Curt Grottewitz
Unser Wald
Curt Grottewitz

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Charakterbild der Espe

Charakterbild der Espe

Die Espe.

Auch im Winter ist das Leben in den Bäumen nicht vollständig erstarrt. Schon im Januar und noch mehr im Februar sehen wir die Knospen sich leise verdicken. Bei keinem andern unsrer Bäume ist zu dieser Zeit das Knospenwachstum so weit vorgeschritten wie bei der Espe. Ist das Februarwetter mild, so brechen aus den dicken, großen braunen Bohnen gleichenden Knospen bereits die grauen Kätzchen wohl einen Zentimeter weit hervor. Die Espe ist daher recht eigentlich der Baum des Vorfrühlings, der noch kahlen, wasserreichen, stürmischen Zeit des Februar-März, in der der Winter im Sterben liegt und der Frühling noch nicht gekommen ist. Das ist die Glanzzeit der Espe. Ein paar wärmere Tage genügen, um lange vor der Blüte der Sahlweide die grauen Kätzchen ganz aus dem braunen Gehäuse hervordringen und ihre eigenartige Pracht entfalten zu lassen.

Die Espe ist ein Sproß der großen Weidenfamilie, und sie stammt speziell aus dem Geschlechte der Pappeln. Sie ist eine Pappel, Zitterpappel wird sie auch genannt wegen der unruhigen, zitternden Bewegung, in die ihre Blätter beim leisesten Windzug geraten. Ihre Zugehörigkeit zur Weidenfamilie erweist sie in der Bildung der bekannten wolligen Kätzchen und in der Verteilung der Geschlechter auf besondere männliche und weibliche Individuen. Von unseren anderen einheimischen Pappeln unterscheidet sie sich auf den ersten Blick. Ihr Stamm besitzt eine trüb-weiße Rinde, wie sie keiner anderen einheimischen Gehölzpflanze eigen ist. Das ist nicht das blendende Weiß der Birke und nicht das metallische, man möchte fast sagen glänzende Silbergrau der beiden Buchenarten, es ist ein stumpfes, mattes Gelblich-oder Grauweiß, das zwar nicht besonders schön genannt werden kann, aber doch ein auffälliges Merkmal des Baumes bildet.

Während unsere anderen Pappeln den Aufenthalt in der Nähe menschlicher Wohnungen oder an Weg-, Feld- und Bachrändern bevorzugen, ist die Espe ein echter Waldbaum. Sie liebt feuchte Schluchten, oder sie wird vielmehr in diese gedrängt, da an solchen Standorten die edleren Baumarten, besonders Eichen und Buchen, sich nicht mehr wohl fühlen und hier auch die Erle, für die direkt nasser Boden der beste Aufenthaltsort ist, nicht als Nebenbuhlerin auftritt. Aber wählerisch, wie etwa die Rotbuche, ist die Espe überhaupt nicht. Man begegnet ihr überall, in feuchten wie in trockenen Wäldern, in schweren wie in leichten Bodenarten. Ihre Wurzeln, die ziemlich flach unter der Erde dahinlaufen, dabei aber sich zehn Meter und mehr nach allen Seiten des Stammes entfernen, finden sich sowohl in einem wasserreicheren Terrain zurecht, da sie nicht so leicht bis in das schädliche Grundwasser eindringen, aber sie kommen auch mit einem dürftigen, trockenen Boden noch aus, da sie das Erdreich auf weite Strecken hin durchlaufen und so alle Nahrungsstoffe aufnehmen können, die in weitem Umkreise des Stammes von außen her, durch verwesende Blätter, tierische Abfälle usw. dem Boden einverleibt werden. Die Espe ist jedoch nicht nur Waldbaum, man trifft sie auch in lichten Gebüschen, an Feldwegen, an Ufern häufig genug.

