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Sechstes Kapitel.

 

Begegnungen.

Blasedow ging nicht allein in den Wald. Ein zottiger Schäferhund, ein treues Thier, Wasser genannt (ein auf dem Lande üblicher Hundsname, der entweder, wenn die Türken etwas tiefer nach Deutschland gekommen wären, von Vezier abgeleitet werden müßte oder mit Azur zusammenhängt), Wasser sprang hinter ihm her und wedelte treuherzig mit dem Schweife. Wir dürfen dies Thier nicht aus den Augen lassen; thäten es doch auch die nicht, welche wir bald kennen lernen werden! Der Wald war übrigens sicher. Sayn-Sayn befand sich bei seinem Aberglauben so gut, daß die Gefängnisse oft Jahre lang leer standen. Die Regierung des Fürstenthums kam jährlich in Verlegenheit, wie sie es mit den in andern Staaten üblichen statistischen Tabellen über die Criminalstrafen halten sollte; sie war überzeugt davon, daß diese Veröffentlichungen nach der Abschreckungstheorie Viele, denen es am Hals juckte, abhielt, sich den Strick zu verdienen. Sie half sich da, so gut sie konnte. Sie setzte auf's Gerathewohl in die Landesblätter, daß eine bestimmte Anzahl Verbrecher wegen Raub, Mord, Diebstahl zwanzig, oft noch mehr Jahre in's Zuchthaus gekommen wären; allein es war kein wahres Wort daran. Hatten sie einmal einen Verbrecher erwischt, vielleicht auf der Grenze, der sich im Fürstenthum Sayn-Sayn gesicherter glaubte, so machten sie ordentlich Staat mit ihm. Sie führten ihn durch das ganze Land in geschlossener Kette, gleichsam zur Schau, wohin das Verbrechen führe. Nicht selten auch, wenn die Jahre durchaus nicht gedeihen wollten, ahmte man die auf kleinen Theatern bei Kriegs- und Krönungszügen übliche Sitte nach, daß man auch hier die Statisten der Gerechtigkeit hinter den Coulissen herumlaufen und mehrere Male auftreten ließ, um ihre Zahl zu vergrößern. Als nach der Schlacht bei Jena die Franzosen nach Berlin kamen und ihren Einzug hielten, wollte ihre Anzahl kein Ende nehmen. Die Berliner, die Napoleon noch immer für einen Kaiser aus Pappendeckel hielten, behaupteten damals auch, die Regimenter marschirten um die Mauern und den Ober- und Unterbaum herum und kämen wieder einigemal zum Vorschein, um einer Nation von lauter Alexandern und Bayards Angst einzuflößen. Mit dem Fürstenthum Sayn-Sayn verhielt es sich aber wirklich so, wie wir sagten.

Wenn die alten Weiber in den Dorfstuben die Hände über dem Kopf zusammenschlugen über die Menge von solchem Ungeziefer, die nun geschlossen in's Zuchthaus kämen, so kann man versichert seyn, daß diese Vervielfältigung nur von einem Individuum ausging, welches im ganzen Lande in die Kreuz und Quere als abschreckendes Beispiel für alle Embryone von Uebelthätern herumgeführt wurde.

 

Wie Blasedow, eine Zeit lang in Nachdenken versunken, durch den Kieferwald und sein sandiges Bette gegangen war, hörte er das Knallen einer Peitsche und das breitspurige Schleppen eines Wagens durch den mühseligen Sandweg von Kleinbethlehem nach Dreifelden, einem ansehnlichen Dorfe jenseits des Waldes. Endlich kam der Wagen näher. Der war von drei langgespannten Pferden gezogen und enthielt das ganze Haus des Landraths, seine Kinder, seine Frau, seinen Hauslehrer, nur den Grafen von der Neige, den Landrath selbst, ausgenommen.

Gern wäre Blasedow eingelenkt: denn, dachte er, wenigstens der Landrath meint es nicht zum Besten mit mir, weil ich ein Los auf seine Güterlotterie ausgeschlagen habe. Ein sauberes Aristokratennest! Ob durch Zufall oder Mitleiden, wie mag's nur gekommen seyn, daß sie ihre Güter wieder gewonnen haben? Erst bringen sie ihre Ahnen unter den Hammer einer Auction, ja, wenn das noch; nein, sie machen ein Lottospiel, à Los einen Thaler, aus ihrem Grund und Boden, aus Koppelwirthschaft, Patronat, Patrimonial-Gerichtsbarkeit, Alles zusammen von einem Juden in Entreprise genommen und nun Viertel-, halbe, ganze Loose, wer's Glück hat! Der Waisenknabe, der in der Residenz aus dem Rade gezogen hat, fühlte gewiß darin herum, wo er sich an einer Nadel stechen würde; daran soll der Hauptgewinn befestigt gewesen seyn, so daß, indem er Au! schrie, die Gräfin beinahe vor Freude umgefallen wäre. Inzwischen hat dieser Glücksstich nur das bedenklich zusammengezogen gewesene Geschwür der Gläubiger aufgestochen.

Die Güter sind nun schuldenfrei; vor den Creditoren, ich will's glauben, auch vor ihrem Gewissen haben sie Ruhe; allein sie wetteifern noch immer an Sparsamkeit mit den Kirchenmäusen, wenn sie auch thun, als hätten wir gemeine Leute die Midasohren, sie aber die allesvergoldenden Midashände. Wie mach' ich's nur, daß ich in einem Walde, der kein Gebüsch hat, ihnen aus dem Wege gehe.

