Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

 

Der lateinische Reiter und die Preisaufgabe.

 

Man findet doch gewöhnlich bei den Thieren, daß sich ihr Aeußeres nach der Nahrung richtet, die ihnen reichlich oder spärlich geboten wird. Gemüthsbewegungen hindern bei ihnen die Wirksamkeit des Hafers und der Gerste nicht. Sie werden fett, wenn man ihnen beim Dreschen nicht das Maul verbindet. Doch leidet diese Regel, wie jede, eine Ausnahme, nämlich bei geistlichem Vieh. Der Gaul, welcher dort so eben in das Kreishauptstädtchen hineintrabt und gerade auf den Marktplatz zu seine Richtung nimmt, gehört dem geistlichen Herrn, welcher auf ihm sitzt, ohne Zweifel eigenthümlich zu. An Stroh, Hafer und Heu, an Menschenliebe oder Erbarmen für alle Geschöpfe kann es im Stall eines Pfarrers wahrlich nicht fehlen; allein es muß auf den Zehntengaben ein Fluch liegen: sie gedeihen nicht, sie schlagen nicht an. Deßhalb verhandeln die Geistlichen lieber ihre Zehnten und kaufen sich nachher selber ein, was sie und ihr Gesinde und ihre Ställe bedürfen. Unser Mann da aber ist kein Oekonom, er thut’s nicht; sein Gaul und er selbst brennen vor Magerkeit.

Der Reiter hält vor einem kleinen Laden inne, steigt ab und producirt eine äußerst ausgedehnte Figur. Seine Haltung ist stolz und aufrecht. Seine Mienen verrathen eine gewisse Dürre seines Innern. Man kann ihn weit mehr mit abgesenktem, als frischem Grase vergleichen. Er thut, was er beim Absteigen und Festbinden seines Gaules an einen Baum, der vor dem Laden steht, nicht lassen kann; es kümmert ihn weder der Roland auf dem Markte, noch der Gruß einiger Frauen, die vom Raths- und Rolands-Brunnen in der Mitte des Platzes Wasser holen; er stöhnt und flucht sogar, was von einem Pfarrer und selbst von dem einer Dorfgemeinde schwer zu glauben, aber doch erwiesen ist. Endlich greift er in die Halfter des alten Sattels, den er bei einer Militär-Effecten-Auction einmal erstanden hatte, und zieht nicht etwa Pistolen heraus, wohl aber geistliche Schutz- und Trutzwaffen, eine kleine Bibliothek grau gebundener Bücher, die er in den Laden trägt.

Herr Pauli war schon im Begriffe gewesen, der Ausleerung des Büchermagazins zu Hülfe zu kommen. »Im Pistolenhalfter, Herr Pfarrer?« rief er dem Eintretenden entgegen; »doch freilich die besten Waffen gegen den bösen Feind sind Bücher.«

»Die da, die ich Ihnen zurückbringe, sind aber keinen Schuß Pulver werth,« sagte der Pfarrer sehr trocken. »Hier sind auch die Journale. Wir sind damit immer ein halbes Jahr im Rückstande. Das Christenthum ist schon in den Städten immer hinter der Zeit zurück; nun kann man sich denken, wo wir auf dem Lande damit stehen.«

»Ja, wie soll ich es machen, Herr Pfarrer;« sagte der Papier-, Landkarten-, Schreibmaterialien-Buchhändler und Leihbibliothekar Pauli; »Ihre Herren Collegen sind in der Runde auf zehen Meilen Weges zerstreut. Der theologische Journal-Zirkel verursacht mir die meiste Weitläuftigkeit! Daß die Herren auch das böse Glossenmachen nicht lassen können. Sehen Sie, Herr Pfarrer, hier ist die evangelische Kirchen-Zeitung! Da haben Sie etwas beigeschrieben; ja, ja, ich kenne Ihre Hand!«

