Curt Grottewitz
Unser Wald
Curt Grottewitz

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Eschen

Eschen

Die Esche.

Dem Namen nach ist die Esche so bekannt wie irgendein Baum. Aber gesehen haben sie wohl nur wenige von denen, die ihren Namen kennen. In Norddeutschland zumal kommt der Baum auch den Landleuten nur selten zu Gesicht. Das Blatt einer Eiche, Linde, Birke könnte jedes Kind beschreiben, aber wollte man selbst nur unter den erwachsenen Personen in Deutschland Umfrage halten, wer das Blatt der Esche kennt, es würden wohl nicht fünf von hundert Antwort geben können.

Wer sie aber einmal wirklich gesehen hat, der kennt sie für immer. Kein anderer Baum Deutschlands gleicht ihr. Ihre äußere Form, ihr Wachstum, ihr Blühen und Fruchten, ihre Gewohnheiten geben der Esche ein selbständiges Gepräge, so daß sie mit keiner anderen einheimischen Pflanze verwechselt werden kann. Vor allem das Blatt ist charakteristisch, dieses große, straffe Fiederblatt, das aus drei bis sechs Paaren von länglichen Teilblättern besteht. nur die Eberesche, die sonst keine Berührungspunkte mit der Esche besitzt, und der fast ausgerottete, der Eberesche nahe verwandte Speierling haben Fiederblätter von allen deutschen Bäumen. Aber ihre Fiederblätter sind weich, zart, lieblich gegen das scharf und energisch geschnittene Blatt der Esche. Man möchte sagen: kühne Entschlossenheit spricht sich in ihm wie in dem ganzen Wesen der Esche aus. Da bei uns Bäume mit Fiederblättern so selten sind, so sehen wir in ihnen schon an und für sich etwas Apartes, einen besonderen, auffallenden Schmuck. Beim Walnußbaum, der ja auch bei uns erst eingeführt worden ist, sind die Teilblätter zu groß, so daß die gewaltigen Blattfiedern imposant wirken. Sonst geht von den fiederblättrigen Bäumen, die bei uns angepflanzt werden, Akazie, Gleditschie und Götterbaum, eine leichte, liebliche Anmut aus. Bei der Esche haben die Blätter zwar auch viel Gefälliges, aber mehr als die Grazie macht sich die Elastizität und die Straffheit geltend. Die dunkelgrüne Farbe, die feste, harte Struktur, der gesägte Rand der Blätter benimmt ihnen die Lieblichkeit und gibt ihnen eine strenge Schönheit. Derselbe Charakterzug prägt sich auch in der Form des Stammes aus. Die Esche wächst kerzengerade in die Höhe und verzweigt sich nicht so leicht und so schnell wie unsere anderen Bäume. So bildet sie in der Jugend einen schlanken, glatten Schaft, im Alter einen hohen, astlosen Stamm. Stolz und ebenmäßig strebt sie in die Höhe, ohne mit der Nachbarschaft durch Seitenäste in Berührung zu treten, gleich als scheute sie sich, sich mit ihrer Umgebung einzulassen.

Die Esche, so stolz und stattlich sie erscheint, hat doch keinen eigentlichen Schmuck wie mancher andere Baum. Der eine Baum besitzt anmutige Blüten, der andere Früchte, ein dritter hat andere dekorative Zierden zu gewissen Jahreszeiten. Die Esche besitzt davon nichts. Ihre Schönheit ist während der ganzen warmen Jahreszeit dieselbe, sie liegt in ihrer Form. Unscheinbar sind zumal ihre Blüten. Dabei gehört sie nicht, wie die meisten unserer Bäume, zu den Kätzchenblütlern, sondern zu den Olbaumgewächsen, die, wie verwandte Gehölzpflanzen, Flieder, Schneeflockenbaum und Liguster zeigen, durch Blütenpracht ausgezeichnet sind. Aber die Esche hat die Blütenblätter verloren, nur die unscheinbaren Fruchtorgane hat sie behalten. Um die Blüten noch unansehnlicher zu machen, läßt die Esche sehr häufig in ihnen nur ein Geschlecht zur Ausbildung kommen. So gibt es außer den Zwitterblüten noch solche, die entweder nur aus Staubgefäßen oder nur aus Stempeln bestehen. Die Blüten sind in kleinen Rispen angeordnet, die als schwarze Büschel, wenig bemerkbar, aus den Seitenknospen der Zweige hervorbrechen. Die Esche blüht wie die meisten unserer Bäume noch vor Ausbruch des Laubes. Im Frühjahr, wenn die Stürme über das Land brausen, kann der Wind den Blütenstaub leicht durch die Luft führen, ohne daß dieser an den Blättern der Bäume und Sträucher hängen bliebe. So kommt er ungehindert an seinen Bestimmungsort.

