treibt und daß so eine Leiter famos einladet, in ein Haus zu steigen? – Zieh sie augenblicklich herein?«

Don Larioz hatte sich bei den ersten Worten, die er vernommen, fest an die Mauer gedrückt und sah nun, wie die Leiter langsam hinauf gezogen wurde. Aber wir müssen gestehen, daß sich sein edles Herz darüber freute; ersah er doch aus diesem Umstande, daß ihn Windspiel nicht verrathen, daß es also noch treue Gemüther in dieser Welt gebe, auf welche man rechnen könne. Was kümmerte es ihn auch, ob die Leiter im Augenblicke da war oder nicht? Hatte sie ihm nicht geschrieben, er möge warten? Hieß das nicht, sie habe ihm später noch etwas Dringendes mitzutheilen, vielleicht ihn um Hülfe, um Rettung zu bitten, und wäre es nicht feige von ihm gewesen, jetzt diesen Ort zu verlassen, wo sie vielleicht oben in Angst und Kümmerniß lauschte, bis sich die Tritte ihrer Peiniger entfernt haben würden und sie Muße gewänne, um einige genauere Mittheilungen zu machen?

Er schlug die Arme über einander, und nachdem er seine Augen nach einiger Zeit an die Dunkelheit, die hier unten herrschte, gewöhnt, war es ihm möglich, die Fenster in dem vor ihm liegenden Hause zu erkennen, was ihm nicht nur Unterhaltung, sondern auch einigen Trost gewährte. Und er brauchte Unterhaltung und Trost; denn wenn er auch mit warmem Herzen, mit glühenden Gefühlen wartete, so dauerte dieses Warten doch lange, sehr lange, und die winterliche Nachtluft umgab ihn so eisig, daß das Feuer, welches in ihm loderte, schon sehr bedeutend sein mußte, wie es denn auch in der That war, um nicht allmälig zu erlöschen.

Die Uhr des benachbarten Kirchthurmes hob sehr häufig knarrend aus und schlug Viertel-, halbe und ganze Stunden. Vielleicht wäre ihm die Zeit des Wartens trotz all seiner Liebe doch etwas zu lang vorgekommen, wenn er nicht von Zeit zu Zeit geglaubt hätte, dieselbe nehme jetzt ihr Ende; denn es war unverkennbar, daß sich hinter dem Fenster des Ateliers der Gebrüder Breiberg, wo ihre Hand erschienen war, zuweilen ein Lichtschimmer zeigte, der aber jedesmal schnell wieder erlosch und worauf doch nichts erfolgte.

Den Platz an der Mauer hatte Don Larioz einige Mal verlassen, um in dem engen Raume fröstelnd auf und ab zu gehen; namentlich froren ihm seine Füße ganz erbärmlich, weßhalb er sehr glücklich war, nicht weit von der Eingangsthür einen kleinen Haufen zertretenen Strohs zu finden, den er an seinen alten Platz hintrug und sich darauf stellte, gerade der Stelle gegenüber

        Wo das Fenster klang,
Wo die Liebliche sich zeigte,
        Wo das theure Bild
Sich ins Thal herunter neigte,
        Ruhig, engelmild.

Ja, während er so hinauf schaute, dachte er an den edlen Ritter Toggenburg, jenen treuen Helden, der sein Leben damit verbracht, ihr Fenster anzuschauen, bis er eines Morgens als Leiche erwachte und sich gewiß außerordentlich darüber freute, daß diese sehr betrübte und höchst langweilige Komödie ein Ende genommen. Und den edlen Spanier trieb der Gedanke an den gewiß nicht edleren Toggenburg zu neuem, geduldigem Warten an, denn er dachte: Was sind einige Stunden gegen ein ganzes Menschenleben!

Was die Leiter anbetraf, so war sie bis jetzt freilich nicht wieder herabgesenkt worden; doch hatte Don Larioz einige Mal geglaubt, er vernehme, wie das Fenster fast geräuschlos geöffnet würde, sowie die Stimme Windspiels, der leise flüsterte: Bst! Bst! Da er aber nicht genau wußte, ob es in der That der Kellner sei, der ihm dieses Zeichen gab, so hielt er sich nicht nur ruhig an seiner Mauer, sondern stand auch bei seinem Umhergehen augenblicklich still, sobald er etwas hörte, wie das oben erwähnte Geräusch; denn dieses Bst! Bst! konnte ja auch von der polternden Stimme ausgehen; er hätte sich alsdann durch eine Antwort verrathen und wäre wahrscheinlich gezwungen worden, den Platz zu verlassen, ehe er dem Befehle der Geliebten gemäß genugsam gewartet hätte.

