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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Nadelstiche


Ehe der Doktor das Zimmer noch verlassen konnte, kam Gottschalk eilfertig hereingelaufen und meldete fast athemlos, der Herr Rechtsconsulent Plager steige eben die Treppe herauf, um dem Herrn Larioz einen Besuch zu machen. Das geschah heute zum ersten Mal, doch war es nicht Mangel an Theilnahme, was den Prinzipal bisher vom Bette seines Gehülfen fern gehalten, vielmehr wirkte hierin der strenge Befehl der Frau Doktorin, eigentlich der der Schwiegermutter, nur durch den Mund ihrer Tochter kund gethan, welche von Schleim- und Nervenfieber und allen möglichen Arten von ansteckenden Krankheiten faselte und versicherte, das Haus augenblicklich verlassen zu wollen, sobald sie erführe, daß der Rechtsconsulent vor völliger Besserung auch nur einen Schritt in das Zimmer des Herrn Larioz gethan. Ach, der gute Doktor Plager wußte, daß das mit dem Davongehen nur eine leere Drohung war, und er hatte schon einmal den kannibalischen Gedanken gehabt, in ein Leintuch seines Schreibers gewickelt, im Zimmer erscheinen zu wollen und zu sprechen: Seht, das habe ich gethan, um meine werthe Schwiegermutter los zu werden. – Aber es wäre vergeblich gewesen. – Am allertollsten hatte sich Clementine Weibel gegen einen Besuch bei dem Schreiber ausgesprochen und hatte ihren Schwager beschworen, die Sache nicht leicht zu nehmen. »Wenigstens vierzehn Tage lang,« hatte sie gesagt, »dürfte mir Herr Larioz, selbst nach vollständiger Besserung, nicht das Zimmer verlassen und noch weniger ins Bureau kommen.« Darin hatten Mutter und Schwester, wie in allen Dingen, dem gefühlvollen Mädchen beigestimmt, das noch hinzusetzte: »Wie mir unser Arzt gesagt, sind Rückfälle leicht möglich und am allergefährlichsten.«

»Ja, Rückfälle sind entsetzlich,« hatte der Rechtsconsulent mit tiefem Seufzer zu sich selbst gesprochen. Und daß er nach alle dem seinen Gehülfen dennoch vor Ablauf der ihm als Frist gestellten vierzehn Tage besuchte, sollten wir fast als Beweis seiner hochherzigen Gesinnung anführen.

Der Doktor verschwand aus dem Krankenzimmer mit einer freundlichen Handbewegung, und der Rechtsconsulent Plager trat herein.

Als sich die Beiden vor der Thür begegneten, fragte der Rechtsconsulent: »Keine Gefahr mehr, bester Doktor?«

Worauf dieser entgegnete: »Nicht die geringste.«

Herr Larioz erhob sich begreiflicherweise von seinem Stuhle, um dem Chef einige Schritte entgegen zu gehen.

Doch schritt dieser mit wohlwollender Miene auf ihn zu, und obgleich der Schreiber den Rechtsconsulenten in seinen Lehnstuhl nöthigen wollte, so ließ sich doch derselbe durchaus nicht dazu bewegen. Ihm schwebte dabei das Bild seiner guten Schwiegermutter vor Augen, und er dachte: Was würde sie sagen, wenn sie zufällig erfahren sollte – und bei Gott ist Alles möglich – daß ich nicht nur gegen ihren Befehl den Kranken besucht, sondern sogar in dessen durchwärmtem Stuhle Platz genommen?

Dabei dürfen wir dem geneigten Leser mit einiger Beschämung nicht verschweigen, daß Gottschalk unten an der Treppe aufgestellt worden war, um im Falle irgend ein zudringlicher – Client erscheinen sollte, den Prinzipal im Augenblicke benachrichtigen zu können.

Wenn auch auf der Stirn desselben Wohlwollen für den Kranken, den er mit seinem Besuche beehrte, zu lesen war, so schien sich Herr Doktor Plager doch anderntheils wie so oft in einer etwas gedrückten Stimmung zu befinden; man sah das an nicht zu mißkennenden Symptomen; er seufzte zuweilen still in sich hinein, spitzte auch häufig den Mund, während er die Augenbrauen finster zusammenzog, und versenkte nicht selten sein Kinn erschreckend tief in die Halsbinde.

»Freue mich recht sehr,« sagte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen, »daß ich erfahre, Sie befänden sich wieder auf dem Wege der Besserung. Aber Schonung, Schonung! Ein Reconvalescent muß sich sehr in Acht nehmen, daß er keinen Rückfall erleidet; Rückfälle sind sehr gefährlich.« – Dabei seufzte er abermals und fuhr dann fort: »Es hat auch gar keine Eile, daß Sie in den nächsten Tagen wieder aufs Bureau kommen; wir haben eine stille Zeit, es ist nicht besonders viel zu thun.«

Herr Larioz dankte für die freundlichen Gesinnungen, sowie besonders für die Ehre des Besuchs, und versetzte: Gottschalk habe ihn davon in Kenntniß gesetzt, wie häufig sich der Herr Doktor nach seinem Befinden erkundigt.

»Das ist meine Schuldigkeit,« entgegnete dieser; »ich wünschte nur mehr für Sie thun zu können. – Apropos; jetzt bei der Genesung wird sich auch der Appetit wieder einstellen; ich werde mit meiner Frau darüber sprechen, daß sie Ihnen zuweilen eine angenehme Speise kocht und hersendet.«

Er fürchtete sehr, der arme Rechtsconsulent, der Schreiber möchte dieses Anerbieten annehmen; doch dankte ihm dieser bestens dafür, indem er sagte, er habe sich einmal in die Hand des Doktors gegeben, und dieser besorge ihm alles, was für seinen Zustand erträglich und nothwendig. Der Suppenspenden von Gottschalks Schwester erwähnte er absichtlich nicht.

