Gottfried von Straßburg
Tristan und Isolde
Gottfried von Straßburg

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IV. Das Schachzabelspiel.

         

Um diese Zeit von Ohngefähr
Begab es sich, daß über Meer
Ein Schiff mit Kaufmannswaaren
Von Norweg gefahren
In das Land Parmenien kam,
Wo es seine Ladung nahm.
Das legte sich zu Kanoel
Vor das selbe Castel,
Wo der Marschall Rual
Seine Wohnung hatte dazumal
Mit seinem Junker Tristan.
Als diese Kaufleute dann
Die Buden hatten aufgeschlagen,
Da hörte man bei Hofe sagen
Was da zu kaufen wäre.
Auch vor Tristan kam die Märe,
Und nicht zu seinem Heile,
Da wären Falken feile
Und sonst manch schönes Federspiel.
Des Rühmens ward davon so viel,
Daß von des Marschalls Kindern zwei
(Denn Kinder sind da flugs dabei)
Einig wurden unverwandt,
Daß sie Tristanden an die Hand,
Den vermeinten Bruder, nahmen,
Und vor den Vater kamen
Und baten, daß er ihnen,
Tristan damit zu dienen,
Dieser Falken kaufen hieße.
Der edle Rual ließe
Sich so nicht leicht vergeblich flehn:
Es muste Alles vor sich gehn
Was seinem Tristan gefiel.
Denn ihn hielt er werther viel,
Und bot es beßer dem Einen
Als irgend Wem der Kleinen
Vom Land und vom Gesinde;
Auch keinem leiblichen Kinde
Zeigt' er sich so zugethan.
Der Welt erwies er wohl daran,
Wie vollkommner Treu er pflag,
Wie viel Ehr und Tugend in ihm lag.

Da stand er auf und nahm zuhand
Seinen Sohn Tristanden an die Hand
Nach gutem väterlichen Brauch.
Seine andern Söhne folgten auch
Und des Hofgesindes viel,
Seis im Ernste, seis zum Spiel.
Sie giengen mit an den Strand,
Und woran man da Gefallen fand,
Wozu Wer Wunsch und Willen trug,
Des fand er da zu Kauf genug.
Kleinode, Seide, gut Gewand,
Das war in Fülle da zur Hand;
Auch gab es schönes Federspiel,
Aus fremden Landen Falken viel,
Sperber und Schmierlein,
Habichte groß und klein,
Und auch mit rothen Schwingen,
Von allen diesen Dingen
War der Markt überreich.
Tristanden hieß man kaufen gleich
Habichte und Schmierlein.
Seinen Brüdern (die es sollten sein)
Kauft' er auch um seinetwillen,
Ließ allen drein die Wünsche stillen,
Wohin sie immer zielten.

Als sie nun so erhielten
Alles was sie wollten
Und nun nach Hause sollten,
Von Ohngefähr geschah es da,
Daß Tristan in dem Schiffe sah
Ein Schachzabel hangen,
Am Bret und an den Spangen
Gar schön und wohl gezieret,
Nach allem Wunsch formieret.
Dabei hieng das Gesteine,
In edelm Helfenbeine
Ausergraben meisterlich.
Tristan sahs und freute sich
Gar sehr, der Knabe tugendreich.
»Ei, edle Kaufherrn«, sprach er gleich,
»So Gott euch helfe, könnet ihr
Schachzabelspiel? Das saget mir.«
Und sprachs in ihren Zungen.
Sie sahen sich den Jungen
Aufmerksamer an darnach,
Als er in ihrer Sprache sprach,
Die Wenge sprechen konnten.
Auf seinen Wuchs begonnten
Sie zu sehn und seine Gaben;
Da däuchte sein Gehaben
Sie so schön und wohlgethan
Wie sie noch keinen Jüngling sahn.
Ja, sprach der Eine, ihrer viel
Sind unter uns, die Dieses Spiel
Wohl können; wollt ihr die Beweise,
Die stehn zu Dienst auf alle Weise:
Kommt her, ich will euch selbst bestehn.
Tristan sprach: Das soll geschehn.
Da setzten sie sich hin zum Spiel.
Der Marschall sprach: »Tristan, ich will
Nach Hause, mein Geschäft betreiben;
Willst du, so magst du hier verbleiben.
Meine andern Söhne gehn mit mir;
Dazu ist auch dein Meister hier:
Der hüte dein an diesem Ort.«

