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Fünfzehntes Kapitel.

 

Das architektonische Frühstück.

 

Wir müssen aber um mehrere Jahre zurück. Wir haben, von Erziehungsträumen gewiegt, uns allmählich in eine Zeit verloren, die für unsre Geschichte noch lange nicht angebrochen ist. Wir knüpfen an den letzten Besuch, den Blasedow von Herrn Ritter und den beiden jungen Unsterblichen empfangen hatte, wieder an und setzen hier gleich ein Billet her, welches Blasedow in Betreff eines andern Besuchs von Tobianus kurz darauf erhielt. »Lieber College,« schrieb dieser ungefähr, »Consistorialis Blaustrumpf ist auf dem Weg, um in die Furchen, die sein letztes Circulär gezogen hat, seinen Samen zu streuen. Es sollen große Predigersynoden im Werke seyn, und allgemeine Maßregeln ergriffen werden, wo sich irgend noch abergläubischer Ansteckungsstoff vorfindet. Die unsichern und verdächtigen Gegenden werden cernirt werden, und wer weiß, da in meinem Dorfe Alles gesunde Vernunft ist, ob nicht der Cordon gerade mitten durch uns Beide gezogen, und mein Besuch bei Euch abgeschnitten wird. Denn, solange der Rumor in Eurem Hause nicht beseitigt und auf eine natürliche Ursache zurückgeführt ist, wird Euch Blaustrumpf schwerlich den Desinfectionsschein des natürlichen Menschenverstandes ertheilen.« Als Blasedow dies Schreiben erhielt, sagte er: »Spukt es denn jemals anders, als wennTobianus hier ist? Ist er nicht der rechte elektrische Leiter, der uns immer das dumme Zeug des Abends in's Haus bringt?« Gertrud schämte sich, daß es nur spukte, wenn Tobianus im Hause war. Sie glaubte, daß ihre Gedanken, die auf Tobianus Rechnung machten, entziffert und vom Himmel oder von ihrem ersten seligen Mann, der um so eher im Himmel seyn mußte, als er bei ihr auf Erden schon genug in der Hölle gewesen war, gestraft würden. Wir müssen auf diese unheimlichen Vorgänge später ja doch zurückkommen.

