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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Das geheimnißvolle Licht


Unter diesen Gesprächen war der Nachmittag verschwunden, und der hereinbrechende Abend warf seine dunklen Schatten in das Gemach. Gottschalk hatte Erlaubniß erhalten, nach beendigten Kanzleistunden zu seinen Eltern zu gehen, und Windspiel, der einen freien Nachmittag hatte, war entzückt, daß ihm der Spanier erlaubte, noch etwas länger in seiner Gesellschaft zu 'bleiben. Mit gierigem Blicke betrachtete er die für ihn so edle Einfachheit des Zimmers, beschaute mit Ehrfurcht das Portrait über dem Kamin, und schwelgte im Anblick der Mandoline und des langen Stoßdegens. Hatte er es doch der freundlichen Einladung des Schreibers gemäß gewagt, das musikalische Instrument in die Hand zu nehmen und versucht, ein paar Accorde zu greifen. Da aber die Stimmung der spanischen Laute anders war als die der deutschen Guitarre, so brachte er nur einige verworrene Töne zu Wege, was aber Don Larioz nicht zu beachten schien, da er nachdenkend durch das Zimmer schritt und sich zuweilen ans Fenster stellte, wo er alsdann sah, wie hier und da in der Nachbarschaft die Lichter angezündet wurden.

Da wurde die Thür des Gemaches langsam geöffnet, und man vernahm die Stimme des Tigers, welche den Namen des Schreibers rief. Die alte Frau wäre wohl in das Zimmer gekommen, doch wußte sie, daß Besuch da war, und ersuchte deßhalb Don Larioz, einen Augenblick auf den Gang hinaus zu kommen.

Draußen sagte sie: »Jetzt können Sie sich selbst überzeugen, ob ich Unrecht hatte, wenn ich sagte, daß sich drunten in der Schreibstube, nachdem Alles verschlossen ist und nachdem ich genau weiß, daß Niemand mehr da sein kann, doch ein Licht befindet.«

»Und wo ist das Licht?« fragte der Schreiber.

»Mir scheint, im Zimmer des Herrn Doktors. Da sind aber innerhalb hölzerne Läden, weßhalb man dort auf der Straße nichts durchschimmern sieht; wenn man sich aber drüben in den Hof stellt, so sieht man an den Fenstern Ihrer Schreibstube, obgleich die grauen Rouleaux herabgelassen sind, doch einen unbedeutenden Schimmer, der aus dem Nebenzimmer herauskommt.«

Larioz schüttelte den Kopf und meinte: »So wird es der Herr Doktor selbst sein, der dort noch arbeitet.«

»Das ist nicht möglich,« sprach die alte Frau mit bestimmtem Tone. »Der Herr Doktor war heute Nachmittags nur einen Augenblick auf seinem Bureau, und als er nach Hause ging, sagte er mir: »Ich komme nicht wieder,« und ich mußte ihm einige Papiere, die auf seinem Tische lagen, nach der Wohnung tragen. Wissen Sie, Herr Larioz, ich beeilte mich nicht damit, denn ich wollte sehen, ob er später zu Hause sei. Als ich nun dorthin kam und meine Papiere, wie ich allemal thue, wenn ich was zu bringen habe, auf den Schreibtisch legte, da sah ich, daß der Herr Doktor nicht da waren.«

»Nun also, so wird er selbst in seinem Bureau sein.«

Die alte Frau schüttelte pfiffig lächelnd mit dem Kopf; dann sagte sie: »Nein, Herr Larioz, er ist nicht drunten, denn die Schlüssel zu der Schreibstube hingen zu Hause an seinem Schreibtische. Wiedergekommen ist er auch nicht, denn Fräulein Clementine, die bei den Kindern saß, sagte mir, der Herr käme heute Abend nicht mehr, er sei in seine Gesellschaft gegangen. Fräulein Clementine war recht freundlich, sie fragte auch nach Ihnen, ob Sie noch krank seien, und darauf antwortete ich, ja, noch recht sehr, Sie würden noch mehrere Tage das Bett hüten müssen.«

»Gut, und als Ihr zurückkamt,« fragte der Schreiber, »saht Ihr drunten Licht?«

»So deutlich, daß ich darauf schwören könnte.«

Larioz dachte eilten Augenblick nach; dann sprach er: »Ich will also selbst hinabgehen und nachsehen. Aber das sage ich Ihr: wenn Sie mir Flausen gemacht hat, und es nichts ist, als vielleicht der Wiederschein der Straßen-Laterne auf dem Fenster oder sonst so etwas, dann ist es das letzte Mal gewesen, daß ich Ihr überhaupt etwas glaube.«

»Darüber bin ich ganz ruhig,« erwiderte der Tiger; »aber,« setzte er ängstlich hinzu, »Sie werden es doch nicht ganz allein riskiren wollen, Gott weiß welchen Spitzbuben in die Hände zu fallen, wenn nicht vielleicht noch etwas weit Schlimmeres da unten ist.« Das Letztere sagte sie mit ganz leiser Stimme.

Der Schreiber gab hierauf begreiflicher Weise keine Antwort; doch sprach er nach einer Pause, mehr zu sich selbst, als zu der alten Frau redend: »Freilich habe ich den Schlüssel zu beiden Zimmern; aber wenn ich eines von ihnen öffne, so gibt das ein Geräusch, und wenn wirklich Jemand in unrechter Absicht im Zimmer ist, so hat er Zeit genug, nach der Straße oder dem Hofe zu entwischen.«

»Daran habe ich auch gedacht,« versetzte die Frau, »und wenn mir Herr Larioz erlauben wollen, meine Meinung zu sagen, so dächte ich, daß Sie den kleinen Verschlag öffneten, welcher sich hinter beiden Zimmern befindet und wo unser Brennholz liegt – Sie haben ja den Schlüssel dazu. – Da ist neben dem alten Kasten die Tapetenthür, welche ohne alles Geräusch aufgeht.«

Dieser Vorschlag des Tigers war nicht zu verwerfen, und Herr Larioz beschloß, demgemäß zu handeln. Er schickte die alte Frau mit dem Befehle hinweg, auf die Straße zu gehen und dort Thür und Fenster im Auge zu behalten; dann ging er ins Zimmer zurück, wo der kleine Kellner noch immer damit beschäftigt war, melancholische Töne aus der Mandoline hervorzulocken, welche Musik er aber augenblicklich einstellte, als der Spanier zur Thür herein kam und ein Licht anzündete. Auch schien ihm dies ein Zeichen zu sein, daß es Zeit für ihn sei, sich nach Hause zu verfügen, weßhalb er Mantel und Hut nahm und sich mit zierlichen Worten verabschieden wollte. Nicht unangenehm überrascht war er aber, als ihn der Andere ersuchte, noch einen Augenblick zu bleiben, ja, als er ihn um eine kleine Dienstleistung bat.

