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Achtes Kapitel.

 

Basreliefs.

 

Es war der Rüsttag des Sabbaths angebrochen, der Studirtag der Geistlichkeit, Sonnabend. Tobianus war schon in aller Frühe wieder abgereist, und Gertrud doch lieber gleich aufgeblieben und an eine Arbeit gegangen, welche jeden Wochenschluß dieselbe war. Während Blasedow nämlich oben über das Brod des Lebens nachdachte, pflegte Gertrud unten das wirkliche zu backen. Unten waltete mehr als ein Leib Christi; oben fegte die memorirte Sonntagspredigt den alten Sauerteig aus der Christenheit aus; unten konnte der Sauerteig nicht alt genug seyn: je mehr Fäulniß, desto lockerer und dauerhafter das Gebäck.

Blasedow wußte nie recht in der Zeit sich zu orientiren. Er irrte, wenn er ein Datum suchte, zwischen den Kalendertagen wie ein Abenteurer umher, der, wenn auch keine Menschen, doch die Zeit todtschlägt. Fast alle seine Briefe datirte er auf's Gerathewohl und bekam nicht selten Antworten, worin es unter dem 10. April hieß: Ihren Brief vom 12. April habe ich richtig erhalten. Hätt' er kein so feuriges Temperament gehabt, hätt' er aus Phlegma nicht ante- sondern postdatirt, so würd' er sich durch den russischen Kalender haben helfen können; allein so hatte Gertrud vollkommen Recht, wenn sie sagte, er lebe wie ein Heide in den Tag hinein und würde nicht einmal wissen, wann Sonntag wäre, büke sie nicht den Tag vorher. Eine Spur von Mehl, welches beim besten Willen im Hause zerstreut wurde, war der Ariadnefaden, mit welchem sich Blasedow wöchentlich aus dem Labyrinth des Kalenders rettete.

Heut' aber war selbst eine Mehlverschwendung, die alle seine Kinder zu Pierrots machte (da sie durchaus zusehen wollten und gern die Gelegenheit zum Naschen wahrnahmen), nicht im Stande, ihm die Vorstellung des kommenden Sonntags recht dringend zu machen. Er dachte: »Die wahre Kunst des Predigers besteht darin, so kunstlos wie möglich zu seyn. Je mehr ich über mein Thema nachdenke, desto klarer wird es mir, aber desto dunkler meinen Zuhörern. Eine überdachte, in je drei und drei Theile gebrachte Rede kann unmöglich so viel wirken, als eine Betrachtung, wo man, ohne abwesend zu seyn, sich gehen läßt. Je mehr ich meditire, desto reifer sind freilich meine Gedanken; allein meine Dreschergemeinde weiß mit den vollen goldenen Aehren der Abstraction nicht umzugehen. Weit lieber ist es ihr, sie hört das Gras selber wachsen. Ich werde mir einen Text nehmen und ihn in allen möglichen Wendungen eine halbe Stunde lang umschreiben. Vielleicht wirkt dies besser. Wenigstens können sie dann nicht mehr sagen, daß ich vom Text abschweife. Je öfter man diesen Leuten dasselbe sagt, desto reicher scheint ihnen der Inhalt an Gedanken. Die eigentliche Erbauung besteht für sie darin, daß man einen Stein nach dem andern, jeden von demselben Caliber, aufträgt. Den Mörtel, der das Ganze bindet, liefern die Bibelsprüche, welches denn freilich meine Stärke nicht ist.«

Nach diesem letztern Eingeständniß hätte Blasedow mehr Besonnenheit haben und sich einige Stunde Nachdenkens nicht verdrießen lassen sollen. Allein auf der Wage seiner Entschlüsse war die eine Schale so gewichtvoll belastet, daß sie ihn selbst, seine Berufstreue und Amtspflicht, wobei man bei ihm noch immer nicht an eigentliche Verwilderung denken konnte, gänzlich in die Höhe zog. Blasedow hatte dem großen Worte, daß Amandus ein Bäcker werden wollte, eine ganze schlaflose Nacht gewidmet. Er sah voraus, daß ein Knabe, der beim Teige im Backtroge die Idee eines Bäckers bekäme, beim Anblick eines Marmorblockes und des Meißels nicht mehr ausrufen würde: Auch ich bin ein Bäcker! sondern: Auch ich bin ein Phidias! Für die Zukunft des Einen war er jetzt ohne Sorge. Er hatte vier Söhne und wurde so heiter, daß wir, wenn die Sonne, wie der Mond, auch in vier Vierteln aufginge, sagen könnten, bei Blasedow wäre jetzt die Sonne im Neumond eingetreten.

