Gottfried von Straßburg
Tristan und Isolde
Gottfried von Straßburg

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VII. Wiederfinden.

                 

Don Rual li foitenant
Fuhr aus Parmenîe dem Land
Über Meer mit großem Gut,
Denn also stand ihm der Muth,
Nicht wieder wollt er kommen,
Er hätte denn vernommen
Zuvor gewisse Märe,
Wo sein Junker wäre.
So kam er gen Norwegen:
Da forscht' er allerwegen
Umher in den Landen
Nach seinem Freund Tristanden.
Was half ihm das? er war nicht da,
Sein Suchen all umsonst geschah.
Als er ihn dort nicht heimisch fand,
Gen Irland wandt er sich zuhand.
Da konnt er, seht, auch dort nicht mehr
Von ihm erfahren als vorher.
Doch weil sich jetzt sein Gut begann
Zu mindern, daß es schier zerrann,
Bequemt' er sich, zu Fuß zu laufen
Und seine Pferde zu verkaufen
Er schickte seine Leute
Heim mit dem letzten Deute;
Sich selber ließ er in der Noth
Und gieng betteln um das liebe Brot.
So trieb er fort sein Wandern
Von einem Reich zum andern,
Von Landen zu Landen,
Und forschte nach Tristanden
Drei Jahre wohl oder mehr,
Bis er endlich all so sehr
Von seines Leibes Schöne kam
Und also ab an Farbe nahm,
Daß wer nicht zuvor gekannt sein Wesen,
Daß er je ein Herr gewesen
Wohl schwerlich glauben würde.
Diese schmähliche Bürde
Der Landstreichergestalt,
Trug der edle Don Rualt
Ohne daß die Armut,
Wie sie weiß Gott doch Manchem thut,
Den guten Willen ihm benahm.
Als es ins vierte Jahr nun kam,
Da war er in Dänemark
Und sucht' und forscht' auch da so stark
Von Statt zu Stätten fern und nah;
Von Gottes Gnaden traf er da
Jene beiden Pilger an,
Die sein Jungherr Tristan
Damals auf dem Waldweg fand.
Nach diesem fragt' er sie zuhand;
Auch sagten sie ihm Märe,
Wann und wie lang es wäre,
Daß ihnen eben solch ein Knabe
Aufstieß wie er beschrieben habe,
Des Führer sie nicht lang geblieben;
Wobei sie ihn genau beschrieben
Nach Antlitz und Haaren,
Nach Reden und Gebahren,
Dazu nach Wuchs und Gewand;
Und wie geschickt und gewandt
Sein Gehaben war in allen Dingen.
Wer mocht es noch in Frage bringen,
Ob es sein lieber Jungherr wär?
Die beiden Waller bat er sehr,
Daß sie ihm doch die Stätte,
Wo er sie verlaßen hätte,
Wenn sie die anders kennten,
Um Gotteswillen nennten.
Da sagten sie dem Marschall:
»Bei Tintajöl in Cornewal
War es, wo wir von ihm kamen.«
Da ließ er mehrmals sich den Namen
Nennen des Orts, und sprach zumal:
»Nach welcher Hand liegt Cornewal?«
»Es stößt«, versetzten sie sogleich,
Jenseits auf Britannenreich.«

Ach, dacht er, Gott und Herre mein,
Hier zeigt sich deiner Gnade Schein.
Ist Tristan, wie ich hier vernommen,
Denn nach Cornewal gekommen,
So ist er unbewust daheim,
Denn Marke ist sein Oheim.
Gott, weise mich auf gleiche Pfade;
Ach, süßer Gott, in deiner Gnade
Laß mir nur noch so wohl geschehn,
Daß ich Tristanden möge sehn.
Von der Märe, die ich hier vernommen,
Laß mir noch Herzensfreude kommen.
Sie gefällt mir wohl und ist auch gut:
Ich fühle meinen schweren Muth
Erleichtert, seit ich sie gewann.
»Ihr selgen Leute«, sprach er dann,
»Mög euch der Jungfrau Sohn bewahren;
Ich will auf meine Straße fahren
Und sehn, ob ich ihn finde.«
»Er weis' euch zu dem Kinde,
Der aller Welten hat Gewalt.«
»Dank«, sprach der gute Don Rualt;
»Gebietet mir, ich muß zur See.«
»Freund«, sprachen sie, »ade, ade!«

