Gottfried von Straßburg
Tristan und Isolde
Gottfried von Straßburg

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XIV. Der Splitter.

                 

Die Frauen giengen beide fort
Und nahmen ihren Spielmann dort
Aufs Neu in fleißge Pflege.
Ihr Fleiß ward allerwege
Mit süßer Bedächtigkeit
Darauf verwendet, was im Streit
Ihm nur helfen mocht und frommen.
Genesen war er auch vollkommen
Und lichter Farbe, schön und klar.
Nun nahm Isot sein fleißig wahr
Und begann auf sein Gehaben,
Seinen Wuchs wohl acht zu haben.
Die Augen ließ sie ihm zu Zeiten
Auf Gesicht und Hände gleiten,
Auf seiner Arm und Beine Paar,
An denen wohl zu schauen war
Was er hehlen wollte gern.
Sie besah von Kopf zu Fuß den Herrn
Was Magd erspähen darf am Mann,
Das stand ihr Alles bei ihr an;
Sie lobts in ihrem Muthe.
Nun daß die Schöne, Gute
Ihn von Gestalt und Wesen
Und Sitten so erlesen
Befand und ohne Gebrechen,
Da begann ihr Herz zu sprechen:
»Herr Gott, in deiner Wunderkraft,
Ist irgend etwas mangelhaft
Was du je thatest und thust,
Wie du zu schaffen uns geruhst,
So ist ein Mangel daran,
Daß dieser herrliche Mann,
An den du solche Seligkeit
Gewandt hast schöner Leiblichkeit,
Daß der mit irrem Wandern
Von einem Land zum andern
Seine Nothdurft suchen soll.
Ihm sollte billig und wohl
Ein Reich gehorchen oder Land,
Um den es also wär bewandt.
Wunderlicher Weltlauf jetzt!
Der Königreiche viel besetzt
Sieht man mit einer schwachen Art:
Daß davon Ihm nicht eines ward.
Ein Mann so wohl gebildet
Und mit Tugenden geschildet,
Dem stünden Ehr und Reichthum an:
Es ward nicht wohl an ihm gethan.
Dem Leib ungleiches Leben
Hast du ihm, Gott, gegeben.«
So sprach oft bei sich selbst die Magd.
Ihre Mutter hatt es auch gesagt
Dem König von dem Kaufmann,
Wie Alles war von Anfang an
Und weiterhin gekommen
(Ihr habt es selbst vernommen),
Und wie er nichts begehre,
Als daß man ihm gewähre
Geleite desto gerner,
Wenn er mit Waaren ferner
Zum Königreiche wandre.
Von einem End ans andre
Ward ihm das heimlich all gesagt.

Empfohlen hatt auch schon die Magd
Ihrem Knappen Paraneisen,
Seines Rüstgeräthes Eisen
Schön und blank zu machen
Und nach all seinen Sachen
Fleißiglich zu sehen.
Dieß war nun so geschehen:
Er hatt ihm Alles wohl gefegt
Und auf einander hingelegt.
Nun gieng hinzu die schöne Maid
Und besah es in der Heimlichkeit.
Da geschah es abermals,
Ihr angebornes Heil befahls,
Daß sie ihres Herzens Qual
Nun schon zum andern Mal
Vor den Andern allen fand.
Sie hatt ihr Herz dahin gewandt,
So weilten auch die Augen da,
Wo sie das Rüstgeräthe sah,
Und ich weiß nicht wie es kam,
Daß sie das Schwert zu Handen nahm,
Wie Mädchen denn und Kinder
Neugierig sind; nicht minder
Freilich auch so mancher Mann.
Sie zog es aus und sah es an
Und beschaut' es hin und her
Und fand den Fehl von Ohngefähr:
Die euch bewuste Scharte,
Auf die sie lange starrte.
Sie gedacht in ihrem Muthe:
So mir Gott, der Gute,
Ich glaub es zu besitzen
Das Stück, das hier soll sitzen:
Nehm ich es gleich in Augenschein.
Da holte sies und setzt' es ein.
Da passte zu der Lücke
Das ausgebrochne Stücke
Als wärs ein Ding gewesen,
Wie ihr auch habt gelesen,
Daß sie vor zweien Jahren
Ein Ding gewesen waren.