Auch gegen das Klima ist die Espe ziemlich unempfindlich. Ein Baum, der seine Blüten, diese zartesten Organe der Pflanzen, schon im März entfaltet, der ist gewiß geeignet, ein großes Vaterland zu besitzen. Und wirklich ist die Espe über ein weites Erdgebiet verbreitet. Sie fehlt in keinem Lande Europas, höchstens daß sie in Griechenland recht selten ist. Aber sie dringt auch bis Nordafrika vor. Für mehrere andere Bäume geht die Ostgrenze ihres Verbreitungsgebiets mitten durch Rußland, da hier ein Klima beginnt, das in der Richtung nach Asien immer lufttrockener, immer kontinentaler wird. Für die Espe gibt es eine solche Grenze nicht. Sie ist im ganzen mittleren und auch im vorderen Asien heimisch, ihre Heimat zieht sich bis China und Japan hin. Die Espe scheut sich auch vor größerer Kälte nicht, sie steigt hoch auf die Berge hinauf, und sie dringt in Finnland bis zum 69. Breitengrade, also fast bis an die Baumgrenze vor. Sie steht darin nur den Birken und Weiden nach und ist viel robuster als Buche, Eiche, Esche und Ahorn.

Wenn die Espe zu Beginn des März ihre grauen Kätzchen ganz hervorgestreckt hat, dann ist sie ein Baum von ganz eigenartigem Aussehen. Ihre etwas knorrigen, an den Knoten aufgetriebenen Zweige sind dann dick mit diesen großen Blütenständen übersponnen, deren filzig zottige Schuppen und roten Staubgefäße zusammen das Bild dicker, wolliger, purpurner Chenille hervorrufen. So mit langen, dicken, roten Wollraupen überschüttet, macht der Baum einen sehr phantastischen Eindruck, zumal in dieser Zeit des allerersten Frühlings, wo noch alle anderen Laubbäume ganz kahl erscheinen und wo selbst die frühesten Kinder des Lenzes, die Gänseblumen, sich noch nicht regen. Da bei der Espe männliche und weibliche Blüten auf verschiedene Bäume verteilt sind und die Individuen entgegengesetzten Geschlechts oft ziemlich weit voneinander entfernt sind, so ist von vornherein anzunehmen, daß für die Befruchtung in besonderer Weise gesorgt sein muß. Zu diesem Zwecke sicher ist die Blütezeit der Espe in so frühe Zeit gefallen, in der windige Tage häufig sind und in der der Wind, noch nicht durch das Laub der Waldbäume aufgehalten, den Blütenstaub über weite Strecken hin verstreuen kann. Denn die Espe hat sich der Befruchtung durch die Beihülfe des Windes angepaßt. Darauf deutet auch die verschwenderische Fülle von Blüten, von denen ein einziges Kätzchen eine sehrstattliche Anzahl besitzt. Mag schon eine Menge Blütenstaub verlorengehen, er ist trotzdem in solcher Überzahl vorhanden, daß es auf Millionen Verluste nicht ankommt. Wenn die Espe ihre Kätzchenblüten entfaltet, dann ist auch sie noch blätterleer, die Entwicklung des Laubes nimmt nicht den Blüten Kraft weg, und die Blätter stellen sich auch dem Winde, der den Blütenstaub hinwegträgt oder herbeiführt, nicht als Hindernis entgegen. Die Blütezeit der Espe ist ziemlich lang, sie erstreckt sich auf den März und den April. So ist die Liebesperiode der Espe lang genug,es ist in jede rBeziehung dafür gesorgt, daß neue Abkömmlinge aus der alten Espenart entspringen.