Herr Pauli machte eine sehr böse Miene, als er fand, daß der Pfarrer ganze Abhandlungen neben die evangelische Kirchenzeitung niedergeschrieben hatte. »Kann ich so ein Exemplar wieder verkaufen?« fuhr er schmollend fort; »reib’ ich alle diese Notizen, da sie glücklicherweise noch mit Bleistift geschrieben sind, ab, so wird das Papier so runzlig, als wär’ es durch Wasser gezogen. Herr Blasedow, ach, Sie sollten doch auch auf meinen Vortheil etwas besser bedacht seyn.«

Pfarrer Blasedow hatte diese Standrede erwartet. Er hätte gern Jemand anders mit den Journalen zu Herrn Pauli geschickt; allein er hatte diesmal eine zweite Angelegenheit, die er betreiben wollte, und risquirte die Vorwürfe eines Mannes, der zu vielen Umgang mit Geistlichen pflegte, als daß er Alles, was von ihnen ausging, als zur Ehre Gottes gethan, angesehen hätte. Er suchte Herrn Pauli zu beruhigen: »Lieber Herr Pauli,« sagte er unerschrocken, »meine Bemerkungen, die ich neben die evangelische Kirchenzeitung und die Missionsblätter, neben Tholucks literarischen Anzeiger und ähnliche Geistesvögel schreibe, nützen Ihnen mehr, als wenn Sie sie nach einigen Jahren wieder ausflattern lassen. Ich führe nun schon seit sechs Jahren einen heimlichen Krieg mit allen Pfarrern der Umgegend, eine Fehde, die mir glücklicherweise kein Briefporto kostet. Der ist Rationalist, der Supernaturalist, der glaubt an die persönliche Gegenwart Christi beim Abendmahle, der nicht, der will die Union, der weigert sich; kurz, Herr Pauli, wenn ich nach einem Jahre mir die Journale wieder geben lasse, so hab' ich immer das Vergnügen zu sehen, was ich durch meine Randglossen wirke. Ein ganzes Disputatorium wimmelt um die gedruckten Spalten herum, ein Meinungsgesumme schwirrt um diese langweiligen und kopfhängerischen Auseinandersetzungen, das weit interessanter ist, als der Gegenstand selbst. Ich kenne Niemanden von meinen Collegen – Tobianus ausgenommen – aber an den bissigen Redensarten in den Journalen werd' ich ihrer gewahr. Allein jetzt etwas Anderes. Sie wissen, Pauli: an der Religion oder vielmehr den religiösen Streitigkeiten ist mir wenig gelegen. Mein Fach ist die Erziehung. Sie kennen meine Angelegenheit.«

»Leider hab' ich derentwegen,« entgegnete Herr Pauli, »die schlesischen Provincialblätter in meinen Zirkel nehmen müssen. Niemand liest die. Es ist rein nur für Sie, Herr Pfarrer, daß ich die halte.«

Damit überreichte er ihm das neueste Heft. Blasedow ergriff es hastig und schalt in seiner gewohnten heftigen Weise, daß es noch nicht aufgeschnitten war. Eine Scheere in der Hand haltend und gierig in dem Hefte suchend, fiel er endlich auf die Stelle, die ihn am meisten interessirte.

»Es ist gewiß nichts,« bemerkte Herr Pauli mit etwas boshaftem Lächeln; »sonst müßten die dreihundert Preußen schon einmarschirt seyn.«

»Ja, wahrhaftig,« sagte Blasedow, indem er das Heft wegwarf, »es ist in der That nichts. Ein Professor Fritz aus Straßburg hat die Aufgabe gelöst, oder vielmehr die Schafsköpfe von Preisrichtern haben ihm den Vorrang gegeben. Schreiben Sie, Pauli, sogleich, daß man mir meine Arbeit zurückschickt. Wer weiß, was hierbei für Motive obgewaltet haben.«