Da must ihr Herz erkalten
Um den Verlust, den alten.
Ihre Farbe ward zumal
Vor Zorn und von des Leides Qual
Todtbleich und wieder feuerroth.
»Ach, unselige Isot,
O weh mir und o Waffen!
Dieß leidige Gewaffen,
Wer hats von Cornwal hergetragen?
Mein Oheim ward damit erschlagen,
Und der ihn schlug, der hieß Tristan.
Wer gab es diesem Spielmann?
Der ist doch Tantris genannt.«
Da begann ihr Sinn zuhand
Die Namen zu betrachten,
Auf beider Laut zu achten.
»Ach, Herr Gott«, sprach sie bei sich,
»Die beiden Namen quälen mich;
Ich weiß nicht wie es möge sein,
Sie lauten seltsam überein.
Tristan«, sprach sie, »und Tantris:
Ein Geheimniss waltet hier gewiss.«

Als ihr die beiden Namen
So auf die Zunge kamen,
Fiel sie auf die Buchstaben,
Woraus sie beide sich ergaben,
Und fand dieselben allzuhand
In dem, die sie in jenem fand.
Da begann sie an beiden
Die Sylben zu scheiden,
Setzte sie vor und hinter sich
Und kam den Namen auf den Schlich,
Da sie den Schlüßel gewann:
Vor sich hieß er Tristan,
Hinter sich aber Tantris.
Sie war des Namens nun gewiss.
»Ja«, sprach die Schöne gleich zur Hand
»Ist es denn so hierin bewandt:
Diesen Falsch und diesen Trug
Verrieth mein Herz mir laut genug.
Wie ward mir das schon kundgethan,
Seit ich auf ihn zu schaun begann,
Seinen Wuchs und sein Gebahren
Und was ich mocht an ihm gewahren,
Las in mein Herz zusammen:
Von Fürsten muß er stammen!
Wie hätt ers anders auch geleistet,
Sich von Cornwal her erdreistet
Den Todfeinden in die Hand,
Wo er zweimal Rettung fand.
Rettung? Ist er doch rettungslos:
Dieß Schwert giebt ihm den Todesstoß.
Nun räch alsbald dein Leid, Isot.
Wird ihm von dem Schwert der Tod,
Womit er deinen Oheim schlug,
So hast du Rache genug.«

Sie nahm das Schwert zu Handen
Und eilte zu Tristanden,
Der in einem Bade saß.
»Tristan«, sprach sie, »bist du das?«
»Nein, Frau, ich bin es, Tantris«
»So bist du, des bin ich gewiss,
Tantris und auch Tristan.
Die beiden sind Ein todter Mann;
Was mir von Tristan ist geschehn,
Das muß an Tantris ergehn:
Du vergiltst mir meinen Oheim.«
»Nicht doch, süße Jungfrau, nein!
Was wollt ihr thun, um Gotteswillen
Den Zorn laßt euern Namen stillen.
Ein Weib ja heißt ihr, eine Magd.
Wenn man die Mordthat von euch sagt,
So ist die wonnige Isot
Immer an den Ehren todt.
Die von Irland scheint, die Sonne,
Und viel der Herzen füllt mit Wonne,
Ach, die hat dann ein Ende.
Weh um die lichten Hände!
Wie ziemte wohl ein Schwert darin?«

Inzwischen trat die Königin,
Ihre Mutter, zu der Thür herein.
Die sprach: »Wie nun? Was soll das sein?
Tochter, was bedeutets, sprich!
Schöne Frauensitte sicherlich!
Hast du verloren gar den Sinn?
Ists Scherz, ists Zorn? So thu ihn hin:
Was soll das Schwert in deiner Hand?«
»Ach, liebe Mutter, sei gemahnt
An unser Leid, das nie vergeht:
Dieß ist der Mörder, der hier steht,
Tristan, der deinen Bruder schlug.
Wir haben jetzo Macht und Fug,
Daß wir uns an ihm rächen,
Dieß Schwert hier durch ihn stechen;
So gute kommt uns nimmermehr.«
»Tristan? Wie weist du das, woher?«
»Ich weiß es wohl, es ist Tristan:
Dieß Schwert ist sein, nun sieh es an,
Und sieh die Scharte darin
Und merk, ob ich im Irrthum bin.
Ich setzte dieses Stücke
Hier in die böse Lücke,
O weh, da sah ich, daß es gar
Nur Eines und ein Ganzes war.«

