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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Der Ritter und sein Knappe


Don Larioz blieb allein in dem Zimmer, nachdem er begreiflicherweise seinen Chef bis zur Thür begleitet. Auch begab er sich, als dieser verschwunden war, nicht wieder zu seinem Lehnsessel zurück, sondern schritt, in Gedanken versunken, im Gemache auf und nieder. Wenn auch diese Gedanken anfänglich bei dem verweilten, was Herr Doktor Plager mit ihm besprochen, so fand er doch im Nachsinnen darüber baldigst Abschweifungen in andere Phantasieen. Wohl bedauerte er seinen Chef, konnte ihm aber nicht in allem, was derselbe gesagt, unbedingt Recht geben. Daß mancher Ehestand mit Unannehmlichkeiten der verschiedensten Art verknüpft ist, daran war eben so wenig zu zweifeln, als daß es weibliche Wesen genug gebe, die einem Manne das Leben schon sauer machen können. Aber es konnte doch unmöglich der größte Theil so sein; es mußten sich doch auch Charaktere unter ihnen finden, die, mit Liebe, Sanftmuth, Herzlichkeit und Güte angethan, alsdann unfehlbar das Glück eines Menschen zu begründen im Stande sein würden. Den kleinen scharfen Augen der Madame Weibel war allerdings nicht viel Gutes zuzutrauen, ebenso wenig denen der Rechtsconsulentin, die, von unbestimmtem Ausdruck, in allen möglichen Farben schillerten. »Ja, auf das Auge muß man sehen,« sprach der Spanier zu sich; »in den Augen liegt das Herz.« Und als er dabei an ein paar schwarze, wirklich schöne Augen dachte, fühlte er, wie sich sein Herz sanft erwärmte und wie es heftiger schlug, als einen Moment vorher. – Diese Augen konnten nicht trügen; die Blicke in ihrer glänzenden Klarheit waren wie das durchsichtige Wasser eines tiefen, wunderbaren See's: sie ließen den Grund desselben vollkommen überblicken; man sah deutlich, daß da unten weder Klippen noch Untiefen waren. – Trau treue Trine –!

Herr Larioz machte zwei Schritte gegen einen kleinen Tisch, auf dem ein Kästchen stand; doch nur zwei Schritte, dann wandte er seinen Fuß wieder nach der entgegengesetzten Seite des Gemachs, wobei er seufzend dachte: Warum den Pfeil noch tiefer in dieses arme Herz drücken? Und dennoch blieb er nicht lange in der eben angegebenen Richtung; schon die nächste Minute brachte ihn dem Tische und dem Kästchen näher. »Warum auch nicht?« sprach er zu sich selber. »Verleihe ich ihr doch in meiner Phantasie noch tausend andere Reize, die sie in der Wirklichkeit vielleicht nicht besitzt, und die auch das Bild nicht zeigt. Betrachten wir es darum getrost; die kalte Malerei wird wie eine Abkühlung auf meine heißen Träume wirken.«

Bei diesen Worten stand er auch schon an dem Kästchen, öffnete den Deckel desselben und nahm das Bild heraus, welches er von den Gebrüdern Breiberg gekauft. – Ja, sie war schön, schöner als das schönste Weib auf Erden. Und was war dieses Bild immerhin gegen sie selbst, wie sie in seinem Gedächtnisse brannte! Es war so wenig Zeit zwischen jenem seligen Augenblicke verstrichen, als er sie zum ersten Male gesehen, und doch kam ihm dieses glänzende Auge so bekannt vor. Hatte er ein ähnliches früher in Spanien erschaut? Hier im kalten Deutschland konnten doch unmöglich Blicke zu finden sein, die der Gluth dieser ähnlich waren. Und doch, was ihm heute früh schon aufgefallen war, daran dachte er jetzt wieder und mußte sagen, daß er sich nicht getäuscht. Margarethe hatte etwas von diesem Blicke, ja, Margarethe, Gottschalks Schwester. Er bedauerte fast, vorhin das Bild nicht angeschaut zu haben, als das junge Mädchen noch im Zimmer war; er ließ die Hand mit dem Portrait sinken und sah eine Minute in die Höhe, ja, er bedeckte nachdenkend die Augen mit seiner Rechten; doch so viel er auch nachsann, er mußte sich gestehen, daß hier eine Aehnlichkeit obwalte.

Da klopfte es leise und bescheiden an die Stubenthür.

Herr Larioz, mit dem Portrait in der Hand, fuhr zusammen, als habe er etwas Unrechtes begangen, und beeilte sich auch, das Bild wieder einzuschließen, ehe er Herein! rief.