Doch inzwischen rief schon die Glockenstimme der Gräfin Sidonie ihn bewillkommend: »Welch ein Glück, Herr Pfarrer!«

»Gnädige Frau Gräfin,« erwiderte Blasedow stillstehend und den Hut lüftend; »Sie haben in allen Dingen Glück. Doch mich zu treffen, ist kein so guter Treffer, wie der, welchen Sie neulich hatten.«

Indem jetzt der Wagen anhielt, und Blasedow dringend ersucht wurde, einzusteigen, grübelte er, wie er wohl das Nadelholz der Fichten mit der Stecknadel ihres Glückes in Verbindung bringen könnte, ohne dabei besonders tief zu stechen. Er mußte sich bequemen, es sich im Wagen unbequem zu machen: denn eine ganze Horde gräflicher Schößlinge, die alle an dem Stammbaume derer von der Neige hinaufkrabbelten, wühlte in dem glücklicherweise ganz offenen Wagen. Auch Herr Ritter, ein junger Candidat, der den Hauslehrer der Kinder und den Cavalier der Gräfin machte, wollte seinen Sitz Sidonien gegenüber nicht aufgeben. Es half nichts, der älteste der jungen Grafen mußte auf den Bock klettern, ein Arrangement, das Wasser dadurch wieder in's Gleichgewicht zu bringen suchte, daß er hinten auf den Tritt des Wagens sprang und zuweilen seine Vorderpfoten vorwitzig über die Lehne streckte, wobei die Schleife und eine Blume auf der gräflichen Haube nicht wenig in Gefahr war, geknickt zu werden.

Ich gestehe, hier in Verlegenheit zu kommen. Ich kann unmöglich die jetzt sich entspinnenden Scenen auf dem Rocken meiner Darstellung zu Fäden drehen, die Alles enthielten, was an Material sich mir darbietet. Ich muß deßhalb vorausschicken, daß mit den größern Gruppen, die ich hier aufführe, parallel laufen eine zahllose Menge kleiner Basreliefs am Fuß der Statuen, die gräflichen Kindertumulte nämlich, die hundert Verwicklungen naseweiser Bemerkungen, die vielen heimlichen Boxduelle und Aufschreie wegen einer möglichen Verwundung, die Streitschlichtungen, die öfters angebrachten Ohnmachten der Gräfin als letztes Rettungsmittel gegen die Erdreistungen dieser durch eine Lotterie und– einen Nadelstich geretteten kleinen aristokratischen Canaille. Blasedow war nachsichtig, denn er gehörte zu den Bewunderern Sidoniens. Sie war auf dem Beresina-Uebergange aus der Jugend in das Alter begriffen, eine Frau, schön wie Rom, in ihren Erinnerungen und Resten nämlich. Ihre Stirn war hoch gewölbt, ihr Auge dunkel und noch schwarz von Augbrauen umringelt, die Beugung des Nackens zum Busen herab, da waren noch so viele Trümmer alter Herrlichkeit, so viel Herculanum und Pompeji begraben, daß man erschrocken wäre, hätte man Nachgrabungen anstellen wollen. Ein offenbarer, der Zeit zugefallener Tribut, war eine Zahnlücke ganz vorn am Munde; doch auch hier wurde das Fehlende durch eine meisterhafte Kokettirung gerade eine Breche, die der Muthige bei einem Eroberungsversuche hätte benützen können. Wenn erst Frauen in die Nothwendigkeit kommen, an sich etwas verbergen zu müssen, so haben sie die Einheit ihres Auftretens verloren und suchen durch Mittheilung oder Hingebung die Angst zu mildern, welche sie die Bewahrung eines lästigen Geheimnisses kostet.

»Sie ziehen sich zu sehr von der Welt und von Ihren besten Freunden zurück;« tadelte Sidonie den Pfarrer.

»Es geht mir bei Ihnen zu geräuschvoll her, meine Gnädige;« bemerkte Blasedow, indem er dabei nur an den Lärm hungriger Kirchenmäuse dachte.

Sidonie verstand ihn anders. Sie glaubte, er spiele auf die tumultuarischen Scenen an, welche früher durch den Besuch der gräflichen Creditoren veranlaßt wurden, und sagte: »Wir leben seit einiger Zeit selbst sehr zurückgezogen, besuchen die Residenz nicht mehr und pflanzen, so zu sagen, unsern eigenen Kohl. An der Hand meiner Kinder will ich in spätern Jahren wieder in die große Welt zurückkehren; jetzt hab' ich mit Herrn Ritter, in dem sie einen sehr wissenschaftlich gebildeten jungen Mann kennen lernen werden, die Sorge für die Ausbildung meiner Kinder zu meinem Tagewerk gemacht.«

»Sie sind auch darin glücklich,«, bemerkte Blasedow, größtentheils ernsthaft, »daß Sie bei Ihren Kindern die Grundlage der allgemeinen Bildung zur Hauptsache machen können. Sie erziehen in ihnen Cavaliere, Sie haben nicht nöthig, auf einen bestimmten Zweck für die Zukunft zu sehen. Ihre Privilegien, Ihre Reichthümer erwerben Ihnen für Ihre Kinder ohnehin jenes böse und gute Ding, welches man Versorgung nennt, und worüber wir Bürgerliche uns freilich schlaflose Nächte zu machen haben.«

