Curt Grottewitz
Unser Wald
Curt Grottewitz

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Bergulme im Dorfe

Bergulme im Dorfe

Die Ulme

In unseren Laubwäldern findet sich häufig ein Baum, an dem man leicht achtlos vorübergeht, weil er so ganz und gar nichts Auffälliges hat. Die Blätter sind ziemlich >klein, ihre Gestalt ist unansehnlich, die Farbe, die Form des Stammes, der Zweige, das alles ist bescheiden, ohne besondere hervorstechende Merkmale, die sich dem Gedächtnis leicht einprägen. Dieser Baum ist die Ulme. Jeder kennt ihren Namen, aber ihre Gestalt, ihre Eigenschaften sind nicht im entferntesten so bekannt, wie die der Eichen, Birken, Fichten. Und doch gibt es Ulmen, die an malerischer Schönheit mit vielen anderen Bäumen sich messen können. Das sind freilich nur einzelne Exemplare, im ganzen und besonders inmitten des Waldes ist sie einer unserer bescheidensten Bäume, schmucklos wie die Erle, aber sie entbehrt selbst der finsteren Unheimlichkeit. die an jener haftet und ihr wenigstens einen ausgeprägten Charakter gibt.

Die Ulme, die imVolksmunde meist Rüster heißt, kommt in Deutschland in drei verschiedenen Arten vor. Diese ähneln einander ziemlich stark. Die Flatterulme hat hängende Blüten an langen Stielen. Die Feldulme, welche die verbreitere ist, unterscheidet sich von der Bergulme duch kurz zugespitzte, am Grunde ungleiche Hälften bildende Blätter, während die letztere lang zugespitzte und an der Basis ohrenförmig herabhängende Blätter besitzt. Es sind also nur geringfügige Unterschiede, welche diese drei Arten von einander trennen. Wir halten uns im folgenden an die gemeine oder Feldulme.

Trotz ihres Namens ist die Feldulme in den Wäldern sehr verbreitet. Aber sie ist doch bei weitem nicht so häufig wie die Eiche oder die Birke. Sie liebt einen frischen Boden, der fruchtbar ist. Sie ist also darin ziemlich auspruchsvoll. Das ist wohl der Hauptgrund, warum sie in unseren Wäldern nicht zu häufig vertreten ist. Denn im übrigen besitzt sie mehrere Eigenschaften, die für ihre Verbreitung sehr günstig sind. Sie produziert eine Unmenge von Samen, und diese Samen sind leicht und mit einem breiten, häutigen Saum, einem sogenannten Flügel versehen, so daß der Wind sie weithin verstreuen kann. Sie wächst auch sehr schnell. Schon in demselben Jahre, in dem der Samen reift, wächst aus ihm ein Pflänzchen heran, das bis zum Herbst mitunter schon eine Höhe von 20 Zentimetern erreicht. In jedem Jahre macht es, besonders auf gutem, feuchtem Boden, sehr lange Triebe, so daß es sehr bald zu einem Baum emporgewachsen ist. Am meisten von allem aber kommt der Feldulme die Eigenschaft zustatten, daß sie sich durch Wurzelausläufer gleich der Espe vermehren kann. Nach allen Richtungen vom Stamm, oft weite Strecken von ihm entfernt, springen kräftige Wurzeltriebe aus der Erde hervor. Mitten im Walde ist diese Eigenschaft der Ulme noch nicht so bedeutungsvoll, als am Waldrande, in kleinen Gebüschen und auf freiem Felde. Denn durch diese Art der Vermehrung entgeht sie am leichtesten den Nachstellungen der Menschen. Wird ein anderer Baum auf einem Terrain, das der Mensch bereits fest in Besitz genommen hat, umgehauen, so kommt an seiner Stelle kein neuer auf. Denn mit den Sämlingen macht der Pflug, der Spaten, die Sense des Menschen kurzen Prozeß. Dagegen wird ein Wurzelschößling durch diese Werkzeuge nicht vernichtet, er schlägt, nachdem inzwischen die tiefliegende Wurzel erstarkt ist, im nächsten Jahre um so kräftiger hervor. Um die Werkzeuge nicht stumpf zu machen, geht der Mensch um diesen Schößling herum, nimmt sich zwar vor, ihm das nächste Mal mit einem Messer oder einer Axt den Garaus zu machen, allein bei der Vornahme bleibt es sehr oft, und so wird aus dem Schößling nach und nach ein Baum. Das ist die Jugendgeschichte unzähliger Ulmen, die in Gärten, zwischen den Feldern, in kleinen Gebüschen und an Waldrändern stehen. Der Same aber, den diese Bäume hervorbringen, gelangt gelegentlich auch in den Wald selbst, und so befördert diese Vermehrungsweise der Ulme ihre Verbreitung auch mitten im Walde.