»Und wie steht's mit der übrigen Pflege?« forschte der Prinzipal, indem er sich im Zimmer umschaute. »Nun, die alte Frau scheint ihre Sachen gut zu besorgen; es ist recht wohnlich bei Ihnen, wenn auch kein Luxus und Ueberfluß an Möbeln, doch Alles ordentlich und reinlich. Dafür schwärme ich.«

Er seufzte bei diesen Worten abermals.

»Was die Bedienung der alten Frau anbelangt, so kann ich darüber durchaus nicht klagen,« sprach Herr Larioz; »überhaupt besorgt sie meine Junggesellen-Wirthschaft so gut, wie ich es nur verlangen kann. Auch bei diesem leichten Unwohlsein habe ich wohl nichts zu klagen gehabt. Wie es freilich bei einer längeren Krankheit gehen würde, das weiß ich nicht. In einem solchen Falle, sollte ich denken, müßte ein lediger Mensch doch Manches entbehren.«

»Mit einer tüchtigen Bedienung gewiß nicht, Herr Larioz,« versetzte eifrig der Rechtsconsulent. »Ich kann Sie versichern, man ist da in manchen Fällen besser versehen, als mit einer ganzen Haushaltung, die um einen herumschwirrt. Ich habe alles das erlebt; ich bin in Krankheiten von meinem Bedienten verpflegt worden und später von meiner Frau und Schwiegermutter. Glauben Sie mir, ich gebe in vielen, sehr vielen Beziehungen einem guten Bedienten den Vorzug.«

Dabei tauchte er erschrecklich tief in die Halsbinde hinab, und seine Augen waren kaum sichtbar vor den zusammengezogenen Brauen; auch spielte etwas Melancholie um seine Nasenflügel.

»Aber die sorgsame Pflege einer weiblichen Hand,« sagte fast schwärmerisch der lange Schreiber, »muß doch unendlich wohlthuend wirken auf unser Gemüth und die Heilung befördern.«

»O ja, die sorgsame Pflege einer weiblichen Hand, wenn sie von Sanftmuth und Nachgiebigkeit geleitet wird,« antwortete der Rechtsconsulent. »Wissen Sie auch, mein lieber Herr Larioz, was bei Krankheiten eines der besten Heilmittel ist? – Gemüthsruhe. O, was die wohlthätig auf uns einwirkt, davon haben Sie gar keine Idee. Aber es gibt,« setzte er seufzend hinzu, »gewisse weibliche Hände, unter denen einmal gar keine Gemüthsruhe gedeihen kann. Ein weiblicher Dienstbote, ein Bedienter läßt Ihnen Ihren stillen Frieden und ist bei Pünktlichkeit, die ich verlange, wie eine Uhr, wie eine Maschine, was auch wieder für das erregte Gemüth eines Kranken von außerordentlich wohlthuender Wirkung ist.«

»Aber im anderen Falle,« meinte Herr Larioz, »kann auch ein nachläßiger Bedienter von großem Uebel sein.«

»Einen nachläßigen Bedienten,« rief der Doktor, während seine Finger zuckten und etwas wie Wildheit aus seinen Augen hervorbrach, »den schicke ich fort, augenblicklich fort, und schicke zehn nach einander fort, bis ich einen einzigen guten finde. Können Sie auch zehn nachläßige Frauen fortschicken, bis Sie am Ende eine finden, die Sie sorgsam verpflegt? – O nein,« setzte er wehmüthig lächelnd, fast abgespannt hinzu, »das können Sie nicht, selbst nicht eine Schwiegermutter, die sich bemüht, Ihre Tage durch süße Pflege zu verlängern. – Oh! oh!«

Er tauchte wieder so gewaltig unter, daß seine Ohren auf den nicht hohen Vatermördern ruhten, worauf er fortfuhr:

»Sie sehen mich zweifelhaft lächelnd an, und doch ist es so, wie ich Ihnen sage. Ein guter Bedienter stellt Ihre Medizin vor das Fenster, den Löffel in kaltes Wasser, und er würde glauben, eine wahre Sünde zu begehen, wenn er Ihnen den Trank nicht aus die Sekunde hin alle zwei Stunden darreichte. Dazu hat eine Frau oft keine Zeit; Gott! zehn Minuten früher oder später, das kann Ihnen unmöglich was schaden. – Es würde Ihnen vielleicht auch nichts schaden, Herr Larioz, aber der Aerger, den Sie mit jeder Sekunde schlucken, wenn der Zeiger über die Stunde hinausrückt, wenn der Perpendikel wie hohnlachend sagt: sie kommt – nicht – sie kommt – nicht, warte nur – warte nur – 's ist Alles Eins – 's ist Alles Eins! – Nehmen wir einen anderen Fall. Der Arzt verordnet Ihnen Apfel-Compot; wissen Sie, fein zu Brei verkocht, sehr kühlend und angenehm. Sie sollen davon haben, Mittags und Abends; dazu genügt bei einem guten Bedienten der einfache Befehl, in mancher Haushaltung nicht der zwei-, drei- und vierfache; Mittags konnten Sie unmöglich Apfel-Compot haben, es waren keine Aepfel im Hause. Ich frage Sie, ob Sie sich nicht ärgern, daß Sie schwarz werden? Nun Abends. Endlich kommt das ersehnte Gericht, aber die Aepfel sind nicht zu Brei verkocht, sondern schwimmen als ungenießbare Brocken in einer sauersüßen Brühe. – Wie Gott will; statt des guten Apfel-Compottes haben Sie einen tüchtigen Aerger im Leibe, und der hat vielleicht auch seine Wirkung gethan. Hoffen wir auf morgen, da soll es gewiß nicht fehlen. Das Mittag kommt, mit ihm die Schüssel; es ist ein breiartiger Compot darin, sieht auch nicht so übel aus, Sie versuchen es – – es sind Birnen, gekochte Birnen, scheußliche Birnen, und wer kann Ihnen übel nehmen, daß Sie den Löffel etwas gewaltsam von sich werfen?«

