Gottfried von Straßburg
Tristan und Isolde
Gottfried von Straßburg

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Schlußwort.

Nicht weiter hat Gottfried gedichtet; ob ihn der Tod hinwegnahm, wie das Zeugniss seiner beiden Fortsetzer zu sagen scheint, ob er nicht weiter dichten wollte, wir wißen es nicht. Für Letzteres ließe sich freilich kaum ein Grund ersinnen. Zwar das letzte Selbstgespräch Tristans ist der Anwendung auf den Dichter selbst nicht unfähig: wie dieser an Isoldens Liebe und Treue, so könnte Er an der Herrin, der zu Liebe er dichtete, verzweifelt haben. Aber wäre diese Möglichkeit auch beßer begründet als sie uns selber scheinen will, da es nur falsche Sophistik ist, die er hier dem Tristan in den Mund legt, der den Entschluß, der andern Isold die Hand zu reichen, vor sich selber beschönigen will, unser Verlust würde darum nicht geringer sein.

Man hat freilich, uns darüber zu trösten, gesagt, der Dichter habe in den vorhandenen Theilen des Gedichts Gelegenheit gehabt, seine ganze Seele zu ergießen, den vollen Zauber seiner unerreichten, geschweige je überbotenen Kunst zu üben. Allein das unvollendete Werk muß manchen Vorwurf hinnehmen, der das vollendete vielleicht nicht mit solcher Härte getroffen hätte. Der schwerste freilich, als ob der Gegenstand dieses Gedichts schmähliche Verhöhnung der Gattentreue wäre, läßt sich schon damit abweisen, daß zwischen Marke und Isold so wenig als zwischen Tristan und der andern, weißhändigen Isold je ein eheliches Verhältnis zu Stande kommt, wenn sie gleich vor der Welt Gatten scheinen.

Aber was man auch zur Entschuldigung des Liebespaares sagen mag, das im Grunde schon durch den Minnetrank entschuldigt ist, der ihre Freiheit aufhob, dem Dichter kommt diese Entschuldigung vielleicht nicht bei allen Lesern zu Statten, und wirklich scheint der Vorwurf des Leichtsinns auf ihm haften zu bleiben, da es in seiner Hand gelegen hätte, das Verhältnis zwischen Isolde und dem bejahrten Marke ganz rein zu halten, in welchem uns jetzt, nach Brangänens großmüthiger Hingebung, eine Scene verletzt, von der nur die Naivetät des Dichters begreifen läßt, wie er sie uns vorführen konnte. Wozu sie sonst durch die Liebe verführt wird, alle Täuschungen des anscheinenden Ehegemahls, selbst das frevelhafte Spiel mit dem Heiligsten, mit dem Eide, das der Dichter selber so wenig als ihre übrigen Fehltritte gut heißt, hätten wir ihr nachgesehen, und auch den Dichter nicht so schwer darum verklagt, der bei der Schilderung der Minne als einer seelenbewältigenden Macht auch die Verirrungen nicht verschweigen durfte, zu welchen sie hinzureißen vermag. Ist dieß doch der Grund der Sage, die im Wesentlichen mit der von Pyramus und Thisbe, von Hero und Leander, von Romeo und Julie zusammenfällt, wie ich das in den Anmerkungen zu den »Quellen des Shakespeare« nachgewiesen habe.

Den allen diesen Liebessagen gemeinschaftlichen Grundgedanken habe ich dort in folgenden Worten angegeben: »Die Liebe kennt in ihrer Einseitigkeit kein anderes Gesetz als das eigene, das sie zwingt, sich zu vollbringen. Sie überwindet alle Hindernisse, welche die Außenwelt ihr entgegenstellt, durchbricht jede Schranke der Sitte, um ihr Ziel zu erreichen, das ihr allein Gültigkeit hat. Indem sie aber diesem nachstrebt, muß sie sich von allen Bedingungen des irdischen Daseins so weit lossagen, daß der kleinste Zufall hinreichend scheint, das schwache Band, das sie noch mit demselben verbindet, völlig zu zerreißen, und die Außenwelt sowie die Sitte für die erfahrene Hintansetzung zu rächen. Jener Zufall würde ihr aber nichts anhaben können, wenn er für sie ein äußerlicher bliebe, denn sonst würde ihn die Liebe wie alle andern Dinge der Außenwelt überwinden und beseitigen; er muß sich also in die Liebe selbst verkleiden und ihr einen Irrthum über den geliebten Gegenstand erregen. Hat er dieß bei dem einen Theile vermocht, und hat dieser dann freiwillig das Band aufgehoben, das ihn noch mit der Erde verknüpfte, so hat sich für den andern der Irrthum in traurige Wahrheit verwandelt und beide flüchten aus diesem verkümmerten Dasein in ein höheres seligeres Leben, wo sich ihnen das ganz erfüllen wird, was sie hier vergebens zu verwirklichen strebten. Somit sind dann die Liebenden nicht sowohl an der Außenwelt als an der Liebe selbst zu Grunde gegangen.«