So gieng der Marschall wieder fort
Mit allem dem Gesinde;
Bei Tristan blieb, dem Kinde,
Sein Meister, der sein immer pflag,
Von dem ich euch wohl melden mag,
Wie uns die Mären sagen,
Daß an höfischem Betragen,
An Geschlecht und Herzensadel
Nie ein Knappe war so ohne Tadel;
Er ward der Kurvenal genannt.
Ihm war viel höfsche Zucht bekannt,
So daß er den wohl mocht in Ehren
Erziehen, der von seinen Lehren
Noch viel tugendliche Zucht gewinnt.
Dieses tugendliche Kind,
Der wohlgezogne Tristan,
Saß und spielte für sich an
So schön, so klug und so fein,
Daß die Fremden insgemein
Die Augen auf ihn wandten
Und sich insgeheim bekannten,
Daß sie nie so jungen Jahren
Noch sahn so große Zucht sich paaren.
Wie ihnen aber auch sein Spiel
Und sein Benehmen all gefiel,
Das war doch wider dieß ein Wind:
Das nahm sie Wunder, daß ein Kind
So viel der Sprachen hatt errungen:
Denn es floß ihm von der Zungen
Wie sie es nie vernommen,
So weit sie noch gekommen.
Wie er höfisch war am Hof erzogen,
Um keine Höflichkeit betrogen,
Ließ er viel fremde Zabelworte
Einfließen stäts am rechten Orte:
Die sprach er wohl, der wust er viel
Und zierte gern damit sein Spiel.
Er sang auch wohl zu preisen
Chansons und schöne Weisen,
Refräns und Stampenîeen.
Mit solchen Curtoisîeen
Trieb er es so lange fort
Bis die Handelsleute dort
Zu Rathe wurden unter sich,
Könnten sie durch einen Schlich
Ihn behalten und von hinnen bringen,
Sie möchten Ehr an ihm erringen,
Dazu auch hohen Gewinn.
Das zogen sie nicht lange hin:
Sie geboten ihren Rudrern gleich
Ihnen Hand zu leisten zu dem Streich,
Und lösten selbst den Anker schon,
Daß nichts zur Sprache kam davon.
Das Schiff stieß ab und fuhr hindann
So leise, daß es Tristan
Und Kurvenal nicht ward gewahr
Bis sie es hatten von dem Fahr
Eine ganze Meile weit gebracht:
Die waren auf ihr Spiel bedacht,
Auf ihr Schachzabel, alsosehr,
Daß sie an nichts andres mehr
Hatten als ans Spiel gedacht.

Als das Spiel nun war vollbracht
So daß es Tristan gewann,
Und der sich umzusehn begann,
Da sah er wohl, woran sie waren.
So leidig saht ihr nie gebahren
Ein Mutterkind mit Jammermienen.
Aufsprang er und stand unter ihnen:
»Ach edle Kaufherrn«, rief er aus,
»Wo wollt ihr nur mit mir hinaus?
Wohin denn, saget, bringt ihr mich?« –
»Seht, Freund«, sprach Einer säuberlich,
»Nichts kann euch mehr davor bewahren,
Ihr müßt mit uns von hinnen fahren.
Drum bleibet still und wohlgemuth.«
Da hub Tristan, das arme Blut,
So jämmerlich zu klagen an,
Daß Kurvenal sein Freund begann
Zu weinen mit dem Knaben
Und sich also zu gehaben,
Daß all das Kielgesinde
Von ihm und von dem Kinde
Unmuth und Kummer gewann.
Sie setzten Kurvenalen dann
In ein kleines Schifflein,
Und legten zu ihm darein
Ein Ruder und ein kleines Brot
Zu der Fahrt und für des Hungers Noth,
Und sagten ihm, er solle
Fahren, wohin er wolle;
»Doch Tristan der muß mit uns fort.«
Sie fuhren hin mit diesem Wort
Und ließen ihn da schwebend,
In manchen Sorgen bebend.