Herr Larioz ging hierauf hinter seinen Bretterverschlag, und als er zurückkam, hatte er ein Paar Stiefel angezogen, sowie den Mantel umgenommen und den Hut aufgesetzt.

Erstaunt sah der Kellner, daß sich der Kranke bei dem naßkalten Wetter zum Ausgehen anschickte; doch wuchs sein Erstaunen noch, als derselbe nach der Ecke ging, wo der lange Stoßdegen lehnte und diesen zu sich nahm.

»Sie haben gewünscht,« sprach der Schreiber, wobei er sanft Lächelte, »mir als Knappe oder Schildträger zu dienen, und ich will Sie schneller beim Wort nehmen, als Sie sich wohl gedacht. Es wird sich freilich um keinen Kampf handeln, auch nicht um ernstliche Gefahr, und wenn dem auch so wäre, so will ich Ihren Worten von vorhin trauen, daß Sie Muth genug haben, auch davor nicht zurückzuschrecken.«

Der kleine Kellner legte statt aller Antwort die Hand auf das Herz, und nachdem er alsdann bewundernd den langen Stoßdegen betrachtet, fragte er schüchtern, ob er sich zu dem beabsichtigten Unternehmen auch vielleicht mit einer Waffe versehen solle.

»Das ist eigentlich unnöthig,« meinte Herr Larioz; »doch da ich aus Erfahrung weiß, daß das Vertrauen zu sich selber wächst, wenn man etwas zur Vertheidigung in der Hand führt, so finde ich es nicht unangemessen, wenn auch Sie Ihren Arm bewaffnen; an einem anderen Degen oder dergleichen fehlt es nun freilich, doch nehmen Sie dort am Ofen das stark gekrümmte Schüreisen; es ist wenigstens etwas, und wenn Sie es vorkommenden Falles bei dem nächtlichen Dunkel draußen gegen einen Feind schwingen, so wird dieser glauben, Sie führten irgend eine furchtbare Waffe.«

Damit gingen beide fort, und als sie langsam die Treppen Hinabstiegen, erzählte der Schreiber seinem Begleiter von dem Lichte, das schon seit einigen Abenden drunten in der Schreibstube gesehen werde, und daß er entschlossen sei, der Ursache vorsichtig nachzuspüren.

Unten angekommen führte er den Kellner auf den öden Hof, den wir bereits kennen, und ertheilte ihm seine Instruktion, die beiden Fenster der Schreibstube im Auge zu behalten, und, wenn sich dort etwas Verdächtiges begebe, seiner Einsicht und den Umständen gemäß zu handeln.

Wir müssen eingestehen, daß Windspiel durch das Vertrauen, welches ihm der tapfere Spanier bewies, einen der glücklichsten Momente seines Lebens hatte. Obgleich der Hof sehr dunkel war, so gewöhnten sich doch seine Augen sehr bald hieran, so daß er den Schutthaufen entdeckte, auf den er sich begab, um so das Terrain herum besser im Auge zu haben, und auch weil er gehört hatte, daß man von einer Anhöhe herab mit viel mehr Gewalt über einen Feind, der sich unten befinde, herzufallen im Stande sei. O, wenn doch ein solcher Feind kommen wollte! dachte Windspiel, da er sich von einem gewaltigen Muthe beseelt fühlte, aber ein Feind, der einen ernstlichen Kampf aufnähme! Welches Glück, wenn ich mich dabei vor den Augen eines Mannes auszeichnen könnte, der von Geburt ein Spanier ist, der den schönen Namen Don Larioz führt und der mit Stoßdegen und Mandoline umgeht, als wenn das die allergewöhnlichsten Dinge wären! Erwärmt von diesen Phantasten, fühlte er nicht, daß der Regen sanft herabrieselte und daß seine Füße in den nassen Schutt und Kehricht sogleich ein paar Zoll einsanken.

Dem Befehle des Schreibers gemäß hatte sich der Tiger von der anderen Seite auf die Straße begeben, es aber dabei für klug gehalten, eine befreundete, sehr handfeste Waschfrau aus dem Hinterhause zu sich zu berufen, welche beide Weiber nun abwechselnd Thür und Fenster im Auge behielten, und dann auch wohl auf Augenblicke nach der Nebenseite des Hauses gingen, wo ein weit überhängendes Dach einigen Schutz gegen den Regen gewährte.

Während nun so die Vorposten ausgestellt waren, schritt Don Larioz, wie es auch nicht anders seinem Heldenmuthe geziemte, allein und ohne Furcht und Tadel, dem verborgenen Feinde auf den Leib. Daß er hierbei die Thür des Verschlags aufs geräuschloseste öffnete und dann auf den Fußspitzen näher schlich, geschah nur in der Absicht, um die muthmaßlichen Räuber desto sicherer zu überraschen. Dabei blieb er aber von Zeit zu Zeit stehen und lauschte. Wenn er auch anfänglich gedacht, die ganze Geschichte beruhe auf einem Irrthume der alten Frau, so hatte er doch nur wenige Schritte in dem kleinen Gange gemacht, als er ein Geflüster von Stimmen zu vernehmen glaubte.

Behutsam trat er näher, erreichte die dünne Tapetenthür, welche in die Stube des Rechtsconsulenten führte, und nachdem er einen Augenblick gelauscht, hörte er, daß er sich nicht geirrt. Ja, es wurde in dem Zimmer gesprochen, zwei Stimmen sprachen mit einander, eine männliche und eine weibliche Stimme, und die letztere erkannte er, daran war kein Zweifel. Er richtete sich aufs höchste überrascht auf, und es war ein Glück, daß er sich dabei zeitig des langen Degens erinnerte und ihn in die Höhe nahm, sonst hätte er ihn mit verrätherischem Geräusch auf den Boden niedergestoßen. Auch die männliche Stimme glaubte er schon gehört zu haben, doch konnte er sich nicht gleich erinnern, wo; sie sprach mit einem etwas fremden Accent, und gerade dieser Accent war ihm schon einmal ins Ohr geklungen. – Konnte das möglich sein? Und doch war es nicht anders. Ihm trat mit einem Male jene, unvergeßliche Soiree beim Rechtsconsulenten lebhaft vor die Seele, und als er dabei der Personen gedachte, die dort anwesend waren, da wußte er klar, daß hier kein Irrthum möglich war und daß die Stimme, welche so eben sprach, dem Grafen Czrabowski angehörte.