Es fiel wie Schuppen vom Auge unsers Helden. Die Zukunft lockte ihn wie ein fernes Posthorn, von dem man weiß, daß es uns etwas Erwartetes bringen wird. Er stand, wie er am Morgen in seinem Schlafrock durch Haus und Hof waltete, zuweilen wie gebannt still und verlor sich in bunte Visionen, aus welchen ihn nur die sich durchkreuzenden Mägde, die hier das Vieh fütterten, dort scheuerten, dort den Teig kneteten, weckten. Er hatte glücklicherweise wasserdichte Stiefeln an, als er sich auf einen Düngerhaufen zurückzog und den feinsten Sinn des Geruches unten zurückließ und aufschoß wie die Blume aus dem Mistbeet, eine exotische Blume aus der Traumwelt, brasilianischer Mohn, ein langer, gluthvollblühender Cactus. Das Antlitz der Sonne zugewandt, träumte er, auf einem Fuße stehend, wie ein indischer Fakir, von dem, was war, ist und seyn wird, und blickte dabei zwar nicht auf seine eigne Nase, wie der Fakir, wohl aber mit einer stummen, abwesenden Andacht auf die Nase der ersten Küchenmagd, die ein großes Gefäß im Hofe putzte und erstaunt von ihrer Arbeit aufblickte und unverwandt auf dem verzückten Pfarrer ihre von der gebückten Stellung ganz rothe, vollblütige Nase ruhen ließ. Erst als Blasedow den Boden unter sich wanken fühlte, räumte er dem Haushahn seinen Platz und ging in sein Zimmer, um sich zum ersten Versuche der geistigen Taufe eines seiner Kinder anzuschicken.

Bald stand er mit Hut und Stock vor der Küche, wo es am heutigen Backtage nicht so laut herging wie sonst. Die Kinder standen zwar alle um den Trog herum, wo Gertrud mit nackten Armen, wie eine Riesin, in der zähen Masse waltete. Allein Gertrud dachte an ihr gestriges Gesicht und wollte für ein Unglück, das ihr bevorstände, wohl so gut wie gut sagen. Die Kinder schwiegen aus Gier: denn, sowie sich Gertrud umwandte, benützten sie den Augenblick, um etwas von dem rohen Teige, es ist gräßlich zu sagen, in den Mund zu stecken. Indem ruft Blasedow dem zweitältesten Amandus. Amandus sieht sich betroffen um. Er macht das verdrießlichste Gesicht, als er hört, daß er mit dem Vater in's Feld gehen solle. Gertrud sieht Blasedow groß an. »Es ist ja Sonnabend!« sagte sie und schien ihn damit an den Sonntag zu erinnern. Blasedow sagte aber, er wisse wohl, und Alles sey schon in Ordnung, und Amandus solle nur auf der Stelle nachkommen. Amandus dachte, hier gilt es einen raschen Entschluß. Er griff vor den sichtlichen Augen seiner Mutter in den Trog, nahm eine ganze Faust von dem Teige und flüchtete sich damit. Gertrud, den Tod des Jungen und die Erfüllung des gestrigen Spukes leibhaft vor Augen sehend, läuft ihm nach; da er aber flink zum Hause hinaus ist, fällt ihr ein, daß die drei andern Knaben die Gelegenheit benutzen würden. Sie denkt: Einer sind nicht Drei! und wendet sich schnell um, schnell genug, um die Drei, welche inzwischen nicht faul gewesen waren, in der Küche noch abzuschließen und Jedem die Hand voll Teig, die sie sich inzwischen mit Blitzesschnelle angeeignet hatten, wieder abzujagen. Das Ganze war das hurtige Werk einer Minute. Gertrud gerieth in äußersten Zorn und theilte zu den Ohrfeigen, die nun Jeder ohnehin bekam, noch in drei gleichmäßigen Dritteln die vierte Tracht ihrer Entrüstung aus, welcher Amandus glücklicherweise entronnen war.

Inzwischen war es aber auch diesem Knaben nicht gelungen, seinen Raub auf einmal zu verzehren. Blasedow hatte draußen auf ihn gewartet und ergriff seine Hand und sagte ihm, er solle hübsch und nett neben ihm einhergehen und den Kopf zusammennehmen. Er freute sich, daß der Junge über und über mit Mehl bestreut war, und dachte sich um so mehr in die Vorstellung seiner künftigen plastischen Meisterschaft hinein. Das zuweilen von ihm bemerkte verstohlene Essen des Jungen verbat er sich und schlug ihm sogar, da er nicht hören wollte, auf die Hand. Amandus mußte sich daher begnügen, in der Rocktasche hinten mit stummer Resignation sein Gebäck zu kneten, welches denn allerdings zu dem Gespräch über die Bildhauerkunst, welches Blasedow bald beginnen wird, eine recht passende Beschäftigung war.

