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Blaustrumpf hatte den Kutscher und sein Geräth nur gemiethet. Wäre Beides sein eigen gewesen, so hätte der Erstere wohl nicht, als sie das Thor schon passirt hatten, bemerken dürfen: »Wir werden eine gute Aufnahme finden, denn es begegnen uns Schweine!« Blaustrumpf wollte gerade in einen sanften Mittagsschlummer versinken, als er diese superstitiöse Bemerkung vernehmen mußte. »Wie?« rief er dem Kutscher zu, »sagt doch das noch einmal!« Und der Kutscher lachte und schlug tapfer zu, indem er sagte: »Will man gut Glück zur Reise haben, so muß Einem begegnen ein Wolf oder ein Hirsch oder ein Bär oder ein Schwein, nur kein Hase und kein altes Weib, das gerade im Spinnen begriffen ist; was freilich hier selten vorkommt, während ich anderswo öfters gesehen habe, daß Hirtenweiber ihren Rocken in die Tasche gesteckt haben und während des Gehens spinnen. Auch möcht' ich wohl, daß Sie nicht früher vom Tisch gegangen wären, Herr Consistorialrath, im Fuchsen nämlich, als bis vor Ihnen wäre abgeraumt worden: denn ohnedies werden wir schwerlich gut Wetter behalten, wie auch mein Hund heute früh Gras gefressen hat.«
Der Kutscher hatte kaum diese Bemerkungen ausgesprochen, als Blaustrumpf ein Gelächter erhob, welches mehr an Verzweiflung und Abällino erinnerte, wie er die fürchterlichen ironischen Redensarten an den venetianischen Todtenkopf richtet. Die ganz leise wie aus versagender Luftröhre gesprochenen Worte: »Ihr glaubt an dergleichen?« ermunterten den Kutscher fortzufahren, nämlich mit seiner Rede, so gut wie mit seinem Wagen. »Ja,« sagte er, »ich bin meines Handwerks eigentlich ein Maurer und weiß, was schönes Wetter sagen will. Hat der Maurer Regen, so schwimmt ihm bald sein Geldbeutel fort. Und da haben wir immer nichts Anderes thun können, als einen starken Hahn mit grell rothem Kamme so lange einzumauern, bis ein Verlaß auf das Wetter war. Ohne das würden wir fortwährend eingeregnet gewesen seyn!«
Blaustrumpf sagte ganz spitz: »Weil also der Hahn das schlechte Wetter nicht mehr anzeigen konnte, daraus soll folgen, daß es auch nun gut seyn mußte? Weil also der Strauß den Kopf in den Busch steckt und die Jäger nicht sieht, so, denkt er, werden ihn die Jäger auch nicht sehen? Nein, lieber Mensch, wo seyd Ihr in Elementarunterricht gegangen?«
»Ich bin eine Mispelheimer Retour,« bemerkte der Kutscher, »und war immer daselbst ansässig, auch früher dort in der Schule; allein, was Wind und Wetter, Glück und Unglück betrifft, davon wissen die Herren Gelehrten nichts, Herr Consistorialrath; da muß man alte Leute fragen, die Erfahrung haben und wissen, wie es ehemals war.«
Blaustrumpf konnte sich, wenn man bedenkt, daß er eben im Verdauen begriffen war, schaden: denn der Aerger trieb ihm das kirschrothe Blut in's Gesicht. Er hätte gern den Kutscher unter seine rationalistische Retorte gebracht; allein er wußte ihm nur von hinten beizukommen und konnte sein Mienenspiel nicht beobachten. Indessen hielt er's doch für seine heilige Pflicht, die abgerissene Lappenweisheit des Kutschers zu zerstampfen und in seiner rationellen Papiermühle weißes sauberes Papier, das sich mit kalligraphischen Vernunftideen beschreiben ließ, daraus zu machen. Er benutzte die Stellung des Kutschers