Es hängt wohl mit dieser langen Blütezeit zusammen, daß die Espe ebenso wie die übrigen Pappeln ihre Blätter erst ziemlich spät hervorschickt. Wenn Birken und Weiden schon längst ihr duftig grünes Laub im Mai entfaltet haben, wenn die Apfelbäume blühen und auch Eiche und Wallnußbaum allmählich ihr grünes Kleid anziehen, dann ist die Espe ganz kahl, sie ist viel kahler als vorher. Denn nun sind die Chenillekätzchen unscheinbar geworden, die männlichen Bäume haben sie gar abgeworfen, so daß die wolligen Räupchen jetzt rings um den Stamm den Erdboden bedecken. Erst gegen Mitte Mai, kurz vor der Akazie und der Schwarzpappel schmückt sich die Espe mit neuem Laub. Es ist ein ganz bestimmtes Bräunlichgelb, ein scharfer bronzefarbener Ton, der die jungen, leicht wolligen Blätter der Espe (wie allerdings auch der nächst verwandten Pappeln) kennzeichnet. Schon von weitem unterscheiden sich diese Bäume im Frühjahr von allen anderen durch dieses bräunliche Kolorit, das einige Wochen anhält, um dann bei der Espe in ein ziemlich helles, eine leichte Reseda-Nuance enthaltendes Grün überzugehen. Die Espenblätter sind nahezu kreisrund, und ihr Rand ist buchtig ausgeschnitten. Sie sitzen an auffällig langen, sehr dünnen und dabei ganz plattgedrückten Stielen. Daher kommt es auch, daß sie in unaufhörlicher raschelnder, gleichsam zitternder Bewegung sind. Man hat in diesem Zittern eine besondere Anpassungsform erblickt und die Erscheinung auf verschiedene Weise gedeutet. So sollte sie ein Mittel darstellen, die Blätter vor dem Ankriechen und dem Fraß der Insekten zu schützen. Neuerdings will man in dem Zittern eine Einrichtung zum schnellen Verdunsten der überreichen Wassermengen erkennen, die den Blättern des Baumes angeblich aus dem feuchten Standorte zuströmen. Wie nasse Wäsche vom Winde bewegt, ihr Wasser leicht abgibt, so soll dies auch bei den Blättern der Espe der Fall sein. Alle diese Vermutungen sind möglich, aber es sind eben nur Vermutungen. Sicher ist, daß dieses Rascheln der Espen dem Walde einen stimmungsvollen Reiz gibt. Wer den Wald kennt, der weiß, wie verschiedenartige melancholische oder feierlische Töne in ihm erklingen. Wer ein Ohr dafür hat, wie in alten Eichenhainen ein verhallendes Brausen die Wipfel durchströmt, wie im Kiefernwalde ein scharfes, fast klirrendes Pfeifen durch die Nadeln geht, wie zur Winterszeit in Akazienhainen die braunen Samenschoten surrend aneinanderschlagen, für den ist auch das Zittern des Espenlaubes eine alte liebe Melodie.

Im Sommer ist die Belaubung der Espe nicht besonders schön, weil die Krone dieses Baumes sich immer sehr licht hält und darum die starken Aste und die wulstigen Zweige immer zu sehr hervortreten. auch sind die Blätter verhältnismäßig klein, ohne doch die duftige Zartheit des Birkenlaubes zu besitzen. Im Oktober dagegen verwandelt sich das schlichte Grün in ein auffallendes Bräunlichgelb, das nach und nach bis zur Schwefelfarbe übergehen kann. Oft sieht man auch schöne weinrote Farben, wie sie unter unseren einheimischen Bäumen nur die Apfelgewächse, vor allem die Kirschbäume und die Ebereschen aufweisen. Die herbstliche Farbenpracht der Espe hält jedoch meist nicht lange an. Die Blätter fallen ziemlich früh vom Baum, und es ist wohl die unaufhörliche Bewegung, die den raschen Abfall des welken Laubes begünstigt. Liegen aber die Blätter einmal am Boden, dann werden sie rasch schwarz. Sie bilden nicht den schönen gelben oder rostbraunen Teppich, der im Herbst den Ahornalleen, den Birken- und Buchenwäldern einen weichen, zarten Reiz verleiht. Die Blätter der Espe werden im Nu schwarz wie die Nacht, und hingebreitet wie ein düsteres Bahrtuch unter den kahlen Stamm, versinnbildlichen sie den Tod, der jäh und mit allen Schrecken kommt, ohne Erbarmen und ohne Versöhnung.