In der Residenz (deren Namen wir erst im zweiten Bande, wo sie der alleinige Schauplatz ist, verrathen wollen) rüstete sich Blaustrumpf in der That zu einer Inspectionsreise. Die Darmstädter Kirchenzeitung und Tobianus hatten also ganz richtige Nachrichten gebracht. Blaustrumpf wollte im Lande theils gegen den Aberglauben predigen, theils, durch Umgang mit den gemeinen Leuten selbst, praktisch die Philosophie der Spinnstuben, wie er den Aberglauben nannte, widerlegen. Mördern, seinen Schwiegersohn, hätte er gern mitgenommen; allein, da dieser seine Predigten an der Hof- und Stiftskirche übernehmen mußte, so steckte er nur dessen Thomasius ein, dieses vielerwähnte Werk, zu welchem Blaustrumpf das Geld, die Ideen, ja sogar seine Tochter, die gleichsam als Preis auf die beste »Abgrenzung der gesunden Vernunft« stand, hergegeben. Das Buch wollte nicht flott werden und hatte, wie der Commissionär Mauser sagte, weit eher Anlage zum Rückgange eines Krebses, als vorwärts. Blaustrumpf aber bot Alles auf, ihm Bahn zu machen und zu seinem Gelde zu kommen. Er packte auch diesmal fünfzig sauber gebundene Exemplare vom Thomasius in den Reisewagen, dicht neben seinem Flaschenkorb, um, wie er sagte, auch von diesem edeln Champagnerwerke zuweilen den Kork springen zu lassen und für die feurigen, lauteren Ideen desselben hier und da en gros oder en détail Liebhaber zu finden, d. h. nach dem Ladenpreise mit dem gewöhnlichen Buchhändlerrabatt, nämlich 33 1⁄3 Procent. Blaustrumpf rechnete auf mehrere Wochen, nämlich vom Erntefest an bis beinahe Martini. Doch die letzte Minute noch, die er in seinem heimischen Wirkungskreise war, wandte er für seine hohe Aufgabe an und predigte. Freilich war auf diese Predigt ein Dejeuner gesetzt, das ihm zu Ehren von der Oberbaudirection veranstaltet worden. Blaustrumpf wollte den Reisewagen um zwei Uhr vorm Gasthof zum Fuchsen (wo man jedoch in der Stadt noch am wenigsten geprellt wurde) anfahren lassen, um mit der ganzen gebundenen Wärme und fliegenden Hitze eines so interessanten Frühstücks in die vier Wände des Wagens zu kommen und gleich Gelegenheit zu haben, angenehm zu schlafen, was er sich gern gestatten durfte, da er in der Umgegend der Residenz nicht mehr zu wachen brauchte, sondern hier dem Aberglauben längst mit Stumpf und Stiel den Garaus gemacht hatte. Blaustrumpf's Mittel waren kräftiger Art: er hätte, wie man sonst die Hexen verbrannte, jetzt gern die verbrannt, die noch an Hexen glaubten. Die Polizei wurde ohnedies in der Nähe des Fürsten kräftiger verwaltet, als da, wo er's nicht sehen konnte oder nichts zu fürchten hatte. Die Landjäger erhielten vom Consistorium ihre speciellen Instructionen, namentlich für die unheimlichen Tage und Nächte, Walpurgis, Johannis, drei König, St. Andreas und ähnliche, wo, wie Blaustrumpf sagte, noch immer der Katholicismus im Bunde mit dem Satan aus den Sitten des Landvolkes hervordunkle. Dunkelmann war einer seiner Lieblingsstrafwörter, und doch hieß (ironisches Spiel des Zufalls!) sein Küster an der Hof- und Stiftskirche auch Dunkelmann, was Blaustrumpf gern in Dankelmann verwandelt hätte, wäre nicht das Turnierbuch des Landes dagegen gewesen, da es ein adeliges Geschlecht dieses Namens gab.

Der Zusammenhang der Predigt, des Ober-Baudirectoriums und des Frühstücks war aber folgender: Die Landesregierung beabsichtigte, die Residenz nach den Anforderungen des neuen Baugeschmacks zu verschönern. Sie hatte mehrere Architekten reisen lassen und fand zu ihrem Leidwesen, daß die Bürger wenig Eifer zeigten, ihre alten Häuser einzureißen und sie nach schönen neuen Mustern wieder aufzubauen. Das Oberbauamt versprach die Risse unentgeltlich zu liefern, allein die Leute wollten auch die Steine geliefert haben und wünschten sonst noch Erleichterungen. Dies Ansinnen hätte jedoch der Landeskasse mehr geschadet, als der Hauptstadt in ästhetischer Hinsicht genützt, und so konnte sich die Regierung auf nichts weiter einlassen, als auf moralische Weise den Baugeist in der Stadt zu beleben. Der Landesfürst stieg bei jeder Baustelle, die sich vorfand, aus und erkundigte sich mit Herablassung nach dem Eigenthümer. Er erleichterte auch die Abgaben derjenigen, die sich neue Häuser hatten bauen lassen, gleichsam als würden sich die Besitzer von alten und dauerfesten Häusern sagen: Ich will zwanzigtausend Thaler zum Fenster hinaus werfen, weil ich dann von der Regierung alle Jahre fünf Thaler geschenkt bekomme! Blaustrumpf versprach, sein Möglichstes mitzuwirken. Er sagte: »Die Religion ist zu Allem nütz,« und bewies oft genug in der Hof- und Stiftskirche, daß das Christenthum nichts gegen die Landesverschönerung einzuwenden hätte. Der Grund des allgemeinen Bauabscheues der Stadt war ihm jedoch noch tiefer gelegen, und er zeigte dem Oberbaudirectorium an, daß er am Sonntage vorm Erntefest über das abergläubische Sprichwort predigen wolle: Wer anfängt zu bauen, stirbt bald. Das ganze Bauamt versprach, in der Kirche im festlichen Ornate zu erscheinen und arrangirte nach der Predigt jenes Frühstück im Fuchsen, von dem wir schon gesprochen haben und jetzt noch hinzufügen, daß Blaustrumpf diese Auszeichnung wohl verdient hatte.