»O, mei–ne theure Clementine,« redete derselbe, »alle Welt sagt es, und ich fühle es bei dem Schmerz, der dieses Herz zerreißt, so oft ich Sie sehe, ohne mich Ihnen nähern zu dürfen, daß es wahr ist, ich werde Sie bald verlieren. – Kann ich dieses Gefühl denken? O, ich kann es mir nicht denken, wie es auch unmöglich ist, daß wir es uns ausmalen können, wie es einmal sein wird, wenn dieses arme Herz nicht mehr schlägt, wenn die Nacht des Todes uns umfängt – o, mei–ne theure Clementine! – Muß ich doch zwei Mal sterben, nein, hundert Mal, tausend Mal. Denn jeder Gedanke, Sie, mein himmlisches Mädchen, zu verlieren, ist tausendfacher Tod.«

Dem langen Schreiber rieselte es beim Anhören dieser Worte kalt über den Rücken herab, und gleich darauf fühlte er sich wieder außergewöhnlich warm, als er nämlich Clementine antworten hörte: »O, wie stürmisch Sie sind, bester Graf! so etwas habe ich noch nie erlebt. Nein – nein. Ich glaube, daß Sie mich lieben, ja, ich habe ja Beweise davon; aber diese Leidenschaftlichkeit erschreckt mich.«

»O, wie kann Sie meine Liebe erschrecken!« antwortete die andere Stimme. »Kennen Sie sie doch, diese meine ungeheure Liebe; hatte sie doch meine Seele ergriffen, das erste Mal, als ich so himmlisch beglückt war, Sie sehen zu dürfen. Und soll sie jetzt schwächer werden, bei dem mir drohenden Verluste, den ich gewiß nicht überleben kann?«

Darauf vernahm Herr Larioz einen tiefen Seufzer, und dann fuhr die Stimme des polnischen Grafen also fort: »Aber Sie sind kalt, mei–ne Clementine, o, kalt wie Eis! – Und grausam, o grausam! Sie fühlen nicht meine Leiden, meinen tiefen Schmerz. O könnte ich hier zu Ihren Füßen sterben!«

Ei, dachte Herr Larioz, der Phantasie genug besaß, um die Worte, die er hörte, mit der Situation drinnen in Einklang zu bringen, das muß eine interessante Position sein; es wäre doch vielleicht an der Zeit, die Thür zu öffnen. Er wollte dies schon mit einem einzigen Druck auf die Thürklinke bewerkstelligen, doch hoffte er auf eine gelegene Pause; auch schien es ihm ungalant, gerade die Rede Clementinens zu unterbrechen, welche nun sprach: »Sie nennen mich grausam, o Stanislaus? Sie nennen mich kalt, und, wenn ich Eins von Beiden wäre, – würde ich thun, was ich für Sie gethan?«

»O, Verzeihung der Raserei meiner Liebe!« sagte die andere Stimme, aber sie klang etwas dumpfer als vorher.

»Wie viel wage ich,« fuhr Clementine fort, »da ich hieher komme, um Sie zu sehen! Und daß ich gekommen – heute nicht zum ersten Mal – ist das nicht ein Beweis, wie gut ich Ihnen bin? – Daß ich es möglich machte, Sie zu sehen, – verdiene ich deßhalb, daß Sie mich grausam nennen und – – kalt – – O, wäre ich Beides – wäre ich grausam – und kalt – kalt – mein Stanislaus! – –«

Dies dünkte dem Herrn Larioz ein passender Moment, um die Thür zu öffnen, doch wußte er selbst nicht, welches Gefühl ihn abhielt, dies so plötzlich zu thun, als er sich anfänglich vorgenommen, er ließ die Hand zögernd auf den Griff des Schlosses fallen, und so brauchte er zwei Sekunden, bis die Tapetenthür dem Drucke nachgab.

Er trat in das Zimmer, nicht ohne daß er von einem durchdringenden Schrei einer weiblichen Stimme empfangen wurde; auch hörte er ein Geräusch, wie wenn ein Stuhl zur Erde fällt und Jemand hastig emporspringt. Vorderhand mußte er sich auch mit dem, was er hörte, begnügen, denn obgleich er beim Oeffnen der Thür einen Lichtstrahl gesehen hatte, so war doch dieser augenblicklich verschwunden, und tiefe Dunkelheit herrschte rings umher, die nur in der Nähe der Fenster durch die zwei herzförmigen Oeffnungen Unterbrochen wurde, die in den Läden angebracht waren.

Der lange Schreiber, der das Terrain genau kannte und oft in der Finsterniß hin und her gegangen war, machte ein Paar Schritte gegen das Nebenzimmer, sein Bureau, dessen Thür offen stand und wo es nicht ganz so stockfinster war, da Dort die abgenutzten Vorhänge und schlechten Rouleaux eine Idee vom Schimmer der Gaslaternen eindringen ließen. Er begab sich nicht ohne Absicht dorthin, um nämlich zu verhindern, daß der, dem die männliche Stimme angehörte, dort hinaus einen Fluchtversuch anstelle. Herr Larioz hatte sehr viel kaltes Blut und war auf Alles vorbereitet.

Nachdem vielleicht eine halbe Minute seit seinem Eintritt vergangen war, sagte er mit großer Ruhe: »Hier in diesen Zimmern, die meiner Obhut anvertraut sind, geht Ungebührliches vor; es ist etwas hier nicht in Richtigkeit. – Vorhin ein Schrei, sowie das Umfallen eines Stuhles zeigt mir an, daß Personen da sind, die durchaus nicht hieher gehören. Wer es aber auch sein mag, ich bin entschlossen, es mit Jedem aufzunehmen. Haltet euch ruhig; bei dem ersten Geräusch, das ich vernehme, schieße ich meine Pistolen aufs Gerathewohl ins Zimmer hinein ab, und darauf wird schon die Wache erscheinen, um mir behülflich zu sein beim Festnehmen von Räubern und Dieben.«

Ein unterdrückter Ausruf der weiblichen Stimme war die ganze Antwort, die erfolgte, worauf der Schreiber fortfuhr: »So wollen wir denn Licht machen, um die Sache gehörig zu beleuchten.«

»Halt!« rief nun die männliche Stimme, aber ohne männlichen Ton in derselben, vielmehr zitterte sie ein wenig; »das scheint mir durchaus nicht nothwendig zu sein. Wir sind weder Räuber noch Diebe, sondern Personen – die – vielleicht nicht so ganz Unrecht haben, sich hier zu befinden.«

»Von solchen Personen kenne ich nur eine einzige,« entgegnete kaltblütig Herr Larioz, indem er sein Feuerzeug, das er sorgsamerweise droben zu sich gesteckt, hervorzog; »nur eine einzige, das ist nämlich mein Prinzipal, der Rechtsconsulent Doktor Plager. Doch hat Ihre Stimme mit seiner nicht die geringste Aehnlichkeit; deßhalb –«

Damit zündete er das Streichhölzchen an, und nachdem der Spanier, ohne aufzublicken, den Schwefel hatte abbrennen lassen, schritt er auf das Bureau des Rechtskonsulenten zu, um das dort befindliche Licht, das so eben erst ausgeblasen worden war, wieder anzuzünden. Darauf lehnte er sich an den Schreibtisch, stützte die Hand auf den langen Stoßdegen und warf einen langen Blick auf die Beiden, wobei ihn ein ganz seltsames Gefühl überschlich.