a posteriori, um ihm einige leichte Camillenlavements mit der Klystierspritze der Teleologie oder der Zweckweisheit beizubringen. Er fing an, ihm zuerst die logischen Begriffe von Ursach und Wirkung zu erklären. »Ursache, mein Freund, einer Wirkung ist die Erkältung, die den Gesunden krank, und eine Arznei, die den Kranken wieder gesund macht. Gesetzt nun, meine Schwester in Mispelheim wollte mich nicht freundlich empfangen, wie kann daran der Hase Schuld seyn, welcher uns über den Weg läuft? Empfängt sie uns aber freundlich, soll ich mich dann bei jener Sau bedanken, die die Güte gehabt hat, uns am Thore zu begegnen?«
»Ja,« meinte der Kutscher, »wenn man es so nehmen will, dann wäre freilich am Glauben der Leute wenig Gescheites; allein die Erfahrung hätt' es doch immer bewiesen, und vom Hundertsten wüßten wir Menschen auch nicht, wie es mit dem Tausendsten zusammenhinge. Er hätte sein Lebtag gefunden, daß es nicht gut wäre, z. B. brennendes Feuer aus einem Hause in's andere zu tragen!«
»Das ist auch nicht gut,« fiel Blaustrumpf heftig ein: »denn daraus sind schon hundert Feuersbrünste entstanden; allein, daß man diese hübsche Verhütung von Feuersgefahr in einen mystischen Spruch bringt, dagegen soll ein Mann von Aufklärung Einspruch thun.«
»Nun, Herr Consistorialrath, Sie sagen von Feuersbrunst; und es sind keine drei Wochen her, daß in Mispelheim drei Scheunen, Vieh und beinah auch Menschen abgebrannt sind, und wir haben's Alle eine Stunde vorher gewußt, daß es so kommen müßte. Es war Sonntag; die Betglocke des Abends sollte läuten vom St. Blasienthurm, und der Küster überläßt das Ding seinem Jungen. Er läutet und läutet, und mitten im Läuten fängt erst die Uhr an vier zu schlagen. Wann die Glocken und die Uhren aber zusammen schlagen, gibt's immer Feuer, und es traf auch ein.«
Blaustrumpf versuchte es wieder mit der Ironie und sagte: »Ei, dann ist es schlimm genug, daß noch drei Scheunen abgebrannt sind, da man ja die besten Vorzeichen des kommenden Unglücks schon erhalten und die Spritzen nur in Bereitschaft zu setzen hatte. Ich will Euch aber sagen,« lenkte er ein, »Mispelheim scheint tief, tief im Aberglauben verstrickt zu seyn, und ich werde Predigten, Katechisationen, Beichten, alle mögliche kalte Umschläge gebrauchen, um eure erhitzten Phantasien abzukühlen. Leider, leider tragen meine eignen Verwandten einen großen Theil der Schuld an dieser Mißachtung praktischer Vernunftgrundsätze. Inzwischen könnt ihr Euch, guter Freund, in diesem Buche unterrichten, was man Causalität und Nexus, Ursach und Wirkung, Mittel und Zweck, Anfang und Folge nennt.« Damit griff Blaustrumpf in die Nähe seines Flaschenkorbes (in diesen selbst, wäre dem Kutscher vielleicht lieber gewesen) und reichte ihm ein Exemplar vom Thomasius. Der Kutscher blätterte darin und gab es ehrfurchtsvoll wieder zurück. Blaustrumpf dachte an seinen kleinen ambulanten Buchhandel: zwölf Groschen Trinkgeld mußt du ihm doch geben, und gibst du ihm dafür das Buch, so kannst du Mördern zwölf Groschen zu gut schreiben, da mit üblichem Buchhändler-Rabatt netto der Preis auch nicht größer ist. Es that ihm wohl, gleich von vornherein so gute Geschäfte zu machen: denn er liebte seinen Schwiegersohn, wie der feurige Luther seinen sanften Melanchthon.