»Herr Pfarrer, es geht jetzt nur noch nach dem Talent,« erwiderte die Gräfin mit vornehmem Lächeln; »der Adel ist durch sein Wörtchen von jetzt darauf angewiesen, gerade von sich selbst abzuhängen. Wir müssen uns auf die Poesie beschränken, welche für Manchen darin liegt, der Vergangenheit seines Namens bis in dunkle Zeiten nachzuspüren und am eigenen Herd zu sitzen. Wir sind im Staate nichts mehr, als was wir von der Neige sind.«

Neige war der ominöse Name des gräflichen Stammschlosses. Als Blasedow aber wieder von der glücklichen Existenz der Bevorrechteten anfangen wollte, blickte Sidonie äußerst gnädig und drückte ihre zarte Hand auf den Mund des Pfarrers, der, so groß seine Verehrung für die Reize der Dame war, doch zu entschieden demokratische Gesinnungen hegte, als daß er die Hand anders als nur leise angehaucht hätte. Sidonie wußte gewiß Fleisch von Luft zu unterscheiden und rettete den Zusammenhang ihrer vornehmen Rolle durch jenes eigenthümliche Auflachen, welches ich noch immer an Damen von Rang wahrgenommen habe, wenn sie eine ihnen unangenehme Empfindung zu verwischen suchen. »Sie essen mit uns,« hieß es jetzt; »wir wollen den Wirth in Dreifelden um eine Suppe ersuchen. Wir haben die nöthigen Braten und Nachtische im Wagen. Dies Improvisiren der durch ihre Monotonie langweilig werdenden Genüsse reizt immer meinen Appetit. Unter einem Baum, in einer Schenke, bei offenem Wagen, während der langsamsten Fahrt, da hab' ich's lieber, als im Zimmer zu Hause mit den weitläufigen Gängen, wo die Tische von Speisen brechen, und das Essen fast eine Beschäftigung wird.«

Blasedow war es so, als lachte vorn der Kutscher. Er kannte die Verhältnisse genug, um sich den Mann unter vier Augen vorzustellen, wie er diese Radomontade mit den von Speisen brechenden Tischen beurtheilt haben würde. Ironisch sagte er: »Das ist doch wieder ein Vorsprung, den die Aristokratie vor uns voraus hat, selbst das Daseyn, was uns andern Leuten eine Last ist, ihrerseits für eine Erholung zu nehmen. Sie lassen sich das Schwarzbrod in Dreifelden schmecken, als wenn ich bei Ihnen Torten genießen würde. Ein Schemel hat für Sie dieselbe Süßigkeit, wie für mich das Glück, auf einer Ihrer seidnen Ottomanen zu sitzen.«

Der Kutscher biß sich in die Lippen, und die Gräfin, über und über roth, warf einen ihrer ehemals glacirt gewesenen Handschuhe dem Spötter auf den Mund und sagte: »Warten Sie, ich schicke meinen Mann über Sie!«

»Freilich,« beantwortete Blasedow, künstlich erschreckend, »das lassen Sie nur, gnädige Frau; ich würde gern ein Los genommen haben, aber ich ahnte, daß Fortuna Ihnen nichts abschlagen würde. Uebrigens sollte Ihr Herr Gemahl, statt mir zu zürnen, jetzt froh seyn, daß ich mit ihm nicht concurrirte. Ein Los mehr würde den Treffer von ihm haben abwendig machen können, und wenn auch nur um eine Nadelspitze weit.«

Die Gräfin lachte übermäßig und sagte mit jener gewöhnlichen Wendung, die man braucht, um seine Verlegenheit zu verdecken: »Sie sind ein ganzer Mann: das muß man gestehen. Vortrefflich, Herr Pfarrer!«

 

Inzwischen war man vom Sand auf einen Holzweg gekommen und stieg Dreifelden recht in die Flanke. Die Gräfin nickte allen Vorübergehenden, obschon Niemand grüßte. »Wie beliebt Sie sind,« bemerkte Blasedow; aber der Wagen bekam in dem Augenblick einen stillen Ruck, weil es über eine Rinne ging. Man war jetzt in Dreifelden und galoppirte gerade auf den rothen Ochsen zu, welches das beste Gasthaus im Orte war und auch das einzige. Blasedow konnte sich die Empfindungen des Wirthes gut zusammenreimen. Jetzt, dacht' er, fährt er auf, er hört einen Wagen herankommen. Wie ihn die Peitsche elektrisirt! Jetzt steht er an der Thür', kratzt aber, als er das gräflich von der Neige'sche Fuhrwerk bemerkt, sich getäuscht hinterm Ohre, weiß auch noch nicht einmal, ob er Platz (für uns im Zimmer vielleicht), aber, große Frage! ob Platz für die Pferde im Stall hat!

Der Ochsenwirth wurde jedoch nicht ganz richtig von Blasedow beurtheilt. Er rechnete theils auf die wiedergewonnenen Güter, theils auf die hohe Mittagszeit, die es den Herrschaften doch unerläßlich machen sollte, heute an seinem Tische Platz zu nehmen. Ehrerbietig sprang er herzu und wollte den Schlag öffnen; doch der Kutscher, an ein vorläufiges Parlamentiren in solchen Fällen gewöhnt, stand schon unten und verglich die zwischen dem Wirth und der Gräfin gewechselten ungewissen Mienen.

»Ach, guter Mann,« sagte die Gräfin, »nur die eine Frage! Können wir etwa im Garten auf eine gute Suppe, im Nothfall selbst bloße Milch und Brod dazu rechnen?«

»So frugal?« fragte der Ochsenwirth betroffen.