Es waren in der That der edle polnische Graf Czrabowski und Clementine Weibel, die Schwägerin seines Chefs, diese Unschuld, diese fleckenlose Jungfräulichkeit. Ihm kam in der Erinnerung an das Gespräch, welches er heute Nachmittag mit seinem Chef geführt, der Gedanke: Wenn Doktor Plager jetzt plötzlich zur Thür herein schauen könnte! Es wäre für die Betheiligten sehr hart, eine gar zu schauerliche Nemesis gewesen.

Die junge Dame stand neben dem Sopha, vor ihr befand sich der umgeworfene Stuhl; sie hatte sich abgewandt und schien ihr Gesicht in beide Hände zu verbergen. Ein paar Schritte von ihr entfernt befand sich der polnische. Graf, der es vergeblich versuchte, eine gleichgültige oder sogar herausfordernde Miene anzunehmen; er schluckte einige Mal heftig, kaute an den Nägeln seiner rechten Hand und warf einen schüchternen Blick auf Clementine, die leise zu schluchzen schien.

»Also Räuber, oder Diebe sind es nicht,« sprach Don Larioz nach einer sehr langen Pause. »Doch kann ich nicht verschweigen, daß ich solche lieber hier gefunden hätte, daß ich dem Anblick, der sich mir jetzt darbietet, einen Kampf auf Tod und Leben unbedingt vorgezogen haben würde. O, Fräulein Clementine, das sind ja ganz entsetzliche Geschichten!«

Statt zu antworten oder sich umzuschauen, wehrte diese mit einer Hand von sich, als wenn sie sagen wollte: Still, nur still!

Der Graf Czrabowski, nachdem er lange genug an seinen Nägeln gekaut, fuhr durch sein spärliches Haar, drehte auch gelinde an seinem Schnurrbarte und sagte mit fast herausfordernder Stimme: »Nun ja, es ist wahr, wir sind hier, daran läßt sich nichts ändern. Was soll nun weiter geschehen? Ich hoffe nicht, daß Sie beabsichtigen, aus dieser delikaten Sache einen Skandal zu machen. Was mich anbelangt, für meine Person könnte mir das sehr gleichgültig sein; aber diese junge Dame würde furchtbar darunter leiden – Sie sind Spanier, wie ich weiß, also glaube ich überzeugt zu sein, daß Sie wissen, was hier zu thun ist.«

»O, ich weiß das ganz genau,« versetzte ernst Herr Larioz, »und hoffe auch die Gesetze der Galanterie und Ritterlichkeit nicht nur vollkommen kennen gelernt zu haben, sondern auch auszuüben.«

»Wenn das wirklich der Fall wäre,« erwiderte der Andere, der sicher glaubte, die Ehrfurcht vor den Verwandten seines Prinzipals werde den Schreiber schon veranlassen, gelinde Saiten aufzuziehen, »so sollte ich denken, daß, nachdem Sie sich überzeugt, Sie haben es nicht mit Räubern und Dieben zu thun, Sie Ihre Pflicht gethan hätten und Ihr Zartgefühl Sie veranlaßte, sich zurückzuziehen. Ich glaube nicht, daß man sich in Spanien gewaltsam in die Verhältnisse zweier jungen Leute drängt.«

Don Larioz lächelte, als er den Herrn von Czrabowski so reden hörte. Doch entgegnete er mit derselben Ruhe wie früher: »Nachdem die Verhältnisse dieser jungen Leute sind, mischt man sich allerdings hinein.«

»Und mit welchem Rechte?« fragte der Graf, der sich durch einen Seitenblick des jungen Mädchens, den der Schreiber nicht bemerkte, ermuthigt fühlte.

»Vorderhand mit dem Rechte desjenigen,« sagte der Spanier, »dem in Abwesenheit des Prinzipals diese Zimmer anvertraut sind. – Allerdings,« fuhr er nach einer Pause fort, »mischt man sich in Spanien höchst selten in die Verhältnisse zweier Liebenden, und ich würde das auch hier nicht thun, wenn diese Verhältnisse nicht so ganz eigenthümlicher Art wären. Träfe ich Sie an einem Orte, wo ich selbst das Recht habe, mich aufzuhalten, wie zum Beispiel hier, Gott weiß, durch welches Ungefähr mit einer Dame Ihres Standes, so würde ich vielleicht die Achseln zucken und Ihnen das Feld räumen. Aber im vorliegenden Falle steht die Partie anders; Sie, ein sogenannter polnischer Graf, haben sich herabgelassen, mit jenem bis jetzt für sehr anständig gehaltenen jungen Mädchen bürgerlicher Abkunft ein Verhältniß einzugehen, das, wie die Sachen jetzt stehen, einen mehr als zweideutigen Anstrich bekommt.«

»Herr –!«

»O, lassen Sie mich ausreden! – Sie sehen das ganz gut ein, die junge Dame will das nicht einsehen; aber ich, Herr Graf, empfinde die ganze Schmach, die Sie dem ehrlichen Hause meines Chefs anthun, da Sie seine Verwandte mit Ihrer Neigung beehren.«

»O, Herr Larioz!« rief Clementine, ohne dabei umzuschauen.