Mispelheim war gegen Abend um neun Uhr erreicht. Blaustrumpf hielt vor dem Hause seiner Schwester an, welche, wie er selbst, gewöhnlichen Ursprungs, an den Drucker und Herausgeber des Mispelheimer Wochenblattes verheirathet war. Blaustrumpf lebte mit Schwester und Schwager eigentlich seit Jahren in Unfrieden, und der Grund davon war durchaus kein persönlicher, sondern eine Aufklärungsfrage. Sein Schwager nämlich hatte das Privilegium, einen hundertjährigen und einen jährlichen Landeskalender zu drucken. Dieser brachte ihm ein schönes Geld ein, aber auch den Haß des Consistorialraths. Blaustrumpf sah in diesem Kalender den eigentlichen Heckthaler (er kostete aber nur sechs Groschen) für den Aberglauben. Dieser Mispelheimer Kalender mit seinen Bauernregeln, Wetterprophezeiungen, Holzschnitten und Traumdeutungen war die Essigmutter, die allen Diöcesan-Erfahrungen Blaustrumpf's so viel Säure verursachte. Der Kalender erschien jährlich mit der Martinsgans zu gleicher Zeit auf dem Tisch. Jede Neuerung in seiner äußern Einkleidung und Redaction hätte eine Empörung der Bauern an Markttagen, eine Erstürmung der Buchbinderläden zur Folge gehabt. Das wußte Blaustrumpfs Schwager und widerstand jeder Zumuthung, die Redaction des Kalenders, wie er sagte, in die Hände der Freimaurer zu geben. »Da wollen sie mir Predigten über die fünf Sinne hineinsetzen,« beklagte er sich einmal, »und statt der Witterungsanzeigen lauter Fragezeichen und Gedankenstriche, als wenn es keinen hundertjährigen Kalender mehr gäbe. Lieder schickt er mir, wovon die Bauern nicht die Melodien verstehen, und Räthsel, die kein Mensch lösen kann! Da würd' ich schlechte Geschäfte mit dem Kalender machen. Er hat mir das Privilegium abkaufen wollen; allein ich muß den Kalender behalten, schon des Wochenblattes und so vieler andern gangbaren Artikel wegen, die ich auf diesem Wege leichter verbreiten kann. Sie wollen eine astronomische Gesellschaft an die Spitze des Büchelchens stellen und Thierärzte, Maschinenbauer, Prediger und Kupferstecher dafür in's Interesse ziehen. Blaustrumpf sagte, eine Akademie der Wissenschaften könne sich's zur Ehre rechnen, den Mispelheimer Kalender jährlich herauszugeben. Allein, absolut, ich habe mein Privilegium, und für den Küsterdienst, den er mir angeboten, dank' ich. Gehen bei meinem Geschäft zwar auch nur mehr Pfennige, als Groschen ein, wie beim Klingelbeutel, so sind sie doch mein und ernähren ihren Mann.«
Blaustrumpf hatte nun aber eine Einladung zur Hochzeit erhalten, die die Tochter seines Schwagers, seine Nichte also, mit einem achtbaren Bürger in Mispelheim feiern würde. Es war der Verwandtschaft, des Blutes und sogar der Ehre wegen, daß man ihn trotz der Feindschaft oder wenigstens trotz eines mehrjährigen wechselseitigen Stillschweigens doch nicht überging, um so mehr, da seine Schwester in dem Augenblick, wo ihre älteste Tochter getraut wurde, selbst noch eines neuen Kindes genesen konnte, wie es Mütter und Töchter genug gibt, die in Erfüllung ihrer edeln Pflichten mit einander wetteifern. Blaustrumpf hatte die Absicht, mit dieser Familienangelegenheit die geistliche Inspectionsreise zu verbinden. Er überredete sich, daß ein neuer Kalendersturm ihm vielleicht doch noch gelänge. Wenigstens hoffte er, einige seiner Truppen in die Festung des unüberwindlichen Buchdruckers und sein privilegirtes Kalender-Gibraltar hineinwerfen zu können, und hatte sich zu diesem Ende, weil er den Geschmack seines Schwagers kannte, sogar auf Reime gelegt. Er hoffte, von seinen Geistesfrüchten vielleicht epigrammatische Stachelbeeren anzubringen, und hatte nach etwa folgendem Muster ein ganzes Arsenal von Schutz- und Trutzwaffen wider den Aberglauben mitgebracht. In Betreff der Meinung z. B., daß Spinnen Glück bringen, hatte er den Vers gemacht:
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Das Glück, das eine Spinne bringt,
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Ferner in Betreff der Meinung, daß ein Paar Mannsbeinkleider, um die Ohren gewickelt, Frauenzimmer vom Ohrenweh befreien:
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Es fand ein Magd ein Hosenlatz,
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Alle diese komischen und etwas frivolen Reime hatte Blaustrumpf, als ein Eisenmenger in seiner Art, unter dem Titel: »Entdecktes Hexenthum« zusammengefaßt und hoffte damit bei seinem Schwager Einlaß zu finden. Einstweilen empfing ihn dieser und seine Schwester am Hause ausnehmend freundlich, und Blaustrumpf würde es auch sogleich erwidert haben, hätt' er sich nur von dem Kutscher loshäkeln können. Dieser hatte wenig Lust, den Thomasius statt baaren Trinkgeldes anzunehmen, Blaustrumpf aber auch seinerseits nicht, ihn unter dem Preise loszuschlagen. Er gab ihm zuletzt das Trinkgeld und das Buch, war aber den ganzen Abend verstimmt und ließ erst am folgenden Morgen eine genauere Beobachtung seines Benehmens gegen seine Schwester, seinen Schwager, die Familie und das ganze inficirte Städtchen zu, das ihm wie ein alter Holzschnitt von anno 1700 vorkam. Er legte sich dann nieder und träumte von nichts als – von Traumbüchern.