»Ja, ich will Ihnen sagen,« antwortete die Gräfin und lachte, wie bei einer Huldbezeugung, oder als wenn er gleichsam unentgeltlich mitessen könnte; »das Uebrige haben wir alles bei uns!«

Dem Ochsenwirth wurde bei dieser Erklärung so zu Muth, als wär' ihm etwas in's Auge geflogen. »Im Garten?« stotterte er etwas derb; »ich danke Ihnen dafür, Excellenz, denn die kleinen Junker möchten an meinen Himbeerstöcken, trotz dem, daß Würmer in der Frucht sind, wenig zu ernten lassen.«

»Nun denn,« entgegnete die Gräfin mit einem kategorischen Satze, und zugleich auch ihren Fuß auf den Tritt des Wagens setzend und hinausspringend, »so machen wir's uns drinnen bequem.« Das ganze Grafennest wurde bei diesen Worten flügge und sprang von allen Seiten aus dem Wagen heraus. Herr Ritter, der bis jetzt ein sehr maliciöses Lächeln beobachtet und der Gräfin zu secundiren, wenn die Bemerkungen Blasedow's fortgesetzt werden sollten, nicht übel Lust hatte, complimentirte mit dem Pfarrer, wem der Vorrang gebühre; endlich sprangen sie zu gleicher Zeit auf beiden Seiten des Wagens heraus. Blasedow bestellte sich bei dem vor Zorn und Aerger kreideweißen Ochsenwirth eine vollständige Mahlzeit mit so viel Gängen, als nur gehen wollte. Theils Hunger, theils Hochmuth stachelten ihn, etwas draufgehen zu lassen. Die Gräfin verwies ihm zwar diese Verschwendung, da sie darauf gerechnet hätte, er würde ihr Gast seyn; doch meinte sie, man könne ja theilen, ergriff den Arm des Pfarrers und ließ sich von ihm in die Wirthsstube des rothen Ochsen führen, wo der Tisch auf's sauberste gedeckt war, und die Junker sogleich anfingen, aus den Salzfässern zu naschen.

Man setzte sich auf etwas theatralisch angeordnete Weise: die Töchter neben der Mutter, die Knaben neben dem Hauslehrer, Blasedow gegenüber als Chor der nun kommenden magern Tragödie. Ihm schwammen bald die zartesten Fleischklöße in der dampfenden Suppe. Wie gern hätte er sie an die Kinder vertheilt! Gott, sein Gott war ja nicht der Bauch, er dürstete und hungerte nach ganz anderen Speisen, als sie ihm der rothe Ochsenwirth in Dreifelden aufsetzen konnte! Sein Leben war ja die größte Fasten- und Entbehrungszeit, die nur jemals einer Marterwoche von Zukunft vorherging. Er schämte sich, die Klöße nur anzusehen, und blickte zum Fenster hinaus, gleichsam, als wäre ihm noch die Suppe zu heiß.

Herr Ritter glaubte jetzt, daß es seine Pflicht sey, die gräfliche Familie an dem sybaritischen Landpfarrer zu rächen. Herr Candidat Ritter legte jene Lanze, die die Gräfin schon im Walde empfohlen hatte, als sie von des Hauslehrers wissenschaftlichen Kenntnissen sprach, ein und versuchte, von welcher Seite sich wohl ein Pfarrer umrennen ließe, der vor beinahe zwanzig Jahren die Universität besucht hatte und ihm weder etwas von der Geistesphilosophie, noch von der Theologie des wissenschaftlichen Erkennens zu wissen schien. »Essen Sie doch lieber warm, Herr Pfarrer!« bemerkte er; »die Kantische Philosophie ist auch eine kalt gewordene Suppe, die Niemanden mehr mundet.« Die Gräfin rief den Kindern Ruhe zu, die auch ohnehin der hereingetragenen Milchsuppe wegen erfolgte. Sie dachte, jetzt würden sie Beide an einander gerathen. Die Lanze des Herrn Ritter kannte sie, auch von Blasedow's polemischem Talente war ihr der Ruf zu Ohren gekommen – wenn man von den Ohren einer solchen Dame reden darf!

»Sie irren sich, wenn Sie mich für einen Kantianer halten; ich bin ein Schüler Fichte's, wenn Sie doch etwas darauf geben, daß man, um etwas Verstand zu haben, der Schüler eines Andern muß gewesen seyn.«

»Die Wahrheit,« fiel Herr Ritter, ganz roth geworden, ein, »die Wahrheit erfindet der Eine, und der Andere überliefert sie. Wir haben die größten Meister gehabt, die sich für die Schüler ihrer Vorgänger auszugeben kein Bedenken trugen.«

»Mein System ist einmal dies,« widerholte Blasedow, »daß es keine Wahrheitsperle gibt, die man sich nicht aus dem Meere seines eigenen Innern aufgefischt hat.«

»Dann sind Sie ja noch weit mehr ein Schüler Jakobi's;« fiel Herr Ritter ein und sagte außerdem: »Auf diesem Standpunkte werden Sie des beliebigen Meinens und Wähnens niemals ledig werden. Sie werden immer nur Ihre eigene Philosophie in Taschenformat haben und weder überzeugen können, noch heute wissen, was Sie gestern für wahr gehalten haben.«