Da schritt der Marschall immer zu,
So unverdroßen, daß zur Ruh
Er keinen halben Tag sich nahm,
Bis daß er zu dem Meere kam.
Da fand er Ruh, das war ihm leid:
Denn noch lag kein Schiff bereit;
Doch als ein Schiff sich endlich fand,
Fuhr er nach Britannenland.
Durch Britannien streift' er hin
Mit so eifrigem Sinn,
Daß nie ein Tag so lange währte,
Daß er je zu ruhn begehrte:
Er durchstrich ihn bis zur Nacht.
Ihm gab dazu die Hoffnung Macht,
Daß er Tristanden finden werde:
Die macht' ihm jegliche Beschwerde
Sanft und alle Mühe leicht.
Als Cornewal nun war erreicht,
Da fragt' er nach der Märe,
Wo Tintajöle wäre;
Und als man ihm die Weisung gab
Setzt' er weiter seinen Stab
Und kam dahin nach kurzer Müh
Eines Sonnabends früh,
Als man zur Messe sollte gehn.
Da gieng er vor das Münster stehn,
Und sah vorüber ziehn die Leute.
Da hielt er lang sich still und scheute,
Und spähte, ob er einen
Darunter sah erscheinen,
Der ihm zu seiner Frage
Bescheidentlich behage.
Denn allzeit dacht er noch bei sich:
»Dieß Volk ist schmucker viel als ich;
An wen hier meine Frag ergeht,
So fürcht ich, daß er es verschmäht
Mich zu bescheiden über ihn,
Weil ich so schlecht gekleidet bin.
Nun rathe Gott, was fang ich an.«

Der König Marke zog heran
Mit einer herrlichen Schar.
Der getreue Mann nahm ihrer wahr
Und ersah nicht, den er wollte;
Dann, als der König sollte
Von der Messe heim zu Hofe gehn,
Da gieng Rual zur Seite stehn
Und trat dann mit bescheidnem Sinn
Zu einem alten Hofmann hin:
»Ach, Herr«, begann er, »saget mir
Bei eurer Güte, wißet ihr
Ob hier ein Kind am Hof verkehrt –
Man sagt, es sei dem König werth,
Und ist Tristan genannt.«
»Ein Kind«, sprach Jener gleich zur Hand,
»Ich weiß von keinem Kinde;
Ein Knapp ist hier Gesinde,
Der nächstens nehmen soll das Schwert.
Dem König ist er lieb und werth,
Denn er weiß der Künste viel
Und manch höfisches Spiel;
Und ist nun aus den Kinderschuhn:
Ein starker Jüngling ist er nun
Mit braungelockten Haaren
Und schönem Gebahren.
Fremd ist hier der junge Mann.
Den wir heißen Tristan.«
»Nun sagt mir, Herr«, sprach Rual da,
»Seid ihr hier Ingesinde?« – »Ja.«
»So ehrt euch selbst damit und thut
Mir das Eine noch zu gut;
Gewiss, ihr thut sehr wohl daran:
Sagt ihm, hier sei ein armer Mann,
Der ihn sprechen möcht und sehn.
Laßt ihn auch dabei verstehn,
Ich sei von seinen Landen.«
Da sagte Der Tristanden,
Ihm sei ein Landsmann gekommen.
Tristan kam, als ers vernommen,
Und sobald er ihn ersah,
Mit Mund und Herzen sprach er da:

»Ei, so sei gebenedeit
Gott im Himmel allezeit,
Daß ich dich, Vater, hab erschaut.«
So grüßt' er erst ihn überlaut;
Dann lief er freudig auf ihn an
Und küsste den getreuen Mann,
Wie ein Kind den Vater soll.
Das war auch billig und wohl,
Es waren Vater und Kind.
Von allen Vätern, die nun sind
Oder jemals waren, that wohl sicher
An seinem Kinde väterlicher
Keiner als an ihm Rual.
Ja, Tristan hatte hier zumal
Vater, Mutter, Bruder, Mann:
Alle Freunde, die er je gewann,
Hielt er in den Armen da.
Gar inniglich begann er: »Ah!
Getreuer Vater, theurer Mann,
Meine liebe Mutter, sag mir an,
Meine Brüder, leben sie auch noch?«
»Ich weiß nicht«. sprach er, »Sohn; jedoch
Sie lebten, als ich scheiden muste.
Allein von deinem Verluste
Betraf sie nicht geringes Leid;
Doch wie sie lebten seit der Zeit,
Das kann ich dir nicht sagen.
Ich sah seit langen Tagen
Niemand, den ich sonst gekannt,
Wie ich auch unser Heimatland
Seit dem unselgen Tag nicht sah,
Da mir an dir so weh geschah.«
»Ach, trauter Vater«, fiel er ein,
»Was soll mir das für Märe sein:
Wohin ist dein schöner Leib gekommen?«
»Sohn, den hast Du mir benommen.«
»So will ich dir ihn wieder geben.«
»Sohn, das möchten wir erleben.«
»Vater, so komm zu Hof mit mir.«
»Dahin, Sohn, geh ich nicht mit dir:
Du siehst wohl selbst, ich wäre
Dem Hofe nicht zur Ehre.«
»Doch, Vater, doch, es muß geschehn,
Mein Herr, der König, soll dich sehn.«
Rual, der höfsche, gute,
Gedacht in seinem Muthe:
»Bei Marke schadet mir nicht groß,
Wenn er mich sieht so nackt und bloß:
Er wird mich gerne schauen,
Denn ich kann ihm vertrauen,
Daß er seinen Neffen bei sich hat.
Und wenn ich Alles, was ich that,
Von Anfang bis zu Ende sage,
So scheint ihm schön, was ich auch trage.«

Tristan nahm ihn bei der Hand;
All sein Schmuck und sein Gewand
War, wie es da nur konnte sein,
Ein armselig Röckelein,
Verschabt und verschlißen
Und hier und da zerrißen:
Das hatt er ohne Mantel an.
Die Kleider, die der gute Mann
Unter seinem Rocke trug,
Die waren jämmerlich genug,
Vernutzt und auch beschmutzt sogar.
Durch Versäumniss war sein Haar
Am Haupt und an dem Barte
So verfilzt zu der Schwarte,
Daß er wie ein Wilder sah;
Auch gieng der Preisliche da
Bloß an Füßen und an Beinen,
So verwittert must er auch erscheinen
Wie alle Die natürlich sind,
Denen Frost und Hunger, Sonn und Wind
Schein und Farbe hat benommen.
So sah man ihn vor Marke kommen.
Als der ihm in die Augen sah,
Zu Tristan sprach Herr Marke da:
»Sag an, Tristan, wer ist der Mann?«
»Mein Vater, Herr«, so sprach Tristan.
»Ist das wahr?« – »Ja, Herre mein.«
»So soll er uns willkommen sein«,
Sprach da Marke freudiglich;
Höfisch neigte Rual sich.

Da kam alsbald die Ritterschaft
Gelaufen wie mit Heereskraft,
Auch drang das Hofgesind heran
Und Alle riefen Mann für Mann:
»Sire, Sire, Dê us sal.«
Nun sollt ihr wißen, daß Rual,
Trug er jetzo leider
Unhofgemäße Kleider,
So war doch kaum auf Erden
An Leib und an Geberden
Ein Mann vollkommener als er.
Er sah gar adellich und hehr
Und war von Gliedern und von Mark
Gewachsen wie ein Heune stark;
Seine Arm und Beine waren lang,
Schön und herrlich war sein Gang,
Nichts fehlte seiner Wohlgestalt;
Nicht zu jung auch war er noch zu alt,
Nein, eben in den besten Jahren,
Wo Jugend sich und Alter paaren
Und dem Leben rechte Kraft verleihn.
So fürstlich sah er darein
Wie ein Kaiser schauen soll.
Seine Stimme wie ein Horn erscholl;
Seine Reden waren wohl gesetzt.
Gar herrlich sah man ihn jetzt
Vor all den Herren stehn im Saal;
Es war nicht heut das erste Mal.