Als er erwachte und die ersten Morgenberührungen mit den Seinigen gehabt hatte, empfand er wie ein junger Student, der zum ersten Male von der Universität nach Haus kommt, den ganzen Ballast, den man immer mitladen muß, wenn man durch das »wirthbare« Meer der Freundschaft und Verwandtschaft fährt. All' die lästigen Zumuthungen der Menschen, welche, ohne durch Bildung dazu ein Privileg zu haben, gerade durch die Bande der Verwandtschaft sich zu Allem ermächtigt glauben, was man sonst, wo man fremd ist, unterdrückt, all' diese Vertraulichkeiten, die nicht seinen egoistischen Stolz gerade beleidigten, wohl aber dasjenige, worauf er es war, versetzten ihn in eine üble Stimmung. Wären die Epigramme des »Entdeckten Hexenthums« nicht gewesen, so hätt' er sich keine Belästigung gefallen lassen. Indessen ließ er sich selbst an's Kreuz, wenigstens einstweilender Langeweile schlagen, um desto gewisser später den Aberglauben daran zu bringen. Er war ohnedies in Verlegenheit, wie er seinen Anschlag vortragen sollte, da der Kalender längst wie ein fabelhafter Pontus zwischen ihm und seinem Schwager lag. Dennoch legte er sein Fahrzeug aus und wagte es, in die Druckerei zu schiffen, seinen Schwager in einen engen Winkel zu treiben und wie ein Corsar oder Frühlingsdichter ihm das Messer und das Manuscript auf die Brust zu setzen, um es anzunehmen und dann wieder, aber im Druck, herauszugeben. Sein Schwager zog den ältesten Setzer in seiner Druckerei zu Rathe, da von diesem die hauptsächlichste Anordnung des Kalenders besorgt wurde, und er ohnedies einen Bruder hatte, welcher Kattunformenstecher war, aber auch Holzschnitte für sauber zu formende Tafelbutter und den Kalender lieferte. Blaustrumpf erhielt die Zusage der Aufnahme. Er hatte den Ton getroffen, in welchem, wie sein Schwager sagte, Niemand unübertrefflicher war, als Schumacher, als er noch seine »Elegien auf das Viehsterben« in das Mispelheimer Wochenblatt lieferte. Blaustrumpf ging auf sein Zimmer und schrieb Mördern, daß dieser Erfolg allein schon die Reise belohnen würde. Im Grunde seines Herzens regte sich eine milde Rührung, als er den Brief beendet hatte. An dieser Weichheit hatte seine gegenwärtige Lage den größten Antheil: denn wie unbeholfen war sie! wie gemein die Umgebung! wie plump das Benehmen der Verwandten! Der ganze Schmelz, den die Wissenschaften geben, und die Zartheit der Empfindungen, welche sie wecken, lief hier an und erblindete. Ja, hatte er nicht kaum mit der einen Hand dem Aberglauben einen Stoß versetzt, indem sein Schwager einen ganzen Stoß von Gedichten gegen ihn abdrucken wollte, und kam ihm dabei wohl einen Augenblick der Gegenstand derselben selbst aus dem Gesichte? War seine Schwester, in ihrem andern Zustande und obenein als Mutter einer Braut, nicht so umständlich, daß sie über Alles erschrak und immer daran eine Hexerei anzuknüpfen wußte? War das Haus nicht überlaufen von gewöhnlichen Leuten, die, was seine Schwester nicht wußte, nachtrugen und auf Tritt und Schritt eine Fußangel der Großmutter des Teufels entdeckten? Was für die andern Umstände der Mutter nicht gut war, war für den Brautstand der Tochter erwünscht. Blaustrumpf predigte, wo er hinkam, in jedem Winkel des Hauses. Er riß die Fenster auf, wo es zu dünstig war, er lüftete das ganze Haus, weil er den Aberglauben zum Theil aus schwüler Luft herleitete. Er rieth zu Aderlässen und Schröpfköpfen, um das dunkle Blut zu mindern. Er predigte auf der Kanzel bei großem Zulauf gegen die Vermischung falscher Ursachen und falscher Wirkungen. Der Pfarrer von Mispelheim, Inspector Geigenspinner, war ohnehin der eifrigste Anhänger einer Lehrmeinung, die das Consistorium selber billigte und durch Beförderungen ihrer Bekenner begünstigte.