Der Pfarrer zerlegte ein vortreffliches Stück Rindfleisch; die Gräfin war so weit gekommen, daß sie selbst aß, während die Kinder zum Theil schon fertig waren. Ihre Spannung war so außerordentlich, wie ihr Stolz auf Herrn Ritter, der jedes seiner Worte mit einem vornehmen, wegwerfenden Accent ausstattete. Blasedow sagte in aller Ruhe: »Was Ihnen mißfällt, ist gerade meine Beruhigung. Fragen Sie mich über Gott, über die Natur, über was Sie wollen, ich werde mich hüten, Ihnen mit der Formel einer Schule zu antworten. Ich werde Ihnen immer nur antworten: Gut, daß Sie mich anregen, kommen Sie, wir wollen uns Beide besinnen und sehen, wohin wir mit unserem dummen Verstande gerathen. So that es schon Sokrates.«

»Daß Sie Ihren Verstand dumm nennen,« bemerkte nun Herr Ritter, »ist ganz in der Ordnung und würde auch auf mich passen, wenn ich mir anders auf meinen Verstand etwas zu gut thäte. Mit dem Verstande würden wir Neuere in der Philosophie nicht mehr weit kommen: denn dieser alte, grämliche Gesell ist in dem Schlafrock der alten Philosophie, ja selbst im Schlafrocke Kants sitzen geblieben. Der Verstand zügelt nur die Flüge, welche die Vernunft in das reine, weiße Licht der Ideen wagt. Sokrates erwähnen Sie nur gar nicht: denn jene antiken Unterhaltungen über abstracte Gegenstände waren dem kindischen Frohlocken gleich, wenn es der Jugend geräth, irgend ein nicht zu tief liegendes Buchstabenräthsel zu lösen. Wir sind jetzt namentlich auch in der Theologie auf einem Standpunkte, wo man sich von der logischen Ordnung der Systeme nicht mehr trennen kann.«

»Ich bestreite die Tiefe jener Ideen nicht, von denen Sie natürlich im Augenblick, zwischen der Suppe und dem Rindfleisch, möcht' ich fast sagen, wenn Sie nicht Milchsuppe äßen, nur die Oberfläche abschöpfen können; aber deuten Sie mir nur den Gebrauch an, den Sie von Ihren Ideen für die Kanzel machen werden. Sie verstehen mich recht: ich denke nicht daran, bei der Wissenschaft nach dem Nutzen zu fragen; allein ich frage bei der Wissenschaft nach der Möglichkeit, eine Ahnung davon auch in den Gemüthern der Gemeinde zu erwecken. Ich habe einen Prediger aus Ihrer Schule gehört, der beinahe der Stifter derselben ist, und bin über das kleine Nachmittagspublikum erstaunt, was er des Vormittags um neun Uhr hatte.«

»Sie meinen den Consistorialrath Marheineke,« entgegnete Herr Ritter.

»Allerdings,« sagte Blasedow; »vergleichen Sie diesen Redner mit Schleiermacher.«

»Den ich gänzlich verwerfe,« ergänzte Herr Ritter.

»Den Sie verwerfen!« rief Blasedow aus, indem er die kleine Figur des Candidaten mit der allerdings noch kleineren Schleiermachers verglich. »Warum ziehen die Reden Schleiermachers so gewaltsam an? Weil sie die Wahrheit erst in dem Momente erfinden, wo das Gemüth nach Aufklärung lechzt, weil der ganze dialektische Proceß des Geistes, der nach Klarheit ringt, vor unsern Augen durchgemacht wird, und die Zuhörer selbst von den Instanzen dieses Processes instruirt und auf's tiefste ergriffen werden. Ich bin ein schlechter Landpfarrer gegen den Mann, ein Kothsasse, der nur die Taglöhnerarbeit in der Religion verrichtet; aber das nehmen Sie mir nicht übel, Ihre Formeln kann man in keine blühende, vom warmen Leben angehauchte Worte wieder auflösen.«

 

Herr Ritter zog die Lippen verächtlich und sagte: »Ob die Theologie in landwirthschaftlichen Dünger verwandelt werden soll, um das Feld der Religion besser zu befruchten, das entscheidet über das Schicksal der erstern nicht. Ich bin auch weit entfernt, meinen Beruf auf der Kanzel zu finden.«

»Ja,« fiel die Gräfin ein, »Herr Ritter bereitet sich für das akademische Fach vor. Herr Ritter ist auch nicht für das ewige Aufklären der Landleute und sagte gestern sehr witzig: man könne doch die Religion mit der Kuhpockenimpfung nicht auf eine Stufe stellen.«

Herr Ritter lachte selbst über seine witzige Bemerkung und trieb einige düstre Falten auf Blasedow's Stirne. In dem Augenblick erhob sich aber ein gewaltiger Lärm vor der Thüre. Man sah hinaus und konnte sich im Nu überzeugen, daß das ganze ländliche Mittagessen der gräflichen Familie in der That zu Wasser geworden war. Denn des Pfarrers Hund hatte so lange an dem kalten Braten, der in der Tasche des Wagens mitgeführt wurde, herumgerochen und die weichste Seite desselben durch das Papier hindurch zu ertappen gesucht, bis er gerade in dem Momente, als der Kutscher kam, um die Milchsuppe des rothen Ochsen durch den Braten der Herrschaft zu vervollständigen, mit seinem Raube gewonnen Spiel hatte. Er schleppte den Braten mit Blitzesschnelle fort, wahrscheinlich nicht aus Naschhaftigkeit (denn die würd' ihm Gertrud bald ausgetrieben haben), sondern durch den Hunger und die Vergeßlichkeit Blasedow's zu dem Jugendstreiche verführt.

