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Siebentes Kapitel.

 

Der Brief und die Gespenster.

 

Blasedow kehrte verspätet nach Kleinbethlehem zurück. Er hatte unterwegs einen Aufenthalt in – einem abgelegenen Vorwerke einen Besuch bei einer Kindbetterin, die nächstens taufen lassen wollte. Er hat sich uns gewiß längst als ein Mann von Gefühl gezeigt. Man konnte ihn auflösen, freilich nur wie Bittersalz, das immer einen festen, körnigen Bodensatz zurücklassen wird. Allein nicht Alles drang in die Poren seines Gemüthes, noch gar, daß er jenen Tropfstein-Menschen geglichen hätte, welche sich immer feucht anfühlen, die immer eine gewisse Nässe der Empfindungen aussickern. Er war weit mehr ein Krystall, in welchen durch ein Wunder der Erdbildung sich ein kleiner Tropfe Wassers eingeschlichen hatte, und den man, wenn man ihn als Linse in ein Vergrößerungsglas gebracht hätte, wahrlich als das rechte Hülfsmittel erkennen mußte, um das Winzige und das dem gewöhnlichen Auge Unsichtbare in der Form der Erhabenheit zu zeigen und die Entfernung des Firmamentes uns näher zu bringen. Dieser eine Tropfe durchrieselte nicht sein ganzes Wesen. Er war weit mehr nur unter gewissen Umständen jener Zugängliche und Anschmiegsame, wie wir ihn in einigen Momenten beobachteten. Sonst war sein Wesen spröde und haushälterisch mit sich selbst. Wär' er z. B. bei jenem Besuche der Kindbetterin etwas mittheilender und herzlicher gewesen, hätt' ihm der Schutzengel, der zu Häupten des Kindes saß und es bewachte, bis es getauft wurde, nur einen einzigen verklärten Blick abgewinnen können, er würde geglaubt haben, weit mehr die Rolle eines Komödianten, als die eines Geistlichen zu spielen.

Es war schon Nacht, als er in sein Dorf zurückkam. Die Leute saßen in ihren Hütten und waren hie und da um ein weißes Tischtuch mit dem Nachtessen beschäftigt. Manchmal hörte er, daß gebetet wurde. Wasser war schon einige Mal an die Pfarrwohnung gerannt und wieder zurückgekehrt. Jetzt stand Blasedow vor seinen eignen Fenstern und konnte in das Zimmer blicken, wo seine ganze Familie beisammensaß, »so traulich, so heimlich, so ganz unabhängig von mir,« gestand sich Blasedow; »wie schön Tobianus da meine Stelle vertritt!« Und dieser saß in der That, wie der Hausvater angethan, im langen Schlafrock, die Brille auf der Nase, die Nachtmütze darüber gezogen, da und hielt einen Brief gegen den grünen Lichtschirm und las ihn mit lauter Stimme vor. Gertrud haftete, soll man sagen, an den Worten oder an dem Munde des Lesenden und schien, die Hände im Schoß zusammengelegt, sagen zu wollen: »Was er so schön liest!« Blasedow wenigstens las ihr nie etwas vor, am wenigsten Briefe, die sie sich von ihrem ältesten Knaben vorbuchstabiren ließ. Oscar hieß der älteste; aber der beste Leser war es nicht, zumal bei Geschriebenem und den Handschriften, mit denen Gertrud in Verkehr stand. Es kam wohl, daß Oscar eine Phrase vorlas, welche ohne Sinn war, und die Gertrud, die selbst nicht lesen und ihren Namen nur durch drei Kreuze bezeichnen konnte, so hinnehmen mußte, obschon sie eine schlaflose Nacht darüber hatte und dann sich am Morgen die Stelle noch einmal vorlesen ließ. Oft vergingen einige Tage, bis Gertrud durch prophetisches Grübeln auf die Ahnung des Richtigen kam und dann zu Oscar lief, ob es nicht an der und der Stelle heißen sollte: »sechs Paar Strümpfe.«

Blasedow bog das Weinlaub, welches die Wände des Hauses bedeckte, zurück und konnte sich an einer Scene, die ihm Schmerz und Freude verursachte, nicht satt sehen. Er war verdrängt, er war aber auch ersetzt. Man konnte ihn entbehren, gestand er sich, und es tröstete ihn, daß man ihn nicht vermissen würde, wenn er ginge. »Wenn ich ginge!« – sagte er nachdenklich; er träumte sich in das Gewühl der Weltstädte, er dachte an Amerika. Er hörte deutlich die hölzerne Wanduhr im Zimmer picken. Sie schlug Neun; Niemand sah sich nach ihm um, das Essen dampfte auf dem Tische, der Brief mußte entsetzlich lang seyn: denn Tobianus näselte ihn noch immer vor. Zuweilen setzte auch Tobianus ab und erklärte eine Stelle deutlicher, als sie vielleicht ausgedrückt war, wobei Gertrud nickte, und die Kinder aufmerksam zuhorchten. Nur Oscar, das aufgeweckteste aller seiner Kinder, schien sich an dem Vortrage zu langweilen und sprang gar auf, als er hörte, daß Wasser an der Hausthüre kratzte und Einlaß begehrte. Er ging jedoch auf den Zehen hinaus und machte dem Vater auf. Dieser trat nun mit Stock und Hut in das Zimmer, sagte auf keinen Fall einen guten Abend: denn »es versteht sich von selbst,« pflegte er zu sagen, »daß ich Niemanden einen schlechten wünsche;« und macht' es sich bequem. Die Vorlesung war durch diese Ueberraschung plötzlich unterbrochen. Es mußte mit dem Brief eine eigne Bewandniß haben: denn Tobianus legte ihn unter den Teller, nahm seine Brille ab und schien Gertrud zuzuwinken, daß er den Brief ein Andermal beenden wolle.