Da begannen sich mit Staunen
Herrn und Ritter zuzuraunen;
Sie sprachen hin, sie sprachen her:
Ja, sprachen Alle, ist das der?
Ist das der höfsche Kaufmann,
Zu dessen Ruhm sein Sohn Tristan
So viel uns sprach zu mancher Zeit?
Wir haben von der Würdigkeit
Des Mannes Wunder viel vernommen:
Wie ist er so zu Hof gekommen?
Viel solcher Rede noch geschah;
Der gute König schickt' ihn da
Sogleich zur Kemenaten
Und ließ ihn da berathen
Mit herrlichen Gewanden;
Auch ward er von Tristanden
Gebadet und gekleidet schnelle.
Ein Hütlein war für ihn zur Stelle,
Das setzt' aufs Haupt der werthe Mann:
Da stand es keinem beßer an,
Denn schön von Antlitz war der Held,
Jeder Zug ins Ebenmaß gestellt.

Tristan nahm ihn an die Hand
Herzlich, wie ers im Herzen fand,
Und führt' ihn wieder hin zu Mark.
Da begann er ihnen stark
Und mächtig zu gefallen.
Eine Rede wars bei Allen:
Seht, wie gut Gewand so bald
Den Mann gemacht hat wohlgestalt!
Die Kleider stehn dem Kaufmann
Schön, ja unvergleichlich an;
Auch schaut er selber fürstengleich.
Wer weiß, er ist der Ehren reich:
Er hat davon die Weise wohl,
Wenn man die Wahrheit sagen soll.
Seht nur, wie herrlich er geht
Und wie ihm Thun und Laßen steht
In höfischen Gewanden.
Auch mag man an Tristanden
Seinen Werth gar wohl erschaun:
Ein Geschäftsmann könnte traun
Sein Kind so höfisch nicht erziehn,
Wär ihm nicht edler Sinn verliehn.

Als man jetzt das Waßer nahm
Und der König zu den Tischen kam,
Da setzt' er seinen Gast Rual
An seine Tafel und befahl,
Daß man ihm höfisch dien und wohl
Wie man dem Höfschen dienen soll.
Zu Tristan sprach er: »Vor der Schar
Der Gäste nimm des Vaters wahr.«
Nun, ich will meinen, das geschah.
Er bot ihm so viel Ehre da
Als ihm Jemand bieten könnte,
Weil es sein Herz ihm gönnte.
Auch aß Rual der gute
Sein Theil mit willgem Muthe,
Denn Tristan macht' ihn froh und frank,
Tristan würzt' ihm Speis und Trank;
Daß er Tristan vor sich sah,
War das höchste Heil, das ihm geschah.
Als nun zu Ende gieng das Mal,
Unterhielt der König sich im Saal
Mit dem Gast und fragt' ihn allerhand,
Sowohl von seinem Heimatland
Als über seine Reise.
Sie sprachen nicht so leise,
Die Ritter hörtens und die Herrn
Und vernahmen seine Märe gern.

»Herr«, sprach Rual, »es geht fürwahr
Jetzt schon tief ins vierte Jahr,
Seit ich aus meiner Heimat schied;
Und wo ich immer hingerieth
Nicht andrer Märe fragt' ich nach,
Als der, die mir am Herzen lag
Und um die ihr mich auch hier erseht.«
»Was war das?« – »Tristan, der hier steht.
Und doch hab ich Kinder eine Zahl,
Fürwahr, Herr, die mir Gott befahl,
Und gönn es allen auch so wohl
Als man nur seinen Kindern soll:
Drei Söhne: wär ich dort geblieben,
Nicht länger braucht ichs zu verschieben,
Zwei möchten jetzt wohl Ritter sein.
Und hätt ich nur die halbe Pein
Erlitten um sie alle Drei,
Wie fremde mir auch Tristan sei,
Die ich um ihn allein ertrug,
Es wär fürwahr des Leids genug.«
»Fremde?« fiel der König ein,
»Sagt mir an, wie kann das sein?
Euer Sohn doch ist er, wie er spricht.«
»Nein, Herr, verwandt ist er mir nicht,
Als nur sofern, ich bin sein Mann.«