Der Morgen entfaltete wieder alle im fünften Kapitel aufgezählten Reize. Die schöne Natur auf dem Lande ist etwas ganz Anderes, als das, was man gewöhnlich schöne Natur nennt. Wollte man euch Dichtern glauben, wie ihr uns die freie Luft, den Vogel und die Blume schildert, so würde man sich immer bitter getäuscht fühlen, wenn man in Wahrheit einmal statt Zimmerluft Gottesluft einhaucht. Die Dichter schildern die Natur nur im Festkleide, als wäre die Natur so eitel, daß sie mit Wahl und Absicht hier eine Nelke, dort einen Vogel vor die Brust und in's Haar steckt. Die Natur hat ihren Sonntagsstaat, das ist wahr: sie ist manchmal feierlicher, glätter, als sonst, sie ist reinlicher. Allein sie hat ihn nicht immer vor. Sie hat nicht immer die Glaceehandschuhe an, in welchen sie manche Lyriker schildern.

Es kömmt bei der Natur auf dem Lande weit weniger auf die Farbe, als den Duft an. Die Dichter schildern nur die gemalte Natur, sie geben reizende Landschaften, aber doch immer nur Landschaften, sie glauben die Natur nicht anders schildern zu können, als indem sie sich selbst in Maler verwandeln. Gemälde wissen aber nichts von dem Duften der Natur. Was sie Duft nennen, das ist Farbe. Die Natur hat aber einen noch weit größern Reiz in dem Geruche, als in der Farbe. Diese Frische, wer kann sie schildern? wer hat sie geschildert?

Ich gestehe es, obwohl mit der größten Schüchternheit, daß Blasedow in Betreff dieses Themas längst die Absicht hatte, einmal eine Rettungsapologie des in der That noch lebenden Pfarrers Schmidt in Werneuchen zu schreiben. Denn Blasedow glaubt, daß dieser Mann die Natur in ihrer echten, unverfälschten Wahrheit besser geschildert hat, als Göthe, der ihn als Apollo der Musen und Grazien in der Mark verspottete, als Uhland, der in dem Rufe steht, vorzugsweise ein Dichter der Natur zu seyn. Ich rede von Italien, auch von der Schweiz nicht; allein so wie die Natur von Schmidt in Beziehung auf die Mark Brandenburg geschildert ist, so, konnte Blasedow nicht leugnen, würde auch das Fürstenthum Sayn-Sayn zugestehen müssen, daß es in seinen eigenthümlichen Naturreizen vollkommen getroffen wäre. Sand sogar hatte Blasedow noch überall in Deutschland gefunden, Staub ohne allen Zweifel in Italien auch. Frösche finden sich in allen Sümpfen, und Sümpfe gibt es außerhalb der Mark und Sayn-Sayn's sogar noch weit mehr, als innerhalb. Man hat über die Poesien des Pfarrers Schmidt eine ganz falsche Ansicht und verwechselt sie mit den Voß'schen Gedichten, die bei Weitem, was die Naturschilderung anlangt, tiefer stehen, als die des Werneuchner Schmidt.

»Es wird in Deutschland so viel nachgebetet,« sagte Blasedow zuweilen, »daß der, welcher seinen eigenen Weg geht, für einen nach Originalität süchtelnden Narren angesehen wird.« Man möge über Blasedow's gesunde Vernunft den Stab brechen; allein was dieser einmal gegen Tobianus über den Feldprediger Schmidt sagte, scheint die Rede eines besonnenen Mannes und eines feinen Kenners der wahren Natur zu seyn. Tobianus brüstete sich mit seiner Kenntniß der Gemeinplätze. Er konnte die Natur, die ihn umgab, nicht genießen. Wollt' er sich eine Vorstellung über die Schönheit der Natur machen, so mußt' er sich erst eine Landschaft zusammensetzen, wobei Italien und der Orient eine größere Rolle spielten als seine Heimath. Was war ihm schöne Natur ohne ein griechisches Tempelchen? Blasedow durchschaute die Rüge der Feldprediger Schmidt'schen Poesien und sagte damals: »Daß ich zur Idylle des Landlebens geboren bin, ist unwahrscheinlich; wenigstens wär' ich lieber ein Matrose und kletterte allmählich bis in den Mastkorb der Admiralität, als daß ich Candidat wurde und es nie werde weiter bringen, als höchstens dazu, einmal Ihr Superintendent zu werden, Tobianus! Nun ja, Sie scheinen selbst sagen zu wollen: daß es damit gute Wege hätte. Ich glaub' es selbst und beneide den Vorzug nicht, den man Ihnen vielleicht geben dürfte. Da ich nun aber einmal auf die Natur angewiesen bin und sie mir nicht so wie meine Haare von der Stirne wegscheiteln kann, so find' ich noch immer, daß Schmidt die pittoreske Seite der deutschen Landpfarrer am besten gezeichnet hat.«