Hier schwieg der Rechtsconsulent einen Augenblick, um tief Athem zu holen; dann legte er die Hand auf den Arm seines Schreibers und sagte wehmüthig: »Hat Ihnen das ein Bedienter gethan – es kann auch bei einem solchen vorkommen, ich will es nicht läugnen, – so wird er sich am Kopfe kratzen und wird tausendmal um Verzeihung bitten; er wird einsehen, daß er gefehlt hat, und dabei schmilzt Ihr Aerger, und Sie sagen: So mach es morgen anders. – Manche Frau aber, Herr –« das schrie der Rechtsconsulent lauter, als gerade nothwendig war, »wird nicht um Entschuldigung bitten, oder zugeben, daß sie sich geirrt hat, namentlich wenn sie eine Schwiegermutter zur Seite hat. Ja, Herr, sie wird pikirt sein, sie wird die Achseln zucken, sie wird mit einem Blick auf die Andere pantomimisch ausdrücken: Kann man dem Ungeheuer von Mann etwas recht machen? Bin ich nicht ein armes, geschlagenes, unglückliches Weib? – O, Herr Larioz, man hat in solchen Augenblicken oftmals die Geduld eines Engels, hoffend, einen Sturm, der hereinbrechen muß, zu beschwichtigen: Umsonst; je mehr Sie nachgeben, je mehr sind Sie im Unrecht. Halten Sie es für möglich, daß eine Frau in einem solchen Augenblicke zu der anderen, die neben ihr steht, gewendet, sagen kann: Du bist mein Zeuge, daß ihm gestern Abend das Apfel-Compot auch nicht recht war. – Als wenn Brocken mit Brühe Apfel-Compot wäre! – Jetzt bringe ich ihm die vortrefflichsten Birnen; ich weiß nicht, wie ich's anders machen soll.

»Sehen Sie, Herr Larioz, da verläßt Sie alle Vernunft, Sie springen auf, Sie toben und schreien vielleicht mehr, als Sie hätten thun sollen, und wenn Sie nachher todesmüde in Ihren Stuhl oder in Ihr Bett zurückfallen, da hören Sie vielleicht von fern her die Stimme der Schwiegermutter, welche spricht: So sind sie alle; man muß sich nur nichts daraus machen, und nebenbei bin ich fest überzeugt daß Compot von Birnen viel gesunder ist als von Aepfeln. – Oh! oh! oh! oh!«

Bei den letzten Worten war der Rechtsconsulent aufgesprungen, hatte die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, so daß seine Finger zwischen den Rockschößen hervorschauten, und lief eilig im Zimmer auf und ab.

Herr Larioz blickte ihm nach, und da er die aufgeregte Gemüthsstimmung sah, in welcher sich sein Prinzipal befand, so wußte er nicht, was er sagen sollte. Als er aber endlich etwas sprach, war es vielleicht die mindest gute Bemerkung, die er machen konnte. Er meinte nämlich: »Da sollte ich mich ja vielleicht glücklich schätzen, bis jetzt noch zu keiner Frau gekommen zu sein.«

Auf das hin blieb Herr Plager, mit einem förmlichen Rucke seinen Spaziergang unterbrechend, vor Larioz stehen, streckte wie beschwörend die Hand aus und versetzte: »Wissen Sie, was Paulus sagt: Heirathen ist gut, nicht heirathen aber besser. Wozu wollen Sie heirathen? Um zu Hause mit Frau und Kindern ein behaglich friedliches und vergnügtes Leben zu führen. Wenn Ihnen das aber nicht gelingt, wenn jeder Schritt, den Sie zu Hause thun, jedes Wort, das Sie sprechen, von Zank und Widerwärtigkeiten begleitet ist, da wäre es doch wahrhaftig besser, Sie hätten nach Paulus gehandelt: Sie werden mir einwenden, als lediger Mensch habe ich auch Aerger und Unangenehmes in meinem Geschäft oder mit meinem Bedienten. – Richtig, aber nach den Geschäftsstunden können Sie alles Unangenehme hinter der verschlossenen Thür lassen; und dann, einem Bedienten, der Sie ärgert, sagen Sie die Wahrheit und zeigen ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Dann haben Sie wenigstens für den Augenblick Ruhe. – Kommt dann die Nacht, die süße, heilige Nacht,« fuhr er mit weicher, schwärmerischer Stimme fort, wobei er seine Hände faltete und an die Zimmerdecke blickte, »so legen Sie sich in Ihr stilles Bett, lesen Ihre Zeitung und schlafen trotz Widerwärtigkeiten im Geschäfte, trotz nachläßiger und unverschämter Bedienten. Aber, Herr –« dabei zitterte seine Stimme – »eine böse Frau läßt Sie nicht einschlafen. O, Sie können mich nicht verstehen. Sie wissen nicht, was eine Gardinen-Predigt ist. Sie halten das für eine Phantasie, für eine Chimäre, von boshaften Schriftstellern erfunden. Nein, Herr, das ist Wirklichkeit, schreckliche Wirklichkeit, rasende Wirklichkeit! – Gott der Herr hat jedem Geschöpfe seine Nachtruhe gegeben; der Kanarienvogel steckt seinen Kopf unbelästigt unter die Flügel, Storch und Gans ziehen ihr Bein an sich und schlafen in Frieden, ebenso der Hund in seinem Stalle, der Wurm im Boden, der Goldkäfer in der Rose; jeder Creatur ist nächtliche Ruhe vergönnt, nur einem armen Ehemann nicht; er allein weiß, was eine Gardinen-Predigt zu bedeuten hat. – Und ich sage Ihnen, mein lieber Herr Larioz, dann nicht entfliehen zu können, ist der schrecklichste aller Schrecken auf Erden. – Wäre ich ein Richter geworden, und hätte ich eine Frau zu verurtheilen, so wäre meine erste Frage: Predigt sie Gardinen oder nicht? – – Ja, sie hält Gardinen-Predigten. – Wohlan denn, sie ist zu Allem fähig.«