Der Meister schwebte auf der See;
In mancher Weise war ihm weh:
Weh um das Ungemach, das da
Seinem Tristan geschah;
Weh auch um die eigne Noth.
Denn er fürchtete den Tod,
Weil er nicht konnte schiffen:
Er hatt es nie begriffen.
Da klagte laut der arme Mann:
»Ach, lieber Gott, was fang ich an!
In solche Sorge kam ich nie.
Nun bin ich ohne Leute hie
Und versteh auch selber nicht zu fahren.
Du sollst mich, Gott und Herr, bewahren
Und mein Gefährte sein von hinnen.
Was ich nie begann, beginnen
Will ich auf die Gnade dein:
Wolle mein Geleiter sein!«
Hiemit das Ruder griff er an
Und fuhr auf Gottes Trost hindann
Und kam in kurzer Stunde
Der Gotteshülf im Bunde
Nach Haus und sagte Märe
Wie es ergangen wäre.
Der Marschall und sein selig Weib
Wandten wider ihren Leib
So jämmerlicher Klage Noth,
Läg er vor ihren Augen todt,
Ihnen könnte diese Pein
Näher nicht gegangen sein.
So giengen sie Beide
Im gemeinsamen Leide,
Und all ihr Ingesinde,
Nach dem verlornen Kinde
Weinen an des Meers Gestad.
Manche Zunge da mit Treue bat,
Daß Gott dem Kinde gnädig sei.
Der Klage ward da mancherlei,
Bald so bald so, die man vernahm
Und als es an den Abend kam,
Da sie von dannen schieden,
Die Klage, erst verschieden,
Die klang da gar einhellig:
Sie klagten nun gesellig,
Sie riefen hier und riefen dort
Nichts anders als das eine Wort:
»Bêas Tristan, curtois Tristant,
Ton Cors, ta vie a Dê comant!«
»Dein schöner Leib, dein süßes Leben
Sei Gottes Hut anheim gegeben!«

Die Norweger führten ihn
Inzwischen immer mit sich hin,
Und gieng es nur wie sie gedacht,
Sie hättens wohl an ihm vollbracht
Nach ihrem Willen und Begehr.
Doch anders schuf es Alles Der,
Der alle Dinge schlichtet,
Schlichtend zurechte richtet,
Dem alle Dinge, Meer und Wind,
In Furchten unterthänig sind.
Wie Der es wollte, ders gebot,
Erhob sich solche große Noth
Von Sturmwetter aus dem Meer,
Daß sie sich Alle selbst nicht mehr
Hülflich wusten beizustehn:
Sie ließen halt ihr Schifflein gehn
Wohin es wilde Winde trieben.
Ihnen selber war kein Trost geblieben,
Für Leib und für Leben:
Sie hatten sich begeben
Aller Hülf, als jener armen Steuer,
Die da heißet Abenteuer.
Den Zufall ließen sie es lenken,
Ob sie entgiengen ob ertränken;
Denn ihres Treibens war nicht mehr,
Als daß sie mit dem wilden Meer
Jetzt in den Himmel stiegen,
Um gleich hinab zu fliegen
In den tiefsten Schlund der Höllen.
So trieben sie die Wellen
Bald auf und bald nieder,
Bald hin und bald herwieder.
Bei so heftigem Schwanken
Des Schiffs war kein Gedanken,
Auf seinen Füßen zu stehn.
So must es ihnen ergehn
Wohl der Tag und Nächte acht.
Sie hätten schier des Leibes Macht
Und den Sinn verloren gar.
Einer sprach da von der Schar:
»Ihr Herren alle, Gott weiß,
Mich dünket, es sei Sein Geheiß,
Wie wir in Aengsten leben
Und kaum noch lebend schweben
Über Abgründen:
Das kommt von den Sünden
Und den Untreuen her,
Daß wir Tristan auf das Meer
Von seinen Freunden lockten.«
Ja, sprachen die Verstockten,
Sieh, so ist es, das ist wahr.
Alsbald berieth sich die Schar,
So sie eine Stille finden
An Waßer möchten und Winden,
Und zu Gestade stießen,
Daß sie dann gern ihn ließen
Gehn, wohin er möchte gehn.
Und siehe, kaum war das geschehn,
Daß dieß ihr aller Wille ward,
Da sah man ihre schlimme Fahrt
Gesänftet gleich zur Stelle.
Es ließen Wind und Welle
Von ihrer ungestümen Wuth:
Still senkte sich die Meeresflut,
Licht schien die Sonne wie vorher.
Da bedachten sie sich auch nicht mehr,
Denn in den sieben Tagen
Hatte sie der Wind geschlagen
Gen Cornewal, dem Lande.
Sie waren seinem Strande
Nun mit Einem Mal so nah,
Daß man das Gestade sah.
Sie eilten sich zu landen
Und setzten Tristanden
An das Land in einem Boot,
Und gaben ihm darein ein Brot
Und andrer Speise noch ein Theil,
Und sprachen: »Gebe Gott dir Heil
Und wolle deines Lebens pflegen.«
Sie boten all ihm ihren Segen
Und wandten sich alsbald hindann.