Da sich überhaupt Blasedow an jenem Sonnabend besann, wie er seinen plastischen Unterricht mit Amandus beginnen sollte, so wollen wir diese Pause benutzen, um hier in der That seine Meinung über den Feldprediger Schmidt ausführlich einzuschalten. Er entwickelte sie aber folgendermaßen:

»Man hat viel zu überspannte Begriffe von der ländlichen Natur, und selbst von ihren Schönheiten kennt man nicht den eigentlichen Werth. Der Spaziergänger ist hier nur ein Eilwagenreisender. Wer diese Natur schätzen will, muß in ihrem Schoße leben. Das Landleben ist von Schmidt mit jener Gourmandise, die auch dem Kuhmist ein Arom abzugewinnen versteht, durchgekostet worden. Man kann versichert seyn, daß das Naturkätzchen, welches er schildert, sich nicht geleckt und geputzt hat. Er schildert keinen Baum, ohne daß man darauf auch die Raupe kriechen sähe. Er schildert keinen Topf Milch, in dem nicht auch eine Fliege läge.« Diese Wahrheit mag nicht delicat seyn; aber warum sie deßhalb auch unpoetisch ist, begriff Blasedow nicht.

»Wenn Schmidt einen Spaziergang macht, welche unübertreffliche Wahrheit weiß er über seinen Weg zu verbreiten,« fuhr er fort; »der Abschied von seiner Frau, die Perrücke, die sie ihm gesetzt hat, das Grüßen der Bauern über die Hecken, das Flattern der Bienen und Schillebolde um ihn her, die richtige Zeichnung alles dessen, was für nachgiebige Seelen das Landleben so reizend macht, scheint mir einen weit größern Beifall zu verdienen, als ihn Schmidt bisher errungen hat. Man denke sich den Pfarrer, wie er endlich eine kleine Anhöhe erklimmt hat. Oben steht eine Schafheerde und dabei ein kleiner Rollwagen, in welchem der Schäfer sich vor dem Regen zu schützen pflegt. Es zieht ein Gewitter heran, sagt der Schäfer und zeigt drüben hin nach Potsdam. Wie er diese Annäherung zeichnet, glaubt man es wirklich schon tröpfeln zu hören. Schmidt findet seine Zuflucht im Walde bei einem Köhler. Das Weitere läßt sich gar nicht so wieder erzählen. Das Wort Röhricht, von Schmidt ausgesprochen, hat für mich einen unendlichen Reiz, ebenso Bruch, Gehöft, Buchenwald, Eierkuchen. Dies Alles scheint von Poesie entblöst zu seyn. Allein was ist denn zuletzt Poesie, als eine wohnliche, heitere Erregung der Gefühle, namentlich eine heimische Erregung derselben. »Ich bin den Schmidt'schen Idyllen,« sagte Blasedow, »so blind gefolgt, daß ich mir von Kindheit an kein größeres Glück, als das des Landpfarrers träumte. Allein so sind die menschlichen Neigungen. Ein Grundton bleibt in ihnen unveränderlich und brummt von den Anfängen des ersten Nachdenkens her, während die Melodie mit den Jahren so variirt, daß man im zwanzigsten Jahre ganz andere Arien singt, als im fünfzehnten. Ich behielt die gemüthliche Neigung zur Idylle, während Alles, was mit meiner Ueberzeugung und Willenskraft zusammenhängt, einen excentrischen Flug bekam, so daß ich die Reize der Entsagung wohl kenne, sie aber niemals über mich gewinnen werde, ich meine, auf die Länge nicht.«

 