»Ach«, sprach die Mutter, »welche Noth!
Wes hast du mich gemahnt, Isot!
Daß ich das Leben doch gewann!
Und ist es also Tristan,
Wie sehr bin ich an ihm betrogen!«
Nun hatt Isot emporgezogen
Das Schwert und schwang es über ihn.
Da lief die Mutter zu ihr hin
Und sprach: »Laß ab, Isot, laß ab!
Du weist was ich geschworen hab.«
»Gleichviel, es ist fürwahr sein Tod!«
»Merzi!« rief Tristan, »bele Isot.«
»Ach«, sprach Isot, »du übler Mann,
Hältst du um Merzi bei mir an?
Zu dir gehört sich kein Merzi:
Das Leben sollst du laßen hie.«
»Nein, Tochter«, sprach die Mutter, »nein,
Leider kann es jetzt nicht sein,
Daß wir uns an ihm rächen:
Wir würden also brechen
Unsre Ehr und Treue.
Übereilung scheue:
Er ist mit Gut und Leben
In meine Hut gegeben:
Ich hab ihn, wie es auch gekommen
Sei, in meinen Schutz genommen.«
»Gnade, Herrin«, sprach Tristan;
»Frau, gedenket wohl daran,
Daß ich Gut und Leib und Leben
An eure Ehre hab ergeben,
Und darauf euer Wort geschah.«
»Das lügst du«, sprach die Junge da,
»Ich weiß, was abgesprochen ist:
Gelobt hat sie zu keiner Frist
Tristanden weder Schutz noch Hut,
Nicht am Leib und nicht am Gut.«

Hiemit lief sie ihn wieder an;
Hiemit rief wieder Tristan:
»Ah, bele Isot, merzi, merzi.«
Und wieder trat auch zwischen sie
Die zuverläßge Königin,
Und Zuversicht ward sein Gewinn.
Doch wär er zu den Stunden
Auch fest ins Bad gebunden
Und nur Isolde da gewesen,
Er wäre doch vor ihr genesen.
Die Süße, die Gute,
Die weiblich Gemuthe,
Die Gall im Herzen nie gewann,
Die sollt erschlagen einen Mann?
Nur daß ihr aber beides,
Des Zornes und des Leides
Kraft zu der Geberde
Verhalf, als ob sies werde.
Sie vollbracht es auch vielleicht,
Hätt ihr der Muth dazu gereicht;
Der war ihr aber theuer
Zu so herbem Abenteuer.
Doch war sie nicht so lammgemuth,
Es schuf ihr Zorn und Unmuth,
Wenn sie den hören must und sehn,
Von dem ihr Leides war geschehn.
Sie sah dem Feind ins Angesicht
Und mocht ihn doch erschlagen nicht:
Die süße Weibheit fiel ihr gleich
In den Arm und brach den Streich.
In ihr stritten härtiglich
Die beiden Widersacher sich,
Die da ewig sind im Streit:
Zorn und zarte Weiblichkeit,
Die nicht wohl zusammenpassen,
Wenn sie sich bei Händen faßen.
Wird von dem Zorn Isoten
Des Feindes Mord geboten,
So kommt die Weiblichkeit und spricht:
»Nein«, spricht die süße, »thu es nicht.«
So war das Herz ihr zwiegemuth:
Das Eine Herz war bös und gut.
Die Schöne warf das Schwert danieder
Und hob es gleich vom Boden wieder.
So wuste sie in ihrem Muth
Zwischen Übel, zwischen Gut
Nicht was sie wählen sollte.
Sie wollte nicht, sie wollte,
Sie wollt es laßen, wollt es thun:
Der Zweifel ließ sie nicht beruhn
Bis doch die süße Weiblichkeit
Den Zorn bezwungen hatt im Streit,
So daß ihr Todfeind entgieng
Und Rache Morold nicht empfieng.

