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Zweites Kapitel.

 

Reitende Phantasien über die Bestimmung des Menschen.

 

»Gott verdamm' mich, was für ein elender Schuft von Leihbibliothekar ist das! Und die durchgefallene Preisaufgabe – er wird mich bei allen seinen Kunden lächerlich machen..... Nun, es thut nichts, was die eine Schulter bis jetzt getragen hat, trägt wohl auch die andere noch. Auch das Unglück hat sein Angenehmes, wenn es nur sicher und entschieden und im Gleichgewichte ist. Besser, wenn man doch einmal hängen muß, daß einem auch noch die Hände gebunden werden. So zappelt man wenigstens nicht und vermehrt durch die Qual, sich helfen zu wollen, die Qual, sich nicht helfen zu können.«

»Pech ist das beste Wort für meine Lage; wer sich damit besudelt hat und will sich davon befreien, greift, je mehr er greift, sich alle Hände voll. Ist es hier los, so sitzt es da fest. Von der linken Hand bekomm' ich's in die rechte; ich will mir den Schweiß abtrocknen, und hab' es im Gesicht. Wen der Herr einmal zeichnen will, den zeichnet er in Oel und in Kreide, mit Trübsal und mit Schulden.«

»Ich weiß auch keinen Ausweg zu finden. Ich bin gerade auf mein Unglück losgeritten, wo ich es doch mit klaren Augen vorhersah, ehe ich noch darin war. Ich hätte in irgend einen Graben springen sollen, als das Schicksal so breitspurig auf die Landstraße angefahren kam und über mich wegkrachte. Ich sah ja vorher, was aus der Armen- und Pandora-Büchse des Landpfarrerlebens für Geschenke herauskommen mußten, und schlug doch dieser miserabeln Existenz zu. Denn das ist das Eigene im Unglücke, daß man kleinere Uebel immer durch größere heilen will, daß man schon in der Abwechslung seiner Schicksale eine Verbesserung derselben erblickt, mag man nun auch die Candidaten durch den Landpfarrer, ja, man kann wohl sagen, den Teufel durch Beelzebub heilen und austreiben wollen.«

»Alle unsere Wissenschaften, all' unser Lernen und Magisterwerden schneidet nur die Krücke, an welcher wir uns halten müssen bei der Lahmheit und Hinfälligkeit, die wir eben nur durch jene Hülfsmittel selbst bekommen haben. Alles Zeug, was wir treiben müssen – ja, wir nennen es unsere Rettung, unseren Hafen, und gerade dies ist nur allein Schuld daran, daß wir Schiffbruch leiden. Ueber unserer Sorge für das Alter werden wir alt. Um uns nur in späteren Jahren mit diesem oder jenem heilen zu können, machen wir uns selbst ungesund.«


Als Blasedow bis zu dieser Stelle seiner davidischen Psalmen gekommen war, hatte er schon das Städtchen hinter sich und beugte feldeinwärts über einen sehr holperigen Weg, der ihn aber nicht hinderte, in seinen zornigen Träumereien fortzufahren:

»Schrecklicher Gedanke, wenn sich der Mensch auf der Mittagshöhe seines Lebens gestehen muß: Kerl, du hast deine Bestimmung verfehlt! Nun kann man nicht wieder umkehren. Weib und Kind sitzen herum um einen unglücklichen Mann; das Schicksal schlängelt sich wie zwei Drachen um den schreienden Laokoon; man ist einmal darin in den Verschlingungen der grausen Thiere und muß ersticken, um Troja's Schicksal erfüllen zu helfen. Auf das Auswandern nach Amerika geb' ich nichts. Man kann dort nur vorstellen, was man hier gelernt hat. Man hat wenig Concurrenz, man kann bei seinem Unglücke freilich sagen, daß man in dem Pechfache der Einzige ist. Was darin aber für ein Trost liegt, das seh' ich nicht ein.«

»Nach Griechenland hätt' ich gehen sollen als bayrischer Uhlan. Das Meer und das Vaterland des Pindar und Sophokles zu sehen und dabei sein Pferd zu putzen, zuletzt seinen Kopf zu verlieren, von welchem wenigstens die Ohren (als Zeichen des Gehorsams oder als der Theil, der am sichersten vor der schnellen Verwesung ist) nach Constantinopel wandern: es ist doch ein Zusammenhang darin, man hat doch nicht nöthig, wenn man einmal einen fröhlichen Gedanken haben will, ausschließlich an die Vergangenheit zu denken. Was geschieht mir jetzt? Die Zukunft ist eine alte, zahnlückige Matrone, die mir den Schlafrock und die Pantoffeln bringt und mich mit Ehren, großer Gott! mit Ehren, weil ich Niemanden todtgeschlagen habe! in die Grube bestatten wird. Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, saß der redliche Hans Kaspar Tamm – Ach, Gott, was soll daraus werden –«