»Will man die Unordnung der Natur, ihren Totaleffect sondern und poetisch lichten,« sagte Blasedow ferner, »so muß man es machen, wie Schmidt, oder, was dasselbe ist, wie eine Ziege, die heilsame und schädliche Kräuter durch Instinkt von einander zu trennen weiß. Bei ihm laufen die Blumen und Bäume nicht durcheinander. Er ist Kenner der Gewächse genug, um nicht gerade als Botaniker von ihnen zu sprechen, aber doch zu wissen, um welche Zeit z. B. die Camillenstaude blüht. Diese lyrischen Poeten, welche wir jetzt von Tag zu Tag an der Ofenwärme unsres politischen Bärenhäuterlebens ausbrüten, sprechen nicht selten von den Reizen des Monats Mai und rechnen Blumen zu denselben, welche erst im Herbste blühen. Diese Fehler rüg' ich nicht aus Pedantismus. Nein, weil ich daran nur sehe, daß das Entzücken an der Natur bei diesen jungen und alten Hänflingen nicht von dem freien Felde herstammt, sondern aus einem messingenen Drahtbauer, wo sie zwar auch Hanf essen, ihn aber schon gequetscht erhalten. Schmidt kopirte nur die Natur. Wenn er seine Frau auf einem kleinen Kahne über einen Bach fährt, wo er kaum durch das Schilf hindurch kann, wenn er einen Brief bekömmt in dem Moment, wo er in einem noch unbelaubten Baume sitzt und die Zweige desselben stutzt, während seine Frau die Hühner füttert, wenn er mit zugeknöpftem Rock und breitkrämpigem Sebaldus Nothanker'schen Hute unter einer Eiche während des heftigsten Regens in der Jungfernhaide steht oder mit übereinandergeschlagenen Beinen vor einem Waldbache auf einem Baumstumpfe sitzt und das Buch aus der Hand verliert, vor Entzückung über den Finken, der aus dem Gehölz so lustig schlägt – ja, Tobianus, da soll mich der Kukuk holen, wenn Schmidt es nicht richtiger trifft, wo mein Herz sitzt, als all' die neuen Poeten, die Sie, närrischer Mann, sich haben so sauber einbinden lassen, die immer vom Vogel in der Luft singen und ihn selber nie gehört haben, ja, nicht einmal wissen, wo die Lerchen im Winter bleiben. Sehen Sie, und was so respectabel an dem Mann ist, er lebt noch und hat nie mehr ein Zeichen von sich gegeben. Er sang sich aus und schilderte soviel, als er wußte, seine Natur. Er hat nie polemisirt gegen seine Gegner, er wurde nicht halsstarrig wie die Nicolai's, als man sie nicht rühmen wollte. Er hört noch abendlich die Frösche quacken und denkt nicht einmal dabei an das Heer von Kritikern, die ihn so oft als Stichblatt ihres Witzes benutzt haben.«

Man wundre sich über diese Blasedow'sche Apologie nicht! Man findet oft Menschen, die voller Poesie stecken, die einen ganzen Bienenschwarm lyrischer Gedanken, in sich den süßesten Honig webend, verbergen, und deren Begriffe vom Schönen durchaus nicht an das Sublime streifen, während die Oberflächlichen dagegen nicht Worte und Farben genug haben können, ehe sie ihre Bewunderung poetischer Leistungen auszudrücken vermögen. Das größte Talent gefällt sich und spiegelt sich wieder in einem Wassertropfen, während die Mittelmäßigkeit immer einen ganzen Ocean ausschüttet, um die Menge zu berauschen. Da ich mir aber nicht denken kann, daß nicht jeder meiner Leser von Blasedow mit Vergnügen hört, wie zart, trotz seiner rauhen äußern Nußschalennatur, doch sein innerer Kern war, so verschmäh' ich auch diese Gelegenheit nicht, in die Jugend unsres Helden zurückzublicken und eine Erzählung wiederzugeben, die er damals, als er vom Feldprediger Schmidt sprach, an Tobianus über seine erste Predigt richtete. Lassen wir nichts unbemerkt, was uns Vertrauen zu unserm Manne einflößt. Wir werden leider noch früh genug wahrnehmen, daß sein ganzes zukünftiges Schicksal auf Thorheiten gegründet ist.

»Ich war kaum vier Monate von der Schule,« erzählte Blasedow, »kaum entwöhnt von den sogenannten Brüsten des classischen Alterthums, als ich in mir den Luftballon meines Ehrgeizes, der wenigstens so hoch steigen wollte, als eine Kanzel ist, nicht mehr zurückhalten konnte. Je leerer der Kopf, desto höher will er hinaus. Ich hatte mich noch ungewiß zwischen dem Christenthum und dem Alterthume gehalten und ließ mich während eines Semesters mehrere Male aus einer Facultät in die andere überschreiben, weil es bald hieß: für dies Stipendium muß man Philosoph, bald: für jenes muß man Theologe seyn. Ich hatte die Kirchengeschichte gerade bis zur ersten Christenverfolgung gebracht und in der Einleitung in die Bibel bis jetzt nur gelernt, welche Bücher unecht waren. Die echten ließ der Professor zurück und wurde am Schluß des Semesters so in die Enge gebracht, daß er in der That seine Vorlesungen mit dem Bedauern schloß, er hätte uns freilich nur die Unechtheit der Bibel während des Halbjahres bewiesen, woll' es aber unserm eigenen Studium dringend anempfehlen, uns um die echten Bestandtheile derselben selbst zu kümmern. Das Evangelium Matthäi hatt' ich von einem Gelehrten erklären hören, der es mit seinem äzenden Verstande in lauter verbrannte Trümmer verwandelte und uns Allen, als er seine Vorlesung später schloß, vorkam, als stieg' er wie Scipio von dem Aschenhaufen des ehemaligen Numanz herab. Das war Schleiermacher. Was wußt' ich von der Homiletik? Dennoch wollt' ich predigen.«