Hiemit das Schwert warf sie von ihr
Und sprach mit Weinen: »Wehe mir,
Daß ich erlebte diesen Tag.«
Ihre weise Mutter aber sprach:
»Herzeliebe Tochter mein,
Die großen Herzenschmerzen dein,
Muß Ich auch leider fühlen,
Und noch schlimmer in mir wühlen.
Nach Gottes Gnaden gehn sie dir
So nahe nimmermehr als mir.
Mein Bruder ist mir leider todt:
Das war bisher die gröste Noth;
Nun fürcht ich schlimmre Noth an dir,
Und wahrlich, Tochter, geht sie mir
Viel näher denn die andre thu.
Mir ist nichts so lieb als du:
Eh mir an dir geschähe
Was ich gar ungern sähe,
Eh laß ich gerne diesen Groll.
Ich mag doch lieber wie ich soll
Erleiden Eine Noth denn zwo.
Du weist wohl selbst, es ist uns so
Bewandt mit diesem Bösewicht,
Der uns da heischt zum Kampfgericht,
Wenn wir nicht eifrig sehn dazu,
Mein Herr der König, ich und du,
Daß wir auf immer müßen
Es an der Ehre büßen,
Und nimmer wieder werden froh.«

Der im Bade sprach da so:
»Ihr selgen Frauen beide,
Ich hab euch viel zu Leide,
Doch nur aus großer Noth, gethan.
Seht ihr es wie billig an,
So wißt ihr selber, diese Noth
War nichts anders als der Tod:
Den leidet ungern Jedermann,
Der sich noch sein erwehren kann.
Doch wie das auch ergangen ist,
Darauf, wie es zu dieser Frist
Mit dem Truchsäß sich verhält,
Sei euer Sinn allein gestellt.
Dem will ich gutes Ende geben,
Wenn ihr mich nämlich laßt am Leben
Und mich nicht hindert der Tod.
Frau Isot und wiederum Isot,
Ich weiß wohl, daß ihr allezeit
Getreu und sanft und sinnig seid
Und könnt wohl unterscheiden:
Dürft ich es mit euch Beiden
Mit freier Rede wagen
Und wolltet ihr entsagen
Aller Übelthat an mir,
Und dem Haße, den ihr
Tristanden lange habt getragen,
Ich wollt euch gute Märe sagen.«

Isotens Mutter Isot
Sah ihn lange an und wurde roth,
Ihre lichten Augen thränenvoll.
Sie sprach: »O weh, nun hör ich wohl
Und weiß gewiss, daß ihr es seid.
Ich zweifelte bis diese Zeit;
Nun aber habt ihr ungefragt
Die Wahrheit frei herausgesagt.
O weh, o weh mir, Herr Tristan,
Daß ich euer je Gewalt gewann,
So volle, wie ich habe jetzt,
Und bin doch nicht in Stand gesetzt,
Daß ich sie also üben kann,
Daß mein Frommen liegt daran.
Allein Gewalt ist mannigfalt:
Mich dünkt, wenn ich nun die Gewalt
An meinem Todfeind übe,
Daß ich das Recht mir trübe
Wider einen bösen Mann.
Aber, Himmel, wollt ich dann?
Ja, meiner Treu, ich wähne.«

Inzwischen kam Brangäne,
Die stolze, die weise,
Lachend und leise,
Schön und wohlgestrichen
Zur Thür hereingeschlichen
Und sah das Schwert da liegen bloß
Und beider Frauen Unmuth groß.
»Wie nun«, sprach die Gefüge gleich,
»Was seh ich für Geberd an euch?
Was treibt ihr Drei für Dinge hie?
Dieser Frauen Augen, wie sind die
Also trüb und also naß?
Das Schwert hier, was bedeutet das?«
Die gute Königin fiel ein:
»Brangäne, Herzensniftel mein,
Sieh, wie wir alle sind betrogen
Und statt der Nachtigall erzogen
Die Schlange blindlings haben,
Körner gestreut dem Raben,
Die der Taube waren zugedacht.
Wie haben wir, o Himmelsmacht,
Den Todfeind statt des Freunds ernährt,
Zwier vor dem Untergang erwehrt
Mit unsern eignen Handen
Unsern Feind Tristanden:
Sieh, der da sitzt, das ist Tristan:
Nun ficht der Zweifel mich an,
Soll ich mich rächen oder nicht?
Was räthst du, Niftel, was ist Pflicht?«