Blaustrumpfen war es aber eben so sehr um die Ausrottung, als die Erkenntniß des Aberglaubens zu thun. Er konnte jetzt schon den Verlauf seiner Reise mit Ruhe ansehen, da der Kalender seine Sinngedichte bringen sollte. Deßhalb stellte er auch mit der Hebamme seiner Schwester und abwechselnd mit einer weisen Frau, die alle Vorbereitungen zu Hochzeiten im Orte lenkte, ein Verhör an. Ueber Schwangerschaft erfuhr er folgende landesübliche Meinungen: Wenn eine Frau in andern Umständen über den Weg schreitet, den eben ein armer Sünder zum Richtplatz gegangen, so muß das Kind eines gleichen Todes sterben. Hier dachte aber Blaustrumpf an die erfreuliche Criminal-Statistik des Fürstenthums und sagte spöttisch: »Das hat gute Wege!« Die alte Brautjungfer fuhr fort: »Und, wenn Hochzeit ist, und es werden keine Gläser zerbrochen, so werden die jungen Leute nicht reich.« – »Sie meinen, wenigstens der Glaser nicht!« fiel Blaustrumpf ironisch ein. Die Hebamme hatte das Wort. »Und dann ja kein Tuch so um den Leib wirbeln, als wär's ein Strick,« sagte sie: »denn dann muß das Kind gewiß einmal hängen. Auch müssen Sie sich in die Bettvorhänge keine Nadeln stecken: denn davon bekommen die Kinder böse Zähne.« – »Und da Sie gerade von den Betten sprechen,« fiel die Brautjungfer ein, »so muß man mit der flachen Hand auch nicht auf das Brautbett schlagen, wenn man es macht!« – »Warum nicht?« frug Blaustrumpf. »Es ist nicht gut;« hieß es. Die Frau wußte weiter nichts, als: Es ist nicht gut. Sie bekam dabei ein Schütteln und Frösteln in den Gliedern und blieb dabei: Es ist nicht gut. So liegen in dem dunkeln Ocean des menschlichen Glaubens Gegenden von unergründlicher Tiefe, wo das Volk nicht einmal mehr etwas bestimmt Gefährliches und Eventives ahnt, sondern bloß vor dem Abgrunde und dem Ungeheuerlichen, was er bergen könnte, erschrickt. Das Volk fürchtet sich noch immer vor dem Kampfe, in welchem sich der Himmel und die Hölle das Recht auf die Erde streitig machen. Es hat die Ahnung einer bestimmten seligen Ordnung der Dinge und sieht diese bei unzähligen Vorkommnissen gestört. Ueberall, wo der Aberglaube sagt: Es ist nicht gut, da scheint eine Grundlage von Normalharmonie dem ängstlichen Wahne zum Grunde zu liegen, und er fürchtet etwas, das ihm eine Abweichung von der Regelmäßigkeit derselben zu seyn scheint. Das fruchtbarste Feld für die phantastischen Blumen und Wucherranken des Aberglaubens ist die Hoffnung eines neuen Lebens, das in der Mutter keimt. Hier ist der Zusammenhang in der That geheimnißvoller Art, und nur Menschen von so dürren und trockenen, wenn auch gutgemeinten Begriffen, wie Blaustrumpf, könnten, um hier zu predigen, Folgendes wiederholen, was er sagte: »Die Bildung des Menschen ist ja eine rein physische Nothwendigkeit. Der Embryo bekömmt ja das Wenigste von der Mutter, sondern bildet Alles, seine Nahrung, sein Gestell und sein Fleisch aus sich selbst hervor. Auch strebt der Embryo fortwährend darnach, sich unabhängig zu machen, schon nach dem Grundsatze der Perfectibilität des Menschengeschlechts. Er empört sich gegen das Ei, in dem er sitzt. Er wird stärker, als seine Umgebung, er bricht sie zuletzt. Alles, was in der Mutter an künftiger Bestimmung des Kindes fühlbar