Hier war Blasedow so übermannt von der Verzweiflung über seine Lage, daß er unwillkürlich seinen Gaul anhielt. Das Thier verstand ihn anders. Die Betrübniß des Reiters wirkte so magnetisch auf dasselbe, daß es sich jener Function überließ, welche die Fuhrleute gewöhnlich durch ein sanftes Pfeifen hervorzulocken pflegen. Blasedow hörte das Plätschern hinter sich und ergab sich einem ironischen, aus Spott und Leiden zusammengesetzten Lächeln. Indem er das Thier zu einem kleinen Trab anspornte, bildeten sich wieder folgende Gedankengruppen in seinem nächtlichen Innern:

»Ich weiß es, für mich ist jede Hoffnung verloren. Meine Bestimmung ist erfüllt. Mit schweren, eisenbeschlagenen, wasserdichten Pfundstiefeln werd' ich von einer Scheune zur andern waten müssen mein Leben lang und mit den zottigen Schäferhunden nicht bloß die Wachsamkeit, sondern auch den Knüppel gemein haben, den ich einmal am Halse trage. Aber an meinen Kindern will ich einholen, was ich versäumt habe. In ihnen will ich noch einmal, dem Geiste nach, wieder jung werden. Meine Kinder sollen erfahren, daß sie von einem Mann erzogen sind, der seine Bestimmung verfehlt hat. Alle meine Fehltritte sollen dazu dienen, daß sie nur desto sicherer gehen. Ich habe fünf Viertel gemacht, um eine Meile zurückzulegen; sie sollen wissen, wie man seine Pfade abkürzt und sich die schnellen Handgriffe aneignet.«

»Ich habe wenig zu thun, bringe aber gerade der menschlichen Gesellschaft mit meinem unvermeidlichen Müßiggange das größte Opfer. Ich muß eine Tradition aufrecht erhalten, für welche die Leute, im Strudel ihrer Geschäfte, gar keine Zeit mehr haben. Der Geistliche ist nicht mehr eingesetzt, die Religion zu mehren, sondern sie zu erhalten. Ich muß dafür sorgen, daß der Himmel nicht abhanden kömmt; ich bin für meine Kirche verantwortlich, ich muß sie in dem Zustande wieder abliefern, wie ich sie erhalten habe. Daß die Glockenstränge nie von den Motten zerfressen werden, soll meine Sorge seyn. Und ihr draußen! ihr rennt und jagt, ihr habt ein schönes Ziel, ihr seyd die Herren und Heroen eures Willens, ihr könnet euren Kreis vergrößern, könnet eure Kunst verbessern! Euch trägt die klare Welle des Tages; mit dem Augenblicke seyd ihr so vertraut, wie mit der Ewigkeit! Ihr Strebende, ihr Glückliche; ach, meine Kinder sollen es auch werden!«

»Der Mensch macht, ehe er das Rechte trifft, es hundertmal verkehrt. Die schönste Zeit geht uns in der Jugend mit den Versuchen verloren. Das Wenigste von dem, was wir lernen, nützt uns späterhin. Natürlich, die Schulen müssen darauf eingerichtet seyn, daß sie Jedem etwas bieten oder eigentlich Allen Alles. Aber nicht Jeder braucht Alles. Jeder braucht nur das Seinige. Wer es möglich machen kann, schicke seine Kinder nicht in die Schule: sonst lernen sie, um Schornsteinfeger zu werden, auch Alles, was sie als Professoren wissen müssen; sonst lernen sie, als einstige Advocaten, auch all die Charlatanerien, die zu dem künftigen Berufe des Arztes nothwendig sind. Ich weiß nicht, wie der Professor Fritz in Straßburg diese Wahrheiten besser hat entwickeln können.«

»Ich habe vier Knaben, glücklicherweise kein einziges Mädchen. Ein Frauenzimmer, und wäre es ein in der Wiege lallendes Kind, könnte alle meine Pläne vernichten. Die Galanterie ist den Menschen so angeboren, daß ältere Brüder sogar schon nach den Launen ihrer kleineren Schwestern sich richten müssen. Schon die Schwäche hat hier etwas, das stärker ist, als die Kraft. Ich habe vier Knaben. Die Auf- und die Ausgaben sind außerordentlich.

 

Ich scheue weder die einen noch die anderen. Ich will meinen Rock tragen, solange noch die Fäden zusammenhängen, ich will mich nicht schämen, Stiefeln zu tragen, welche mit Pflastern dicht belegt sind. Mit meinen Kindern will ich mich an meinem Vater rächen. Sie sollen keinen Schritt in der Ausbildung ihres Geistes vergeblich thun, sie sollen weder griechisch lernen, wenn sie nur Latein, noch die Arithmetik, wenn sie nur die Geometerie brauchen. Ich will ihnen selbst die Lebensroute vorzeichnen, auf welcher sie in kurzer Zeit dicht vor irgend einem glänzenden Ziele stehen. Ich werde mich hüten, sie Prediger werden zu lassen zu einer Zeit, wo die Kirchen so leer stehen, oder Kaufleute in einer Zeit, wo es so viel Bankerutte gibt. Was ich wählen werde, weiß ich noch nicht, aber jedenfalls einen Beruf, der sie nährt, der sie ehrt.«


