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Fünftes Kapitel.

 

Die Amtsbrüderschaft.

Wir haben schon öfters des Pfarrers Tobianus erwähnt, eines benachbarten Freundes der Pfarrei in Kleinbethlehem. Jetzt sehen wir ihn mit einer kleinen Kalesche, von Sophien, einem zehnjährigen munteren Mädchen, begleitet, in das vor uns bisher aufgespannte Gemälde mitten hineinfahren, eine große Staubwolke aufwühlend, wie viele Nebenpersonen in Dramen und Romanen auftreten und einen um so größeren Lärm machen, je kleiner ihre spätere Rolle ist. Bei Leibe, ich will das Interesse an Herrn Tobianus nicht gleich bei seinem ersten Auftreten untergraben. Mag sich der Mann entwickeln, mag er sich so breit machen, wie er neben seiner unruhigen Tochter sitzt. Er dampft Tabakswolken aus der Pfeife von Meerschaum. Er ist das lebendige Gegenbild zu unserem noch schlafenden, unglücklichen Freunde, zufrieden, überzufrieden mit seinem Lose. Er hatte nie in den ersten Reihen gestanden und war nie durch den Alp des Ehrgeizes um seine Nächte gekommen. Tobianus hatte sein ganzes Leben hindurch so gerechnet: Bekommt der acht oder zehn, so bin ich mit drei, vier sehr zufrieden. Tobianus ordnete sich jedem stärkeren Willen, jeder höheren Fähigkeit freiwillig unter. Alles, wodurch er sich übertroffen fühlte, fand an ihm seinen ersten Lobredner. Unwillkürlich und ohne Affectation pflegte er oft zu sagen: »Wir andere und gewöhnliche Leute.« Bei jeder Parteiung erklärte er sich für die Gemeinschaft mit Jenen, welche das gezügelte, bevormundete Publicum bilden. Wer hätte glauben sollen, daß dieser Mann Umgang mit den classischen Musen gepflogen und Plato und Demosthenes auf der Schule wenigstens, wenn nicht gelesen, doch buchstabirt hatte!

Tobianus sollte nun aber einen Gelehrten machen. Es war eine Kugel in jenem geistlichen Rosenkranze, der im Fürstenthume Sayn-Sayn äußerlich die Religion vorstellte. Doch auch in diesem Berufe predigte er nichts Anderes, als was er den Leuten vom Gesicht und dem Kanzelpulte vom Papier ablesen konnte. Eine Predigt zu memoriren, hätte ihn um seinen Verstand gebracht. Wie oft vergaß er nicht sein Papier, und wie oft mußte er nicht umkehren, nachdem er auf der Kanzel schon das Eingangsgebet hergesagt hatte! »Ich habe das Gute bei meiner Mittelmäßigkeit,« pflegte er zu sagen, »daß ich niemals aus dem Contexte komme. Meine Predigten haben Hand und Fuß. Sie sind oft weit besser, als ich sie machen kann.« Man sieht, daß Tobianus hier nur von den Reden spricht, die er hielt, nicht einmal von denen, die er machte. Er nahm nicht selten Reinhards und anderer Meister Predigten mit auf die Kanzel mit dem Bemerken: »Ich meine immer, es ist dem Zwecke weit angemessener, fremde Vorzüge einzuräumen, als den Mangel seines eigenen auf halbe Weise zu bemänteln.« Nur gegen Blasedow war Tobianus nicht so tolerant. Er erkannte seinen Geist an, er war weit entfernt, ihm den Vorrang streitig zu machen; allein er hielt ihn auch für eben so confus, als genial, für eben so unklar, als originell. Er stellte seinen kühnen Einfällen und Bestrebungen gewöhnlich die Bürgermiliz seiner eigenen krummbeinigen und blassen Gedanken entgegen. »Blasedows Wahnsinn gegenüber,« sagte er, »will ich den Katechismus als das Werk der tiefsten Weisheit vertheidigen. Besser nüchtern und schaal, als voll und betrunken. Besser auf einem Esel nach Jerusalem reiten, als in einem Luftballon, der in irgend einem Baume hängen bleibt. Besser ein besonnener Schüler, der gesunder die Lehren Anderer nachbetet, als ein fiebernder Prophet, dessen Ideen nahe an Narrheit streifen.« Da sieht man also – Tobianus konnte bei seiner Trockenheit sogar Feuer fangen. Einem Don Quixote gegenüber fühlte er sich als Maulthier-Treiber stolz. Besser Hafergrütze, dachte er, als eine angebrannte Pastete.