»Die ganze Schmach,« fuhr der Spanier unerbittlich fort. »Oder wie nennen Sie das vielleicht, wenn Sie ein junges Mädchen mit Ihrer Leidenschaft verfolgen, einer Leidenschaft, die nicht für Sie –« damit streckte er seinen langen Arm aus und berührte mit dem Zeigefinger fast die Brust des Anderen, der vor dieser Bewegung einen halben Schritt zurückwich – »wohl aber für Jene von den entehrendsten und unglücklichsten Folgen sein muß? Sie nennen sich Graf Czrabowski; ob Sie ein Edelmann sind, mag Gott wissen; ich zweifle daran.«

»Herr –!«

»Für jedes meiner Worte werde ich Ihnen später Rede stehen,« sagte Don Larioz mit einer in der That eleganten und ritterlichen Verbeugung. »Sie haben eine, wie man es nennt, gewählte Toilette, Sie führen den fremd klingenden und deßhalb für Manche interessanten Namen Czrabowski, Sie sprechen mit einem fremden Accent, und das sind leider schon sehr viele Hülfsmittel, um einem Mädchen, das keine Warnung annehmen will, den Kopf zu verrücken, einem Mädchen, das obendrein, wie Sie ganz genau wissen, einen sehr braven Verlobten hat.«

Während der Schreiber des Advokaten also sprach, versuchte der edle Graf mehrmals, ihn zu unterbrechen. Doch hob Herr Larioz jedes Mal die Hand mit einer so gebieterischen Geberde empor, daß der Andere verstummte und dann, um dieses Verstummen zu motiviren, mit den Achseln zuckte und verächtlich die Lippen aufwarf, als wollte er sagen: Laßt ihn reden; ich höre nur Worte, die für mich keinen Sinn haben.

Für Clementine schienen sie aber doch verständlich zu sein; denn sie sank langsam in die Ecke des Sopha's und drückte ihr Gesicht in die Kissen desselben.

»Wie das übrigens möglich ist, ist mir für meine Person unbegreiflich,« fuhr der Spanier fort, »kommt aber leider nur zu häufig vor. Was ist freilich ein junger braver Mann wie der Fabrikant Schilder mit seinem einfachen Gesichte, seinen gelbblonden Haaren, seinem bartlosen Kinn, gegen die Vorzüge Ihres Kopfes! gegen die äußeren Vorzüge desselben, unterstützt von gewählten Redensarten, von einer hochpoetischen Anschauungsweise des Lebens, zu der sich ein Geschäftsmann und Fabrikant ja unmöglich aufschwingen kann! Er hat nur ein einfaches bürgerliches Ja, ja! und Nein, nein! Sie dagegen geben Ihr gräfliches Ehrenwort. Er sagt vielleicht recht trocken und prosaisch zu einem jungen Mädchen: Ich bin dir gut, ich liebe dich; Sie aber sprechen wohl: Unendlich, wie der Himmel über uns, ist meine Leidenschaft zu dir; ebensowenig, wie du die Sterne zählen kannst, ebensowenig auch meine Gedanken, die getränkt von meiner heißen Liebe, dich täglich und stündlich umschweben. – Dergleichen Unsinn sprechen Sie vielleicht, und Jene denkt: Ach, wie das schön und romantisch ist! ja, das ist die wahre Liebe, die sich in so wunderbar schönen Bildern bewegt. Und was ist Ihre wahre Liebe? – daß Sie diese junge Dame zu einem Schritte verleiten, wie der gegenwärtige, bei dem sie das erfüllt, weßwegen Sie die ganze Bekanntschaft angefangen. – Dann,« setzte er hinzu, während er finster die Augenbrauen zusammenzog, »haben Sie gethan, was Sie nicht lassen konnten, und Sie gehen lachend weiter, bis Sie wieder eine ähnliche Liebschaft finden, wieder ein schwärmerisches Gemüth, das Sie unwiderstehlich und göttlich findet, weil Sie der Graf Czrabowski sind, weil Sie mit fremdem Accent sprechen, Ihr Augenglas vortrefflich zu tragen verstehen, untadelhafte Handschuhe zeigen, und weil Sie im Geruch der Abenteuerlichkeit stehen, die leider einer gewissen Classe von Mädchen so außerordentlich wohl gefällt. – So! wenn Sie jetzt meine Worte widerlegen wollen, so werde ich Ihnen ein aufmerksames Ohr leihen, und ich bin überzeugt, Fräulein Clementine ebenfalls.«

Der polnische Graf hatte seine Hand unter dem Rocke verborgen, trat mit dem Absatz des rechten Fußes wiederholt und heftig auf und sagte mit hoch erhobener Nase: »Es lohnt sich wohl der Mühe, Ihre höchst gemeinen Reden mit anständigen Worten zu erwidern! Sie bedienen sich des Rechtes, welches Ihnen der Zufall über mich gegeben, indem Sie Dinge sagen, die das Herz dieses armen Mädchens zerreißen müssen.«

»Und zerreißen werden,« setzte Don Larioz mit großer Kaltblütigkeit hinzu, »wenn Sie sich nicht die Mühe der Widerlegung geben wollen.«

»O, wie bin ich unglücklich!« rief Clementine und setzte hinzu, indem sie sich gegen den Grafen wandte: »Ja, mein Herz ist zerrissen über jene Reden; ich brauche ein Wort des Trostes, eine Widerlegung.«

»Doch nicht hier – vor diesem Menschen?« sagte zögernd Herr von Czrabowski. »Soll ich die heiligen Versicherungen, die ich Ihnen in feierlicher Stunde gab, vor diesem da wiederholen und so die süßesten und edelsten Gefühle des Herzens profaniren?«

»Nein, Sie werden meine Reden nicht widerlegen,« sprach kalt der lange Schreiber, »weil Sie fühlen, daß ich Recht habe, weil Ihnen eine Widerlegung unmöglich ist.«

»Unmöglich?« rief der Graf aus, indem er eine etwas theatralische Stellung annahm, »unmöglich? Clementine, Sie wissen, was ich Ihnen gelobt, und ich werde meine Versprechungen halten in ganz kurzer Zeit. Nur so lange haben Sie Vertrauen zu mir, wie Sie es bis jetzt gehabt, o mein göttliches, Mädchen!« – Bei diesen Worten genirte er sich durchaus nicht, sondern näherte sich zum größten Erstaunen für Larioz mit einem raschen Schritte der jungen Dame und legte seinen Arm um ihre Taille, wobei diese sehr sanft widerstrebte. »Eine Widerlegung ist unter meiner Würde; ich könnte sie leicht mit den eigenen Worten dieses Herrn geben. Habe ich wirklich Vorrechte, weil ich der Graf Czrabowski bin, weil ich einen fremdartigen Accent spreche – von den anderen etwas lächerlichen Eigenschaften gar nicht zu reden? – Im Gegentheil, gerade deßhalb mißtraut man mir; ja, man mißtraut mir mit großem Unrecht; jener Monsieur Schilder darf die Hand dieser jungen herrlichen Dame verlangen; man ist entzückt darüber, man findet das ganz in der Ordnung; aber wenn ich, der Graf Czrabowski, sage: Geliebte Clementine, willst du mein Weib sein? so wagt man es, die Achseln zu zucken, von Verrath zu sprechen. Aber man soll nicht über einen Verrath meines Herzens sprechen,« setzte er affektirt und sich augenscheinlich in eine Heftigkeit hineinredend fort; »man soll nicht die Achseln zucken über die künftige Gräfin Czrabowski.«

Das Letzte sprach er mit sehr hoch erhobener Nase und glaubte damit einen großen Eindruck auf den Anderen hervorgebracht zu haben. Doch war dieses nur bei Clementinen der Fall, und der Spanier schüttelte mit einem recht schmerzlichen Lächeln den Kopf, als er hörte, wie Jene sagte: »O mein Stanislaus! ich habe nie an Ihrer Liebe und Treue gezweifelt.«

Dabei wußte aber Larioz für den Augenblick nicht, was er machen sollte, als Clementine nach diesen Worten gänzlich unbekümmert um ihn in die Arme des polnischen Grafen sank.