Blaustrumpf's Text hieß: Daß man mir viel Holz zubereite ! Denn das Haus, das ich bauen will, soll groß und sonderlich seyn. (2. Chron. 2, 9.) Die Predigt hatte zwei Theile. Im ersten bewies er an sich das Widersinnige jenes Aberglaubens und suchte einen natürlichen Grund für denselben anzugeben. »Möchte derselbe,« sagte er, »nicht dadurch entstanden seyn, daß man, wenn man stirbt, allerdings für seine Nachkommen besorgt ist und ihnen noch kurz vor seinem Tode ein besseres Obdach aufzubauen sich beeilt? Oder möchte das Sprichwort nicht eine Warnung seyn für diejenigen Neubautner, welche Tag vor Nacht mit auf dem Gerüst herumklettern, nach Allem sehen und Jedes besser wissen wollen, als das hochlöbliche Bauamt, so also, daß gar leicht Jemand von einem Balken oder Stein könne erschlagen werden?« Kurz, der erste Theil beschäftigte sich damit, die innern Widersprüche des Themas aufzudecken. Im zweiten jedoch faßte der Redner die praktischen Folgen dieses Irrthums in's Auge, und aus dem Stuhle, worin das Bauamt saß, erhob sich ein leises, aber zufriedenes Seufzen, und die Mitglieder blickten sich einander zu, als wollten sie sagen: Er trifft's! Blaustrumpf entwickelte alle die betrübenden Folgen, welche jener Satz für das äußere Ansehen der Städte haben könne, für die Architektur, diese große und älteste Kunst, die schon bei den Egyptiern, wie Blaustrumpf erzählte, ein so merkwürdiges Bauwesen, ja selbst bei den Indiern die interessantesten Gebäulichkeiten hervorgerufen hätte. Blaustrumpf bewies aus Gründen der National-Oekonomie und des öffentlichen Sanitätswesens, was für Unbequemlichkeiten und physische Nachtheile aus eng und finster angelegten Gassen in die bürgerliche Gesellschaft gekommen wären, und unterstützte seine Schilderung eines luftigen, frei angelegten Stadtviertels durch eine sehr passende, vielleicht zufällige Gesticulation, indem er, da ihm heiß wurde, seinen Priesterrock lüftete und recht die Behaglichkeit einer legèren und ungenirten Existenz zum Besten gab. Am Schluß seiner Predigt kam er dann wieder auf die Baukunst als eine vorzugsweise heilige zurück und verlor sich, ob nun als Freimaurer oder Christ oder bloßer Archäologe, in den Tempel Salomonis. Er schilderte alle die Holzzufuhren aus dem Libanon. Er sagte, daß am Tempel Salomonis 153,600 Menschen ihr Brod verdient hätten. Die ganze Gemeinde gerieth in Entzückung über das prächtige Gebäude, welches Blaustrumpf im Riß mittheilte. »Hiram, hieß der Baumeister!« schloß er dann, indem er auf den Stuhl zeigte, wo das Bauamt saß, ging noch einmal auf den Text zurück, wo er das Wort: »Daß man mir viel Holz zubereite!« insofern berichtigte, als man heutiges Tages mehr für massive Gebäude wäre, und sprach das Anathema über das jetzt widerlegte Sprichwort und den Segen über die Gemeinde.