»Ich begab mich eines Morgens in die Umgegend von.... in das Dörfchen Schwarzensee, welches aber lieber Weißensee hätte heißen sollen, der vortrefflichen Schafmilch wegen, die man dort auf guten Cichoriendecoct erhalten konnte. Ich suche den Pfarrer auf und bitte für den nächsten Sonntag um seine Kanzel. Er bewilligt sie mir unter zwei Bedingungen. Erstens, daß ich meine Predigt vom Probst Reuter unterschreiben ließe, zweitens, daß ich ihm erlaubte, ein wenig zu lachen. Ich wurde roth, weil ich dachte, daß die letzte Bedingung mir galt. Nein, sagt' er, ich lache nur, weil Sie keine Zuhörer haben werden. Er wollte damit sagen, daß er selbst keine hätte. Ich versprach also, mir selbst eine Gemeinde mitzubringen.«

»Meine Predigt war schnell hingeworfen. Es war eine kühne Abhandlung über das Nosce te ipsum. Ich wollte zeigen, daß der Reue die Selbsterkenntniß vorangehen müsse, und war ehrlich genug, die Predigt aus meinem innersten Herzen herauszuschreiben. Es waren Rousseau'sche Selbstbekenntnisse, die ich auf die Kanzel von Schwarzensee bringen wollte. Ich war erst achtzehn Jahre alt, hatte aber geistig viel erlebt und war in der That ein großer Enthusiast für das Christenthum. Ich riß mir das Kleid meiner eigenen Gerechtigkeit vom Leibe. Ich zeigte mich in jener christlichen Blöse und Armuth, die lieber verhungern und erfrieren will, als prächtige Kleider tragen und kostbare Speisen genießen. Das jugendliche Werk übergab ich dem Probst Reuter.«

»Aber wie ritt dieser darüber her! Mensch, Mann, junger Mann, sagte er mit etwas lispelnd westphälischer Stimme, solche Dinge wollen Sie auf eine christliche Kanzel bringen? Wo ist die Eintheilung? Wo ist erster, zweiter, dritter Theil? Groß A, klein a, lateinisch A, dann griechisch α und sofort? Diese Verwirrung kann Ihnen unmöglich bewilligt werden. Denn, gesetzt auch, Sie hätten ihr Thema statt zu variiren nicht carrikirt, so muß der Gemeinde doch klar werden, wo Sie ihre Ruhepunkte haben. Die Ruhepunkte des Predigers sind die Erweckungspunkte des Zuhörers. Wo Sie einen Absatz machen, macht die Aufmerksamkeit der Zuhörer einen Ansatz. Was Sie da geschrieben haben, flimmert Jedem, der es lesen oder hören soll, vor den Augen. Aber arbeiten Sie es um!«

»Ach, alle selbsterbaute Triumphpforten waren mit dieser pröbstischen Erklärung eingerissen. Die schönen Selbstlobsfestons, die sich über sie hinzogen, verwelkten. All' meine Unsterblichkeit verwandelte sich in eine vom Lehrer roth angestrichene Schülerarbeit. Ich hatte allerdings mit so großer Aufrichtigkeit gegen mich selbst in meiner Predigt gepredigt, hatte mich an den langen christlichen Demuthshaaren mit meinem Plato- und Sokratesstolze im Staube der eingestandenen Unzulänglichkeit aller Selbstrechtfertigung geschleift, daß eine Dorfkanzel, von diesen Predigtwolken eingehüllt, sich in den Dreifuß der pythischen Göttin würde verwandelt haben, in ein unauflösbares Räthsel. Ich bemitleidete jedoch den Probst Reuter, der mir noch ganz mit dem alten Geschirr der Wolf'schen Philosophie das Christenthum aufzuzäumen schien. Meinen Fixsternhimmel ahnte er nicht, meine Sonnen zogen sich in andern als Krummacher'schen Parabeln über das Firmament.«

»Dennoch begann ich die tropische Pflanzenpracht meiner exotischen Abhandlung zu säubern. Der Unterschrift des Probstes opferte ich als Unkraut alle duftende Phantasieblüthen, alle wilde Cactus, die ich in meinem Garten gepflanzt hatte. Ich setzte an ihre Stelle ländliche, perikopische Gänseblümchen. Gegen das Ende zu, wo ich wie ein rasender Ajax am meisten gegen mich gewüthet, wo ich meiner stoischen Selbstgenügsamkeit den Todesstoß versetzt und aus meiner klaffenden Wunde einen ganzen Glockenwald von Hyacinthen hatte hervorklingen und duften lassen, schnitt ich die herrlichen Blumen oben ab, so daß nur noch die Zwiebeln unten zurückblieben, welche auf den Gebrauch der Schnupftücher in der Gemeinde wirken sollten. Ich verflachte meine idealische Schweiz, die dem Probst Reuter wie eine Sammlung logischer Pockennarben erschienen war. Ich warf meinen Rigi in den Zürichersee, steckte von Meile zu Meile eine rothe Fahne der logischen Feldmeß- und Disponirkunst auf und klopfte zum zweiten Mal auf den kahlen Dornenbusch, aus welchem das rothe Antlitz des Probsten leuchtete. Allein er war verreist. Meine Predigt hätte nicht gehalten werden können, wenn ich nicht Muth gehabt hätte, Christi wegen eine Lüge zu wagen.«