Herr Larioz hatte bei der außerordentlich langen und heftigen Rede seines Chefs nichts Besseres zu thun gewußt, als sehr bemerkbar den Kopf zu schütteln, auch die Achseln zu zucken und jetzt beim Schlusse zu sagen: »Das ist erstaunlich, gewiß ganz erstaunlich. Obgleich ich auch schon Einiges vom Ehestand gehört, so habe ich ihn doch nie so scharf von der Seite der Gardinen-Predigten her auffassen sehen. Es muß außerordentlich viel Wahres in Ihren Bemerkungen sein, geehrtester Herr Doktor.«

»Viel Wahrheit?« fragte dieser mit einem Blick des Zweifels auf seinen Untergebenen, wobei sein Kopf aus seiner Halsbinde hervortauchte. »Ich sage Ihnen, meine Bemerkungen sind vollgesogen von Wahrheit, sie sind ganz Wahrheit. O, glauben Sie mir, ich habe genugsam schaudernd das selbst erlebt, wovon ich Ihnen sprach.«

Er ließ sich auf seinen Stuhl nieder, wie erschöpft in Erinnerung an entsetzliche Dinge, die er erlebt.

»Und das ist eine Krankheit,« fuhr Herr Doktor Plager nach einer Pause fort, »die nicht zu heilen ist, die sich steigert und immer steigert durch alle Stadien der menschlichen Redekunst hindurch bis zu einem Paroxysmus, bis zum Ausbruch völligen Wahnsinns, der im Stande ist, Sie anzustecken, so daß Sie sich unter der Last der Beschuldigungen, die man auf Sie wälzt, erstaunt selbst betrachten, ob Sie denn wirklich das moralische Ungeheuer sind, als das Sie Ihre bessere Hälfte Nacht um Nacht kennzeichnet.«

»Das sind freilich vortreffliche und höchst nützliche Lehren, und man sollte sie allen heirathslustigen Männern der ganzen Welt mittheilen,« meinte der lange Schreiber. »Es gäbe das eine neue Clausel in einem Ehevertrag: Keine Gardinen-Predigten.«

»O ja,« seufzte der Rechtsconsulent aus tiefster Brust, wobei sein Kopf herabsank wie die Blume einer geknickten Lilie. »Keine Gardinen-Predigten mehr! Wenn ich dafür ein Mittel wüßte! Wer das mit Wahrheit anpreisen könnte, wie man zum Beispiel liest: Keine Hühneraugen mehr! oder: Fort mit Cravatten! ich sage Ihnen, der Mann müßte in einem Jahre Millionär sein.«

Als Herr Larioz die wirklich zerknirschte Miene seines Prinzipals sah, dehnte er sich behaglich im Lehnstuhl aus, betrachtete die kahlen Wände seines Zimmers, seine einfachen Möbel, die Medizin, im Glase vor dem Fenster stehend, den silbernen Löffel dabei im kalten Wasser, den Verschlag, wo sein Bett war und wo nächtlich die Stille und der Friede des Paradieses herrschte, wenn er nicht zufälliger Weise schnarchte. Das alles schaute er an und drehte darauf freundlich lächelnd seinen Schnurrbart in die Höhe, erhob auch frisch seine Nase, während die des Doktor Plager schlaff herabhing, ja, während der ganze Mann mit dem Zweige einer Trauerweide zu vergleichen war.

Doch schien nicht die Ruhe in ihm zu sein, welche wir bei diesem melancholischen Baume voraussetzen, oder fuhr ein neuer Wind schmerzlicher Erinnerung durch seine Blätter? Denn nachdem er ein paar Mal tief aufgeseufzt, strich er seine Haare in die Höhe, schlug die Arme über einander und sagte mit höhnischem Lächeln: »Und wenn Sie denn doch jemals die Absicht haben, sich zu vermählen, so heirathen Sie um Gottes willen in keine Familie, deren Mitglieder, wohlverstanden ihren Worten nach, wahre Engel sind; es gibt solche Familien, die weder Fehler haben – von Lastern ist gar keine Rede – noch auch nur eine Ungeschicklichkeit begehen, und die alles Unglück, alle Widerwärtigsten, die sie betreffen – und darunter gehört der Mann in erster Linie – gänzlich unverschuldet tragen, wie das Lamm Gottes der Welt Sünden. – Ich, Herr Larioz, ich habe es so getroffen; meine Schwiegermutter, meine Frau, meine Schwägerinnen gehören zu einer gegenseitigen Tugend-Versicherung; es gibt keine edle That, keine Güte und Liebe, deren nicht Eines das Andere für fähig hält, indem es mich dabei stets als den grimmigen Sünder betrachtet, der immer Unheil schwitzt, das der liebe Gott nur in seiner Huld und Gnade für jene reinen Engel nicht zum Ausbruch kommen läßt. Sie kennen meine Frau Schwiegermutter; an ihrer himmlischen Güte, ihrer Sanftmuth, ihrer Unparteilichkeit zu zweifeln, wäre ein Hauptverbrechen. Sie kennen auch Madame. Es gibt keine Tugend, welche dieses von mir unterdrückte unglückliche Weib nicht besitzt. Sie kennen auch meine Schwägerin, Clementine Weibel, einen Engel der Unschuld, ein fleckenloses Wesen. Und zwischen dieser lichten Familie muß ich, dessen Fehler und Untugenden mir jeden Tag vorgeworfen werden, mir am Ende selbst wie ein wahres Ungethüm erscheinen. Ja, ich fühle es, Herr Larioz, bei so viel Tugend, bei einem solchen Unterschied der Charaktere, könnte man am Ende wirklich ein schlechter Kerl werden.«