Als nun Blaustrumpf in den Fuchs kam, fand er schon die ganze städtische und Landes-Baudeputation versammelt. Es waren ihrer so viel, daß man Rom damit in drei Tagen hätte aufbauen können: Der Hofarchitekt, ein Freund der modernen Baukunst, der Rathsbaumeister, ein Verehrer der Antike, der Brückeninspector, ein Dilettant im gothischen Styl, der Brunneninspector, der Land- und Wegebaumeister, die Wasserbau-Deputation bestehend aus einem Architekten für unterschlächtige und einem andern für oberschlächtige Mühlen. Zu diesen Sieben kamen noch drei Maurermeister und zwei städtische Beigeordnete aus dem Rath. Blaustrumpf war der Dreizehnte, das hatte der Brückeninspector, der ein Freund der mittelalterlichen Baumystik war, bald heraus und theilte es der Gesellschaft in dem Augenblick mit, wo Blaustrumpf hereintrat. Einen solchen stillen Empfang, dessen Ursache er eben auch erfuhr, hätte er sich nicht vermuthet. »Wir frühstücken,« zankte er, »weil ich gegen etwas Abergläubisches gepredigt habe, und hier muß ich gleich wieder auf etwas Irrationelles stoßen!« Doch war es ihm im Grunde ganz recht, daß sie ihrer Dreizehn waren: denn nun konnte er schnell nach Haus schicken und Mördern, seinen Schwiegersohn, als Aushülfe einladen lassen. Dieser kam, ein kleines, dürres Männchen, das der dicke, keuchende Blaustrumpf in seiner Rocktasche hätte verbergen können. Mörder's fürchterlicher Name sprang gegen sein furchtsames Wesen lächerlich genug ab. Er sah mit seinem Namen aus, wie ein Kind, das man in einen großen Cuirassierstiefel stecken würde. Kaum mit der Nase blickte er aus der ungeheuren Tonne seines Namens heraus.

 

 

Der Fluch des babylonischen Thurms schien aber bei dieser Gesellschaft noch in Wirksamkeit zu seyn: denn, ob sie gleich Alle nur den einzigen Bauzweck hatten, so boten sie sich doch untereinander statt Kalk Steine, statt Sand Holz; sie waren über ihre Principien Alle im offensten Widerspruche. Und doch sollten sie zusammen eine neue Kirche bauen. Sie sollten sich über einen Grundriß vereinigen, an dem jedes dieser Mitglieder des Bauamts sein eigenes Ideechen gern angebracht hätte, und Blaustrumpf, der diese neue, noch im Streit begriffene Kirche einweihen sollte, der schon die Predigt dazu liegen hatte, war am wenigsten im Stande, die Widersprüche mit einander auszusöhnen: denn er nahm Partei. Er machte große Augen, als er kaum oben am Tische Platz genommen, und die Baudirection, die bei den kalten Speisen ganz warm wurde, von dem Brücken-Inspector so angeredet wurde: »Wenn ich sage, daß die Kirche gothisch angelegt werden müsse, so wird man mir keinen Eigennutz dabei vorwerfen: denn ich baue nichts daran, da ich mit der neuen Actienbrücke leider genug zu thun habe. Bei meinen Arbeiten bin ich leider verhindert, meinem Geschmacke zu folgen. Brücken sind Brücken, da kann man wenig Gothik anbringen, nicht einmal einen Nepomuk, weil wir Protestanten sind. Allein in den Riß der Kirche hab' ich als Bauamtsmitglied hineinzureden, und Sie, Herr Consistorialrath, sollten mich eher unterstützen, als so grimmig anblicken. Das Christenthum hat sich seinen Kirchenstyl selber geschaffen. Die gothischen Kirchen sind Blüthen der christlichen Ideen. Jeder Zug in dieser Architektur im Großen und Kleinen läßt eine sinnige Anwendung auf die Dogmen des Glaubens zu: das Kreuz als Grundriß, das Schiff, als ein echtes Sinnbild des apostolischen Zeitalters, die Rose über dem Eingange, die bunten Fenster, die nach Außen trüb und nach Innen hell glänzend sind, die Kuppel mit ihrem Fernblick gen Himmel, Alles dies zusammengenommen ist der wahrste Ausdruck des christlichen Lebens, wie auch schon, wenn das innerste Wesen desselben die Musik ist, ein großer und tiefsinniger Autor die Baukunst des Mittelalters gefrorne Musik genannt hat.«