Einen eigenartigen Eindruck macht die Ulme im März, wenn aus den kahlen, dunklen Zweigen die Blütenbüschel hervorgetreten sind. Dann ist über den ganzen Baum ein zarter, hellbrauner Schimmer gebreitet, der teils noch an das Welke der kühlen Jahreszeit und doch schon an die ersten, zarten Farbentöne des erwachenden Frühjahrs erinnert. Die Blüten bestehen aus weißen, meist fünfspaltigen Hüllen, ans denen rötliche Staubfäden hervorgucken. Diese Farbenmischung bringt dann zusammen mit den bräunlichen Knospen und den Ästen jenes schlichte, aber ungemein zarte Hellbraun hervor, daß zur Charakterisierung der Vorfrühlingslandschaft ebenso gehört wie das Rotbraun der Espenkätzchen oder die weißen Seidenflocken der Weiden.

Da die Ulme gutentwickelte Blüten mit Staubfäden, Fruchtknoten und farbiger Blumenhülle besitzt, so hat für sie die frühe Blütezeit nicht die Bedeutung wie für Erle, Hasel, Espe und andere Gehölzpflanzen. Die Blütenbefruchtung wird bei ihr schon durch die Insekten besorgt, und diese würden die hellfarbigen Blütenbüschel auch finden, wenn der Baum schon belaubt wäre. Immerhin ist dieses frühe Blühen gewiß kein Nachteil für eine Pflanze; für die Ulme wird es noch insofern wertvoll, als sie dadurch ihre Früchte sehr bald zur Reife bringen und noch in demselben Jahre eine Nachkommenschaft aufwachsen lassen kann. Ende April etwa kommen die Blätter in langen, weißlich grünen Rollen aus den runden Knospen hervor. Die Triebe verlängern sich mehr und mehr, und schließlich falten sich aus ihnen kleine maigrüne Blätter ab, die nun von Tag zu Tag größer werden. Sehr groß werden die Blätter freilich überhaupt nicht, nur die Bergulme bringt es zu etwas ansehnlicherem Laub. Die Blätter sind etwa eiförmig, ihr Rand ist doppelt gesägt, die Spitze ist kurz und die Basis vollständig unsymmetrisch. An der einen Seite des Stiels reicht die Blattspreite viel tiefer hinab als an der anderen Seite. Das Maigrün wirkt bei der Ulme meist nicht ganz rein, da zu derselben Zeit der Baum mit hellbraunen, welk aussehenden Früchten beladen ist, die zu der Blattfarbe wenig passen. Bereits Ende Mai sind die Früchte reif und sie fallen in dieser Zeit in Menge von den Bäumen, so daß der ganze Boden oft mit diesen dünnen, hellbraunen häutigen Scheiben dicht bedeckt ist.

Wenn die duftigen Farbtöne des Mai den härteren sommerlichen Farben Platz gemacht haben, dann bekommen die Blätter der Ulme ein mattes Grün, das weder das Freundliche der Birken und Buchen, noch das Düstere der Eichen und Erlen besitzt. Auch hierin wählt der Baum den bescheidenen Mittelweg. Doch spendet die Ulme sehr viel Schatten. Ihr Laub ist nicht nur dicht, sondern es ist auch so gestellt, daß es alle Lichtstrahlen sehr gut auffängt. Die Ulme besitzt nämlich ein ganz eigenartiges Wachstum, wie es kein anderer deutscher Baum und von den Sträuchern nur die Hasel aufweist. Die Verzweigung geht hier nicht steil oder wenigstens schräg in die Höhe, sondern breitet sich fast horizontal aus. An den wagerechten Zweigen sind auch die Blätter in zwei Reihen horizontal gestellt. Dadurch wirkt ein solcher Blattzweig wie ein breiter Schirm, und ein ganzer Ast mit solchen Zweigen spendet einen tiefen Schatten.