Wie wir jetzt die ganze Pfarrei an dem wirklichen Brode des Lebens (mit den hohepriesterlichen Schaubroden hielten sie es nicht) arbeiten sehen, könnte es nichts schaden, wenn wir uns mit einigen Personen bekannt zu machen suchen, die in ihren jungen und alten Tagen immer im Vorgrunde dieser Denkwürdigkeiten stehen werden. Dies sind Blasedow's Knaben. Es sind ihrer vier. Alle haben sie poetisch-romantische Namen: Oscar, Amandus, Theobald und Alboin. Blasedow hatte über diese Namen vielen Streit, nicht etwa mit der Regierung: denn diese mischte sich nicht in die Vornamen ihrer Unterthanen; wohl aber mit Tobianus und Gertrud, der unglücklichen Mutter, die sich so zu äußern beliebte: »Mein Heiland, man möchte ja bei solchen Komödiantennamen für meine christlichen Kinder glauben, sie rührten, Gott verzeih' mir die Sünde, von einem Prinzen her.« Tobianus unterstützte zwar nicht gerade dies Motiv ihrer Verzweiflung, bemerkte aber doch, daß man die Kinder durch solche Namen zwar in der Stadt auszeichnen könne; allein auf dem Lande hinderte die vornehme Bezeichnung an der Vermischung mit den Bauern- und Pächter-Familien; es käme mit einem Worte eine Prätension in die Familie, die dem Herrn Collegen nur die Ausübung seiner Amtspflichten um so schwieriger machen würde. Gertrud sprang sogar von der Vorstellung von Prinzen zu Hunden über und meinte, wenn sie künftig eines ihrer Kinder rufen sollte, so müßte sie in ihren Sünden immer daran denken, ob nicht statt ihres eignen ausgetragenen Kindes ein Hund ankäme: denn das wären weit eher Namen für Hunde, als für christliche und außerdem Pfarrers-Kinder. Auch die Rücksicht auf die Verwandten und Nachbarn mischte sich in ihre Opposition. Sie sagte, daß dann auch alles gute Vernehmen mit der Umgegend hin sey: denn Niemand würde bei einem Kinde Pathe seyn wollen, welchem man nicht den Namen des Gevatters gebe: Peter, Daniel, Friedrich, Wilhelm und ähnliche unserm Herrgott wohlgefällige und wahrhafte Heiligennamen.

Allein Blasedow ließ sich in solchen Dingen keine Vorschriften machen. Er taufte seine Kinder selbst und konnte ihnen einen Namen auf die Stirne sprengen, welchen er wollte. Die Zuhörer, Gertrud selbst, waren dann auch gewöhnlich von der heiligen Handlung so zerknirscht, daß sie über die wunderlichen Namen, die er seinen Knaben gab, mit andächtiger Rührung hinwegsahen. Im Uebrigen erklärte er: »Meine Kinder müssen mich schon durch das Glockenspiel ihrer Namen mit Sanftmuth anklingen. Ihr Name ist ihr Heiligenschein. Je höher man sie zu stellen weiß, desto höher werden sie selber klimmen. Ich erleichtre ihnen durch ihre Vornamen schon den Weg, um sich einen guten Zunamen zu erwerben. Was haben sie wohl, woran sie sich zuerst halten können? Sich selbst, nur den Laut, mit welchem sie gerufen werden. Ist aber dieser Ruf gewöhnlich, so werden sie niemals begreifen, wodurch sie sich vor Andern, die eben so heißen, wie sie, auszuzeichnen haben.«

Dies bestritt Tobianus. Er sagte: »Je mehr Peter und Hansen es gibt, desto mehr werden die bessern unter ihnen ringen, sich durch Thatsachen der Gediegenheit aus der Masse und Menge zu erheben.«

Blasedow lächelte damals, wie er immer zu thun pflegte, wenn Tobianus einmal ein Körnchen gefunden hatte, oder wie ein Hahn auf seinem gewöhnlichen Misthaufen eine Perle. Er entgegnete einmal für allemal: »Eifersucht will ich in meinen Kindern nicht wecken. Wenn ich überzeugt wäre, daß aus dem bloßen Bestreben, die Andern zu übertreffen und eine Folie zu haben, etwas Gutes entstände, so dürfte ich ja allen meinen Kindern nur einen Namen geben: dann würden sie schon ringen, um zu zeigen, wer der rechte Jakob ist.« Er schloß: was überhaupt Erziehung wäre, wolle er ein Andermal sagen.