Es klopfte abermals und wieder mit gleicher Schüchternheit.

Der lange Schreiber stützte seine Hand auf den Tisch, hob den Kopf empor und nahm, aus welchem Grunde, war ihm selbst nicht recht klar, eine imposante Haltung an, ehe er sein Herein! ertönen ließ.

Die Thür öffnete sich mit großer Schüchternheit, weßhalb es eine Zeit lang dauerte, ehe der Eintretende völlig sichtbar wurde. Dies war eine kleine, schmächtige Figur mit Beinen, die um so waghalsiger erschienen, als sie mit eng anliegenden Hosen von einem auffallend carrirten Stoffe in grau und grüner Farbe bekleidet waren. Den Oberkörper bis eine Handbreit über das Knie bedeckte ein Radmäntelchen von dunklem Stoff, welches die kleine Figur auf eine leichte Art übergeworfen hatte, so daß man sah, der Besitzer dieses Radmäntelchens sehe mehr auf malerische Formen, als auf Schutz gegen die Kälte. Dazu trug er einen grauen Filzhut in der rechten Hand und hielt sein Spazierstöckchen, den Knopf im Obergewand verborgen, so, daß es wie eine Degenscheide aussah.

Schon an der Thür machte er eine tiefe Verbeugung und näherte sich erst, als der Spanier freundlich seinen Kopf neigte und ihn mit lauter Stimme ersuchte, näher zu treten. Wie er aber näher trat, geschah dies in so eigentümlich hüpfender oder schwebender Bewegung, daß sich Don Larioz wohl erinnerte, diese Gestalt schon gesehen zu haben. Auch das Gesicht kam ihm bekannt vor, der Mund mit dem freundlich süßen Lächeln, die struppigen Haare emporstehend wie die Stacheln eines Igels.

»Euer Gnaden kennen mich vielleicht nicht mehr,« sagte die kleine Gestalt, als sie ziemlich nahe gekommen war und noch eine tiefe Verbeugung vor dem ernst aussehenden langen Manne gemacht hatte.

Wir können hierbei nicht umhin, zu bemerken, daß der Fremde im Radmäntelchen vielleicht eine Hand höher war, als der freilich überaus lange Stoßdegen des Spaniers, dessen Knopf diesem bis gegen die Mitte der Brust reichte.

Da Herr Larioz sich im ersten Augenblicke vergeblich zu erinnern versuchte, wo er den kleinen, schmächtigen Mann schon gesehen, so erwiderte er, daß er sich allerdings nicht recht besinnen könne, wen er die Ehre habe vor sich zu sehen.

»Du lieber Gott! das ist ja so begreiflich,« sprach der Andere mit Wärme. »Euer Gnaden, so außerordentlich beschäftigt, so wichtig beschäftigt und gewiß häufig so poetisch beschäftigt, werden sich wahrhaftig nicht damit befassen können, sich eines so unbedeutenden Menschen, wie ich bin, zu erinnern.«

Damit legte der kleine Mann seine Finger, in welchen er Hut und Stock hielt, zierlich zusammen, neigte sich vornüber, senkte den Kopf etwas nach der linken Seite und lispelte, während er auf die freundlichste Art den Mund spitzte: »Windspiel, Euer Gnaden; ja, es ist Windspiel, der Kellner aus dem Reibstein, der sich die Ehre gibt, Euer Gnaden mit seiner geringen Gegenwart zu belästigen.«

Ja, ja, es war der kleine tänzelnde Kellner. Jetzt erinnerte sich Larioz vollkommen desselben, welcher ihn in der Stube empfangen und später bis an die Thür geleitet hatte. Ihm trat lebendig wieder der ganze Nachmittag vor die Seele, er meinte die tiefe Stimme des Kupferstechers zu vernehmen, er sah wieder vor sich den feuchten Verschlag, wo er seine Proben bestanden, die nothwendig waren zur Aufnahme in den Bund zum Dolche Rubens. Ja, es war ihm deutlich, als hörte er jenen Unsichtbaren wieder sprechen, und durch alles das hindurch klang ihm der Anfang jenes räthselhaften Spruches: Trau, treue Trine – ohne daß er aber auch jetzt im Stande gewesen wäre, zu fragen, worauf die treue Trine eigentlich trauen soll.