Nach der Blüte, ziemlich spät, schlägt die Esche aus. Wenn Birke, Linde und Weide längst den vollen Laubschmuck besitzen, dann denkt erst die Esche daran, ihren Blätterschmuck zu entfalten. Bei vielen unserer Bäume hat dieses frische Maiengrün einen milden, lieblichen Farbenton, bei der Esche ist die Maistimmung des Laubes weniger ausgeprägt, als wollte sie alles vermeiden, was das Herz weich und sehnsüchtig stimmt. Und doch ist dieses Laub, doch sind diese straffen, elegant geformten Fiederblätter eigenartig schön. Sie sind es aber im Hochsommer ebenso wie im Mai. Es ist kaum je eine Veränderung an ihnen zu bemerken. Sie bleiben straff, grün und sauber, bis in den Herbst hinein. auch der Oktober verändert sie kaum. Wenigstens bekommen sie kein bestimmtes Herbstkolorit. Die weichen blassen Oktoberfarben, die uns noch einmal die sterbende Natur in ihrem buntesten Farbenkleide zeigen, gehen an der Esche vorüber. Ihre Blätter färben sich nicht, wohl nimmt ihnen der Frost die saubere, frische, grüne Farbe, aber grün bleiben sie doch, bis sie der Wind zu Beginn des Novembers einzeln von den Ästen reißt. Dann liegen die langen Fiederblätter unter dem Baume, starr und unbeugsam wie immer, noch ziert sie ein mattes Grün.

Wenn die Esche sich entlaubt hat, tritt ihre schlanke, gerade Gestalt erst recht deutlich hervor. Der Stamm in seiner stolzen Länge ist das Sinnbild starken, mutigen Aufstrebens. Er ist lang und ebenmäßig, aber bei weitem nicht so dick wie der Stamm anderer gleich hoher Bäume. Das gutmütig Behagliche, das sich in der untersetzten Gestalt der Linde ausspricht, fehlt dem Stamm der Esche ebenso wie das kernig Biedere, das der ungeschlachte, eigensinnig verzweigte Stamm der Eiche aufweist. Auch bei größerer Stärke des Baumes furcht sich doch die Rinde der Esche nicht allzusehr. Sie ist nicht entfernt so zerrissen wie die der Eiche, Kiefer und Akazie, aber sie ist auch nicht ganz so glatt wie die der Buche. Die Esche hat eine schwarze Rinde, an jungen Bäumen und an den Spitzen der Äste ist sie jedoch heller, oft sogar weißlichgrau. Von diesen hellen Trieben stechen die kohlschwarzen Endknospen wirkungsvoll ab, die eine ansehnliche, auffällige Größe besitzen, fast wie die der Roßkastanien. Noch seltsamer aber wird die Winterfärbung der Esche, wenn sie in einem guten Samenjahr sich über und über mit Früchten bedeckt. Diese Früchte sind flache, häutige, weißliche Scheiben, oval und ziemlich so groß wie Hauspflaumen, aber oben ganz dünn und flach. In der Mitte liegt der Samenkern und rings um ihn läuft ein breiter, häutiger Flügelsaum. Mit diesen Samenscheiben dicht behängt, erscheint die Krone der Esche hechtgrau. Sie macht im Winter darum nicht den düsteren Eindruck, wie die anderen Bäume, hell und ungebeugt leuchtet ihre Krone in die kühle, kahle Winterlandschaft hinein.

Die Früchte der Esche bleiben lange am Baume hängen, an geschützten Stellen den ganzen Winter über, wenn auch von Neujahr an immer einige von den Zweigen fallen. Der Baum teilt diese Eigenart mit der Linde und dem Ahorn. Der Zweck dieser Einrichtung liegt auf der Hand. Die Samen der Esche sind durch ihren Flügelsaum recht dazu geeignet, vom Winde hinweggetragen zu werden. In der Luft würden sie aber doch nur eine kurze Strecke weit fliegen. Im Winter dagegen können sie über den kahlen Boden oder auch über den Schnee weitergetrieben werden. Sie finden zu dieser Jahreszeit lange nicht so viele Hindernisse wie im Sommer und Herbst. Auch das Laub des Mutterbaumes selbst wie das der benachbarten Gehölzpflanzen würde die Verbreitung der Früchte in der wärmeren Jahreszeit beschränken.