Der Brückeninspector mußte an eine große Minorität seiner Ansichten gewohnt seyn: denn er verzog keine Miene, als die übrigen Mitglieder des Bauamts die beiden städtischen Beigeordneten ausgenommen, zu lachen anfingen, und Blaustrumpf trotz des kalten Capaunen, den Zunge und Zähne zernagten, doch noch stoßweise folgendermaßen losbrechen konnte: »Wir haben glücklicherweise durch eine Feuersbrunst vor zehn Jahren den letzten Rest jener trübseligen Bauart verloren, welche den dunkeln Zeiten des Mittelalters, wie eine wuchernde und formlose Kellerpflanze, entsproß; die Magdalenenkirche ist abgebrannt. Es soll eine neue gebaut werden, die heilige Magdalena ist auf ihren katholischen Himmel und die dem Aberglauben fröhnende Malerei verwiesen, ich habe meine ganze Beredsamkeit gegen den gnädigen Landesfürsten gewandt und durchgesetzt, die neue Kirche solle heißen ganz einfach: Geistliches Verrichtungshaus! Nun seh' ich mit Verwunderung, daß Sie, meine Herren, immer noch keine Anstalten machen, dem Namen und der Idee einen entsprechenden Körper zu geben, ja, bemerke sogar, daß mystische Cirkel und Allegorien mit diesem Gebäude vorgenommen werden sollen. Das geistliche Verrichtungshaus ist aber ein Vernunftmünster; es sollten darin keine Winkel und Ecken angebracht seyn, in die sich die Lichtscheu verstecken könnte. Frei, luftig, durchsichtig soll das Gebäude, dieser Tempel der reinen praktischen Vernunft (denn auch Kant's theoretische Vernunft ist Schwebelei), ich sage, soll dieser Tempel aufgeführt werden und sich weder durch überladene Massen, noch durch besonders auffallende Baukennzeichen auszeichnen. Nehmen Sie unser Logengebäude! Ist die Loge ▭ »zum gerechten Aristides« nicht ein Meisterstück eben so niedlicher, wie verständiger Architektonik! Nehmen Sie die Garnisonskirche, die der selige Wiesicke gebaut. Welch reines, luftzugängliches und wahrhaft erbauliches Gebäude ist das! Das ist seiner Bestimmung gemäß für Compagnien und Bataillone eingetheilt, es ist eine Kaserne gleichsam, nur mit dem Unterschied, daß da keine Gewehre geputzt werden, sondern die rostigen Gemüther! Und wenn mir das geistliche Verrichtungshaus nicht etwas Aehnliches wird, dann möcht' ich gar keinen Fuß hineinsetzen.«

Der Hofarchitekt gab dieser Erklärung seinen vollen Beifall. Er sagte: »Wir sollen bauen, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Jedes Zeitalter hat seine eigene Art; warum sollten wir nicht die unsrige haben? Die moderne Baukunst hat nur die eine Aufgabe, ihrem Zwecke nämlich gemäß zu bauen. Sie will wohnliche, bequeme, behagliche Gebäude herstellen. Die alten Formen der Antike, der Gothik, müssen wir entlehnen, während wir doch unsern eigenen schönen und gesunden neuen Styl haben. Das geistliche Verrichtungshaus soll dem Gottesdienste gewidmet seyn. Man baue einen großen Würfel mit plattem Dache, hinlänglichen, wenn auch eher breiten, als länglichen Fenstern, Altar, Chor, Orgelchor, Sacristei und unterirdische Heizung, wie beim Theater, mit erwärmter Luft: denn ich sehe nicht ein, warum man im Winter in unsern Kirchen erfrieren soll! Unsre Vorahnen hätten die Kirchen wahrlich nicht gothisch gebaut, wenn sie selber eine angemessene Form hätten erfinden können. Sie waren aber so ungeschickt, daß sie lieber die Christen im Winter erfrieren ließen, als eine Bauart, die für das heiße Italien ganz passend ist, den im Norden nothwendigen Beschränkungen unterwarfen.«