Man muß nämlich wissen, daß vor mehreren Jahren ein Regierungsrath in Oppeln, dessen Kinder wahrscheinlich eine verfehlte Lebensbahn eingeschlagen hatten, eine Preisaufgabe von dreihundert Thalern in den Zeitungen bekannt machte über die Frage: Wonach sollen Eltern, Vormünder und Erzieher verfahren, um über die künftige Bestimmung und den einzuschlagenden Beruf ihrer Kinder und Pflegbefohlenen zu entscheiden? Blasedow, von einer Ideen-Verwicklung ergriffen, die uns noch länger in diesem Buche beschäftigen, ja, die vielleicht gar die ganze Grundlage desselben bilden wird, Blasedow hatte die Frage in seiner Art zu lösen versucht und erfuhr nun eben, daß die von ihm eingereichte Abhandlung mit dem Motto: Labor improbus omnia vincit, an dem Ziele vorbeigeschossen hatte. Nicht einmal das Accessit hatte er bekommen. Er war sehr niedergeschlagen, nahm an Büchern ohne Wahl hin, was ihm Herr Pauli ausgesucht hatte, und verließ den Laden, um zu seinem Gaul und Dorfe zurückzukehren. Herr Pauli beschwor ihn, indem er ihm zu Roß half und die Steigbügel hinhielt, inständigst: »Lassen Sie doch lieber ihre Bemerkungen unter dem Titel: Randglossen zum heutigen Christenthum, drucken, als daß Sie mir, in der Absicht, ein stillschweigendes tridentinisches Concilium in der Umgegend anzufachen, meine Blätter –« hier zog sich Pauli zurück und fügte erst, als er schon die Klinke seiner Ladenthüre gefaßt hatte, und des Pfarrers Gaul die ersten Sprünge machte, schnell und sehr laut hinzu – »ja, verunreinigen! Herr Pfarrer!«

Jeder Mensch hat eine doppelte Geschichte. Die genaueste Aufzählung aller unserer Lebensschicksale ist immer noch unvollständig, es sey denn, daß wir all unser Leben wie einen Ausschlag auf die Haut hinaustreiben und nichts weiter sind, als unser Ruf. Wir müssen mit Blasedow bekannter werden. Wir müssen sein Leben und sein Herz kennen, um ihm manchen Irrthum und manche Thorheit zu Gute zu halten. Das, was wir zu erklären wissen, wissen wir auch zum Theil schon zu entschuldigen. Blasedow ist ein Mann, der wenig Freunde und auch wenig Neider hat. Feinde zu haben und keine Neider – dann muß man nur reich seyn an abstoßenden Eigenschaften und einen großen Theil der übeln Nachrede, welcher man unterworfen ist, auch wirklich verdienen.

Ich will versuchen, meine Leser Schritt vor Schritt mit einem Manne bekannt zu machen, von welchem ich von vornherein gestehen will, daß er zu den Menschen gehört, von denen die Alten sagten, sie hätten Haare auf ihrem Herzen. Ja, Blasedow hatte sogar Haare auf den Zähnen. Er war so gerüstet und gewappnet, nicht bloß gegen die Außenwelt, was man gewöhnlich so nennt, sondern leider auch gegen jeden Umgang, daß er die einsamste Stellung von der Welt einnahm. Ein Dorf ist nicht ganz so verlassen, daß sich nicht hie und da noch ein Meierhof, eine Fabrik, eine Amtswohnung findet, wo man sich zuweilen am Kamin ein Rendezvous mit Kaffee oder Punsch geben kann. College Tobianus war noch der Einzige, welcher die verödete Pfarrwohnung von Kleinbetteln Eine für die bettelhaften Umstände des Dorfes sehr ominöse Abkürzung für Kleinbethlehem. zuweilen besuchte. Ja, und von ihm sagte sogar das Gerücht, daß es ihm weit mehr um die Mutter von Blasedows Kindern (von seiner Frau sprach Blasedow ungern), als um deren Vater zu thun war.