Vorn auf dem Bock der Kalesche saß das ehrlichste Gesicht, welches jemals blonde deutsche Haare beschatteten. Dennoch bemächtigte sich dieser gutmüthigen und einfältigen Züge des Knechtes eine gewisse Schlauheit, als sie in die Nähe des Dorfes kamen. Peter Erich, der Kutscher, blickte einigemale rückwärts, und Tobianus bemerkte sein Lächeln, achtete aber nicht darauf, weil er wußte, daß man ihn als Wittwer im Verdacht hatte, mit Frau Gertrud vertrauter zu seyn, als der Mann derselben. Erst als Peter Erich anfing, über die Maßen langsam zu fahren, schalt er ihn und verwies ihm sein unpassendes Grieflachen. Da hielt Peter Erich sogar die Pferde an, stand von seinem Sitz auf und nahm seine Mütze ab. »Ach,« stotterte er, »da soll im Dorfe jetzt mit einer ganzen Armee wilder Bestien auch ein Papagey angekommen seyn, der ein wahres Wunderthier ist. Spricht Alles und versteht Alles, reist aber heute noch ab. Da sehen Sie, die Wagen sind schon bespannt; wenn wir rechts herum fahren am Wirthshause vorbei, könnte ich das Ding noch zu sehen bekommen.« Als Tobianus nichts dagegen hatte, fuhr Peter Erich, wie schnell es nur auf dem Landwege gehen wollte, dem Dorfe von der Seite zu, wo die Schenke lag.

Hier war die Menagerie eben im Begriff; aufzubrechen. Die Pferde waren schon vor die langen Kästen gespannt, zwei Damen schrien und lärmten umher und beaufsichtigten das Einpacken ihrer Garderobe. Auf dem offenen Kutschenfenster der Seite des herrschaftlichen Wagens, welche zublieb, saß in der That das wunderbare Thier, von welchem Peter Erich durch Michel Meyer gehört, der den Abend vorher das Thier schon angehört hatte und Peter Erich unterweges begegnet war. Sophie fürchtete sich, abzusteigen und dem grünen Vogel mit seinem verdächtigen krummen Schnabel und dem ängstigenden Krauen und Krakeln, welches dem Papagey eigen ist, zu nahe zu kommen. Aber Peter Erich band seinen Gaul fest, stellte die Peitsche ehrfurchtsvoll hin und schickte sich mit besorgten Schritten an, den Wundervogel näher zu betrachten. Das Krächzen des Thieres erschreckte ihn sehr. Doch trat er näher und versenkte sich in staunende Bewunderung vor einem Wesen, das gefiedert war und doch dem Gerüchte nach ordentlich sprechen sollte. Der Papagey betrachtete ihn eine Weile und sagte plötzlich: »Wie heißt du?« Peter Erich zitterte am ganzen Körper und erdreistete sich, mit ehrerbietiger Stimme zu sagen: »Peter Erich.« Der Papagey nahm ihn nun näher in Augenschein, brummte heimlich immer etwas vor sich hin und machte Peter Erich glauben, das Thier besänne sich auf alle schlechte Streiche, die er schon gemacht hätte. Jetzt brach der Vogel heraus: »Mach' dein Kompliment!« Wie Peter Erich das hörte, besann er sich erst in der größten Verlegenheit eine Weile. Kaum hatte der Vogel seinen Befehl wiederholt, so griff er an seine Kappe, nahm sie ab und machte in der That eine Reverenz bis tief zur Erde. Peter Erich zog sich dabei langsam zurück; der Schweiß stand ihm auf der Stirne, und obgleich Tobianus und Sophie aus vollen Leibeskräften, diese über den Vogel und jener über das gute, ehrliche Schaf, lachten, konnte er doch immer noch nicht zur Besinnung kommen und fuhr in der festen Ueberzeugung, daß der Vogel ihn gekannt hätte, mechanisch in die Pfarrwohnung von Kleinbethlehem.