Hatten sich die Züge des Herrn Larioz bei diesem Nachdenken vielleicht finster zusammengezogen, der leichtfüßige Kellner tänzelte einen Schritt zurück und sagte erschrocken: »Ja, ich fühle, es ist von mir unbescheiden, in die Gemächer Euer Gnaden zu dringen. Tausend Mal bitte ich um Verzeihung; ich will mich schleunig zurückziehen. O, ich war doch so glücklich, zu sehen, wo Euer Gnaden wohnen.«

Der lange Schreiber war bei diesen Worten aus seinen Träumereien erwacht, und der Schluß der Rede des kleinen Kellners veranlaßte ihn, nachdem er Windspiel freundlich ersucht, zu bleiben, zu der Frage, woher er denn eigentlich seine Wohnung erfahren?

Bei dieser Frage machte der Andere ein Gesicht, als nehme er sie für Scherz; dann antwortete er: »Euer Gnaden nannten Ihren Namen und bezeichneten auch Ihre Wohnung selbst in dem schönen Augenblicke, als Sie um den Tisch schritten, um mit jedem der Künstlerschaft ein Glas zu trinken. Ich,« setzte er mit Stolz hinzu, »war dabei dicht hinter Euer Gnaden und hatte das Glück, Ihnen die leeren Gläser abzunehmen und die gefüllten dafür zu behändigen.«

»Was Sie häufiger thaten, als nothwendig war,« sagte Larioz lächelnd. »Doch lassen wir das; sagen Sie mir lieber, was verschafft mir die Freude Ihres Besuchs?«

»Ja, wenn ich das nur mit kurzen Worten ausdrücken könnte!« entgegnete Windspiel in Ekstase. »O, es ist nicht das erste Mal, Euer Gnaden, daß ich es wagte, hier vorzudringen, daß ich ängstlich die Treppe heraufschlich, daß ich – ich gestehe es – mit Herzklopfen zu dieser Thür gelangte, daß ich schon den Finger gekrümmt hatte, um anzuklopfen, und doch wieder schüchtern zurückwich, ein Mal aus freiem Antrieb, ein anderes Mal, weil gerade eine alte Frau aus dem Gemache kam, die mir sagte, Euer Gnaden seien krank und schlafen.«

Dies alles hatte der kleine Kellner mit außerordentlicher Geschwindigkeit, ja, wie man zu sagen pflegt, in Einem Athem gesprochen, weßhalb er einige Mal heftig schlucken mußte, um fortfahren zu können: »Ach, Herr von Larioz, Herr Don Larioz, verzeihen Sie mir meine Zudringlichkeit, denn ich bin ja nur ein armer unbedeutender Kellner; kann ich doch für meine Verwegenheit bloß das zur Entschuldigung anführen, daß es mich gedrängt hatte, den Mann – verzeihen Sie den trivialen Ausdruck – wieder zu sehen, der von sich sagen kann:

Weit von hier das schöne Spanien,
Spanien ist mein Heimathland.

»Sehen Sie, Herr Don Larioz, ich habe den Tag über ein sehr anstrengendes Geschäft; die Künstler, die sich bei uns versammeln, treiben mich oft gewaltig umher; ich muß vom Keller in die Küche, aus der Küche in das allgemeine Schenkzimmer, von da wieder in den Club der Künstler, und kann das, um gehörig herum zu kommen, nur in schnellen Sätzen thun, weßhalb man mir auch den Namen Windspiel zugelegt. Ich bin den ganzen Tag eine sehr prosaische, höchst nüchterne Person, aber Abends, Herr Don Larioz, geht es mir, wie soll ich sagen? wie der Eule, die den ganzen Tag geschlafen, nein, sagen wir mit Ihrer gütigen Erlaubniß, wie dem Schmetterling, der von einer Ecke in die andere gekrochen und mit dem Eintritt der stillen Nacht seine bunten Schwingen entfaltet.«

Hierbei hatte der kleine Kellner mit beiden Armen sein Radmäntelchen etwas aus einander gelüpft, als wollte er auffliegen, was, verbunden mit der Begeisterung, in welcher er seine Reden vorbrachte, einen nicht ungünstigen Eindruck auf den langen Schreiber machte, weßhalb dieser ihn wohlwollend anblickte und freundlich ersuchte, Hut, Stock und Mantel abzulegen und sich zu setzen.