»Nein, Herrin, thut die Rede hin.
Euer süßer, selger Sinn
Ist zu hehr und zu gut,
Als daß ihr jemals einen Muth
Zu solcher That gewännet,
Euch so des Sinns entsännet,
Auf eines Menschen Schlachten
Zu stellen euer Trachten,
Und das eines Mannes gar,
Der doch aufgenommen war
In euern Schutz und eure Hut.
Euch kams im Ernst nie in den Muth
Wie ich zu Gott vertrauen mag.
Gedenkt auch an den Kampfestag,
Was ihr da mit ihm schaffen müßt,
Wo nicht, es mit der Ehre büßt.
Wollt ihr die Ehre geben
Um eures Feindes Leben?«
»Was willst du aber, daß ich thu?«
»Frau, da sehet selber zu.
Geht und laßt ihn aus dem Bad;
Derweilen findet sich wohl Rath
Was euch das Genehmste sei.«

Hiermit so giengen alle Drei
Zu rathen in ihr Fraungemach.
Isot, die sinnreiche, sprach:
»Hört, ihr Beiden, sagt mir an,
Was mag er meinen, dieser Mann?
Er sprach doch eben zu uns Zwein:
Stellten wir den Haß nur ein,
Den wir ihm haben lang getragen,
Er woll uns gute Märe sagen.
Was mag das sein? Des wundert mich.«
Brangäne sprach: »So rath ich,
Daß ihn übler Dinge
Noch Niemand inne bringe,
Bis wir befinden seinen Muth:
Der ist vielleicht euch hold und gut
Zu eurer Beider Ehren.
Man soll den Mantel kehren
Nach dem Winde, wie man spricht.
Wer weiß, ob er nach Irland nicht
Eurer Ehren halb gekommen ist.
Hütet sein zu dieser Frist
Und lobt dafür auch immer Gott,
Daß dieser ungefüge Spott
Mit des Truchsäßen falschem Spiel
Durch ihn bald finden soll ein Ziel.
Gott ließ es uns gelingen,
Als wir ihn suchen giengen,
Denn hätten wir zur Stunden
Ihn damals nicht gefunden,
Weiß Gott, so wär er jetzo todt.
Wahrlich, Jungfrau Isot,
So müst es übler mit uns stehn.
Laßt keine Ungebärde sehn,
Denn wird er Übles innen
Und kann er dann entrinnen,
So hat er Recht, daß er es thu.
Darum so seht nun Beide zu
Und bietet es ihm also wohl,
Wie man mit allem Rechte soll;
Das rath ich euch, nun folget mir.
So edel ist Tristan als wir,
Dazu höfisch und klug,
Und hat der Tugenden genug.
Wie ihr ihm auch gesonnen seid,
Begegnet ihm mit Höfischkeit,
Denn welchen Rath er hab erdacht
Gewiss hat Ernst ihn hergebracht:
Sein Werben und sein Ringen
Gilt ernstlichen Dingen.«

Sie standen auf und giengen fort
Und kamen hin, wo Tristan dort
In seinem Bettgemache saß.
Tristan sein selber nicht vergaß,
Er fuhr empor und grüßte sie,
Und fiel vor ihnen auf die Knie
Und lag den Höfschen, Süßen,
Flehentlich vor den Füßen
Und sprach bei seinem Falle:
»Gnade, ihr Süßen alle,
Habet Gnade wider mich,
Laßt mich genießen, daß ich
Zu eurer Ehr und euerm Frommen
Bin in euer Reich gekommen.«
Die lichte Frauenreihe,
Die Lichten alle Dreie,
Die Augen kehrten sie hindann
Und sahen all einander an.
Sie stunden und Er lag noch dort.
»Frau«, nahm Brangäne das Wort,
»Der Ritter liegt zu lange.«
Die Königin sprach bange:
»Was willst du, daß ich mit ihm thu?
Mir neigt das Herz nicht dazu,
Daß es mich zu ihm zöge.
Ich weiß nicht, was mir frommen möge.«
Brangäne wieder sprach zu ihr.
»Nun, liebe Herrin, folget mir,
Und meine Jungfrau Isot.
Ich weiß es sicher wie den Tod,
Daß ihr in euern Sinnen
Ihn Mühe habt zu minnen
Vor euerm alten Leide;
So gelobt es ihm nur Beide,
Daß er des Lebens sicher sei:
Leichtlich sagt er euch dabei
Was aufs Neu ihm dient zum Schild.«
Die Frauen sprachen: »Nun, es gilt.«
Da befahlen sie ihm aufzustehn.