Im Herbst färbt sich das Laub der Ulme gelb. Es ist ein helles Gelb, das zwar dazu beiträgt, die Oktoberstimmung in der Landschaft hervorzurufen, das aber nicht entfernt so nuancenreich oder so prächtig ist wie das der Birken oder des Ahorns. Rote oder braune Töne fehlen dem Herbstlaub der Ulme gänzlich. Die Verfärbung tritt häufig sehr bald ein, meist lange vor der der Buchen und Eichen, und auch der Blattfall vollzieht sich sehr rasch. In unbelaubtem Zustände erscheint die Ulme ziemlich dunkel. Der Stamm ist schwärzlich und zeigt einzelne Risse in seiner Rinde. Auch die Äste und Zweige sind dunkel, nur die glatten rundlichen und ziemlich spitzen Knospen sind von schöner, brauner Färbung, doch sind sie zu klein, als daß sie dem Baum ein besonderes Kolorit verleihen könnten.

Infolge der eigentümlichen horizontalen Verzweigung wächst die Ulme von Anfang an sehr buschförmig. Später bekommt irgendein Zweig die Oberhand und wird zum definitiven Stamm. Infolgedessen neigt die Ulme dazu, besonders am Waldrande und bei ganz freiem Stande, schräg aufzuwachsen. Dazu ist ihr Stamm meist mit auswüchsen und Astwülsten bedeckt. Alte Bäume erhalten dadurch eine sehr unregelmäßige, malerische Gestalt. Da die Ulme gern in frischem Boden wächst, so sieht man bisweilen alte Bäume, die an Teichen stehen und mit ihrem Stamm sich schräg über das Ufer neigen, während ihre altehrwürdige Laubkrone den Spiegel des Gewässers verdunkelt.

Alte Ulmen gleichen in ihrer unregelmäßigen derben Gestalt einigermaßen den Eichen. Sie sind viel schlichter noch als diese, aber sie haben etwas ebenso Solides. auch sie werden viele Jahrhunderte alt und man kennt jetzt noch Bäume, die aus dem Mittelalter stammen. Die Ulme ist viel weniger frostempfindlich wie die Eiche. Sie ist überhaupt viel weiter verbreitet als diese. Sie kommt in ganz Europa, im Süden wie im Norden vor und auch im nördlichen Asien ist sie zu Hause.

Die Ulme ist ein sehr geschätzter Baum. Ihr Holz ist ebenso hart und zähe und widerstandsfähig wie das der Eiche. Eben deshalb wird es selten zum Heizen, meist als Nutzholz verwendet. Zu Wasserbauten, als Maschinen- und Werkholz ist es sehr gesucht. Da es eine feine Maserung besitzt, so dient es selbst zum Fournieren von Möbeln. Im Altertum wurde die Ulme als Weinspalier benutzt. Man ließ die edle Rebe an dem Baume emporklettern, und noch jetzt pflanzt man in Oberitalien Ulmen zu diesem Zwecke in die Weingärten. Der Baum verträgt auch das Köpfen gleich den Weiden. Er gewährt also dem Forstmann oder dem Landwirt sehr bald eine Rente. Wegen ihrer schattigen Krone eignet sich die Ulme sehr gut als Alleebaum, sie wird aus demselben Grunde auch sehr häufig in Parkanlagen angepflanzt. Im nördlichen Deutschland sieht man sie oft inmitten von Ortschaften, sie spielt hier etwa dieselbe Rolle wie sonst die Linde.

Die Ulme kann ein sehr hoher Baum werden. Bis zu dreißig Meter Höhe kann sie emporwachsen. In Hecken wird sie mitunter bei öfterem Beschneiden als Strauch gezogen. Noch mehr zum Heckenstrauch eignet sich indes eine Abart der Feldulme, die Korkulme. Diese besitzt an ihren Zweigen dicke Korkleisten, welche der Pflanze ein höchst eigentümliches Aussehen verleihen. Sie wird in der Regel nicht hoch, sondern bleibt buschartig, und da sie das Schneiden gut verträgt, so kann sie neben Hainbuche, Weißdorn und Kreuzdorn sehr gut zur Bildung von lebenden Zäunen verwendet werden. Störend hierbei ist allerdings die Eigenschaft, Ausläufer zu bilden, da diese es leicht mit sich bringt, daß das eingehegte Land in Gebüsch verwandelt wird. Dieselbe Eigenschaft ist es freilich auch, die, wie wir gesehen haben, der Feldulme für ihre Existenz so wichtig ist. Diese Vermehrungsart garantiert dafür, daß die Ulme nicht gänzlich unterdrückt und ausgerottet wird. Überall, wo ein solcher Baum gefällt wird und wo man seine Anwesenheit nicht wünscht oder wenigstens für Nachpflanzung nicht sorgt, versucht die zahlreich aus dem Boden hervordringende Wurzelbrut, den Verlust zu ergänzen. Die Feldulmen sind gewiß nicht sehr häufig, aber es ist noch keine Gefahr vorhanden, daß sie aussterben.


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