Der Reichtum an Samen ist bei der Esche beträchtlich, wenn sie darin auch nicht mit der Birke und Erle verglichen werden kann. Gewöhnlich keimt der Samen noch nicht im Frühjahr, sondern erst ein Jahr später. Diese Einrichtung findet sich bei vielen Bäumen, Linden, Hainbuchen und Ahornarten, und hat wohl den Zweck, den Fortbestand der Art auch im Falle einer Krisis, bei Dürre, Waldbrand oder verheerenden Krankheiten, zu sichern. Ist der Same aufgelaufen, so zeigt sich sofort im Sämling die unbändige, hochstrebende Energie der Esche. Die junge Pflanze erreicht gleich im ersten Jahre eine ansehnliche Höhe, während die Sämlinge anderer Baumarten im ersten Jahre winzige Pflänzlein bleiben, wird die Esche oft schon im ersten Vegetationsjahr zwanzig bis dreißig Zentimeter hoch. Sie gehört mit den Pappeln und einigen Weidenarten zu den deutschen Gehölzarten, die am schnellsten wachsen und übertrifft vielleicht alle an Energie des Wachstums. Jedenfalls vermag sich keine andere so schnell in die Höhe zu arbeiten. Die Esche verzweigt sich nicht oder nur schwach, sie wächst in senkrechter Richtung weiter, während bei Weiden und Pappeln die zu lang gewordenen Triebe leicht zur Seite fallen und die Fortsetzung des Stammes daher von einer Seitenknospe aus erfolgen muß. Alle unsere Bäume sind in der Jugend mehr oder minder Büsche, sie verzweigen sich gleich von der Erde an. Viele scheinen gar keine Lust zu haben, ein Baum zu werden, sie bilden in der Jugend keinen richtigen zentralen Stamm, sondern werfen sich mit ihren Zweigen bald nach dieser, bald nach jener Richtung, besonders die Eichen, Buchen, Ulmen und Weiden. Andere, wie Birken, Fichten und Kiefern, streben zwar in die Höhe und suchen einen festen, senkrechten Mittelstamm zu gewinnen, aber senden doch gleich im zweiten Jahre Seitenzweige aus. Nur der Ahorn, noch mehr aber die Esche zeigen von Anfang an, daß sie darauf ausgehen, Bäume zu werden. Fängt die Esche schließlich an, sich zu verzweigen, so hat sie bereits einen hohen, kräftigen Stamm gebildet. Aber auch im Alter läßt sie ihre Äste nicht wagerecht abgehen, geschweige denn herabhängen. Vielmehr streben auch diese energisch in die Höhe, sie rücken nahe an den Stamm heran und so entsteht jene längliche Baumkrone, die in ihrer männlichen Straffheit so weit von der Kugelgestalt der Linde, von dem eigensinnig nach allen Seiten unregelmäßig sich ausstreckenden Astwerk der Eiche, von der imposanten Fülle der Ahornkrone abweicht. Kraft steckt schließlich in allen diesen Bäumen, aber bei der Linde wirkt sie mit gutmütiger, alles umfassender Mütterlichkeit, bei der Eiche mit starrem, unbeugsamem Individualismus, beim Ahorn mit höfischer, steifer Würde, bei der Esche offenbart sich die Kraft in jugendlicher Elastizität.