Tristan erschrak und sah ihn an.
Der König sprach: »So thut uns kund,
Warum denn und aus welchem Grund
Erlittet ihr um ihn die Noth,
Daß ihr Weib und Kinder floht,
Wie ihr sprecht, so lange Frist,
Wenn er euer Sohn nicht ist?«
»Herr König, das weiß Gott und ich.«
»Freund, so belehrt davon auch mich«,
Begann der gute König,
»Es wundert mich nicht wenig.«
»Wüst ich«, sprach der Getreue,
»Daß es mich nicht gereue
Und daß mir diese Märe
Zu sagen ziemend wäre:
Herr, so möcht ich Wunder sagen,
Wie sich das Ding hat zugetragen
Und gefügt von Anfang an
Mit euerm Diener Tristan.«
Der König und die Herrn zumal
Und als das Ingesind im Saal,
Die baten ihn zur Stunde
Wie aus Einem Munde:
»Sagt uns, seliger Mann,
Getreuer Mann, wer ist Tristan?«

Da hub der Marschall an und sprach:
»Herr, es geschah vor manchem Tag,
Wie ihr wohl wißt und alle die,
Die zu den Zeiten waren hie,
Mit Riwalin, dem Herren mein,
Des Mann ich war und sollte sein
Noch heut, wenn Gott nur wollte,
Daß er noch leben sollte –
Daß er so viel zu euerm Preise
Vernahm und in so mancher Weise,
Bis er Leute mir und Land
Zumal befahl in treue Hand.
Zu diesen Landen kam er so,
Daß er euch kennen lerne, froh,
Und ward eur Ingesinde hier.
Des Weitern schweig ich, wißet ihr
Doch selber, was ihm widerfuhr
Mit der schönen Blanscheflur:
Wie er zur Freundin sie gewann
Und wie sie bald mit ihm entrann.
Als sie zu Lande kamen,
Und sich zur Ehe nahmen,
Das ist in meinem Haus geschehn:
Ich habs und mancher Mann gesehn.
Auch befahl er sie in meine Pflege,
Und pflag ich ihrer aller Wege
So gut ich immer konnte.
Nicht lang darnach begonnte
Der Ritter einen Heereszug,
Entbot die Seinen schnell genug
Und fuhr auch bald von dannen
Mit Freunden und mit Mannen
Und ward in einem Kampf erschlagen;
Ihr hörtet es wohl selber sagen.
Und als die leide Mär uns kam
Und die schöne Frau vernahm,
Wie es ergangen wär im Streit,
Das war ein tödtliches Leid,
Das so tief ins Herz ihr schlug –
Hier steht Tristan, den sie trug;
Den gebar sie in der bittern Noth;
Sie selber lag, die Mutter, todt.«

Darüber fiel den treuen Mann
So inniglicher Jammer an,
Es ward an ihm wohl offenbar:
Saß er doch und weinte gar
Als ob er kindisch wäre.
Auch sah man von der Märe
Den andern Herren allen
Die Augen überwallen.
Auch der gute König Mark
Nahm den Jammer sich so stark
Und Ruals Bericht zu Herzen,
Daß seines Herzens Schmerzen
In Thränen aus den Augen floßen
Und ihm Wang und Kleid begoßen.
Tristanden that die Kunde
Gar weh im Herzensgrunde,
Geschah ihm gleich kein Leid daran,
Als daß er an dem treuen Mann
Den Vater, den er sein geglaubt,
Sich auf einmal sah geraubt.