Der Rechtsconsulent legte die Hände auf die Kniee und ließ den Kopf abermals tief herabsinken. Wohl hatte Herr Larioz dergleichen Anwandlungen auch früher schon an seinem Prinzipal bemerkt, doch meistens nach einer der heftigen Familienscenen, an denen im Plager'schen Hause kein Mangel war. Auch heute oder gestern mußte etwas dergleichen vorgefallen sein, doch war der Schreiber viel zu diskret, seinen Prinzipal darum zu befragen, auch wußte er wohl, daß, wenn derselbe einmal anfing, sich Luft zu machen, er nicht mehr viel auf dem Herzen behielt.

Herr Larioz hatte sich auch nicht getäuscht, und nachdem sein Chef ein paar Minuten lang ruhig und nachdenkend gesessen, schien er sich zu ermannen, fuhr abermals durch das Haar, zog seinen Hemdkragen in die Höhe und spitzte den Mund, worauf er sagte: »Es war gestern Freitag, wie Sie wissen. An solchen Tagen gehört es zum Tone, eine kleine Spazierfahrt zu machen, welche jetzt, im Winter, in dem Glas-Salon des öffentlichen Gartens endigt, wo neben langweiliger Musik sehr schlechter Kaffee bei unendlichem Tabaksdampf genossen wird, wo man sieht und sich sehen läßt. Es ist noch ein Glück, daß an solchen Tagen die Frau Schwiegermutter es vorzieht, mit irgend einer guten Freundin zu Hause in stiller Beschaulichkeit einen weit besseren Kaffee zu genießen. Da aber keine Rose ohne Dornen ist,« lachte er giftig, »so erfahre ich schon beim Frühstück, welch ungeheures Opfer Mama mir bringt, daß sie von der Partie zu Hause bleibt, wie man es aber noch nie genug gewürdigt hat, was man alles für mich und mein Haus thut, kurz, wie ich auch in diesem Punkte wieder das gewöhnliche verabscheuungswürdige Ungeheuer bin. Glücklicher Weise aber lief an dem Morgen das alles von mir ab, wie der Regen vom Fell des Hundes; auch besänftigte man sich rascher, als ich gedacht, da ich meine liebe Schwägerin Clementine eingeladen, mit uns zu fahren, mit uns Kaffee zu trinken, mit uns zu sehen und sich sehen zu lassen. – Sie werden sich,« fuhr Herr Plager nach einer Pause fort, »einer unvergeßlichen Soiree bei mir vor einiger Zeit erinnern.«

»O ja,« erwiderte Herr Larioz mit eigenthümlichem Augenzwinkern; »derselben Soiree, wo jener polnische Punsch gebraut wurde, den ich auf so seltsame Art zu kosten bekam.«

»Ja, jener Soiree,« sagte der Rechtsconsulent etwas kleinlaut, »wo Sie die unschuldige Ursache waren, daß endlich die Verlobung meiner Schwägerin Clementine mit jenem vortrefflichen Herrn Schilder der Gesellschaft proclamirt werden konnte, worunter sich einige Damen befanden, die den andern Tag Sorge dafür trugen, daß das freudige Ereigniß in der ganzen Stadt bekannt wurde. – Und man kann sagen, es war ein freudiges Ereigniß für mich und mein Haus. Wie sich Herr Schilder später dabei befinden wird,« setzte er achselzuckend hinzu, »das ist seine Sache. Aber für ein Mädchen, wie Clementine Weibel, mit wenigem Vermögen, ist der junge Schilder eine Partie, wie man sie nur wünschen kann. Glauben Sie aber, Herr, daß das diese Familie einsieht? daß man mir dankbar wäre, weil ich dazu kräftig das Meinige beigetragen? – Im Gegentheil, Clementine sieht sich als ein Opfer an; ich habe beim Arrangement dieser Partie Gott weiß welche Nebenansichten gehabt; sie ist ein Werk meines Eigennutzes; ich habe das arme junge Mädchen schändlich verkauft. Ja, sehen Sie, darüber sollte man eigentlich den Verstand verlieren; aber ich verlor den meinigen nicht,« sagte er lächelnd, »ich schmiedete das heiße Eisen mit tüchtigen Schlägen, ich veranlaßte meinen Schwager Banquier, dem jungen Manne bereitwillig sein Haus zu öffnen, und wenn ich wirklich vollkommen ehrlich sein will, so habe ich, Ihnen im Vertrauen gestanden, allerdings bei dieser Heirath meine Nebenansichten. Wäre es nicht möglich,« fuhr er händereibend fort, »daß meine gute Schwiegermutter, welcher der Aufenthalt in meinem Hause so äußerst unangenehm ist, es nicht einmal bei ihrer jüngeren Tochter probirte? –