»Der Pfarrer von Schwarzensee hatte schon fest auf meine Kreuzesabnahme für den nächsten Sonntag gerechnet. Er ahnte nicht, daß er einem Schismatiker ohne pröbstisches Visa seine Kanzel, seinen Talar und seine Bäffchen einräumte. Er hatte auf meine Logik gerechnet, das Visa als erhalten vorausgesetzt und sich in's freie Feld beurlaubt. Ich fuhr am Morgen des verhängnißvollen Tages in einer großen Familienkutsche, in welcher alle meine Angehörigen Platz genommen hatten, auf den Richtplatz hinaus und grüßte alle Welt nach Art hoffnungsloser Delinquenten. Meine Schwestern und Tanten empfanden heute zum ersten Male eine Art heiliger Scheu vor mir und äußerten zu öftern Malen die Besorgniß, daß ich vielleicht selbst welche hätte. Kurz vor Schwarzensee stieg ich aus, zog noch einmal meinen unvidimirten Paß zur Reise auf die Kanzel hervor und überlas einige Stellen, die ich nicht gut memorirt hatte, weil meine Schwestern den Puppenkopf, vor welchem ich die Rede einstudirte, einige Augenblicke selber brauchten. Damit ich jedoch nicht vom Dorfe aus als noch in meiner geistlichen Toilette und Sonnabendsarbeit begriffen beobachtet würde, ging ich die Landstraße rückwärts voran. Ich mußte endlich die Nähe des Dorfes berücksichtigen und ergab mich denn blindlings meinem Gedächtnisse, indem ich, unbekümmert um die Spottgrüße und Ahasverssatiren einiger akademischer Freunde, mein Kreuz in die Pfarrwohnung hinauftrug. Hier erwartete mich längst der Küster. Nach dem Visa meiner Predigt fragte Niemand, als höchstens mein Gewissen. Ich schlüpfte in die äußern Zeichen meines Amtes hinein, hätte aber beinahe Unglück gehabt mit jener großen calvinistischen Mütze, die, einem umgekehrten Suppennapfe ähnlich, doch weit lieber den Namen eines Hutes verdient hätte. Diese Mauerkrone kommender Verdienste war für meinen Kopf viel zu groß und für die Thätigkeit meines erhitzten und memorirenden Verstandes viel zu schwer. Ich setzte mich nicht ohne Besorgniß in Bewegung, ich möchte das Gleichgewicht meines Oberkörpers und dazu die Mütze selbst verlieren. Indem ich hinten aus der Pfarrwohnung schritt und mich durch die Gräber des Kirchhofs in die schon im vollen Glockenspiel begriffene Kirche begab, hatt' ich meine größte Noth, mit dem Kopfe hin und her zu balanciren. Diese äquilibristische Beschäftigung nahm meine Aufmerksamkeit so in Anspruch, daß ich nicht einmal vor der Kirchthüre daran dachte, mich von der Bürde zu befreien, sondern wie ein jüdischer Hoherpriester zog ich mit meinem Pfannendeckel durch die ganze Kirche hindurch, die glücklicherweise zu klein war, als daß ich mich unterweges noch hätte besinnen und in der Nähe des Altars nun gar noch auffallenderweise erst entblösen können. Der Küster sagte nichts zu dieser jüdischen Neuerung, als ich hinter die spanische Wand, welche die Sacristei vorstellte und mit ländlichen Frescogemälden geschmückt war, trat, sondern er spielte schon tapfer auf der Orgel herum, obschon noch kein Ton vernommen wurde. Mir wurde himmelangst, wie ich den Mann so vergeblich in das lautlose Nichts hineintasten sah. Endlich war aber von Hinten (denn nun bemerkt' ich bald auf einer Leiter zwei flachshaarige Bauernbuben, die hinten die Stricke zogen) Luft in die Pfeifen hineingekommen, und ein taumelnder Rhythmus bemächtigte sich allmählich der musikalischen kleinen Maschine. Ich hatte vielleicht acht Zuhörer gezählt. Der Chor würde auch ganz ausgeblieben seyn, wenn nicht ein Schulknabe, der wahrscheinlich ein Stipendium genoß, das »Vom Himmel hoch, da komm' ich her!« aus irgend einem entlegenen Winkel des Schiffes, wo ich ihn gar nicht sah, recht dreist hervorgekräht hätte.«