Nach mehreren Complimenten und nachdem er sich nicht um eine Million früher gesetzt, als bis sich Herr Larioz in seinen Lehnstuhl niedergelassen, kam endlich auch Windspiel zum Sitzen und fuhr nach einem auffordernden »Also!« des langen Mannes fort, indem er einen schwärmerischen Blick an die Decke warf: »Abends, Herr Don Larioz, Abends, wenn die Nacht eintritt mit ihrem dunklen Schleier, dann zieht es auch mich aufwärts, geistig und körperlich zu reden. Ist das Schenkzimmer einmal verschlossen, hat sich der letzte duselige Gast entfernt, so darf auch ich aufwärts steigen, in eine kleine Stube, hoch, hoch über dem Treiben der Menschheit, unter dem Dach gelegen, etwas klein und eng zwar, aber mit einer entzückenden Aussicht. Und da ich diese Aussicht meistens nur beim Mondschein genießen kann – denn nur Abends bin ich für ihre Schönheit empfänglich, Morgens, Herr Don Larioz, kommt mir dagegen das Leben mit seiner Schenkstube und seinem Bier gar zu nüchtern und prosaisch vor – so finde ich alles, was ich sehe, poetisch und schön in den weißschimmersilbernsanftglänzendenmelancholischdasherzergreifendentraurigstimmenden Strahlen der keuschen Luna. Erscheinen doch, so gesehen, selbst die alten Schornsteine, die Blitzableiter und Wetterfahnen wie verklärt. Blicke ich doch über die Stadt hinweg, bei den Kirchthürmen vorüber, wo im Glanze eben desselben Mondenschimmers die schwarzen Tannenwälder nicken.«

Wenn auch Herr Larioz fand, daß Windspiel etwas confus sprach, so lag doch für ihn in seinen Reden, namentlich aber in dem aufwärts gerichteten Auge, ein gewisses Etwas, das ihn nachsichtig machte für den allenfallsigen Unsinn, der in den Worten des Kellners mit unterlief. Auch hatte er seine eigenen Gedanken, als Windspiel von seiner Dachkammer erzählte, und er fragte deßhalb nicht ohne Grund: »Von dem Fenster Ihres Zimmers sehen Sie also auch in die Nachbarschaft?«

»O, ich sehe sehr in die Nachbarschaft,« entgegnete kopfnickend der Kellner; »und das ist es ja gerade, Herr Don Larioz, was mich am meisten hieher trieb und mich veranlaßte, Ihnen von Ihrer kostbaren Zeit zu stehlen. O, Euer Gnaden,« fuhr er nach einer Pause fort, nachdem er die Hände bewundernd zusammengeschlagen, »als Sie damals sagten, Sie seien ein Spanier, ein wirklicher und echter Spanier, da ging es in mir auf – wie – wie – nun ich kann eigentlich nicht sagen, wie – aber es ging in mir auf, das fühlte ich an meines Herzens lauteren Schlägen. Auch – verzeihen Sie mir, ich will Ihnen wahrhaftig keine Schmeicheleien, sagen – Ihr ganzes Wesen, mit dem Sie eintraten, wie Sie Ihren Stock hielten, der Bart – Don Alonso's –«

»Wessen Bart?« fragte der lange Schreiber.

»Verzeihen Sie meinen Ausdruck,« fuhr Windspiel fort, »ich dachte an ein Bild, welches ich bei mir draußen gesehen, – Don Alonso vor dem Fenster seiner Laura Mandoline spielend, – ein schönes Bild, wo der ritterliche Kopf des jungen Spaniers auch mit einem solchen Barte geziert ist. – Also – was wollte ich doch sagen? Ja, richtig, als ich Sie, Herr Don Larioz, so vor mir sah, da faßte mich eine grenzenlose Verehrung, und ich wäre schon vom ersten Augenblicke an für Sie durch das Feuer gelaufen.«

Obgleich sich der lange Schreiber durch diese echte Zuneigung – denn daß sie echt war, bezeugte die unverkennbare Begeisterung, mit welcher der Kellner sprach, sowie das Leuchten seiner Blicke – geschmeichelt fühlte, so suchte er doch das Feuer des jungen Mannes zu dämpfen, indem er ihn bat, ruhiger zu sein und nicht Sachen zu sagen, die er in der Art, wie sie vorgetragen würden, doch wohl füglich nicht für Ernst nehmen könnte.