Nun wie gehabte sich Tristan?
Unser armer Tristan? Ja,
Das arme Kind saß weinend da,
Denn Kinder haben anders keinen
Trost in ihrem Leid als Weinen.
Trostlos im Elende
Hob es seine Hände
Zu Gott empor gefaltet:
»Gott, der im Himmel waltet,
Da du so reich an Gnaden bist
Und deine Güt ohn Ende ist,
Viel süßer Gott, so bitt ich dich,
Daß du noch Gnade gegen mich
Gütig begehst, nachdem dein Rath
Dieß über mich verhänget hat,
Daß ich so weit verschlagen bin.
Nun weise mich doch noch dahin,
Wo ich bei Leuten möge sein.
Weit schau ich in die Welt hinein
Und seh kein Leben rings umher:
Die große Wildniss schreckt mich sehr.
Wohin mein Blick sich wende,
Da hat die Welt ein Ende;
Wohin ich ihn kehre,
Da seh ich in das Leere,
In ein öd Gefilde,
In Wüste und Wilde,
Auf wüste Felsen, wilde See.
Diese Furcht thut mir so weh;
Am allermeisten sorg ich,
Die wilden Thiere freßen mich,
Wohin ich immer gehen mag.
Auch erseh ich, daß der Tag
Dem Abend entgegen eile.
Wenn ich also länger weile,
Daß ich nicht hinnen gehe,
Daran geschieht mir wehe:
Denn eil ich nicht von hinnen bald,
Und benacht ich in dem Wald,
So ists um mich geschehen.
Nun seh ich bei mir stehen
Viel hoher Berg und Felsen hier:
Von denen will ich einen mir
Erklimmen, so ich kann und mag,
So lange mir noch scheint der Tag,
Ob nicht ein Gebäude da
Stehe fern oder nah,
Wo ich Leute finde
Als deren Ingesinde
Ich möge leben und gedeihn
Wie es immer möge sein.«

So stand er auf und gieng hindann.
Rock und Mantel hatt er an
Von edelm Pfellel, der war
Von Gewürke wunderbar:
Es hatte Sarazenenhand
Mit seinen Börtlein dieß Gewand
Zu aller Augen Preise
Nach heidnischer Weise
Gar künstlich durchwoben;
Auch war der Schnitt zu loben
Und so sehr nach seinem schönen Leib,
Daß wohl niemals Mann noch Weib
Schönre Kleider mochten schneiden,
Die so ziemten wie die beiden.
Auch meldet uns die Märe,
Dasselbe Pfellel wäre
Grüner als das Maiengras,
Und was als Futter drunter saß,
Das war ein weißer Hermelin,
Der alle Weiße überschien.