wird, geht auf physische Empfindungen. Die Verstimmungen des Nervensystems entstehen ja nur aus den Senkungen des Ovariums. Druck in der Herzgrube kann man im dritten Stadium spüren, auch Druck auf die Harnblase, überhaupt auf alle Gefässe, wodurch auch namentlich beim Gehen der Schwangern leicht Anschwellungen der Nerven bei den untern Gliedmaßen entstehen können; aber von einem Druck auf die Gehirnnerven weiß die Physiologie nichts; und dieser Druck kömmt nicht von dem zarten keimenden Weltbürger, sondern höchstens von der trüben, mit nichts als Aberglauben geschwängerten Atmosphäre der Spinnstuben her!«
»Ja, das sagen Sie wohl, Herr Consistorialrath,« bemerkte die »weise Mutter«; »wenn eine Frau in den Umständen nicht oft auf die Bleiche geht, bekömmt sie doch keine weiße Kinder.« Blaustrumpf lächelte: »Gut, ich sage nichts dagegen: wenn es nicht für das Kind nützt, so nützt es doch vielleicht für seine Wäsche.«
So sieht man wohl, daß Blaustrumpf alle Hände voll zu thun hatte, um diese vernagelten Gemüther, wenn es mit dem Schlüssel des Causalnexus nicht gehen wollte, mit der Brechstange seines Zorns zu öffnen. Er stöberte überall, wo er nur hinlangen konnte, die Spinngewebe alter Vorurtheile aus und wischte mit dem langen Aermel seines Consistorialtalars alle Mai-Kreidezeichen von den Thüren ab, die als Amulette gegen böse Gewalt dienen sollten. Er war rüstig, wie ein Weißtüncher, und hatte immer einen gelöschten Kalktiegel der gesunden Vernunft hinter sich, wenn er irgend eines Bürgers Haus besuchte und sich in dem Unter- und Oberstübchen seiner Begriffe umsah. Gern hätt' er an Häuser, die ihm verdächtig schienen, schwarze Tafeln als geistliche Pockenschilder ausgehängt und die Bewohner derselben in Contumaz-Anstalten eingeschlossen; doch da sich hiefür keine Veranstaltung finden ließ, so mußte er sich wohl begnügen, nur mit seinem rationalistischen Desinfections-Chlorkalke die Menschen und hauptsächlich die Gegenstände zu bespritzen. Inspector Geigenspinner sagte: »Ach, es thäte Noth, und nur die lange Gewöhnung an ihn,« (er spielte damit auf eine Versetzung an) »nur diese hinderte die Gemeinde, seinen Ermahnungen eifriges und reuevolles Gehör zu schenken.«
Geigenspinner gehörte zu jenen Geistlichen, die den Talar nur benutzen, um Gesinnungen zu verbergen, die, wenn sie sich offen zur Schau stellen dürften, durch ihre Weltlichkeit verletzen würden; oder es wäre auch möglich, daß er seine noch immer sichtbaren weltlichen Manieren gebrauchte, um gleichsam zu zeigen, daß er mit dem geistlichen Stande nichts, was menschlich wäre, für unverträglich hielte. Blaustrumpf liebte Pfarrer, die Whist spielten und Liebhabertheater arrangirten, weil er sie für das beste Gegengift gegen den Pietismus hielt. »Die Religion,« sagte er, »soll den Menschen Vergnügen machen,« und hatte somit nichts dagegen, wenn die Geistlichen sich gerade als die Meister des Vergnügens ( maîtres de plaisir) benahmen. Geigenspinner hatte überhaupt viele Hofmanieren. Er wußte, ohne gerade zu verleumden, doch immer lieber das Böse von den Menschen zu sagen, als das Gute, am liebsten von seinen Collegen. Tobianus stellte er aus Spottlust in das rechte, Blasedow aus Haß in ein falsches Licht. Blaustrumpf war