Dieser aber half ihm, indem er das Mädchen sanft aufrichtete und zu ihr sprach:

»Ja, vertraue mir. Aber jetzt vor allen Dingen Fassung; man muß herzlosen Menschen kein derartiges Schauspiel geben.« Dann wandte er sich zu dem Schreiber und sagte mit erhobener Stimme: »Sie haben nun, hoffe ich, gesehen, daß hier nichts Unrechtes vorgeht, und können es mir überlassen, der jungen Dame einigen Trost zuzusprechen und sie nach Hause zu geleiten.«

Auf das hin lächelte der Spanier sarkastisch und versetzte nach einigem Besinnen: »Wenn ich auch Ihren billigen Wunsch recht gern erfüllen wollte, so wäre es mir doch ohne ausdrücklichen Befehl meines Prinzipals, des Herrn Doktor Plager, nicht möglich, Sie noch länger in diesen Zimmern zu – lassen, wo der Schein der Lichter in so ungewohnter Stunde in der Nachbarschaft Aufsehen erregen könnte, in einer Nachbarschaft, die viel böse Zungen hat, welche es vielleicht wagen könnten, herzloser Weise den Ruf der künftigen Gräfin Czrabowski anzutasten, wenn sie mit Ihnen zu gleicher Zeit das Haus verließe. Ich muß deßhalb schon dringend bitten,« setzte er mit fester Stimme hinzu, während er einen Schritt gegen das Sopha machte, »daß Sie, Herr Graf, das Haus nun recht bald allein verlassen.«

»Ja, ja,« sagte Clementine, »es ist besser so; man muß sich hier so sehr vor den Leuten in Acht nehmen; ist doch Niemand vor Verleumdungen sicher.«

»Ehe Sie aber gehen,« fuhr Herr Larioz fort, »wäre es mir sehr angenehm, wenn Sie mir Ihre Wohnung bezeichnen wollten. Ich habe« – dies sprach er außerordentlich fest und langsam – »im Anfänge meiner Rede vorhin einige Worte fallen lassen, die ich für nothwendig halte, Ihnen näher zu erklären.«

»Meine Wohnung gehört nicht zur Sache,« antwortete der Graf mit einem leichten verlegenen Seitenblick auf Clementine. »Ich werde Sie schon zu finden wissen, und bitte, mir das, was nothwendig ist, allein zu überlassen.«

Don Larioz verbeugte sich, worauf der Graf seinen Hut nahm, dem jungen Mädchen mit ausbrechender Zärtlichkeit die Hände küßte und dann dem langen Schreiber folgte, der durch die Tapetenthür in den Verschlag ging und dann behutsam die Hausthür öffnete, um Jenen hinaus zu lassen, wobei er sorgfältig umherspähte, ob sich kein Neugieriger oder Unbefugter draußen sehen lasse. Doch war hier glücklicher Weise Alles still, öde und leer; denn der Tiger und die handfeste Wäscherin befanden sich in diesem Augenblicke, an der Nebenseite unter dem Vordache.

Ehe der Graf Czrabowski das Zimmer verließ, rief er noch einmal mit tiefem Gefühl: »O, meine Clementine!« und stürmte alsdann zum Hause hinaus, ohne Don Larioz eines weiteren Blickes oder Wortes zu würdigen.

Clementine aber hatte noch einmal dem geliebten Flüchtlinge die Arme nachgestreckt, wobei sie ausrief: »O, mein Stanislaus! – wann werde ich dich wieder sehen?«

Als sie das gethan, warf sie sich auf das Sopha und fing als ein kluges Mädchen an, sogleich über ihre Lage nachzudenken. Wie sollte sie im nächsten Augenblicke den Schreiber ihres Schwagers behandeln? Sollte sie ihm stolz, vornehm entgegentreten, ihn fühlen lassen, wie höchst unschicklich es eigentlich gewesen, die künftige Gräfin Czrabowski in einem Rendezvous zu überraschen? Sollte sie mit gekränkter Miene durchblicken lassen, man wisse zu Hause eigentlich ganz genau um dieses Verhältniß, wobei sie dann aber hinzuzusetzen dachte: dem Rechtsconsulenten, als mit zu wenig Gefühl begabt, sei allein diese Sache verborgen und müsse es auch bleiben, oder der Zorn ihrer Schwester und ihrer Mutter, der Madame Weibel, würde fürchterlich auf das Haupt des unbedeutenden Schreibers niederfallen; sollte sie mit einem Worte die Trotzige und Gekränkte spielen, oder die Bittende, die sich wandte an den ihr wohlbekannten Edelmuth des Herrn Larioz?

Nach schneller Ueberlegung wählte sie das Letztere und nahm demgemäß ihre Haltung. Sie hatte sich in einer vortheilhaften Lage in die Sophaecke geworfen und hielt ihr Taschentuch vor die Augen, nahm es auch nicht weg, nachdem Herr Larioz schon in das Zimmer getreten war, versenkte sich vielmehr aufs Tiefste hinein und affektirte eine völlige Zerknirschung.

Der Spanier schritt nach dem Pulte des Rechtsconsulenten hin und sagte nach einer Pause: »Wenn es Ihnen jetzt gefällig wäre, Fräulein Clementine, so würde ich Sie zur Thür, die nach dem Hofe geht, hinausführen.«

»Ich danke Ihnen sehr,« sprach sie unter dem Sacktuche hervor.

»Es kann das keinen Verdacht erregen,« fuhr er fort; »denn ich setze den Fall, es hätte Jemand den Herrn Grafen Czrabowski das Haus verlassen sehen, so wird diese Person Sie doch nicht erblicken, da das Hofthor nach einer ganz anderen Straße führt.«

»Und wenn man auch Verdacht schöpfte,« sagte das junge Mädchen mit leisem Schluchzen, »kann es mir doch einerlei sein, ob die Welt einen Tag früher oder später erfährt, was hier vorgefallen.«

»Ich meine, die Welt braucht es eigentlich gar nicht zu erfahren,« entgegnete der Spanier.