Da blitzte es in dem Atelier der Gebrüder Breiberg abermals hinter den die Fenster verhüllenden Cartons auf, und es war gerade, als wenn dort ein Streichhölzchen entzündet würde. Und wenn der Spanier das auch schon einige Male am heutigen Abend bemerkt, und wenn er sich auch jedesmal getäuscht sah, so schlug doch jetzt wieder sein Herz gewaltsam in der tapferen Brust; auch sah man den Lichtschein diesmal länger, als es bisher der Fall gewesen war. Dabei kam es dem Wartenden vor, als ziehe der Schatten eines menschlichen Körpers an dem Carton vorüber – ach, vielleicht ihr Schatten! –

Jetzt verschwand das Licht wieder, und ein betrübter Seufzer abermaliger getäuschter Erwartung war im Begriffe, seiner Brust zu entringen – als mit einem Male

Das Fenster klang.

Und wenn sich auch die Liebliche nicht zeigte, so sah er doch jetzt zum dritten Male die feine, weiße Hand hin- und herwinken, als wolle sie ihn aufmerksam machen; dann bemerkte er, daß sie etwas von sich warf, und hörte gleich darauf, wie ein Stein zu seinen Füßen auf das Stroh niederfiel. Daß er sich beinahe zitternd vor Erwartung danach bückte, versteht sich von selbst; daß er auch das Papier – denn ein solches war es, abermals um einen Stein gewickelt – an seine Lippen brachte, können wir der Wahrheit gemäß bezeugen; denn es schreckte ihn diesmal kein unangenehmer Duft davon zurück. – O, wie ist das so beseligend, was in der süßen Nähe der Geliebten war! Es scheint für uns mit einem gewissen Leben erfüllt zu sein, es scheint uns zu verstehen, wenn wir die zärtlichsten Worte daran richten; vor allen Dingen aber ein Brief, der von ihrer Hand kommt. Der geneigte Leser wird wahrscheinlich schon empfunden haben, wie es rein unmöglich ist, einen derartigen Brief bei sich zu behalten, ohne ihn zu lesen; wie man in solchen Fällen den Versuch macht, die geliebten Schriftzüge zu entziffern in der allervorgerücktesten Dämmerstunde, beim Leuchten des Blitzes, beim Glimmen einer Cigarre. – Von den eben genannten drei Dingen aber konnte dem edlen Spanier keines behülflich sein, den Brief des unglücklichen Mädchens zu lesen; doch hatte er ja ein Feuerzeug in der Tasche, das er gleich zur Hand nahm, um vermittelst desselben das Papier zu betrachten, nachdem er es vorher sorgfältig von dem Steine abgewickelt, weßhalb er sich also daran machte, eines der Streichhölzchen zu entzünden.

Mochten aber wohl seine Finger steif geworden sein, was bei der herrschenden Kälte sehr begreiflich war, oder spritzte der Phosphor, oder hatte er sich in der Aufregung seines Gemüthes sonst ungeschickt benommen, – genug, statt eines Schwefelholzes loderte im nächsten Augenblicke die ganze Schachtel lichterloh auf und brannte ihn so heftig an die Finger, daß er sich veranlaßt sah, die brennende Schwefelholzbüchse, deren Deckel ihm in der ersten Ueberraschung entfallen war, auf den Boden zu werfen. Leider hatte er aber nicht bedacht, daß sich dort der Haufe lockeren Strohs befand, aus dem im nächsten Augenblicke die hellen Flammen empor schlugen.

Es war das ein schauerlicher Moment, als der lange Schreiber nun sah, wie die rothe Gluth an den Wänden des engen Raumes empor schlug und, den schmutzigen Winkel beleuchtend, ihn nun plötzlich zu verrathen drohte; auch dachte er einigermaßen beunruhigt an eine Feuersbrunst, die entstehen könnte, und blickte jetzt nach dem Fenster, von wo er herabgestiegen war, ob sich dort nicht die rettende Gestalt Windspiels zeigen würde. Das Papier hatte er, ohne es zu lesen, in die Brusttasche seines Rockes geschoben.

Aber das Fenster, nach welchem er sehnsüchtig schaute, blieb verschlossen, wogegen zu seinem nicht geringen Schrecken ein Fensterladen von der Wohnung der Gebrüder Breiberg hastig aufgestoßen wurde und er die Stimme des Herrn Clemens erkannte, der herab rief: »Nachbar! Nachbar! Euer Haus brennt!«


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