Also macht' er sich bereit
Weinend und voll Traurigkeit
Zu seiner mühsamen Fahrt.
Da ihm die Fahrt nicht ward erspart,
Den Rock da zog er zu dem Lauf
Ein wenig unterm Gürtel aus;
Den Mantel aber schlug er ein
Und legt' ihn auf sein Achselbein,
Und stieg so gen der Wilde
Durch Wald und durch Gefilde.
Er hatte weder Weg noch Pfad
Als den er selber erst sich trat:
Die Füße bahnten ihm den Weg,
Die Hände legten ihm den Steg;
Er ritt die eignen Arm und Beine
Über Stock und über Steine,
Bis er den Berg hinan geklommen
Auf eine Höhe war gekommen.
Da kam ihm von Ohngefähr
Ein wilder Waldsteig in die Quer,
Mit Gras bewachsen und schmal:
Den gieng er jenseits zu Thal.
Er trug ihn in die Richte hin;
In kurzer Weile bracht er ihn
Auf eine schöne Straße,
Breit in guter Maße
Und viel befahren auf und ab.

Da setzte sich der gute Knab
Zu ruhen weinend nieder.
Da trug sein Herz ihn wieder
Zu den Freunden und dem Land,
Wo ihm ein Jeder war bekannt.
Da fiel ihn großer Jammer an;
Zu jammern hub er wieder an
Und klagte Gott sein Ungemach.
Herzinnig blickt' er auf und sprach:

»Gott, mein Herr und Rather,
Meine Mutter und mein Vater,
Wie verloren sie mich nun!
Weh, was ließ ich nicht beruhn
Mein leidiges Schachzabelspiel,
Das ich immer haßen will!
Sperber, Falken, Schmierlein,
Die laße Gott unselig sein:
Sie raubten meinem Vater mich.
Um ihretwillen schied ich
Von Freunden und Verwandten.
Alle die mich kannten,
Mir gönnten Lieb und Gutes,
Die sind nun trübes Muthes
Und haben Angst und Noth um mich.
Ach süße Mutter, wie du dich
Mit Klage quälst, ich weiß es wohl.
Dein Herz ist, Vater, Leides voll:
Ich weiß wohl, daß ihr Beide
Überladen seid mit Leide.
Und Gott im Himmel! wüst ich doch,
Daß ihr wüstet, daß ich noch
Gesund bin und das Leben habe:
Eine große Gottesgabe
Wär das euch, darnach auch mir.
Denn fürwahr, ich weiß, daß ihr
Kaum oder nie mehr werdet froh,
Es füg es denn der Himmel so,
Daß ihr erfahrt, ich sei geborgen.
Tröster du in allen Sorgen,
Gott im Himmel, füge das.«

Derweil der Knabe also saß
Klagend wie ich kund gethan,
Sah er von fern zu sich heran
Zwei alte Waller kommen,
In Gottseligkeit der Frommen
Betagt schon beid' und hochbejahrt,
Dazu bebartet und behaart
Wie meist die Waller sind, die wahren
Kinder Gottes, wenn sie fahren.
Diese Wallenden beide
Trugen zum Kleide
Leinmäntel an und solch Gewand,
Wie es ziemt dem Wallerstand.
Mit Meermuscheln man es sah
Besetzt von außen hier und da;
Und fremder Zeichen sonst genug.
Ihrer Jedweder trug
Den Pilgerstab an der Hand;
Ihre Hüt und all ihr Beingewand
Ganz nach der Waller Rechte.
Dieselben Gottesknechte
Trugen an den Schenkeln
Leinhosen, ob den Enkeln
Eine Handbreit wohl zu klein,
Doch straff gebunden an das Bein;
Füß und Enkel waren bloß
Für den Tritt und für den Stoß.
Sie trugen auf den Schultern auch
Nach des Büßerlebens Brauch
Den frommen Schmuck der Palmen.
Ihr Gebet und ihre Psalmen
Und was sie konnten Gutes
Lasen sie selgen Muthes.