Meine Feder ist unfähig, die Verwirrung zu schildern, welche durch dies hündische Bubenstück veranlaßt wurde. Die Gräfin und ihre Kinder waren außer sich, doch nur die erstere erstickte ihren Zorn. Herr Ritter hatte nicht übel Lust, den Pfarrer für sein Vieh verantwortlich zu machen. Dieser selbst lachte über die Maßen und fragte, mit dem schadenfrohen Wirthe wetteifernd: »ob denn die gräfliche Familie einzig und allein nur diesen Braten im Schilde geführt hätte und sonst ohne alle andere Reserve gewesen wäre?«

Die Gräfin stellte bei dieser Frage eine förmliche Carricatur vor. Stolz, die ungenirte Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit des aristokratischen Wesens, das Unglück selbst, ihr Geiz und die wirklich sehr schwierigen Finanzen ihres Gemahls, der nun gar, wenn er an Ort und Stelle gewesen wäre, den Pfarrer für seinen Hund hätte über die Klinge springen lassen, alles dies mischte sich zu einem Mienenspiele zusammen, welches in Berlin höchstens von Madame Wolff charakteristisch auf der Bühne hätte ausgedrückt werden können. Dazu kam noch ein Entsetzensschrei, als der Wirth ein großes Stück Rindfleisch auf den Tisch brachte und es gerade vor die Gräfin stellte. Sie warf ihm zwei rollende Augen zu und war eben im Begriff auszurufen: »Um Jesus Willen, wer hat denn« – als Blasedow erklärte, »er halt' es für seine Pflicht, die durch seine Schuld gestörte Harmonie des gräflichen Mittagessens mit Hülfe des rothen Ochsen wieder herzustellen.« Die Gräfin mußte sich jetzt Luft machen und konnte es auch. Sie lachte überlaut und sagte mit abweisender Verlegenheit: »wo er denn hindächte!« Blasedow zuckte die Achseln, und die Gräfin kümmerte sich nicht weiter darum, sondern tranchirte, was sie vor sich hatte, und überließ die Bezahlung denen, durch die sie beinahe freventlich hier in Unkosten versetzt worden wäre.

Blasedow war arm und glaubte, sich an der eben so hungrigen, wie unverschämten Landaristokratie rächen zu müssen. Er wußte, wie sehr man die Gräfin auf die Folter spannte, wenn man irgend einen Zug von Geiz und Bettelstolz erzählte, der auf sie hätte angewandt werden können, namentlich auf ihren Mann, der Landrath des Kreises, aber ein wahrer Aventurier war und gar keinen andern Umgang hatte, als mit Juden. Jetzt, dacht' er, setz' ich wenigstens beim Nachtische, wenn es Aepfel gibt, eine Geschichte auf, die ihr den Appetit um so mehr verderben wird, da sie selbst, mir gleichsam unbewußt, eine Rolle darin spielt. Den Beschluß der Mahlzeit machte in der That ein Teller voll Aepfeln. »Kennen Sie die Geschichte von dem Apfel und dem kunstliebenden Grafen?« fragte Blasedow die Gräfin. Sie erröthete und sagte kleinlaut: »Nein, aber das beste Dessert ist immer, wenn es etwas zum Lachen gibt.« Dies die Gräfin. Blasedow erzählte nun:

»Im hohen Norden lebte ein Bauer, was in Norwegen so viel als ein Edelmann ist, der für seinen Stand (denn auch Grafen sind selten große Musikanten) ganz vortrefflich die Violine spielte. Er hatte aber einen Sohn, der ihn schon in seinem zwölften Jahre bei Weitem übertraf. Der gute Mann bildete sich ein, daß die musikalischen Treibhaus-Pflanzen im Süden eine Seltenheit wären, und schickte sich an, mit seinem Sohne auf Reisen zu gehen und Concerte zu geben. Der kleine Norweger (Olebull war es nicht) fand anfangs vielen Beifall, und die Concert-Einnahmen waren sogar größer, als die Reisekosten. Doch, je mehr nach Deutschland hin, desto mehr durchkreuzten sich die Wunderkinder, desto spärlicher wurden die Einnahmen. Die beiden Virtuosen mußten zusetzen, ja, sie darbten sogar, und der alte Bauer, der aber ganz wie ein Edelmann war, kam sich wie ein hungriger Wallfisch vor, der sich aus dem Meere in einen Fluß verirrte und aus Verzweiflung sich an's Ufer werfen muß. Die Concerte warfen kaum die Kosten ab, geschweige, daß die Kritik durch Bestechungen gewonnen werden konnte. Unter diesen Umständen mußte die ausdrücklich erfolgte Einladung zu einem Concert in unsrer Nähe für die beiden Virtuosen ein blauer Tag nach so vielen grauen seyn. Sie nahmen ihre Geige untern Arm und wanderten (schon längst zu Fuß) nach einem Städtchen hin, dessen Namen ich nicht zu nennen brauche, welches Sie ohnehin kennen werden.«

»Wie soll ich das Städtchen kennen ?« fragte die Gräfin, sich entfärbend.