Menschen von unzureichender Bildung pflegen die Regungen ihres Herzens mit großer Kunst bemeistern zu können. Vielleicht ist es auch nur Apathie, vielleicht ist nicht einmal eine Kunst dabei vorhanden. Mütter gibt es, die für ihre Söhne das Leben lassen könnten und sie doch nie geküßt haben, ja, vielleicht kaum anders, als zankend mit ihnen sprechen. Bei Ehegatten pflegt sich die Neigung oft hinter Poltern zu verstecken. Sie wählen das Gegentheil ihrer Empfindungen, weil sie für den eigentlichen Ton derselben kein Instrument, keine äußere Form haben und doch gewiß sind, daß hinter dem Poltern unmöglich Ernst verborgen seyn kann. So sehen wir auch, daß Tobianus von Gertrud sehr einfach und kalt empfangen wird, und möchten das Gerede der Welt für eitel Verleumdung erklären, wenn nicht die Art, wie sich's Tobianus nun im Hause bequem macht, eine Freundschaft verriethe, die sich sicher fühlt. Da wird sein Pferd ohne Weiteres in den Stall geführt. Peter Erich putzt den Wagen, alle Handleistung wird ihm gereicht. Tobianus zieht einen Hausrock an, den er immer in Kleinbethlehem zurückläßt; er nimmt Pfeifen aus einem Wandschrank in der Hausflur hervor; seine Tochter, ein wildes Kind, commandirt die etwas jüngeren Knaben; Erfrischungen werden ihm in den Garten nachgetragen, wo er als wahrer Hausvater die Bienenstöcke untersucht, die Fortschritte der reifenden Baumfrüchte vergleicht, kurz, überall nach dem Rechten sieht. Endlich läßt er sich unter einem großen Acacienbaume, unter welchem Tisch und Bänke angebracht waren, nieder und schlägt ein Buch auf, während Frau Gertrud Spargeln absticht und ihm zuweilen von Obstbäumen und Hecken, wo sie vorbei mußte, einige gute Proben auf den Tisch legte.

»Nun, wo ist er denn?« fragte Tobianus endlich ganz trocken.

»Wo ist er? Er schläft noch,« antwortete sie; »das Weibsbild mit den Thieren hat ihn die Nacht zu sich kommen lassen. Ich weiß nicht, was er da gesollt hat. Hungrig, wie ein Wolf, kam er zurück. Nein, aber sehen Sie, Tobianus, diese Spargeln!«

Damit zeigte ihm Gertrud diese wunderliche Wurzelfrucht, welche mit der gräßlichsten Tyrannei von den Menschen behandelt wird, die mit der üppigsten Lebenslust aufschießt, um nur Samen zu produciren, und sich kaum auf der Oberfläche des Erdbodens erblicken lassen darf, um gleich wieder abgestochen zu werden. »Ich denke bei dieser Frucht,« sagte einmal Blasedow, »immer an die Bestrebungen unserer Zeit, welche von der conservativen Partei so sehr gefürchtet und verfolgt werden. Man läßt sie nicht aufkommen, schneidet tief in den Schoß des Uebels hinein, trifft die Wurzel und doch nicht den Beginn der Wurzel, bis man endlich, ermüdet von den vergeblichen Versuchen, dem Wachsthume freien Raum lassen sollte und finden würde, daß diese revolutionären Spargeln eben nichts Anderes zeitigen, als Samenkörner für die Zukunft, nicht eine einzige bestimmte Thatsache also, die sich in der Geschichte nie so organisch entwickelt, wie die Frucht und Blüthenkrone aus dem Pflanzenkeime.«

Tobianus blieb beim Anblicke der Spargeln ganz kalt und ruhig und sagte bloß: »So, so!« indem er in seinem Buche, welches ein ganz gewöhnlicher Leihbibliotheken-Roman war, fortlas. Gertrud ging an ihre Gartenarbeit zurück und fragte nach einer Weile: »Haben Sie denn auch vom Consistori so einen großen Brief bekommen, wie er?«