An dieser Stelle des Blasedow'schen Monologen, wo er allmählich vom dithyrambischen Schwunge schon zur besonnenen und nüchternen Erwägung herabgestiegen war, weckte den Träumenden aus seinen Luftschlössern ein verworrenes Geschrei wie Rabengekrächze. Blasedow fuhr erst erschrocken auf, weil er gerade am Galgen des Kreisbezirkes vorbeiritt. Der Lärm kam aber nicht von dem ganz friedlichen Dreibeine her, sondern von einer Karavane gelber großer Wägen, die kurz vor ihm herzog. Es konnten ihrer fünf bis sechs seyn. – Für Pulverwägen hätte man diese Fuhrwerke zunächst halten können, wenn nicht das Fürstenthum Sayn-Sayn im tiefsten Frieden mit dem Auslande lebte. Auch erinnerte sich Blasedow nicht, daß etwa einem benachbarten Fürsten das Recht einer Militärstraße durch Sayn-Sayn zustände. Er wollte eben seinen Gaul anspornen, um bei den Fuhrleuten die geheimnißvolle Ladung auszukundschaften, als er auch hinter sich eine Cavalcade zu hören glaubte, die ihn jetzt in ein gefährliches Gedränge brachte. Er mußte seinen Gaul etwas abseits lenken, um einer prachtvollen Kutsche, welche vier Pferde zogen, Platz zu machen. Sein Erstaunen wuchs, als er auf dem Bocke und hinten auf dem Tritt der Kutsche drei Mohren wahrnahm. Beinahe hätte er in den Acker hineinreiten müssen, der hier glücklicherweise beim Galgen als Schädelstätte betrachtet wurde und nicht besät war. Die große Carosse wollte nämlich auch jenen gelben Wagenkästen vorzukommen suchen. Der Mohrenkutscher schlug heidnisch auf die Thiere ein, die in dem tiefen Sande ihre Noth hatten fortzukommen. Blasedow hielt an, besonders, um zu sehen, ob ihm ein prüfender Blick in die Glasfenster der Kutsche gelingen würde. Ja, es waren zwei Damen, die im Fond saßen. Die eine wirklich jung, die andere schien es scheinen zu wollen. Die Letztere trug offenbar Schminke auf den Wangen, wie Blasedow deutlich sehen konnte, da sie mit grellen, kecken Augen aus dem Schlage herauslugte. Sie mußte braune Augen haben, Blasedow war ganz erschrocken. Die Kutsche flog aber schnell an ihm vorüber.

Doch jetzt, dacht' er schlau, benutz' ich die Gelegenheit. Unmittelbar hinter dem Tritt, auf welchem die beiden andern Mohren standen, gab er seinem Thiere die Sporen und ritt lustig hinter der großen Carosse her. Das ging eine Weile ganz gut. Er hat schon drei der gelben Wägen hinter sich; allein in dem Momente hält die Kutsche inne, und Blasedow konnte von Glück sagen, daß er sich mit seinem Thiere nicht Hals und Beine brach. Er war einmal im Zuge und prallte so heftig an das Hintertheil des vorne plötzlich gehemmten Wagens an, daß ihm Hören und Sehen verging. Rechts ein Graben, über ihm die Zweige der Bäume, die den Weg beschatteten, jetzt drei Wägen hinter ihm und der vierte ihm unmittelbar nachbiegend, er wußte selbst nicht, aus was für Ursach. Doch verlor er nur seinen Hut vom Kopfe, nicht den Kopf selbst. Er suchte sich zwischen der Kutsche und dem vierten Wagen durchzudrängen, hätte aber wahrlich ein Unglück haben können vor Schreck über einen Anblick, den ihm die Oeffnungen des vierten gelben Wagens darboten. Zwei fürchterliche Augen glotzten ihn an, ein Rachen gähnte mit der eigenthümlichen tückischen Ueberwachtheit und Verschlafenheit, welche man an den Tigern beobachten kann. Durch eine andere Oeffnung streckte ein unsichtbares Thier seine Tatze; an einer dritten nagte ein Bär ohne Maulkorb. Zum Absteigen war kein Raum. Blasedow mußte wieder zurück und die Oeffnung zwischen dem dritten und vierten Wagen abwarten, um sich dahinein zu spielen: denn auch die Kutsche fuhr plötzlich ganz langsam und machte keinen Platz. So war er genöthigt, mit dieser Karavane wilder Thiere, wahrscheinlich einer reisenden Menagerie, auszuhalten und mit den Wölfen zu heulen. Es war schon Abend, als er endlich mit dem schreienden, brummenden und nicht selten brüllenden Spectakel zu gleicher Zeit in seinem Dorfe anlangte. »Jesus, was bringt uns da der Herr Pfarrer mit!« riefen die Weiber zu den kleinen Bleifenstern heraus. Der aber bog seitwärts und eilte, endlich in seinen Stall zu kommen.



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