Als dieß Gelübde war geschehn,
Sie setzten alle Vier sich nieder.
An die Märe griff da Tristan wieder:
»Seht«, hub er an, »Frau Königin,
Schenkt ihr mir gewognen Sinn,
So wüst ichs wohl dahin zu bringen
Bevor zwei Tage noch vergiengen
(Und wahrlich sonder arge List),
Daß eure Tochter, die so lieb euch ist,
Einen edeln König nimmt zum Mann,
Der ihr zum Herrn wohl ziemen kann,
Schön und auch milde,
Zum Sper und zum Schilde
Ein edler Ritter auserkoren,
Aus königlichem Stamm geboren
Und viel mächtger obendrein
Als ihr Vater möge sein.«
»In Treuen«, fiel die Köngin ein,
»Möcht ich dessen sicher sein,
Ich folgte gern und thäte
Wes mich nur Jemand bäte.«
»Frau«, sprach wieder Tristan,
»Ich schaff euch Zuversicht daran.
Bewähr ichs euch nicht gleich zur Hand,
Wenn diese Sühne kommt zu Stand,
So laßt mich aus dem Frieden sein:
Ich will dann nimmermehr gedeihn.«
Die Weise sprach: »Brangäne, sprich,
Was räthst du mir, was dünket dich?«
»Nun, mich dünkt seine Rede gut:
Drum will ich rathen, daß ihrs thut.
Allen Zweifel leget hin,
Steht Beide auf und küsset ihn.
Ich bin nicht Königin, allein
Ich will doch bei der Sühne sein.
Mir verwandt ist er, wie arm ich sei.«
Da küssten sie ihn alle Drei.
Doch geschah es von der Jungen
Nach langen Weigerungen.

Nun diese Sühne so geschah,
Zu den Frauen sagte Tristan da:
»Nun weiß es Gott, der gute,
Mir ward in meinem Muthe
So froh nie als ich jetzo bin.
Nach allem künftgen Leide hin
Hab ich geblickt mit Spähen,
Das mir möcht entstehen,
Und des ich mich versehen solle.
Ich verseh michs nicht, ich habe volle
Gewissheit, daß ich Huld hier fand.
Nun legt die Sorgen hin zuhand:
Ich bin zu Ehren euch und Frommen
Von Cornewal hieher gekommen.
Seit meiner ersten Überfahrt,
Da mir hier Genesung ward,
Sprach ich stäts laut und leise
Zu euerm Lob und Preise
Vor meinem Herrn, dem König Mark,
Bis ich ihm den Muth so stark
Nach euch mit Reden wandte,
Daß er mich nach euch sandte.
Lang stand er an, und wißt um Was
Er fürchtete den alten Haß,
Und wollt auch Anfangs wegen mein
Ehlichen Weibes ohne sein,
Daß Ich nach seinem Sterben
Die Länder möchte erben.
Ich rieth ihm aber immer ab,
Bis er den Willen drein ergab.
So ward denn endlich diese Fahrt
Unter uns Zwein vereinbart.
Drum kam ich her gen Irenland,
Darum erschlug ich den Serpant.
So habt auch eure Mühen ihr
Zum Segen angewandt an mir:
Meine Jungfrau soll dafür zugleich
Frau und Königin im Reich
Zu Cornwal sein und Engelland.
So ist euch mein Geschäft bekannt.
Nun, ihr selgen Frauen mir,
Ihr Selgen alle Dreie hier,
Laßt es auch wohl verhohlen sein.«
»Sagt mir«, fiel die Köngin ein,
»Wenn ich es meinem Herren sage
Und eine Sühne vertrage,
Thu ich übel wohl daran?«
»Nein, Herrin« sprach zu ihr Tristan,
»Er muß es billig wißen;
Nur seid dabei beflißen,
Daß ich nicht Schaden darf befahren.«
»Nein, Herr, ihr mögt die Sorge sparen:
Zu fürchten giebt es hier nichts mehr.«