»Ja freilich,« lachte Tobianus; »nun müssen Sie sich in Acht nehmen, Frau Gertrud, daß Sie Ihren Jungen das Hampeln mit den Beinen beim Sitzen nicht mehr verbieten.«

»O pfui doch,« sagte Gertrud zusammenschauernd, »das bedeutet ja Glockenläuten und bringt immer Einen zu Sarge.«

Tobianus lachte laut auf. »Da haben wir's: Sie treiben selbst den Aberglauben mit, Frau; und von uns soll nun jetzt das Licht der Aufklärung kommen. Blaustrumpf ist schon unterweges und will eine Visitationsreise im ganzen Lande machen, um alles Unkraut des Hexenglaubens auszurotten. Alles Besprechen, alle Wahrsagerei, alles Traumdeuten – Frau Gertrud, nehmen Sie sich in Acht – ist jetzt verboten.«

Indem diese sich aufrichtete und den Nachbar mit großen Augen anstarrte, öffnete sich die Gartenthüre, und Blasedow stieg mit feierlicher Würde die Stufen in den Garten herunter. Er trug einen alten Morgenschlafrock von ehemals geblümt gewesenem Zeuge, vorn und hinten geflickt, eine Nachtmütze, wie sie die pommer'schen Bauern tragen, durchaus keine Pfeife im Munde; eine lange hagere Gestalt, streng und abstoßend, mürrisch sogar, und auf die Blumenbeete nur deßhalb sehend, um Tobianus nur wie von Ungefähr grüßen zu dürfen. Auf der Stirn' aber standen ihm die Gedanken geschrieben: Gott, da ist der Mensch, der Tobianus, schon wieder und liest wahrscheinlich den Hechelkrämer von Spieß. Es gibt doch Leute, die nur deßhalb studirt zu haben scheinen, um sich in ihrer Geistesbeschränktheit nur desto greller zu offenbaren. Denn hätten sie sich an die Masse gehalten, so würden sie auch in der Masse verloren gehen. Als Hechelkrämer könnte der Mann Achtung verdienen, als Geistlicher stellt er sich aber selbst an den Pranger. Wenn die Sprache nach irgend einem Talleyrand und Diplomaten deßhalb erfunden ist, um seine Gedanken zu verbergen, so scheinen dagegen bei Tobianus die Wissenschaften nur deßhalb erfunden zu seyn, um seine Gedankenlosigkeit herauszustellen. Nun retirirt er sich zwar immer hinter seine Bescheidenheit, wie alle die, welche auf nichts Bescheid zu geben wissen; aber nicht dem Schwachen, nur dem Stolzen steht es schön, demüthig zu seyn. Er ist zufrieden – das nennen die Menschen eine Tugend! – zufrieden mit sich selbst. Wahrlich, er sollte sich gestehen, daß er nicht Ursache dazu hätte. Und dann die Collegen-Wirthschaft, das wir – wir – ja, sieh' du nur her, streck' nur deinen Hals, lach' nur, Kerl! Wenigstens ist sein Tabaksdampf gegen die Raupen gut.

»Guten Morgen, Herr College!« rief Tobianus herüber. Blasedow hob das Haupt vornehm in die Höhe, spitzte verächtlich den Mund, schielte ein wenig hinüber und nickte den Kopf, Alles nur, wie von Ungefähr.