Windspiel legte die Hand aufs Herz, ließ sein Köpfchen wie betrübt sinken und hob dabei die Augen etwas forcirt in die Höhe, die er dann mit einem schmelzenden Ausdruck auf dem Spanier ruhen ließ. Das war seine ganze Entgegnung, welche ihre Wirkung auf Larioz nicht verfehlte. Dann seufzte der Kellner tief auf und fuhr fort: »Als aber Euer Gnaden sprachen von da drüben, von den Gebrüdern Breiberg und jener jungen Dame – verzeihen Sie mir, Herr Don Larioz, daß ich diesen delikaten Punkt berühre, aber es muß sein, wenn sich auch mein Herz dagegen sträubt – da sah ich gleich die ganze Lage jenes unglücklichen Geschöpfes ein, denn diese Gebrüder Breiberg sind zu Allem fähig; – es kommt ihnen auf eine körperliche Mißhandlung nicht an, sogar bei denjenigen, die sich um unterdrückte weibliche Wesen in ihrem Hause bekümmern,« setzte Windspiel nach einer Pause wie mit sich selbst redend hinzu; »und obgleich ich das wußte,« sagte er mit lauter Stimme, »so beschloß ich doch, Alles anzuwenden, um jenem furchtbaren Geheimnisse auf die Spur zu kommen, – ja, Herr Don Larioz, einem furchtbaren Geheimnisse, wie Sie später hören werden, einem verbrecherischen Geheimnisse, welches auch schon daraus hervorgeht, daß die Gebrüder Breiberg jenes unglückliche Mädchen vor aller Welt so verborgen zu halten wissen, daß Niemand im Hause und in der Nachbarschaft überhaupt auch nur eine Idee von ihrer Existenz hat.«

»Also doch!« rief der Spanier. »O, ich las damals schon etwas Kummervolles, etwas tief Unglückliches in dem einigermaßen starren Blicke der wunderschönen Dame. Ich hatte mich also nicht geirrt! Doch fahren Sie fort, geehrtester Herr. Wenn die Nachrichten; die Sie mir geben, auch mein Herz betrüben, so interessiren sie mich doch wieder in hohem Grade. – So viel ich mich erinnere, wohnen Sie in nächster Nachbarschaft der Gebrüder Breiberg.«

»Das Hintergebäude, auf dessen luftiger Zinne meine Dachkammer liegt,« fuhr Windspiel fort, »stößt fast an jenes Haus und ist so gelegen, daß ich von dort in die Fenster des Breiberg'schen Ateliers sehen kann.«

»Und da erblickten Sie –?«

»Mehrere Tage sah ich gar nichts, denn jene Fenster sind von unten auf verstellt, um, wie die Künstler sich ausdrücken, das Licht zu spannen. Wenn ich aber so betrachtend in meinem Zimmer war, so hörte ich zuweilen –«

»Sie hörten also –?« fragte begierig Don Larioz, als der Andere wie nachsinnend einen Augenblick schwieg.

»Ich hörte zuweilen,« sprach Windspiel weiter, »Mandolinenklänge, – traurige, melancholische Klänge.«

»Wie man sie an den Ufern des Guadalquivir vernimmt,« meinte nachdenkend der Spanier, »oder unter den blühenden Orangen des herrlichen Granada.«

»O mein Gott, ja,« wiederholte schwärmerisch der Kellner, »wie man sie am Ufer des Guadalquivir vernehmen mag oder unter den blühenden Granaten herrlicher Lorbeergebüsche.«

»Und Sie hörten dabei nicht den süßen Gesang einer weiblichen Stimme?«

»Zuweilen war es mir so, doch dann hörte ich deutlicher polternde, harte Worte des groben Jean Baptist, und darauf war plötzlich Alles still.«

»Dieser Barbar!« rief entrüstet Don Larioz. »Sogar die kleine Freude, sich an den süßen Klängen der Heimath zu ergötzen, gönnt er diesem unglücklichen Wesen nicht! Doch fahren Sie fort. Was Sie mir sagen, interessirt mich in hohem Grade. – Und Sie sahen sie nie?«

»O ja, ich sah sie,« sprach Windspiel mit einem tiefen Seufzer. »Es war am Samstag-Nachmittag,« fuhr er mit finsterem Stirnrunzeln fort, »als ich von unten entdeckte, daß die Fenster des Ateliers der Gebrüder Breiberg nicht nur von ihrer Verhüllung befreit waren, sondern weit offen standen. Einen günstigeren Moment gab es nicht für mich. Ich eilte in meine Dachkammer und sah dort, wenn ich mich stark hinaus beugte, daß drüben in den Zimmern geputzt wurde. Jean Baptist handhabte selbst den Flederwisch, womit er Möbel und Bilder abstaubte, und ich hörte ihn fluchen und sagen: Was man nicht selbst thut, das ist doch nur halb geschehen; all dies faule Weibsbildergezeug taugt doch nichts; sie sind nicht werth, daß sie das Leben haben. Fort! eilt euch! – So polterte er immer zu, und zuweilen sah ich ihn erboßt seinen Flederwisch aufheben und dann ins Innere des Zimmers eilen.«

»Ich will aber doch nicht hoffen,« fuhr Don Larioz mit tiefster Entrüstung auf, »daß Sie den aufgehobenen Flederwisch und das Zurückeilen ins Zimmer mit jenem zarten Wesen in Verbindung bringen wollen! O, eine solche Abscheulichkeit wäre doch sogar bei einem Breiberg nicht möglich!«