So saß Rual der gute
Mit traurigem Muthe
Und sagte dem Gesinde
Von dem verwaisten Kinde,
Dem er ein treuer Pfleger war,
Seit es die Mutter gebar.
Er sagte, wie's auf sein Geheiß
Verhohlen ward mit allem Fleiß;
Wie er das Gerücht verbreiten ließ,
Die Landgenoßen sagen hieß,
Es sei mitsamt der Mutter todt;
Dann wie er seinem Weib gebot
Wie ich euch früher sagte,
Daß sie sich heimlich klagte,
Und eine Weile inne lag,
Damit sie nach demselben Tag
Den Leuten möge sagen,
Sie hab ein Kind getragen;
Wie sie mit ihm zur Kirche gieng
Und es die Taufe da empfieng;
Warum es Tristan ward genannt;
Wie er es dann hinausgesandt,
Damit es in der Ferne
Mit Hand und Mund erlerne
Die Künste, die ers lehren hieß;
Dann wie ers in dem Schiffe ließ,
Wo es ihm diebisch ward genommen,
Und wie er wär hieher gekommen
Nach langer Irrfahrt seinetwegen.

So saß und meldete der Degen
Haarklein, wies ergangen wär.
Da weinte Marke, weint' auch Er,
Die Herren weinten insgemein
Außer Tristan allein:
Der konnt es nicht beklagen
Was er ihn hörte sagen,
Es kam ihm allzu jählings an.
Doch was Rual, der gute Mann,
Dem Gesinde von dem Leide
Sagte der Gelieben Beide,
Von Riwalin und Blanscheflur,
Was ihnen Alles widerfuhr,
Doch mochte sich dergleichen
Der Treue nicht vergleichen,
Die er dem Herrn erwies im Tod –
Ihr hörtet mit wie großer Noth –
An dem verwaisten Kinde:
Das schien dem Ingesinde
Die große Treue, die ein Mann
Zu seiner Herschaft je gewann.

Als diese Rede war geendet,
Sprach Marke zu dem Gast gewendet:
»Herr, ist es wahr, daß dieß geschah?«
Rual der gute legt' ihm da
Einen Fingerring in seine Hand.
»Nehmt«, sprach er, »dieß zum Unterpfand,
Ich sagt' euch keine Lüge.«
Der getreue und gefüge
Marke nahms und sah es an:
Der Jammer, den er da gewann,
Umfieng sein Herz nur fester.
»Ach«, sprach er, »süße Schwester,
Dieß Fingerlein das gab ich dir,
Und mein Vater gab es mir,
Als er schon am Tode lag,
Daß ich der Mär wohl glauben mag.
Tristan, geh her und küsse mich,
Und fürwahr, so lang du lebst und ich,
Will ich dein Erbvater sein.
Blanscheflur, der Mutter dein,
Deinem Vater auch, Kanelen,
Sei Gott ein Hort der Seelen
Und woll ihnen Beiden geben
Das ewig währende Leben.
Nun es so ergangen ist,
Daß du nur geworden bist
Von der lieben Schwester mein,
Läßt Gott im Himmel mich gedeihn,
Zeitlebens bleib ich deiner froh.«

Darauf zum Gaste sprach er so:
»Mein lieber Freund, nun saget mir,
Wer seid ihr und wie heißet ihr?«
»Rual, Herr.« – »Rual?« – »Ja, Rual.«
Da entsann er sich mit einem Mal,
Daß er längst in alten Tagen
Hatte von ihm hören sagen,
Wie weis und treu der Ehre
Er stäts gewesen wäre,
Und sprach: »Rual li foitenant?«
»Ja, Herr, so hat man mich genannt.«
Da gieng der gute Marke hin
Und küsst' ihn und bewillkommt' ihn
Gar schön und doch nur nach Gebühr.
Auch sprang die Ritterschaft herfür
Und Einer nach dem Andern gieng,
Daß er mit Armen ihn umfieng.
Das gab ein Ambrassieren,
Ein höfisch Salutieren:
Willkommen, Rual, werther Held,
Ein Ritterspiegel aller Welt!