Da giengen hin die Frauen hehr
In ihr verschloßen Gemach
Und sannen mit Verwundrung nach
Seinem glücklichen Gelingen
In allen seinen Dingen.
Wie klug er war und weise
Sprach jede ihm zum Preise,
Die Mutter erst, Brangäne dann.
»Sieh Mutter«, hub die Tochter an,
»Wie wunderlich ich das befand,
Daß er Tristan war genannt.
Als mir das Schwert recht wurde kund,
Die Namen nahm ich in den Mund,
Tantris und Tristan.
Wie ich die sprach und mich besann,
Bedäuchte bald mich an den Zwein,
Sie hätten irgendwas gemein.
Da begann ich drauf zu achten
Und sie näher zu betrachten
Und fand an den Buchstaben,
Die zu jedem man muß haben,
Daß es dieselben wären.
Wie ichs wenden mocht und kehren,
So fand ich nie was Andres dran,
Als Tantris und Tristan;
Denn Eins sind alle Beide.
Sieh, Mutter, nun scheide
Diesen Namen Tantris
In ein Tan und in ein Tris;
Sprichst du das Tris nun vor dem Tan,
So sprichst du eben Tristan;
Und sprichst das Tan du vor dem Tris,
So sprichst du aber Tantris.«
Die Mutter segnete sich:
»Nein«, sprach sie, »Gott segne mich!
Wo nimmst du stäts so weisen Sinn?«

Da diese Drei so über ihn
Noch gesprochen Mancherlei,
Die Königin beschied herbei
Den König, und er kam heran.
Da sprach sie zu ihm: »Hört mich an,
Eine Bitte sollt ihr uns gewähren,
Die wir Dreien euch begehren:
Thut ihrs, es kommt uns Allen wohl.«
»Ich folge, wo ich folgen soll;
Was ihr wollt, das ist vollbracht.«
»Stellt ihrs denn in unsre Macht?«
Sprach die gute Königin.
»Ja, euer Wille reicht mir hin.«
»Dank euch, Herr, das ist genug.
Herr, der meinen Bruder schlug,
Tristan, der ist hier inne:
Dem sollt ihr eure Minne
Und eure Huld gewähren.
Er kommt mit solchen Mären,
Daß die Sühne Fug wohl hat.«
Der König sprach: »Frau, diesen Rath
Stell ich getrost allein an dich;
Er betrifft dich mehr als mich.
Dein Bruder Morold war doch dir
Näher in der Sipp als mir.
Hast du's verschmerzt, daß er ihn schlug,
Willst du, so thu ichs auch mit Fug.«
Da machte sie dem König kund
Tristans Geschichten, wie sein Mund
Eben selber ihr gesagt.
Dem König hatt es wohl behagt,
Das hehlt' er nicht und sprach zu ihr:
»Sieh, daß er Treue üb an dir.«

Da sendete die Königin
Brangänen nach Tristanden hin.
Und als er eintrat, bot er sich
Vor den Fuß dem König züchtiglich
Und sprach: »Seid gnädig, König hehr.«
»Steht auf, Herr Tristan, kommt hieher«,
Sprach Gurmun da, »und küsset mich.
Ungerne zwar begeb ich mich,
Jedoch begeb ich mich der Rache,
Da die Königin vergaß die Sache.«
»Herr«, sprach da wieder Tristan,
»Geht diese Sühne denn auch an
Meinen Herrn mit seinen beiden Landen?«
Gurmun sprach: »So ists verstanden.«

Als die Sühne so zu Stande kam,
Die Königin Tristanden nahm,
Setzt' ihn zu ihrer Tochter nieder
Und bat ihn, auch die Märe wieder
Ihrem Herrn von Anbeginn zu sagen,
Wie es sich hätte zugetragen
Mit allen diesen Sachen,
Sowohl mit dem Drachen
Als mit König Marks Begehr.
Das sagt' er ihm von Anfang her.
Da sprach der König: »Herr Tristan,
Was für Gewißheit hab ich dann,
Daß dieß die lautre Wahrheit sei?«
»Ich habe, Herr, hier nahebei
Meines Herren Fürsten alle.
Verlangt was euch gefalle
Zur Sicherheit: ich stelle sie,
Hab ich noch ihrer Einen hie.«

Der König gieng hiemit hindann.
Die Königinnen und Tristan
Blieben in dem Fraungemach.
Tristan zu Paraneisen sprach:
»Geselle«, sprach er, »geh zum Port;
Ein Kiel liegt geborgen dort:
Da geh vertraulich hin geschwind
Und frage, wer von dem Gesind
Curvenal da sei genannt.
Demselben raun ins Ohr zuhand,
Er solle mit dir zu mir gehn;
Die Andern laß es nicht verstehn,
So klug du bist, und bring ihn leis.«
Das Alles that da Paraneis:
Er bracht ihn so verstohlen hin,
Daß Niemand Kunde hatt um ihn.