»Doch das wird die Zukunft lehren; bleiben wir beim gestrigen Tage. Sie können sich denken, daß ich Herrn Schilder in Kenntniß setzte, wohin wir unsere Fahrt richten würden, und daß ich das den Meinigen auch nicht vorenthielt, natürlich aber erst, als wir im Wagen saßen. Ich versichere, es war anfänglich, als wenn Clementine mit einem Kübel Eiswasser begossen worden wäre; sie biß die Lippen auf einander, sah ihre Schwester achselzuckend an, summte einige Takte eines mir unbekannten Liedes und begann ihre kleine Scene mit mir: »Jetzt hätte ich gerade Lust, auszusteigen und direkt nach Hause zu gehen. »Wie gewöhnlich gab ein Wort das andere, und wenn wir nicht glücklicher Weise rasselnd auf dem Pflaster gefahren wären, so würde der Kutscher allerlei erbauliche Sachen zu hören bekommen haben. Dabei kennen Sie meine Geistesgegenwart. Wenn ich den beiden auch tüchtig meine Meinung sagte – ein Glück war es dabei, daß die Schwiegermutter zu Hause geblieben, – so that ich das doch wegen der Vorübergehenden äußerlich auf die freundlichste und liebevollste Art von der Welt. Wissen Sie, lieber Herr Larioz, man gewöhnt sich an dergleichen, und da auch meine Frau und Fräulein Clementine gute Miene zum bösen Spiel machten, so erschienen wir den Begegnenden, während wir uns die bittersten Dinge sagten, doch wie eine Familie, die voll Liebe und Eintracht einem harmlosen Vergnügen entgegen fährt. Es ist das sehr traurig, aber ich kann es nicht ändern.

»Wir kommen also an, wir nehmen einen Tisch, wir trinken Kaffee. Der Friede ist so weit wieder hergestellt, daß meine Frau wenigstens mit mir spricht, wobei sie aber statt meiner irgend ein Fenster oder auch vielleicht die große Baßgeige anblickt. Fräulein Clementine horcht anscheinend aufmerksam auf die Musik, späht aber dabei im ganzen Saale umher und weiß auch durch allerlei künstliche Manöver, indem sie sich mit den Kindern beschäftigt, oder ihr Taschentuch fallen läßt, das zu bemerken, was hinter ihrem Rücken vorgeht. Ich bin so glücklich, alles das zu sehen, thue aber nicht dergleichen, fühle jedoch wohl, daß die Luft noch rein ist.

»Sie sehen mich einiger Maßen erstaunt an; aha! ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß Herr Czrabowski, der sogenannte polnische Graf, weit davon entfernt ist, seit jener für ihn so unangenehmen Punschgeschichte meine gute Schwägerin in Ruhe zu lassen. Das heißt, wenn sie ihm keine Veranlassung gäbe, würde er schon längst aufgehört haben, ihr Aufmerksamkeiten zu erweisen, von denen er dann wüßte, daß sie durchaus zu keinem Resultate führen können. Mir hat die Sache schon Kummer genug gemacht; glauben Sie mir, dieser Mensch ist ein ganz verwahrlostes Subject. Aber können Sie sich denken, daß ich, wenn ich in Betreff seiner nur die geringste wohlgemeinte Warnung ergehen lasse, die Lunte ans Pulverfaß lege? O, ich habe darüber schon schreckliche Auftritte erlebt!«

Dabei seufzte er wieder einmal, blickte an die Zimmerdecke empor und fuhr alsdann fort: »Wie gesagt, anfänglich war die Luft rein; bald aber bemerkte ich, daß die Blicke Clementinens nicht mehr im Saale umherschweiften, sondern sich nach einer gewissen Stelle richteten. Diese Stelle aber befand sich hinter meinem Rücken, so daß ich, ohne Aufsehen zu erregen, nicht sehen konnte, was sich da begab. Aber ich wußte es ganz genau; fing doch das mir wohl bekannte Spiel an. Clementine lächelte sanft in sich hinein, fuhr mit ihrem Schnupftuch an den Mund, roch an einem Blumen-Bouquet viel länger, als nothwendig war, und wenn sie den Kopf wenden mußte, um mit ihrer Schwester zu sprechen, so blieben doch ihre Augen wie festgebannt an jener gewissen Stelle haften.

»Endlich fand ich Veranlassung, mich herum zu drehen. Richtig! vielleicht zwanzig Schritte hinter mir an einer Säule lehnte der edle Graf Czrabowski mit einer unbeschreiblich schmachtenden Attitüde; er hatte einen Fuß über den anderen gelegt, hielt die rechte Hand aufs Herz und strich sich mit den Fingern der Linken seinen dünnen Schnurrbart. Als ich mich aber umwandte, drehte er mir plötzlich den Rücken zu.«

»Und was sollte alles das heißen?« fragte Herr Larioz mit größter Unschuld.

Der Rechtsconsulent blickte ihn einigermaßen erstaunt an, dann lächelte er und sagte: »Ja, ja, wie sollten Sie das auch wissen! Sie besuchen weder Theater noch Bälle, noch öffentliche Gärten, haben also auch kein Interesse daran, alle die faden Geschichten zu beobachten, mit denen sich dort ein großer Theil junger unschuldiger Mädchen und nichtsthuender Elegants amusirt. Wären Sie aber verheirathet oder hätten eine Tochter oder dergleichen zu bewachen, so würden Sie diese Zeichensprache wie das Alphabet kennen lernen. Ich kenne sie durch alle Nuancen und habe leider eine solche genaue Kenntniß erlangt, daß ich aus einem Lächeln, aus der Art, wie das Schnupftuch an den Mund geführt wird, mit Gewißheit sagen kann, ob es nur ein vorübergehendes Spiel, ob es eine Neigung, ob es eine Liebschaft ist, – im letzten Falle sogar, in welches Stadium diese Liebschaft bereits getreten.