»Haben Sie schon Ihren Text? Eine Trauung? Eine Kindtaufe? Was sagen Sie zu Blaustrumpf?«

Blasedow hörte nicht darauf, und Gertrud warf dem Frager einen verweisenden Blick zu mit den Worten: »Ach, Herr Tobianus, reden Sie doch gar nicht mit ihm!« Blasedow nämlich verachtete alles Handwerkswerkmäßige in seinem Berufe. So mechanisch er ihn trieb, so war er doch unfähig, jenen Schriftstellern zu gleichen, die, wenn sie zusammenkommen, statt über ihre Ideen, nur über den Buchhandel sprechen. Gertrud konnte das am heftigsten erzürnen. Sie sah darin eine gänzliche Vernachlässigung des Geschäfts, eine heillose Verwilderung in dem heiligen Berufe. Sie glaubte, daß der Maschinist und Lampenputzer im Theater das Meiste zum Stück thäte, daß hinter den Coulissen des Cultus die wahre Gottesnähe brausen müsse. »Wie gerne setzte ich ihm nicht,« sagte sie zu Tobianus, »Sonntags immer seine Läppchen zurecht! Was wäre mir das für eine Freude, ihm Alles sauber in die Hand zu geben, das Gesangbuch abzuputzen und überhaupt mit ihm geistlichen und gottgefälligen Staat zu machen. Aber er rennt immer wie ein Heide in die Kirche, wo er doch sollte am feierlichsten auftreten. Was hilft mir alles reines Herzens seyn, wenn man nicht reinlich ist! Gewöhnlich läßt er das Beste, was er braucht, zu Hause, nämlich sein Schnupftuch. Nun denken Sie sich, wenn ich im Beichtstuhle sitze und höre, wie er oben schnauft und in die Verlegenheit kommt. Was der eigentlich im Kopf hat! Glauben Sie, Herr Tobianus, daß er studirt, wie Sie und mein seliger Mann auch? Nie auch nur die Feder angesetzt und ein Wort aufgeschrieben! Sonnabends auch lieber im Walde gelegen, als da ordentlich darüber nachgedacht, was die Menschen erbaut. Ich weiß nicht, ich bin nicht erbaut von seinen Redensarten. Und Keiner versteht ihn: er spricht nicht für's Herz, auch für den menschlichen Verstand nicht einmal. Es ist gerade so, als wenn er da oben allein steht und mit sich selber spricht. Nein, da kann auch gar kein Christenthum aufkommen, und wundert mich nur, wie hier im Dorfe noch nicht Mord und Todtschlag unter die Leute sich verbreitet hat.«

Indem war Blasedow näher getreten und wurde von Tobianus auf's Neue über den Aberglauben angezapft. Gertrud, wie eine Spindel, die ihren Trill ausschnurrt, mochte weder aufhören, noch ihre Vorwürfe auch gerade gegen Blasedow richten. Sie sprang demnach von dem Lande auf die Stadt über und sagte: »Wenn doch die Herren vom Consistori ihre eigenen Perücken ausklopfen wollten! Statt daß die Leute auf dem Lande zu viel glauben, sollten sie nur darauf sehen, wie sie in der Stadt schon gar nichts glauben. Die Sittenlosigkeit nimmt überhand und wird von den Obern recht gehegt und gepflegt. Ich hab's meinem Manne gesagt. Ich mag's gar nicht wieder in den Mund nehmen.« Dabei wurde sie hochroth, ob vor Zorn oder Scham, weiß man nicht. Sie packte ihre Spargeln zusammen und ließ die Männer allein.

»Sie meint,« sagte Blasedow mit lächelnder, ruhiger Miene, »sie meint die Verführung, welche von den Friseurs in der Stadt ausgeht. Diese Leute haben nämlich seit einiger Zeit angefangen, statt der alten Haubenstöcke und der Klötze, auf welchen sie ihre haarkräuslerischen Studien machen, sich den schönen Künsten anzuschließen. Ihre Aushänge-Fenster pflegen oft Köpfe zu enthalten, die mit nicht geringer Kunst aus Wachs bossirt oder gegossen sind. Sowohl an den Herren- als Damenköpfen nimmt Gertrud Anstand, oder vielmehr, sie vermißt an ihnen den Anstand. Ich gestehe selbst, daß diese nackten Brust-Partien, diese Turbane und Lockentouren für Knaben von lebhafter Einbildungskraft, für Knaben, die sich jene Geschöpfe, die sich....... Kurz, meine Frau ist ein Narr. Sie will die Sitten des Jahrhunderts durch die Unterdrückung der Friseursköpfe wieder herstellen, sie sieht in diesen schmachtenden Wachsaugen das größte Aergerniß ihrer Zeit. Auch die Herrenköpfe mit den wilden unternehmenden Backenbärten, der entblösten Brust, der Titus-Frisur, auch diese, sagt sie, steigen den jungen Mädchen in den Kopf, wenn sie aus der Schule kommen und Alles begaffen, was ihnen in den Weg kommt. Es ist bei ihr diese Ueberzeugung ein Fanatismus geworden, der an die Zeiten der Bilderstürmer erinnert; nur daß diese gegen die gemalten Tugenden, Gertrud aber gegen das gemalte Laster ihre Hand ausstreckt.«