Blaustrumpf hatte vom Capaunen nur eine fettige Hand, sonst würd' er die des Hofarchitekten wacker geschüttelt haben. Dennoch mischte sich in seine Zufriedenheit eine unangenehme Empfindung, nicht die, daß er plötzlich niesen mußte, denn das bekam ihm wohl, aber, weil der ganze Tisch einfiel und den Trumpf darauf setzte: Helf' Gott! Blaustrumpf stieß den Teller heftig zurück und erklärte: »Wir kennen uns so lange, und sollt' ich denn noch nie dabei geniest haben; und sollten Sie nicht wissen, daß dies Helf' Gott! für einen Mann verletzend ist, der sein Leben der Ausrottung des Aberglaubens gewidmet hat? Denn schon das lateinische Prosit! beweist, wie sehr man das Niesen als eine Gelegenheit benutzt, an die Nase ein kleines Beschwörungs-Amulet, Prosit genannt, anzuhängen. Das Niesen ist ein zufälliger Akt. Es ist nichts, als eine mit einem gewissen zischenden Geräusch und plötzlicher Zusammenziehung der Muskeln des Unterleibs, wie auch derer, welche auf die Lunge wirken, verbundene Ausstoßung der Luft aus der Nase, wenn nämlich durch irgend etwas deren Geruchsnerven gereizt worden sind.«

Der oberschlächtige Mühlenbauer behauptete, daß er schon in Vossen's Homer die Götter habe niesen und sich Prosit sagen hören. »Um so mehr,« bemerkte aber Blaustrumpf, »ist dies ein verdächtiger Gebrauch. Ich finde das Niesen mit einer Menge von abergläubischen Meinungen verknüpft. Eine Meinung gibt's im Volke, welche in Betreff des Niesens geradezu den Ruin alles gewerblichen Fleißes zur Folge haben könnte. Die Leute sagen nämlich: Wenn du früh Morgens aufstehst, und du mußt niesen, so lege dich drei Stunden wieder zu Bett, sonst mußt du die ganze Woche deiner Frau unterthan seyn. Ob nun dabei das Geschäft versäumt wird, kümmert die Leute nicht!«

Ein Anderer aus der Gesellschaft meinte, daß in diesem Aberglauben doch etwas Gutes läge: denn, wer niese, pflege den Schnupfen zu haben, und dem könne es gar nicht schaden, noch drei Stunden sich wieder in's Bett zu legen.

Blaustrumpfen war ein Knöchelchen in den unrechten Hals gekommen, sonst hätt' er sogleich erwidert; aber gewöhnlich findet man, daß sich die Leute verschlucken, wenn es sie ärgert, daß sie etwas billigen sollen. Blaustrumpf mußte in der That, als er getrunken hatte, sagen: »Sie haben Recht, es liegt dem Aberglauben manches Gute zu Grunde. So heißt es in dem kauderwälschen Systeme desselben: Wer des Morgens aufsteht und nur einen Schuh oder einen Strumpf anhat, bekömmt den Schnupfen: das ist ein echt klarer medicinischer Gedanke, an dem nur zu bedauern ist, daß man ihm eine ominöse und prophetische Form gegeben. Auch darin steckt eine diätetische Wahrheit, daß es heißt: wer am Charfreitag nicht trinkt, der, nun folgt freilich gleich der Bauernschluß, wird das ganze Jahr nie betrunken. Diese wenigen Fälle finden sich, wo sich wirklich etwas gesunde Vernunft und praktische Lebenserfahrung in den Aberglauben verirrt zu haben scheint; alles Uebrige ist vom Uebel und, seiner Raison nach, immer nach dem Schema eingerichtet: Heute regnet es, folglich hat gestern Jemand eine Schwalbe todtgeschlagen. Nehmen Sie den Unsinn! Aber der Mangel an Vernunft wäre noch am ehesten zu ertragen: denn der Rationalismus muß ihn leider noch in ganz andern und höhern Dingen nachweisen; allein der Mangel an Moral! Im Aberglauben ist an alles Schlechte Glück, an alles Gute Unglück geknüpft. Wer bei unehelichen Kindern Gevatter steht, glaubt das Volk, der hätte Glück. Wenn uns eine reine Jungfrau des Morgens begegnet, so sind wir nach dieser Philosophie nicht so gut dran, als begegnete uns ein gefallenes Weibsbild. Ja, den Kindern reiner und keuscher Eheleute wird von den verdammungswürdigen Hexen das Prognostikon gestellt, daß sie »narrig« werden, indessen sie von den sogenannten von der Bank gefallenen Kindern nicht Gutes und Glückliches genug zu sagen wissen.«

