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Viertes Kapitel.

 

Die Mohrentaufe.

 

Die übrigen Hausbewohner schliefen nicht so fest. Sie hatten die Menagerie, welche in dem Wirthshause eingekehrt war, zwar nicht sehen können, aber doch gehört und hörten sie die ganze Nacht hindurch. Die afrikanische Wildniß war in Kleinbethlehem losgelassen. Löwen brüllten, Tiger gähnten, mancher Affe und Papagey fiel mit einem Schrei von seinem Stege herunter, durch Träume geängstigt. Diese Nacht war im ganzen Dorf eine schlaflose.

Als nun etwa um Mitternacht einige sehr heftige Stöße an der Thüre der Pfarrwohnung erfolgten, konnten Knechte und Mägde sie sogleich hören und zitterten vor Schreck. Das Pochen und Rufen um Oeffnung verstärkte sich. Gertrud fuhr aus dem ersten Schlafe hervor und dachte schon, Peter wäre aus Ungarn zurückgekommen. Diese Vorstellung hinderte sie, an Böses zu denken. Sie schlug Licht an und rief ein Mal über das andere: »Sogleich!« Ihren Nachtrock übergeworfen, schob sie die Riegel von der Hausthüre zurück und fragte, ehe sie aufschloß, wer da wäre?

»Der Herr Pfarrer, in's Wirthshaus soll er kommen!«

Nun dachte Frau Gertrud: Dort wüßte ich Keinen, der so in der Eile das Sacrament verlangen oder gar niederkommen könnte. »Was soll er denn,« frug sie.

»Das kann der Teufel wissen, machen Sie doch nur auf!«

Wie nun Frau Gertrud dies that, ließ sie vor Schreck die Lampe fallen: denn ein schwarzer Kerl in einer weißen Schlafmütze wollte in's Haus hinein. Auf ihren Schrei kam jetzt Hülfe. Der Schwarze lachte aber und sagte: »Macht keine Narrenspossen, meine Herrschaft ist krank geworden und will durchaus den Pfarrer sprechen.«

»Wer ist die Herrschaft?« fragte Gertrud beherzt; »das muß wohl des Teufels Großmutter seyn.« Sie wußte nämlich nichts von der Eigenthümerin der Menagerie und dem Wohlgefallen, welches diese schon auf der Landstraße an Blasedow geäußert hatte.

»Jetzt macht nur keine Umstände,« sagte der Schwarze, der für einen Neger fast das Deutsche zu richtig und sogar mit sächsischer Melodie sprach. »Ich denke nun wohl, daß es Zeit ist, den Pfarrer zu rufen – in's Teufels Namen!«

Gertrud rief von Unten die Treppe hinauf: »Blasedow!« Er hörte nicht. Sie mußte hinauf zu ihm und ihn wecken. Er wollte aber noch immer nicht hören, ob er schon wach war. Er war immer schwer zu seinen Pflichten zu bringen. Er kam gewöhnlich zu Sterbenden erst in dem Augenblicke mit dem Abendmahl an, wenn sie schon todt waren. Er wäre auch jetzt schwerlich aufgestanden, wenn ihm nicht die Wörter: Mohr, Menagerie, Satan, allmählich die heutige Landstraßen-Begegnung wieder in's Gedächtniß zurückgerufen hätten. Daß die beleibte, geschminkte, aber grelläugige Dame krank geworden seyn sollte, that ihm jetzt recht leid. Er stand auf, kleidete sich an und ging mit dem Neger, der aber schwerlich echt war, in's Wirthshaus, wo er erst rechts und links die Menagerie-Fuhrwerke passiren mußte.

Die Scene, welche Blasedow jetzt hier erlebte und mitspielen mußte, hatte auf seine späteren Lebensschicksale eine große Wirkung. Wir wollen nur rundweg eingestehen, daß er sich hier geweigert hat, einen Heiden zu taufen, und daß diese Unterlassungs-Sünde in späteren Jahren das Maß seiner Schuld beim Consistorium vollmachte. Blasedow aber erzählte damals einem Freunde die Sache folgendermaßen:

»Sehen Sie, ich komme da hinein in das Zimmer und finde das genannte Weibsbild in einer dem griechischen Kunstprincip der Nacktheit splitterweg huldigenden krampfhaften Attitüde. Was ihr fehlte, und wessen sie bedurfte, ist mir bis jetzt zu dieser Stunde noch nicht klar geworden. Ja, selbst wenn ich es durchschaut hätte, Herr, ich möchte es gar nicht wissen und am wenigsten wiedersagen. Ein junges Frauenzimmer goß ihr ein Mal über das andere wohlriechende Essenzen auf den Leib und schenkte ihr zuweilen aus einer Terrine ein, die mir weit mehr mit Punsch, als mit Cremor Tartari gefüllt schien. Ich fragte: Aber mein Gott, was ist Ihnen denn, Madame? Sie stöhnte und warf mir einen Blick zu, der entweder vor Fieber oder einer sonstigen Gluth so brennend war, daß er mehr als einen Pfarrer, daß er den ganzen Klerus hätte anstecken können. Ich bekam eine Aengstlichkeit, die ich gar nicht mehr beschreiben kann. Das junge Frauenzimmer verließ uns mit einer so verdächtigen Miene, daß ich wirklich nicht wußte, sollte ich hier als Arzt der Seele oder des Körpers fungiren. Inzwischen war es das Gerathenste, ihren Puls zu fühlen, und diesen erkannte ich freilich für aufgeregt im bedenklichsten Grade. Dennoch wurde mir fast schwindlicht, und ich sah mich genöthigt, neben dem Bett auf einem Stuhle Platz zu nehmen.«

»Sie haben gewiß schon einmal jene Frauen bemerkt auf der Frankfurter Messe oder sonst, wo Wachs-Figuren oder Thiere oder Affen-Komödien gezeigt werden. Gewöhnlich sitzen sie vorn an der Kasse und nehmen die Eintrittsgelder in Empfang. Ihre Augen glänzen aus dem Kopfe heraus, Leidenschaft athmet jede ihrer Bewegungen. Die Wangen sind geschminkt. Die Finger sind mit Ringen vergoldet. Schwere goldene Ketten hängen um den Hals auf einen Busen herab, der etwas Grauenhaftes hat. So stellen Sie sich, in demselben Aufzuge, jedoch im Nachtkleide, meine Patientin vor. Ob sie mich hat verführen wollen oder nur prüfen, ob sie wirklich ein größeres Leiden verspürte, als das meiner Sprödigkeit, weiß ich nicht. Genug, ich behandelte sie pathologisch und frug nachdrücklich, an welchem Theile des Körpers ihr etwas fehle?«

»Als sie mir darauf keine Antwort geben wollte und nur schwere Seufzer ausstieß, fürchtete ich, sie könnte mir, angereizt durch die unwillkürlichen Striche, die ich ihr, um den Puls zu fühlen, auf die Haut gab, unter den Händen somnambül werden. Der Contrast des Magnetismus mit der Herumführerin wilder Bestien und Affen war mir in diesem Augenblicke so gräulich, daß ich aufsprang und fortgehen wollte. Allein wie besessen von dem unglückseligen Rapport, in welchen sie sich durchaus zu mir versetzen wollte, schoß sie auf und hielt mich fest, wie Potiphars Weib den Joseph. Ich erhob jetzt eine Donnerstimme und fragte sie: Was sie denn im Kopfe hätte? Um Gotteswillen, Herr Pfarrer, begann sie nun; ich merke erst jetzt, daß Sie hier sind. Ach, ich habe Sie rufen lassen, weil ich doch wohl fühle, daß es bald an mein Ende geht. Es ist mir gottsjämmerlich schlecht. Ich leide an Magenkrämpfen und neige zu weit mehr Uebeln hin, als ich Namen dafür zu geben weiß.«

»Mein Mitleiden erwachte, und ich blickte voll Rührung auf sie herab. Sie deckte sich anständig zu und fing an zu weinen. Wie nun Frauen dieser Gattung immer in Extremen leben und von einer Leidenschaft zur anderen förmlich hinübernahen, so bekam sie in dem Augenblick eine so gewaltsame Reue, daß ich Gott dankte, wenigstens meiner eigenen Angst, wenn auch nicht ihr selbst, mit den Floskeln helfen zu können, welche man bei langjähriger Praxis für solche Erweckungsmomente in Bereitschaft hat. Sie war überzeugt, in mir nun einen wirklich gottseligen Mann entdeckt zu haben, und dachte wahrscheinlich, da sie einmal die Gnade des Himmels jetzt in der Nähe und zur Hand hatte, sie auch nach Kräften einzuschlürfen und zu benutzen. Mitten unter Reuethränen gestand sie mir nun, daß sie drei Neger um sich hätte, von denen einer ein geborener Sachse und der andere ein Darmstädter wäre. Den ersten würde ich schon an seinem Accente, den zweiten an der absoluten Unfähigkeit, den Buchstaben R auszusprechen, erkannt haben. Der dritte aber sey wirklich echt und noch ein completer Heide. Sie fühle jetzt Gewissensbisse, daß dieser Mensch seit seiner Kindheit in ihren Händen und noch nicht getauft wäre. Ich sollte ihn auf der Stelle taufen. »Ich habe,« sagte sie, »den Lulu gekauft in Genua. Eigentlich erhielt ich ihn als Zugabe bei meinem besten Löwen, für welchen ich die Summe, die man forderte, zu groß fand. Da sagte der Thierbändiger, der jährlich einen Transport wilder Thiere aus den Barbaresken in die südlichen Häfen führt, er wolle mir Lulu noch als Zugabe zu dem Löwen geben, und das konnte ich schon annehmen. Wenn man für die Thiere einmal einen passenden Käufer findet, so kann man mit dem Neger noch immer verdienen. Man fügt einige alte Wallfischzähne, einige Seemuscheln und optische Kunststücke hinzu, meinetwegen auch den Schuh einer Chinesin, den man nur recht klein zu machen braucht, um sogleich die Illusion für sich zu haben, der Neger wird ummalt mit einer Draperie von Palmenbäumen und Paradies- Vögeln, er hält einen Köcher und Bogen und Pfeile in der Hand, ob er gleich niemals ihn gespannt hat. Es ist für die Welt; aber Kinder zahlen die Hälfte.«