»Zu meinem Schrecken sah ich nun, mit diesem unheilvollen Wissen ausgerüstet, daß das Lächeln Clementinens, daß die Art, wie sie ihre Blicke hinüber warf, wie sie die Augen niederschlug, schon eine ziemlich weit vorgeschrittene Liebschaft anzeigten. Ich sah das und schwieg vorderhand. Später kam auch Herr Schilder, setzte sich mit dem Rechte, das er als Verlobter hatte, neben Clementine und sprach wie immer verständig und angenehm. Daß er vielleicht seine Worte nicht so zu setzen weiß wie jener Andere, daran habe ich nie gezweifelt; aber, du lieber Gott! man sollte doch denken, ein ruhiges und vernünftiges Gespräch müßte so einem Mädchen besser gefallen, als die überschwänglichen Redensarten voll sogenannter Poesie und beständig gespickt mit Anspielungen über dieses oder jenes Zusammentreffen, diesen oder jenen Blick, den man genossen. Meine Frau war so verständig, Herrn Schilder freundlich zu empfangen, auch Clementine nicht so frostig, als ich erwartet, und deßhalb schien Herr Schilder mit der Aufnahme recht zufrieden. Es ist das wirklich ein genügsamer junger Mann; aber so arglos und unbefangen er auch das Leben nimmt, so entging es ihm doch nicht, daß Clementine einigermaßen zerstreut war; ja, er mußte bemerkt haben, daß sie häufig neben ihm vorbei sah; und dann kam jenes fatale, gefährliche Lächeln zum Vorschein.

»Wir fuhren zurück,« erzählte Herr Doktor Plager nach einem tiefen Athemzuge weiter, »und als wir zu Hause angekommen waren, sprach man von dem verlebten Nachmittag, ein Wort gab das andere, und ich hatte, wenn Sie wollen, die Unklugheit, Clementine vor dem sogenannten polnischen Grafen zu warnen, indem ich ihr lächelnd meine Bemerkungen mittheilte. Aber, du lieber Gott, welche Scene hatte ich mir bereitet! Clementine brach ohne alle vernünftigen Gründe in ein lautes Weinen aus, meine Frau zucke die Achseln mit jenem nur mir verständlichen unbeschreiblichen Kopfnicken, die Schwiegermutter affektirte einen Augenblick eine völlige Erstarrung, worauf sie ihre Nase erhob und triumphirend sagte: »Das ist die alte Geschichte! Der Mann in seinem Haß gegen uns ist nicht im Stande, uns nur das kleinste, harmloseste Vergnügen zu gönnen. – Ob ich etwas darauf entgegnete, weiß ich nicht genau, ich glaube aber fast, daß ich mich zu ein paar pikanten Worten hinreißen ließ, worauf denn Clementine etwas furienhaft auf mich losstürzte, mit einer Leidenschaft, wie ich sie nie gesehen, und mit einer Zungengeläufigkeit, vor der ich förmlich erschrak, die exorbitantesten Dinge sagte, unter Anderem, ich hasse sie und ihre ganze Familie, ich suche jedes Mitglied derselben zu unterdrücken und ihm zu schaden, wo es mir möglich sei; ich fände eine Freude daran, dergleichen Dinge, wie die von dem polnischen Grafen, den Gott verdammen möge, zu erfinden, um ihr einen schlechten Namen zu machen, um Sachen unter das Publikum zu bringen, von denen ihre reine Seele durchaus nichts wisse, ja, vor denen sie förmlich zurückschaudere.

»Ich sage Ihnen, Herr Larioz, der Moment war einigermaßen unangenehm für mich. Sie hätten diese Tugend sehen sollen, neben Mutter und Schwester stehend, sich mit lautem Aufschrei an mich wendend, dann wieder mit ersterbendem Hauch jeden Augenblick bereit, ohnmächtig in die Arme meiner guten Schwiegermutter zu fallen, dabei Unschuld, ganz Unschuld, vollkommene Unschuld, jeder Zoll eine Unschuld; und ich daneben ein Ungeheuer, das diesen fleckenlosen Engel über etwas anklagte, von dem selbiger Engel schon damals bei der Soiree die vollgültigsten Beweise gegeben.

»Daß ich auch nichts weniger als ruhig blieb, brauche ich wohl nicht zu sagen; ich hätte jeden Anderen in diesem Feuer sehen mögen: Clementine mich wie eine wilde Flamme umspielend, Madame sich mit wenigen, aber höchst scharfen Bemerkungen immer mehr steigernd, und die gute Schwiegermutter mit jedem Worte, das sie sprach, einen Tropfen siedenden Oels auf mich träufelnd.

»Endlich entsprang ich. Der Teufel ist gemacht, es so auf die Länge auszuhalten. O, Herr Larioz, wäre ich nur damals statt Ihrer oder des guten Schilder in die Küche getreten, wo der polnische Punsch gebraut wurde, es wäre wahrlich besser! – Aber wer weiß!« setzte er nach einer Pause achselzuckend hinzu; »ich sage Ihnen, diese drei Frauenzimmer sind im Stande, Sie glauben zu machen, die Sonne sei schwarz und ein Rhinozeros sehe einem Kanarienvogel vollkommen ähnlich. Oh! oh!