Indem nieste Blaustrumpf wieder, und, obgleich diesmal das Helf' Gott! ausblieb, so sagte doch einer der Beigeordneten: »Sie müssen's beniesen, Herr Consistorialrath!« Alle lachten, weil dies wieder eine neue abergläubische Bemerkung war, und Blaustrumpf sie auch unsanft genug aufnahm. Er rückte mit dem Stuhl zurück und erklärte: »Meine Herren, wachen Sie über sich! Man kann sich solche kleine Unarten so angewöhnen, daß man die Schwächeren dadurch in ihren größeren bestärkt. Daß etwas, was erzählt wird, dadurch, daß man es beniest, auch wahr wird, ist ein verderbliches Axiom und dient den Lügen als ein wahrer Schicksals-Deckmantel. Noch herrscht auf dem Lande der Glaube, daß, wenn man beim Schuhanziehen niest, es Unglück bedeutet. Ich frage: Ist's möglich? Ferner: Wer früh nüchtern niest, bekömmt selbigen Tages etwas geschenkt. Kurz, die Litanei dieser Klagen über mangelnde Vernunft ist groß; doch, bitt' ich, kehren wir auf den Tempelbau zurück, den Sie sich, meine Herren, allzuschwer machen!«

Der Rathsbaumeister war für die Antike und bemerkte: »Ich hätte gern das Verrichtungshaus in Form einer Rotunde gebaut.« – »Ja,« fiel der Hofarchitekt bitter ein, »so wie Sie das Theater gebaut haben, ohne akustische Berücksichtigungen?« – »Herr Hofarchitekt,« erhitzte sich der Rathsbaumeister, »Ihre fürstliche Reitschule hat zweierlei Durchmesser, so daß sie der Fürst hat schließen müssen, weil ihm alle seine Pferde gegen die Mauer laufen.« – »Keinen Zank,« fiel einer der Baudeputirten ein: »dem Theater läßt sich vielleicht durch eine Nachhülfe mit akustischen Schallbecken eine Verbesserung geben, oder wir verwandeln die Reitschule in's Theater und verbinden das Theater dagegen mit dem fürstlichen Marstall.« Der Brücken-Inspector bedauerte dies: »Denn, so oft ich in die Oper gehe,« bemerkte er, »hab' ich das Vergnügen, sie für einfaches Geld zweimal zu hören. Man muß nur die rechte Stelle haben: ganz vorn im Parterre hört man das Orchester einmal vor und dann noch einmal hinter sich, erst natürlich und dann reflectirt. Schade, daß man das Echo der Vorstellungen nicht extra auffangen und gleichsam als Kuchenreste an Kinder auf einer eigens angebrachten Galerie für sechs Pfennige den Platz vermiethen könnte. Einstweilen hat die Theaterdirection alle Plätze und Abonnements darauf in zwei Klassen eintheilen müssen: Sperrsitz mit Echo, und Sperrsitz ohne Echo. Die reinen Plätze kosten ein Drittel mehr, als die unreinen; doch zieh' ich die unreinen vor, wie Kochzucker vor hartem, wie wurmstichigen Varinas vor gesundem, weil man mehr hat, mehr Stoff und mehr Unterhaltung.«