»Die sind zu Allem fähig,« fuhr Windspiel fort, indem er sich durch den Schmerz des Spaniers sichtlich gesteigert fühlte. »Und ich bin noch nicht zu Ende,« sagte er mit dumpfer Stimme. »Ob dieser Unmensch zuschlug – nein, ich habe es nicht gesehen, aber daß er schlug, hörte ich.«

»Ich möchte lieber weiter nichts vernehmen,« sprach der lange Schreiber in tiefem Schmerze. »Ja,« setzte er heftig hinzu, »wenn ich alsdann aus der Ecke dort meinen Stoßdegen nehmen dürfte –«

»Gott, einen Stoßdegen!« sagte Windspiel mit bewegter Stimme.

»Hineilen, um dieses Ungeheuer zur Rechenschaft zu ziehen! Aber so bin ich hier rath- und thatlos und vermag nichts zu thun, als mir das heilige Versprechen zu wiederholen, daß jede Mißhandlung, welche diesem wunderbaren Geschöpfe angethan wurde, furchtbar gerächt werden soll. Das schwöre ich bei meinem Namen, der einen guten Klang hat in Spanien. – Doch jetzt lassen Sie mich Alles hören.«

Windspiel schüttelte sich. War es das Entsetzen vor dem feierlichen Schwur, den Larioz gethan, oder die Erinnerung an das, was er gesehen? Doch gehorsam der Weisung, die er erhalten, sagte er kopfnickend: »Das Schimpfen und das Schlagen – ja, den Tönen nach muß ich das vermuthen – dauerte eine Zeit lang fort, dann bemerkte ich, daß Clemens Breiberg, der schleichende, boshafte Clemens – er ist der Schlimmste von Beiden – bei dem Fenster vorüber kam, sie, jenes unglückliche Mädchen, gewaltsam nach sich schleppend.«

»Das sahen Sie?« rief Don Larioz mit blitzenden Augen. »O, entsetzlich!«

»Ja, er schleppte sie in die andere Ecke des Zimmers, und sie folgte ihm mit herabhängendem Kopfe, wie aufgelöst vor Schmerz, ein armes, wehrloses Schlachtopfer menschlicher Grausamkeit. – So sah ich ihn bei beiden Fenstern vorüber kommen, und daß ich aufs angestrengteste lauschte, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Deßhalb hörte ich denn auch noch einen schweren Fall, wie wenn Jemand eine Last auf den Boden wirft, und dann vernahm ich die teuflische, höhnende Stimme von Clemens Breiberg, welcher sagte: Jetzt wird die auch für heute genug haben; worauf Jean Baptist hinzusetzte – o, ich vermag das Wort kaum zu wiederholen – aber er setzte hinzu: Genug wird sie freilich haben; die hast du heute wieder einmal tüchtig ausgeklopft.«

Dies sprach Windspiel mit leiser, schüchterner Stimme und erhob darauf mit bittendem Gesichtsausdruck seine Hände flehend zu dem Spanier, als wollte er damit den Ausbruch wilden Zornes, der nun folgen mußte, beschwichtigen. Doch hatte sich Larioz männlich gefaßt; das einzige Zeichen der Erregung, welches man an ihm bemerkte, war, daß er seine Lippen fest auf einander biß und seine Finger sich wie krampfhaft öffneten und wieder schlossen. Ja, er erhob sich ziemlich ruhig von seinem Sitze und schritt mehrmals, die Hände auf dem Rücken, in dem Gemache auf und ab, wobei er nur den Kopf bedeutend tiefer sinken ließ, als man das je an ihm gesehen.

Der Kellner folgte ihm aufmerksam mit den Blicken, und so oft der lange Spanier in die Nähe des Stoßdegens tat, glaubte Windspiel, jetzt müsse seine künstliche Ruhe schwinden, er werde auf die Waffe zueilen, sie schwingen, und vielleicht San Jago! rufend, davonstürzen.