Wie dieser Grundgedanke in Romeo und Julie, der bekanntesten dieser Liebessagen, durchgeführt ist, bedarf keiner Erinnerung; auch hier geschieht es nicht ohne Verletzung wohlbegründeter sittlicher Ansprüche, die aber für die Poesie so wenig als für die Liebe Alleingültigkeit haben. »Pyramus ist in demselben Irrthum wie Romeo; er hält die Geliebte für todt, weil er ihr zerrißenes, blutiges Gewand findet. Er mißt sich selber die Schuld ihres Todes bei und ersticht sich über ihrem Gewande, wie Romeo über Juliens vermeinter Leiche das Gift trinkt.« Aber Thisbe war so wenig als Julie gestorben; allein jetzt, da jener Irrthum dem Pyramus, dem Romeo das Leben gekostet hat, giebt sich auch Thisbe den Tod, stirbt Julie vor Schmerz an der Seite des Geliebten. Ein ähnlicher Irrthum wird in Tristan erregt und tödtet ihn, und über seiner Leiche bricht Isolden das Herz. So entweicht dem Leander, der so lange der stürmenden Meerflut widerstanden hatte, die Stärke, als ihm mit Hero's Fackel der Stern der Liebe zu erlöschen schien: »Der Sturm, der ihm an sich nichts anhaben konnte, muste erst einen Umweg durch sein Gefühl nehmen, indem er die Fackel verlöschte, die seinen Muth belebte. Der Selbstmord Hero's, welcher die Geschichte beschließt, läuft nun ganz parallel mit dem der Thisbe:

Und mit fliegendem Gewande
Schwingt sie von des Thurmes Rande
In die Meerflut sich hinab.«

Gewiss würde es Gottfried verstanden haben, diese allen Liebessagen gemeinschaftliche Idee am Schluße hervorzuheben und zugleich mit den Liebenden zu versöhnen, deren tragisches Geschick es war, das sie zu all den Verirrungen hinriß, die sie nun mit dem Tode gebüßt haben. Als ihr Schicksal hatte es der Dichter gleich Anfangs hingestellt, als ein Schicksal, dem sie nicht ausweichen konnten, das ihr Leben beherscht und zu dem Tristan schon durch seine Geburt bestimmt war. Mehrfach bezeichnet der Dichter die Minne als Tristans angeerbtes Leid, das ihn zu tödten bestimmt ist, und das ihm schon den Namen gab:

Seht, wie traurig es war,
Da ihn die Mutter gebar;
Seht, wie früh die Welt ihm Noth,
Des jungen Rückens Bürde, bot:
Seht, welch ein trauriges Leben
Ihm zu leben ward gegeben;
Seht an den traurigen Tod,
Der alle seine Herzensnoth
Mit einem Ende beschloß,
Der alles Todes Übergenoß
Und aller Trauer Galle war.
Wer jemals diese Märe gar
Vernimmt, erkennt wohl, daß dem Leben
Der Nam entsprechend ward gegeben:
Er war, so wie er hieß ein Mann
Und hieß recht wie er war, Tristan.