Der Rathsbaumeister ärgerte sich empfindlich, ob er gleich nur zu essen schien, und sagte: »Die Akustik ist ein Wurf des Zufalls. Die größten Architekten haben blind geworfen, und ich brauche nur an die schöne Kirche in Darmstadt zu denken, die auch statt eines Echos ihrer mehrere hat und deßhalb den Katholiken abgetreten wurde.«

»Alle diese Mißstände,« fiel nun Blaustrumpf ein, »werden Sie vermeiden können, wenn Sie aus unserem geistlichen Verrichtungshause einen einfachen wohnlichen Tempel der Natur machen, ohne große Kunst, einzig nur den Zweck im Auge. Vereinigen Sie sich mit den Ideen unseres Herrn Hofarchitekten, nehmen Sie die Bauart des seligen Wiesicke, seine herrliche Garnisonskirche, nehmen Sie die zum Muster! Ja, meine Herren und ∴ Brüder ∴, höchstens, daß Sie etwas von dem netten Styl borgen, in welchem unsre Hochwürdige ∴ Mutter ▭ zum großen Aristides gebaut ist. Ueberhaupt nur ein Dach, eine Thür hinein und eine heraus, die Fenster frei und luftig; der wahre Schmuck des Ganzen komme von der Kanzel und dem Lichte der Vernunft, die auf dieser Kanzel thronen wird!« –

Es war aber dies Vernunftlicht Niemand anders, als Mörder, der an jener Kirche Hauptprediger werden sollte. Mörder schwieg während des ganzen Frühstücks still und war nur mit der Ersparung des Mittagessens beschäftigt. Er war überall nur die Beilage zu dem fetten Consistorialrath-Bruststücke, die bescheidene, aber geliebte Niere neben dem Sonntagsbraten. Er rankte sich an seinen Schwiegervater wie ein zärtliches Schlinggewächs auf und war nur Einem verständlich, ihm, ja selbst der Gemeinde nicht, da er auf der Kanzel nicht sprach, sondern nur zirpte. Mörder besaß theoretische Kenntnisse. Er liebte die Bücher mehr, als die Welt. Er hatte ein gutes Herz, wenn er es auch nicht in feurige Ausübung brachte. Seine Frau kennen wir noch nicht. Sie überragte ihn aber an Körpergröße, soviel wir hören und gern glauben wollen, da Mörder nicht anders predigen konnte, als auf einer »Hütsche«. Diese Erhöhung fiel ihm einmal um, und er verschwand vor der Gemeinde in dem Augenblicke, als er sagte: »Ueber ein Kleines werdet ihr mich sehen, und aber über ein Kleines werdet ihr mich nicht sehen!« Mörder war Blaustrumpfen unentbehrlich. Er diente ihm als Encyklopädie, die er immer in der Eile nachschlug. Auch mußte er ihn zuweilen am Aermel zupfen, wenn er in seinem Eifer zu weit ging. Heut flüsterte er ihm zu, daß der Wagen vorm Hause schon lange warte. Blaustrumpf erhob sich also, dankte für die vom Baucollegium erhaltene Ehre und stieg mit erhitztem Kopfe die Stiegen hinunter. Der Abschied von Mörder war einfach und herzlich. Blaustrumpf revidirte die Verpackung seiner Effecten, namentlich des buchhändlerischen Commissionsartikels, und fuhr, indem er sich im Wagen Alles nach seiner Bequemlichkeit einrichtete, davon. Mörder blickte, wie ein Kind, das zum ersten Male entwöhnt wird, zu ihm auf. Die Thränen standen ihm im Auge, und er eilte in seine Wohnung, die ihm, ob er gleich seine Frau darin fand, doch einsamer und verlassener, als je, vorkam.



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