Wir sind im Stande, über Blasedow sogar eine officielle Notiz zu geben. Unter dem Buchstaben B in dem Blaustrumpf'schen Lexikon Sayn-Sayn'scher Schriftsteller heißt es:

»Blasedow (A[dam?] G[ottlieb?]) geb..... besuchte das Gymnasium in.... die Universität..... ward Hauslehrer.... Pfarrersadjunct in.... Pfarrer in Kleinbetteln.«

Man irrt sich, wenn man glaubt, daß die durch Punkte bezeichneten Auslassungen in dieser Notiz von uns aus Discretion herrühren; nein, gerade so unvollständig, wie hier, lautet auch die Notiz in dem besagten Lexikon. Blaustrumpf, der Consistorialrath, der geistliche Chef unseres Helden, schrieb mehreremal vergebens an denselben um vollständige Ausfüllung des ihm übersandten Schemas. Blasedow weigerte sich, es zu thun, bis er zuletzt durch folgendes kurze Schreiben alle fernere Verhandlungen abgebrochen hatte:

 

Sehr verehrter Herr Consistorialrath!

In Erwägung, daß auf meinen Namen Blasedow unmittelbar der Ihrige in dem Lexikon Blaustrumpf folgen wird, in Erwägung, daß Sie die Welt schon durch so viele berühmte Schriften bereichert haben, welche Sie alle nicht umgehen können in dem Lexikon zu verzeichnen, in Erwägung, daß Sie Ehren- und wirkliches Mitglied von mehr gelehrten Gesellschaften, als es Gelehrte in der Welt gibt, sind; bitt' ich Sie, zur vollständigen Aufführung derselben sich auch des mir in dem Lexikon bestimmt gewesenen Raumes bedienen zu wollen, und zeichne

Hochachtungsvoll            
Ihren ergebenen Diener
A. G. Blasedow.  

 

Blaustrumpf begnügte sich, aus dem A. G. wenigstens eine Conjectur auf die Vornamen des spröden und schnöden Mannes zu machen, und nahm sich vor, bei jeder nur eintretenden Vacanz auch anzunehmen, daß Blasedow gar nicht im Lande existire. »Wer nicht in meinem Lexikon stehen will,« sagte er, »der steht auch nicht auf der Expectantenliste.«

Blasedow wußte das wohl, was er von seinem Vorgesetzten zu erwarten hatte. Er war aber zu stolz und zu sehr Misanthrop, um sich etwas merken zu lassen. Desto größer sein Unmuth, wenn er allein war. Man hatte diesen Mann schon angetroffen, daß er vor innerem Grimm zerbrechliche Gegenstände zertrümmerte, oder daß er Stunden lang in die blaue Luft hinaussah, ohne sich auch im geringsten um seine Umgebung zu kümmern. Seine Frau war seine Magd. Er hatte sie mit der Pfarre, wo sie als Wittwe von seinem Vorgänger sitzen geblieben war, mitgeheirathet. Er hielt sie für unfähig, den Horizont seiner Ideen zu erklimmen. Er hatte Niemanden auf der Welt, der es freundlich mit ihm gemeint hätte. Und so, wie sein Herz dachte, dachte er auch nicht, daß er Jemandes bedürfe.

Wir haben jetzt den wunderlichen Mann allein und wollen im nächsten Kapitel die Gedanken zusammenstellen, die ihn auf seinem Heimritte bestürmten. Wenn er uns dabei nur nicht vom Pferde fällt! Er ist im Stande, sich blutrünstig zu sehen und dabei noch keine Miene zu verziehen. Er ist einmal davon überzeugt, daß er der unglücklichste Mensch von der Welt ist. Sein Unglück ist aber dies, daß er glaubt, seine Bestimmung ganz und gar verfehlt zu haben.



 << zurück weiter >>