Tobianus war eine so beschränkte Natur, daß er nicht wußte, ob er lachen durfte. Doch that er's im Vertrauen auf die ironische Miene seines Collegen. Die Acacien waren gerade in der Blüthe, die Blumen rings würzten den blauen Himmel, Bienen summten in ihren Kelchen, Schmetterlinge suchten auf ihren etwas unbeholfenen und spielenden Unsterblichkeits-Flügen sich hier und da einen Ruheplatz. Man muß wissen, daß die Vormittage auf dem Lande die Nachmittage, selbst die Abende bei weitem übertreffen. Am Vormittage ruht über der Natur eine so stille frische Feier: ist es, daß man in der Stunde, wo man alle Thätigkeit der Menschen an der Arbeit weiß, mit größerer Behaglichkeit die müßige Betrachtung der Natur genießt, oder duften und glühen die Farben noch frischer vom Thaue der Nacht, oder sieht man die Natur selbst in einer stillen Thätigkeit begriffen? »Ich habe das Reizende der Frühe bei dem Landleben fast immer nur in der Richtung der Sonnenstrahlen gefunden. Das Ankommen und Heraufsteigen der Sonne theilt sich allem von ihr gezeitigten Leben mit. Jeder Ton der Natur ist in jenen Stunden ein anschwellender, ein steigender, jede Pflanze streckt sich verlangend nach mir aus und lockt mich in den Kreis, wo sie duftet, wo sie wenigstens der Wind hin- und herbewegt. Nach Tisch sind wir selber in die Vegetation mit hineingerissen und fühlen, wie wir dem Organismus der Schöpfung unsern Tribut zollen müssen. Gegen Abend endlich legt sich der Schleier der Melancholie und der wehmüthigen Reflexion vor mein Auge,« sagte öfters Blasedow. »Erst wenn Alles ruht von seinen Werken, fühl' ich, wie wenig ich that, fühle, was ich thun möchte. Ich bin einsam und möchte mich in ein Meer von Schmerz, Wehmuth und Vergessenheit stürzen.«

Blasedow ließ sich auf der Bank unter der Acacie nieder und veredelte durch die poetische Würde seines Auftretens wenigstens die Fragen des Tobianus, wenn auch nicht immer seine Antworten.

Wie aus einem Traume auffahrend, fragte Blasedow: »Sind Sie Vater?«

Tobianus verwunderte sich über die Abwesenheit seines Freundes und zeigte bloß lachend auf den Hof hinaus, wo Sophie mit den Knaben des Pfarrers die Fahne auf dem Taubenschlage schwenkte und sich im Pfeifen, sogar mit zwei Fingern im Munde, übte.

»Ich beklage Sie,« sagte Blasedow: »ein Mädchen ist eine Blase, die sich ephemer auf der Oberfläche des Lebens bildet und wieder verschwindet. Ihr Inhalt ist Luft; sie glänzt, wenn zufällig die Sonne der Schönheit sie bescheint. Ich würde zittern, der Vater eines Mädchens zu seyn, weil es nur der Zufall selbst ist, den ich neben mir aufwachsen sähe. Welche Bestimmung können Sie einem Weibe geben? Geben Sie ihr einen Mann; mehr wünscht sie nicht.«