Tristan, als er sie kommen sah,
Zu sich selber ängstlich sprach er da:
»Du mein gnädger Herr und Gott,
Wie werd ich jetzo gar zu Spott!
Die beiden Männer, die da gehn,
Wenn sie mich hier sitzen sehn,
Sie mögen mich wohl fahen.«
Doch als sie ihm zu nahen
Begannen, daß ihr Pilgerstab
Und Kleid sie zu erkennen gab,
Da verstand er wohl ihr geistlich Leben
Und begann den Muth emporzuheben.
Sein Gemüthe ward ein wenig froh;
Aus vollem Herzen sprach er so:
»Dank dir, gnädger Herre mein;
Dieß mögen gute Leute sein.
Ich darf nicht Angst vor ihnen haben.«
Alsbald geschah es, daß den Knaben
Die Zwei vor ihnen sitzen sahn.
Wie höfisch er bei ihrem Nahn
Vor ihnen auf vom Sitze sprang
Und die schönen Hände vor sich zwang
Alsbald begannen ihn die Zween
Aufmerksamer anzusehn,
Und wurden seiner Zucht gewahr.
Freundlich trat heran das Paar
Und begann ihn mit dem süßen
Gruße zu begrüßen:
»Dê vous sal, bêas amis!«
»Viel lieber Freund«, bedeutet dieß,
»Gott möge dich erhalten.« –
»Ei«, sprach er, »Dê benîe
Si sainte Compagnîe.«
»So heilige Gesellschaft
Segne Gott mit seiner Kraft.«
Da sprachen ihm die Beiden zu:
»Liebes Kind, woher bist du,
Oder was hat dich hierher gebracht?«

Tristan war gar wohl bedacht
Und gewandt genug in jungen Tagen;
Er begann sein Märchen vorzutragen:
»Ihr frommen Herren«, sprach er gleich,
»Ich bin daheim in diesem Reich
Und sollte reiten heute,
Ich und andre Leute,
Zur Jagd in diesem Walde da.
Da entritt ich, wie es nun geschah,
Den Hunden und dem Jagdgesind.
Die der Waldsteige kundig sind,
Die ritten beßer als ich,
Denn ohne Steig verritt ich mich
Bis ich ganz verirret war.
Da nahm ich eines Holzwegs wahr,
Der brachte mich an einen Graben:
Da ließ mein Pferd sich nicht enthaben,
Es wollte immer weiter
Bis endlich Ross und Reiter
Fiel auf Einen Haufen nieder.
Nun konnt ich so geschwind nicht wieder
In meines Rosses Bügel,
Es entriß mir Zaum und Zügel
Und lief in den Wald vor mir.
So kam ich an dieß Pfädchen hier;
Das hat mich hergetragen.
Nun kann ich Niemand sagen,
Wo ich bin, wohin ich soll.
Nun, gute Leute, thut so wohl
Und sagt mir an, wo wollt ihr hin?« –
»Freund«, sprachen sie da wider ihn,
»Ist es der Wille Gott des Herrn,
So wären wir noch heute gern
Zu Tintajöl in der Stadt.«
Da hub er gütlich an und bat,
Daß sie ihn ließen mit sich gehn.
»Lieber Freund, das soll geschehn«,
Sprachen die Waller zu dem Kind,
»Willst du dahin, so komm geschwind.«

Da gieng mit ihnen Tristan.
Unterweges entspann
Sich der Rede mancherlei.
Wie jung der höfsche Tristan sei,
Mit Reden war er doch so schlau,
Daß er auf jedes Wort genau,
Sie fragten dieses oder das,
Die Antwort gab im rechten Maß.
Er wog auf seiner Wagen
Sein Reden und Betragen
So scharf, daß es die Weisen,
Die hochbetagten Greisen,
Für Gottesgaben achteten
Und erstaunt betrachteten,
Wie sein Anstand leicht und frei
Und von Leib wie schön er sei.
Die Kleider, die er an sich trug,
Betrachteten sie auch genug,
Weil Alles reich und edel war,
Und das Gewürke wunderbar.
Da sprachen sie in ihrem Muth:
»Ach, lieber Gott im Himmel gut,
Wer oder wannen ist dieß Kind,
Des Sitten also edel sind?«
Sie giengen ihn betrachtend,
Auf all sein Wesen achtend,
Und hatten Kurzweile
Wohl eine welsche Meile.


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