sehr aufmerksam, als Geigenspinner folgendes theils factisch falsche, theils falsch gemeinte Zeugniß ablegte: »Tobianus ist in der Theologie das, was bei Quartetten immer derjenige ist, der die Bratsche spielt und das Abendessen zu der Unterhaltung hergibt. Er hat die beste theologische Bibliothek in der Umgegend und kauft die meisten Bücher. Er würde keine Ruhe haben, wenn in der Theologie etwas Wichtiges vorgefallen wäre, und er nicht wenigstens eine Recension darüber gelesen hätte. Er will nicht wissen, was der Sinn einer neuen Erscheinung ist, sondern bloß, was man darüber sagt. Frägt man ihn: Haben Sie Lücke's Lukas gelesen, so antwortet er: Nein, aber Schuderoff's Prediger-Journal sagt ungefähr dies darüber. So kann man immer Stoff zur Unterhaltung bei ihm finden, während er noch nie eine Predigt gehalten hat, die er selbst geschrieben hätte. Pfeifen, Journale und neue Bücher sind seine einzige Sorge. Seine eklektische Weisheit nennt er: Mit der Zeit mitgehen. Man kann ihm dabei nicht gram werden, denn er ist ohne Ansprüche und nimmt Rath und Lehren von Jedermann an. Seine Pfarre ist für ihn ein Versorgungsposten. Er ist stolz, es als Sohn einfacher Eltern, die ihm einiges Geld hinterließen, so weit gebracht zu haben.«
Hier stockte Geigenspinner; doch schlug Blaustrumpf selbst die Brücke, um auf Blasedow überzugehen, und sagte: »Sein Nachbar, Blasedow, ist mir widerlich. Ein Mann voll Arroganz, die er aber unter der Originalität verbirgt. Sein Benehmen bei meinem Lexicon hat mir gezeigt, was sich das Land in diesem Manne für eine Plage großgezogen hat; seine Eingaben an das Consistorium sind unter der Firma der evangelischen Freiheit wahrhafte Pasquille auf die Disciplin, ohne welche zwischen Untern und Obern kein Verhältniß bestehen kann. Jeden Erlaß seiner Obern benutzt er nur, um ihn mit romantisirenden Glossen wieder zurückzuschicken. Ich bin überzeugt, daß es mit diesem Manne kein gut Ende nimmt. Wenigstens gräbt er sich selbst die Grube, in die er hineinfallen wird!«
Geigenspinner ging nun noch viel weiter: »Sie halten noch immer zu viel auf ihn, Herr Consistorialrath; ich habe Anzeigen, daß Blasedow am Hirn leidet. Er zerstört sich selbst mit Muthwillen; er takelt seine längst gestrandete Vernunft immer mehr ab. In dem arroganten Gefühle, daß sein hoher Geist sich selbst genug wäre, kümmert ihn keine neue Zeitschrift, keine neue wissenschaftliche Entdeckung. Ohne das Neue noch gesehen zu haben, wirft er es schon mit Widerwillen in die Rumpelkammer des alten Trödels, wie er's nennt. Er verhöhnt den ganzen theologischen Journalcirkel unsrer Gegend und läßt die Ansichten der berühmtesten Theologen am Rande ihrer Aufsätze nicht unangefochten. Mit Bleistift sind Einwürfe an den Rand geschrieben, die an Blasphemie streifen. Weiß er nichts Besseres, so ruft er aus: Nimm Nießwurz! Geh' nach Abdera! Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun! und dergleichen. An einem Artikel von unserm trefflichen Wegscheider hatte er die ganze Passion vermerkt und oben darüber geschrieben: Die ewige Kreuzigung des Herrn. Nun kamen alle Kreuzes-Ausrufungen zu den einzelnen Kapiteln. Mich dürstet! rief er, wo ihm etwas zu trocken schien. Dann folgte: Und sie reichten ihm einen Schwamm mit Essig! Kurz, Blasedow ist die Plage der ganzen Diöcese.«