Tobianus war über diese Bemerkungen in sichtbare Unruhe gerathen; er klopfte seine Pfeife aus und setzte sich in die Positur, welche er immer annahm, wenn es galt, die heißen Ideen von Kleinbethlehem mit seinem nüchternen Jordanwasser zu begießen. Er hatte schon den Gemeinplatz, daß die Mädchenerziehung auf die Kunst, einen Mann glücklich zu machen, lossteuern müsse, im Munde, als ihn Blasedow unterbrach: »Erlauben Sie, Frauen haben zwei Pflichten, und beide sind sich nicht selten zwei feindliche Brüder. Einmal soll sie einen Mann locken, und zweitens soll sie ihn fesseln. Dasjenige, womit sie lockt, dies gerade ist oft das, womit sie später abstößt. Was helfen den Frauenzimmern alle fesselnde Eigenschaften, wenn sie noch Niemanden zwischen ihren Krallen haben! Was hilft ihnen das ungeheure Verdauungswerkzeug der Klapperschlangen, wenn sie jenen Ton nicht von sich zu geben wissen, welcher die Männer lockt, blindlings in ihr Verderben zu rennen! Nun sorgen Sie einmal bloß für das Solide, und sagen Sie sich dann, wenn die Zeit der Blüthe und der Reife eingetreten ist, ob Sie mit dem Soliden gerade so weit gekommen sind, daß Sie eine Last weniger auf dem Halse haben!«

»Mädchen brauchen nur Geld und eine glatte Schürze zu haben,« fiel Tobianus ein.

»Geld« – sprach Blasedow gedehnt; – »Geld, Sie haben Geld, Tobianus: wenn Ihre Tochter mit diesem Leim einst auf den Vögelstrich gehen wird, dann kann es nicht fehlen. Allein dann wird die Noth immer eine umgekehrte werden. Dann liegt die Wahl in ihrem Schoße. Jetzt soll das Mädchen Verstand haben. Gut, sie hat ihn, sie wählt den Solidesten, gut, das ist dann ein Duckmäuser, ein Accuratessenmeister, der sich des Morgens den ganzen Leib mit kaltem Wasser wascht, der nicht zu rasch ißt, um besser genießen und besser verdauen zu können; ein Frühaufsteher von der unerträglichen Sorte, der nur deßhalb so viel Zeit gewinnen will, weil er viel Zeit braucht, seiner Umstände wegen. Ihre Tochter wird des Mannes überdrüssig werden. Sie wird ihre Angel nach Hülfe auswerfen, ihre schmachtenden, wasserziehenden Blicke werden verstanden werden. Sie wird erst mit ihren Leidenschaften in Brand gesteckt und dann von dem Nachbar, der das Feuer ansteckte, aus dem Unglück gerettet werden, halb nackt, mit fliegendem Haar, nur die Dormeuse auf, und in dessen Armen zum Leben wieder erwachend! Ihr Retter wird bald auch ihr Ritter seyn.«