»Aber sie wird es erfahren; o, ich bin fest davon überzeugt, es macht Ihnen, Herr Larioz, das größte Vergnügen, ein armes Mädchen, wie ich bin, um ihren guten Ruf zu bringen.«

»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen zu diesem Glauben schon Veranlassung gegeben. Es könnte Ihnen ja nur schaden, wenn ich wirklich der Welt Ihre Sache erzählte; aber schaden will ich Ihnen gewiß nicht, Sie höchstens für Andere unschädlich machen.«

»Wie verstehe ich das?« fragte ängstlich Clementine, indem sie sich halb aufrichtete, den Kopf auf der Hand ruhen ließ und mit ihren glänzenden Augen emporblickte.

»Das ist ganz einfach zu verstehen,« entgegnete Herr Larioz. »Glauben Sie mir, mein Fräulein, es fällt mir nicht ein, die Welt, wie Sie sich vorhin ausdrückten, von diesem Vorfall in Kenntniß zu setzen, nicht einmal Ihren Herrn Schwager, was am Ende meine Schuldigkeit wäre; nur halte ich es für meine dringende Pflicht, den Herrn Schilder, der ein Ehrenmann ist und sich immer freundlich und gut gegen mich benommen, vor der künftigen Gräfin Czrabowski zu warnen.«

»O, das werden Sie gerade nicht thun, Herr Larioz!« rief Clementine ängstlich. »Nein, so entsetzlich werden Sie nicht gegen mich handeln, mich so gänzlich zu Grunde richten in der Meinung des Herrn Schilder.«

Sie hatte diese Worte wohl erregt gesprochen, aber doch mit sanfter, schmeichelnder Stimme. Dabei war sie vom Sopha aufgesprungen und hatte ihre Hand auf den Arm des Schreibers gelegt, der unter dem warmen Drucke derselben erstaunt stehen blieb.

»Was kann Ihnen noch an der Meinung Ihres früheren Verlobten liegen?« sagte Larioz nach einem kleinen Stillschweigen. »Die Sache liegt ganz klar vor uns: Sie werfen das von sich, was Ihnen Herr Schilder zu bieten vermag. Sie greifen nach der glänzenden Existenz, die Ihnen der Herr Graf Czrabowski versprochen; aber dabei ist nicht mehr als billig, daß man ehrlich zu Werke geht, und deßhalb halte ich es für meine Pflicht, dem Herrn Schilder so schonend wie möglich zu sagen, wie die Sache steht.«

»O nein, Herr Larioz, Sie werden das nicht thun. Sie werden barmherzig gegen mich sein. Ich glaube, daß Stanislaus die besten Absichten hat; ja, ich bin das von seinem edlen Charakter überzeugt; aber so viel ich von ihm erfahren, muß er die Beendigung eines großen Prozesses, der sich um eine bedeutende Erbschaft handelt, erst abwarten, ehe er seiner Neigung folgen und mir seine Hand reichen kann.«

»Ah! ich verstehe,« sagte verächtlich der Schreiber, »und bis dieser Prozeß gewonnen ist – er kann ja auch verloren gehen – wird der gute Schilder nicht aus dem Netz entlassen, in das er sich muthwillig gestürzt. – Aber sagen Sie mir ums Himmels willen, Fräulein Clementine, glauben Sie denn wirklich an diese Erbschaft und an diesen Prozeß?«

»O ja, ich glaube fest daran,« entgegnete das Mädchen; doch war der Ton ihrer Stimme nicht so, wie er hätte sein sollen, wenn man einen unbedingten Glauben ausspricht. – »Aber wozu diese Fragen?« fuhr sie dringender fort. »Seien Sie edel gegen mich, Herz Larioz.« – Damit drängte sie sich näher an ihn. – »Geben Sie mir Ihr Wort, mich nicht zu verrathen.«

Der Schreiber schüttelte mit dem Kopfe und blickte mit einem eigenen Gefühl auf das Mädchen nieder, das sich von Angst aufgelöst in seine Arme werfen zu wollen schien; ja, sie ließ ihre Stirn einen Moment auf seiner Schulter ruhen, dann hob sie den Kopf hastig in die Höhe und sah ihn mit ihren dunkeln Augen so stehend an, daß der Spanier ein Herz von Stein hätte haben müssen, um ihr zu widerstehen. Er wußte nicht, warum, aber er rief sich in diesem Augenblicke das Bild jener unglücklichen jungen Dame, die einen so großen Eindruck auf ihn gemacht hatte, mit voller Kraft ins Gedächtniß zurück; es war ihm fast ängstlich zu Muth, als Clementine so gewaltsam in ihn drang, und er fühlte wohl, daß er ihren Bitten baldigst nachgeben wüste.

»Gut denn,« sprach er nach einer Pause, »ich werde Ihrem Wunsche willfahren, ich werde gegen keinen Menschen von der Scene des heutigen Abends sprechen, doch nur unter der Bedingung, daß sich der Graf Czrabowski innerhalb dreier Tage gegen Ihre Mutter erklärt und Herr Schilder auf diese Art erfährt, daß er von Ihnen nichts zu hoffen hat. Es wird Ihnen ein Leichtes sein, den Grafen dazu zu bewegen, und das zu thun, sind Sie sich selbst schuldig.«

Ob nun Clementine in der That glaubte, den Grafen dazu bewegen zu können, bei ihrer Mutter um ihre Hand anzuhalten, oder ob sie vorderhand mit der Bewilligung eines dreitägigen Stillschweigens zufrieden war, wissen wir nicht genau anzugeben – genug, sie heuchelte eine große Dankbarkeit, sie vergoß ein paar Thränen und sagte mit schimmernden Augen: »Sie haben mir Ihr Wort gegeben, und darauf baue ich fest. Dabei versichern Sie mir aber auch, durch sonst kein Mittel veranlassen zu wollen, daß vor der bestimmten Zeit etwas bekannt werde von dem, was heute Abend hier geschehen? O, Herr Larioz, wie würde ich Ihnen dankbar dafür sein!«

»Ich wüßte nicht,« versetzte der Schreiber, »auf welche Art von dem heutigen Abend etwas bekannt werden sollte, wenn Sie nicht selbst darüber sprechen.« – Daß der Tiger um das Haus herum schlich, davon hatte er keine Ahnung, daß aber der Kellner, der sich auf dem Schutthaufen postirt hatte, nichts von dem Manne gesehen haben konnte, war selbstredend, da dieser das Haus auf der anderen Seite verlassen.