Es ist kein Zufall, daß solch ein schnellwachsender, energisch aufstrebender Baum wie die Esche einen guten und besonders Feuchten Boden liebt. Nur das Wasser mit seiner erquickenden, aufmunternden, befruchtenden Kraft kann einer Pflanze so große Energie verleihen. Aber der Boden, in dem sich die Esche behaglich fühlen soll, muß auch nahrhaft sein. Am besten gedeiht sie in Aueboden, in jenen Niederungen, in denen Flüsse seit unvordenklichen Zeiten fruchtbares Schwemmland abgelagert haben. Hier fühlen sich natürlich auch andere Bäume sehr wohl, Eichen, Rüstern und Linden. Aber hier vermag sich die Esche unter ihnen zu behaupten, hier kommt ihre Kraft zur Geltung. Auch in anderen feuchten Wäldern, in den kleinen Buschwäldern an Bachufern kann man die Esche noch allenthalben antreffen. In Norddeutschland sind allerdings Auewälder und Bachufer selten. Die ersteren sind fast überall selten geworden, der Boden, den sie einnahmen, ist als Wiesen- oder Ackerland längst von den Menschen mit Beschlag belegt worden. In der norddeutschen Tiefebene gibt es so wenig guten Boden, daß man das Land da, wo es die Buschbäume innehalten, längst urbar gemacht hat. Bäche gibt es nun erst recht nicht, die Wasserkanäle aber, die sumpfige Wiesen entwässern sollen, führen meist durch zu nasses Land, als daß sich an ihren Ufern andere Bäume als Erlen und Weiden wohlfühlen könnten. Aber auch an den Ufern von Seen und Flüssen, an den Rändern von Kiefernwäldern, die Wiesen abgrenzen, findet man in Norddeutschland kaum je eine Esche. Hier ist der Baum jedenfalls vom Menschen ausgerottet worden, wie wohl auch die Erlen und Weiden längst ausgerottet wären, wenn nicht eine besondere Eigenschaft sie schützte. Sie schlagen nämlich aus dem Wurzelstumpfe wieder aus, wenn ihr Stamm gefällt wird. Der Besitzer solcher Ländereien an Flüssen und Seen pflegt derartige Laubbäume umzuhauen, sobald sie einigermaßen verbrauchsfähig sind. An das Anpflanzen denkt er nicht. Die Bäume, die aus dem Wurzelstumpfe nicht wieder, oder wenigstens nach wiederholtem Umhauen nicht mehr ausschlagen, werden auf diese Weise ausgemerzt. So ist es der Esche ergangen. Nun ist sie in weiten Landschaften Deutschlands ein seltener Baum geworden.

Die Esche gehört nicht zu den Bäumen, die sich des Vorzugs erfreuen, von den Menschen systematisch begünstigt zu werden. Es gibt kaum einen Forstbetrieb, der einen reinen Bestand von Eschen auswiese. Allenfalls ist sie in Buchenwäldern eingesprengt oder wird bei gemischten Beständen verwendet. In Mittel- und Süddeutschland sieht man die Esche eher einmal auch in der Nähe von Ortschaften. Am häufigsten aber ist sie im Gebirge. Dem Aussterben nahe ist sie noch lange nicht. Noch gibt es in Deutschlaud genug feuchte Abhänge und Wälder, die nicht zum Ackerbau benutzt werden können; hier wird die Esche sich voraussichtlich immer erhalten, aber ihre allgemeine Verbreitung in Deutschland büßt sie mehr und mehr ein. Einst war ihr Schaft begehrt zu Speeren, jeder kannte die Esche, die eine so unentbehrliche Waffe lieferte. Heute hat das Volk im ganzen alle Beziehungen zur Esche verloren. Gleichwohl gehört ihr Holz zu dem besten, das deutsche Bäume liefern. Es ist vorzüglich zur Möbeltischlerei, zäh und elastisch, dicht und hart, wird es als das beste Material zum Maschinenbau, aber auch zur Herstellung sauber gearbeiteter Werkzeuge geschätzt. Auch der Brennwert ist bedeutend, er erreicht fast den der Eiche.

Häufig wird die Esche noch als Alleebaum angepflanzt, an Wegrändern, die guten Boden besitzen, oder sich nicht hoch über dem Grundwasserspiegel erheben. Ihr gerader Sinn, ihre Höhe, ihr schnelles Wachstum machen sie zu einem vortrefflichen Straßenbaum, der immer schmuck und imposant aussieht. in Parkanlagen wird die Esche leider zu selten angepflanzt, eine eigenartige Varietät, die sogenannte Traueresche, die ihre Zweige in sauftem Bogen überhängen läßt, findet man häufiger. Eigentlich stimmt diese melancholische Form gar nicht zu dem Wesen des jugendlich elastischen, aufstrebenden Baumes. Aber die Gärtner haben Trauerbuchen, Trauereichen, Traueräpfel und noch vieles andere Traurige dieser Art gezüchtet und verbreitet. Manche streben danach, die Eigenart eines Wesens zu ergründen, andere danach, sie zu verwischen.


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