Als in die Kemenaten
Sie vor die Frauen traten,
Da grüßt' ihn wohl die Königin;
Nicht auch die Andern alle drin:
Die nahmen darum sein nicht wahr,
Weil er in Knappenkleidung war.

Als Tristanden Curvenal
Hier bei schöner Frauen Zahl
Fröhlich und gesund ersah,
Auf französisch sprach er da:
»Ah, bea duz Sir,
Was denkt, um Gottes willen, ihr,
Daß ihr in Freuden ohne Gleich
Hier in diesem Himmelreich
Lauert verborgen
Und laßt uns in den Sorgen?
Wir wähnten uns verloren;
Bis jetzt hätt ich geschworen,
Daß ihr gestorben wäret:
Wie habt ihr uns beschweret!
Euer Kiel und eure Leute
Die schwören wol noch heute
Und glauben sicher, ihr wärt todt;
Ich vermochte sie mit großer Noth,
Daß sie geblieben sind bis jetzt.
Doch hatten sie sich vorgesetzt,
Sie führen heut am Tag noch hin.«
»Nein«, sprach die gute Königin,
»Er ist fröhlich und wohlauf.«
Sein Herr, Tristan, begann darauf
Britisch zu sprechen gegen ihn:
»Curvenal, geh wieder hin
Und melde, wohl mit meinen Dingen
Stehs, ich würd es all vollbringen
Wonach wir wären ausgesandt.«
Auch gab er seinem Freund zuhand
Genau und aus dem Grunde
Von seinem Glücke Kunde.

Nun war ihm Alles offenbart,
Glück und Noth der letzten Fahrt;
Da sprach er: »Geh nun gleich hin nieder
Und sag den Landherren wieder
Und den Rittern dabei,
Ich wolle, daß ein Jederlei
Morgen früh bei guter Zeit
Mit seinen Dingen wohl bereit,
Und in den allerbesten Staat
Gekleidet, den ein Jeder hat;
Und wartet meines Boten dort:
Send ich den euch an den Port,
So reitet an den Hof zu mir.
Auch schick ich morgen früh zu dir:
Dann sende mir den kleinen Schrein
(Die Kleinode barg ich drein);
Und schick auch meine Kleider mit,
Die von dem allerbesten Schnitt.
Und kleide dich auch selbst so wohl
Als ein höfscher Ritter soll.«
Da neigt' er sich und gieng hindann.
Brangäne sprach: »Wer ist der Mann?
Ihn dünkt, die Zeit verstreiche
Euch wie im Himmelreiche.
Ist er ein Ritter oder Knecht?«
»Frau, gefällt er euch auch schlecht,
Ein Ritter ists und solch ein Mann,
Habt mir keinen Zweifel dran,
Daß die Sonn in keinem Land
Ein tugendreicher Herz noch fand.«
»So segne Gott all sein Beginnen«,
Sprachen beide Königinnen,
Und Jungfrau Brangäne auch,
Die höfsche, that nach Sitt und Brauch.

Als Curvenal kam zu dem Schiff,
Alsbald er zu der Rede griff,
Die ihm war aufgetragen,
Sagte was er sollte sagen
Und auch wie er den Herren fand.
Da gebahrten sie zuhand
Wie Einer, der schon todt gewesen
Und nun vom Tod noch ist genesen.
So freuten sie sich Alle da;
Ob Mancher gleich es lieber sah,
Weil sie nun Alle Frieden hatten,
Als weil es Tristan kam zu Statten.
Die neidischen Barone
Aus ihrem alten Tone
Vernahm man sprechen wie vorher.
Sie ziehen Tristan jetzt noch mehr
So reichen Glückes wegen,
Er müße Zaubers pflegen.
Der Eine zu dem Andern sprach:
»Nun denket All dem Wunder nach,
Was dieser Mann nicht Wunders kann:
Ja Himmel, was kann dieser Mann,
Der Alles glücklich endet,
Worauf er Fleiß verwendet!«


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