Blasedow, ohne sich stören zu lassen, fuhr fort: »Einen Tag nach dem ausdrücklich verlangten Concert begegnete mir der Musiker mit seinem Wundersohne, ein blondes, treuherziges Paar, auf der Landstraße. Wir wurden vertrauter, und mit einem Strom von Thränen löste sich das beklommene Herz des Vaters, der mir die üble Lage, in der er sich befand, verrieth. Ich sah wohl, daß dieser Mann nicht zu jenen Armen gehörte, die, ohne darben zu müssen, vor jedem anständigen Rock die Miene annehmen, als müßten sie verhungern, wie es auf Universitäten Adelige gibt, die gern ein Stipendium haben möchten und es in der That durch Mittel und Wege, besonders aber durch keine Scham und Schand dahin zu bringen wissen, daß sie ein testimonium paupertatis erhalten und dann für weit ärmer behandelt werden, als der Sohn des zurückgekommensten Handwerkers. Der Musikant erzählte mir sein gestriges Unglück. Er war von einer Provincialbehörde unseres Fürstenthums eingeladen worden, in der ungenannten Kreisstadt ein Concert zu geben. Wahrscheinlich sollte die Beförderung der Künste und Wissenschaften eine Rubrik in den Berichten an die Regierung bilden, und das Concert sollte diese Rubrik ausfüllen. Der Saal einer lateinischen Schule, der ehemals der Schauplatz geistlicher, von den Scholaren aufgeführter Komödien gewesen war, wurde dem armen Norweger nicht einmal unentgeltlich gegeben. Beleuchtung, Kasse, Alles kam auf seine Rechnung; doch selbst, als die Zahl des Auditotoriums kaum zur Deckung der nothwendigsten Ausgaben hinreichte, als der gute Mann nur ja in einer Loge dieselbe Behörde sah, die ihn eingeladen hatte, hier zu spielen, da ließ er den Muth nicht sinken, sondern vertraute auf Gott, auf seinen Jungen und das gräfliche Paar in der Loge.«

Gräfin Sidonie war an die Persiflage ihrer Vermögensumstände so gewöhnt, daß sie in dieser sie ganz nahe berührenden Anekdote anders nicht die Miene als zum Lachen verzog und Herrn Ritter nicht im entferntesten den Verdacht einer hier als Nachtisch aufgetragenen Anzüglichkeit einflößte.

Blasedow fuhr fort: »Der Knabe spielte vortrefflich; das Publikum, etwas dumm, folgte blind dem Ach! und O! von Entzücken, welches aus der gräflichen Loge verlautete. Klatschte die Gräfin, so fiel das ganze Beamtenpersonal, das ohnedies freien Eintritt hatte, mit einem wahrhaft konservativen Feuer, wie man auf Englisch sagt, ein und trieb den Knaben an, das Unglaubliche zu leisten. Sein Vater inzwischen putzte die Lichter, begleitete zuweilen seinen Sohn mit einem schnell zusammengerafften defecten Orchester und verlor keinen Blick von der gräflichen Loge, auf die um so mehr alle seine Hoffnungen gerichtet waren, als dieselbe in einem (bei uns hätte Einer das gleich vermuthet) unentgeltlichen Entzücken schwamm. Endlich war das Concert zum Schluß gekommen. Der Knabe hatte Variationen von Beriot gespielt, die ganze Scheunen von Beifall ernteten. Das Publikum stand auf, um sich zu entfernen. Der Vater war wie festgebannt, um zu wissen, wie sich die gräfliche Loge nun benehmen würde. Wirklich, der Graf winkt beiden Künstlern. Der Vater nimmt den Sohn an die Hand, und ehrerbietig treten sie an die Brüstung der Loge. Drei Ducaten wären ein Manna vom Himmel gewesen. Mit zweien schon hätte der Vater ruhig schlafen können. Er nimmt die übertrieben gnädigen Lobeserhebungen als schickliche Einleitung des kommenden Geschenkes hin. Der Graf spricht immer mit dem Kleinen, dessen blondes Haar und blaue Augen, dessen gebrochenes Deutsch auf jeden Andern mit Rührung gewirkt hätten. Er lobt sein junges Talent, seine kleinen Hände, seine kleine liebe Geige, seine langen blonden Locken sogar, er lobt immer nur das Winzige an ihm, drückt ihn recht absichtlich in eine Sphäre hinein – als würd' er einen recht guten Spielkameraden für die gräflichen Kinder abgeben, greift endlich in die Tasche und sagt: »Nun, ich muß dir doch auch etwas geben, kleiner Mann!« und gibt ihm – einen Borsdorfer Apfel!«

Die Erzählung einer vom Grafen von der Neige ausgegangenen Hungerleiderei machte auf seine Gattin noch lange nicht den empfindlichen Eindruck, als daß sogar Herr Ritter in diesem Augenblick seine Lanze streckte und durch lautes Gelächter die Pointe des Blasedow'schen Vortrages noch um Vieles greller hervorhob. Inzwischen waren die Kinder schon aufgebrochen, Blasedow bezahlte die Rechnung für sich und das Stück Rindfleisch der Gräfin nebst Zubehör; der Kutscher legte das Geld für die Milchsuppe aus, obschon er nicht gern heran wollte, vielmehr zwischen den Zähnen etwas von Nichtwiederbekommen murmelte. Herr Ritter war von der Geschichte so eingenommen, daß Blasedow ihm sogar haarklein das Gestöhn des Vaters erzählen mußte, als dieser mit dem Geßlerschen Landvogts- (Blasedow sagte: Landraths-) Apfel sein eigenthümliches Tellziel verfehlt hatte. »Beide, Vater und Sohn, leben jetzt in Stockholm,« schloß der Pfarrer.