Clementine athmete sichtbar erleichtert auf, dann sagte sie: »Ich hatte gefürchtet, Sie würden das Haus mit Spähern umgeben haben, mit Jenen, die Ihnen etwas davon verrathen, daß ich so unklug war, den Bitten des Grafen nachzugeben und hieher zu kommen. Denn verrathen wurde ich,« setzte sie mit einem leichten Blitz ihrer Augen hinzu. – »Doch was ist das?« rief sie erschrocken aus, indem sie sich hastig einen Schritt zurückzog und horchte.

Auch Herr Larioz fuhr erstaunt empor, denn man vernahm draußen vom Hofe her einen seltsamen Lärmen. Ein paar Weiberstimmen kreischten: »Ah, wir haben ihn! wir haben ihn!« Darauf klirrte im Nebenzimmer eine Fensterscheibe, und man vernahm das heisere Organ des Tigers, welcher schrie: »Kommen Sie geschwind, Herr Larioz, wir haben ihn!«

Die flammende Röthe auf dem Gesichte des jungen Mädchens war mit einem Male einer tiefen Blässe gewichen; die Lippen, welche sie so schmachtend geöffnet hatte, daß man ihre frischen Zähne sah, preßte sie nun fest auf einander, und aus ihren, in der That schönen Augen brach ein böser Blick hervor, der etwas von dem des Basilisken an sich hatte, oder auch von dem ihrer würdigen Mutter, wenn diese einmal durch äußere Verhältnisse gezwungen wurde, eine Widerrede gegen ihren Schwiegersohn zu verschlucken.

»Also das ist Ihr Versprechen?« sagte sie mit leiser, aber doch sehr hörbarer Stimme, wobei sich ihre Brust mühsam hob. »Während Sie wir Ihr Wort gaben, mich nicht zu verrathen, bin ich es schon, und während Sie bedauernd darüber sprechen, was die Welt sagen könnte, daß man mich Hier gefunden, treffen Sie alle Anstalten, um meinen Ruf für ewige Zeiten zu vernichten! – Pfui Teufel!«

Daß bei diesem, sehr sprudelnd hervorgebrachten Redefluß, welcher von der jungen Dame mit Pantomimen begleitet wurde, in denen Larioz eine beinahe erschreckende Familien-Aehnlichkeit erkannte, derselbe ganz erstarrt dastand, setzt in Verwunderung Clementine ansah, dann aufs höchste erstaunt nach dem Fenster horchte, wo man die Stimme des Tigers vernahm, freilich etwas undeutlich, denn das alte Weib hatte sich bereits heiser geschrieen, brauchen wir eigentlich nicht zu sagen; es war dem Schreiber durchaus nicht eingefallen, Wachen oder Späher auszustellen, und was den Kellner anbelangt, dessen er sich jetzt wieder erinnerte, so hatte dieser den bestimmten Befehl erhalten, vorderhand nur zu beobachten, und wenn man dessen dürftiges Wesen mit den nicht unansehnlichen Körperformen des Grafen Czrabowski verglich, so konnte man überzeugt sein, daß Jener beim größten Heldenmuthe es nicht wagen würde, diesen fest zu halten, welcher ja noch obendrein in ganz entgegengesetzter Richtung das Haus verlassen hatte; dazu die Weiberstimmen, die er vernahm – die des Tigers erkannte er augenblicklich – wie gesagt, er wußte nicht, was das alles zu bedeuten hatte, und dieser Ausdruck der Ueberraschung, ja, der Unschuld, war so auf seinem Gesichte ausgeprägt, daß ihn jede andere Person, als gerade dieses sehr aufgeregte junge Mädchen, für völlig ohne Theilnahme an dem Lärmen draußen gehalten hätte. Er versuchte einige entschuldigende Worte gegen Clementine, doch ließ ihn diese nicht zur Rede kommen, sondern sagte, nachdem sie ihn mit einem gewissen verächtlichen Blicke, mit welchem junge Damen sich aus manchen Verlegenheiten trefflich zu retten wissen, von oben bis unten angesehen:

»Schweigen Sie, halten Sie mich nicht für dumm und leichtgläubig; meinen Sie ja nicht, daß ich so leicht zu fangen. O, jetzt erkenne ich dieses ganze scheußliche Spiel, das mein theurer Schwager angezettelt hat« – dabei machte sie einen nicht sehr graciösen Knix – »und das dieser edle Spanier, der sich von den Mägden Don Larioz nennen läßt, mit der ganzen Großmuth seiner Nation unterstützt.« Dabei knixte sie zum zweiten Male. »Aber helfen soll euch dieses Spiel nichts, das schwöre ich euch. Und wenn Sie mir etwas Uebeles nachsagen wollen, so sehen Sie sich vor; wir wollen doch sehen, ob Sie im Stande sind, zu beweisen, daß ich oder sonst Jemand da gewesen.«

Damit riß sie ihren Hut und Shawl an sich, setzte den ersteren in der Hast etwas schief auf und stürzte nach dem Ausgange gegen die Straße, zu welchem sie die Schlüssel ihres Schwagers in der Tasche hatte, um von dort schleunigst das Feld zu räumen.

Herr Larioz hätte sie wohl zurück halten können, aber er dachte nicht im Entferntesten daran; er blickte ihr achselzuckend nach, sah, wie sie zur Stubenthür hinaus stürmte, welche sie weit aufstehen ließ, hörte, wie sie die wenigen Schritte bis an die Hausthür machte, und dachte bei sich: Es ist am Ende besser; so durch ihr Benehmen entbindet sie dich deines Wortes, und du kannst, ohne Alles zu sagen, dem braven Herrn Schilder einen Wink geben, der ihn vorsichtig macht, ohne das Mädchen gerade zu compromittiren. – Er blieb noch einen Augenblick auf der Stelle stehen, wo er sich befand, um sich zu überzeugen, daß die Hausthür wieder geschlossen würde; doch hörte man nicht einmal, daß sie geöffnet wurde, obgleich Clementine sie schon gewiß seit einer halben Minute erreicht haben mußte. – Er lauschte, – was war das? – Er irrte sich nicht, er vernahm, daß an diese Hausthür leise angeklopft wurde; – ja, da war keine Täuschung möglich – jetzt auch an den Fensterladen, als wenn Jemand Einlaß begehre, und dabei wurden die Schläge, wenn auch leise, doch so entschieden geführt, als wenn der da draußen ein Recht habe, Einlaß zu begehren.


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