»Auf der Kanzel hätt' ich beinahe ein Unglück gehabt. Ihr Pult war nämlich ein so einfaches Brett, daß nicht einmal eine Leiste rings herum ging, und mein Manuscript um ein Haar mit dem langen Priesterrockärmel hinuntergefegt worden wäre. Der Gedanke, daß dies geschehen könnte, brachte mich schon in die größte Verwirrung. Wie sollt' ich mich bei einer begeisterten Stelle halten, und wo die Arme? Konnt' ich zum Himmel emporsteigen, ohne nicht dabei ein wenig mit den Flügeln zu klatschen? Ich hatte mir ungemein viel Wirkung von einer Glanzstelle versprochen, wo ich den rechten Arm weit in die Kirche hinausstrecken wollte, um gleichsam als Schatzgräber das geweihte Erdreich von Menschenherzen unter mir zu beschwören und eine Vorstellung von dem jüngsten Gericht zu erwecken, zu welchem rechter Hand ein Engel, der die Hauptverzierung der Orgel bildete, schon die Posaune blies. Diese Gebärde mußt' ich aufgeben, weil sie mich nicht nur um meine Predigt, sondern auch um das Verzeichniß von Brautpaaren hätte bringen können, die gesonnen waren, in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Dennoch erholt' ich mich, als ich erst in voller Anstrengung war. Die Rede zündete wie ein Blitz all das verfaulte Holz, was ich mir von Christenseelen aus der Stadt mitgebracht hatte, an; ja, einer Cousine, die sich ganz abseits gesetzt hatte, zerfloß ihr irdischer Mensch in so viel Rührung, daß ich selbst nur um so härter wurde, theils, um mich zu wappnen, theils, weil mir's so gut gelang. Sie liebte mich und gestand mir später, daß ihre Thränen weitmehr mir, als sich selbst gegolten hätten.«

»Ich hatte geendet, und den acht bis zwölf Fischen, die in meinem Petrinetze zappelten, die Freiheit gegeben. Die Orgel spielte ein Recitativ, welches man, weil keine Ordnung darin war, wahrscheinlich für eine Bach'sche Fuge halten sollte. Die Armenbüchse vor der Thüre verwandelte sich in meinen Augen in ein ganzes Spital Lahmer und Blinder, so daß ich fast all mein Hab und Gut hineingeworfen, wenn ich mir nicht eingebildet hätte, mein Rock läge in der Pfarrwohnung. Ich hatte vergessen, daß ich ja den Talar nur übergeworfen hatte und keineswegs mit Hemdärmeln darin stack. Der Pfarrer war noch immer von seinem lustigen Urlaub nicht zurück. Ich aber lief spornstreichs, um in die Familienkutsche zu kommen und mich noch recht an der Verheerung zu weiden, die ich so eben unter meinen Anverwandten gestiftet hatte. Meine Cousine, die ich doch am meisten zerknirscht, sprach mir Muth auf dem Wege der Selbstbesserung, den ich nun wohl einschlagen dürfte, zu. Sie ermunterte mich, meine Fehler einzusehen und nach meinen Worten nun auch zu handeln. Die Sonnen, welche sich in ihren Thränen spiegelten, verwandelten sich aber doch alle nur in goldne Fingerringe. Sie gab sich das Ansehen, von der christlichen Märtyrerkrone zu sprechen, und dachte im Grunde dabei nur an die bräutliche Myrthenkrone und an meine ledige Hand.«

»Acht Tage nach diesem geistlichen Debüt,« schloß Blasedow seine Erzählung, »konnt' ich das Glück haben, relegirt zu werden. Ich hatte die Kanzel bestiegen ohne Reuter, als geistlichen Vorreuter. Ich hatte den Talar und die weißen Bäffchen erschlichen und wurde in einen weitläufigen Religionsproceß verwickelt, der zwar nicht mit dem Holzstoß Hussens endete, aber doch damit, daß, wenn Huß bekanntlich eine Gans bedeutet, der Pfarrer von Schwarzensee davon ein Paar in die Probstei schicken mußte, um sich selbst von der Strafe zu befreien, die nun auch gegen mich gemildert wurde. Das am Spieß prasselnde Gänsefett genügte dem Probst Reuter, der etwas braten sehen wollte und zu meinem Glücke dasjenige Opfer vorzog, welches er selbst später verzehren konnte.«

Wir sind durch Mittheilung dieser Jugendanekdote unsers Freundes so sehr von seinen gegenwärtigen Schicksalen abgekommen, daß wir, um das Ebenmaß der Erzählung wieder herzustellen, wohl genöthigt sind, ihrem ferneren Verlaufe ein neues Kapitel zu widmen.



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