Die Gräfin war eine Minute abwesend, kehrte aber bald wieder zurück und betrieb den Aufbruch. Sie hatte den Borsdorfer Eris-Apfel vergessen, sie behauptete mit gewohnter Unerschrockenheit ihre Würde. Sie lud den Pfarrer ein, mitzufahren: »Wir wollen nur Ihr Feuer, nicht Ihren Wasser haben;« bemerkte sie sehr gnädig; allein Blasedow behauptete, einen andern Weg einschlagen zu müssen. »Nun denn,« endete die Gräfin, »so versprechen Sie mir wenigstens recht bald Ihren Besuch. Ich wünschte so, daß sich Herrn Ritters wegen die geistreichen Männer der Umgegend auf der Neige zuweilen träfen und, wenn sie sich das Rauchen untersagen können, ein tüchtiges, auch für uns arme Frauen nützliches Gespräch mit einander durchführten. Ich will mich dabei ganz stillschweigend verhalten, soweit ich es beim Theeserviren seyn kann. Nun, geben Sie mir die Hand, Pfarrerchen, ich halte Sie beim Worte.«

Indem trieb der Kutscher die Pferde an, und Blasedow war allein. Er ging verstohlen aus dem Dorfe, weil er fürchtete, bei den Dreifeldern wegen des Umgangs mit der abgerissensten und anspruchvollsten Familie im ganzen Fürstenthume in schlechten Credit zu kommen. Endlich hatte er den Steg erreicht, welcher ihn nach Kleinbethlehem zurückführen sollte. Er mußte aber stillstehen und die Hände zusammenschlagen; dann ging er und blieb wieder stehen, indem er sein Haupt schüttelte. Hätte er einen warmen und redlichen Freund gehabt, so würd' er sich gegen ihn in diesem Augenblick gewiß folgendermaßen ausgesprochen haben: »Mir ist es ein Traum; aber diese Menschen leben ewig darin! Heilige Natur, wo ist eine größere Gleichmacherin, als du! Hätten sie auch nur die leiseste Ahnung von deiner Größe und ihrer eigenen Nichtigkeit, sie würden niederfallen und anbeten, sie würden jedes Wort, das aus ihrem Munde kömmt, wie die eingelernte, nicht aus dem Herzen sprießende Phrase des Schauspielers ansehen. Mir käme der Wind gespenstisch vor, der das Echo eines solchen Treibens in mein Ohr leitete! Und was trägt nicht Alles der menschliche Körper! Wie sinkt er nicht unter der ewigen Erregung ihrer lügnerischen Gedanken, ihrer gaukelnden, ja gaunernden Einbildungen zusammen! Ach, ich glaube, er thut's des Abends, des Nachts, wenn sie in ihr Lager sinken und die Schminke von den Wangen waschen, wenn sie sich die falschen Busen abschnallen und Niemanden mehr vor sich haben, der sie prahlen hört, als sich selbst, dies ihnen so wohlbekannte Sich selbst.«

Am Gebüsch, in welches jetzt Blasedow trat, sprang ihm Wasser freudig entgegen und schien ihn bitten zu wollen, es gnädig mit ihm zu machen. Blasedow liebkoste ihn und sagte: »Sey ohne Sorge!« – Indem blickten durch einzelne Lichtpunkte des Waldes die grünen Fernsichten von Wiesen und Feldern herüber, die tiefer als das Gehölz lagen, dessen Rand er nur bestreifte. Die Sonne war schon tief herabgesunken und blitzte hie und da von den Fensterscheiben einzelner Meierhöfe ab. Auch auf einem fernen Punkte, den Fenstern seiner Kirche, schimmerte die große Kugel. Er konnte zu Haus erst eintreffen, als sie schon herabgerollt war. Dies allmähliche Zufallen der Augenlieder der Natur, die geheimnißvolle Stille, welche dadurch noch feierlicher wurde, daß der Rand des Waldes und der Abhang ganz im Schatten lag, und nur in der Ferne die ebene Gegend von den Sonnenstrahlen glänzte, umschlich auch unsers Freundes einsames und ringendes Innere. »Es gibt einen Frieden,« dacht' er, »o, wer ihn hätte!« Es war ihm, als zögen sich magische Kreise um seine Schritte, als säh' er sich entrückt aus diesen so friedlichen Sphären, die ihn nur deßhalb zur Wehmuth zu stimmen schienen, weil er ahnte, daß sie nicht die Grenzen seines Daseyns, »ach, sag' ich es nur heraus,« dacht' er, »die Grenzen meiner Leiden bilden werden.« Die Idee, daß er sein Lebenslos falsch gegriffen, beschäftigte ihn fortwährend. Er wollte etwas seyn, wenigstens mehr, als er war; er wollte etwas leisten, eine Arbeit der Woche, nicht bloß eine Arbeit des Sonntags, wo die Andern ruhen; allein er sagte heute, wie so oft: »Ich bin eine Kartoffel. Ich bringe meine Früchte nur nach Unten, nach der Erde hin. Das Beste von mir wird man erst wieder aus der Erde wühlen müssen. Eitler Traum, an die Schönheit einer Blume, einer an der Sonne meiner Zeit reisenden goldnen Frucht zu denken! Zum Maulwurf und zur Kartoffel bin ich der Dritte.«

Als aber sein Inneres ganz still, und seine Stirne ganz nachdenklich wurde, da dachte er an seine Kinder, mit denen er etwas Großes vorhatte. Er ging mit dem Gedanken um, Kleinbethlehem in ein romantisches Schnepfenthal zu verwandeln und mit Salzmann, Blasedow und Pestalozzi um die Krone wahrhaft tüchtiger Menschenerziehung zu wetteifern. Für diese Krone, um sie aufzuhängen, gab es bei ihm nicht bloß den Kopf; sondern auch einen Haken am Kopf, einen Sparren, einen Sporen nebenbei, der nun bald unsrer Geschichte in die Weichen gesetzt werden und sie selbst etwas beschleunigen wird.



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