Willkommen war dem Hof Rual.
Der König nahm ihn zumal
An die Hand und führt' ihn hin:
Mit holden Worten setzt' er ihn
Zu sich an seine Seite nieder.
Zu der Märe griffen sie dann wieder
Und sagten sich noch mancherlei,
Wie es mit Tristanden sei,
Und was der guten Blanscheflur
An beiden Höfen widerfuhr;
Was Kanel und Morgan
Sich zu Leide gethan;
Und als auch das zu Ende gieng,
Der gute König Marke fieng
Rualen zu erzählen an,
Mit wie höfscher Kunst Tristan
Sich hab an seinen Hof gebracht
Und wie er Allen weis gemacht,
Sein Vater wär ein Kaufmann.
Da sah Rual Tristanden an:
»Freund«, sprach er, »ich bin lange
Und sorglich oft und bange
Mit meinen Marschandisen,
Von Thür zu Thür gewiesen,
Deinethalb umhergefahren.
Nun kommts nach langen Jahren
Zu so gutem Ende,
Daß ich dankend meine Hände
Stäts zu Gott erheben soll.«
Tristan sprach: »Ich höre wohl,
Diese Mären enden so,
Spät wohl werd ich ihrer froh.
Ich bin, nach dem was ich vernommen,
Zu wunderlicher Märe kommen:
Ich höre meinen Vater sagen,
Der Vater sei mir längst erschlagen.
Hiermit entledigt er sich mein
Und ohne Vater muß ich sein,
Da ich zwei Väter doch gewann.
Ach Vater und ach Vaterwahn,
Wie seid ihr also mir benommen!
Von dem ich sprach, mir sei gekommen
Ein Vater, ach, derselbe Mann
Nimmt zwei Väter mir hindann,
Sich selbst, und den ich nie ersah.«

Doch sprach der gute Marschall da:
»Nicht so, Geselle Tristan,
Die Rede laß, es ist nichts dran.
Du bist seit ich gekommen bin
Werther als du gewähnt vorhin.
Du hast nun stäts der Ehre mehr
Und doch zwei Väter wie vorher:
Hier meinen Herren und auch mich;
Er ist dein Vater so wie ich.
Nun folge meiner Lehre,
So bist du an der Ehre
Allen Köngen ebenhehr:
Drum diese Rede thu nicht mehr.
Den König bitte, daß er heim
Dir helfe, als dein Oheim,
Und dich hier zum Ritter mache:
So bist du deiner Sache
Wohl selber fähig vorzustehn.
Ihr Herren, helft mir alle flehn,
Daß es der König gerne thu.«

Da sprachen sie ihm Alle zu:
»Herr, es hat wohl guten Fug:
Tristan hat der Kraft genug;
Er ist schon ein erwachsner Mann.«
Da sprach der König: »Freund Tristan,
Sprich, wie steht dein Muth hierzu?
Ist es dir lieb, wenn ich es thu?«
»Ach Herr, ich sag euch meinen Muth:
Hätt ich so reichliches Gut,
Daß ich nach dem Willen mein
Und also Ritter könnte sein,
Daß ich des Ritternamens mich
Nicht schämte, noch er meiner sich,
Noch die ritterliche Würde
An mir zu nichte würde,
So wollt ich gerne Ritter werden
Und mich üben in Beschwerden
Bis noch meine müßge Jugend
Gedieh' zu ritterlicher Tugend.
Denn Ritterschaft, so hört ich sagen,
Muß sich in der Kindheit Tagen
Schon zeigen vor der Menge,
Sonst wird sie selten strenge.
Daß ich die unversuchte Jugend
Auf Würdigkeit und Rittertugend
Nicht oft geübt hab und gelenkt,
Das ist es was mich jetzo kränkt.
Ich muß es an mir selber haßen;
Nun hab ich mir doch sagen laßen,
Gemach und ritterlicher Preis,
Die stimmen weder laut noch leis
Und mögen nie beisammen sein.
Auch las ich wohl und räum es ein,
Die Ehre will des Leibes Noth;
Gemach ist stäts der Ehre Tod,
Wenn mans zu lang und allzu viel
In der Jugendzeit genießen will.
Das aber wißet, Herr, fürwahr:
Hätt ich gewust vor einem Jahr
Oder schon vor längrer Frist,
Wie es mit mir beschaffen ist,
Ich hätt es nicht bis heut versäumt.
Hab ich nun gleich die Zeit verträumt,
So such ichs wieder einzubringen,
Denn Alles zielt mir aufs Gelingen
Am Leib und an dem Muthe,
Hilft mir nur Gott zum Gute,
Daß ich nach meinem Muthe thu.«