Nachdem nun so eben die Kinder zu Bett gegangen waren, ohne Unterschied mit der kleinen aber doch älteren Sophie, kam Tobianus auf dasselbe Thema und erinnerte den Pfarrer an jene Erklärung, die er ihm noch immer schuldig wäre. Blasedow sagte: »Es wird Ihnen doch nichts nützen, oder Sie müßten Lust haben, sich noch einmal zu verheirathen. Erziehung, lieber Freund, liegt Ihnen fern, ob ich gleich nach meiner Theorie glaube, daß Sie vortrefflich erzogen sind, ich aber gar nicht. Nämlich Sie sind geworden, was Sie gerade seyn können; ich aber wenigstens das, was zu seyn ich niemals gewünscht habe.«

Tobianus lachte und entgegnete: »Dann muß Ihr Amandus ein Bäcker werden: denn er hat nicht übel Lust dazu.«

Blasedow schlug seine Augen auf und warf sie so grell auf Tobianus, daß dieser seinerseits erschrak, während ihn doch nur der Andre beleidigt hatte. Blitze zuckten aus Blasedow's Augen; doch seine Augenbrauen verfinsterten sich nicht, kein Donner schien durch sein Gemüth zu rollen: es war das Blitzen eines Sonnenstrahls, der zum ersten Male Kraft hat, sich durch das Morgengewölk durchzubrechen. Blasedow hatte mit der linken Hand unwillkürlich das Brod und mit der Rechten das Messer ergriffen. In dieser Stellung verharrte er eine Secunde und sagte dann mit unbeschreiblich komischem Ernste: »Gott, Amandus ist zum Bildhauer geboren.«

Dies sprach er aber ganz leise, so leise, daß man draußen auf der Hausflur etwas rascheln hören konnte. Gertrud, die eben die Bemerkung aussprechen wollte, ob denn aber auch ein Bildhauer so viel Brod wie ein Bäcker hätte, schrak innerlich zusammen: denn Blasedow's Benehmen war gar zu feierlich, und Tobianus Verlegenheit ängstigte sie selbst. Dazu der Brief und überhaupt Alles, was sie heute schon erlebt hatte. Sie mußte wenigstens an die Thür', um zu sehen, was draußen vorginge. Indem ist es ihr, als flüsterte es von Neuem. Sie denkt doch, daß Alles schon zu Bett ist, sie sieht nach der Uhr und ergreift die Thürklinke. Indem vernimmt man ein starkes Rauschen, wie von weiten Gewändern; Gertrud tritt etwas vor und rennt mit dem Schrei: Herr Jesus! wieder in das Zimmer zurück. Sie behauptet, zwei weiße Gestalten, nicht groß, aber auch nicht klein, im Dunkeln gesehen zu haben, und sagt leichenblaß, es müsse ein Unglück geschehen seyn. Die Männer lachen, Blasedow aus Spott, Tobianus aus Furcht. Der Erste nimmt ein Licht und entdeckt draußen nirgend etwas. »Daß aus dir noch ein Geisterseher werden wird,« bemerkte er zurückkommend, »in deinen alten Tagen, ist stark.« Hätte er zwischen Tobianus und Gertrud etwas gemerkt, so würde er wahrscheinlich von dem magnetischen Einfluß des Erstern auf die Letzte gesprochen haben; so aber erklärte er nur, daß sie närrisch wäre, und ging zu Bett.

»Wenn nur Petern nichts angekommen ist?« fragte Gertrud.

Tobianus zog den Brief unterm Teller vor und sagte: »Er ist ja in Belgrad angekommen.« Und nun las er den Schluß des Briefes vor, der recht herzlich an seine Mutter geschrieben war, des Stiefvaters aber mit keinem Wort erwähnte. Blasedow wollte von einer allzuausgedehnten Verwandtschaft und Freundschaft nichts wissen. Es waren Dolchstiche für Gertrud, wenn er mit Beziehung auf Peter sagte: auf weitläufige Verwandte gäb' er nichts. Es waren aber bei Blasedow nur Nadelstiche: denn Peter war früher geboren, ehe sein Vorgänger die Mutter geheirathet hatte. Es war das eine gar dunkle Region, und Blasedow nannte es immer den Sumpf seiner Frau. Peter war ein Irrlicht, welches darauf herumhüpfte.

Endlich nahmen beide Nachbarn und Gastfreunde Abschied. Tobianus bekam immer sein eigenes Bett auf dem Canapee gemacht, wenn er in Kleinbethlehem schlief. Gertrud schlief in der Nähe der Kinder. Die heilige Nacht löst alles Leid. Es ist schon spät. Der Wächter ruft die eilfte Stunde ab.



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