»Ich hätte über diese Beichte lächeln mögen, hütete mich aber wohl, dies zu zeigen. Denn sie hätte dann gewiß ihren Ton geändert und sich über die schlechte Rolle geärgert, die sie jetzt in ihrer Reue vor mir durchführte. Ich ließ sie ungestört weiter sprechen.«

»Lulu, sagte sie, ist Christ genug, wenn er es an meinem Lebenswandel und meinen frommen Thieren allmählich hat absehen können. So oft ich – Gott, welche Sünde bei dem Glauben, ein gutes Werk zu thun! – so oft ich das Nachtmahl nahm in schwachen Augenblicken, nahm Lulu Theil. Er lachte zwar immer, und der Prediger verwies es ihm; aber ich sagte, es käme von seiner inneren Freudigkeit. Offen gestanden, er wußte nicht, warum er aß und trank. Jesus, ich habe schreckliche Sünden mit dem Menschen auf dem Halse. Er hat das ganze Christenthum schon in sich, aber es ist und bleibt ein beschnittener türkischer Hund. Getauft ist er nicht.«

»Man denke sich diesen Absprung von einer Circe zu einer abergläubischen und halb reuigen, halb verstockten Sünderin, in beiden Momenten die gleiche viehisch-plastische Natur und das mir immer deutlicher werdende hohe Alter, das hinter der Schminke und den falschen Zähnen sich versteckte! Ich werde mich da mit einer Negertaufe einlassen, dachte ich; sie quälte mich nur um ihrer Sünden willen, und dies erregte zuletzt mein Mitleid. Ich sagte: Meine Werthe, darum werden Sie noch nicht in den Himmel kommen oder die ewige Verdammniß vermeiden, daß sie einen Anderen vom Tode zu erretten glauben, indem Sie ihn für sich taufen lassen. Es ist wahr, eine Schuld wird wenigstens getilgt, die auf Ihnen lastet; allein Sie scheinen diese Negertaufe als eine Sühnung für Ihre übrigen Vergehen zu betrachten. Das kann der Kirche nicht genügen. Alles Taufwasser, was ich da über den jungen Mann gieße, wascht Sie selbst noch nicht weiß. Ich würde mit der Taufe gern zur Hand seyn; allein ich finde, daß diese heilige Handlung hier mit unlauteren Motiven verknüpft ist, und halte demnach meine Segnung zurück.«

Blasedow behauptete, daß er nun gegangen wäre, hat jedoch in seinen späteren Lebensjahren eingestanden, daß er schon damals sehr feindselig gegen die positiven Satzungen des Glaubens gestimmt gewesen wäre. Er wäre damals sehr bequem gewesen. Diese Weitläufigkeit, da in der Nacht Jemanden aus dem Stegreife zu taufen, die zur Handlung nöthigen Geräthschaften schnell herbeischaffen und nun gar den verschlafensten Menschen von der Welt, seinen Küster, wecken zu lassen! »Nein,« sagte er zehn Jahre später, als er das Vorige erzählte, »da schien mir der Erfolg nicht belohnend genug dafür. Das Frauenzimmer war eine gemeine Aventurière. Hatte sie mich erst verstricken wollen, so konnte sie ja hernach die Absicht haben, mir einen Zopf zu machen. Sie heulte und schrie: sie könne das Sündenleben nicht so fortsetzen; ich sagte ihr aber, um ihrer nur los zu werden: Liebe Frau, das Wasser macht es nicht. Ich besinne mich selbst nicht, ob ich getauft bin. Wie sollt' ich wissen, ob mich auch das Wasser des Pfarrers benetzte? Der mich getauft hat, war so kurzsichtig, daß er beim Nachtmahle den Kelch immer nur aufs Gerathewohl hinausreichte, und die Leute nicht wußten, ob sie den Wein nur riechen oder trinken sollten. Also, meine Gute, wer sich nicht selbst tauft, der bleibt ein Heide und Türke sein Leben lang. Daß man der Gemeinde den Leib Christi reicht, macht dieselbe seiner Herrlichkeit noch nicht theilhaftig. Das Reichen soll nur erinnern, daß Jeder suche, selbst suche, was im Glauben, in der Kirche freilich gefunden ist. Demnach machen Sie sich über den Neger keine Unruhe. Er ist alt und reif genug, selbst nach den Hesperiden-Aepfeln lüstern zu werden, wenn er die christliche Seligkeit dafür zu halten geneigt ist. Was Sie ihm geben wollen, würde vielleicht immer nur ein äußerliches Geschenk seyn, dessen Werth er nicht zu würdigen wüßte.«