Glücklicher Weise aber geschah nichts von alle dem. Wohl seufzte Don Larioz einige Mal tief auf, schluckte auch wiederholt und heftig, wenn er an dem Tische vorüber kam, auf dem das kleine Kästchen stand, aber er schien seine Partie genommen zu haben und von Sekunde zu Sekunde ruhiger geworden zu sein. Jetzt fuhr er sich mit der Hand über seine Augen, legte die Rechte auf die Schulter des Kellners und sagte mit sanfter Stimme: »Sie haben mir ein Gefühl bewiesen, eine Theilnahme bezeigt, wofür ich Ihnen unendlich dankbar bin und das ich Ihnen nie vergessen werde. – Ich habe niedergekämpft, was mir freilich im ersten Augenblicke das Herz zu zersprengen drohte; ich bin ruhig geworden, sehr ruhig; und deßhalb können Sie ohne Scheu mir das Wort wiederholen, welches jener Unmensch, jener Jean Baptist Breiberg, zuletzt aussprach. Sagte er nicht: Die hast du heute wieder einmal tüchtig ausgeklopft? – Wieder – woraus ich entnehmen muß, daß dieses Ausklopfen schon häufig vorkam.«

Windspiel bezeichnete durch ein melancholisches Lächeln, daß er der gleichen Ansicht sei.

»O Schmach, einer Spanierin angethan!« fuhr Don Larioz fort; »Entehrung der spanischen Tracht, die das unglückliche Wesen trug! Auch einem Fremden kann es nicht entgangen sein, daß ihre Tracht vollkommen spanisch war. Ist es nicht so, werther Herr?«

Der Kellner schüttelte wehmüthig sein Haupt und entgegnete: »Ich sah nicht viel von jener entzückenden spanischen Tracht, die man auf den Bildern unserer Maler so häufig erblickt; mir schien – ich spreche es schaudernd aus – jenes unglückliche Mädchen eigentlich mit gar keiner Tracht bekleidet gewesen zu sein.«

Der lange Schreiber fuhr bei diesen Worten zurück, und seine Augen funkelten seltsam.

»Sie wollen doch mit Ihren Worten nicht ausdrücken,« sagte er, einigemal stockend, »daß jene Dame unbekleidet gewesen sei?«

»Das nicht so ganz,« erwiderte Windspiel, indem er die Augen zu Boden schlug; »aber wenn ich nicht sehr irre, bestand ihre ganze Kleidung aus einem grauen unscheinbaren Zeuge, und waren die weißen Arme, sowie der blendende Hals unbedeckt.«

Herr Larioz nahm seinen Spaziergang durch das Zimmer heftiger wieder auf als vorher und wehrte dabei mit den Händen von sich ab, als wollte er sagen: »Genug, genug des grausamen Spiels!« Er wurde auch wieder ruhiger, nachdem er einigemal auf und ab geschritten war, und versank endlich in tiefes Nachsinnen, aus dem er plötzlich erwachte und mit einem trüben Lächeln sagte: »Glauben Sie mir, Herr, ich fürchte, man hat den Gebrüdern Breiberg die Theilnahme verrathen, die ich, der Spanier, an jener unglücklichen Andalusierin genommen. Ja, ja, es kann nicht anders sein; deßhalb nahmen sie ihr die wundersam kleidsame Tracht, deßhalb hüllten sie sie in ein härenes Gewand, deßhalb – o mein Gott! deßhalb sprach Jean Baptist Breiberg jenes verruchte Wort – nachdem er so Scheußliches begangen. – – Ja, Herr, ich sehe es jetzt schaudernd ein, ich selbst bin vielleicht die unschuldige Ursache von der Pein des armen Mädchens, von der entsetzlichen Behandlung, die ihr zu Theil geworden. – Glauben Sie mir, die beiden Breiberg werden das unschuldige Geschöpf noch in Ketten und Banden legen, damit es mir unmöglich werde, zu ihrer Befreiung in jenes geheimnißvolle Haus zu dringen. – Und doch werde ich eindringen, siegreich eindringen trotz aller Schrecken, die mir dort entgegen treten können! O, wenn ich jenes Tages gedenke, da ich dort die finsteren Treppen empor stieg, so begreife ich es jetzt vollkommen, warum mich ein beklemmendes Gefühl überschlich, das ich mir damals nicht klar machen konnte, als ich alles das sah, was man sonst in keinem rechten Hause antrifft: die an sich wackelige Treppe, mit der kleinen Lichtöffnung, wie das Fenster eines Kerkers, was mir Anfangs fast romantisch erschien; daneben in düsteren Winkeln seltsame Geräthschaften, Kisten und leere Fässer auf einander gethürmt – letztere vielleicht mit Nägeln versehen, als furchtbares Marterwerkzeug dienend,« sprach er finster vor sich hinblickend; »dann Ritterhelme mit zerzausten Federn, nicht zu vergessen die rothen Hosen eines Scharfrichters, – alles, alles das, was mir ahnungsvoll und warnend entgegen trat. Doch mögen mir Schrecken erscheinen, welche da wollen, ich werde nicht vor ihnen zurückweichen. – Wie schon gesagt,« sprach er, indem er dem Kellner seine Rechte darbot, welche dieser ehrerbietig ergriff, »Ihnen danke ich aufs herzlichste für die Theilnahme, die Sie mir bewiesen, und wenn Sie auch nichts für mich thun können, so werden Sie doch unverbrüchliches Stillschweigen bewahren über das, was Sie mir mitgetheilt.«