»Ach,« sagte Blaustrumpf unwillig, »da wollen wir doch gar keine große Umstände mehr machen!« Geigenspinner aber ging immer weiter und holte sogar die Abschrift einer Glosse, die Blasedow über eine günstige Recension des Thomasius gemacht hatte, dieses, wie der Mann sagte, für das Fürstenthum so theuren Buches. »Vernunft-Religion,« hatte Blasedow geschrieben, »ist keine Religion mehr. Sie ist ein Edles ihrer Absicht nach, kann aber die Offenbarung nicht verdrängen. Die Offenbarung ist so groß, nicht ihres Inhaltes, sondern ihrer Form wegen. Diese Form, dieses historische Gewand kann die Vernunft-Religion sich nicht umlegen. Sie kann dem religiösen Bedürfnisse, das sich immer in historische Zustände vertiefen möchte, keine Anknüpfung geben. Wer der Religion bedarf – und in der Art , wie die Masse, bedarf der Aufgeklärte der Religion nicht – wer ihrer bedarf, dem muß sie Geheimnißvolles bieten. Religion und Philosophie sind himmelweit verschieden, gerade so weit, wie der echte Thomasius und Dr. Mörder, der bloß über ihn geschrieben hat.«
Das war ein tiefer, tiefer Stich in den sonst mit so viel Fett umhüllten Herzmuskel Blaustrumpfs. Er überwand aber die persönliche Kränkung und sagte mit ersticktem Aerger: »In dem wärmen wir noch eine pietistische Schlange auf, wenn er erst seine wahre Haut anlegt.« Geigenspinner meinte: »Nein, das wäre eben das Verfehlte an dem Manne, daß er keine Principien hätte, sondern nach Ort und Stunde und Stimmung des Gefühls oder der Leidenschaft sich äußere. Er nehme den Freigeist gegen den Pietisten und diesen wieder gegen Voltaire in Schutz. Er müsse immer die Meinung bekämpfen, welche ein Anderer vertheidigte, und lebe in ewigen Widersprüchen.« Dann kam Geigenspinner auf die Mohrentaufe, die einen reellen Anklagepunkt gegen ihn abgab, und welche sich Blaustrumpf auch gründlichst notirte. Den Schluß bildete die Erziehungsmethode Blasedow's, die man leicht als Beweis von Geistes-Abwesenheit benutzen konnte. Er mußte dabei wahrhaft als ein moderner Don Quixote erscheinen. Den Rest aber gab das Gespenst, was in Kleinbethlehem spukte, und wo sich Blaustrumpf, als er davon hörte, erhob, wie eine Feuersäule, die sich an dem Hintergrunde eines dunkeln Gewitterhimmels entzündet. »Ein Gespenst?« fragte er, indem er beide Hände Geigenspinners ergriff. »Ohne Scherz,« bestätigte dieser, »die ganze Gegend erzählt davon, und Tobianus, der Blasedow's Frau um so lieber hat, als ihm die seinige gestorben ist, ward in die Sache hinein verwickelt: denn es spukt immer nur darin, wenn er in's Haus kömmt.«
Blaustrumpf, der jetzt auf die rechte Höhe seines Inspections-Reisezwecks gekommen war, raffte sich auf und nahm noch an demselben Tage einen Wagen, um Tobianus zu besuchen und von da aus das Terrain zu beobachten. Er wollte den Leuten einmal zeigen, was Gespenster sind! Mit Ingrimm setzte er hinzu: »Und ihm, dem Blasedow, was Wissen und Glauben, Vernunft-Religion und Offenbarung, Thomasius und Mörder ist!« Es gewitterte, regnete und donnerte; aber Blaustrumpf riß sich von der Hochzeit los und konnte nun auch auf keinen Baum mehr sehen, ohne ihn gleich in einen Scheiterhaufen zu verwandeln.