»Aber ich mußte hieher kommen, ich mußte mich erleichtern; ich glaube, Zorn und Wuth hätten mir langsam die Kehle zugeschnürt, hätten mich zu einem stillen Manne gemacht; und den Gefallen kann ich ihnen unmöglich jetzt schon thun. – Du lieber Gott!« setzte er melancholisch hinzu, »diesen ihren Lebenszweck werden sie doch endlich erreichen; aber jetzt hielt ich es wirklich noch für zu früh. Ach, glauben Sie mir, ich fühle wohl, daß man von Eisen sein müßte, um alles das zu ertragen; ich kann Ihnen versichern, mich, beherrschen oft ganz traurige Phantasieen, und manchmal, wenn ich so allein sitze und schreibe, ertappe ich mich mit Schrecken beim Summen alter Kirchenlieder, z. B. Im Grab ist Ruh, oder: Das Grab ist tief und stille.«

Bei diesen Worten ließ der Rechtsconsulent den Kopf wieder tief aus die Brust herabsinken und faltete dabei die Hände, so daß er ein gar klägliches Bild der Zerknirschung bot.

Der lange Spanier betrachtete Herrn Plager mit wirklicher Theilnahme, denn er hatte oft die Leiden mit angesehen, die derselbe zu erdulden hatte. War er doch selbst schon, wie der geneigte Leser weiß, in Mitleidenschaft gezogen worden; an seinem schwarzen Frack waren längere Zeit die Spuren davon sichtbar gewesen, – Spuren, die, dem später gemachten Vertrag zum Hohne, Babette doch nicht vertilgt hatte. Er hielt es deshalb auch für seine Pflicht, dem Prinzipal einigen Trost zuzusprechen, und sagte ihm daher:

»Ei, ei, Herr Doktor, Sie wollen anfangen, den Muth zu verlieren, und wer das thut, gibt sich schon halb verloren. Daß die Verhältnisse dorten wohl eigener Art sind, das wird niemand läugnen, der sie kennt; aber wenn man es am wenigsten erwartet, tritt oft eine Aenderung ein.«

»O ja,« seufzte Doktor Plager; »im Grab ist Ruh'.«

»Ach was! daran denken wir nicht. Lassen Sie vor der Hand die Sachen laufen, wie sie wollen; bekümmern Sie sich nicht mehr um den polnischen Grafen. Fräulein Clementine ist alt genug, um zu wissen, was sie thut, und glauben Sie mir, was sie möglicher Weise thun könnte, wird sie vor Ihnen wohl versteckt halten.«

»Leider, leider! Und doch gäbe ich eine Million, den beiden Anderen beweisen zu können, wie Recht ich habe.«

»Da Sie mich einmal in Ihr Vertrauen zogen,« fuhr Don Larioz fort, »so kann ich mir wohl erlauben, Ihnen einen Rath zu geben. Poussiren Sie die Sache mit dem Herrn Schilder; auch ich glaube, daß im Falle einer Verheirathung Fräulein Clementinens die verehrte Madame Weibel vielleicht in der That vorziehen würde, es einmal bei ihrer jüngeren Tochter zu probiren.«

»O, wenn dem so wäre!« seufzte der Rechtsconsulent mit aufgehobenen Händen.

»Bei alle dem,« sprach der Schreiber mit einem Tone der Mißbilligung, welche dem Prinzipal gegenüber freilich etwas schüchtern durchklang, »sind Sie doch am Ende der Herr in Ihrem Hause, und wenn ich eine Schwiegermutter besäße, die mir das Leben so sauer machte, so –«

»O, daran habe ich auch schon gedacht,« versetzte der Andere, indem er sich schüchtern umsah. »Aber, lieber Herr Larioz, es ist nicht Jedermann Lust und Muth gegeben, den Kampf mit dem Drachen zu beginnen. Ich weiß wohl, Sie haben ein eigenes Naturel darin; bis jetzt zwar ist es Ihnen eine Lust, gegen widerwärtige Verhältnisse anzukämpfen. Und doch,« setzte er betrübt hinzu, »mußten auch Sie sich damals vor dem Punschglase zu einem hastigen Rückzüge bequemen.«

»Das allerdings,« sagte Herr Larioz, indem er die Augenbrauen hoch emporzog und seinen Schnurrbart drehte. »Aber ich hatte damals nicht das Recht, als Kämpfer aufzutreten, sonst –«

»O, sie kommt vielleicht noch, diese Zeit,« meinte kleinlaut der Rechtsconsulent, »wo ich Sie bitten werde, handelnd aufzutreten, und wo Sie bei mir den Anfang machen können, Ihre Lieblings-Theorie, den Unterdrückten beizustehen, in Ausführung zu bringen. – Was wir aber hier gesprochen,« fuhr er nach einer Pause fort, während welcher er sich scheu umgesehen, »bleibt natürlicher Weise unter uns. Sie können mir glauben, man darf vorderhand nicht einmal wissen, daß ich hier bei Ihnen war. O, ich finde mich recht gedrückt, recht in Ketten und Banden.«

Damit hatte Herr Plager sich erhoben, ermahnte den Schreiber nochmals, sich recht zu pflegen und ja nicht zu früh in das Bureau zu gehen, und ihm es vor allen Dingen sagen zu lassen, wann er sich wieder zur Arbeit, einstellen wolle. So verließ er das Zimmer in ziemlich gebeugter Haltung; ehe er aber die Treppe hinabstieg, blickte er vorsichtig in dem Gange umher, ob dort nicht vielleicht ein unbequemer Lauscher sichtbar wäre.


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