Mit diesen Worten zog sich damals Blasedow zurück. Müdigkeit und Hunger hatten ihn so ergriffen, daß er sich nach seiner Wohnung sehnte. Der Trost, den er, allerdings ein Fuchs im Schafskleide, zu spenden wußte, schläferte die Dame allmählich ein, so daß sie tief seufzte und kein Wort verlor, indem Blasedow zur Thüre hinaushuschte. Das Kammermädchen (es war ganz finster) kam ihm auf dem engen Gange zufällig in die Arme. Eiskalt überlief es ihn, da er plötzlich etwas Warmes faßte. Es mußte wohl nur von der engen Localität und der Dunkelheit herkommen: denn er drängte die Verführung sogleich von sich und hatte nicht ohne ein ihn verfolgendes leises Kichern endlich glücklich die Treppe erreicht. Frei athmete er auf, als er im Freien war, und lief mehr, als ging, in seine Wohnung zurück. Es war ihm, als hätt' ihn der Satan untergehabt. Er machte auch, indem er nach Essen im Hause herumsuchte, einen Höllenlärm. Gertrud war gemein genug, ihm zu sagen: »Wer nicht herunterkömmt zu gehöriger Zeit, der mag hungern. Uebrigens des Nachts noch anzufangen, das ist recht Versündigung an Gott.«

»Bedenke nur deine Sünden, Frauenzimmer,« entgegnete Blasedow; »wer in Gott freudig seyn will, wird es mit hungerigem Magen schwerlich seyn können.« Damit stieg er, eine Schüssel und ein Brod in der Hand, in sein Zimmer hinauf. Gertrud leuchtete ihm nach. »Ob ich falle,« dachte er, »ist ihr sehr gleichgültig; nur fürchtet sie, wenn ich fehltrete, daß ihr die Schüssel zerschlagen wird. Deßhalb leuchtet sie!« Blasedow war gegen seine Frau mißtrauisch im höchsten Grade. Er sagte oft: »Giftmischer gibt es in der Geschichte der Staaten und der Schaffotte weit weniger, als Giftmischerinnen. Die Frauen würden, wenn man die Aqua toffana so kaufen könnte, wie das Willer'sche Kräuteröl, schreckliche Verheerungen anstiften. Furcht und Grausamkeit halten sich in dem weiblichen Herzen das Gleichgewicht.« Und Blasedow war gegen Gertrud so mißtrauisch, daß er oft fürchtete, sie würde ihn vergiften. Seine Hypochondrie schlug ihm das Leben, was er führen müsse, als einen schwarzen Trauerpfad aus. Wenn mit seiner Frau eine heftige Scene vorgefallen war, und er allein aß, so lockte er immer die Katze in's Zimmer und setzte ihr von den Speisen vor, um zu sehen, ob sie nicht zuckte. Die Frauen schienen ihm aller Dinge fähig. »Ein Engel,« sagte er, »fällt leicht, und nun gar meine Frau, die nicht einmal ein Engel ist! Frauen, wie Alles, was schön ist, nehmen sich besser in der Entfernung aus. Sie sind auf die Mittelstraße in allen Dingen angewiesen, weil sie Gott gerade aus der Rippengegend des Mannes herausschnitt, aber doch stürzen sie aus Extrem in Extrem.«

Unter ähnlichen Betrachtungen schlief Blasedow ein. Die Mohnköpfe, die Morpheus heute noch über ihn streute, waren mit Milch, Zucker und Brod gerieben gewesen, ein Essen, für welches ich gestehe keinen hochdeutschen Namen zu wissen. Den niederdeutschen aber behalte ich zurück, weil es in der Familiarität auch der komischen Romane eine Grenze geben soll.



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