Hätte Gertrud die Gewohnheit gehabt, Eierkuchen ohne Schnittlauch zu backen, so würde diese Schilderung einer sich lösenden Ehe nur in den verlegenen Worten des betroffenen Tobianus eine Entgegnung gefunden haben. So aber vermißte Gertrud das erwähnte würzige Kraut, war in den Garten zurückgekehrt und hatte den größten Theil der Blasedow'schen Ansichten über Mädchenzweck und Frauenschicksal angehört. Die Scene mit dem aufgelösten Haare hätte sie aber beinahe vermocht, ihr eigenes zu zerraufen. Sie klappte, um sich in ihrem Eifer nicht zu verwunden, das Messer zu und schickte ihrem tiefsten Unwillen erst einige Anrufungen des Heilands voraus, um die folgenden, an Flüche grenzenden Redensarten weniger gotteslästerlich zu machen. Das sagte sie auch selbst und fuhr fort: »Bei mir ist die Versündigung weit geringer, als bei einem Diener Gottes, der auf solche Weise des Teufels Werke zu schildern weiß. Wer so, wie du, die Hölle malt, der muß schon einen tiefen Blick hineingethan haben. « Sie entlud sich ihres Unmuths in Ausdrücken, die unsere Darstellung mit den Redefiguren des Junkers Siegfried von Lindenberg in allzunahe Verwandtschaft bringen würden, wollten wir sie wiederholen. Nahm sie doch nach Frauenart Alles, was Blasedow gesagt hatte, als eine persönliche an ihr gemachte Erfahrung und als eine Anspielung auf den werthen Besuch an, der die Augen zu Boden geschlagen hatte, sie aber auch in ihrer ganzen Verlegenheit hätte zeigen können, da Blasedow nichts Böses argwohnte. Dieser fuhr, unbekümmert um seine Frau, die er keines Blickes würdigte, fort: »Mädchenerziehung ist kein Unding, aber ein halbes Ding. Auch bei Knaben wird an der Erziehung immer etwas fehlen; allein diese können es sich doch später noch verschaffen. Das können Mädchen nicht. Sie erlangen niemals einen Horizont. Sie wissen sich keinen Gegenstand so zu objectiviren, daß sie ihn in seinem Zusammenhange verständen. Von Nichts verstehen sie den Werth. Ob Julius Cäsar stirbt, oder sie sich mit der Nähnadel stechen, ist Eins. Auch reicht ihre Phantasie gar nicht hin, sich Entferntes und Vergangenes mit Liebe und Klarheit zu vergegenwärtigen. Wenn nicht die Lebensgeschichte des Heilandes mit so vielen Wundern durchwirkt wäre, so würden sie ihn für einen jungen Beichtvater halten, der langes Haar trug und die weichsten Sammethände von der Welt hatte. Die Zärtlichkeit der Frauen für das Große mißt sich immer darnach ab, ob sie ihm wohl mit einem gestickten Hosenträger einen Gefallen erzeigen würden. Ich habe in meinem Leben mit zwei Frauen Umgang gehabt: mit meiner Mutter und mit dir, Gertrud; glücklicherweise habt ihr beide dasselbe Temperament und seyd euch gleich in euren Tugenden und euren Fehlern. Ich bin der ältere Bruder meiner Söhne, und du bist unsere Mutter, Gertrud. Wir fünf Knaben sind jünger, als du, sind verständiger, auch wieder leichtsinniger, als du; wir lassen uns schmecken, was du kochst, wir nehmen uns in Acht, unsre Unarten vor dir zu zeigen, wir fürchten deinen Zorn, wenn er anfängt, und lachen, wenn er zu Ende ist. Nicht wahr, ihr Orgelpfeifen?«

Alle seine Kinder standen nämlich jetzt um ihn und lachten mit, weil er selbst lachte. Gertrud weinte, daß er ihr die Kinder abwendig mache und die magnetische Kraft ihres Mutterherzens abschwäche. »Nun,« sagte Blasedow, »es sind meine Söhne. Sie sind mein Stolz, meine Zukunft. Du sollst ihnen noch am nächsten Sonntag ein reines Hemd anziehen, waschest sie, reinigst sie noch einmal; dann sind sie mein. Der Augenblick der väterlichen Fürsorge und deiner mütterlichen bloßen Nachsicht ist gekommen. Meine prophetischen Gedanken kommen zur Reife: in kurzer Zeit geht Jeder von ihnen, der Aelteste und der Jüngste (ein neues kömmt nicht mehr), seiner Bestimmung entgegen. Kinder, ihr müßt euch tummeln und die Rockschösse immer in der Hand haben, um schnell an eurem Ziele zu seyn. Das Leben reicht weiter, als von hier an die Gartenthüre, und doch nicht weiter, als von hier bis zum Friedhof drüben. Rüstet euch, daß Gott in euch einziehe. Die Stunde der Weihe ist nahe herbeigekommen.«

Damit wandte sich Blasedow um und verließ den Garten nach Hinten. Er griff in seine Rocktasche; wahrscheinlich suchte er ein Tuch, um sich eine Thräne zu trocknen. Gertrud weinte laut und sah ihm nach. Wie sie bemerkte, was er schon wieder vergessen hatte, wie sie ahnte, wozu er es eben brauchte, wie sie so selbst gelähmt war, nicht toben zu dürfen, hätte sie vor Schmerz vergehen mögen. Tobianus rauchte dabei gemüthlich seinen Meerschaumkopf und schüttelte verwundert seinen eigenen.



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