Marke sprach: »Sieh selber zu,
Neff, und schalte wie du wolltest,
Wenn du als König walten solltest
Im ganzen Lande Cornewal.
Auch sitzt dein Vater hier, Rual,
Der ganze Treue zu dir hat:
Der sei dein Helfer und dein Rath,
Daß deine Sachen all sich wenden,
Daß sie stehn in deinen Händen.
Lieber Neffe, zeihe dich
Der Armut nicht so wunderlich,
Denn Parmenien ist dein,
Und soll dein eigen immer sein
So lang ich und dein Vater leben.
Dazu will ich dir Hülfe geben,
Denn was ich habe, Leut und Land,
Das Alles steht in deiner Hand.
Willst du zu fürstlichen Ehren
Herz und Gemüthe kehren,
Bist du entschloßen und gewillt,
Wie deine Red uns gab ein Bild,
So schone nicht des Meinen drum:
Ganz Cornwal ist dein Eigenthum,
Meine Krone zahlt dir Zins und Zoll.
Wenn die Welt dich würdgen soll,
So sorge nur für reichen Muth;
Ich gebe dir schon reiches Gut.
Sieh, deine Hab ist kaiserlich;
Verarme nur nicht selber dich.
Bist du dir selber also hold
Und hast des rechten Muthes Gold
Wie deine Rede ließ verstehn,
Das werd ich bald an dir ersehn.
Sieh, find ich Herrenmuth an dir,
Du findest immerdar an mir
Deines Willens vollen Schrein:
Tintajöl muß immer sein
Deine Schatzkammer, dein Tresor.
Sprengst du mir nur kühnlich vor
Mit reichlichem Muthe,
So folg ich dir mit Gute
So lang mir Alles nicht zerrann
Was ich je zu Cornewal gewann.«

Hier gabs ein stattlich Neigen:
Ihm neigten sich im Reigen
Die da saßen um den König.
Sie boten ihm vieltönig
Ehr und Lob mit Schalle.
»König Marke«, sprachen Alle,
»Du redest wie der Höfsche soll,
Dein Wort geziemt der Krone wohl.
Mit deiner Zunge, Herz und Hand
Gebeut du ewig diesem Land:
Sei immer Herr in Cornewal!«
Der getreue Marschall Don Rual
Und sein Jungherr Tristan
Griffen ihr Geschäft nun an
Und verwandten drauf des Guts so viel
Als dem König gefiel
Und rechtes Maß es mochte leiden.

Nun wie vertrugen sich die Beiden,
Hier der Vater, dort der Sohn?
Die Frage stellte Mancher schon
(Weil das Alter und die Jugend
Selten stimmt zu gleicher Tugend,
Da Jugend nach dem Gut nichts fragt,
Das dem Alter sehr behagt),
Wie kamen sie denn überein
Die Beiden unter sich zwein,
Daß Jeglicher von ihnen
Seinem Hange mochte dienen
Und nicht sein Recht verspielte,
Das rechte Maß erzielte
Der Marschall an dem Gute,
Und Tristan seinem Muthe
In Fülle that Genüge?
Ich bescheid es ohne Lüge:
Den Marschall und Tristan
Sah man einander zugethan
Mit so gleichgewilltem Sinn,
Daß Keiner weder her noch hin
Rieth noch jemals rathen wollte
Was nicht den Andern freuen sollte:
Rual, dem Würdigkeit gefiel,
Ließ Tristan gerne freies Spiel:
Er sah bei ihm die Jugend an;
Dagegen fügte sich Tristan
Der Ehr und Würde bei Rual.
So gelangten sie zumal
Ans gleiche Ziel mit gleichem Willen:
Des Andern Wunsch wollt Jeder stillen;
So kamen Beide überein
Ein Wunsch, Ein Wille nur zu sein.
So sah man zu derselben Tugend
Das Alter stimmen mit der Jugend,
Den hohen Muth zu weisem Sinn;
Sie wahrten Beide sich hierin,
Tristan sein Recht im Muthe,
Rual das Maß im Gute,
Daß weder Jüngling, weder Greis
Ein Theil gab seines Rechtes Preis.


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