»Und doch werde ich mehr für Sie thun,« rief Windspiel mit Begeisterung aufspringend, »wenn Sie die Hand eines armen schwachen Wesens, wie ich bin, nicht zurückstoßen. O Gott, wie wäre ich glücklich, wenn ich Ihnen dienen könnte! Warum ist jene gewaltige Zeit vorüber, wo tapfere Ritter auszogen, um Drachen zu bekämpfen und holde Jungfrauen mit Waffengewalt aus den Händen blutdürstiger Ungeheuer, wie zum Beispiel dieser Gebrüder Breiberg, zu befreien? Warum ist es mir nicht vergönnt, einem tapferen Ritter zu folgen, ihm Helm und Schild zu tragen, im heißen Kampf an seiner Seite zu stehen, wenn er Sieger ist, ihm den Panzer zu lüften und zu lauschen den Erzählungen seiner reichen Thaten; fällt er aber verwundet, was ja auch vorkommen kann, ihn zu pflegen, ihm die Zeit mit Erzählungen aus der Heimath zu verkürzen, ihm bekannte Lieder zu singen, zur Mandoline oder auch zur Guitarre, welches Instrument ich leidenschaftlich verehre; – warum sind sie vorüber, jene wunderschönen, glorreichen Zeiten?«

»So ganz vorüber, wie Sie denken, sind diese Zeiten doch nicht, mein junger Freund,« sagte gerührt Don Larioz. »Was freilich den Panzer betrifft und den Helm, sowie auch Schwert und Lanze, so sind diese Embleme der tapferen Kämpen allerdings für die unterdrückte Unschuld nicht mehr anzuwenden. Aber diese unterdrückte Unschuld existirt immer noch und wartet nur des starken Armes. Leider können wir nicht mehr hoch zu Roß den gefährlichen Drachen niederwerfen, aber darum ist doch dieser Drache noch ebenso vorhanden wie damals, freilich nicht mit langem Schwanze und großen Flügeln und mit dampfendem Rachen und Augen, deren giftiger Glanz das Herz des Tapferen erzittern macht; er hat sich verwandelt und schleicht behutsam. Und ebenso all die Laster und bösen Gewalten, gegen welche damals der Rittersmann mit geschlossenem Visir anritt, wuchern heute noch als ebenso wildes und verderbliches Unkraut, die gute Saat erstickend wie damals. Ueberall, wohin wir blicken, macht sich die niederträchtigste Heuchelei breit, Verstellung, Bosheit, Verleumdung, Habsucht und Eigennutz, und Das sind gefährlichere Feinde als damals der stark gepanzerte Riese, der Menschenblut liebte, und der Jungfrauen raubende Ritter vom schwarzen Schloß. Denn sie schleichen verborgen umher, sie stellen sich nicht Mann gegen Mann, sie überfallen uns unsichtbar und führen aus dem Dunkeln, und ehe wir uns dessen versehen, einen tödtlichen Stoß. – Gegen sie zu kämpfen, ist heute ebenso ersprießlich und ehrenhaft, wie es damals ruhmvoll war, mit Schild und Lanze den Feind niederzuwerfen.«

Nachdem der Spanier so gesprochen, legte er seine Hand auf die Schulter des kleinen Kellners und sagte mit weicher Stimme: »Aber dieser Kampf, mein lieber Freund, ist ein sehr undankbares Geschäft. Zu gewinnen ist sehr wenig Gutes dabei und der Turnierpreis häufig, daß man über uns lacht, daß man hinterlistiger Weise unsere Kleider mit unangenehmen Flüssigkeiten tränkt, der Püffe, Stöße und zerkratzten Nasen gar nicht zu gedenken. Es gehört schon ein besonderes Gemüth dazu, diesen Preis für würdig zu finden, und ihm zu Lieb sich um Sachen zu bekümmern, die, wie die Menschen geringschätzend sagen, Einen durchaus nichts angehen. Und doch –«

»Ja und doch!« rief Windspiel schwärmerisch, »kommen doch gewiß in diesem finsteren Kampfe auch lichte, schöne Augenblicke, die Erkenntlichkeit einer edeln Seele der Dank aus holdem Munde! Und dann das Gefühl der Poesie, das uns selbst dann belohnt, wenn wir, für das Gute ringend, niedergeworfen oder sogar auf schmachvolle Art beträufelt werden!«


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