So weiß auch Brangäne wohl, daß der Minnetrank, den die Liebenden durch ihre Wahrlosigkeit gekostet haben, ihr Tod ist. Neben diesem zwingenden Geschick, dem ihr Leben verfallen ist, soll die Unregelmäßigkeit des Verhältnisses durch beharrliche Treue bis zum letzten Athemzuge geadelt, ja geheiligt werden. Dem steht Tristans Vermählung mit der weißhändigen Isold nicht im Wege, denn auch hier kommt vor Gott und Tristans Gewissen keine Ehe zu Stande, und als ihn Kaedin wegen dieser Verschmähung seiner Schwester zu Rede stellt, entschuldigt er sich damit, daß er einer andern Isold verbunden sei, die unendlich viel schöner ihn auch so unendlich viel mehr liebe, daß sie seinen Hund, jenen Petitcriu, zärtlicher halte und pflege als seine Schwester ihren anscheinenden Gemahl. Kaedin, dem er dieß darzuthun Gelegenheit findet, erklärt sich befriedigt und sieht von seiner Herausforderung ab.

Aber auch von dem Tode der Liebenden, der sie allein mit dem Leser aussöhnen kann, muß ich noch in der Kürze berichten, und kann es nicht kürzer als mit den Worten, die ich schon einmal gebrauchte. »In einem Streit war nämlich Tristan in die alte Wunde getroffen worden, die Isolde schon einmal geheilt hat und die auch dießmal wieder nur Isolde heilen kann. Er sendet einen Boten mit einem Ringe als Wahrzeichen zu ihr und befiehlt ihm, ein weißes Segel auszuspannen, wenn er sie mitbringe, ein schwarzes, wenn sie daheim bleibe. Isolde folgt dem Boten: das weiße Segel weht von dem Schiffe; aber aus Eifersucht bringt die andere Isold, die weißhändige, dem Tristan die falsche Botschaft, ein schwarzes Segel sei aufgezogen. Bei dieser Nachricht sinkt Tristan trostlos zurück, sein Herz bricht, und das seiner herbeieilenden Geliebten über seiner Leiche. Beide wurden in ein Grab gelegt, und über Tristans Leichnam pflanzte man eine Weinrebe, über Isoldens einen Rosenstock, und diese wuchsen ineinander und konnten nicht wieder geschieden werden.« Die Vertauschung des schwarzen Segels mit dem weißen, die schon bei Theseus vorkommt, mag man mit der erloschenen Fackel in Hero und Leander und die weißhändige Isold mit dem losen Nönnchen vergleiche, das in dem entsprechenden deutschen Volksliede von den beiden Königskindern die Kerzen auslöscht.

Wir weisen noch einmal auf die Liebessage zurück, weil ihre Erwägung allein zu einer richtigen Würdigung des Grundgedankens unserer Dichtung führen kann, der ein ganz anderer ist als unsere Sitteneiferer meinten. Wie man aber auch über die Tristanssage urtheilen möge, welche der Dichter als eine hochberühmte vorfand und nach so vielen Andern zu behandeln sich zur Aufgabe setzte, Gottfried hat zuerst von der Minne mit jener Inbrunst des seelenvollsten Gefühls und in der naivsten Sprache auch mit dem hohen Schwunge gesprochen, welche des Tiefsinns der Liebessage würdig sind, und für die ihm der Kranz gebührt, den ihm seine Zeit gereicht hat, und den ihm auch die Nachwelt nicht versagen wird. Bedarf er sonst der Entschuldigung, so mag er diese selber bei dem Leser nachsuchen. Unsere Aufgabe war es, ihn in jetzt noch verständlichem Deutsch zu Worte kommen zu laßen. Ist uns dieß gelungen, so zweifeln wir nicht, daß er seine Sache beßer zu führen wißen werde, als wir es vermöchten; denn, mit dem Dichter zu reden, dem auch so Vieles missdeutet wird,

Wer einmal uns versteht
Wird uns auch verzeihn.

Schließlich versäumen wir nicht von den großen Anfangsbuchstaben Rechenschaft zu geben, welche beim Eingange des Gedichts der Druck auszeichnet. Das G der ersten Strophe wird Gottfrieds eigenen Namen bedeuten. Die neun weitern bilden den Namen Dieterich: so hieß wohl des Dichters Gönner, welchem er sein Werk widmete. Die nun folgenden I und T, welche Seite 6 und 7 noch einmal zurückkehren, hat der Leser gewiss schon selbst auf Isold und Tristan bezogen.


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