Wenn die Blätter von den Zweigen abgefallen sind, dann tritt uns der Baum gewissermaßen in seinem Gerippe, in seinen Grundlinien vor Augen. Da sehen wir denn, daß die Espe ein außerordentlich breit gebauter Baum ist. Zwar ihr Stamm ist selten dick, und ihre Höhe ist nicht beträchlich, obwohl man zuweilen, besonders in tiefen Gründen, sehr hochstrebende Individuen bemerkt. Aber die Espe ist in ihrer Krone immer sehr breit, ohne doch die schöne runde Form einer Linde oder einer Kastanie zu besitzen. Die Espe streckt ihre Äste weit nach den Seiten aus, und diese Äste sind, ganz im Gegensatz zur Eiche, meist lang und wenig verzweigt, und sie halten einen weiten Zwischenraum untereinander inne. So bekommt die Espe eine etwas steife, wegweiserähnliche Gestalt, ihre Äste greifen wie lange, robuste Arme in die Luft, ohne die schöne feinzweigige Gliederung der meisten andern Bäume oder die malerische Knorrigkeit der Eichen und Ulmen zu erlangen. Die Espe ist ganz und gar ein wilder Baum, um den sich selten jemand bekümmert. Sie wird wohl nirgends von Menschenhand systematisch gepflegt, höchstens daß sie einmal an Wegen angepflanzt wird, wenn gerade kein anderes Baummaterial zur Stelle ist. Der Brennwert ihres Holzes ist gering, und als Bauholz wird sie auch kaum je verwandt. Doch lassen sich aus ihrem Stamm dauerhafte, wenn auch nicht gerade fehr schöne Bretter schneiden. Am meisten wird das weiche, poröse Holz zu solchen Geräten verwandt, zu deren Anfertigung Höhlungen ausgeschnitten werden müssen, also zu Schaufeln, Mulden, Trögen, Holzschuhen, Löffeln. Espenholz wird auch zur Papierfabrikation benutzt. und die aus dem Holz hergestellte Kohle dient auch zu einem der am meisten mißbrauchten Produkte der Welt, zum Schießpulver.

Im ganzen verdient jedenfalls die Espe den bescheidenen Platz, den sie in unseren Wäldern einnimmt. Da sie vom Menschen zwar öfters gefällt, aber nur ganz ausnahmsweise angepflanzt wird, so muß sie einen besonderen Trick haben, um ihre Art nicht verschwinden zu lassen. Sie wächst einmal außerordentlich rasch, und dann vermehrt sie sich sehr stark. Aber diese Vermehrung beruht weniger auf der Verbreitung ihrer Samen. Trotz der Reichhaltigkeit der geschlechtlichen Apparate findet man doch nur wenig Sämlinge der Espe, wohl darum, weil der Mensch ihnen den günstigsten Boden zur Entwickelung entzogen hat. Aber die Espe vermehrt sich überaus reich aus Schößlingen, die aus den Wurzeln hervortreiben. Es wurde bereits gesagt, daß diese Wurzeln sehr weit vom Stamm hinweglaufen. An den verschiedensten Stellen dieser Wurzelstränge brechen nun junge Bäumchen hervor, die, weil von der Mutterpflanze genährt, außerordentlich schnell in die Höhe schießen. So entsteht denn rings um jede Espe sehr bald ein ganzer Hain von neuen Espen, und wird gar ein Baum gefällt, so treibt die junge Wurzelbrut erst recht an allen Stellen des Bodens hervor. Solch lebensfreudige Eigenschaften muß ein Baum haben, wenn er dem Raubtier Mensch nicht verfallen soll. Die verhältnismäßig geringwertige Espe wird ob dieser Eigenschaft weiter leben, obwohl ihr eine Behandlung zuteil wird, bei der die Buche, die Linde, die Eiche und mancher andere Baum unserer Wälder in Kürze aussterben würde.


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